Fünftes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

– – In einer solchen Nacht
Hüpft‘ Thisbe furchtsam über’n Thau dahin
Und sah des Leuen Schatten vor dem Leuen.
Der Kaufmann von Venedig.

Die plötzliche Flucht seines Führers und das wilde Geschrei der Verfolger versetzten Heyward auf einige Augenblicke in ein unthätiges Erstaunen. Bald aber bedachte er, wie wichtig es sey, sich des Flüchtlings zu versichern, stürzte auf die nahen Gebüsche und drang eilig vor, um sie bei der Jagd zu unterstützen. Er hatte aber noch keine zweihundert Schritte zurückgelegt, als er die drei Waldbewohner bereits von ihrer fruchtlosen Verfolgung zurückkehren sah.

»Warum so bald den Muth verloren?« rief er; »der Schurke muß sich hinter einem dieser Bäume verborgen haben, wir können seiner noch habhaft werden. Wir sind nicht sicher, so lang er auf freiem Fuße ist.«

»Wollt ihr den Wind mit einer Wolke jagen?« fragte der Kundschafter ärgerlich; »ich hörte den Teufelskerl über das trockne Laub hinschlüpfen, wie eine schwarze Natter, bekam gerade über jener dicken Fichte einen schwachen, flüchtigen Schein von ihm, spannte, als wäre ich ihm auf der Fährte, ’s war aber Nichts! und doch hieße ich’s, wenn ein Anderer als ich den Drücker berührte, meisterlich gezielt, und man sollte meinen, ich habe Erfahrung in diesen Dingen, und könne es wissen. Da seht ‚mal diesen Summach an, seine Blätter sind roth, und doch weiß Jedermann, daß er im Monat July in gelber Blüte steht.«

»’s ist Blut von le Subtil! er ist verwundet und fällt vielleicht noch!«

»Nein, nein,« entgegnete der Kundschafter, diese Vermuthung entschieden verwerfend, »ich streifte wohl nur die Rinde von einem Gliede ab, und der Bursche hüpft dafür um so länger. Eine Büchsenkugel thut einem Jagdthier, wenn sie’s streift, just denselben Dienst wie euer Sporn dem Rosse, sie beeilt nur seinen Lauf, und bringt Leben in das Fleisch, statt es zu rauben. Aber wenn’s ein tüchtiges Loch bohrt, so ist’s nach ein paar Sprüngen gemeiniglich am Ende mit dem Laufen, sei’s nun Indianer oder Wild!«

»Wir sind aber vier kräftige Kerls gegen einen Verwundeten!«

»Ist’s Leben euch verleidet?« unterbrach ihn der Kundschafter. »Der rothe Teufel dort würd‘ euch in’s Bereich der Tomahawks seiner Gesellen bringen, bevor ihr euch noch von der Jagd erhitzt hättet. Es war ein unbesonnener Streich von einem Mann, der so oft geschlafen hat, während der Schlachtruf durch die Luft ertönte, seine Flinte in der Hörweite eines Hinterhalts abzufeuern. Aber die Versuchung war zu groß! Kommt, Freunde, verändern wir unsern Standort auf eine Weise, welche den listigen Mingo auf eine falsche Fährte bringt, sonst trocknen morgen um diese Stunde unsre Skalpe vor Montcalm’s Lager im Winde!«

Diese schauderhafte Erklärung, welche der Kundschafter mit der kaltblütigen Zuversicht eines Mannes gab, der die volle Gefahr begriff, während er nicht fürchtete, ihr die Stirne zu bieten, erinnerte Heyward an die Wichtigkeit des Amtes, das er freiwillig übernommen hatte. Während er seine Augen umherwarf und vergeblich sich anstrengte, die Finsterniß zu durchdringen, welche unter dem Blätterbogen des Waldes immer mehr sich verdichtete, war es ihm, als ob seine wehrlosen Begleiterinnen, von menschlicher Hülfe abgeschnitten, bald der gänzlichen Willkühr dieser barbarischen Feinde hingegeben wären, die, gleich Raubthieren, nur warteten, bis die Finsterniß ihre Streiche noch sicherer und verderblicher machte. Seine aufgeregte Einbildungskraft, getäuscht durch das trügerische Licht, verwandelte jedes sich bewegende Gebüsch, jeden Stamm eines gefallenen Baumes in menschliche Gestalten, und zu wiederholten Malen glaubte er die greulichen Gesichter seiner lauernden Feinde unterscheiden zu können, wie sie, in rastloser Wachsamkeit, auf die Bewegungen seiner Begleiter aus ihren Verstecken hervorschauten. Aufblickend fand er, daß die dünnen, stockigen Wölkchen, welche der Abend an dem blauen Himmel geröthet hatte, bereits die schwächsten Tinten ihrer Rosenfarbe verloren, während der eingebettete Strom, der an dem Orte, wo er stand, vorbeifloß, nur noch an dem dunkeln Streifen seiner bewaldeten Ufer erkennbar war.

»Was ist zu thun?« fragte er, die äußerste Hilflosigkeit seiner peinlichen Lage empfindend; »verlaßt mich nicht um Gottes Willen! Bleibt, um die zu vertheidigen, die unter meinem Geleite stehen, und bestimmt frei, womit ich euch belohnen soll!«

Seine Begleiter, welche auf der Seite in der Sprache ihres Stammes sich beriethen, achteten nicht auf diese plötzliche, ernstliche Aufforderung. Obgleich ihre Unterredung in leisem und vorsichtigem Tone gehalten wurde, und nicht vielmehr als Geflüster war, konnte doch Heyward, welcher jetzt hinzutrat, leicht den ernstlichen Nachdruck des jungen Kriegers von den bedächtlicheren Reden der Aelteren unterscheiden. Offenbar stritten sie über die Zweckmäßigkeit einer Maßregel, welche das Wohl der Reisenden betraf. Von der Dringlichkeit seines Gegenstandes bewältigt und ungeduldig über einen Verzug, der ihm mit so viel Gefahr verbunden schien, trat Heyward näher zu der düstern Gruppe heran, um sein Anerbieten in Betreff der Belohnung noch bestimmter auszudrücken, als der Weiße, mit der Hand eine Bewegung machend, als gäbe er den bestrittenen Punkt zu, sich abwandte und in einer Art Selbstgespräch in englischer Sprache sagte:

»Uncas hat Recht! Es wäre unmenschlich, so harmlose Geschöpfe ihrem Schicksal zu überlassen, selbst wenn dadurch unser Zufluchtsort für immer aufs Spiel gesetzt würde. Wenn Ihr diese zarten Blumen aus der Gewalt der schlimmsten aller Schlangen retten wollt, Herr, so habt ihr keine Zeit zu verlieren, und müßt zu einem Entschlusse kommen!«

»Wie könnt Ihr an einem solchen Wunsche zweifeln! habe ich mich nicht bereits erboten –«

»Richtet euer Gebet an den Himmel, der kann uns allein Weisheit geben, die Arglist der Teufel, die diese Wälder füllen, zu Schanden zu machen,« unterbrach ihn ruhig der Kundschafter: »aber verschont uns mit euern Geldanerbietungen, der Ihr vielleicht nicht so lange lebt, um sie zu erfüllen, noch ich, um sie zu benützen. Diese Mohikaner und ich wollen thun, was Menschengedanken ersinnen können, um liebliche Blumen, welche nicht für die Wildniß geschaffen sind, vor Schaden zu bewahren, und zwar ohne Hoffnung auf andere Belohnung, als solche, welche Gott immer rechtschaffenem Handeln zu Theil werden läßt. Zuerst müßt Ihr zweierlei versprechen, sowohl in eurem Namen, als für eure Freunde, oder wir werden uns, ohne euch einen Dienst leisten zu können, nur selbst Schaden bringen!«

»Redet!«

»Das Erste ist, euch stiller zu verhalten, als die ruhenden Wälder hier, mag auch geschehen, was da will; das Zweite den Ort, wohin wir euch bringen, vor jedem Sterblichen geheim zu halten.«

»Ich will mein Aeußerstes thun, um diese beiden Bedingungen erfüllt zu sehen.«

»So folgt mir; denn wir verlieren Augenblicke, die so kostbar sind, als dem verwundeten Wilden das Herzblut!« Heyward konnte durch den wachsenden Schatten der Nacht die ungeduldigen Geberden des Kundschafters bemerken und folgte schnell seinen Tritten nach der Stelle hin, wo er den Rest der Reisegesellschaft gelassen hatte. Als sie bei den erwartungsvollen und ängstlichen Frauen eintrafen, machte er sie in kurzen Worten mit den Bedingungen ihres neuen Führers bekannt und fügte hinzu, wie sie jede Besorgniß verscheuchen und sich zu augenblicklichen ernsten Anstrengungen entschließen müßten. Obgleich seine beunruhigende Mittheilung nicht ohne geheimen Schrecken aufgenommen ward, so gelang es doch seinem Ernst und seinen eindringlichen Vorstellungen, unterstützt vielleicht von der Beschaffenheit der Gefahr, ihre Nerven für eine unerwartete, ungewöhnliche Prüfung zu stählen. Schweigend und ohne den geringsten Verzug ließen sie sich von den Pferden helfen und begaben sich eilig an den Rand des Wassers hinab, wo der Kundschafter mehr durch ausdrucksvolle Geberden, als durch Worte den Rest der Gesellschaft versammelt hatte.

»Was thun wir mit diesen stummen Geschöpfen?« murmelte der Weiße, von welchem die ganze Leitung ihrer künftigen Bewegungen abzuhängen schien, »es wäre Zeitverlust, ihnen die Kehle abzuschneiden und sie in den Fluß zu werfen; sie aber hier zu lassen, hieße den Mingo’s sagen, daß sie ihre Eigentümer nicht weit davon zu suchen haben.« »So geben wir ihnen die Zügel und lassen sie frei im Walde laufen,« wagte Heyward zu rathen.

»Nein, es ist besser, wir leiten die Schufte irre, und lassen sie glauben, es bedürfe Rossesschnelle, um ihr Wildpret zu erjagen. Ja, ja, das blendet die Feuerkugeln ihrer Augen! Chingach – St! Was rührt sich hier im Gebüsch?«

»Das Füllen!«

»Das Füllen wenigstens muß sterben,« murmelte der Kundschafter, nach der Mähne des flinken Thieres greifend, das schnell seiner Hand entschlüpfte! »Uncas, deine Pfeile!«

»Halt!« rief der Eigenthümer des zum Tode verurtheilten Thieres laut, ohne Rücksicht auf das Flüstern, in welchem die Uebrigen sprachen; »verschont mir Mirjams Füllen! Es ist der artige Sprößling einer treuen Mutter und wird mit Willen keinen Schaden thun.«

»Wenn Menschen kämpfen für das nackte Leben, das Gott ihnen gegeben hat,« sprach der Kundschafter ernst, »so ist ihnen das eigene Geschlecht nicht mehr als die Bestien des Waldes. Wenn Ihr wieder sprechet, so überlass‘ ich euch der Willkühr der Maquas! Den Pfeil aufgelegt, Uncas, und gut gezielt, wir haben keine Zeit, um einen zweiten zu versenden!«

Die leisen, murrenden Töne seiner drohenden Stimme waren noch hörbar, als schon das verwundete Füllen sich bäumte und dann auf die Kniee niederstürzte. Chingachgook trat herzu, stieß ihm blitzschnell das Messer durch die Kehle und warf das sich sträubende Schlachtopfer in den Fluß, von dessen Strömung es fortgerissen ward, während es noch hörbar mit dem schwindenden Leben nach Athem schnappte. Dieser Akt scheinbarer Grausamkeit, aber wirklicher Notwendigkeit machte, als Beweis der drohenden Gefahr, in der sie schwebten, auf die Gemüther der Reisenden einen furchtbaren Eindruck, der durch die ruhige, aber feste Entschlossenheit der handelnden Personen bei dem Schauspiel noch erhöht werden mußte. Die Schwestern schauderten und drängten sich fester an einander, während Heyward instinktmäßig die Hand an eine der Pistolen legte, die er so eben aus ihren Halftern gezogen hatte, als er zwischen seine Schutzbefohlenen und die finstern Schatten trat, welche einen undurchdringlichen Schleier um den Schooß des Waldes zu ziehen schienen.

Die Indianer bedachten sich keinen Augenblick, sie ergriffen die Zügel und führten die erschreckten und widerstrebenden Pferde in das Bett des Flusses hinab.

In einiger Entfernung vom Ufer wandten sie sich und wurden bald durch einen vorspringenden Hügel gedeckt, unter dessen Schutze sie in einer dem Laufe des Flusses entgegengesetzten Richtung fortwanderten. Mittlerweile zog der Kundschafter ein Canoe von Baumrinde aus einem Versteck unter niedrigen Gebüschen hervor, deren Zweige sich mit der Strömung fortbewegten, und bedeutete den Frauen, einzusteigen. Sie thaten es unbedenklich, obgleich sie manchen furchtsamen und ängstlichen Blick in das immer wachsende Dunkel zurückwarfen, welches jetzt wie eine schwarze Gränzwand auf dem Rande des Stromes lag.

Sobald Cora und Alice saßen, hieß der Kundschafter, ohne einen Blick auf das Element zu werfen, Heyward eine Seite des gebrechlichen Fahrzeugs unterstützen, während er sich selbst auf die andere stellte, und so brachten sie es, gefolgt von dem niedergeschlagenen Besitzer des todten Füllen, stromaufwärts. Auf diese Weise gingen sie eine gute Strecke fort, und beobachteten ein Stillschweigen, das nur durch das Schlagen der Wogen, wenn Wirbel sie umgaben, und durch das leise Geräusch, das ihre vorsichtigen Fußtritte machten, unterbrochen wurde. Heyward überließ die Lenkung des Canoe’s durchaus dem Kundschafter, welcher sich dem Ufer bald näherte, bald sich von ihm entfernte, um Felsblöcke oder tiefere Stellen zu vermeiden, mit einer Gewandtheit, welche seine Kenntniß des eingeschlagenen Weges genügsam bekundete. Gelegentlich hielt er an und inmitten dieser Todtenstille, welche das dumpfe, jedoch zunehmende Rauschen des Wasserfalls nur noch mehr bezeichnete, horchte er mit ängstlicher Aufmerksamkeit, ob nicht etwa ein Laut aus dem schlummernden Walde hervordringe. Wenn er sich überzeugt hatte, daß Alles ruhig war, und er selbst mit seinen geübten Sinnen kein Zeichen annähernder Feinde entdecken konnte, fuhr er mit großer Bedächtlichkeit langsam und vorsichtig weiter. Endlich erreichten sie eine Stelle in dem Fluß, wo Heyward’s umherschweifendes Auge eine Gruppe schwarzer Gegenstände gewahrte, die sich auf einem Punkte beisammen fanden, wo das höhere Ufer einen tieferen Schatten auf die finsteren Gewässer warf. Er zögerte, weiter zu fahren, und richtete die Aufmerksamkeit seines Begleiters auf diese Stelle, »Nun,« versetzte der ruhige Mann, »die Indianer haben hier die Thiere mit der den Eingebornen eigenen Vorsicht untergebracht. Das Wasser läßt keine Spur zurück und selbst die Augen einer Eule würden in der Finsterniß einer solchen Höhle erblinden.«

Die ganze Parthie war jetzt vereinigt und eine zweite Berathung zwischen dem Kundschafter und seinen neuen Genossen erfolgte, während welcher sie, deren Schicksal von der Treue und Rechtlichkeit dieser unbekannten Waldbewohner abhing, ein wenig Muße hatten, sich genauer umzusehen.

Der Fluß war zwischen hohe und rauhe Felsen eingezwängt, von denen einer über die Stelle, wo das Canoe ruhte, herüberhing. Da diese wieder von hohen Bäumen überragt wurden, welche an dem Rande des Absturzes zu schwanken schienen, so war es, als ob der Strom ein tiefes und enges Thal durchflösse. Unter diesen fantastischen Felsrändern, und den zackigen Baumgipfeln, welche sich hier und da dunkel an den gestirnten Zenith malten, lag Alles in dichter Finsterniß. Hinter ihnen begränzte die Krümmung der Ufer bald die Aussicht durch dieselbe dunkle und waldige Säumung, aber vorne und scheinbar in geringer Entfernung schien das Wasser zum Himmel emporgethürmt, und stürzte von da in Höhlen, aus denen jene unheimlichen Töne, welche die Abendluft erfüllten, sich vernehmen ließen. Der Ort schien wirklich der Abgeschiedenheit geweiht, und die Schwestern empfanden ein wohlthuendes Gefühl von Sicherheit, als sie seine romantischen, wenn gleich nicht schrecklosen Schönheiten betrachteten. Eine allgemeine Bewegung unter ihren Führern rief sie jedoch bald von dem Anschauen dieser Zauber, welche die Nacht dem Orte verliehen hatte, zu dem peinlichen Bewußtseyn wirklicher Gefahr zurück.

Die Pferde waren an einigen zerstreuten Gesträuchen, die aus den Spalten der Felsen wuchsen, angebunden und mußten hier, im Wasser stehend, die ganze Nacht zubringen. Der Kundschafter hieß Heyward und seine angstvollen Begleiter sich in das vordere Ende des Canoe setzen und nahm selbst Besitz von dem andern, so aufrecht und fest, als ob er in einem Fahrzeug von viel stärkerem Material dahinführe. Die Indianer zogen sich behutsam zu der Stelle zurück, die sie verlassen hatten, als der Kundschafter, seine Ruderstange gegen einen Felsen stemmend, mit einem kräftigen Stoss die gebrechliche Barke mitten in die stürmische Strömung trieb. Mehrere Minuten war der Kampf zwischen dem leichten Fahrzeug, in dem sie fuhren, und dem ungestümen Strome ernst und zweifelhaft. Da die Reisenden keine Hand rühren durften und beinahe nicht zu athmen wagten, um nicht das schwache Schifflein der Wuth des Stromes preiszugeben, starrten sie, in fieberhafter Spannung auf die schäumenden Wogen hin. Oft glaubten sie, die wirbelnde Springfluth stürze sie in unvermeidliches Verderben – doch jedesmal stemmte die Meisterhand des Steuermanns den Bug des Canoe’s der Strömung entgegen. Eine lange, kräftige, und wie es den Frauen schien, verzweiflungsvolle Anstrengung beschloß den Kampf. Gerade als Alice ihre Augen vor Entsetzen geschlossen hatte, weil sie glaubte, von dem Strudel am Fuße des Wasserfalls verschlungen zu werden, blieb das Canoe an der Seite des flachen Felsens, der mit dem Wasser von gleicher Höhe war, wie angewurzelt stehen.

»Wo sind wir? Was ist zunächst zu thun?« fragte Heyward, als er wahrnahm, daß die Anstrengungen des Steuermanns aufgehört hatten.

»Ihr seyd am Fuße des Glenn,« versetzte der Andere, mit lauter Stimme, ohne beim Brausen des Wasserfalls schlimme Folgen zu befürchten; »das Nächste ist, festen Fußes auszusteigen, damit das Canoe nicht aufstoße und ihr den schwierigen Weg, den wir gemacht haben, schneller hinabfahret, als ihr heraufgekommen seyd. Es ist ein hart Stück Arbeit, gegen die Strömung zu fahren, wenn der Fluß etwas angeschwellt ist, und fünfe sind eine starke Zahl, wenn man sich in einem Kahn, mit Harz verstrichen, in solchen Strudeln und Wirbeln trocken halten will. Da, tretet alle auf den Felsen, und ich will die Mohikaner mit dem Wildpret bringen. Leichter schläft sich’s ohne Skalp, als wenn man mitten im Ueberfluß Hunger leiden soll.«

Froh befolgten seine Gefährten diese Weisung. Wie der letzte Fuß den Felsen berührte, wirbelte das Canoe von seinem Standort; die hohe Gestalt des Kundschafters war einen Augenblick sichtbar, wie er über die Fluthen dahinglitt, ehe er in der undurchdringlichen Finsterniß, die über dem Bette des Flusses lag, verschwand. Verlassen von ihrem Führer, blieben die Reisenden einige Minuten in hülfloser Unwissenheit, indem sie zögerten, sich auf den durchbrochenen Felsen fortzubewegen, damit nicht ein Fehltritt sie in eine der tiefen und schäumenden Höhlen stürze, in welche das Wasser auf allen Seiten heranzubrausen schien. Bald waren sie jedoch von ihrer Ungewißheit befreit. Unterstützt von der Kunst der Eingebornen schoß das Canoe zurück durch die Wirbel und lag wieder zur Seite des flachen Felsens, ehe sie glaubten, daß der Kundschafter Zeit gehabt habe, bei seinen Freunden einzutreffen.

»Nun haben wir Bollwerk, Besatzung und Proviant!« rief Heyward in munterer Laune, »und können Montcalm und allen seinen Verbündeten die Spitze bieten. Jetzt, meine scharfsichtige Schildwache, könnt Ihr etwas von euren Irokesen, wie Ihr sie nennt, auf dem Lande drüben sehen?« »Ich heiße sie Irokesen, weil mir jeder Eingeborne, der eine fremde Sprache spricht, als Feind gilt, wenn er auch vorgibt, dem Könige zu dienen! Wenn Webb von einem Indianer Treue und Redlichkeit haben will, so hole er die Stämme der Delawaren und schicke diese raubsüchtigen, lügenhaften Mohawks und Oneidas mit ihren sechs Nationen von Lumpenkerls dahin, wohin sie ihrer Natur nach gehören, zu den Franzosen’«

»Dann würden wir einen kriegerischen Freund gegen einen unbrauchbaren vertauschen. Ich habe gehört, daß die Delawaren das Schlachtbeil niedergelegt haben und sich’s gefallen ließen, Weiber genannt zu werden.«

»Ja, Schande auf die Holländer und die Irokesen, die sie durch ihre Teufeleien zu einem solchen Vertrage verleitet haben! Aber ich kenne sie seit zwanzig Jahren und nenne den einen Lügner, welcher sagt, daß Memmenblut in den Adern eines Delawaren fließe. Ihr habt ihre Stämme von dem Seegestade vertrieben und glaubt nun gerne, was ihre Feinde sagen, um Nachts ruhiger auf euren Kissen zu schlafen. Nein, nein; bei mir ist jeder Indianer, der eine fremde Sprache redet, ein Irokese, mag nun die Burg seines Stamms in Canada oder in York stehen.«

Als Heyward sah, daß die hartnäckige Anhänglichkeit des Kundschafters an seine Freunde, die Delawaren oder Mohikaner – sie waren Zweige desselben zahlreichen Volkes – eine nutzlose Erörterung herbeiführen dürfte, so ging er auf einen andern Gegenstand über.

»Vertrag oder nicht, ich sehe jetzt wohl, daß eure zwei Begleiter wackere und vorsichtige Krieger sind. Hörten oder sahen sie etwas von unsern Feinden?«

»Einen Indianer spürt man vorher, ehe man ihn sieht,« antwortete der Kundschafter, den Felsen hinansteigend und den Rehbock nachläßig hinwerfend, »Ich verlasse mich auf andere Zeichen, als solche, die ins Auge fallen, wenn ich den Mingos auf der Spur bin.«

»Sagen eure Ohren euch, daß sie unser Versteck aufgespürt haben?«

»Das sollte mir sehr leid thun, obgleich es ein Ort ist, den Muth und Tapferkeit gegen einen scharfen Angriff vertheidigen könnten. Ich will jedoch nicht läugnen, daß die Pferde, als ich an ihnen vorüberging, sich zusammen drückten, als ob sie Wölfe witterten, und ein Wolf ist ein Thier, das gerne um einen indianischen Hinterhalt streicht und auf den Abfall von dem Wilde, das sie erlegen, zu lauern pflegt.«

»Ihr vergeßt den Rehbock da zu euern Füßen! oder verdanken wir ihren Besuch nicht dem todten Füllen? Ha, was ist das für ein Geräusch?«

»Arme Mirjam!« murmelte der Fremde, »dein Füllen ward verdammt, eine Beute der raubsüchtigen Bestien zu werden. Dann erhob er plötzlich unter dem ewigen Getöse der Wogen seine Stimme und sang laut:

Aegyptens Erstgeborne schlug er
Vom Menschen und vom Vieh zumal!
Aegypten, Wunder zu dir sandt‘ er
Auf Pharao und seine Diener all!

»Der Tod des Füllen liegt seinem Eigenthümer schwer auf dem Herzen,« sprach der Kundschafter; »es ist immer ein gutes Zeichen, wenn man noch etwas auf seine stummen Freunde hält. Seine Religion läßt ihn glauben: was geschehen soll, müsse doch geschehen, und bei dieser Ueberzeugung wird es schwer ihm darzuthun, daß es vernünftig ist, ein vierfüßiges Thier zu tödten, um das Leben von Menschen zu retten. Ihr habt vielleicht Recht,« fuhr er fort, indem er auf Heyward’s letzte Bemerkung zurück kam; »um so mehr Grund für uns, daß wir uns unsre Fleisch-Stücke abschneiden, und das Gerippe den Fluß hinabtreiben lassen, sonst heult das ganze Pack um die Klippen uns in die Ohren und mißgönnt uns jeden Bissen, den wir zum Munde bringen. Zudem sind die Irokesen, obgleich sie die Delawaren-Sprache so wenig als ein Buch verstehen, gescheut genug, die Ursache von einem Wolfsgeheul zu enträthseln.«

Während dieser Bemerkungen war der Kundschafter beschäftigt, einige notwendige Geräthschaften zusammenzunehmen, und ging, als er fertig war, schweigend an der Gruppe der Reisenden vorbei; begleitet von den Mohikanern, welche seine Absichten mit instinktmäßiger Bereitwilligkeit zu begreifen schienen. Einer nach dem andern von den dreien verschwand hinter der finstern Wand eines senkrechten Felsens, der sich einige Fuß vom Wasserrande entfernt zu einer Höhe von einigen Ellen erhob.

Sechstes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Ein Lied, das lieblich einst in Zion tönt‘, –
Er wählt eine Weis mit klugem Sinn,
Und »lebt den Herrn!« spricht er mit feierlicher Mien‘.
Burns.

Heyward und seine weiblichen Begleiter sahen diese geheimnißvolle Bewegung mit innerer Unruhe: denn, wenn auch das Betragen des Weißen bis jetzt ganz untadelhaft war, so konnte doch sein roher Aufzug, sein derbes Betragen und seine mannigfachen Vorurtheile, zusammengehalten mit dem Charakter seiner schweigsamen Genossen, in den Gemüthern Solcher, welche eben erst durch indianische Verrätherei in Roth gekommen waren, Grund zu Mißtrauen erregen.

Der Fremde allein achtete nicht auf das, was um ihn her vorging. Er saß auf dem Vorsprung eines Felsens, und gab keine andern Lebenszeichen, als häufige, schwere Seufzer, welche Kämpfe in seinem Innern bekundeten. Gedämpfte Männerstimmen ließen sich jetzt vernehmen, als ob sie in den Eingeweiden der Erde einander zuriefen, ein plötzlicher Lichtstrahl schoß auf die außen Weilenden und enthüllte das so hochgeschätzte Geheimniß des Ortes. An dem entferntern Ende einer engen, tiefen Höhle in dem Felsen, deren Länge durch die Perspektive und die Beschaffenheit des Lichtes, in dem sie gesehen ward, wohl noch vergrößert erschien, saß der Kundschafter, einen Fichtenbrand haltend. Der helle Schein des Feuers fiel auf sein derbes, verwittertes Gesicht und seinen Jagdanzug, und verlieh einen Anschein romantischer Wildheit dem Aeußern eines Mannes, der, in dem ruhigern Lichte des Tages nur durch seinen seltsamen Anzug, die eiserne Gedrungenheit seiner Gestalt und die sonderbare Mischung von lebhaftem, allezeit wachem Scharfblick und entschiedener Einfalt, die abwechslungsweise seine Züge beherrschten, sich ausgezeichnet hätte. Unweit von ihm, aber etwas im Vordergrund, stand Uncas, dessen ganze Person in vollem Lichte erschien. Die Reisenden betrachteten aufmerksam die aufrechte, schlanke Gestalt des jungen Mohikaners, anmuthig und ungezwungen in Haltung und Bewegungen. Obgleich sein Leib mehr als gewöhnlich verdeckt war durch ein grünes mit Franzen besetztes Jagdhemd, dem des Weißen gleich, so ließ doch sein schwarzes, funkelndes Auge, furchtlos und ruhig, wenn gleich furchtbar; der kühne Umriß seiner hohen, stolzen Züge, in ihrem reinen, natürlichen Roth; seine würdevolle, hohe Stirn, mit all den schönen Verhältnissen eines edeln Hauptes, das bis auf den Haarschopf kahl geschoren war, sich nicht verbergen. Zum erstenmale hatten Duncan und seine Gefährten Gelegenheit, die markirten Züge ihrer beiden indianischen Begleiter zu betrachten, und Alle fühlten sich von einer Bürde des Zweifels erleichtert, als sich die stolzen und entschlossenen, wenn gleich wilden Züge des jungen Kriegers ihrer Beobachtung aufdrangen. Sie fühlten, daß sein Geist noch zum Theil von Unwissenheit umnachtet seyn konnte, daß er aber nie seine herrlichen Naturgaben zu Zwecken boshafter Verrätherei mißbrauchen werde.

Die offenherzige Alice staunte sein freies Wesen und seine stolze Haltung an, wie sie bei einer kostbaren Reliquie des griechischen Meißels, die sie durch ein Wunder belebt gesehen, gethan haben würde, während Heyward, obgleich gewohnt an den Anblick vollendeter Formen, die unter den unverdorbenen Eingebornen so häufig sind, seine Bewunderung über ein so tadelloses Muster der edelsten Männergestalt unverholen äußerte.

»Ich könnte ruhig schlafen,« flüsterte ihm Alice erwiedernd zu, »wenn ich einen so furchtlosen, hochsinnigen Jüngling zu meiner Schildwache hätte. Sicher, Duncan, werden die grausamen Mordthaten, jene furchtbaren Marterscenen, von denen wir so viel lesen und hören, nie in Gegenwart von Einem, wie er ist, verübt.«

»Gewiß ein seltenes, glänzendes Muster jener natürlichen Eigenschaften, wodurch diese eigenthümlichen Völker sich so sehr auszeichnen sollen,« bemerkte er. »Ich bin mit Ihnen einverstanden, Alice, daß eine solche Stirne und ein solches Auge mehr geschaffen sind, Furcht einzujagen, als zu betrügen; aber täuschen wir uns nicht selbst, indem wir von ihm die Ausübung einer andern Tugend, als sich mit den Begriffen eines Wilden verträgt, erwarten. Glänzende Beispiele großer Eigenschaften sind so selten unter Christen, wie sollten sie nicht bei den Indianern vereinzelte Erscheinungen seyn, obgleich, zur Ehre unsres gemeinsamen Geschlechts, beide Theile nicht unfähig sind, dergleichen aufzustellen! Hoffen wir denn, daß dieser Mohikaner unsre Hoffnungen nicht täusche, sondern sich, wie sein Blick verspricht, als wackrer und beständiger Freund erweise.«

»Jetzt spricht Major Heyward, wie Major Heyward sollte,« sagte Cora; »wer gedenkt der Farbe der Haut, wenn er diesen Sohn der Natur betrachtet?«

Ein kurzes und anscheinend verlegenes Stillschweigen folgte auf diese Bemerkung. Es wurde von dem Kundschafter unterbrochen, der ihnen laut zurief, in die Höhle zu treten.

»Das Feuer fängt an, hell aufzuflammen,« fuhr er fort, als sie seiner Aufforderung folgten: »und könnte den Mingos zu unserem Verderben leuchten. Uncas, laß den Vorhang herab und zeig‘ den Schelmen die finstere Seite. Das ist freilich kein Essen, wie es ein Major der königlichen Amerikaner zu erwarten berechtigt ist; aber ich hab‘ schon kühne Detachements gesehen, welche froh waren, wenn sie ihr Wildbret roh und ohne Zuthat essen durften. Hier haben wir, wie Ihr seht, eine Fülle Salzes, und das Fleisch ist bald gebraten. Da sind frische Sassafraszweige für die Ladies, um darauf zu sitzen, vielleicht nicht so stattlich als ihre My-Hog-Guineasessel, aber lieblicher duftend, als die Haut eines Schweines, sey’s von Guinea oder einem andern Land. Kommt, Freund, seyd nicht so traurig ob dem Füllen, ’s war ein unschuldiges Ding und hat nicht viel Trübsal erlebt. Sein Tod erspart ihm manchen wunden Rücken und manchen müden Fuß.«

Uncas that, wie ihm der Andere befohlen hatte, und sobald Hawk-eye’s Stimme verstummte, scholl das Brausen des Wasserfalls wie das Dröhnen eines entfernten Donners.

»Sind wir ganz sicher in dieser Höhle?« fragte Heyward. »Ist kein Ueberfall zu befürchten? Ein einziger bewaffneter Mann an dem Eingang hätte uns alle in seiner Gewalt.«

Eine geisterähnliche Gestalt schritt aus der Finsterniß hinter dem Kundschafter hervor, ergriff einen Fichtenbrand und hielt ihn gegen das entferntere Ende ihres Verstecks. Alice stieß einen schwachen Angstruf aus und selbst Cora sprang auf, als dieser schreckhafte Gegenstand mehr in das Licht trat. Heyward aber beruhigte sie mit der Versicherung, daß es blos ihr Begleiter Chingachgook sey, der, einen zweiten Vorhang hebend, zeigte, daß die Höhle zwei Ausgänge hatte. Dieser schritt, den Feuerbrand in der Hand, durch eine enge tiefe Spalte in dem Felsen, die mit dem Gang, in welchem sie waren, in einen rechten Winkel zusammenlief aber nicht, wie dieser zur Seite, sondern nach oben offen war und in eine andere Höhle führte, der Beschreibung der erstern in allem Wesentlichen entsprechend.

»So alte Füchse, wie Chingachgook und ich, lassen sich nicht leicht in einem Bau mit einem Ausgange fangen,« bemerkte Hawk-eye lachend; »Ihr könnet leicht absehen, wie klug Alles eingerichtet ist – der Felsen schwarzer Kalkstein, der bekanntlich sehr weich ist und kein unbequemes Lager gewährt, wo Gestrüpp und Nadelholz selten sind. Der Wasserfall war früher einige Schritte unter uns, und ich darf wohl sagen, seiner Zeit so regelmäßig und schön, als nur irgend einer längs des Hudson zu finden ist. Aber Alter richtet in der Schönheit arge Verwüstungen an, wie diese lieblichen Ladies selbst noch erfahren werden. Der Platz hat eine traurige Umwandlung erlitten. Diese Felsen sind voll Risse und an einzelnen Stellen weicher als an andern. Das Wasser hat sich nun tiefe Höhlen gegraben, ist um einige hundert Fuß zurückgetreten, bald hier etwas ansetzend, bald dort etwas nehmend, bis die Fälle weder Form noch Bestand mehr hatten.«

»In welchem Theile davon sind wir?« fragte Heyward.

»Nun wir sind nahe bei der Stelle, wo die Vorsehung zuerst sie hinverlegt hat, wo sie aber durchaus nicht mehr bleiben wollten. Der Felsen wurde auf beiden Seiten von uns weicher und so ließ das Wasser die Mitte des Flußes trocken liegen und bohrte zuerst diese zwei kleinen Höhlen zu Verstecken für uns aus.« »So sind wir denn auf einer Insel?«

»Freilich, zu beiden Seiten haben wir die Wasserfälle und über und unter uns den Fluß. Wenn wir Tag hätten, so würde sich’s verlohnen, auf die Höhe dieses Felsens zu treten und das wunderliche Treiben des Wassers mitanzusehen. Es fällt ganz regellos: oft springt es empor, dann stürzt es wieder hinab; da hüpft, dort schießt es; an einer Stelle ist es weiß wie Schnee, an einer andern grün wie das Gras; hier stürzt es in tiefe Höhlen, daß die Erde rumort und erzittert, dort rieselt und singt es, wie ein Bach, macht Wirbel und Strudel in dem alten Gestein, als ob es nicht härter, denn getretener Lehmboden wäre. Der ganze Lauf des Flußes scheint jetzt in’s Stocken gerathen zu seyn; erst fließt er ganz sänftlich, als wollt‘ er, wie sich’s sonst ziemt, abwärts, dann macht er rechtsum und stößt an das Ufer, an einzelnen Stellen sogar möcht‘ er wieder rückwärts, als wollt‘ er die Wildniß nicht verlassen, um sich mit dem Salzwasser zu vermischen. Ja, Lady, das feine Spinngeweb, das Ihr am Halse tragt, ist grob wie ein Fischernetz gegen die vielerlei Bilderchen, die er an manchen Orten, wie ich Euch zeigen kann, künstelt, als ob er, einmal der Ordnung entronnen, seine Kunst an Allem versuchen wollte. Und doch auf was läuft Alles hinaus? Hat das Wasser eine Weile, wie ein verzogenes Kind, seinen Willen gehabt, so sammelt es wieder dieselbe Hand, die es erschaffen, und eine kleine Strecke unter Euch könnt Ihr sehen, wie es hübsch ordentlich der See zufließt, als wär’s ihm so von Anbeginn der Welt beschieden gewesen.«

Als Hawk-eye’s Zuhörer aus dessen kunstloser Beschreibung des Glenn über die Sicherheit ihres Verstecks Gewißheit erhalten, waren sie sehr geneigt, verschieden über seine wilden Schönheiten zu urtheilen. Sie waren aber nicht in der Stimmung, mit ihren Gedanken lange bei den Reizen von Naturgegenständen zu verweilen; und da der Kundschafter es nicht für nöthig hielt, während seines Vortrags seine Küchengeschäfte einzustellen, obgleich er hin und wieder mit seiner zerbrochenen Gabel auf besonders gefährliche Stellen des rebellischen Flußes hindeutete, so ließen sie jetzt ihre Aufmerksamkeit auf die nothwendige, wenn gleich gemeinere Betrachtung ihres Abendmahles gerichtet seyn.

Das Mahl, welches durch die Beigabe einiger Leckerbissen, welche Heyward die Vorsicht gehabt hatte mitzunehmen, als sie die Pferde verließen, bedeutend unterstützt wurde, war für die ermüdete Gesellschaft sehr erquickend. Uncas bediente die Damen und verrichtete alle die kleinen Dienste, die in seiner Macht standen, mit einer Mischung von Würde und Aengstlichkeit, welche Heyward sehr belustigte, da er wußte, daß dies eine ungewöhnliche Abweichung von den indianischen Sitten war, welche einem Krieger verbieten, sich zu einem häuslichen Geschäfte, besonders zu Gunsten der Weiber, herabzulassen. Da jedoch die Gebräuche der Gastfreundschaft unter ihnen als heilig angesehen wurden, so erregte dieses theilweise Verläugnen der Würde des Mannes keinen hörbaren Tadel. Hätte Einer gehörig Muße gehabt, um aufmerksam zu beobachten, so würde er gefunden haben, daß die Dienste des jungen Häuptlings nicht ganz unpartheiisch waren; daß, während er Alice die Kürbißflasche mit süßem Wasser reichte, das Wildpret auf einem aus der Wurzel des Pfefferbaums niedlich geschnitzten Teller darbot und mit gebührender Höflichkeit ihrer Schwester die gleichen Dienste that, sein dunkles Auge auf Cora’s ausdrucksvollen Gesichtszügen verweilte. Ein- oder zweimal sah er sich veranlaßt, zu sprechen, um die Aufmerksamkeit derer, die er bediente, rege zu machen. In solchen Fällen gebrauchte er das Englische, zwar gebrochen und mangelhaft, aber verständlich genug und durch seine tiefe Kehlstimme so mild und wohlklingend, daß beide Damen jedesmal mit Bewunderung und Erstaunen auf ihn blickten. Im Verlaufe dieser Höflichkeitsbezeugungen wurden einige Worte gewechselt, welche nicht verfehlten, ihrem Verkehr den Anschein freundlicher Zutraulichkeit zu geben.

Mittlerweile blieb Chingachgook’s Ernst sich immer gleich. Er hatte sich mehr in den Bereich des Lichtes gesetzt, wo die häufigen, unruhigen Blicke seiner Gäste besser im Stande waren, den natürlichen Ausdruck seines Gesichtes von dessen künstlichen Schreckenszügen zu trennen. Sie fanden eine große Aehnlichkeit zwischen Vater und Sohn, nur mit dem Unterschied, welchen Alter und Anstrengungen erwarten ließen. Das Wilde seiner Züge schien zu schlummern, und jener ausdruckslosern Ruhe zu weichen, die einem indianischen Krieger eigenthümlich ist, wenn seine Geisteskräfte nicht für höhere Lebenszwecke in Anspruch genommen sind. An den gelegentlichen Blitzen, die über sein dunkles Gesicht hinfuhren, war jedoch leicht zu ersehen, daß es nur galt, seine Leidenschaften zu wecken, um dem schreckhaften Emblem, das er gewählt hatte, seine Feinde in Furcht zu setzen, seine volle Bedeutung zu geben. Auf der andern Seite ruhte das lebhafte, unstäte Auge des Kundschafters nur selten. Er aß und trank zwar mit einer Lust, die keine Furcht vor Gefahr zu stören vermochte, aber seine Wachsamkeit schien ihn nie zu verlassen. Sehr oft mußte die Kürbißsflasche, oder das Wildpret, vor seinem Munde angelangt, warten, während er den Kopf bei Seite wendete, als ob er auf entfernte, verdächtige Laute horchte – eine Bewegung, die nie verfehlte, seine Gäste von der Betrachtung ihrer neuen Lage ab und zu der beunruhigenden Veranlassung derselben zurückzurufen. Da auf diese häufigen Pausen nie eine Bemerkung folgte, so ging die augenblickliche Unruhe vorüber und ward in einer Weile vergessen.

»Kommt, Freund,« sprach Hawk-eye, indem er gegen das Ende des Mahls eine Tonne unter einer Decke von Laub hervorzog und sich an den Fremden, der ihm zur Seite saß und seiner Kochkunst volle Gerechtigkeit widerfahren ließ, mit den Worten wandte: »versucht einmal dies Sprossenbier, es spült euch alle Gedanken an das Füllen hinweg und facht das Leben in euerm Busen wieder an. Ich trinke auf bessere Freundschaft und hoffe, daß das Bischen Pferdefleisch keinen Groll in eurem Herzen zurücklassen wird. Wie nennt Ihr euch?«

»Gamut, David Gamut,« antwortete der Singmeister, indem er sich anschickte, in einem kräftigen Zug aus des Waidmanns stark-duftender, wohlverspundeter Biertonne seinen Kummer hinabzuwaschen.

»Ein sehr guter Name, und ich darf wohl sagen, von rechtlichen Vorfahren ererbt. Ich bin ein Bewunderer von Namen, obgleich die christlichen Gebräuche alle hinter der Sitte der Wilden zurückstehen müßen. Die feigste Memme, die ich kennen lernte, hieß Lion (Löwe), und sein Weib, Patience (Geduld), schalt Euch eher aus dem Feld, als ein gehetztes Wild eine Ruthe weit laufen konnte. Bei dem Indianer ist es Gewissenssache; wie er sich nennt, so ist er auch gemeiniglich – nicht als ob Chingachgook, das eine große Schlange bedeutet, wirklich eine große oder kleine Schlange wäre, sondern daß er sich auf die Windungen und Krümmungen der menschlichen Natur versteht, schweigt und seine Feinde trifft, wenn sie sich dessen am wenigsten versehen. Was ist euer Beruf?«

»Ich bin ein unwürdiger Lehrer in der Kunst, die Psalmen abzusingen.«

»Das wäre!«

»Ich ertheile den Kindern der Connecticuter Landwehr Unterricht im Singen.«

»Da könntet Ihr eine bessere Beschäftigung finden. Die jungen Hunde stöbern bereits zu viel lachend und singend durch die Wälder, wo sie nicht lauter athmen sollten, als der Fuchs in seinem Baue. Versteht Ihr euch auf’s Fechten, oder handhabt Ihr die Büchse?«

»Gott sey Dank, noch nie hatte ich Gelegenheit, mit Mordinstrumenten umzugehen.«

»Vielleicht versteht Ihr euch auf den Compaß und könnet die Läufe der Gewässer und die Richtungen der Gebirge zu Papier bringen, damit Diejenigen, welche nachkommen, die Plätze wieder finden, die Ihr angegeben habt?«

»Ich treibe nichts dergleichen.«

»Ihr habt ’n Paar Beine, die einen langen Weg verkürzen dürften! Ihr reiset, denk‘ ich mir, oft mit Nachrichten zu dem General.«

»Nie; ich folge keinem andern, als meinem eigenen hohen Berufe, und der ist, Unterricht in der heiligen Musik zu ertheilen.«

»Ein seltsamer Beruf!« murmelte Hawk-eye, in sich hineinlachend, »wie ein Spottvogel durch’s Leben zu gehen, und alle Auf und Nieder, die aus andrer Leute Kehlen kommen, zu bekritteln. Gut, Freund, ich denke, Ihr habt ‚mal ’ne Schneide dafür, und das muß so gut gelten, als wenn’s fürs Schießen, oder sonst was Besseres wäre. Laßt uns hören, was Ihr darin zu leisten vermöget; ’s wird ’ne freundliche Weise seyn, gute Nacht zu sagen; denn es ist Zeit, daß die Ladies da sich für ’ne harte, lange Tour am frühesten Morgen, eh‘ noch die Maquas sich rühren, Kräfte sammeln.«

»Mit höchster Freude stimm‘ ich ein,« versetzte David, indem er seine eisenbereifte Brille zurecht machte, sein geliebtes Büchlein hervorthat und Alice bot. »Was kann passender und tröstlicher seyn, als nach einem so gefahrvollen Tage seinen Abenddank Gott darzubringen.«

Alice lächelte; doch erröthete und zögerte sie, indem sie einen Blick auf Heyward warf.

»Thun Sie ’s immerhin!« flüsterte er; »sollte nicht die Aufforderung von des Psalmisten würdigem Namensbruder in solch einem Augenblicke Gewicht bei Ihnen haben?«

Ermuthigt durch seine Zustimmung that Alice, wozu sie ihre frommen Neigungen und ihre Vorliebe für sanfte Töne zuvor schon so stark gedrungen hatten. Das Buch ward bei einer Hymne aufgeschlagen, die für ihre Lage nicht übel paßte, und wo der Dichter seinen Wunsch, den begeisterten König Israels zu übertreffen, unterdrückend, eine reinere und ehrwürdige Kraft entwickelt hatte. Cora fühlte Neigung, ihre Schwester zu unterstützen, und der heilige Gesang begann, nachdem der schulgerechte David als unerläßliche Vorbedingung mit der Pfeife den Ton angegeben hatte.

Die Weise war feierlich und langsam. Bisweilen erhob sie sich zu dem vollsten Umfang der reichen Stimmen der Frauen, welche über ihrem kleinen Buche in heiliger Andacht hingen, und sank dann wieder so tief, daß das Rauschen des Wassers wie eine dumpfe Begleitung ihre Melodie durchzog. Der natürliche Geschmack und das gute Ohr Davids leitete und ermäßigte die Töne nach dem beschränkten Raume der Höhle, wo jede Spalte, jeder Riß von den durchdringenden Tönen ihrer biegsamen Stimmen erfüllt ward. Die Indianer hefteten ihre Augen auf die Felsen und horchten mit einer Aufmerksamkeit, als ob sie in Stein verwandelt wären. Die harten Gesichtszüge des Kundschafters, der, sein Kinn auf die Hand gestützt, mit dem Ausdruck kalter Gleichgültigkeit dagesessen hatte, wurden allmählig milder, bis er, als nun Vers auf Vers sich folgten, seine eiserne Natur bewältigt fühlte, und seine Erinnerungen ihn in die Knabenjahre zurückversetzten, wo seine Ohren in den Pflanzungen der Kolonie gewohnt waren, ähnliche Lobgesänge zu vernehmen. Sein Auge begann sich zu feuchten; heiße Thränen rollten aus diesen, wie es schien, schon so lange trockenen Quellen und folgten einander über jene Wangen herab, die öfter Zeugen von den Stürmen des Himmels, als von einer solchen Rührung gewesen waren. Die Sänger hielten eben einen jener tiefen, dahinsterbenden Akkorde aus, welche das Ohr mit so gierigem Entzücken verschlingt, als ob es wüßte, daß es sie alsbald verlieren werde, da ließ sich in der äußern Luft ein Schrei vernehmen, der weder menschlichen noch überhaupt irdischen Ursprungs zu seyn schien, und nicht blos die Winkel der Höhle, sondern selbst die innersten Herzen Aller, die ihn vernahmen, durchdrang. Ihm folgte eine so tiefe Stille, als ob die Wasser durch eine so gräßliche und ungewohnte Unterbrechung in ihrem tobenden Laufe gehemmt worden wären.

»Was ist das?« flüsterte Alice nach einigen Augenblicken schrecklicher Ungewißheit.

»Was ist das?« wiederholte Heyward laut.

Weder Hawk-eye noch die Indianer gaben eine Antwort. Sie horchten, als erwarteten sie, daß der Laut sich wiederholen würde, auf eine Weise, die ihr eigenes Erstaunen ausdrückte. Endlich unterhielten sie sich ernstlich in der delawarischen Mundart, und Uncas verließ, durch die innere und verborgenste Oeffnung schreitend, vorsichtig die Höhle. Als er fort war, sprach der Kundschafter erst in englischer Sprache:

»Was es ist, oder nicht ist, kann keiner hier sagen, obgleich zwei von uns die Wälder mehr denn dreißig Jahre durchzogen haben. Ich glaubte, es gäbe keinen Schrei, den ein Indianer oder ein Thier ausstoßen könne, welchen mein Ohr nicht schon vernommen hätte, dieser Ton aber hat bewiesen, daß ich nur ein eitler, eingebildeter Mensch gewesen bin!«

»War es denn nicht das Geschrei, das die Krieger erheben, wenn sie ihre Feinde zu schrecken wünschen?« fragte Cora, die da stand und ihren Schleier um sich schlug, mit einer Ruhe, deren ihre bestürzte Schwester völlig unfähig war.

»Nein, nein, das war ein schlimmes, ein erschreckliches Geschrei und tönte wie übermenschlich; wenn Ihr einmal den Schlachtruf hört, so werdet Ihr ihn nimmer mit was Anderem verwechseln! Nun, Uncas,« fragte er den jungen Häuptling, welcher wieder in die Höhle trat, »was siehst du? Scheinen unsre Lichter durch die Vorhänge?«

Die Antwort war kurz und scheinbar entschieden, erfolgte aber in derselben Sprache.

»Da draußen ist nichts zu sehen,« fuhr Hawk-eye fort, indem er ärgerlich den Kopf schüttelte, »und unser Versteck liegt noch in Finsterniß! Geht in die andere Höhle, und sucht den Schlaf, Ihr, die ihr dessen bedürft. Lange ehe die Sonne aufgeht, müßen wir auf den Beinen seyn, und den größten Theil des Wegs nach Edward hinter uns kriegen, während die Indianer noch ihre Morgenruhe halten.«

Cora ging mit gutem Beispiele voran und zwar mit einer Festigkeit, welche die furchtsamere Alice von der Nothwendigkeit zu folgen überzeugte. Ehe sie sich jedoch fortbegab, flüsterte sie Duncan die Bitte zu, daß er ihnen folgen möchte. Uncas hob den Vorhang, um sie durchzulassen, und als die Schwestern sich umwendeten, um ihm für diese Aufmerksamkeit zu danken, sahen sie, wie der Kundschafter wieder, sein Gesicht auf die Hände gestützt, vor der erlöschenden Gluthasche saß, in einer Stellung, welche verrieth, wie tief er über die unerklärliche Unterbrechung ihrer Abendandacht brütete. Heyward nahm einen Brand mit sich, der ein düsteres Licht durch die engen Räume ihres neuen Gemaches warf. Nachdem er ihn an einer vortheilhaften Stelle aufgesteckt hatte, trat er zu den Damen, welche jetzt, seitdem sie die freundlichen Bollwerke von Fort Edward verlassen hatten, sich zum ersten Male mit ihm allein befanden.

»Verlassen Sie uns nicht, Duncan,« sprach Alice; »wir können an einem Platz, wie dieser ist, nicht schlafen, da der schreckliche Schrei uns immer noch in den Ohren tönt.« »Zuerst wollen wir die Sicherheit unserer Feste untersuchen,« antwortete er, »und dann vom Uebrigen sprechen.«

Er näherte sich am entfernteren Ende der Höhle einem Ausgang, der, wie die andern, durch eine dicke Decke verborgen war, und athmete, diese hinwegschiebend, die frische und belebende Luft des Wasserfalls. Ein Arm des Flusses floß durch eine tiefe, enge Schlucht, welche die Strömung gerade unter seinen Füßen durch den weichen Felsen gegraben hatte, und die, wie er glaubte, von dieser Seite den Ort gegen jede Gefahr vertheidigte, da das Wasser nur wenige Ruthen über ihnen mit größtem Ungestüm von Absatz zu Absatz schimmernd herabstürzte und Alles mit sich fortreißen mußte.

»Die Natur hat auf dieser Seite ein undurchdringliches Bollwerk gebildet,« fuhr er fort, indem er auf den senkrechten Absturz in die dunkle Strömung hinabwies, bevor er den Vorhang fallen ließ; »und da Sie wissen, daß rechtliche, zuverläßige Männer auf der Vorderseite Wache halten, so sehe ich nicht ein, warum der Rath unsres ehrlichen Gastfreundes nicht befolgt werden sollte. Ich bin gewiß, Cora wird mir beistimmen, daß der Schlaf Ihnen beiden höchst nothwendig ist.«

»Cora wird die Richtigkeit Ihrer Ansicht zugeben, aber sie kann sie nicht in Anwendung bringen,« entgegnete die ältere Schwester, welche sich neben Alice auf ein Lager von Sassafras niedergelassen hatte: »es gäbe noch andere Dinge, die uns den Schlaf verscheuchen, wenn wir auch von dem Schrecken des unerklärlichen Schreies verschont geblieben wären. Fragen Sie, sich selbst, Heyward, können Töchter sich aus dem Sinne schlagen, welche Angst einen Vater peinigen muß, dessen Kinder in einer solchen Wildniß, er weiß nicht wo und wie, umherirren und von so vielen Gefahren umgeben sind?«

»Er ist Soldat, und weiß, was Einem in den Wäldern alles begegnen kann.« »Aber er ist Vater und die Natur verläugnet ihre Rechte nie.«

»Wie nachsichtig er immer gegen all meine Thorheiten gewesen ist! Mit welcher Zärtlichkeit er allen meinen Wünschen willfahrte!« seufzte Alice, »Es war selbstsüchtig von uns, Schwester, daß wir unter solchen Gefahren auf unsrem Besuche bestanden.«

»Es war vielleicht unbesonnen von mir, daß ich im Augenblick solcher Bedrängnis so dringend um seine Einwilligung bat; ich wollte ihm aber zeigen, daß, wie auch andere in seiner Noth ihn vernachläßigen mögen, seine Kinder wenigstens mit Treue an ihm hängen.«

»Als er von Ihrer Ankunft im Fort Edward hörte,« sprach Heyward freundlich, »kämpfte es gewaltig in seinem Busen zwischen Furcht und Liebe; aber letztere, durch eine so lange Trennung wo möglich noch erhöht, gewann bald die Oberhand. ,Der Geist meiner hochsinnigen Cora treibt sie, Duncan, sprach er, ich will nicht dawider sein‘ Wollte Gott, daß er, der die Ehre unsres königlichen Gebieters hier zu schirmen hat, nur halb so viel Festigkeit besäße!«

»Und sprach er nicht auch von mir, Heyward?« fragte Alice mit der Eifersucht der Liebe. »Gewiß hat er seine kleine Elsie nicht ganz vergessen.«

»Das wäre unmöglich,« versetzte der junge Mann, »er gebrauchte tausend Liebkosungswörter, die ich nachzusprechen mir nicht herausnehme, deren Gerechtigkeit ich aber von Herzen erkenne. Einmal sagte er fürwahr –«

Duncan sprach nicht weiter: denn während seine Blicke auf Alicens Augen geheftet waren, die sich mit der Innigkeit kindlicher Liebe zu ihm gewendet hatte, um seine Worte zu erhaschen, erfüllte derselbe starke, gräßliche Schrei, wie zuvor, die Luft und machte ihn verstummen. Ein langes athemloses Stillschweigen folgte, während dessen sie einander anblickten, in ängstlicher Erwartung, daß der Ton sich wiederholen werde. Endlich hob sich langsam die Decke, und der Kundschafter stand in der Oeffnung mit einer Miene, deren Festigkeit sichtlich vor einem Geheimnisse wich, welches sie mit einer Gefahr zu bedrohen schien, gegen die seine List und Erfahrung nicht ausreichen mochte.

Siebentes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

– – – – Sie schlafen nicht.
Auf jenen Klippen dort seh‘ ich
Die schauerliche Rotte sitzen.
Gray.

»Es hieße einer zu unserer Rettung gegebenen Warnung nicht folgen,« sprach Hawk-eye, »wenn wir länger in dem Verstecke blieben, während sich solche Töne in dem Walde hören lassen. Die zarten Frauen mögen beisammen bleiben: aber die Mohikaner und ich wollen auf dem Felsen Wache halten, wo uns, wie ich vermuthe, ein Major vom sechzigsten Regiment Gesellschaft zu leisten wünschen wird.«

»Ist denn die Gefahr so dringend?« fragte Cora.

»Er, der so seltsame Laute schafft und sie dem Menschen zur Warnung gibt, kennt allein unsere Gefahr. Gottloses Auflehnen gegen seinen Willen wäre es, wollte ich bei solchen Warnungen in der Luft mich in eine Höhle verkriechen. Selbst die schwache Seele, die ihre Tage versingt, ist durch den Schrei aufgestört worden: der Singmeister sagt, er sey bereit, in die Schlacht zu gehen. Wenn’s nur ’ne Schlacht wäre, so verstünden wir uns alle darauf und würden leicht zu Recht kommen; ich ließ mir aber sagen, wenn solche Töne sich zwischen Himmel und Erde vernehmen ließen, so deut‘ es auf eine andere Art von Krieg.«

»Wenn all‘ unsere Gründe zur Furcht, mein Freund, sich nur auf Übernatürliches beschränken, so dürfen wir uns darob nicht so sehr beunruhigen,« versetzte die unerschrockene Cora: »seyd ihr gewiß, daß unsere Feinde kein neues, sinnreiches Mittel gefunden haben, uns zu schrecken, um sich den Sieg zu erleichtern?«

»Lady,« sprach der Kundschafter feierlich, »ich habe seit dreißig Jahren auf alle Töne in den Wäldern gehört, als ein Mann, dessen Leben und Tod von der Schärfe seines Ohrs abhängt. Kein Winseln des Panthers, kein Pfeifen der Spottdrossel, keine Erfindung der teuflischen Mingos kann mich berücken! Ich hörte die Wälder wehklagen, wie sterbliche Menschen in großen Nöthen: oft habe ich der Musik des Windes gelauscht, wie er in den verschlungenen Aesten der Bäume sauste: habe den Blitzstrahl durch die Lüfte krachen hören gleich dem brennenden Holzstoß, der Funken und gezackte Flammen spie: nimmer aber hab ich geglaubt, daß ich Anderes hörte, als Ihn, der mit den Werken seiner Hände spielt. Aber weder die Mohikaner noch ich, der ich ein Weißer von reiner Abkunft bin, vermag den so eben vernommenen Ton zu erklären. Wir glauben deshalb, daß es eine Weisung zu unserem Heile ist.«

»Etwas Außerordentliches ist es,« sprach Heyward, seine Pistolen von der Stelle nehmend, wohin er sie bei seinem Eintritt gelegt hatte, »mag es nun ein Zeichen des Friedens oder des Krieges seyn, man muß darauf achten. Geht voran, mein Freund, ich folge euch.«

Aus ihrem Verstecke tretend, fühlten Alle sogleich die wohlthätige Stärkung ihres Geistes, indem sie die eingeschlossene Luft der Höhle mit der kühlen, stählenden Atmosphäre vertauschten, welche um die Wirbel und Spitzen des Wasserfalles säuselte. Ein starker Abendwind schwebte über der Oberfläche des Flusses und schien das Brausen der Wasserfälle in die Winkel ihrer eigenen Höhlen zu treiben, aus denen es schwer und ununterbrochen gleich dem rollenden Donner hinter entfernten Hügeln wiedertönte. Der Mond war aufgegangen und sein Licht schimmerte bereits hie und da auf die Gewässer über ihnen. Der untere Theil des Felsens aber, wo sie standen, lag noch im Schatten. Außer den Tönen, welche die herabstürzenden Wasser hervorbrachten, und einem gelegentlichen Luftstoß, der an ihnen vorüber fuhr, war die Scene noch so ruhig, als Nacht und Finsterniß sie machen konnten. Vergeblich waren Aller Augen auf die entgegengesetzten Ufer gerichtet, um einige Lebenszeichen zu suchen, welche die Ursache der vernommenen Unterbrechung erklären konnten. Aber ihre ängstlich forschenden Blicke täuschte das trügerische Licht, oder fielen sie blos auf nackten Felsen und hohen, unbeweglichen Bäumen.

»Hier ist nichts zu sehen als das Dunkel und die Ruhe einer lieblichen Nacht,« flüsterte Duncan. »Wie sehr würden wir in jedem andern Augenblick eine solche Scene in ihrer athemlosen Einsamkeit bewundern, Cora! Stellen Sie sich vor, Sie wären in Sicherheit und das, was jetzt vielleicht Ihren Schrecken vermehrt, dürfte vielleicht Ihren Genuß erhöhen!« –

»Horcht!« unterbrach Alice.

Die Aufforderung war unnöthig. Noch einmal erscholl derselbe Laut, als ob er aus dem Flußbette käme und aus den engen Klüften der Klippen brechend durch die Wälder in entfernten und dahin sterbenden Cadenzen fortwogte.

»Kann einer,« fragte Hawk-eye, als sich das letzte Echo in den Wäldern verlor, »einem solchen Ton einen Namen geben, so spreche er: ich für meinen Theil glaube, daß er nicht der Erde angehört.«

»Hier ist Jemand, der euch enttäuschen kann,« sprach Duncan: »mir ist der Ton recht wohl bekannt, oft hab ich ihn auf dem Schlachtfeld gehört, und in Lagen, die sich im Soldatenleben nicht selten wiederholen. Es ist der schreckliche Angstschrei eines Pferdes in dem Todeskampf, oft durch Schmerz, zuweilen durch Angst ihm ausgepreßt. Mein Pferd ist entweder in den Krallen der Bestien des Waldes, oder sieht es die Gefahr, ohne ihr entrinnen zu können. Der Ton konnte mich täuschen, so lange ich in der Höhle war, aber hier in freier Luft erkenne ich ihn zu gut, um mich zu irren.«

Der Kundschafter und seine Gefährten hörten dieser einfachen Erklärung mit der Aufmerksamkeit von Leuten zu, die eine neue Idee begierig auffassen, zugleich aber der alten, die ihnen unangenehm wird, sich noch nicht entschlagen können. Die beiden Letztern stießen ihr gewöhnliches, ausdruckvolles »Hugh!« aus, als die Wahrheit des Gesagten ihnen einzuleuchten anfing, während der Erstere nach kurzem Nachdenken antwortete:

»Ich kann euern Worten nicht widersprechen, denn ich verstehe mich wenig auf Pferde, obgleich ich in einem Lande geboren bin, wo man sie in Menge findet. Die Wölfe müssen über ihren Köpfen am Ufer umherschwärmen, und die furchtsamen Geschöpfe rufen den Menschen um Hülfe an, so gut sie können, »Uncas« – hier sprach er delawarisch – »fahr‘ mit dem Canoe hinunter und wirf einen Feuerbrand unter das Pack; sonst thut die Furcht, was die Wölfe nicht thun können, und wir haben morgen keine Pferde, wo wir sie am nöthigsten brauchen, um unsere Reise möglichst zu beschleunigen.«

Der junge Eingeborne war schon an das Wasser hinabgestiegen, um seinem Befehle zu folgen, als ein langes Geheul vom Ufer des Flusses sich hören ließ und sich schnell in die Tiefen des Waldes entfernte, als ob die Raubthiere, von plötzlichem Schrecken ergriffen, ihre Beute freiwillig im Stiche ließen. Uncas kam mit instinktmäßiger Eile zurück, und die drei Waldbewohner hielten wieder leise ihre ernstliche Berathung.

»Es ging uns, wie den Jägern, welche die Richtungspunkte am Himmel verloren, und vor denen sich die Sonne den ganzen Tag verborgen hatte,« sprach Hawk-eye, von seinen Gefährten sich abwendend.

»Jetzt fangen wir wieder an die Kennzeichen unseres Weges zu gewahren, und die Pfade sind von Dornen gereinigt. Setzt euch in den Schatten, welchen der Mond von jenem Ufer her wirft – er ist dunkler als der von den Fichten – und laßt uns erwarten, was dem Herrn gefallen wird, über uns zu verfügen. Wir wollen einander nur noch zuflüstern, und vielleicht wäre es noch besser, wenn jeder eine Weile sich nur mit seinen eigenen Gedanken unterhielte.«

In dem Tone des Kundschafters lag hoher Ernst, aber ohne länger ein Zeichen unmännlicher Furcht zu verrathen. Offenbar war seine augenblickliche Schwäche mit der Erklärung des Wunders, das seine eigene Erfahrung nicht ergründen konnte, verschwunden, und wenn er auch die Gefahr ihrer jetzigen Lage wohl erkannte, so war er doch bereit, ihr mit der ganzen Energie seines entschlossenen Charakters Trotz zu bieten. Dies Gefühl schienen auch die Eingebornen zu theilen: sie setzten sich so, daß sie beide Ufer überschauen konnten, während sie selbst der Beobachtung aus der Ferne entzogen waren. Unter solchen Umständen verlangte die gewöhnliche Klugheit Heywards und seiner Begleiter, eine Vorsicht nachzuahmen, die aus einer so verständigen Quelle floß. Der junge Mann holte aus der Höhle ein Bündel Sassafras, legte es in die Felsenspalte, welche sich zwischen beiden Höhlen befand, und hieß die Schwestern sich darauf niederlassen, die so durch die Felsen vor jederlei Geschoß geschützt waren, während man ihre Besorgnisse durch die Versicherung hob, daß keine Gefahr ohne vorherige Warnung herannahen könne. Heyward selbst stellte sich in ihre Nähe, so daß er mit ihnen sprechen konnte, ohne seine Stimme auf eine gefährliche Höhe zu erheben, während David, dem Beispiele der Waldmänner folgend, seine Person in den Spalten der Felsen auf eine solche Weise unterbrachte, daß seine unförmlichen Gliedmaßen dem Auge nicht länger anstößig waren.

So vergingen mehrere Stunden ohne weitere Unterbrechung. Der Mond erreichte sein Zenith und goß sein mildes Licht auf die lieblichen Gesichter der Schwestern, die einander in den Armen entschlummert waren. Duncan warf den weiten Shawl Cora’s über ein Schauspiel, das er so gerne betrachtete, und suchte dann für sein eigenes Haupt ein Kissen auf dem Felsen. David begann Töne hören zu lassen, die während des Wachens seine zarten Organe verletzt haben würden; kurz Alle, außer Hawk-eye und den Mohikanern, versanken, vom Schlafe bewältigt, in einen Zustand der Bewußtlosigkeit. Aber die Wachsamkeit ihrer unermüdeten Beschützer schlummerte nie. Unbeweglich, wie der Fels, von dem sie einen Theil zu bilden schienen, lagen sie da, während ihre Augen unabläßig an dem dunkeln Rande der Bäume umherschweiften, welche die nahen Ufer des engen Stromes begränzten. Kein Laut entschlüpfte ihnen, und die schärfste Beobachtung konnte nicht entdecken, daß sie athmeten. Offenbar stützte sich diese außerordentliche Vorsicht auf eine Erfahrung, die keine List ihrer Feinde berücken konnte, und dauerte so lange ohne scheinbaren Erfolg, bis der Mond untergegangen war, und ein blasser Lichtstreif über den Gipfeln der Bäume an einer Krümmung des Flusses weiter unten den Anbruch des Tages verkündigte. Jetzt rührte sich Hawk-eye zum ersten Mal. Er kroch auf dem Felsen heran und rüttelte Duncan aus seinem tiefen Schlafe auf.

»Jetzt ist es Zeit, daß wir aufbrechen,« flüsterte er, »weckt eure Frauen und haltet euch bereit, in das Canoe zu steigen, wenn ich es an den Landungsplatz bringe!«

»Habt Ihr eine ruhige Nacht gehabt?« fragte Heyward. »Bei mir hatte, glaub‘ ich, der Schlaf über’s Wachen gewonnen.«

»Alles ist still wie die Mitternacht. Schweigt, aber seyd flink bei der Hand.«

Jetzt war Duncan völlig wach und hob sogleich den Shawl über den schlafenden Mädchen weg. Bei dieser Bewegung fuhr Cora mit der Hand empor, als wollte sie ihn zurückstoßen, während Alice mit ihrer sanften, zarten Stimme flüsterte: nein, nein, lieber Vater, wir waren nicht verlassen, Duncan war bei uns! »Ja, liebliche Unschuld,« flüsterte der Jüngling, »Duncan ist hier, und so lange er lebt, oder Gefahr droht, wird er dich nie verlassen, Cora! Alice! erwachet! die Stunde zum Aufbruch ist da!«

Ein lauter Angstschrei der jüngern Schwester, und der Anblick der ältern, die in wirrem Schrecken aufrecht vor ihm stand, war die unerwartete Folge seines Zurufs. Während die Worte noch auf Heywards Lippen schwebten, erhob sich ein so entsetzlicher Aufruhr gellenden Geheuls, daß er den schnellen Strom seines Bluts von seinem pochenden Laufe zu dem Herzen zurück trieb. Es war, als ob alle Dämonen der Hölle die Luft um sie her erfüllten, und ihre wildeste Laune in diesen barbarischen Tönen austoben wollten. Das Geschrei kam aus keiner besonderen Richtung, sondern erfüllte rings umher die Wälder, und wie sich die bestürzten Horcher leicht einbildeten, selbst die Höhlen der Wasserfälle, die Felsen, das Bett des Flusses und die obere Luft. David erhob inmitten dieses höllischen Lärms seine hagere Gestalt und rief, indem er sich mit beiden Händen die Ohren zuhielt:

»Woher kommen diese Mißtöne? Ist die Hölle los, daß man solche Töne von Menschen vernimmt?«

Helle Blitze und schnellfolgender Knall von einem Dutzend Büchsen auf den entgegengesetzten Ufern des Stroms folgten dieser unvorsichtigen Bloßstellung seiner Person und streckten den armen Singmeister besinnungslos auf den Felsen nieder, auf dem er so lange geschlummert hatte.

Die Mohikaner erwiederten kühn das Entsetzen erregende Geheul ihrer Feinde, welche über Gamuts Fall ein wildes Triumphgeschrei erhoben. Die Blitze der Büchsen folgten sich jetzt schnell und ununterbrochen; aber beide Parteien waren zu erfahren, als daß sie auch nur ein Glied dem feindlichen Ziele bloßgestellt hätten. Duncan glaubte, daß sie jetzt nur noch durch Flucht sich retten könnten, und horchte mit ängstlicher Ungeduld, ob sich nicht Ruderschläge hören ließen. Der Strom erglänzte wie sonst in seinem raschen Lauf, aber das Canoe war auf seinen dunkeln Wassern nirgends zu sehen. Schon fing er an zu glauben, der Kundschafter habe sie im Stich gelassen, als aus dem Felsen unter ihm ein Flammenstrom hervordrang und ein wildes Geheul, mit einem Angstgestöhn vermischt, verkündete, daß der Todesbote, aus der verderblichen Waffe Hawk-eye’s entsendet, sein Opfer gefunden habe. Bei diesem leichten Verlust zogen sich die Angreifenden plötzlich zurück, und Alles ward allmählig wieder so still, wie es vor dem plötzlichen Anfall gewesen war.

Duncan benützte den günstigen Augenblick, zu Gamut zu eilen und ihn in den Schutz der schmalen Felsenspalte zu tragen, der die Schwestern beschirmte. In der nächsten Minute war die ganze Truppe auf diesem Punkte theilweiser Sicherheit versammelt.

»Der arme Schelm hat seinen Skalp gerettet,« sprach Hawk-eye, indem er kaltblütig mit der Hand über Davids Kopf fuhr, »aber es ist ein Beweis, daß ein Mensch mit einer zu langen Zunge auf die Welt kommen kann. – Es war eine Tollheit, auf einem nackten Felsen den wüthenden Wilden sechs Fuß Fleisch und Blut zu zeigen. Ich wundere mich nur, daß er mit dem Leben davon gekommen ist.«

»Ist er nicht todt?« fragte Cora mit einer Stimme, deren schwache Töne verriethen, wie mächtig in ihr natürliches Entsetzen mit angenommener Festigkeit kämpften.

»Können wir dem unglücklichen Manne etwas helfen?«

»Nein, nein! es ist noch Leben in ihm, und wenn er eine Weile geschlummert hat, wird er wieder zu sich kommen und in Zukunft desto klüger seyn, bis sein letztes Stündlein einmal wirklich schlägt,« antwortete Hawk-eye, einen zweiten Seitenblick auf den unempfindlichen Körper werfend, während er sein Gewehr mit bewundernswürdiger Gewandtheit wieder lud. »Bring‘ ihn hinein, Uncas, und leg‘ ihn auf den Sassafras. Je länger sein Schläfchen dauert, desto besser ist’s für ihn: ich zweifle, ob ein Gestell, wie das seinige, auf diesem Felsen Schutz genug finden kann, und Singen thut kein Gut bei diesen Irokesen.«

»Ihr glaubt also, daß der Angriff sich erneuern werde?« fragte Heyward.

»Soll ich erwarten, daß ein hungriger Wolf seine Gier an einem Mundvoll sättige? Sie haben einen Mann verloren, und es ist ihre Art, sich zurückzuziehen, wenn sie Verlust erleiden oder ein Ueberfall mißlingt. Aber wir werden sie bald wieder haben, mit neuen Listen, uns zu berücken und unsrer Schöpfe Herr zu werden. Unsere Hoffnung kann nur seyn,« fuhr er fort, indem er sein rauhes Gesicht erhob, über das ein Schatten von Besorgniß gleich einer dunkeln Wolke zog, »den Felsen so lange zu halten, bis Munro uns Hülfe schickt.«

»Sie hören, Cora, was wir zu erwarten haben,« sprach Duncan, »daß wir Alles von der Besorgniß und der Erfahrung Ihres Vaters zu hoffen haben. So kommen Sie denn mit Alice in die Höhle, wo Sie wenigstens vor den mörderischen Büchsen unsrer Feinde gesichert sind und unsrem unglücklichen Kameraden diejenige Hülfe leisten werden, die weibliches Mitleid Ihnen eingeben mag.«

Die Schwestern folgten ihm in die äußere Höhle, wo David durch Seufzer Zeichen seines zurückkehrenden Bewußtseyns gab, und den Verwundeten ihrer Aufmerksamkeit empfehlend, schickte Heyward sich an, sie sogleich zu verlassen.

»Duncan!« sprach Cora mit zitternder Stimme, als er den Ausgang der Höhle erreichte. Er wandte sich um und blickte auf Cora, deren Farbe einer tödtlichen Blässe gewichen war, während ihre Lippe zitterte, als sie ihm mit einem Ausdruck von Theilnahme nachblickte, der ihn sogleich wieder an ihre Seite rief. »Erinnern Sie sich, Duncan, wie nothwendig Ihre Sicherheit für die unsrige ist, – daß Ihnen ein Vater sein Liebstes anvertraut hat – wie viel von Ihrer Besonnenheit und Sorgfalt abhängt – kurz,« fügte sie hinzu, während das verräterische Blut ihre Züge überschlich und sie bis an die Schläfe mit einem glühenden Roth übergoß, »wie theuer Sie mit Recht Allen sind, die den Namen Munro führen.«

»Könnte etwas meine Liebe zum Leben erhöhen,« sprach Heyward, indem sein Auge unwillkürlich auf die jugendliche Gestalt Alicens sank, »so wäre es eine so gütige Versicherung. Als Major vom sechzigsten Regiment muß ich, wie Ihnen unser ehrlicher Wirth sagen wird, Theil an dem Strauße nehmen; aber unsere Aufgabe wird leicht seyn, wir haben blos diese Bluthunde einige Stunden hinzuhalten.«

Ohne eine Antwort zu erwarten, verließ er die Schwestern und begab sich wieder zu dem Kundschafter und seinen Genossen, welche noch immer in der sichern Felsenspalte zwischen den zwei Höhlen lagen.

»Ich sage Dir, Uncas,« sprach Ersterer, als Heyward zu ihnen trat, »Du nimmst zu viel Pulver, und der Stoß der Büchse verrückt Dir das Ziel! Wenig Pulver, leichtes Blei und ein langer Arm verfehlen selten, dem Mingo den Todesschrei zu entreißen. Das hat mich die Erfahrung bei diesen Burschen gelehrt. Kommt, Freunde, in unsre Verstecke: Niemand kann sagen, wann und wo ein Maqua Einem zu Leibe geht.«

Stillschweigend begaben sich die Indianer auf ihre Posten in die Felsenspalten, von denen aus sie alle Zugänge zu dem Fuße der Wasserfälle beherrschten. Mitten auf der kleinen Insel hatten ein Paar kurze und verkrüppelte Fichten Wurzel geschlagen und ein Dickicht gebildet, in welches Hawk-eye, von dem rüstigen Duncan begleitet, mit der Schnelligkeit eines Hirsches sprang. Hier versteckten sie sich, so gut es ging, hinter Gestrüpp und Felsblöcken, die zerstreut auf dem Platze umher lagen. Ueber ihnen erhob sich ein kahler, runder Felsen, an dessen beiden Seiten das Wasser, wie schon erwähnt worden, seine lustigen Sprünge machte und dann in die Abgründe stürzte. Als der Tag anbrach, boten die Gegenufer nicht mehr nur verworrene Umrisse: man konnte in die Wälder sehen und unter dem Laubdach der dunkeln Fichten die einzelnen Gegenstände unterscheiden.

Eine lange und ungeduldige Wache folgte, ohne daß ein Umstand auf einen erneuten Angriff schließen ließ, und Duncan gab sich schon der Hoffnung hin, daß ihr Feuer verderblicher gewesen sey, als sie vermuteten, und ihre Feinde wirklich zurückgetrieben habe. Als er diese Meinung gegen seinen Nebenmann äußerte, schüttelte Hawk-eye ungläubig den Kopf.

»Ihr kennet den Magua nicht, wenn Ihr glaubt, daß er sich so leichten Kaufs ohne Skalp zurückschlagen lasse!« antwortete er. »Wenn diesen Morgen auch nur einer dieser Teufel sein Geheul erhob, waren doch ihrer vierzig dabei, und sie kennen unsere Zahl und unsere Lage zu wohl, um die Jagd sobald aufzugeben. St! Seht nach dem Wasser dort oben, gerade wo es sich über den Felsen stürzt! Ich will kein Mensch seyn, wenn die satanischen Wagehälse nicht bis zur Spitze herab schwimmen: und wenn es unser Unstern so haben will, so haben sie die Vorderseite der Insel bereits erreicht! St! ruhig, Freund! oder das Haar ist von eurem Schädel weg, wie man ein Messer rückt!« Heyward hob den Kopf aus seinem Versteck empor und erschaute, was er mit Recht für ein Wunder von Geschick und Kühnheit halten mußte. Der Fluß hatte die Ecke des weichen Felsen so weit abgespült, daß sein erster Absatz nicht so abschüssig und senkrecht war, als es bei Wasserfällen gewöhnlich ist. Ohne einen andern Führer als die Strömung des Flusses, die nach der Spitze des Eilandes ging, hatte sich ein Theil dieser rachesüchtigen Feinde heran gewagt, und war auf diese Spitze zugeschwommen, von wo aus sie im glücklichen Falle den ausersehenen Schlachtopfern zu Leibe konnten.

Kaum hatte Hawk-eye aufgehört zu sprechen, als sich vier Menschenköpfe über ein Paar Stämmen Treibholz zeigten, die sich an diesen nackten Felsen angelegt und die Wilden wahrscheinlich auf den Gedanken an die Ausführbarkeit des gefahrvollen Unternehmens gebracht hatten. Im nächsten Augenblick erschien noch ein fünfter an dem grünen Rande des Wasserfalls, ein wenig weiter von der Insel entfernt. Der Wilde kämpfte aus allen Kräften, die Sicherheitsspitze zu erreichen, und von den glänzenden Wellen begünstigt, streckte er schon einen Arm nach seinen Gefährten aus, die ihn herbeiziehen wollten, als er, von der wirbelnden Strömung fortgerissen, mit aufgehobenen Armen und starren Augen emporzuschießen schien und mit einem plötzlichen Sturze in den tiefen, gähnenden Abgrund, über dem er geschwebt, hinunterstürzte. Ein einziger wilder Schrei der Verzweiflung erscholl aus dem Schlunde, und alles war wieder so still wie ein Grab.

Im ersten Drange des Edelmuths wollte Duncan zur Rettung des hülflosen Unglücklichen herbeieilen, fühlte sich aber durch den eisernen Griff des unbeweglichen Kundschafters festgehalten. »Wollt Ihr uns einem gewissen Tode entgegenführen, und den Mingos verrathen, wo wir verborgen liegen?« fragte Hawk-eye ernst; »’s ist uns eine Ladung Pulver erspart, und Munition wird uns jetzt so nöthig, als einem gewürgten Wilde der Athem! Schüttet frisches Pulver auf die Zündpfanne eurer Pistolen – der Nebel vom Wasserfall verdirbt gern den Schwefel, und haltet euch zum Handgemeng bereit, während ich feure.«

Mit diesen Worten fuhr er mit einem Finger in den Mund und that einen langen, schrillen Pfiff, der von den Felsen aus, wo die Mohikaner Wache hielten, beantwortet wurde. Duncan erblickte, als dieses Zeichen in der Luft erscholl, auf einen Augenblick über den zerstreuten Treibholzstämmen Köpfe, die aber ebenso plötzlich, als sie sich gezeigt hatten, wieder verschwunden waren. Ein leises Rascheln richtete seine Aufmerksamkeit nach hinten, und seinen Kopf wendend, erblickte er Uncas, der zu ihm herangekrochen kam. Hawk-eye sprach mit ihm in delawarischer Sprache, worauf der junge Häuptling mit besonderer Vorsicht und unerschütterlicher Kaltblütigkeit seine Stellung einnahm. Für Heyward war dies ein Augenblick fieberischer, ungeduldiger Erwartung: der Kundschafter hielt es aber für eine passende Gelegenheit, seinem jüngeren Kampfgenossen eine Vorlesung über den vorsichtigen Gebrauch des Feuergewehrs zu halten.

»Unter allen Waffen« begann er, »ist die Büchse mit langem Lauf, wenn sie gut gebohrt und von weichem Metall ist, in geschickten Händen die gefährlichste, braucht aber einen starken Arm, ein scharfes Auge und viel Geschick beim Laden, um alle ihre Schönheiten zu zeigen. Die Büchsenmacher verstehen sich nur schlecht auf ihr Handwerk, wenn sie ihre Vogelflinten und Carab –«

Er ward unterbrochen durch das leise, aber ausdrucksvolle »Hugh« des Uncas.

»Ich sehe sie, Junge, ich sehe sie!« fuhr Hawk-eye fort: »sie sammeln sich zum Angriff, sonst würden sie ihre braunen Rücken unter dem Treibholze halten. Nun, laßt sie nur,« fuhr er fort, seinen Büchsenstein prüfend, »der Vordermann wenigstens läuft seinem Tod in die Arme, und wenn es Montcalm selbst wäre!«

In diesem Augenblick wurden die Wälder von einem abermaligen Geschrei erfüllt, und auf dieses Zeichen sprangen vier Wilde aus dem Verstecke des Treibholzes hervor. Heyward empfand eine brennende Begierde, ihnen entgegenzustürzen, so mächtig wirkte die Ungeduld des Augenblicks; aber er wurde durch das Beispiel der Besonnenheit von Seiten des Kundschafters und Uncas‘ zurückgehalten. Als ihre Feinde über die schwarzen Felsen, die sie trennten, in hohen Sprüngen, mit dem wildesten Geheul daherstürzten, und nur noch wenige Ruthen entfernt waren, erhob sich Hawk-eye’s Büchse langsam unter dem Gestrüpp und entlud ihren Inhalt. Der vorderste Indianer machte einen Sprung, wie ein angeschossener Hirsch und stürzte häuptlings in die Felsenklüfte der Insel.

»Jetzt, Uncas!« rief der Kundschafter, sein langes Messer ziehend, während seine Augen vor Kampflust erglühten, »nimm den letzten der heulenden Satane; der andern zwei sind wir gewiß!« Uncas that, wie ihm befohlen wurde, und nur noch zwei Feinde blieben übrig. Heyward hatte eine seiner Pistolen Hawk-eye gegeben, und sie stürzten zusammen die kleine Anhöhe hinab, ihren Feinden entgegen. Zu gleicher Zeit gaben sie Feuer, aber Beide ohne Erfolg.

»Das wußt‘ ich und hab‘ es vorausgesagt!« murmelte der Kundschafter, indem er die verachtete kleine Waffe mit bitterem Hohn in den Wasserfall hinabwarf. »Kommt, ihr blutgierigen Höllenhunde! Ihr kriegt einen Gegenmann von unverfälschtem Blut!«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so war er mit einem Wilden von gigantischem Wuchs und wutschnaubender Miene im Kampf. In demselben Augenblick fand sich Duncan von dem zweiten angegriffen und war mit ihm in Handgemeng. Mit gleicher Gewandtheit hatten Hawk-eye und sein Gegner einander die aufgehobene, mit dem tödtlichen Messer bewaffnete Hand aufgefangen. Fast eine Minute standen sie da, einander starr in’s Auge blickend und alle Muskelkraft anstrengend, um obzusiegen. Endlich gewannen die zähen Sehnen des Weißen über die Glieder des weniger geübten Eingebornen die Oberhand. Der Arm des Letztern wich allmählig der wachsenden Kraft des Kundschafters, welcher plötzlich die bewaffnete Hand dem Griff des Feindes entriß und die scharfe Waffe ihm durch die nackte Brust in das Herz stieß. Mittler Weile war Heyward in einem noch gefahrvolleren Kampfe begriffen. Sein schwacher Degen war bei dem ersten Angriff zerbrochen. Da er jetzt jedes andern Vertheidigungsmittels beraubt war, so hing seine Rettung ganz von seiner Körperstärke und Entschlossenheit ab. Obgleich es ihm an keiner von beiden fehlte, so hatte er doch einen Feind gefunden, der ihm durchaus gewachsen war. Glücklicher Weise gelang es ihm bald, seinen Gegner zu entwaffnen, dessen Messer auf den Felsen zu ihren Füßen hin fiel. Von diesem Augenblick an entstand ein wildes Ringen, welcher von beiden den Andern von der schwindelnden Höhe in den nahen Abgrund des Wasserfalls hinabzustürzen vermöchte. Jeder Erfolg des Einen oder Andern brachte sie dem Rande näher, wo, wie Duncan wohl einsah, die letzte Anstrengung über den Sieg entscheiden mußte. Jeder der Ringenden bot alle seine Kräfte auf, und jeder neue Versuch brachte sie dem Rande des Absturzes näher. Heyward fühlte den Griff des Andern an seiner Kehle, und las in seinem wilden Lächeln die rachsüchtige Hoffnung, daß der Feind dem gleichen Schicksale entgegen gehe. Da fühlte er, wie sein Körper einer unwiderstehlichen Kraft zu unterliegen begann; und der junge Mann empfand die flüchtige Todesangst eines solchen Augenblicks in ihrer ganzen Furchtbarkeit. In dieser höchsten Gefahr fuhr plötzlich eine dunkle Hand und ein glänzendes Messer zwischen ihn und den Gegner. Der Indianer ließ los, als das Blut in vollen Strömen um die durchschnittenen Sehnen seines Handgelenks floß. Uncas‘ rettender Arm riß Duncan zurück, während sein entzücktes Auge noch auf den wilden, verzweiflungsvollen Zügen seines Feindes ruhte, der rettungslos in den vernichtenden Abgrund stürzte.

»In’s Versteck! in’s Versteck!« schrie Hawk-eye, der so eben seinen Gegner abgefertigt hatte; »in’s Versteck, wenn euer Leben euch lieb ist! die Arbeit ist nur halb gethan!«

Der junge Mohikaner erhob ein lautes Triumphgeschrei und glitt, von Duncan gefolgt, die Anhöhe hinan, von der sie zum Kampfe herabgekommen waren, nach dem freundlichen Schutze der Felsen und Gesträuche zurück.

Erstes Kapitel.

Erstes Kapitel.

Mein Ohr ist offen und mein Herz bereit.
Nur weltlichen Verlust, nicht Schlimmres kannst Du melden.
Sage, ist mein Reich verloren?
Shakespeare.

Es war eine Eigenthümlichkeit der Kriege, welche in den Kolonien Nordamerikas geführt wurden, daß die Mühseligkeiten und Gefahren der Wildnisse zu bestehen waren, ehe noch die feindlichen Heere sich begegnen konnten. Ein breiter Gürtel von scheinbar undurchdringlichen Wäldern trennte die Besitzungen der feindlichen Provinzen von Frankreich und England. Der kühne Pflanzer und der geübte Europäer, der an seiner Seite focht, kämpften oft Monate lang mit reißenden Waldströmen, oder suchten rauhe Gebirgspässe gangbar zu machen, um Gelegenheit zu finden, ihren Muth in mehr kriegerischem Kampfe zu zeigen. Aber wetteifernd mit der Ausdauer und Selbstverläugnung der erfahrenen eingebornen Krieger lernten sie jede Schwierigkeit überwinden; und es wollte scheinen, daß mit der Zeit kein Winkel in den Waldungen so finster, kein Versteck so abgelegen wäre, in den sie nicht zu dringen wagten, die ihr Blut verpfändet hatten, ihre Rache zu sättigen, oder der kalten, selbstsüchtigen Politik entfernter Monarchen Europas Geltung zu verschaffen.

Vielleicht gibt kein Distrikt auf der ganzen Strecke der dazwischen liegenden Gränzen ein lebendigeres Bild von der Grausamkeit und Wildheit der barbarischen Kriege jener Zeiten, als das Land, welches zwischen den Quellen des Hudson und den anstoßenden Seen liegt. Die Vortheile, die hier die Natur für die Bewegungen der Kämpfenden bot, waren zu augenfällig, um nicht benützt zu werden. Der langgedehnte Wasserspiegel des Champlain erstreckte sich von den Gränzen Canadas bis tief in die benachbarte Provinz New-York hinein, und bildete eine natürliche Straße auf der Hälfte des Landstrichs, dessen die Franzosen Meister seyn mußten, um an ihre Feinde gelangen zu können.

Unweit seinem südlichen Ende empfängt er die Zuflüsse eines andern Sees, dessen Wasser so klar sind, daß die Missionäre der Jesuiten sie ausschließlich gewählt hatten, um die sinnbildliche Reinigung der Taufe zu vollziehen, was ihm den Namen des Sees du Saint Sacrement gegeben hat. Die minder eifrigen Engländer glaubten seinen klaren Quellen Ehre genug anzuthun, wenn sie ihnen den Namen ihres regierenden Fürsten, des zweiten aus dem Hause Hannover, gaben. Beide Völker vereinigten sich aber, den schutzlosen Eigenthümern dieser bewaldeten Räume ihr natürliches Recht auf Verewigung seines ursprünglichen Namens Horican zu rauben.

Durch zahllose Eilande sich windend und in Gebirge eingebettet, dehnt sich der »heilige See« ein Dutzend Stunden weiter gegen Süden aus. Mit der hochgelegenen Fläche, welche hier dem Laufe des Wassers entgegen tritt, fängt ein Trageplatz von eben so vielen (englischen) Meilen an, der an die Ufer des Hudson auf einen Punkt führt, wo der Fluß über die gewöhnlichen Hemmnisse reißender Strömungen oder Rifts (Riffe), wie sie in der dortigen Landessprache heißen, siegt und zur Fluthzeit schiffbar wird.

Da rastloser Unternehmungsgeist die Franzosen bei Verfolgung ihrer Eroberungspläne selbst in die entfernten, fast unzugänglichen Schluchten des Alleghanygebirges führte, so läßt sich leicht denken, daß ihr zum Sprichwort gewordener Scharfsinn die natürlichen Vortheile der so eben beschriebenen Landstrecke nicht übersehen konnte. Sie wurde auch wirklich der blutige Schauplatz, auf dem die meisten Schlachten um die Herrschaft in den Kolonien geschlagen wurden. Forts wurden angelegt auf den verschiedenen Punkten, welche die Heerstraßen beherrschten; wurden genommen und wieder genommen, geschleift und wieder hergestellt, so wie ein Sieg über feindliche Banner erfochten war. Während der Pflanzer sich von den gefährlichen Pässen in die sichereren Gränzen der älteren Niederlassungen zurückzog, sah man Heere, stärker als jene, die oft über die Throne der Mutterländer entschieden, in diese Waldungen sich vergraben, aus denen sie meist nur als Banden von Gerippen, von Sorgen abgemagert und durch Niederlagen entmuthigt, wieder zum Vorschein kamen.

Wenn auch die Künste des Friedens in diesen unglücklichen Gegenden unbekannt waren, so wimmelten doch seine Wälder von Menschen; die lichten Punkte und Thäler ertönten von kriegerischer Musik, und das Echo ihrer Gebirge warf das Gelächter oder das muthwillige Geschrei manches ritterlichen, sorglosen Jünglings zurück, der in der vollen Kraft seines jungen Muthes dahin eilte, um in die lange Nacht der Vergessenheit hinüber zu schlummern.

Auf diesem Schauplatze des Kampfes und des Blutvergießens trugen sich die Begebnisse zu, welche wir zu schildern versuchen, und zwar im dritten Jahre des Kriegs, welchen England und Frankreich um den Besitz eines Landes führten, das Keinem auf die Dauer zu Theil werden sollte.

Die Unfähigkeit seiner Heerführer draußen und der unglückliche Mangel an Energie in seinen Berathungen im Innern hatte Großbritannien von der stolzen Höhe, auf die es die Talente und der Unternehmungsgeist seiner früheren Kriegs- und Staatsmänner gebracht hatten, herabgestürzt. Nicht länger von seinen Feinden gefürchtet, verloren seine Diener bald auch das Vertrauen auf sich selbst. Bei diesem drückenden Zustand der Erniedrigung waren die Kolonisten, obgleich unschuldig an seiner Schwäche, und zu niedrig gestellt, um an solchen Mißgriffen Schuld zu haben, die natürlichen Opfer derselben. Sie hatten erst noch gesehen, wie ein auserlesenes Heer aus dem Lande, das sie bisher als Mutter verehrten und für unbesiegbar gehalten, unter den Befehlen eines Führers, der wegen seiner seltenen kriegerischen Verdienste aus einer Schaar erfahrener Kriegsmänner auserwählt worden, von einer Handvoll Franzosen und Indianer schimpflich zersprengt worden war, und vor völliger Vernichtung nur bewahrt wurde durch die kalte Besonnenheit eines virginischen Knaben, dessen Ruf, durch die Zeit gereift, sich seitdem, kraft des Eindruckes, dessen sittliche Größe nie verfehlt, bis an die äußersten Gränzen der christlichen Welt verbreitet hat. So war durch diesen unerwarteten Unstern die Gränze weithin blosgegeben und wesentlicheren Uebeln gingen tausend eingebildete und erträumte Gefahren voraus. Die bestürzten Kolonisten glaubten, das Geheul der Wilden mische sich in jeden Windstoß, der aus den endlosen Waldungen des Westens pfiff. Der furchtbare Charakter ihrer erbarmungslosen Feinde vermehrte noch die natürlichen Schrecken des Kriegs über alle Beschreibung. Zahllose neuere Gemetzel lebten noch in ihrer Erinnerung: auch war kein Ohr in den Provinzen so taub, das nicht begierig der Erzählung einer furchtbaren mitternächtlichen Mordscene gelauscht hätte, bei welcher die Eingebornen der Wälder in ihrer Grausamkeit eine Hauptrolle spielen mußten. Wenn der leichtgläubige, aufgeregte Reisende von den Gefahren der Wildniß erzählte, gerann dem Furchtsamen vor Schrecken das Blut in den Adern, und Mütter warfen ängstliche Blicke selbst auf Kinder, die im sichern Schooße der größten Städte schlummerten. Kurz, die Alles vergrößernde Furcht machte die Berechnungen der Vernunft zu Nichte, und diejenigen, welche sich ihrer Mannheit hätten erinnern sollen, zu Sklaven der niedrigsten Leidenschaft. Selbst die Zuversichtlichsten und Standhaftesten begannen zu glauben, daß der Ausgang des Kampfes zweifelhaft werden könnte, und stündlich vermehrte sich die Zahl jener Verächtlichen, welche schon alle Besitzungen der englischen Krone in Amerika von ihren christlichen Feinden erobert oder durch die Einfälle ihrer fühllosen Verbündeten verödet sahen.

Als daher in dem Fort, welches das Südende des Trageplatzes zwischen dem Hudson und den Seen deckte, die Nachricht eintraf, daß Montcalm mit einem Heere, zahllos wie das Laub auf den Bäumen, den Champlain herauf komme, so wurde die Wahrheit derselben mehr mit dem verzagten Widerwillen der Furcht, als mit der ernsten Freude eingeräumt, die der Krieger fühlen sollte, wenn er den Feind in seinem Bereiche findet. Die Nachricht war an einem Sommerabend durch einen indianischen Läufer eingetroffen, durch den auch Munro, der Befehlshaber eines Festungswerkes an dem Ufer des »heiligen Sees,« um schleunige und kräftige Verstärkung bitten ließ. Es wurde bereits erwähnt, daß die Entfernung zwischen diesen beiden Punkten weniger als fünf Stunden betrug. Der rauhe Pfad, welcher ursprünglich ihre Verbindungslinie bildete, war für Wagen erweitert worden, so daß der Weg, für welchen der Sohn des Waldes nur zwei Stunden bedurfte, von einem Corps mit seinem erforderlichen Gepäck leicht zwischen dem Auf- und Untergang der Sonne an einem Sommertag zurückgelegt werden konnte. Die loyalen Diener der britischen Krone hatten die eine dieser Waldfesten William Henry und die andere Fort Edward, nach zwei beliebten Prinzen des regierenden Hauses, benannt. Der vorerwähnte schottische Veteran lag in der ersten mit einem Regiment regelmäßiger Truppen und einer Anzahl Provinzialen, einer Besatzung, die in der That zu schwach war, der furchtbaren Macht, mit welcher Montcalm seinen Verschanzungen nahte, die Spitze zu bieten. An letzterem stand jedoch General Webb, welcher die Heere des Königs in den Nordprovinzen befehligte, mit einem Corps von mehr denn fünftausend Mann. Durch Vereinigung der verschiedenen Detachements unter seinen Befehlen hätte dieser Offizier beinahe die doppelte Anzahl Kämpfer dem unternehmenden Franzosen, der sich mit einem nicht viel stärkern Heere so weit von seinen Reserven hervor gewagt hatte, entgegen zu stellen vermocht.

Von ihrem Mißgeschick niedergedrückt, schienen Offiziere und Soldaten mehr geneigt, die Annäherung ihres furchtbaren Feindes innerhalb ihrer Festungswerke zu erwarten, als sich ihrem Vorrücken zu widersetzen und nach dem glücklichen Vorgang der Franzosen bei dem Fort du Quesne einen kühnen Angriff auf die Heranrückenden zu wagen.

Nachdem sich die erste Bestürzung über diese Nachricht in etwas gelegt hatte, verbreitete sich durch das verschanzte Lager, das dem Rande des Hudson entlang eine Reihe von Außenwerken des Fortes selbst bildete, das Gerücht, ein auserlesenes Detachement von fünfzehnhundert Mann habe mit Tagesanbruch nach dem Fort William Henry, dem Posten auf dem nördlichen Ende des Bergrückens, abzugehen. Was anfangs blos Gerücht war, wurde bald zur Gewißheit, da aus dem Quartier des Oberbefehlshabers an die verschiedenen von ihm zu diesem Dienste ausersehenen Corps die Ordre erging, sich zum schleunigen Abmarsch bereit zu halten. Aller Zweifel über Webbs Absicht verschwand, und die nächsten paar Stunden sah man nichts, denn eilige Fußtritte und bängliche Gesichter. Der Neuling in der Kriegskunst flog von Punkt zu Punkt, seine eigenen Zubereitungen durch das Uebermaß eines ungestümen und etwas unordentlichen Eifers hemmend, während der erfahrenere Krieger seine Vorkehrungen mit einer Besonnenheit traf, die allen Anschein der Eile verschmähte, obwohl seine ernsten Züge und sein unruhiges Auge verriethen, daß er keine besondere Lust zu dem noch unversuchten, gefürchteten Krieg in der Wildniß in sich verspürte. Endlich sank die Sonne in einer Fluth von Glorie hinter die entfernten westlichen Hügel, und als die Finsterniß ihren Schleier um den abgeschiedenen Ort zog, verstummte allmählig das Geräusch der Zurüstung. Das letzte Licht verschwand endlich aus dem Blockhauszimmer eines Offiziers; die Bäume warfen tiefere Schatten auf die Wälle und den kräuselnden Strom, und bald herrschte in dem Lager so tiefe Stille, als in dem Walde umher.

Gemäß den Befehlen der vorigen Nacht unterbrach das Wirbeln der Lärmtrommeln, deren schallendes Echo in der feuchten Morgenluft aus jeder Richtung der Wälder wiedertönte, den tiefen Schlaf des Heeres, als eben der Tag die rohen Umrisse einiger hohen Fichten in der Nähe an den Glanz eines milden, wolkenlosen östlichen Himmels zu zeichnen begann. Im Augenblick war das ganze Lager in Bewegung. Selbst der niedrigste Soldat sprang von seinem Lager auf, um Zeuge von dem Abmarsche seiner Kameraden und den aufregenden Vorfällen des Augenblicks zu seyn. Die kleine auserlesene Truppe hatte sich bald in Marschordnung aufgestellt. Während die regelmäßigen, geübteren Soldaten des Königs sich stolz auf den rechten Flügel zogen, nahmen minder anspruchsvolle Pflanzer ihre bescheidenere Stellung auf dem linken mit einer Gewandtheit ein, die lange Uebung ihnen zu eigen gemacht hatte. Die Patrouillen brachen auf, starke Bedeckungen zogen vor und hinter den schwerfälligen Gepäckwagen, und ehe das graue Zwielicht den Strahlen der Sonne gewichen war, schwenkte sich das Hauptcorps der Streiter in eine Kolonne und verließ das Lager mit einem Anschein militärischen Stolzes, welcher die schlummernden Besorgnisse manches Neulings beschwichtigte, der seine erste Waffenprobe machen sollte. So lange sie im Angesichte ihrer sie bewundernden Kameraden waren, behielten sie dieselbe stolze Haltung, dieselbe Ordnung bei, bis die Töne ihrer Querpfeifen immer mehr verklangen und der Wald endlich die lebendige Masse zu verschlingen schien, welche er eben langsam in seinem Schooß aufgenommen hatte.

Die tiefsten Töne der sich entfernenden und bereits dem Blicke entschwundenen Kolonne erreichten nicht mehr das Ohr der Horcher, und die letzten Nachzügler waren schon den Augen entrückt. Aber immer noch sah man Anstalten zu einer andern Abreise vor einem Blockhause von ungewöhnlichem Umfang und mit größeren Bequemlichkeiten, vor welchem Schildwachen, die, wie man wußte, die Person des englischen Generals zu bewachen hatten, auf- und abgingen. Auf dieser Stelle stand ein Halbdutzend Pferde beisammen, von denen zwei, nach ihrem Sattelzeug zu urtheilen, für Frauen von einem Rang bestimmt zu seyn schienen, den man sonst nicht so weit in den Wildnissen des Landes zu treffen gewohnt war. Ein drittes trug das Geschirr und die Wappen eines Stabsoffiziers, während die andern, mit einfachen Decken und mit Reisetaschen beschwert, offenbar für Diener bestimmt waren, welche bereits der Winke ihrer Herrschaften gewärtig standen. In ehrerbietiger Entfernung von dieser Scene sah man verschiedene Gruppen neugieriger Zuschauer stehen, von denen Einige die Race und den Wuchs des feurigen Schlachtrosses bewunderten, Andere mit der einfältigen Verwunderung gewöhnlicher Neugierde diese Zubereitungen betrachteten. Von letztern unterschied sich jedoch auffallend ein Mann, der weder müßig, noch auch, wie es schien, sehr unwissend war.

Das Aeußere dieses Menschen machte einen höchst ungünstigen Eindruck, ohne daß jedoch eine besondere Mißgestaltung an ihm zu bemerken war. Er hatte alle Gebeine und Gelenke anderer Leute, aber keine Spur von Ebenmaß. Stand er, so überragte er alle Nachbarn, saß er, so schien er wieder auf die gewöhnliche Größe unseres Geschlechts reducirt. Derselbe Widerspruch in den Gliedern schien durch den ganzen Menschen zu herrschen. Sein Kopf war groß; seine Schultern eng; seine Arme lang und schlotternd; seine Hände dagegen klein und fast zart; seine Beine und Schenkel dünn, fast ausgemergelt, aber außerordentlich lang, und seine Knie wären unnatürlich plump erschienen, wenn sie nicht von den breiteren Grundlagen, auf welchen dieser falsche Bau verkehrter menschlicher Ordnungen ruhte, übertroffen worden wären. Der nicht zusammenpassende, geschmacklose Anzug des Individuums diente blos dazu, sein linkisches Wesen noch mehr hervorzuheben. Ein himmelblauer Rock mit kurzen, breiten Schößen und niederem Kragen gab einen langen, dünnen Hals und noch längere, dünnere Beine den schlimmsten Bemerkungen Uebelwollender preis. Seine untere Bekleidung bestand aus gelbem Nankin, der sich dicht am Leibe anschloß und an seinen Ungeheuern von Knieen mit breiten Schleifen weißer Bänder befestigt war, welche durch den Gebrauch ziemlich beschmutzt erschienen. Dunkle, baumwollene Strümpfe und Schuhe, an deren einem ein versilberter Sporn hervorstand, vollendete das Costüm der Niederungen seiner Gestalt: keine Krümmung oder Ecke war davon versteckt, im Gegentheil durch die Eitelkeit oder die Einfalt des Eigenthümers geflissentlich an’s Licht gestellt. Die unförmliche Tasche eines beschmutzten Kamisols von gewirkter Seide, mit verblichenen Silberborten schwerfällig verziert, ließ unter ihrer unförmlichen Klappe ein Instrument blicken, das in solch kriegerischer Umgebung leicht für ein unheilbringendes, unbekanntes Kriegsgeräth hätte genommen werden können. So klein es war, so hatte es doch die Neugierde der meisten Europäer in dem Lager erregt, obgleich man mehrere der Provinzialen dasselbe nicht blos ohne Furcht, sondern auch als etwas ganz Bekanntes handhaben sah. Ein großer, bürgerlicher, Hut, aufgestülpt, wie ihn in den letzten dreißig Jahren die Geistlichen trugen, ruhte über dem Ganzen, und verlieh Würde einem gutmüthigen, etwas leeren Gesicht, das solch künstlicher Hülfe sichtlich bedurfte, um das Gewicht eines hohen und ungewöhnlichen Amtes zu unterstützen.

Während der gemeine Haufe sich in ehrerbietiger Entfernung von Webbs Quartiere hielt, ging unser Mann unbedenklich mitten unter den Dienern umher, indem er Lob oder Tadel über die Pferde ausdrückte, so wie sie ihm mißfielen oder seinen Beifall hatten.

»Freund, ich möchte fast sagen, dieses Thier stammt nicht aus heimischer Zucht, sondern ist aus fremden Landen, vielleicht gar von der kleinen Insel über dem blauen Wasser gekommen?« sprach er in einem Ton, der sich ebensowohl durch seine Milde und Sanftheit, als seine Person durch ihre seltsamen Verhältnisse auszeichnete. »Ich kann von diesen Dingen sprechen, ohne eben zu prahlen: denn ich bin drunten an beiden Häfen gewesen, dem, welcher an der Mündung der Themse liegt und nach der Hauptstadt Altenglands benannt wird, und dem andern, der noch den Beisatz des »Neuen« führt, und hab‘ gesehen, wie die Zweimaster und Brigantinen ihre Heerden, wie man’s einst bei der Arche that, zusammentrieben, da sie nach der Insel Jamaica mußten, um dort mit vierfüßigen Thieren Tausch- und andern Handel zu treiben; aber nie habe ich je ein Thier gesehen, das so sehr dem Schlachtroß in der Bibel gleicht, wie dieses: ›es scharrt in dem Thal und freut sich seiner Stärke: es stürmt heran, um den Geharnischten zu begegnen. Es ruft unter den Trommeten: ha, ha! und riecht die Schlacht von ferne, den Donnerruf der Führer und das Jauchzen.‹ Man sollte meinen, die Rosse Israels hätten sich bis auf unsre Zeit fortgepflanzt, nicht wahr, Freund?«

Als er auf diese ungewöhnliche Anrede, die, mit aller Kraft voller und klangreicher Töne vorgebracht, wohl einige Aufmerksamkeit verdient hätte, keine Erwiederung erhielt, so wandte er, der jene Worte der heiligen Schrift entlehnt hatte, sich an die schweigende Gestalt, die er absichtslos angeredet hatte, und fand einen neuen und mächtigeren Gegenstand der Bewunderung in dem Wesen, das seinem Blicke begegnete. Seine Augen fielen auf die schweigsame, aufrechte und starre Gestalt des indianischen Läufers, der die unwillkommene Nachricht vom vorigen Abend ins Lager gebracht hatte. Obgleich der Wilde, im Zustande vollkommener Ruhe, dem Anschein nach mit charakteristischem Stoicismus die Aufregung und das Geräusch umher nicht beachtete, so lag doch in seiner Ruhe ein mürrischer Trotz, der die Aufmerksamkeit selbst erfahrenerer Augen auf sich gezogen hätte, als diejenigen waren, welche ihn jetzt mit unverholenem Erstaunen betrachteten. Der Eingeborne trug den Tomahawk und das Messer seines Stammes; und doch war sein Aussehen nicht ganz das eines Kriegers. Im Gegentheil sprach sich in seiner Erscheinung eine gewisse Nachlässigkeit aus, wie es schien, die Folge von kürzlicher großer Anstrengung, von der er sich noch nicht ganz erholt haben mochte. Die Farben auf seinem nach Kriegerart bemalten, wilden Gesichte waren in dunkler Verwirrung in einander geflossen und machten seine schwärzlichen Gesichtszüge noch wilder und abstoßender, als wenn die Kunst hervorzubringen versucht hätte, was hier der bloße Zufall gethan. Sein Auge allein, das gleich einem feurigen Stern unter finstern Wolken hervorblitzte, war in seiner natürlichen Wildheit zu schauen. Einen Augenblick nur begegnete sein forschender und doch vorsichtiger Blick dem verwunderten Auge des Andern, wandte sich dann theils aus Schlauheit, theils mit Verachtung ab und stierte dahin, als wollte es die fernen Lüfte durchdringen.

Es läßt sich nicht wohl bestimmen, welche Bemerkung dieser kurze und schweigsame Augenverkehr zwischen zwei so seltsamen Menschen dem weißen Manne entlockt haben würde, wäre nicht seine Neugierde auf andere Gegenstände gerichtet worden. Eine allgemeine Bewegung unter den Dienern und leise Töne zarter Stimmen kündigten die Annäherung derjenigen an, deren Gegenwart allein es bedurfte, um den Zug in Bewegung zu setzen. Der schlichte Bewunderer des Schlachtrufes wich sogleich zu einer kleinen, magern Stute mit langem, dünnem Schwanze zurück, welche das welke Gras des Lagers in der Nähe hin und wieder abweidete. Mit dem Ellbogen auf die Decke gelehnt, die statt des Sattels diente, blieb er hier ein Zuschauer der Abreise, während ein Füllen auf der entgegengesetzten Seite des Thiers ganz ruhig seinen Morgenimbiß einnahm.

Ein junger Mann in der Uniform eines Offiziers führte zwei Damen, welche, nach ihrem Anzug zu urtheilen, im Begriff waren, den Anstrengungen einer Reise in den Wäldern sich zu unterziehen, zu ihren Rossen. Eine, und wie es schien die jugendlichste, obgleich beide noch jung waren, vergönnte einen flüchtigen Blick auf ihr blendend weißes Gesicht, ihr schönes goldenes Haar und ihre lichten blauen Augen, indem sie die Morgenluft den grünen Schleier, der langsam von ihrem Biberhut herabfloß, kunstlos bei Seite wehen ließ. Das Roth, welches noch über den Fichten am westlichen Himmel verweilte, war nicht glühender noch zarter, als die Blüthe ihrer Wangen, und der anbrechende Tag nicht lieblicher, als das seelenvolle Lächeln gegen den Jüngling, der ihr in den Sattel half. Die andere Dame, welche gleichfalls die Aufmerksamkeiten des jungen Offiziers zu theilen schien, verbarg ihre Reize vor dem neugierigen Blicke der Soldateska mit einer Sorgfalt, die sich für vier oder fünf Jahre weiterer Erfahrung besser geschickt hätte. So viel konnte man jedoch sehen, daß sie, obschon von gleich ausgezeichnetem Ebenmaß, das durch ihren Reiseanzug Nichts an Grazie verlor, eher voller und ausgebildeter war, als ihre Begleiterin.

Die Damen saßen nicht sobald zu Pferde, als ihr Begleiter sich leicht in den Sattel seines Schlachtrosses schwang. Alle drei verbeugten sich jetzt gegen Webb, welcher ihren Abgang höflich auf der Schwelle seiner Wohnung erwartete, und ihrer Rosse Häupter wendend, ritten sie in einem langsamen Paß, von ihrer Dienerschaft gefolgt, nach dem nördlichen Eingang der Verschanzungen.

Auf dieser kleinen Strecke ließ sich unter ihnen kein Ton vernehmen: ein leichter Ausruf entfuhr aber der jüngern Dame, als der indianische Läufer unerwartet an ihr vorüberglitt und vor ihnen auf der Heerstraße dahin eilte. Obgleich diese plötzliche und überraschende Erscheinung des Indianers der andern keinen Laut entlockte, so öffnete doch ihr Schleier seine Falten und verrieth einen unbeschreiblichen Blick des Mitleids, der Verwunderung und des Entsetzens, während ihr schwarzes Auge den leichten Bewegungen des Wilden folgte. Die Locken dieser Lady waren glänzend schwarz, gleich dem Gefieder des Raben. Ihre Gesichtsfarbe war nicht braun, sondern eher in die Farbe des reichlichen Blutes getaucht, das seine Gränzen zu durchbrechen drohte. Und doch war hier nichts Unedles, kein Mangel an Schattirung in einem Gesichte, das ungemein regelmäßig, würdevoll und ausnehmend schön genannt werden konnte. Sie lächelte, als bemitleidete sie ihre eigene augenblickliche Vergeßlichkeit und entdeckte dabei eine Reihe Zähne, die das reinste Elfenbein beschämt haben würden, worauf sie, ihren Schleier wieder zurecht bringend, ihr Gesicht vorwärts beugte, und stillschweigend dahinritt, wie Jemand, dessen Gedanken von der ihn umgebenden Scene abgezogen sind.

Achtundzwanzigstes Kapitel.

Achtundzwanzigstes Kapitel.

Nur kurz, ich bitte euch; Ihr seht, ich habe viel zu thun.
Viel Lärmen um Nichts.

Der Stamm oder vielmehr Halbstamm der Delawaren, den wir schon so oft erwähnt haben, und dessen Lagerplatz so nahe bei dem jetzigen Wohnorte der Huronen war, konnte ungefähr die gleiche Anzahl Krieger versammeln wie das letztere Volk. Gleich ihren Nachbaren waren sie Montcalm auf das Gebiet der englischen Krone gefolgt und machten ernstliche und drückende Einfälle in die Jagdgründe der Mohawks, obgleich sie mit der bei den Eingebornen so häufigen geheimnißvollen Zurückhaltung für gut fanden, ihren Beistand gerade da zu versagen, wo er am willkommensten gewesen wäre. Die Franzosen hatten sich diesen unerwarteten Abfall eines Theils ihrer Verbündeten auf verschiedene Weise erklärt. Die vorherrschende Meinung war jedoch, daß es aus Ehrfurcht vor einem alten Vertrage geschehen sey, kraft dessen sie einst von den sechs Nationen Schutz im Kriege erhielten, und somit jetzt nicht gerne ihren früheren Herren feindlich gegenüber getreten wären. Der Stamm selbst hatte sich begnügt, Montcalm durch seine Abgesandten mit indianischer Kürze zu verkünden, ihre Streitäxte seyen stumpf; es bedürfe Zeit, sie wieder zu schärfen. Der staatskluge Befehlshaber von Canada hielt es für gerathener, nachzugeben, um einen unthätigen Freund zu erhalten, als ihn durch Maßregeln einer übel angewandten Strenge zum offenen Feinde zu machen.

An dem Morgen, an welchem Magua seinen schweigsamen Trupp auf die vorbeschriebene Weise von der Biberkolonie nach dem Walde führte, beschien die über dem Delawarenlager aufgehende Sonne ein geschäftiges Volk, eifrig in Anspruch genommen von den gewöhnlichen Vorbereitungen für den Mittag. Die Weiber rannten von Hütte zu Hütte, die Einen ihren Morgenimbiß bereitend, Andere eifrig daran, ihren Anzug zu vervollständigen, die meisten aber in hastigem Flüstern mit ihren Freundinnen.

Die Krieger standen unthätig in Gruppen beisammen, mehr nachdenksam, als gesprächig, und wenn je ein Paar Worte fielen, so geschah es im Tone von Männern, die ihre Meinung zuvor gehörig erwogen haben. Die Jagdgeräthe lagen in Menge zwischen den Hütten; aber Niemand schickte sich an, sie zu benützen. Hier und da prüfte ein Krieger seine Waffen mit einer Aufmerksamkeit, wie sie selten vorkommt, wenn man keinem andern Feinde, als dem Thiere des Waldes begegnen will. Gelegentlich hefteten sich die Augen einer ganzen Gruppe auf eine große, stille Hütte mitten im Dorfe, als ob sie den Gegenstand ihrer gemeinsamen Gedanken in sich schlöße.

Während dieser Scene erschien plötzlich an dem äußersten Ende des Felsengrundes, der die Fläche des Dorfes bildete, die Gestalt eines Mannes. Er war unbewaffnet, und seine Bemalung war eher darauf berechnet, den natürlichen Ausdruck seiner strengen Züge zu mildern, als zu erhöhen. Sobald er von den Delawaren gesehen werden konnte, blieb er stehen und machte ein Zeichen der Freundschaft, indem er den Arm gen Himmel emporwarf und dann bedeutungsvoll auf die Brust sinken ließ. Die Bewohner des Dorfes erwiederten seinen Gruß mit einem leisen Gemurmel des Willkomms und munterten ihn durch ähnliche Zeichen freundlicher Gesinnung auf, näher zu kommen. Ermuthigt durch diese Zusicherungen verließ die dunkle Gestalt den Rand der natürlichen Felsenterrasse, wo sie einen Augenblick verweilt hatte, in dunkeln Umrissen gegen den sich röthenden Morgenhimmel gezeichnet, und trat würdevoll mitten in den Umkreis der Hütten. Während der Mann sich näherte, hörte man Nichts, als das Klirren der kleinen silbernen Zierrathen, die Hals und Arm schmückten, und das Klingen der Glöckchen, die seine hirschledernen Moccasins umgaben. Mit aufmerksamer Achtung grüßte er die Männer, an denen er vorüberging, ohne die Weiber zu beachten, als hielte er ihre Gunst in der Angelegenheit, die ihn herführte, für durchaus unwichtig. Als er die Gruppe erreicht hatte, die augenscheinlich, nach der Hoheit der Mienen zu schließen, die angesehensten Häuptlinge vereinigte, hielt der Fremde inne, und die Delawaren erkannten nun in der rüstigen, hohen Gestalt vor ihnen den wohlbekannten Huronenhäuptling Le Renard Subtil.

Der Empfang war ernst, schweigsam, gemessen. Die vorne stehenden Krieger traten bei Seite, ihrem bewährtesten Redner Bahn öffnend, einem Manne, aller Sprachen mächtig, die unter den nördlichen Ureinwohnern gepflegt wurden.

»Der weise Hurone ist willkommen,« begann der Delaware in der Sprache der Maquas; »er ist gekommen, Succatusch mit seinen Brüdern von den Seen zu essen.«

»Er ist gekommen,« wiederholte Magua, sein Haupt mit der Würde eines morgenländischen Fürsten neigend.

Der Häuptling reckte den Arm aus, nahm den Anderen bei der Hand und neue Freundschaftsbezeigungen wurden gewechselt. Dann lud der Delaware den Gast ein, in seine eigene Hütte zu treten und sein Morgenmahl zu theilen. Die Einladung wurde angenommen, die beiden Krieger, von drei oder vier älteren Männern begleitet, entfernten sich langsam, indeß die übrigen Delawaren vor Begierde brannten, den Grund eines so ungewöhnlichen Besuches kennen zu lernen, und doch weder durch Zeichen, noch durch Worte die geringste Ungeduld verrathen mochten.

Während des kurzen und mäßigen Mahles spann sich die Unterhaltung äußerst umsichtig fort und berührte allein die Ereignisse der Jagd, auf welcher Magua vor Kurzem begriffen gewesen war. Selbst Männer von der feinsten Bildung hätten sich nicht besser denn seine Wirthe, das Ansehen zu geben vermocht, als betrachteten sie Magua’s Besuch als etwas ganz Unverfängliches, obgleich jeder Anwesende vollkommen überzeugt war, es liege ihm eine versteckte Absicht zu Grunde, die sicher von Wichtigkeit für sie selbst sey. Nachdem Aller Eßlust befriedigt war, entfernten die Squaws die hölzernen Teller und Kürbisflaschen, und beide Parteien schickten sich an, die Waffen ihres Scharfsinns auf eine Hauptprobe zu stellen.

»Ist das Antlitz meines großen Canadavaters wieder seinen Kindern, den Huronen, zugewendet?« fragte der Sprecher der Delawaren.

»Wann war es anders?« entgegnete Magua. »Er nennt mein Volk vielgeliebt.«

Der Delaware gab mit einer Verbeugung zu, was er als falsch erkennen mußte, und fuhr fort:

»Die Tomahawks Eurer jungen Krieger sind sehr roth geworden?«

»So ist es; aber sie sind jetzt blank und stumpf: denn die Yengeese sind todt, und die Delawaren unsere Nachbarn.«

Der Delaware erwiederte diese friedeverkündende Artigkeit mit einer Bewegung der Hand und schwieg. Magua, als würde er erst durch die Anspielung auf das Blutbad wieder daran erinnert, fragte:

»Macht die Gefangene meinen Brüdern Beschwerde?«

»Sie ist willkommen.«

»Der Pfad zwischen den Huronen und den Delawaren ist kurz und offen; sendet sie an meine Squaws, wenn sie meinem Bruder lästig fällt.«

»Sie ist willkommen,« erwiederte der Häuptling der andern Nation mit größerem Nachdruck.

Magua, in leichter Verwirrung, blieb einige Minuten still, anscheinend in völliger Gleichgültigkeit darüber, daß sein erster Versuch, Cora wieder zu gewinnen, scheiterte. »Lassen meine jungen Krieger den Delawaren Raum auf den Bergen für ihre Jagden?« fuhr er endlich fort.

»Die Lenapen sind Herren ihrer eigenen Berge!« versetzte der Andere etwas stolz.

»Es ist gut. Gerechtigkeit ist die Lenkerin der Rothhäute! Warum sollten sie gegen einander ihre Tomahawks schärfen und ihre Messer wetzen? Sind nicht der Blaßgesichter mehr als der Schwalben in der Blüthezeit?«

»Gut!« riefen zwei oder drei seiner Zuhörer zu gleicher Zeit.

Magua wartete ein wenig, bis seine Worte die Delawaren etwas milder gestimmt hatten, und fügte dann hinzu:

»Sind nicht fremde Moccasins in den Wäldern gewesen? Haben meine Brüder nicht die Fußtritte weißer Männer getroffen?«

»Möge unser Canadavater kommen,« antwortete der Andere ausweichend, »seine Kinder sind bereit ihn zu sehen.«

»Wenn der große Häuptling kommt, so geschieht es, mit den Indianern in ihren Wigwams zu rauchen. Die Huronen sagen ebenso: er ist willkommen. Aber die Yengeese haben lange Arme und Beine, die nie ermüden! Meinen jungen Männern träumte, sie hätten die Spur der Yengeese nahe an dem Lager der Delawaren gesehen!«

»Sie werden die Lenapen nicht schlafend finden.«

»Es ist gut. Der Krieger, dessen Auge offen ist, kann seinen Feind sehen,« sagte Magua, und suchte einen anderen Boden zu gewinnen, als er sich außer Stande sah, die Vorsicht seines Gegenmanns zu durchdringen.

»Ich habe meinem Bruder Geschenke gebracht. Seine Nation wollte nicht den Kriegspfad gehen, weil sie es nicht für geeignet hielt; aber ihre Freunde haben seiner Wohnungen gedacht!«

Als der schlaue Häuptling auf diese Weise seine freigebige Absicht verkündet hatte, stand er auf und breitete mit würdevollem Ernste vor den geblendeten Augen seiner Wirthe die Geschenke aus. Sie bestanden hauptsächlich in Schmuckwaaren von geringem Werthe, den erschlagenen Frauen von William Henry abgenommen. Die Vertheilung dieser Kleinigkeiten machte der Klugheit des Huronen nicht weniger Ehre, als ihre Auswahl. Während er das Werthvollere den zwei ausgezeichnetsten Häuptlingen übergab, von denen einer sein Wirth war, würzte er seine Gaben an die Geringeren mit so gut angebrachten, treffenden Schmeichelreden, daß auch sie sich nicht beklagen durften. Kurz, bei der ganzen Ceremonie wußte er Freigebigkeit und Schmeichelei so glücklich zu verbinden, daß der Geber in den Augen der Empfänger alsbald die Wirkung einer Großmuth erkannte, die er so geschickt an Lobsprüche geknüpft hatte.

Dieser wohlberechnete Kunstgriff von Seiten Magua’s blieb nicht ohne augenblickliche Resultate. Der Ernst der Delawaren ging in einen Ausdruck von Herzlichkeit über; und Magua’s Wirth insbesondere wiederholte, seinen reichlichen Antheil an der Beute einige Augenblicke mit besonderem Wohlgefallen betrachtend, mit großem Nachdruck die Worte:

»Mein Bruder ist ein weiser Häuptling. Er ist willkommen!«

»Die Huronen lieben ihre Freunde, die Delawaren,« versetzte Magua. »Warum sollten sie nicht? Dieselbe Sonne hat sie gefärbt, und ihre gerechten Männer werden nach dem Tode in denselben Jagdgründen jagen. Die Rothhäute sollten Freunde seyn und mit offenen Augen auf die weißen Männer schauen. Hat mein Bruder keinen Kundschafter in den Wäldern aufgespürt? –

Der Delaware, dessen Name Hartherz bedeutete, eine Benennung, welche die Franzosen in Le Coeur dur übersetzt hatten, vergaß seines festen hartnäckigen Sinnes, der ihm wahrscheinlich einen so bezeichnenden Namen verschafft haben mochte. Seine Miene verlor merklich an Ernst und er vermochte es über sich, deutlicher zu antworten. »Fremde Moccasins sind um mein Lager gewesen; ihre Spur reichte bis an meine Hütten.«

»Hat mein Bruder die Hunde hinausgejagt?« fragte Magua, ohne auf die frühere Zweideutigkeit in der Antwort des Häuptlings zu achten.

»Das ging nicht an. Der Fremde ist den Kindern der Lenapen stets willkommen.«

»Der Fremde, aber nicht der Spion!«

»Schicken die Yengeese ihre Weiber als Spionen? Sagte nicht der Huronenhäuptling, er habe Weiber in der Schlacht zu Gefangenen gemacht?« –

»Er hat keine Lüge gesprochen. Die Yengeese haben ihre Kundschafter ausgesendet. Sie sind in meinen Wigwams gewesen, haben aber seinen Willkomm gefunden: dann flohen sie zu den Delawaren – denn, sagen sie, die Delawaren sind unsre Freunde; ihre Gemüther sind unserem Canadavater entfremdet!«

Diese Wendung, die in das Herz traf, zeigte den Meister und hätte Magua in gebildeteren Kreisen der Gesellschaft den Ruf eines geschickten Diplomaten verdient. Der neuerliche Abfall ihres Stammes hatte den Delawaren, wie sie selbst wohl wußten, viele Vorwürfe von Seiten ihrer französischen Verbündeten zugezogen, und sie mußten jetzt fühlen, daß ihre künftigen Schritte mit Eifersucht und Mißtrauen bewacht werden würden. Es bedurfte keiner tiefen Einsicht in Ursache und Wirkung, um vorauszusehen, daß eine solche Lage der Dinge ihren künftigen Bewegungen höchst nachtheilig werden konnte. Ihre entfernten Dörfer, ihre Jagdreviere und Hunderte von Weibern und Kindern, selbst ein wesentlicher Theil ihrer Streitkräfte, befanden sich augenblicklich innerhalb der Gränzen des französischen Gebiets. So wurde diese beunruhigende Kunde, wie Magua beabsichtigte, mit offenbarer Mißbilligung, wo nicht mit Bestürzung aufgenommen.

»Mein Vater blicke in mein Gesicht,« sprach Le Coeur dur, »er wird keinen Wechsel finden. Es ist wahr, meine jungen Krieger gingen nicht auf dem Kriegspfade; sie hatten Träume, die es ihnen verwehrten. Aber sie lieben und verehren den großen weißen Häuptling.«

»Wird Er so denken, wenn er hört, daß sein größter Feind in dem Lager seiner Kinder genährt wird? – Wenn man ihm erzählt, daß ein blutdürstiger Yengee an eurem Feuer raucht? daß das Blaßgesicht, welches so viele seiner Freunde erschlagen hat, bei den Delawaren aus und eingeht? Geht – mein großer Canadavater ist kein Thor!«

»Wo ist der Yengee, den die Delawaren fürchten?« entgegnete der Andere; »wer hat meine jungen Männer erschlagen? Wer ist der Todfeind meines großen Vaters?«

»La longue Carabine!« Die Delawarenkrieger schracken bei dem wohlbekannten Namen auf und verriethen durch ihr Erstaunen, wie sie jetzt erst erfuhren, daß ein unter den indianischen Verbündeten Frankreichs so vielgerühmter Krieger sich in ihrer Gewalt befinde,

»Was meint mein Bruder?« fragte Le Coeur dur in einem Tone der Ueberraschung, der weit über die sonstige Gleichgültigkeit seines Volkes ging.

»Ein Hurone lügt nie!« entgegnete Magua kalt, sein Haupt an die Wand der Hütte lehnend und sein leichtes Gewand über die sonngebräunte Brust ziehend, »Wenn die Delawaren ihre Gefangenen zählen, so werden sie Einen finden, dessen Haut weder roth noch blaß ist.«

Eine lange Pause des Nachdenkens folgte. Der Häuptling berieth sich zur Seite mit seinen Gefährten, und Boten wurden ausgesandt, um noch andere ausgezeichnete Männer des Stammes herbeizuholen.

Ein Krieger nach dem andern kam heran und wurde mit der wichtigen Nachricht, welche Magua eben mitgetheilt hatte, bekannt gemacht. Alle nahmen sie mit einem Ausdrucke der Verwunderung und dem gewöhnlichen leisen, tiefen Kehllaute auf. Die Neuigkeit lief von Mund zu Mund, bis das ganze Lager in mächtiger Aufregung war. Die Frauen stellten ihre Arbeiten ein, um die wenigen Sylben, welche den berathenden Kriegern unwillkührlich entfielen, aufzuhaschen. Die Knaben verließen ihre Spiele, gingen furchtlos unter ihren Vätern umher und schauten mit neugieriger Verwunderung auf, wenn sie kurze Ausrufe des Erstaunens über die Tollkühnheit des Verhaßten Feindes vernahmen, die sich ohne Scheu hören ließen. Mit einem Worte, jede Beschäftigung wurde verlassen, Alles bei Seite gesetzt, damit der ganze Stamm nach seiner eigenthümlichen Weise sich den neuen Eindrücken ungestört hinzugeben vermöchte.

Als die Aufregung sich ein wenig gelegt hatte, waren die Alten darauf bedacht, ernstlich zu erwägen, was unter so mißlichen und verwickelten Verhältnissen die Ehre und Sicherheit des Stammes verlange. Während aller dieser Vorgänge und mitten in der allgemeinen Bewegung hatte Magua nicht nur seinen Sitz, sondern auch seine ursprüngliche Stellung behauptet: er lehnte sich an eine Wand der Hütte, so regungslos und scheinbar gleichgültig, als ob ihn das Ergebniß der Berathung gar nicht berühre. Gleichwohl entging seinem wachsamen Auge kein Merkmal für die künftigen Absichten seiner Wirthe. Vollkommen vertraut mit dem Charakter des Volkes, mit welchem er zu thun hatte, erkannte er jede Maßregel, die sie beriethen, voraus; ja man konnte beinahe sagen, er durchschaute in manchen Fällen ihre Absicht, ehe sie ihnen selbst deutlich war.

Die Berathung der Delawaren war kurz. Als sie geendet hatten, verkündete eine allgemeine Bewegung, daß ihr unmittelbar eine feierliche und förmliche Versammlung des ganzen Stamme folgen würde. Da eine solche höchst selten und nur in Fällen von der äußersten Wichtigkeit zusammen berufen wurde, so erkannte der schlaue Hurone, der bisher immer noch allein saß, ein finsterer Beobachter des Geschehenden, – daß nun alle seine Plane zu ihrer endlichen Entscheidung kommen müßten. Er verließ daher die Hütte und schritt schweigend dem Platze vor dem Lager zu, wo sich bereits die Krieger zu versammeln begannen.

Es mochte eine halbe Stunde vergangen seyn, bis Alle, Weiber und Kinder mit eingeschlossen, ihre Stelle eingenommen hatten. Dieser Verzug mochte seine Erklärung in den ernsten Vorbereitungen finden, die man für eine so feierliche und ungewöhnliche Berathung nöthig glaubte. Als die Sonne aber über die Gipfel des Berges emporstieg, an dessen Fuße die Delawaren ihr Lager erbaut hatten, saßen die Meisten; und als ihre glänzenden Strahlen durch die Umrisse der die Anhöhe umsäumenden Bäume brachen, fielen sie auf eine von der tiefsten Theilnahme ergriffene Menge, so ernst, so aufmerksam, als nur je eine von ihren Morgenstrahlen beleuchtet wurde. Ihre Zahl betrug etwas über tausend Seelen.

Bei einer Versammlung so ernst gestimmter Wilden trifft es sich nie, daß ein Mitglied in ungeduldigem Streben nach vorzeitiger Auszeichnung die Zuhörer in eine übereilte und vielleicht unbesonnene Erörterung fortreißt, um seinen eigenen Ruhm zum Sieger zu machen. Eine solche anmaßende Voreiligkeit würde ein frühreifes Talent mit einemmal und für immer zu Grunde richten. Den ältesten und erfahrensten Männern des Volkes allein blieb es vorbehalten, den Gegenstand der Berathung dem Stamme vorzulegen. Ehe ein solcher für gut gefunden hatte, eine Anregung zu geben, konnten weder Waffenthaten, noch natürliche Talente, noch Rednerruhm die geringste Unterbrechung entschuldigen. Bei dem nun vorliegenden Falle blieb selbst der betagte Krieger, der das Vorrecht zu sprechen hatte, still, wie bewältigt von der Wichtigkeit des Gegenstandes. Bereits weit länger als gewöhnlich hatte die Pause des Nachdenkens gedauert, die solchen Berathungen voranzugehen pflegt: aber selbst dem jüngsten Knaben entschlüpfte kein Zeichen der Ungeduld oder Verwunderung. Von Zeit zu Zeit schaute ein Auge von der Erde empor, auf welche die Blicke der Meisten geheftet waren, und streifte nach einer einzelnen Hütte, die sich jedoch von den andern um sie her durch Nichts, als durch die Sorgfalt unterschied, mit der man sie gegen die Anfälle der Witterung geschützt hatte.

Endlich ließ sich ein dumpfes Gemurmel vernehmen, wie es so geeignet ist, eine größere Volksmenge aufzuregen, und der ganze Stamm erhob sich wie durch gemeinsamen Antrieb. Alsbald öffnete sich die Thür der fraglichen Hütte, drei Männer traten heraus und nahten sich langsam dem Platze der Berathung. Sie waren alle betagt, sogar älter als die Bejahrtesten der Anwesenden: aber der Eine in ihrer Mitte, der sich auf seine Gefährten stützte, hatte eine Reihe von Jahren erlebt, wie sie dem Menschen nur selten vergönnt wird. Seine Gestalt, einst aufrecht und stolz, gleich der Zeder, wankte jetzt unter der Bürde von mehr als einem Jahrhunderte. Der leichte, elastische Tritt des Indianers war bei ihm verschwunden: mühsam und beschwerlich konnte er nur Zoll für Zoll von seinem Wege zurücklegen. Sein dunkles runzelvolles Gesicht bildete einen seltsamen, wilden Kontrast mit den langen, weißen Locken, die über seine Schultern fielen und in ihrer Fülle verkündeten, daß vielleicht Generationen hingegangen waren, seit sie zum letzten Mal abgeschnitten worden.

Der Anzug dieses Patriarchen – denn so konnte man ihn in Betracht seines hohen Alters, seiner großen Verwandtschaft unter dem Volke, und seines Einflusses mit allem Fug nennen – war reich und Ehrfurcht gebietend, obgleich der einfachen Sitte des Stammes ganz angemessen. Seine Bekleidung bestand aus den schönsten Fellen, die man ihres Pelzes beraubt hatte, um Raum für eine sinnbildliche Darstellung seiner Kriegsthaten in vergangenen Zeiten zu gewinnen. Seine Brust war überdeckt mit Denkmünzen, einige von massivem Silber, wenige sogar von Gold, Geschenke, die er im Laufe seines langen Lebens von verschiedenen christlichen Herrschern empfangen hatte. Er trug ferner Armbänder und Spangen um die Knöcheln der Füße aus demselben Metall. Sein Haupt, auf welchem ringsumher das Haar frei wuchs, da er so lange schon das Kriegsleben verlassen hatte, umschloß eine Art Diadem von Silber, mit minder werthvollen aber blinkenden Zierrathen geschmückt, aus welchen drei glänzende Straußenfedern niederwallten und in ihrem tiefen Schwarz einen auffallenden Contrast mit seinem schneeweißen Lockenhaar bildeten. Sein Tomahawk war mit Silber beinahe überdeckt, und der Griff seines Messers schimmerte wie ein Horn von lauterem Golde.

Sobald sich die erste freudige Aufregung über das unerwartete Erscheinen dieses verehrten Mannes ein wenig gelegt hatte, hörte man den Namen »Tamenund« von Mund zu Mund flüstern. Oft hatte Magua den Ruhm dieses weisen und gerechten Delawarenhäuptlings preisen hören; einen Ruhm, der so weit ging, daß man ihm die seltene Glücksgabe geheimen Umgangs mit dem großen Geiste zuschrieb, eine Meinung, die seinen Namen sogar, mit geringer Veränderung, als den vermeintlichen Schutzheiligen eines großen Reiches bis auf die weißen Usurpatoren seines alten Gebiets gebracht hat. Der Huronenhäuptling eilte daher hastig aus dem Gedränge hervor, nach einer Stelle, von wo aus er die Züge des Mannes näher ins Auge fassen konnte, dessen entscheidende Stimme einen so wesentlichen Einfluß auf seine eigene Angelegenheit haben sollte.

Die Augen des Greises waren geschlossen, als wären sie müde, das selbstsüchtige Treiben menschlicher Leidenschaft so lange mitangesehen zu haben. Die Farbe seiner Haut war verschieden von dem Aussehen der meisten Indianer um ihn her; sie war tiefer und dunkler, was von den feinen labyrinthischen Umrissen vieler verschlungenen und doch regelmäßigen Figuren herrühren mochte, die durch Tättowiren seinem ganzen Körper eingezeichnet waren. Ungeachtet der in die Augen fallenden Stellung des stumm beobachtenden Huronen ging er an Magua vorüber, ohne ihn zu beachten und schritt, auf seine ehrwürdigen Begleiter gestützt, der erhöhten Stelle zu, wo er sich mit der Würde eines Monarchen und der Miene eines Vaters mitten unter seinem Volke niederließ.

Nichts ging über die Ehrfurcht und Liebe, womit dieser unerwartete Besuch, der eher einer anderen Welt anzugehören schien, von dem Volke aufgenommen ward. Nach einer anstandvollen Pause erhoben sich die angesehensten Häuptlinge, traten vor den Patriarchen und legten ehrerbietig seine Hände auf ihre Häupter, als wollten sie seinen Segen erbitten. Die jüngeren Männer begnügten sich, sein Kleid zu berühren oder sich ihm nur zu nähern, um in derselben Luft mit dem so betagten, gerechten und tapferen Manne zu athmen. Aber nur die ausgezeichnetsten jungen Krieger wagten das Letztere zu thun: die große Masse der Versammelten fühlte sich glücklich genug, auch nur die Erscheinung eines so hochverehrten und innig geliebten Mannes schauen zu dürfen. Sobald dieser Tribut der Zuneigung und Ehrfurcht dargebracht war, traten die Häuptlinge wieder auf ihre Plätze zurück und tiefes Schweigen herrschte in dem ganzen Lager.

Bald aber erhoben sich einige junge Krieger, die von einem der betagten Begleiter Tamenund’s in der Stille ihre Weisung erhalten hatten, verließen die Versammlung und begaben sich nach der Hütte, welche den ganzen Morgen her Gegenstand so vieler Aufmerksamkeit gewesen war. In wenigen Minuten erschienen sie wieder, die Fremden nach dem Sitze des Gerichts geleitend, welche Ursache aller dieser feierlichen Vorbereitungen waren. Die Menge öffnete eine Gasse und als der Zug eingetreten war, schloßen sich die Reihen wieder, in weitem Halbrunde einen dichten Gürtel menschlicher Leiber bildend.

Neunundzwanzigstes Kapitel.

Neunundzwanzigstes Kapitel.

Die Völker saßen, auf Achilles stand
Und zu der Fürsten Führer so sich wandt‘.
Pope’s Iliade.

Die erste unter den Gefangenen war Cora, die in zärtlicher Schwesterliebe ihren Arm in den Alicens geschlungen hatte. Trotz der furchtbaren, drohenden Umgebung von Wilden auf allen Seiten konnte keine Sorge um ihr eigenes Schicksal das hochsinnige Mädchen abhalten, ihre Augen unverwandt auf die blassen und ängstlichen Züge der zitternden Alice zu heften. Dicht an ihrer Seite stand Heyward, der in einem solchen Augenblicke ängstlicher Ungewißheit mit einer Theilnahme auf beide Gefährtinnen blickte, die seiner Liebe für Alice kaum ein Uebergewicht ließ, Hawk-eye hatte sich ein wenig mehr in den Hintergrund gestellt, einer Achtung für den höhern Rang seiner Gefährten folgend, die selbst die Gleichheit ihrer jetzigen Lage ihn nicht vergessen lassen konnte. Uncas war nicht zugegen.

Als wieder Stille hergestellt war, erhob sich nach der gewohnten, langen, eindrucksvollen Pause einer der bejahrten Häuptlinge, die an der Seite des Patriarchen saßen, und fragte in sehr verständlichem Englisch mit lauter Stimme:

»Welcher von meinen Gefangenen ist La longue Carabine

Weder Duncan, noch der Kundschafter antwortete. Ersterer aber ließ seine Augen über die dunkle, schweigsame Versammlung laufen und fuhr einen Schritt zurück, als er auf Magua´s boshaftes Angesicht traf. Er sah mit einem Male, daß der tückische Wilde seine Hand bei ihrer Anklage vor dem Stamme mit im Spiele habe, und war alsbald entschlossen, der Ausführung seiner verderblichen Plane jedes mögliche Hinderniß in den Weg zulegen. Ein Beispiel des schnellen Rechtsverfahrens der Indianer war noch ganz frisch in seiner Erinnerung und er fürchtete, sein Gefährte möchte für ein zweites ausersehen seyn. Da ihm dieser entscheidende Augenblick wenig oder keine Zeit zur Ueberlegung ließ, war er schnell bestimmt, seinen unschätzbaren Freund zu schirmen, welche Gefahr auch auf ihn fallen möchte. Ehe er jedoch Zeit zu sprechen hatte, wurde dieselbe Frage lauter und mit klarerem Ausdruck wiederholt.

»Gebt uns Waffen,« antwortete der junge Mann stolz, »und laßt uns in jene Wälder dort gehen. Unsere Thaten sollen für uns sprechen.« »Das ist der Krieger, dessen Name unsere Ohren erfüllt hat!« sprach der Häuptling, Heyward mit jener neugierigen Theilnahme betrachtend, die so natürlich ist beim Anblick eines Mitmenschen, den Verdienste oder Zufall, Tugenden oder Verbrechen berühmt gemacht haben. »Was hat den weißen Mann in das Lager der Delawaren geführt?«

»Meine Noth. Ich kam um Nahrung, Obdach und Freunde.«

»Das kann nicht seyn, die Wälder sind voll von Wild. Das Haupt eines Kriegers bedarf keines Obdachs, als des unbewölkten Himmels; und die Delawaren sind die Feinde und nicht die Freunde der Yengeese. Geh – dein Mund hat gesprochen, aber dein Herz sagte Nichts.«

Duncan, ein wenig verlegen, wie er fortfahren sollte, schwieg; der Kundschafter aber, welcher aufmerksam die ganze Zeit über zugehört hatte, trat muthig hervor und erwiederte:

»Daß ich auf den Ruf La longue carabine nicht antwortete, hatte seinen Grund nicht in Scham oder in Furcht: denn weder die eine, noch die andere ziemt dem Manne von Ehre. Aber ich gestehe den Mingos nicht das Recht zu, dem einen Namen zu geben, dessen Freunde seiner Gaben in diesem Betreff nicht uneingedenk geblieben sind; zudem ist ihr Name eine Lüge; mein Wildtödter ist ein gezogenes Rohr und kein Carabiner. Ich bin der Mann, der von seiner Verwandtschaft den Namen Nathanael erhalten hat, den Ehrennamen Hawk-eye von den Delawaren, die an ihrem eignen Flusse leben: der Mann endlich, den die Irokesen, ohne alle Gewähr von mir, der doch am meisten dabei betheiligt ist, ›die lange Büchse‹ zu betiteln sich erlaubt haben.«

Die Augen aller Anwesenden, welche bisher Duncan’s Person mit ernstem Blicke gemessen hatten, wandten sich nun augenblicklich auf die aufrechte, eisenfeste Gestalt des neuen Prätendenten für jene ausgezeichnete Benennung. Es fiel keineswegs auf, daß sich zwei Individuen fanden, welche eine so hohe Ehre anzusprechen Miene machten: denn Betrüger waren unter den Eingebornen, wenn auch selten, doch nicht unbekannt. Aber dennoch war es wesentlich für den gerechten und strengen Sinn der Delawaren, hier jeden Irrthum zu zerstören. Einige ihrer älteren Männer gingen bei Seite mit sich zu Rathe und schienen bald entschlossen, ihren Besucher darüber zu befragen.

»Mein Bruder hat gesagt, eine Schlange sey in mein Lager gekrochen,« sprach der Häuptling zu Magua, »welchen meinte er damit?«

Der Hurone deutete auf den Kundschafter.

»Will ein weiser Delaware einem kläffenden Wolfe Glauben schenken?« rief Duncan, noch mehr überzeugt von den schlimmen Absichten seines alten Feindes. »Ein Hund lügt niemals; wann aber hat man einen Wolf die Wahrheit sprechen hören?«

Die Augen Magua´s sprühten Feuer; aber schnell besann er sich, wie nothwendig es sey, Geistesgegenwart zu behaupten, und wandte sich mit der Miene stillen Unwillens ab, versichert, daß der Scharfsinn der Indianer die Wahrheit in der Streitsache bald entdecken würde. Er täuschte sich nicht: nach einer zweiten kurzen Berathung kehrte sich der behutsame Delaware wieder zu ihm und theilte, wiewohl in den gewähltesten Ausdrücken, den Entschluß der Häuptlinge mit.

»Mein Bruder ist ein Lügner genannt worden,« sprach er, »und seine Freunde sind darob erzürnt. Sie wollen zeigen, daß er die Wahrheit gesprochen hat. Gebt meinen Gefangenen Gewehre, und lasset sie zeigen, welcher der Mann ist.«

Magua stellte sich, als nähme er dieses Auskunftsmittel für eine Artigkeit, obgleich er wohl wußte, daß nur Mißtrauen gegen ihn zu Grunde liege, und machte eine Geberde der Zustimmung: wohl damit zufrieden, daß ein so geschickter Schütze, wie der Kundschafter, seine Wahrhaftigkeit zu erhärten bestimmt war.

Die streitenden Freunde erhielten alsbald ihre Waffen, mit der Weisung, über den Häuptern der sitzenden Menge hinweg nach einem irdenen Gefäße zu schießen, das zufällig etliche und sechzig Schritte von der Stelle, wo sie standen, auf einem Baumstamme lag.

Heyward lächelte bei sich über dem Gedanken eines Wettkampfes mit dem Kundschafter, obgleich fest entschlossen in der Täuschung zu beharren, bis er die wahre Absicht Magua’s kenne. Er hob seine Büchse mit der größten Achtsamkeit empor, zielte zu drei wiederholten Malen und feuerte. Die Kugel zerriß das Holz wenige Zoll von dem Gefäß und ein allgemeiner Ruf des Beifalls verkündete, daß man den Schuß als einen Beweis von großer Geschicklichkeit im Gebrauche der Waffe ansehe. Selbst Hawk-eye nickte mit dem Kopf, als wollte er sagen, es sey besser gegangen, als er erwartet. Statt sich aber zu dem beabsichtigten Wettstreite mit dem glücklichen Schützen fertig zu machen, lehnte er sich länger als eine Minute auf seine Büchse, als sey er gänzlich in Gedanken begraben. Aus diesen Träumereien ward er jedoch von einem der jungen Indianer aufgestört, der die Waffen gebracht hatte. Dieser berührte seine Schulter und sprach in ausnehmend gebrochenem Englisch:

»Kann das Blaßgesicht besser machen?«

»Ja, Hurone!« rief der Kundschafter, seine kurze Büchse mit der Rechten erhebend und sie gegen Magua mit einer Leichtigkeit schwingend, als ob es ein Rohr wäre; »ja, Hurone, ich könnte dich jetzt treffen, und keine Macht der Erde könnte die That hindern. Der kreisende Falke ist der Taube nicht gewisser, als ich deiner in diesem Augenblicke bin, wollte ich dir meine Kugel durch das Herz jagen! Warum sollt‘ ich’s nicht? Warum? Weil meine Farbe mir’s nicht zuläßt, und ich über zarte, unschuldige Wesen Unheil herabrufen könnte! Wenn du ein Wesen kennst, wie Gott, so danke ihm in deinem innersten Herzen – du hast allen Grund dazu!«

Die wutherglühte Miene, das grimmige Auge und die schwellende Gestalt des Kundschafters brachte einen Eindruck stiller Ehrfurcht auf die Hörer hervor. Die Delawaren hielten vor Erwartung den Athem an: aber Magua blieb, wiewohl er der Schonung seines Feindes mißtraute, ruhig und unbeweglich stehen, wo ihn die Menge in dem Gedränge festhielt, als sey er mit der Erde verwachsen.

»Besser machen!« wiederholte der junge Delaware, an der Seite des Kundschafters.

»Besser machen – was? Narr? – was?« rief Hawk-eye, immer noch ergrimmt seine Waffe über dem Haupte schwingend, obgleich sein Auge nicht länger Magua suchte:

»Wenn der weiße Mann der Krieger ist, für den er sich ausgibt,« sprach der betagte Häuptling, »so schieße er näher an das Ziel!«

Der Kundschafter lachte laut – ein Geräusch, welches Heyward wie übernatürlich klang und ihn zusammenschrecken machte – ließ das Gewehr schwer in die ausgereckte linke Hand fallen, es ging los, scheinbar durch die Erschütterung, trieb die zerschmetterten Stücke des Gefäßes in die Luft und streute sie auf allen Seiten umher. Beinahe in demselben Augenblick hörte man den rasselnden Schall der Büchse, wie er sie verächtlich zu Boden warf.

Der erste Eindruck eines so außerordentlichen Auftritts war steigende Bewunderung. Dann lief ein leises Gemurmel durch die Menge, das allmählig lauter ward und mehr und mehr anschwellend endlich einen lebhaften Gegensatz in den Gefühlen der Zuschauer kund gab. Während Einige einer so beispiellosen Geschicklichkeit unverholen ihren Beifall zollten, war der bei weitem größere Theil des Stammes geneigt zu glauben, der Schuß danke seinen Erfolg nur dem Zufall. Heyward zögerte nicht eine Meinung zu bestätigen, die seinen eigenen Ansprüchen so günstig war. »Es war Zufall!« rief er, »Niemand kann schießen, ohne zu zielen.«

»Zufall!« echote der gereizte Waidmann, der sich nun einmal in den Kopf gesetzt hatte, die Identität seiner Person um jeden Preis zu behaupten, und bei dem alle geheimen Winke Heyward’s, die Täuschung zu begünstigen, gänzlich verloren waren. »Hält jener lügnerische Hurone es auch für Zufall? Gebt ihm ein Gewehr, stellt ihn uns gegenüber, offen, ohne Schutz, auf daß die Vorsehung und unsre Augen die Sache entscheiden. Euch mach‘ ich diesen Vorschlag nicht, Major: unser Blut ist von einer Farbe, und wir dienen einem Herrn.

»Daß der Hurone ein Lügner ist, liegt am Tage,« versetzte Heyward kalt; »Ihr habt ihn selbst behaupten hören, Ihr seyet La longue Carabine

Es läßt sich unmöglich sagen, zu welch heftigen Betheurungen den eigensinnigen Hawk-eye der ungestüme Wunsch, seine Identität zu verfechten, noch geführt hätte, wäre nicht der betagte Delaware noch einmal in’s Mittel getreten. »Der Falke, der aus den Wolken kommt, kann zurückkehren, wenn er will,« sprach er, »gebt ihnen die Gewehre!« Dießmal ergriff der Kundschafter die Büchse mit Begierde, und Magua, obwohl die Bewegungen des Schützen mit scheelsüchtigen Augen beobachtend, hatte keinen weiteren Grund zu Besorgnissen.

»Nun soll es sich entscheiden, im Angesichte dieses Delawarenstammes, wer der bessere Mann ist!« rief der Kundschafter, mit dem Finger, der so oft zu einem tödtlichen Schuß losgedrückt hatte, auf die Zielmarke seiner Büchse deutend. »Ihr seht die Kürbisflasche dort an dem Baume hängen, Major; wenn Ihr ein Schütze seyd, wie er in den Gränzlanden seyn muß, so schießt ihr einmal die Schale ein!« Duncan faßte den Gegenstand in’s Auge und schickte sich an die Probe von neuem zu bestehen. Die Kürbisflasche war eines jener kleinen Gefäße, deren sich die Indianer bedienen, und hing an einem Riemen aus Hirschleder von dem dürren Aste einer kleinen Fichte herab, volle hundert und fünfundzwanzig Schritt entfernt. Ein so wunderliches Gefühl ist die Eigenliebe, daß der junge Soldat die ursprüngliche Veranlassung dieses Wettstreites über dem Wunsche, zu siegen, vergaß, während er die gänzliche Werthlosigkeit der Stimme seiner wilden Kampfrichter kennen mußte. Wir haben bereits gesehen, daß seine Geschicklichkeit nichts weniger als unbedeutend war, und er beschloß nun, sie auf die höchste Spitze zu treiben. Hätte sein Leben von dem Ausgang abgehängt, er hätte nicht aufmerksamer und sorgfältiger zielen können. Er gab Feuer, und drei oder vier junge Indianer, welche bei dem Knalle vorgesprungen waren, verkündeten jubelnd, die Kugel stecke dicht neben dem eigentlichen Ziele in dem Baum. Die Krieger erhoben allesammt ein Freudengeschrei und wandten dann ihre Augen forschend auf die Bewegungen des Nebenbuhlers.

»Das reicht hin für die königlichen Amerikaner!« sprach Hawk-eye, noch einmal in seiner stillen, innerlichen Weise lachend, »aber hätte mein Gewehr oft nur so weit die rechte Linie verfehlt, so würde mancher Marder, dessen Pelz jetzt den Muff einer Dame ziert, noch in den Wäldern sehn; ja und mancher blutdürstige Mingo, der dahingegangen ist zum letzten Gericht, würde noch heutigen Tags seine Teufeleien in den Gränzprovinzen treiben. Ich hoffe, die Squaw, der die Flasche gehört, hat noch mehr dergleichen in ihrem Wigwam; denn diese da wird kein Wasser mehr halten!«

Der Kundschafter hatte unter dem Sprechen sein Zündpulver geschüttelt und die Büchse gespannt; als er fertig war, setzte er einen Fuß rückwärts und hob die Mündung langsam in die Höhe; die Bewegung geschah sicher, gleichförmig und in einer und derselben Richtung. Als sie gänzlich wagrecht lag, ruhte sie einen Augenblick, ohne im geringsten zu zittern oder die Lage zu ändern, als ob Mann und Büchse in Stein gehauen wären. Während dieses Stillstands entlud sich ihr Inhalt in einem hellen, glänzenden Feuerstrom. Abermals sprangen die jungen Indianer vor; doch ihr hastiges Suchen und die Täuschung in ihren Blicken verkündeten, daß keine Spuren der Kugel zu sehen waren.

»Geh!« sprach der alte Häuptling zu dem Kundschafter im Tone tiefer Mißbilligung, »du bist ein Wolf in der Haut eines Hundes. Ich will mit der langen Büchse der Yengeese sprechen.«

»Ach, daß ich die Flinte hätte, welche mir den Namen gab, den du gebrauchst: ich wollte mich verbindlich machen, den Riemen durchzuschießen und die Kürbisflasche herabzuwerfen, ohne sie zu brechen!« sprach Hawk-eye, keineswegs außer Fassung gebracht durch das Benehmen des Andern: »Narren, wenn ihr die Kugel eines Scharfschützen aus diesen Wälder»finden wollt, müßt ihr in, nicht außer dem Ziele suchen!«

Die jungen Indianer verstanden seine Meinung sogleich, denn er sprach dies Mal delawarisch; sie rissen den Kürbis vom Baume herab und hielten ihn unter ausgelassenem Jubelgeschrei in die Höhe, auf ein Loch in dem Boden zeigend, das die Kugel, durch die gewöhnliche Mündung in der Mitte der obern Seite dringend, geschlagen hatte. Bei dieser unerwarteten Aufklärung brach ein lautes und stürmisches Beifallrufen aus dem Munde aller anwesenden Krieger. Es entschied die Frage und gab Hawk-eye den Besitz seines gefährlichen Ruhmes wieder. Die Augen voll Neugierde und Bewunderung, welche sich wieder zu Heyward gewandt hatten, blieben jetzt auf der verwitterten Gestalt des Kundschafters ruhen, und dieser war von nun an der Hauptgegenstand der Aufmerksamkeit für die einfachen und unverdorbenen Wesen um ihn her. Als die plötzliche, geräuschvolle Aufregung sich ein wenig gelegt hatte, nahm der betagte Häuptling sein Verhör wieder auf:

»Warum wolltest du meine Ohren stopfen?« fragte er wieder, an Duncan gewandt; »sind die Delawaren Thoren, daß sie nicht im Stande seyn sollen, den jungen Panther von der Katze zu unterscheiden?«

»Und doch werden sie in dem Huronen einen falschen Singvogel finden!« sprach Duncan, indem er sich bemühte, die Bildersprache der Eingebornen anzunehmen.

»Es ist gut. Wir werden sehen, wer die Ohren der Männer schließen kann. Bruder!« fügte der Häuptling hinzu, seine Augen auf Magua lenkend, »die Delawaren hören.«

So besonders und unmittelbar aufgefordert, seine Absicht zu erklären, erhob sich der Hurone, schritt mit großer Würde und Besonnenheit in die Mitte des Kreises, den Gefangenen gerade gegenüber, und schickte sich zum Sprechen an. Ehe er aber seinen Mund öffnete, ließ er seine Blicke langsam über den ganzen lebendigen Gürtel ernster Gesichter schweifen, als wollte er seinen Vortrag der Fassungskraft der Zuhörer anbequemen. Auf Hawk-eye warf er einen feindseligen und doch achtungsvollen Blick, auf Duncan einen des unauslöschlichsten Hasses: die zusammenschauernde Gestalt Alicens würdigte er kaum des Ansehens; als aber sein Auge der kühnen, gebieterischen, und doch so liebenswürdigen Erscheinung Coras begegnete, blieb es eine Weile mit einem Ausdrucke haften, der sich schwer beschreiben ließe. Dann sprach er, ganz von seinen finstern Plänen erfüllt, in der Sprache Kanadas, die, wie er wohl wußte, von den meisten seiner Zuhörer verstanden wurde.

»Der Geist, welcher die Menschen schuf, färbte sie auf verschiedene Weise,« begann der schlaue Hurone. »Die Einen sind schwärzer als der träge Bär. Diese, sprach er, sollen Sklaven seyn, und er gebot ihnen, gleich dem Biber, immerwährende Arbeit. Wenn der Südwind weht, mögt ihr sie stöhnen hören, an den Gestaden des großen Salzsees, lauter als die brüllenden Büffel, wo die großen Canoes sie heerdenweise bringen und wegführen. Andere schuf er mit Gesichtern, blasser als der Hermelin in den Wäldern: diese hieß er Krämer werden, Hunde gegen ihre Weiber und Wölfe gegen ihre Sklaven. Diesem Volke gab er die Natur der Taube, Schwingen, die nie müde werden, Junge, zahlloser als die Blätter der Bäume, und eine Freßlust, die Erde zu verschlingen. Er gab ihm Zungen, gleich dem falschen Rufe der wilden Katze, Herzen, wie den Kaninchen; die Schlauheit des Schweins (aber nicht die des Fuchses), und Arme, länger als die Beine des Mußthiers. Mit seiner Zunge stopft es die Ohren der Indianer; sein Herz räth ihm, Krieger zu dingen, um seine Schlachten auszukämpfen; seine Schlauheit lehrt ihn, die Schätze der Erde an sich zu raffen, und seine Arme umschließen das Land von den Gestaden des Salzwassers bis zu den Inseln der großen Seen. Seine Gefräßigkeit macht es krank, Gott gab ihm genug, und doch will es Alles haben. So sind die Blaßgesichter.

»Noch Andere schuf der große Geist mit Häuten, glänzender und röther, als die Sonne dort,« fuhr Magua fort, ausdrucksvoll gegen den matten Lichtkörper deutend, der sich durch die Nebelatmosphäre am Horizont kämpfte; »und diese bildete er nach seinem eigenen Sinn. Er gab ihnen dies Eiland, wie er es geschaffen hatte, bedeckt mit Bäumen und voll Wildes. Der Wind bahnte ihnen Lichtungen, die Sonne und der Regen reiften ihre Früchte und der Schnee kam, sie Dankbarkeit zu lehren. Was bedurften sie Straßen, um darauf zu reisen! Sie sahen durch die Berge. Wenn die Biber arbeiteten, lagen sie im Schatten und sahen ihnen zu. Die Winde kühlten sie im Sommer; im Winter hielten Felle sie warm. Wenn sie unter einander fochten, so war es nur, um sich als Männer zu erproben. Sie waren tapfer, sie waren gerecht, sie waren glücklich.«

Hier machte der Redner eine Pause und blickte abermals um sich, ob seine Worte das Gefühl der Zuhörer gewonnen hätten. Ueberall traf er auf Augen, die sich auf ihn richteten, die Häupter emporgehoben, die Nasenlöcher weit geöffnet, als ob jeder Einzelne Kraft und Muth in sich fühlte, das seinem Geschlecht widerfahrene Unrecht wieder gut zu machen.

»Wenn der große Geist seinen rothen Kindern verschiedene Sprachen gab,« fuhr er in gedämpftem, leisem, fast melancholischem Tone fort: »so war es, damit alle Thiere sie verstehen möchten. Die Einen wies er auf die Schneegefilde zu ihrem Vetter, dem Bären; Andere nach dem Untergang der Sonne, auf dem Wege nach den glücklichen Jagdgründen; Einige in die Länder um die großen frischen Wasser. Seinen Größesten und Geliebtesten aber gab er die sandigen Küstenflächen des Salzsee’s. Kennen meine Brüder den Namen dieses begünstigten Volkes?«

»Es waren die Lenapes!« riefen zwanzig Stimmen hastig und in einem Athem.

»Es waren die Lenni-Lenapes!« erwiederte Magua, das Haupt wie aus Ehrfurcht vor ihrer ehemaligen Größe beugend. »Es waren die Stämme der Lenapen! Die Sonne ging ihnen auf aus dem Wasser, das salzig, und ging unter in dem Wasser, das süß war: nie verbarg sie sich ihren Augen. Doch warum sollte ich, ein Hurone aus den Wäldern, einem weisen Volke seine eigenen Überlieferungen erzählen? Warum es erinnern an die erlittene Unbill, an seine alte Größe, seine Thaten, seinen Ruhm, sein Glück, seine Verluste, seine Niederlagen, sein Elend? Ist keiner unter ihnen, der das Alles mit angesehen hat, der weiß, daß ich Wahrheit rede? Ich bin zu Ende. Meine Zunge ist stumm, denn mein Herz ist von Blei. Ich höre.«

Als der Sprecher plötzlich verstummte, wandte sich jedes Gesicht und aller Augen, wie durch gemeinsamen Antrieb, auf den ehrwürdigen Tamenund. Von dem Augenblick an, da er seinen Sitz eingenommen, bis jetzt, hatten die Lippen des Patriarchen sich nicht geöffnet, und kaum war ihm ein Zeichen des Lebens entschlüpft. Er saß, von Schwäche niedergedrückt, und schien während der ganzen Eröffnungsscene, in der die Geschicklichkeit des Kundschafters sich so glänzend gezeigt hatte, auf nichts zu achten, was um ihn her vorging. Als aber Magua die Töne seiner Stimme unmerklich steigerte, zeigte er einige leise Theilnahme und hob sogar ein oder zwei Mal das Haupt, als wollte er lauschen. Als der schlaue Hurone aber seine Nation beim Namen nannte, öffneten sich die Augenlieder des alten Mannes, und er schaute auf die Menge mit jenem leeren, bedeutungslosen Ausdruck, den man dem Gesichte eines Gespenstes zuschreiben möchte. Er machte jetzt eine Anstrengung, aufzustehen: unterstützt von seinen beiden Freunden, ward er seiner Glieder mächtig und hatte nun eine Haltung gewonnen, die durch ihre Würde Ehrfurcht gebot, wiewohl seine Kniee vor Schwäche zitterten.

»Wer ruft die Kinder der Lenapen auf?« sprach er in tiefem Kehltone, der durch die athemlose Stille der Menge hörbar wurde; »wer spricht von Dingen, die vergangen sind? Wird nicht das Ei zum Wurme? der Wurm zur Fliege, die dann zu Grunde geht? Warum den Delawaren von Gütern sprechen, die verloren sind? lieber dem Manitto danken für das, was geblieben ist.«

»Ein Wyandot thut es,« sprach Magua, dem rohen Erdhügel näher tretend, auf welchem der Andere stand; »ein Freund von Tamenund.«

»Ein Freund!« wiederholte der Weise, dessen Braue sich finster zusammenzog, so daß sein Ausdruck einen Theil jener Strenge wieder gewann, welche sein Auge in früheren Jahren so furchtbar machte – »Sind die Mingo’s Herren der Erde? Was führt einen Huronen hieher?«

»Gerechtigkeit. Seine Gefangenen sind bei seinen Brüdern, und er kommt nach seinem Eigenthum.«

Tamenund wandte sein Haupt gegen einen der Alten, die ihn unterstützten, und ließ sich mit kurzen Worten berichten. Dann faßte er den Bittenden ins Auge, betrachtete ihn eine Weile mit tiefer Aufmerksamkeit und sprach mit leiser Stimme, zögernd:

»Gerechtigkeit ist das Gesetz des großen Manitto. Meine Kinder, gebt dem Fremden zu essen. Dann, Hurone, nimm, was dein ist und entferne dich!«

Nach diesem feierlichen Urtheilsspruch ließ sich der Patriarch nieder, schloß die Augen wieder, als hätte er größeres Gefallen an den Bildern seiner eigenen gereiften Erfahrung, als an den Gegenständen der Außenwelt. Gegen einen solchen Ausspruch zu murren, geschweige sich zu widersetzen, wagte kein Delaware. Diese Worte waren kaum ausgesprochen, als vier oder fünf jüngere Krieger hinter Heyward und den Kundschafter traten und ihre Arme so geschickt und schnell mit Riemen umschlangen, daß sie beide gänzlich gefesselt waren. Duncan war zu sehr in Anspruch genommen von seiner kostbaren, beinahe besinnungslosen Bürde, um ihre Absicht zu merken, ehe sie ausgeführt wurde; und Letzterer, der sogar die feindlich gesinnten Stämme der Delawaren als eine Art höherer Wesen betrachtete, unterwarf sich ohne Widerstand. Vielleicht hätte er sich nicht so leidend verhalten, wenn ihm die Mundart, in welcher das vorhergehende Gespräch geführt worden war, völlig verständlich gewesen wäre.

Magua warf einen Blick des Triumphes auf die ganze Versammlung umher, ehe er zur Ausführung seines Vorhabens schritt. Da er die Männer außer Stand sah, Widerstand zu leisten, wandte er sich nach Cora, auf deren Besitz er den größten Werth legte. Sie begegnete seinem Blicke mit einem so ruhigen und festen Auge, daß sein Entschluß zu wanken begann. Seines früheren Kunstgriffs gedenkend, nahm er Alice aus den Armen des Kriegers, an den sie sich lehnte, bedeutete Heyward, ihm zu folgen, und winkte der ihn umgebenden Menge, ihm einen Weg zu öffnen. Statt aber diesem Antrieb zu folgen, stürzte Cora zu den Füßen des Patriarchen, erhob ihre Stimme und rief: –

»Gerechter, ehrwürdiger Delaware, an deine Weisheit und Macht wenden wir uns um Gnade! Sey taub gegen jenes arglistige, gewissenlose Ungeheuer, das deine Ohren mit Falschheit vergiftet, um seinen Blutdurst zu stillen. Du, der du lange gelebt und die Nebel der Welt kennen gelernt hast, solltest das Elend der Unglücklichen zu mildern wissen!«

Die Augen des alten Mannes öffneten sich schwerfällig, und noch einmal blickte er auf die versammelte Menge. Als die durchdringenden Töne der Flehenden sein Ohr trafen, bewegten sie sich langsam nach Cora und blieben endlich fest auf ihr ruhen. Auf die Kniee geworfen und mit ineinandergeschlungenen, auf die Brust gedrückten Händen, war sie ein schönes, athmendes Musterbild ihres Geschlechts, während sie mit einer Art heiliger Ehrfurcht auf das verwelkte, aber majestätische Antlitz des Greises blickte. Allmählig veränderte sich der Ausdruck von Tamenund’s Zügen und ihre Leere ging in Bewunderung über; ein Theil jenes Geistes flog wieder über sie, dessen jugendliches Feuer ein Jahrhundert früher so oft in die Adern der Delawarenstämme überströmte. Ohne Hülfe, und wie es schien, ohne Anstrengung sich erhebend, fragte er mit einer Stimme, deren Festigkeit seine Zuhörer in Erstaunen setzte:

»Wer bist du?«

»Ein Weib – von einem verhaßten Geschlechte, wenn du willst – eine Yengee, aber ein Wesen, das dir nie Etwas zu Leide gethan hat und deinem Volk Nichts zu Leide thun kann, wenn es auch wollte, – ein Wesen, das dich um Beistand ansteht.«

»Sagt mir, meine Kinder,« fuhr der Patriarch mit heiserer Stimme fort, seiner Umgebung winkend, obgleich seine Augen immer noch auf der knienden Cora verweilten: »wo haben sich die Delawaren gelagert?«

»Auf den Bergen der Irokesen, jenseits der klaren Quellen des Horican.«

»Mancher sengende Sommer ist gekommen und gegangen,« fuhr der Weise fort; »seit ich von den Wassern meines eigenen Flusses getrunken habe. Die Kinder des Miquon sind die gerechtesten.

unter den weißen Männern; aber sie waren durstig und nahmen ihn für sich. Folgen sie uns so weit?«

»Wir folgen niemand nach; wir begehren nichts,« antwortete Cora. »Als Gefangene gegen unsern Willen wurden wir in eure Mitte gebracht und bitten nur um Erlaubniß, im Frieden zu den Unsrigen heimkehren zu dürfen. Bist du nicht Tamenund – der Vater – der Richter – fast möchte ich sagen, der Prophet – dieses Volkes?«

»Ich bin Tamenund, der so viele Tage erlebt hat.«

»Es sind jetzt sieben Jahre her, daß einer aus deinem Volk in den Händen eines weißen Häuptlings an den Gränzen dieser Provinz war. Er machte darauf Anspruch, von dem Blute des guten und gerechten Tamenund zu seyn. Geh‘, sprach der weiße Mann, um deines Verwandten willen bist du frei! Erinnerst du dich des Namens dieses englischen Kriegers?«

»Ich erinnere mich,« versetzte der Patriarch mit der eigenthümlichen Erinnerungsgabe des höchsten Alters, »als ich noch ein lachender Knabe war, stand ich an dem Sande des Meer-Ufers und sah ein großes Canoe mit Schwingen, weißer als die des Schwans und breiter als die vieler Adler vom Aufgang der Sonne kommen –»

»Nein, nein, ich spreche von keiner so fernen Zeit, sondern von einer Wohlthat, die der Meinigen Einer, einem Verwandten von dir erwiesen hat: dein jüngster Krieger kann sich dessen erinnern!«

»War es, als die Yengeese und die Holländer um die Jagdgebiete der Delawaren kämpften? Da war Tamenund ein Häuptling und vertauschte zuerst den Bogen mit dem Blitze der Blaßgesichter –«

»Auch da nicht,« unterbrach ihn Cora, »viele Jahrzehnte später! Ich rede von Etwas von gestern her. Gewiß, gewiß, – du hast es nicht vergessen!«

»Erst gestern noch,« fuhr der Alte mit rührendem Pathos fort, »waren die Kinder der Lenapen Herren der Welt. Die Fische des Salzsees, die Vögel, die Thiere und die Mengwe’s der Wälder erkannten sie als Sagamoren.«

Cora ließ bitter getäuscht ihr Haupt sinken und kämpfte einen Augenblick mit ihrem Schmerz; dann erhob sie ihr sprechendes Antlitz und ihre strahlenden Augen und fuhr in einem Tone fort, der beinahe ebenso eindringlich, als die überirdisch klingende Stimme des Patriarchen war:

»Sag‘ mir, ist Tamenund Vater?«

Mit einem wohlwollenden Lächeln auf seinen erstorbenen Zügen blickte der Greis auf sie herab, warf seine Augen langsam über die Versammlung und antwortete: »Vater einer Nation.« »Für mich selbst erbitte ich nichts. Wie bei dir und den Deinigen, ehrwürdiger Häuptling,« fuhr sie fort, ihre Hände krampfhaft auf das Herz gedrückt, und das Haupt so tief senkend, bis ihre glühenden Wangen von der Fülle glänzend schwarzer Locken, welche unordentlich über ihre Schultern fielen, beinahe bedeckt wurden – »ist der Fluch meiner Vorfahren schwer auf ihr Kind gefallen. Aber dort ist Eine, die nie zuvor des Himmels Ungunst gekannt hat. Sie ist die Tochter eines alten, schwachen Mannes, dessen Tage ihrem Ende nahe sind. Sie hat Viele, sehr Viele, die sie lieben, deren Wonne sie ist, und sie ist zu gut, viel zu kostbar, ein Opfer jenes Schurken zu werden!«

»Ich weiß, die Blaßgesichter sind ein stolzes und hungriges Geschlecht. Ich weiß, sie wollen nicht nur die Erde besitzen; selbst der Gemeinste ihrer Farbe soll besser als die Sachems der rothen Männer seyn. Die Hunde und die Krähen ihrer Stamme,« fuhr der ernste, alte Häuptling fort, ohne auf die tief verwundeten Gefühle seiner Zuhörerin zu achten, deren Haupt sich vor Scham beinahe in die Erde drückte; »würden bellen und krähen, ehe sie ein Weib, dessen Farbe nicht weiß wie der Schnee wäre, in ihre Wigwams nähmen. Aber sie mögen nicht zu laut vor Manitto’s Angesicht prahlen! Bei Sonnenaufgang kamen sie in’s Land, sie könnten´s wieder bei Sonnenuntergang verlassen müssen, Oft hab‘ ich die Heuschrecken das Laub von den Bäumen streifen sehen; aber die Zeit der Blüthen ist immer wieder gekommen.«

»So ist es,« sprach Cora, mit einem tiefen Seufzer, als ob sie aus einer Erstarrung wieder auflebte. Sie erhob ihr Gesicht, warf ihren glänzenden Schleier zurück, und fuhr fort, mit einem Auge, dessen Feuer der tödtlichen Blässe ihres Gesichtes widersprach; »aber warum? dürfen wir nicht fragen. Doch noch Einer von deinem eigenen Volke ist da, der noch nicht vor dich gebracht worden ist; ehe du den Huronen im Triumphe fortziehen lassest, höre ihn!«

Als Tamenund zweifelhaft um sich blickte, sprach einer seiner Geleiter:

»Es ist eine Schlange – eine Rothhaut im Solde der Yengeese. Wir behalten ihn für die Marter.«

»Laßt ihn kommen!« sprach der Weise.

Noch einmal sank Tamenund auf seinen Sitz zurück, und während die jungen Krieger sich anschickten, seinem einfachen Befehl zu willfahren, herrschte eine so tiefe Stille, daß man die Blätter auf den Bäumen des Waldes umher, von dem Hauche eines leichten Morgenwindes hin und her getrieben, deutlich säuseln hörte.

Dreißigstes Kapitel.

Dreißigstes Kapitel.

Wenn Ihr’s mir weigert, pfui auf Eu’r Gesetz
Dann sind Venedigs Urtheil‘ ohne Kraft:
Ich will mein Recht; antworte, soll ich’s haben?
Shakespeare.

Manche ängstliche Minuten dauerte das Stillschweigen und kein Menschenlaut unterbrach es. Dann öffnete sich die wogende Menge, schloß sich wieder und Uncas stand in dem Kreise der Versammelten. Aller Augen, welche bisher in den Gesichtszügen des Weisen, als dem Born ihrer Einsicht, neugierig geforscht hatten, wandten sich jetzt und hafteten in stiller Bewunderung auf der hohen, geschmeidigen, tadellosen Gestalt des Gefangenen. Aber weder die ganze Umgebung, noch die ausschließliche Aufmerksamkeit, die er auf sich zog, störte die Selbstbeherrschung des jungen Mohikaners. Er warf einen bedächtigen, beobachtenden Blick um sich her und begegnete dem entschiedenen feindseligen Ausdruck der Häuptlinge mit derselben Ruhe, wie dem neugierigen Gaffen der Kinder. Als aber sein stolzes und forschendes Auge zuletzt auf Tamenund fiel, blieb es ruhen, als ob alle andere Gegenstände vergessen wären. Dann trat er mit leisem, geräuschlosem Schritt auf dem Platze vor, unmittelbar zu dem erhöhten Stuhle des Weisen. Hier stand er unbeachtet, Jenen scharf ins Auge fassend, bis einer der Häuptlinge Tamenund von seiner Gegenwart in Kenntniß setzte.

»In welcher Sprache spricht der Gefangene mit Manitto?« fragte der Patriarch, ohne die Augen aufzuschlagen.

»In der seiner Väter,« antwortete Uncas; »in der Sprache der Delawaren.«

Auf diese plötzliche, unerwartete Aeußerung lief ein gedämpftes, wildes Murren durch die Menge hin, dem Brummen des Löwen vergleichbar, wenn seine Leidenschaft erwacht: ein furchtbares Vorzeichen künftigen Grimmes. Der Eindruck dieser Worte auf den Weisen war ebenso stark, obgleich er sich auf andere Art zu erkennen gab. Er fuhr mit der Hand über die Augen, als wolle er sie vor einem so schmachvollen Anblick ferne halten, und wiederholte in seinen leisen Kehllauten die so eben gehörten Worte:

»Ein Delaware! Ich habe erlebt, daß die Stämme der Lenapen, von ihren Versammlungsfeuern vertrieben, gleich zersprengten Rudeln Wildes zwischen die Berge der Irokesen zerstreut wurden. Ich habe die Aexte eines fremden Volkes die Wälder in den Thälern fällen sehen, welche die Stürme des Himmels verschont hatten. Ich habe gesehen, wie das Wild, das auf den Bergen geht, und die Vögel, welche über die Bäume stiegen, in den Wigwams der Menschen leben, aber noch nie zuvor hab‘ ich gefunden, daß ein Delaware so niederträchtig war, einer giftigen Schlange gleich, in die Lager seiner Nation zu kriechen.«

»Die Singvögel haben ihre Schnäbel geöffnet,« entgegnete Uncas in den sanftesten Tönen seiner melodischen Stimme; und Tamenund hat auf ihren Gesang gehört!«

Der Weise fuhr empor und neigte sein Haupt auf die Seite, als wollte er die fliehenden Töne einer verklungenen Melodie erhaschen.

»Träumt Tamenund?« rief er. »Welche Stimme klingt in seinem Ohr? Sind die Winter rückwärts gegangen? Wird der Sommer wieder zu den Kindern der Lenapen kommen?«

Feierliches, ehrfurchtsvolles Schweigen folgte diesem unzusammenhängenden Ausbruch aus dem Munde des delawarischen Propheten. Sein Volk bildete diese unverständliche Rede gerne zu einer jener geheimnißvollen Unterredungen, die er, wie sie glaubten, öfter mit einem höheren Wesen pflege; und Alle erwarteten mit heiliger Scheu den Schluß der Offenbarung. Nach einer langen Pause jedoch wagte einer der betagten Männer, als er wahrnahm, daß der Weise die Erinnerung an den anwesenden Fremdling ganz verloren habe, ihn an den Gefangenen zu mahnen.

»Der falsche Delaware zittert, Tamenund’s Worte zu vernehmen,« sprach er. »Es ist ein Spürhund, welcher heult, wenn ihm die Yengeese eine Fährte zeigen.«

»Und ihr,« entgegnete Uncas, finster um sich blickend, »seyd Hunde, welche winseln, wenn euch der Franzmann den Abfall von seinem Wilde vorwirft!«

Zwanzig Messer blitzten in der Luft und eben so viele Krieger sprangen nach dieser beißenden und vielleicht gerechten Erwiederung auf, aber ein Wink eines der Häuptlinge unterdrückte den Ausbruch ihrer Wuth und stellte scheinbar die Ruhe wieder her. Dies wäre vielleicht schwieriger gewesen, hatte nicht Tamenund durch eine Bewegung angedeutet, daß er wieder sprechen wolle.

»Delaware,« begann der Weise wieder, »wenig verdienst du deinen Namen. Mein Volk hat seit vielen Wintern keinen hellen Sonnenschein gesehen, und der Krieger, welcher seinen Stamm verläßt, wenn Wolken ihn verhüllen, ist ein doppelter Verräther. Manitto’s Gesetz ist gerecht. So ist es: so lange die Ströme fließen und die Berge stehen, so lange die Blüthen auf den Bäumen kommen und wieder gehen, muß es so seyn. Er ist euer, meine Kinder, verfahrt mit ihm nach Gerechtigkeit.«

Kein Glied hatte sich bewegt, kein Athemzug hatte sich lauter und länger hören lassen, bis die letzte Silbe dieses Endurtheils Tamenund’s Lippen entflohen war. Jetzt aber erscholl mit Einemmal ein Rachegeschrei, wie es schien, aus dem Munde der ganzen Nation, ein schrecklicher Vorbote ihrer barbarischen Absichten. Mitten unter diesem langanhaltenden, wilden Geheul verkündete ein Häuptling mit lauter Stimme, der Gefangene sey verurtheilt, die schreckliche Probe der Feuerqual zu bestehen. Der Kreis löste sich unordentlich auf und frohlockende Rufe mischten sich in den Lärm und Tumult der Zurüstungen. Heyward rang halb wahnsinnig mit seinen Siegern: Hawk-eye begann ängstlich und mit besonderem Ernste um sich zu blicken, und Cora warf sich dem Patriarchen zu Füßen, noch einmal seine Gnade anzuflehen. In diesen Augenblicken der Prüfung war Uncas allein heiter geblieben. Standhaft blickte er auf die Vorbereitungen, und als die Quäker nahten, um ihn zu ergreifen, erwartete er sie in fester, aufrechter Haltung. Einer unter ihnen, wo möglich noch grimmiger und wilder als die Andern, griff den jungen Krieger bei seinem Jagdhemd und zerrte es ihm mit einem Griff vom Leibe, Dann stürzte er mit wahnsinnigem Jubel auf sein widerstandloses Schlachtopfer, um es an den Pfahl zu führen. In dem Augenblick aber, da der Wille den Gefühlen der Menschlichkeit am meisten entfremdet schien, hielt er so plötzlich inne, als ob eine übernatürliche Macht für Uncas gesprochen hätte. Die Augäpfel des Delawaren schienen aus ihren Höhlen treten zu wollen; sein Mund öffnete sich und seine ganze Gestalt war vor Erstaunen wie erstarrt. Langsam und gemessen erhob er seine Hand und wies mit dem Finget auf die Brust des Gefangenen, Seine Begleiter drängten sich verwundert um ihn, und aller Augen waren, gleich den seinigen, auf die Gestalt einer kleinen Schildkröte geheftet, die in glänzend blauer Farbe auf die Brust des Gefangenen tättowirt war.

Ruhig lächelnd genoß Uncas einen Augenblick seines Triumphes. Dann wies er die Menge mit einer stolzen Bewegung seines Armes zurück, trat mit der Würde eines Königs vor das Volk und sprach mit einer Stimme, welche das laut werdende Gemurmel der Bewunderung übertönte:

»Männer der Lenni-Lenapen! Mein Geschlecht trägt die Erde! Euer schwacher Stamm steht auf meiner Schale! – Welches Feuer, von einem Delawaren angezündet, würde das Kind meiner Väter verbrennen?« fuhr er fort, mit Stolz auf den einfachen Bilderschmuck seiner Haut deutend. »Das Blut aus einem solchen Born müßte eure Flammen ersticken. Mein Geschlecht ist der Großvater von Nationen!«

»Wer bist du?« fragte Tamenund und erhob sich, mehr in Folge der erschütternden Laute, die in sein Ohr drangen, als eines aus den Worten des Gefangenen geschöpften Sinnes. »Uncas, der Sohn Chingachgook’s!« antwortete der Gefangene bescheiden, sich von der Menge wendend und sein Haupt ehrerbietig vor dem Rang und den Jahren des Andern beugend; »ein Sohn des großen Unamis!«

»Tamenund’s Stunde ist nahe!« rief der Weise; »der Tag hat sich endlich zur Nacht gewendet! Ich danke dem Manitto, daß Einer hier ist, meinen Platz an dem Versammlungsfeuer einzunehmen. Uncas, das Kind des Uncas ist gefunden! Laßt die Augen des sterbenden Adlers in die aufgehende Sonne blicken!«

Der Jüngling trat leichten, aber stolzen Schrittes auf die Erhöhung hinan, wo er der ganzen bewegten und verwunderten Menge sichtbar ward. Tamenund hielt ihn lange an seinem Arme gefaßt vor sich, und nahm jeden Zug des schönen Antlitzes in sich auf, mit unverwandtem Auge auf Uncas schauend, wie Einer, der sich glückliche Tage wieder zurückruft.

»Ist Tamenund ein Knabe?« rief der verwirrte Prophet endlich aus. »Habe ich von so manchem Winter geträumt – geträumt, daß mein Volk gleich dem fluthenden Sande zerstreut worden ist – von den Yengeese, zahlreicher als die Blätter auf den Bäumen! Tamenund’s Pfeil würde das Hirschkalb nicht mehr schrecken, sein Arm ist welk, wie der Ast einer abgestorbenen Eiche; die Schnecke würde schneller im Wettlauf seyn; und doch steht Uncas vor ihm, wie damals, als sie zum Kampfe mit den Blaßgesichtern zogen! Uncas, der Panther seines Stammes, der älteste Sohn der Lenapen, der weiseste Sagamore der Mohikaner! Sagt mir, ihr Delawaren, hat Tamenund hundert Winter lang geschlafen?«

Die ruhige, tiefe Stille, die diesen Worten folgte, verkündete zur Genüge, mit welch ehrerbietiger Scheu die Mittheilung des Patriarchen von seinem Volke aufgenommen worden war. Niemand wagte zu antworten, und Alle starrten in athemloser Erwartung, was folgen werde. Uncas aber, der ihm mit der Zärtlichkeit und Verehrung eines Lieblingskindes ins Antlitz sah, erwiederte, auf seine hohe, anerkannte Stellung vertrauend:

»Vier Krieger seines Geschlechts haben gelebt und sind gestorben, seit Tamenund’s Freund sein Volk in die Schlacht führte. Das Blut der Schildkröte rann in den Adern vieler Häuptlinge; sie sind aber in die Erde zurückgekehrt, aus der sie kamen, außer Chingachgook und seinem Sohn.«

»Es ist wahr – es ist wahr,« versetzte der Weise, dem ein Blitz der Erinnerung alle die lieblichen Bilder zerstörte und ihm mit einemmale das wahre Bewußtseyn von der Geschichte seines Volkes wiedergab. »Unsere weisen Männer haben oft gesagt, daß zwei Krieger aus dem alten, wandellosen Geschlechte noch in den Bergen der Yengeese weilten. Warum sind ihre Sitze bei den Versammlungsfeuern der Delawaren so lange leer geblieben?«

Bei diesen Worten richtete der junge Wann sein Haupt empor, das er seither ehrerbietig gesenkt hielt, erhob seine Stimme, um vor der ganzen Menge mit einem Male die Politik seiner Familie zu erläutern und sprach laut:

»Es war eine Zeit, da wir in unserem Schlafe den Salzsee in seiner Wuth sprechen hören konnten. Damals waren wir Herrscher und Sagamoren über das Land. Als sich aber an jedem Bache ein Blaßgesicht zeigte, folgten wir dem Wilde, zurück nach dem Flusse unserer Nation. Die Delawaren waren fortgezogen. Wenige Krieger nur blieben, um von dem Strome zu trinken, den sie liebten. Dann sagten meine Väter: hier wollen wir jagen. Die Wasser des Flusses gehen in den Salzsee. Gehen wir dem Untergang der Sonne zu, so finden wir Ströme, welche in die großen Seen von süßem Wasser fließen: da würde ein Mohikaner sterben, gleich dem Fische der See, wenn er in das klare Wasser kommt. Wenn Manitto bereit ist und spricht: kommet! so folgen wir dem Flusse nach dem Meere und nehmen wieder was unser ist. Dies, Delawaren, ist der Glaube der Kinder der Schildkröte. Unsere Augen blicken nach der aufgehenden, nicht nach der niedergehenden Sonne. Wir wissen, woher sie kommt, aber nicht, wohin sie geht. Es ist genug!«

Die Männer der Lenapen hörten seinen Worten mit all der Achtung zu, die der Aberglaube zu leihen vermag, und fanden selbst in der bildlichen Sprache, in welcher der junge Sagamore feine Gedanken mittheilte, einen geheimen Reiz. Uncas selbst beobachtete mit kundigem Ange den Eindruck dieser kurzen Erläuterung und stimmte den Ton der Hoheit, welchen er angenommen hatte, allmählig wieder herab, als er bemerkte, daß seine Zuhörer befriedigt waren. Sein Blick, der über die, um Tamenund’s erhabenen Sitz versammelte Menge schweifte, traf Hawk-eye in seinen Banden. Ungestüm vorschreitend drängte er sich zu seinem Freunde heran, durchschnitt mit schneller, ungeduldiger Hand die Riemen und winkte der Menge, sich zu theilen. Die Indianer gehorchten schweigend und wieder bildeten sie einen Kreis, gleich dem vor des Jünglings Erscheinen unter ihnen, Uncas nahm den Kundschafter bei der Hand und führte ihn zu den Füßen des Patriarchen.

»Vater,« sprach er, »sieh dieses Blaßgesicht an; er ist ein gerechter Mann und ein Freund der Delaware«.«

»Ist er ein Sohn Miguon’s?«

»Nicht doch; ein Krieger, bekannt unter den Yengeese und gefürchtet von den Maquas.«

»Welchen Namen hat er durch seine Thaten gewonnen?«

»Wir nennen ihn Hawk-eye!« versetzte Uncas, des Delawarischen Ausdrucks sich bedienend, »denn sein Blick fehlt nie. Die Mingos kennen ihn noch besser durch den Tod, den er unter ihre Krieger bringt: bei ihnen heißt er die lange Büchse.«

»La longue Carabine!« lief Tamenund, seine Augen öffnend, und den Kundschafter streng ansehend. »Mein Sohn hat nicht wohl gethan, ihn Freund zu nennen.«

»Ich nenne den so, der sich als solchen erweist,« entgegnete der junge Häuptling mit großer Ruhe, aber mit fester Miene. »Wenn Uncas unter den Delawaren willkommen ist, so ist auch Hawk-eye bei Freunden.«

»Das Blaßgesicht hat meine jungen Männer erschlagen; sein Name ist groß durch die Streiche, welche er gegen die Lenapen geführt hat.«

»Wenn ein Mingo dies den Delawaren in das Ohr geflüstert hat, so hat er nur bewiesen, daß er ein Lügen-Vogel ist,« sprach der Kundschafter, der nun die Zeit vorhanden glaubte, sich selbst von so beleidigenden Anschuldigungen zu reinigen. Er bediente sich der Mundart des Mannes, an welchen er sich wandte, bequemte aber die indianische Bildersprache seinen eignen Begriffen an. »Zu läugnen, daß ich die Maquas erschlagen habe, dazu bin ich der Mann nicht, selbst nicht vor ihren eignen Versammlungsfeuern; aber daß wissentlich meine Hand jemals einem Delawaren etwas zu Leide gethan, widerstreitet meiner innersten Natur, die freundlich für sie gesinnt ist.«

Ein leiser Ausruf des Beifalls lief durch die Krieger hin, und sie wechselten Blicke mit einander, wie Menschen, die einen Irrthum inne werden.

»Wo ist der Hurone?« fragte Tamenund. »Hat er meine Ohren verstopft?«

Magua, dessen Gefühle während dieses Auftritts, in welchem Uncas seinen Triumph feierte, leichter zu denken als zu beschreiben sind, antwortete dem Ruf, indem er keck vor den Patriarchen hintrat.

»Der gerechte Tamenund,« sprach er, »wird nicht behalten, was ein Hurone ihm geliehen hat.«

»Sag‘ mir, Sohn meines Bruders,« war des Weisen Antwort, der das finstere Gesicht Le Subtil’s vermied und mit Vergnügen auf Uncas‘ sinnvollen Zügen verweilte; »hat der Fremde das Recht des Siegers über dich?« »Er hat keines. Der Panther kann in Schlingen gerathen, die ihm Weiber legten; aber er ist stark und weiß über sie zu springen.«

»La longue Carabine?«

»Er lacht der Mingos. Geh, Hurone, frag‘ deine Squaws nach der Farbe des Bären!«

»Der Fremde und das weiße Mädchen, die zusammen in mein Lager kamen?«

»Sie sollen auf offenem Pfade reisen.«

»Und das Weib, das der Hurone bei meinen Kriegern zurückließ?«

Uncas erwiederte nichts.

»Und das Weib, das der Mingo in mein Lager brachte?« wiederholte Tamenund mit Würde.

»Sie ist mein!« schrie Magua, seine Hand triumphirend gegen Uncas schwingend. »Mohikaner, du weißt, daß sie mein ist.«

»Mein Sohn ist stumm,« sprach Tamenund und bemühte sich, in dem Antlitz zu lesen, das der Jüngling bekümmert von ihm abwandte.

»Es ist so!« war seine leise Antwort.

Eine kurze, bedeutungsvolle Pause folgte, und es war offenbar, mit welchem Widerwillen die Menge das Recht von Magua’s Ansprüchen einräumte. Endlich sprach der Weise, von dem allein die Entscheidung abhing, mit fester Stimme:

»Hurone, entferne dich!«

»Wie ich kam, gerechter Tamenund,« fragte der schlaue Mingo, »oder mit Händen, gefüllt durch die Treue der Delawaren? Der Wigwam Le Renard Subtil’s ist leer. Mache ihn stark mit dem, was sein ist!«

Der alte Mann sann einen Augenblick für sich nach; dann wandte er das Haupt gegen einen seiner ehrwürdigen Begleiter und fragte:

»Sind meine Ohren offen?« »So ist es!«

»Ist dieser Mingo ein Häuptling?«

»Der Erste in seiner Nation!«

»Mädchen, was willst du? Ein großer Krieger nimmt dich zum Weib. Geh, dein Geschlecht wird nimmer enden.«

»Tausendmal eher mag es enden,« rief Cora, vor Entsetzen schaudernd, »als solcher Schmach begegnen!«

»Hurone, ihr Geist ist in den Zelten ihrer Väter. Ein Mädchen, das gegen seinen Willen den Wigwam betritt, bringt Unglück herein.«

»Sie spricht mit der Zunge ihres Volks,« entgegnete Magua, sein Schlachtopfer mit bitterem Spotte betrachtend. Sie ist aus einem Geschlecht von Krämern, und feilscht mit einem freundlichen Blick. Laßt Tamenund die Worte sprechen!«

»Nimm dir das Wampum und unsere Gunst!«

»Nichts will Magua mit sich nehmen als was er hierher gebracht.«

»So entferne dich mit dem, was dein ist. Der große Manitto verbietet dem Delawaren, ungerecht zu seyn.«

Magua trat vor und faßte seine Gegangene mit fester Hand am Arme; die Delawaren wichen schweigend zurück, und Cora, als fühlte sie, daß jede weitere Vorstellung nutzlos sey, wollte sich ohne Widerstand in ihr Schicksal ergeben.

»Halt! halt!« rief Duncan, vorstürzend; »Hurone, Hab‘ Erbarmen! Ihr Lösegeld soll dich reicher machen, als je Einer deines Stammes gewesen seyn kann.«

»Magua ist eine Rothhaut, er bedarf des Flitters der Blaßgesichter nicht.«

»Gold, Silber, Pulver, Blei – Alles, was ein Krieger bedarf, soll in deinem Wigwam seyn; Alles, was dem größten Häuptling gebührt.«

»Le Subtil ist sehr stark,« rief Magua, heftig die Hand schüttelnd, mit der er Cora’s widerstandlosen Arm gefaßt »seine Rache ist erfüllt.«

»Allmächtiger Lenker der Schicksale!« rief Heywald, verzweiflungsvoll die Hände in einander ringend, »kann das zugelassen werden? An dich, gerechter Tamenund, wende ich mich, hab‘ Erbarmen!«

»Die Worte des Delawaren sind gesprochen!« entgegnete der Weise, seine Augen schließend, und erschöpft von geistiger und leiblicher Anstrengung in seinen Sitz zurücksinkend, »Männer sprechen nicht zweimal.«

»Daß ein Häuptling seine Zeit nicht damit verschwendet, was er einmal gesprochen hat, zurückzunehmen, ist weise und vernünftig,« sprach Hawk-eye, Duncan winkend, zu schweigen; »aber es ist auch klug von jedem Krieger, sich vorher wohl zu bedenken, ehe er den Tomahawk nach dem Haupte seines Gefangenen wirft. Hurone, ich liebe dich nicht; noch kann ich sagen, daß je ein Mingo meiner Gunst sich erfreut hätte. Es läßt sich wohl annehmen, daß, wenn dieser Kampf nicht bald ein Ende nimmt, noch mancher Krieger von Euch mir in diesen Wäldern begegnet. Betrachte dir einmal, was wolltest du lieber: eine Gefangene wie dieses Mädchen in dein Lager nehmen, oder einen Mann wie ich, den deine Nation mit Freuden empfangen würde, käme er mit nackten Händen?«

»Will ›die lange Büchse‹ sein Leben für ein Weib hingeben?« fragte Magua zögernd: denn er hatte bereits eine Bewegung gemacht, mit seinem Schlachtopfer den Platz zu verlassen.

»Nein, nein, so viel hab‘ ich nicht gesagt,« erwiederte Hawkeye, mit angemessener Vorsicht zurücktretend, als er sah, mit welcher Begierde Magua auf seinen Vorschlag hörte. »Es wäre ein ungleicher Tausch, einen Krieger in der Blüthe seiner Jahre und seiner Kraft für das beste Weib in den Gränzprovinzen zu geben. Ich könnte mich dazu entschließen, in die Winterquartiere zu gehen, jetzt – wenigstens sechs Wochen, ehe die Blätter ihre Farbe wechseln – unter der Bedingung, daß du das Mädchen frei ließest.«

Magua schüttelte den Kopf und gab der Menge ungeduldig ein Zeichen, ihn durchzulassen.

»Wohlan denn,« fuhr der Kundschafter fort mit der nachdenklichen Miene eines Mannes, der noch nicht im Reinen mit sich ist, »ich geb‘ den Wildtödter noch in den Kauf. Nimm das Wort eines erfahrenen Jägers, das Gewehr hat auf der ganzen Gränze seines Gleichen nicht.«

Magua verschmähte zu antworten und bemühte sich fortwährend, durch die Menge zu dringen.

»Vielleicht,« setzte der Kundschafter hinzu, der immer mehr von seiner angenommenen Kälte verlor, je mehr Gleichgültigkeit der Andere gegen den Tausch bezeigte: »vielleicht vergleichen wir uns doch noch, wenn ich verspreche, eure jungen Leute den rechten Gebrauch dieser Waffe zu lehren.«

Le Renard befahl den Delawaren, die, in der Hoffnung, er werde auf diesen Vorschlag achten, immer noch einen undurchdringlichen Gürtel um ihn bildeten, trotzig, ihm einen Weg zu öffnen und sein Blick drohte eine zweite Berufung auf die unfehlbare Gerechtigkeit ihres Propheten.

»Was geschehen soll, muß früher oder später eintreffen,« fuhr Hawk-eye mit einem trauervollen, niedergeschlagenen Blicke auf Uncas fort. »Der Schurke kennt seinen Vortheil und nützt ihn! Gott segne dich, Junge, du hast Freunde unter deinem eigenen Geschlechte gefunden, und ich hoffe, sie werden dir so treu seyn, als die Genossen aus unvermischtem Blute, denen du begegnet bist. Was mich betrifft, so muß ich doch früher oder später sterben; es ist deshalb ein Glück, daß es nur Wenige sind, die Todtenlieder für mich anstimmen können. Wahrscheinlich wäre es den Teufelskindern doch einmal geglückt, mir den Skalp abzuziehen, und ein oder zwei Tage werden in der großen Zeitrechnung der Ewigkeit nicht viel Unterschied machen, Gott segne dich,« fuhr der rauhe Waidmann fort, indem er sein Haupt zur Seite neigte, dann sogleich wieder hob, den Jüngling scharf in’s Auge fassend, »ich habe dich und deinen Vater geliebt, Uncas, obgleich unser Haut nicht von einer Farbe und unsere Gaben etwas verschieden sind. Sag‘ dem Sagamoren, ich hätte ihn auch im größten Gedränge nie aus dem Auge verloren; und du, gedenke zuweilen meiner, wenn du auf einer glücklichen Fährte bist, und verlaß‘ dich darauf, Junge, ob es nun einen oder zwei Himmel gibt, ein Pfad in der andern Welt muß seyn, auf dem ehrliche Männer wieder zusammen kommen. Du wirst die Büchse an der Stelle finden, wo wir sie versteckten; nimm sie und behalte sie zum Gedächtniß: und höre. Junge, da deine Farbe dir die Rache nicht verbietet, so laß sie ein wenig frei gegen die Mingo’s gewähren. Es wird den Schmerz über meinen Verlust erleichtern und dein Gemüth besänftigen. Hurone, ich nehme dein Anerbieten an. Lass‘ das Mädchen los. Ich bin dein Gefangener.«

Ein unterdrücktes, aber immer deutliches Murmeln des Beifalls lief durch die Menge hin über diesen edelmüthigen Entschluß: selbst die wildesten unter den Delawaren-Kriegern bezeigten ihre Freude über die Männlichkeit eines solchen Opfers. Magua zögerte, und ängstliche Erwartung begleitete seine Unentschlossenheit; dann warf er seine Augen auf Cora, mit einem Ausdruck, in dem Wildheit und Bewunderung seltsam gemischt war, und sein Entschluß war für immer gefaßt. Mit einer Bewegung des Kopfes deutete er sein Verschmähen des Anerbietens an, und sprach in festem, sicherem Tone:

»Le Renard Subtil ist ein großer Häuptling, er hat nur einen Sinn. Komm,« fügte er hinzu, indem er seine Hand vertraulich auf die Schulter der Gefangenen legte, um sie vorwärts zu drängen, »ein Hurone ist kein Schwätzer; wir wollen gehen,« Das Mädchen wich mit hoher, weiblicher Würde zurück, und ihr dunkles Auge funkelte, während ihr vor Unmuth das Blut, dem flüchtigen Glanze der Sonne gleich, bis an die Schläfe trat.

»Ich bin deine Gefangene und werde bereit seyn, dir zur Zeit, sey es auch zum Tode, zu folgen. Aber es bedarf keiner Gewalt,« fuhr sie kaltblütig fort, indem sie sich unmittelbar darauf an Hawk-eye wandte: »Edelmüthiger Jäger,« sprach sie, »von Grund meines Herzens dank‘ ich Euch. Euer Anerbieten ist vergeblich, es war unmöglich es anzunehmen, aber immer könnt Ihr mir noch Dienste leisten, selbst größere, als in Eurem edlen Entschlusse lagen. Seht das Kind an, wie es sich abhärmt, vom Unglück gebeugt! Verlaßt sie nicht, ehe sie in den Wohnungen civilisirter Menschen ist. Ich will nicht sagen,« fuhr sie fort, die harte Hand des Jägers in der ihrigen drückend, »daß ihr Vater Euch belohnen wird: denn Männer wie Ihr stehen über dem Lohn der Menschen; aber er wird Euch danken und Euch segnen. Und glaubt mir, der Segen eines gerechten und alten Mannes findet Gnade in den Augen des Himmels. Wollte Gott, ich könnte ihn in diesem schauerlichen Augenblicke von seinen Lippen vernehmen,« Die Stimme versagte ihr und einen Augenblick schwieg sie. Dann trat sie einen Schritt näher auf Duncan zu, der ihre besinnungslose Schwester unterstützte, und fuhr in leisem Tone fort, in welchem ihr Gefühl mit der Sitte ihres Geschlechtes furchtbar kämpften: »ich darf Ihnen nicht empfehlen, über den Schatz zu wachen, den Sie besitzen sollen. Sie lieben Alice, Heyward, dies würde tausend Fehler bedecken, wenn sie deren hätte. Sie ist so gut, so sanft, so süß, so edel, als eine Sterbliche seyn kann. – Kein Fehl haftet an Geist oder Leib, den der stolzeste Mann tadeln könnte! Sie ist schön – oh! wie über die Maßen schön!« Hier legte sie ihre schöne, wenn gleich minder blendende Hand in melancholischer Zärtlichkeit auf Alicens Alabasterstirne, das goldene Haar, das über die Brauen fiel, mit ihren Fingern theilend, »und gleichwohl ist ihre Seele rein und so makellos, wie ihre Haut. Ich könnte noch viel sagen, mehr vielleicht als die kältere Vernunft gutheißen würde; aber ich will Sie und mich schonen.« Ihre Stimme wurde unhörbar und ihr Gesicht beugte sich über die Schwester. Nach einem langen glühenden Kuß erhob sie sich, und mit der Farbe des Todes auf ihren Zügen, aber ohne eine Thräne in dem fieberhaft glänzenden Auge, sprach sie so würdevoll, als je: »Nun, wenn es dein Wille ist, will ich dir folgen!«

»Ja, geh‘!« rief Duncan, indem er Alice den Armen eines Indianermädchens übergab, »geh‘, Magua, geh‘! Diese Delawaren haben ihre Gesetze, welche ihnen verbieten, dich zurückzuhalten; aber mich – mich bindet kein solcher Zwang. Geh‘, boshaftes Ungeheuer, – warum zögerst du noch?«

Es würde schwer seyn, den Ausdruck zu beschreiben, mit welchem Magua diese Drohung anhörte. Zuerst war es wilde, unverholene Freude, die aber bald in die Miene kaltblütiger Verschmitztheit überging. »Die Wälder sind offen,« antwortete er ruhig, »die ›offene Hand‹ kann kommen.«

»Halt!« rief Hawk-eye, Duncan am Arm ergreifend und mit Gewalt zurückhaltend; »Ihr kennt die List des Schurken nicht. Er würde euch in einen Hinterhalt führen und euer Tod –«

»Hurone,« unterbrach sie Uncas, welcher, der strengen Sitte seines Volkes getreu, ruhig, aber aufmerksam zugehört hatte; »Hurone, die Gerechtigkeit der Delawaren kommt von Manitto. Sieh nach der Sonne; noch ist sie in den obersten Aesten jener Schierlingstannen: dein Pfad ist kurz und offen. Wenn sie über den Bäumen steht, werden Männer auf deiner Fährte seyn!«

»Ich höre eine Krähe!« rief Magua mit höhnischem Gelächter. »Geht!« fuhr er fort, seine Hand gegen die Menge schüttelnd, die ihm nur mit Widerstreben einen Durchzug öffnete – »Wo sind die Weiberröcke der Delawaren? Sie mögen ihre Pfeile und Büchsen den Wyandot’s schicken, sie sollen Wildpret zu essen und Korn zu behacken erhalten! Hunde, Kaninchen, Diebe – Ich speie euch an!«

Mit düsterem, Unheil weissagendem Schweigen wurde die Hohnrede des Scheidenden angehört, und mit diesem Spott im Munde trat der triumphirende Magua unangefochten in den Wald, gefolgt von der widerstandlosen Gefangenen und beschützt durch die unverletzlichen Gesetze indianischer Gastfreundschaft.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Spricht auch des Waldes edles Thier
Sein Recht an in dem Jagdrevier;
Gibt man dem Hirsche Raum und Frist,
Eh‘ springt der Hund, der Bogen zischt: –
Wo, wie den Schleicher Fuchs man schlägt,
Wann man ihn fängt, doch Niemand frägt.
Die Jungfrau vom See.

Nicht leicht findet man die Lager der Eingebornen gleich denen der besser unterrichteten Weißen von bewaffneten Kriegern bewacht. Von dem Nahen jeder Gefahr, während sie noch ferne ist, wohl unterrichtet, bleibt der Indianer im Allgemeinen sicher mit seiner Kenntniß der Zeichen des Waldes und im Vertrauen auf die langen und schwierigen Pfade, die ihn von den gefürchtetsten Gegnern trennen. Der Feind, der durch ein glückliches Zusammentreffen von Umständen Mittel gefunden, die Wachsamkeit der Kundschafter zu täuschen, begegnet in der Nähe ihrer Wohnungen selten Schildwachen, welche Lärm machen könnten. Zudem kannten die den Franzosen befreundeten Stämme das Gewicht des Schlages zu gut, der ihre Feinde eben betroffen hatte, um unmittelbare Gefahr von den Nationen zu fürchten, welche der brittischen Krone unterthan waren.

Als sich daher Duncan und David inmitten der Kinder befanden, welche die bereits erwähnten läppischen Spiele trieben, hatten diese nicht die geringste Kunde von ihrer Annäherung gehabt. Kaum aber waren sie erblickt worden, so erhob die ganze Kinderrotte einstimmig ein gellendes Warnungsgeschrei und verschwand wie durch einen Zauberschlag vor den Augen der Fremden. Die nackten, lohfarbigen Leiber der sich duckenden Unholde gingen zu dieser Tageszeit so ganz in die Farbe des verwitterten Grases über, daß es Anfangs wirklich schien, als ob sie die Erde verschlungen hätte. Als aber die erste Überraschung vorüber war und Duncan genauer hinschaute, begegnete sein Blick überall schwarzen, lebhaft rollenden Augen.

Dieses plötzliche Vorspiel der Ausforschung war für Heyward eben nicht sehr ermuthigend und sagte ihm, was er erst von dem reiferen Urtheile der Männer zu erwarten hätte. Es war ein Augenblick, wo der junge Krieger gerne den Rückweg angetreten hätte; allein jeder Schein von Zögerung wäre zu spät gekommen. Das Geschrei der Kinder hatte ein Dutzend Krieger an die Thür der nächsten Wohnung gezogen, wo sie in einer düstern und wilden Gruppe zusammen blieben und mit ernster Würde die Annäherung der unverhofften Besucher erwarteten.

David, einigermaßen vertraut mit der Scene, schritt mit einer Festigkeit voran, die jedes leichten Hindernisses zu spotten schien, und trat eben in jene Hütte ein. Sie war das Hauptgebäude des Dorfes, obgleich roh aus Rinde und Baumästen errichtet. Innerhalb seiner Wände hielt der Stamm bei seinem zeitigen Aufenthalte an den Gränzen der englischen Provinz seine öffentlichen Versammlungen und Berathungen. Während Duncan zwischen den dunkeln und mächtigen Gestalten der Wilden, die an der Schwelle zusammengedrängt waren, hindurchging, konnte er nur mit Mühe in seiner Miene die nothwendige Unbefangenheit behaupten; in der Ueberzeugung aber, daß sein Leben von seiner Geistesgegenwart abhänge, überließ er sich der Willkühr seines Begleiters, und ihm auf dem Fuße folgend, suchte er auf dem Wege alle Gedanken für das nun Kommende wieder zu sammeln. Sein Blut stockte, als er sich in der unmittelbarsten Berührung mit so wilden und unversöhnlichen Feinden sah; er bemeisterte aber seine Gefühle in so weit, daß er, ohne in seinem Ausdruck eine solche Schwäche zu verrathen, in die Mitte der Hütte gelangte. Nach dem Beispiel des besonnenen Gamut nahm auch er einen Bündel wohlriechenden Buschwerks von einem Haufen in der Ecke der Hütte, und ließ sich schweigend darauf nieder.

Sobald der neue Ankömmling an den beobachtenden Kriegern vorbeigeschritten war, verließen diese den Eingang, stellten sich um ihn her und schienen geduldig den Augenblick zu erwarten, wo die Würde des Fremden ihm zu sprechen gestatten würde. Bei weitem der größte Theil stand in müßiger, träger Stellung an die aufrechten Pfosten gelehnt, die das schwache Gebäude stützten, während drei oder vier der ältesten und ausgezeichnetsten unter den Häuptlingen sich etwas mehr im Vordergrunde niedersetzten.

Eine blendende Fackel brannte, und sandte, wie sie unter der Zugluft hin und herflackerte, ihren röthlichen Schimmer von Gesicht zu Gesicht und von Gestalt zu Gestalt. Duncan benützte ihr Licht, um aus den Mienen seiner Gastfreunde zu erforschen, welcher Empfang seiner wartete. Aber sein Scharfblick half ihm wenig, der wohlüberlegten Hinterlist des Volkes gegenüber, unter dem er sich befand. Die vorne sitzenden Häuptlinge warfen kaum einen Blick auf seine Person, ihre Augen mit einem Ausdruck auf die Erde heftend, den man für Achtung nehmen, aber eben so leicht als Mißtrauen fürchten konnte. Die Männer, welche im Schatten standen, waren weniger zurückhaltend. Duncan begegnete bald ihren forschenden, aber verstohlenen Blicken, wie sie seine Gestalt und seinen Aufzug Zoll für Zoll musterten, und keinen Zug seiner Miene, keine Geberde, keine Linie seiner Malerei, ja seinen Theil seiner Bekleidung unbeachtet und unbeurtheilt ließen

Endlich trat Einer, dessen Haare bereit« mit Grau sich zu mengen begannen, dessen sehnigte Glieder und fester Tritt aber ankündigten, daß er noch allen Ansprüchen des Mannesalters genügen könne, aus dem Dunkel eines Winkels hervor, wohin er sich wahrscheinlich begeben hatte, um ungesehen beobachten zu können, und sprach. Da er aber in der Mundart der Wyandots oder Huronen redete, so blieben seine Worte Heyward unverständlich, schienen aber nach den Geberden, die sie begleiteten, mehr Artigkeit, als Unwillen auszudrücken. Duncan schüttelte den Kopf und bedeutete durch eine Geberde, daß er nicht zu antworten vermöge.

»Spricht Keiner meiner Brüder französisch oder englisch?« fragte er in der ersteren Sprache, von einem Gesicht auf das andere schauend, und in der Hoffnung einem bejahenden Nicken zu begegnen.

Obgleich mehr denn ein Kopf sich wandte, den Sinn seiner Worte zu fassen, so blieben sie doch unbeantwortet.

»Es wäre mir leid,« fuhr Duncan langsam und in dem einfachsten Französisch, dessen er mächtig war, fort, »wenn ich glauben müßte, daß keiner in dieser weisen und tapferen Nation die Sprache des ›großen Monarchen,‹ deren er sich gegen seine Kinder bedient, verstehe. Schwer würde es ihm auf das Herz fallen, müßte er denken, daß seine rothen Krieger ihm so wenig Ehrfurcht bezeigen!«

Eine lange und ängstliche Pause erfolgte, keine Bewegung eines Gliedes, kein Ausdruck eines Auges ließ die Wirkung errathen, die seine Bemerkung hervorgebracht hatte. Duncan, welcher wußte, daß Stillschweigen eine Tugend bei seinen Wirthen hieß, benützte gerne diese Sitte, unterdessen seine Gedanken zu ordnen. Endlich antwortete derselbe Krieger, der sich vorher an ihn gewandt hatte, mit der trockenen Frage in canadischer Mundart:

»Wenn unser großer Vater mit seinem Volke spricht, geschieht es in der Sprache der Huronen?«

»Er kennt keinen Unterschied unter seinen Kindern, mag die Farbe ihrer Haut roth, schwarz oder weiß seyn,« antwortete Duncan, ausweichend, »obgleich er besonderes Wohlgefallen an den Huronen hat!«

»Wie wird er aber sprechen,« fragte der schlaue Häuptling, »wenn die Läufer ihm die Skalpe zählen, die vor fünf Nächten noch auf den Köpfen der Yengeese wuchsen?«

»Sie waren seine Feinde,« sprach Duncan, unwillkürlich schaudernd, »und ohne Zweifel wird er sagen: es ist gut – meine Huronen sind sehr tapfer.«

»Unser Canadavater denkt nicht so. Statt vorwärts zu schauen und seine Indianer zu belohnen, sind seine Augen rückwärts gewendet. Er sieht die todten Yengeese, aber keine Huronen. Was kann dies bedeuten?«

»Ein großer Häuptling, wie er, hat mehr Gedanken als Zungen. Er schaut sich um, zu sehen, ob ihm keine Feinde auf der Fährte seyen.«

»Das Canoe eines todten Kriegers schwimmt nicht mehr auf dem Horican,« entgegnete düster der Wilde. »Seine Ohren sind den Delawaren offen, welche nicht unsere Freunde sind, und sie füllen sie mit Lügen.«

»Es kann nicht seyn. Seht, er hat mich, da mir die Kunst, Kranke zu heilen, eigen ist, geheißen, zu seinen Kindern, den rothen Huronen an den großen Seen zu gehen, um zu fragen, ob welche krank seyen.«

Eine zweite Pause folgte dieser Ankündigung des Berufs, den sich Duncan gegeben hatte. Aller Augen hefteten sich zu gleicher Zeit auf ihn, als wollten sie die Wahrheit oder Falschheit seiner Aussage erkunden, und mit so kühnem Scharfblick, daß der Gegenstand ihrer Ausforschung zittern mußte. Er wurde jedoch von dem früheren Sprecher wieder beruhigt.

»Bemalen die kunstfertigen Männer in Canada sich die Haut?« fragte der Hurone kaltblütig weiter: »sie rühmten sich doch sonst ihres blassen Gesichtes!«

»Wenn ein Indianerhäuptling zu seinen weißen Vätern kommt,« versetzte Duncan mit großer Festigkeit, »so legt er seine Büffelkleidung ab, um das Hemd zu tragen, das ihm angeboten wird. Meine Brüder haben mir diese Farben gegeben, und ich trage sie.«

Ein halblautes Gemurmel des Beifalls verkündigte, daß diese Artigkeit für den Stamm günstig aufgenommen wurde. Der ältliche Häuptling machte eine Geberde der Zufriedenheit, in welche die meisten seiner Genossen einstimmten, ihre Hand aufreckend und mit einem kurzen Ausrufe des Wohlgefallens. Duncan athmete wieder freier, in der Meinung, das Schwerste sey vorüber, und da er sich bereits auf eine einfache und leicht glaubliche Erzählung zur Stütze seines angeblichen Berufes vorbereitet hatte, so fand seine Hoffnung auf endliches Gelingen neue Nahrung.

Nach einem kurzen Stillschweigen erhob sich ein anderer Krieger, als wollte er seine Gedanken vorher ordnen, um auf die eben gegebene Erklärung des Gastes gebührenden Bescheid zu ertheilen, und schickte sich zum Sprechen an. Schon bewegten sich seine Lippen, da erschollen dumpfe, aber schreckhafte Laute aus dem Walde, denen unmittelbar ein helltönendes, schrilles Geschrei, von solcher Dauer folgte, daß es dem kläglichen langen Geheul eines Wolfes glich. Diese plötzliche und furchtbare Unterbrechung schreckte Duncan von seinem Sitze auf und ließ ihn über dem Eindrucke dieser gräßlichen Töne alles Uebrige vergessen. In demselben Augenblick verließen alle Krieger zumal die Hütte, und die Luft außerhalb erfüllten laute Ausbrüche von Geschrei, die jene schrecklichen, immer noch aus den Blätterhallen des Waldes schallenden Laute beinahe übertönten. Unfähig, sich länger zu halten, eilte auch der Jüngling aus der Hütte und fand sich plötzlich mitten unter einem unordentlichen Haufen, der beinahe Alles, was in den Gränzen des Lagers Leben hatte, in sich schloß. Männer, Weiber und Kinder; Alte, Gebrechliche, Rüstige, Starke – Alles war auf den Beinen: die Einen riefen laut, Andere schlugen wie verrückt vor Freude die Hände zusammen, und Alle drückten ihr wildes Frohlocken über ein unerwartetes Ereigniß aus. Obgleich anfangs wie betäubt von dem Aufruhr, fand Heyward bald in der folgenden Scene alles erklärt.

Der Himmel gab noch hinreichendes Licht, um die helleren Oeffnungen zwischen den Gipfeln der Bäume bemerken zu lassen, wo verschiedene Pfade aus der Lichtung in die Tiefen der Wildniß führten. Auf einem derselben kam eine Reihe von Kriegern aus dem Walde hervor und näherten sich langsam den Wohnungen. Einer der Vordersten trug eine kurze Stange, an welcher, wie man nachher sah, mehrere menschliche Skalpe aufgehängt waren. Die erschütternden Töne, welche Duncan gehört, waren das, was die Weißen nicht ungeeignet das Todesgeschrei nennen, und jede Wiederholung derselben sollte dem Stamme das Schicksal eines Feindes verkünden.

So weit konnte Heyward von seiner Erfahrung Aufschluß erhalten: und da er jetzt wußte, daß die unerwartete Rückkehr aus einem glücklichen Kriegszuge Ursache der Unterbrechung gewesen war, so verschwand jede Besorgniß und er wünschte sich innerlich Glück zu einer so willkommenen Erleichterung, die viele Aufmerksamkeit von ihm abziehen mußte.

Etwa hundert Schritte von den Hütten machten die neu angekommenen Krieger Halt. Ihr klägliches und erschreckendes Geheul, bald das Wehklagen der Sterbenden, bald den Triumph der Sieger darzustellen bestimmt, hatte gänzlich aufgehört. Einer von ihnen rief jetzt laut in Worten, welche ferne davon, die Ohren der Zuhörer zu erschrecken, ihnen doch kaum verständlicher waren, als das eben verstummte ausdrucksvolle Geheul. Es würde schwer seyn, einen Begriff von der wilden Verzückung zu geben, mit welcher die so mitgetheilte Kunde aufgenommen wurde. Das ganze Lager bildete in einem Augenblicke den Schauplatz der wildesten, geräuschvollsten Bewegung. Die Krieger zogen ihre Messer und bildeten, sie emporschwingend, zwei Reihen zu einer Gasse, welche von dem Siegerhaufen bis zu den Hütten fühlte. Die Squaws ergriffen Keulen, Aexte oder die erste beste Angriffswaffe, die sich ihren Händen darbot, und stürzten herbei, um in dem grausamen Spiele, das nun beginnen sollte, ihre Rollen zu übernehmen. Selbst die Kinder wollten nicht ausgeschlossen seyn: Knaben, schwer vermögend Waffen zu handhaben, rissen ihren Vätern die Tomahawks aus dem Gürtel, schlichen sich in die Reihen und ahmten geschickt die wilden Bewegungen ihrer Aeltern nach. Große Haufen Gestrüpp lagen in der Lichtung zerstreut umher, und eine erfahrene, alte Squaw war beschäftigt, deren so viele anzuzünden, als zur Beleuchtung der kommenden Scene erforderlich war. Die Flamme schlug empor, sie war mächtiger als der scheidende Tag, und ließ die Gegenstände zwar deutlich, aber nur um so gräßlicher erscheinen. Die ganze Scene bot das fesselndste Gemälde, dessen Rahmen der dunkle Saum der hohen Fichten bildete. Die neu angekommenen Krieger waren am weitesten entfernt, im Vordergrunde aber standen zwei Männer, aus der Zahl der Uebrigen auserwählt, um in dem nun beginnenden Schauspiele die Hauptrollen zu spielen. Das Licht war nicht stark genug ihre Gesichtszüge deutlich erkennen zu lassen, aber man sah wohl, daß sie von sehr verschiedenen Gefühlen bewegt wurden. Während der Eine in fester Haltung aufrecht stand, bereit, seinem Schicksal als Held sich zu unterwerfen, senkte der Andere sein Haupt, als wäre er von Schrecken gelähmt oder von Scham darnieder gedrückt. Der edelmüthige Duncan fühlte sich mächtig angetrieben, dem Ersteren Bewunderung und Theilnahme zu zollen, obgleich sich keine Gelegenheit bot, seinen edeln Regungen Worte zu geben. Er bewachte mit unverwandtem Auge seine geringsten Bewegungen, und während er den leichten Umrissen eines wunderbar schön gebildeten und kräftigen Körpers folgte, suchte er sich zu überreden, daß wenn es in der Macht eines Menschen stehe, unterstützt durch Muth und Entschlossenheit die Probe so schwerer Gefahr glücklich zu bestehen, der junge Gefangene wohl auf Glück in dem ihm bevorstehenden gewagten Laufe hoffen dürfe. Unvermerkt näherte sich der junge Mann den dunkeln Reihen der Huronen, und athmete kaum, so gespannt war sein Interesse für das ganze Schauspiel. Jetzt ertönte das Signalgeschrei, und die augenblickliche Stille, welche vorangegangen war, wurde durch einen Ausbruch von Geheul unterbrochen, der seines Gleichen noch nicht gefunden hatte. Das eine so sehr niedergeschlagene Schlachtopfer blieb regungslos stehen, der Andere aber sprang bei dem Schrei mit der Geschwindigkeit und Gewandtheit eines Hirsches davon. Statt durch die feindlichen Linien, wie man erwartet hatte, zu stürzen, hatte der Gefangene kaum die gefährliche Enge erreicht, als er sich wandte und ehe ein Streich gegen ihn geführt werden konnte, über die Köpfe einer Reihe Kinder setzte und mit einem Mal die äußere, sicherere Seite der furchtbaren Kriegerreihe gewann. Dieser List folgten hundertstimmige Verwünschungen: die ganze, aufgeregte Menge stob auseinander und zerstreute sich in wilder Verwirrung über den Platz.

Ein Dutzend Haufen brennenden Gestrüppes ergossen ihr röthliches Licht über den Platz, der einer unheimlichen, geisterhaften Kampfstätte glich, wo böse Dämonen sich versammelt hatten, ein blutiges, ruchloses Werk zu beginnen. Die Gestalten im Hintergrunde glichen überirdischen Wesen, während sie vor dem Auge vorbeiglitten und die Lüfte mit tollen und sinnlosen Bewegungen durchschnitten: die wilden Leidenschaften solcher aber, die an der Flamme vorüber kamen, erschienen furchtbar deutlich in dem Lichte, das über ihre wuthsprühenden Züge lief.

Es läßt sich leicht denken, daß unter solch einem Getümmel rachedürstender Feinde der Flüchtling nicht zu Athem kommen konnte. Einen einzigen Augenblick schien es, als ob er den Wald erreichen würde; aber der ganze Schwarm der Sieger warf sich ihm entgegen und trieb ihn in die Mitte einer erbarmungslosen Verfolgung zurück. Sich umwendend, wie ein eingeholter Hirsch, schoß er pfeilschnell über ein hoch aufloderndes Feuer, durchdrang die ganze Menge ungefährdet und erschien wieder auf der entgegengesetzten Seite der Lichtung. Aber auch hier traf er auf einige der älteren und schlaueren Huronen, die ihn abermals zurücktrieben. Noch einmal warf er sich in das Gedränge, als ob er in der allgemeinen Verwirrung Sicherheit suchte, und dann vergingen einige Augenblicke, während welcher Duncan den gewandten und muthigen jungen Fremdling verloren glauben mußte. Man konnte nichts unterscheiden als eine dunkle Masse menschlicher Gestalten, welche sich in einem verworrenen Getümmel stießen und durch einander drängten. Arme, blitzende Messer und furchtbare Keulen ließen sich erkennen, aber die Streiche wurden augenscheinlich nur aufs Gerathewohl geführt. Der furchtbare Eindruck dieser Scene ward noch erhöht durch das durchdringende Geschrei der Weiber und das wilde Geheul der Krieger. Hier und da fiel ein flüchtiger Lichtschein auf eine leichte Gestalt, welche in verzweifeltem Sprunge durch die Luft schoß, und ließ Duncan mehr hoffen als glauben, der Gefangene sey immer noch Herr seiner bewundernswürdigen Stärke und Gewandtheit. Plötzlich warf sich die Menge zurück nach der Stelle, wo er selber stand: die schwerfällige Masse der Verfolger drängte die Weiber und Kinder im Vorgrunde und warf einige zu Boden. Der Fremde ward in der Verwirrung wieder sichtbar. Menschliche Kräfte aber mußten einer so fürchterlichen Probe erliegen. Dies schien der Gefangene zu fühlen: die augenblickliche Oeffnung benutzend, brach er aus der Mitte der Krieger hervor und machte einen verzweifelten und, wie es Duncan schien, letzten Versuch, den Wald zu gewinnen. Gleich als wüßte er, daß ihm von dem jungen Soldaten keine Gefahr drohe, berührte er ihn beinahe auf seiner Flucht, dicht an ihm vorbei eilend. Ein hoher, mächtiger Hurone, der seine Kräfte bisher geschont hatte, war ihm auf den Fersen und drohte mit aufgehobenem Arm einen tödlichen Streich zu führen, Duncan streckte seinen Fuß vor und dieser Stoß warf den ungestümen Wilden weit vor sein beabsichtigtes Opfer gestreckt auf die Erde hin. Mit Gedankenschnelle benützte der Verfolgte den Vortheil: er wandte sich, blitzte einem Meteore gleich vor Duncan vorbei und im nächsten Augenblick, als dieser seine Besinnung wieder gewann und nach dem Gefangenen umschaute, sah er ihn ruhig gegen einen kleinen bemalten Pfosten vor dem Thor der Haupthütte gelehnt dastehen.

Aus Furcht, die Rolle, die er bei dieser Rettung gespielt, möchte ihm selbst verderblich werden, verließ Duncan ohne Verzug seinen Platz und folgte dem Haufen, der sich unmuthig und düster nach den Wohnungen zog, einer schaulustigen Volksmenge ähnlich, die vergeblich auf eine Hinrichtung gewartet hat. Neugierde oder vielleicht ein besseres Gefühl trieb ihn, sich dem Fremden zu nähern. Dieser hielt mit einem Arm den schützenden Pfosten umschlungen und athmete nach seiner verzweifelten Anstrengung tief und schwer, doch zu stolz, das geringste Zeichen des Leidens von sich zu geben. Er war jetzt durch eine unvordenkliche und heilige Sitte geschützt, bis der Stamm in voller Versammlung sein Schicksal berathen und entschieden hatte. Wenn man übrigens aus der Stimmung derer, die den Platz umgaben, Schlüsse ziehen dürfte, so war das Ergebniß leicht vorauszusehen.

Kein Schimpfwort gab es in der Huronensprache, das die getäuschten Weiber nicht gegen den glücklichen Fremden verschwenderisch ausgestoßen hätten. Sie höhnten seine Anstrengungen und sagten ihm mit bitterem Spott, daß seine Füße besser als seine Hände seyen; daß er Flügel verdiente, da er weder Pfeil noch Messer zu kennen scheine. Der Gefangene gab auf alles dies keine Antwort, sondern begnügte sich, eine Stellung zu beobachten, in der sich Würde wunderbar mit Verachtung mischte. Diese Ruhe sowohl, als das gute Glück des Gefangenen erbitterten die Weiber gleich sehr, ihre Worte erstickten und gingen in ein schrilles, durchdringendes Geheul über. Gerade jetzt drang die geschäftige Alte, welche die Vorsicht gebraucht hatte, das Gesträuch in Brand zu stecken, durch die Menge und machte sich vor dem Gefangenen freie Bahn. Die schmutzige und verwitterte Erscheinung dieser Unholdin mochte leicht auf ein Vorhandenseyn übermenschlicher Kräfte schließen lassen. Ihr leichtes Gewand zurückwerfend, streckte sie höhnisch ihren langen knöchernen Arm vor und rief, um dem Gegenstand ihrer Schmähungen verständlicher zu werden, in der Sprache der Lenapen: »Höre mich, Delaware,« schrie sie, indem sie ihm in’s Antlitz ein Schnippchen schlug, »Deine Nation ist ein Geschlecht von Weibern; die Hacke schickt sich besser für Eure Hände als die Büchse. Eure Squaws gebären Hirsche; käme ein Bär, eine wilde Katze oder eine Schlange unter Euch zur Welt, so würdet Ihr Reißaus nehmen. Die Huronenmädchen sollen dir Weiberröcke machen und wir wollen nach einem Manne für dich sehen.«

Ein wildes Gelächter folgte diesem Angriff, und die sanften, melodischen Töne der jüngeren Frauen klangen seltsam mit der kreischenden Stimme der ältern und boshafteren Genossin zusammen. Allein der Fremde trotzte allen diesen Bemühungen. Sein Haupt blieb unbeweglich, nicht die leiseste Kenntniß schien er von den Anwesenden zu nehmen, außer wenn sein stolzes Auge von Zeit zu Zeit gegen die dunkeln Gestalten der Krieger rollte, welche – schweigende, finstere Beobachter der Scene – in dem Hintergrunde auf und nieder schritten.

Wüthend über die Selbstbeherrschung des Gefangenen, stemmte die Alte ihre Arme in die Seite, warf sich in eine herausfordernde Stellung und brach von Neuem in einen Strom von Schmähungen, welche keine Kunst vermögend wäre, mit Erfolg zu Papier zu bringen. Sie verströmte jedoch vergeblich ihren Athem: obgleich sie unter ihrem Volke als eine Heldin in der Kunst zu schmähen gelten konnte, und sich in eine Wuth gesteigert hatte, die ihr den Schaum aus dem Munde trieb, so konnte sie es doch nicht dahin bringen, daß der regungslos dastehende Fremde auch nur eine Muskel rührte. Der Aerger über diese Gleichgültigkeit begann sich auch den andern Zuschauern mitzutheilen, und ein Jüngling, der eben erst aus dem Knabenalter in die Jahre der Mannheit hinüberschritt, kam der keifenden Alten zu Hülfe, indem er, einen Tomahawk vor dem Schlachtopfer schwingend, ihren Hohn mit seinen leeren Ruhmreden verstärkte. Jetzt wandte der Gefangene sein Antlitz nach dem Lichte und sah auf den Knaben mit einem Blick herab, der mehr als Verachtung ausdrückte! im nächsten Augenblick aber nahm er die ruhige, lehnende Haltung gegen den Pfosten wieder ein: aber diese Veränderung der Stellung hatte Duncan vergönnt, einige Blicke mit den festen, durchdringenden Augen des Gefangenen – mit Uncas zu wechseln.

Athemlos vor Erstaunen und schwer geängstet über die gefährliche Lage des Freundes, wich Heywald diesem Blicke aus, zitternd, das Verderben des Gefangenen – wußte er auch nicht wie – zu beschleunigen. Doch diese Furcht war für den Augenblick unnütz. Jetzt drängte sich ein Krieger durch die erhitzte Menge, Weiber und Kinder mit ernster Miene bei Seite weisend, nahm Uncas beim Arm und führte ihn gegen die Thüre des Versammlungshauses. Alle Häuptlinge und die meisten ausgezeichneten Krieger der Nation folgten, und der ängstliche Heyward fand Mittel, sich unter ihnen mit einzudrängen, ohne eine ihm selbst gefährliche Aufmerksamkeit zu erregen.

Einige Minuten gingen darüber hin, den Anwesenden nach ihrem Rang und Einfluß in dem Stamme Plätze anzuweisen. Die Ordnung war ziemlich dieselbe, wie bei dem früheren Zusammentreffen: die älteren und höheren Häuptlinge nahmen den Vordergrund des geräumigen Gemaches ein, hell beleuchtet von dem blendenden Lichte einer Fackel, indeß die jüngeren, untergeordneteren Krieger im Hintergründe sich sammelten, eine dunkle Masse schwärzlicher Gestalten und scharf ausgeprägter Gesichtszüge. Mitten im Kreise, unmittelbar unter einer Oeffnung, durch welche ein Paar Sterne flimmerten, stand Uncas, ruhig, erhaben, gefaßt. Seine Hoheit und Würde verfehlte ihres Eindruckes auf die Sieger nicht: ihre Blicke wandten sich oft mit einem Ausdruck auf ihn, der, die Unbeugsamkeit ihrer Entschlüsse verkündend, dennoch Von Bewunderung für den kühnen Muth des Fremdlings zeugte.

Anders das Individuum, welches Duncan vor dem verzweifelten Reihenlauf neben seinem Freunde hatte stehen sehen. Statt an der Jagd Theil zu nehmen, war der Gefangene während dieses wilden Aufruhrs, einem Bilde der Scham oder des Unglücks gleich, niedergedrückt dagestanden. Obgleich keine Hand sich ausgereckt hatte ihn zu grüßen, kein Auge sich herabließ, seine Bewegungen zu bewachen, war auch er gleichfalls in die Hütte eingetreten, als zöge ihn ein Verhängniß, dem er sich ohne Kampf fügen müsse. Heyward benützte die erste Gelegenheit, ihm ins Gesicht zu sehen, in der geheimen Besorgniß, auch in seinen Zügen einem Bekannten zu begegnen; allein sie waren die eines fremden, und, was ihm noch unerklärlicher schien, er trug alle unterscheidenden Merkmale eines Huronenkriegers. Statt jedoch unter seinen Stamm zu treten, setzte er sich bei Seite, einsam mitten unter der Menge, und duckte sich in eine demüthige Stellung, als wollte er so wenig als möglich Raum einnehmen. Als Jeder den ihm zukommenden Platz eingenommen hatte und allgemeine Stille eingetreten war, begann der Häuptling mit grauen Haaren, den wir bereits erwähnt haben, in der Sprache der Lenni-Lenapen:

»Delaware,« sprach er, »obgleich aus einer Nation von Weibern, so hast du dich doch als ein Mann erprobt. Gerne würd‘ ich dir Nahrung geben, aber wer mit einem Huronen ißt, muß sein Freund werden. Ruhe im Frieden bis zur Morgensonne, dann soll unser letztes Wort gesprochen werden.«

»Sieben Nachte und sieben Sommertage habe ich auf der Fährte der Huronen gefastet,« erwiederte kaltblütig Uncas. »Die Kinder der Lenapen wissen auf dem Pfade der Gerechten zu wandeln, ohne sich mit Essen aufzuhalten.«

»Zwei meiner jungen Krieger verfolgen deinen Begleiter,« fuhr der Andere wieder fort, ohne, wie es schien, auf die Ruhmrede seines Gefangenen zu achten; »wenn sie zurück sind, werden unsere weisen Männer zu dir sagen: leb‘ oder stirb!«

»Hat ein Hurone keine Ohren?« rief Uncas verächtlich aus. »Zwei Mal hat der Delaware, seit er euer Gefangener ist, den Knall einer Büchse gehört, die er wohl kennt. Eure jungen Männer kehren nimmer zurück!«

Eine kurze und düstere Pause folgte dieser kühnen Behauptung. Duncan, welcher merkte, daß der Mohikaner auf die verhängnißvolle Büchse des Kundschafters anspielte, beugte sich vorwärts, ängstlich zu beobachten, welchen Eindruck diese Worte auf die Sieger machen würden; der Häuptling begnügte sich aber, einfach zu erwiedern:

»Wenn die Lenapen so geschickt sind, warum ist einer ihrer tapfersten Krieger hier?«

»Er folgte den Fußstapfen eines fliehenden Feiglings und fiel in eine Schlinge. Auch der schlaue Biber kann gefangen werden.«

Während Uncas so sprach, deutete er mit dem Finger auf den einsamen Huronen, ohne jedoch einem so unwürdigen Gegenstande weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Diese Antwort und die Miene des Sprechers brachten unter seinen Zuhörern große Aufregung hervor. Aller Augen wandten sich finster auf den durch jene einfache Geberde Bezeichneten und ein dumpfes, drohendes Gemurmel lief durch die Versammelten. Diese verhängnißvollen Laute erreichten die äußere Thüre und das Ohr der Weiber und Kinder, die so dicht zusammengedrängt standen, daß zwischen Schulter und Schulter keine Lücke blieb, die nicht durch die dunkeln Lineamente eines neugierigen menschlichen Gesichtes ausgefüllt worden wäre. Indessen verkehrten die älteren Häuptlinge in der Mitte unter einander in kurzen, abgebrochenen Sätzen. Kein Wort ward gesprochen, das nicht die Meinung des Sprechers auf die einfachste, kräftigste Weise zu erkennen gab. Abermals trat eine lange, feierliche Stille ein. Sie war, wie Alle wußten, der ernste Vorbote eines wichtigen und schweren Urtheilspruchs. Die den äußeren Kreis Bildenden, stellten sich auf die Zehenspitzen, um sehen zu können; selbst der Schuldige vergaß für einen Augenblick seiner Schmach und gab, von einem stärkeren Gefühle ergriffen, seine niedergeschlagenen Gesichtszüge preis, um einen ängstlichen, unruhigen Blick auf die finstere Versammlung der Häuptlinge zu werfen. Das Stillschweigen ward endlich von dem öfter genannten betagten Häuptlinge unterbrochen. Er erhob sich von der Erde, ging an der unbeweglichen Gestalt des Mohikaners vorbei und stellte sich in würdevoller Haltung vor den Schuldigen. In diesem Augenblick trat die vorerwähnte alte Squaw, eine Fackel in der Hand in den Kreis, auf die eine Seite geneigt einen langsamen Tanz beginnend und die unverständlichen Worte einer Art von Beschwörung murmelnd. Obgleich sie sich ungerufen eingedrängt hatte, so ließ man sie dennoch gewähren.

Als sie sich Uncas genähert hatte, hielt sie ihm den lodernden Feuerbrand dicht entgegen, dessen rother Schein ein so volles Licht auf ihn warf, daß man die geringste Bewegung in seinen Gesichtszügen unterscheiden konnte. Der Mohikaner beharrte in seiner festen, stolzen Haltung; und sein Auge, verschmähend, ihrem forschenden Blicke zu begegnen, schaute fest in die Ferne, als ob es die Hindernisse, die seine Blicke hemmten, durchdränge und in die Zukunft schaute. Zufrieden mit ihrer Untersuchung, verließ sie ihn mit einem leichten Ausdruck des Vergnügens, um ihren schuldigen Landsmann derselben Probe zu unterwerfen.

Der junge Hurone war mit den Kriegsfarben seines Stammes bemalt und sein Anzug verhüllte wenig von seinen schön gebildeten Formen. Das Licht ließ alle Glieder und Gelenke genau unterscheiden; aber schaudernd wandte sich Duncan ab, als er sah, wie sie in unbesiegbarer Todesangst rangen. Die Alte stimmte bei diesem traurigen und schimpflichen Anblick ein tiefes klagendes Geheul an; der Häuptling aber streckte seinen Arm aus und drängte sie sanft auf die Seite.

»Schwankendes Rohr!« sprach er, den jungen Schuldigen bei seinem Namen und in seiner Muttersprache anredend; »obgleich der große Geist dich gefällig für das Auge geschaffen hat, so wäre es doch besser, du wärest nicht geboren worden. Deine Zunge ist laut in dem Dorf, aber stumm in der Schlacht. Keiner meiner Jünglinge schlägt den Tomahawk tiefer in den Kriegspfosten – keiner so schwach auf die Yengeese. Die Feinde kennen die Gestalt deines Rückens, haben aber nie die Farbe deiner Augen gesehen. Drei Mal haben sie dir zugerufen, zu kommen, und eben so oft hast du vergessen zu antworten. Dein Name wird in deinem Stamme nie wieder genannt werden. – Er ist bereits vergessen.«

Während der Häuptling langsam diese Worte sprach, und nachdrucksvoll zwischen jedem Satze innehielt, erhob der Schuldige aus Achtung vor dem Rang und den Jahren des Andern sein Antlitz. Scham, Schrecken und Stolz kämpften in seinen Zügen. Sein Auge, vor innerem Schrecken krampfhaft zusammengezogen, irrte auf den Personen umher, von deren Athem sein Ruf abhing, und Stolz gewann für einen Augenblick die Oberhand. Er stand auf, entblößte seine Brust und blickte fest auf das scharfe, blinkende Messer, das sein unerbittlicher Richter bereits empor hielt. Als die Waffe ihm langsam in das Herz drang, lächelte er sogar, als freue er sich, den Tod nicht so furchtbar zu finden, als er erwartet hatte, und fiel in schwerem Falle auf sein Gesicht zu den Füßen des starren und unbeugsamen Uncas nieder.

Die Squaw erhob ein lautes, klägliches Geheul, stieß die Fackel auf die Erde, und begrub Alles umher in tiefe Finsterniß. Die ganze schaudernde Gruppe der Zuschauer eilte gleich aufgeschreckten Geistern aus dem Hause; und Duncan glaubte sich mit dem noch zuckenden Schlachtopfer eines indianischen Richterspruchs allein in demselben zurückgelassen.

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Der Weise sprach‘, alsbald der Fürsten Rath
Sich auflöst‘, ihrem Haupte zu gehorchen.
Pope’s Iliate.

Ein einziger Augenblick überzeugte den Jüngling, daß er sich getäuscht hatte. Eine Hand legte sich mit kräftigem Druck auf seinen Arm, und Uncas‘ leise Stimme flüsterte ihm in das Ohr:

»Die Huronen sind Hunde. Vor dem Anblick des Blutes eines Feigen erzittert ein Krieger nicht. Das ›graue Haupt‹ und der Sagamore sind in Sicherheit, und Hawk-eye’s Büchse schläft nicht. Geh – Uncas und die ›offene Hand‹ sind sich jetzt fremd. Es ist genug!«

Heyward hätte gerne noch mehr gehört, aber ein sanfter Druck des Freundes schob ihn nach der Thüre hin und mahnte ihn an die Gefahr, die mit einer Entdeckung ihres Verkehres verbunden seyn müßte. Langsam und widerstrebend fügte er sich in die Nothwendigkeit, verließ die Hütte und trat unter die Menge, welche in der Nähe verweilte. Die erlöschenden Feuer der Lichtung warfen ein düsteres, ungewisses Licht auf die dunkeln Gestalten, welche stillschweigend hin und her schritten; von Zeit zu Zeit drang ein hellerer Schein, stärker als gewöhnlich, in die Hütte, und ließ Uncas‘ Gestalt immer noch in derselben aufrechten Stellung, neben ihm die Leiche des Huronen, erblicken.

Ein Trupp Krieger traten wieder herein und trugen jene leblosen Ueberreste in den benachbarten Wald. Nach diesem Auftritte wanderte Duncan, unbefragt und unbeachtet, den Wohnungen entlang, bemüht, eine Spur von ihr aufzufinden, für welche er sich in solche Gefahr begeben hatte. Bei der jetzigen Stimmung der Wilden wäre es ihm leicht gewesen, zu entfliehen und seine Freunde wieder zu finden, hätte ihm ein solcher Gedanke kommen können. Aber außer der nimmer ruhenden Angst um Alice hielt ihn auch die neue, wenn gleich minder quälende Sorge um Uncas an dem Orte fest. Er streifte daher von Hütte zu Hütte weiter, doch immer nur um neuer Täuschung auf seine suchenden Blicke zu begegnen, bis er im ganzen Dorfe die Runde gemacht hatte. Endlich gab er eine Nachforschung auf, die so fruchtlos blieb, und kehrte nach der Berathungshütte zurück, entschlossen David aufzusuchen und zu befragen, um seinen Zweifeln ein Ende zu machen. Als Duncan das Gebäude erreicht hatte, das Gerichtsstätte und Hinrichtungsort zumal geworden, fand er, daß die Aufregung bereits verschwunden war. Die Krieger hatten sich wieder versammelt und rauchten ruhig ihre Pfeifen, während sie sich über die Hauptvorfälle auf ihrem letzten Zuge nach der Quelle des Horican ernsthaft unterhielten. Obgleich Duncan’s Rückkehr sie an seinen vorgeblichen Stand und die verdächtigen Umstände seines Besuchs erinnern mußte, so blieb sie doch ohne sichtbaren Eindruck. Ja die kaum entschwundene schreckliche Scene begünstigte sogar seine Zwecke, und er durfte nur in sein Inneres blicken, um sich von der Nothwendigkeit einer schnellen Benützung dieses unerwarteten Vortheils zu überzeugen.

Ohne sichtbare Zögerung trat er in die Hütte, und nahm seinen Sitz mit einem Ernste ein, der zu dem Benehmen seiner Gastfreunde ungemein gut stimmte. Ein flüchtiger, aber forschender Blick genügte ihm darzuthun, daß Uncas an seinem früheren Platze geblieben war, David aber nicht wieder erschienen sey. Jener war keiner andern Bewachung unterworfen, als den aufmerksamen Blicken eines jungen Huronen, der ihm zur Seite stand. Ein bewaffneter Krieger lehnte überdies an dem Pfosten, der eine Seite des engen Thorweges bildete. In jeder andern Hinsicht schien der Gefangene frei zu seyn, nur war er von aller Theilnahme an der Unterhaltung ausgeschlossen, und glich mehr einer schön geformten Bildsäule, als einem Manne, der Leben und Willen in sich trug. Heyward hatte vor zu kurzer Zeit ein schreckliches Beispiel von dem schnellen Strafverfahren eines Volkes erlebt, in dessen Hände er gegeben war, um sich durch übertriebene Keckheit einer Gefahr auszusetzen. Er hätte daher gerne statt aller Unterhaltung in schweigendem Nachsinnen verharrt, da eine Entdeckung seines wahren Charakters so augenblicklich verderblich für ihn hätte werden können. Zum Unglück aber für diesen klugen Entschluß schienen die Anwesenden anders gestimmt. Er hatte den Platz noch nicht lange inne, den er klüglich etwas im Schatten eingenommen hatte, als ein zweiter älterer Krieger, der französisch sprach, sich an ihn wandte.

»Mein Canadavater vergißt seine Kinder nicht,« sagte der Häuptling, »ich danke ihm. Ein böser Geist lebt in der Frau eines meiner jungen Männer. Kann der kundige Fremde ihn hinwegschrecken?«

Heyward besaß einige Kenntniß von den Gaukeleien, die unter den Indianern gegen vermeintliches Besessenseyn im Schwange waren. Er sah mit einem Blicke, daß dieser Umstand vielleicht für seine eigenen Zwecke ausgebeutet werden könne, und es hätte ihm daher eben jetzt Wohl nicht leicht ein erwünschterer Vorschlag gemacht werden können. Da er aber von der Nothwendigkeit überzeugt war, die Würde seines vorgeblichen Charakters zu bewahren, so unterdrückte er seine Gefühle und antwortete in einem entsprechend geheimnißvollen Tone: »Der Geister sind verschiedene: die einen weichen der Macht der Weisheit, die andern sind zu mächtig für sie.«

»Mein Bruder ist ein großer Arzt,« sprach der schlaue Wilde, »will er es versuchen?«

Eine Geberde der Zustimmung war die Antwort. Der Hurone war mit der Zusage zufrieden, nahm seine Pfeife wieder auf und wartete auf einen schicklichen Augenblick zum Aufbruch. Der ungeduldige Heyward verwünschte innerlich die ruhige Sitte der Wilden, die dem Scheine so viel Opfer brachte, nahm aber klüglich dieselbe Gleichgültigkeit, wie der Häuptling an, der wirklich ein naher Verwandter der gequälten Frau war. Minute um Minute schwand, und der Aufschub dünkte den angehenden Charlatan stundenlang, da setzte endlich der Hurone seine Pfeife bei Seite und zog seinen Mantel über die Brust, als sey er im Begriff, ihn nach der Wohnung der Kranken zu führen. In diesem Augenblicke aber verdunkelte die mächtige Gestalt eines Kriegers das Licht des Thorwegs, und setzte sich, stillschweigend durch die aufmerksame Gruppe hinschreitend, auf das andere Ende des niederen Haufens Gestrüpp, welcher Duncan trug. Dieser warf einen ungeduldigen Blick auf seinen Nachbar, und ein unwillkürlicher Schauder überlief ihn, als er sich in so unmittelbarer Berührung mit Magua fand.

Die plötzliche Rückkehr dieses arglistigen und gefürchteten Häuptlings ließ den Huronen seinen Weg aufschieben. Mehrere Pfeifen, die bereits ausgelöscht waren, wurden wieder angezündet, während der neue Ankömmling, ohne ein Wort zu sprechen, seinen Tomahawk aus dem Gürtel zog, den Kopf an dem oberen Ende desselben füllte und die Dünste des Krautes durch den hohlen Schaft mit einer Gleichgültigkeit einsog, als wäre er nicht zwei ermüdende Tage auf einer langen und anstrengenden Jagd ausgewesen. Zehn Minuten, welche Duncan eben so viele Menschenalter schienen, mochten auf diese Weise verflossen seyn, und sämmtliche Krieger waren in eine weiße Rauchwolke eingehüllt, ehe einer von ihnen sprach.

»Willkommen!« rief endlich einer, »hat mein Freund das Mußthier gefunden?«

»Die jungen Krieger schwanken unter ihren Lasten,« versetzte Magua, »das schwankende Rohr gehe auf den Jagdpfad; er wird sie treffen.«

Eine tiefe, feierliche Stille folgte dem Klange des verbotenen Namens. Die Pfeife fiel aus jedes Mund, als ob Alle im nämlichen Augenblicke etwas Unreines eingesogen hätten. Der Rauch wirbelte in kleinen Säulen über ihre Köpfe empor und zog sich schneckenförmig und schnell durch die Oeffnung am Dache der Hütte, den Platz unter sich von seinem Dunste reinigend, so daß die dunkeln Gesichter zumal wieder deutlich sichtbar wurden. Die Blicke der meisten Krieger waren auf die Erde geheftet, und nur wenige Jüngere, minder Begabte in der Versammlung ließen ihre wilden, blitzenden Augäpfel auf einen Greis mit weißen Haaren rollen, der zwischen zwei der geehrtesten Häuptlinge des Stammes saß. Es lag übrigens nichts in dem Aeußern und dem Anzug dieses Indianers, das ihn zu solcher Auszeichnung hätte berechtigen können. Seine Miene drückte eher Niedergeschlagenheit aus, als daß sie sich durch die den Eingebornen eigene Haltung bemerklich machte, und seine Kleidung war die gewöhnliche eines Indianers der niederen Klassen. Wie bei den Meisten um ihn her, war auch sein Blick eine Weile zur Erde gerichtet; als er aber endlich einmal seine Augen verstohlen bei Seite sehen ließ und gewahrte, daß er der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit geworden war, stand er auf und erhob mitten in der allgemeinen Stille seine Stimme: »Es war eine Lüge,« sprach er, »ich hatte keinen Sohn. Er, der mit diesem Namen genannt wurde, ist vergessen; sein Blut war blaß, und kam nicht aus den Adern eines Huronen; die verruchten Chippewas hatten mein Weib bethört. Der große Geist hat gesagt: Wiß-en-tush’s Geschlecht soll enden – Glücklich der, welcher weiß, daß das Verderben in seinem Geschlecht mit ihm stirbt! Ich habe gesprochen.«

Der Redner, dessen Sohn der feigherzige junge Indianer gewesen war, blickte umher, als wollte er in den Augen der Zuhörer Beifall über seinen Stoicismus lesen. Aber die strengen Sitten seines Volkes hatten dem alten schwachen Manne eine zu harte Probe auferlegt, der Ausdruck seines Auges widersprach seinen bilderreichen, ruhmredigen Worten, während jede Muskel seines mit Runzeln bedeckten Gesichtes vor innerer Qual zuckte. Er blieb noch einen Augenblick stehen, um seinen bittern Triumph zu genießen und wandte sich dann ab, als schauderte er bei dem Anblick der Menschen, verhüllte das Gesicht mit seiner Decke und entfernte sich mit dem geräuschlosen Tritte eines Indianers, um in der Abgeschiedenheit seiner eigenen Hütte die Theilnahme einer Gefährtin zu suchen, alt, kummervoll und kinderlos wie er.

Die Indianer, welche an eine Vererbung der Tugenden und Fehler des Charakters glauben, ließen ihn stillschweigend hinausgehen.

Als er sich entfernt hatte, zog einer der Häuptlinge, getrieben von einer zarten Rücksicht, die manche gebildetere Kreise der Gesellschaft anstreben dürften, die Aufmerksamkeit der jungen Krieger von der Schwäche ab, von der sie so eben noch Zeugen gewesen waren, und wandte sich in freundlichem Tone an Magua, den letzten Ankömmling.

»Die Delawaren sind um mein Dorf geschlichen, wie die Bären nach den Honigkörben. Aber wer hat einen Huronen je schlafend gefunden?«

Die finstere drohende Gewitterwolke, die dem Donnerschlage vorangeht, ist nicht schwärzer, denn Magua’s Braue war, als er rief:

»Die Delawaren von den Seen!«

»Nicht doch. Die, welche Weiberröcke an ihrem eignen Flusse tragen. Einer von ihnen ist durch den Stamm gegangen.«

»Haben meine jungen Krieger seinen Skalp genommen? –«

»Seine Beine waren gut, obgleich sein Arm besser für die Hacke als für den Tomahawk taugt,« erwiederte der Andere, auf die unbewegliche Gestalt des Mohikaners deutend.

Statt mit weibischer Neugierde seine Augen an dem Anblick eines Gefangenen zu weiden, dessen Volk er mit so vielem Grund haßte, rauchte Magua mit der nachdenklichen Miene fort, die ihm eigen war, wenn seine Arglist oder Beredsamkeit nicht unmittelbar in Anspruch genommen wurde. Obgleich über die in der Rede des alten Vaters kundgewordenen Thatsachen insgeheim verwundert, erlaubte er sich doch keine Frage, jede weitere Ausforschung auf eine schicklichere Zeit aufsparend. Erst nach einer geraumen Weile schüttete er die Asche aus seiner Pfeife, nahm den Tomahawk wieder zu sich, zog den Gürtel fester an und stand auf, zum ersten Mal einen Blick auf den Gefangenen werfend, der etwas hinter ihm stand. Der aufmerksame, obgleich scheinbar in Gedanken vertiefte Uncas bemerkte diese Bewegung, wandte sich plötzlich dem Lichte zu und ihre Blicke begegneten sich. Fast eine Minute standen diese kühnen, unbeugsamen Geister einander gegenüber, sich fest in das Auge schauend, und keiner schlug den Blick vor dem stolzen Ausdruck des Gegners nieder. Uncas‘ Gestalt hob sich und seine Nasenlöcher öffneten sich gleich denen des verfolgten Tigers; aber so entschieden und unbeugsam war seine Stellung, daß die Einbildungskraft leicht ein treffliches, fehlerloses Abbild der kriegerischen Gottheit seines Stammes aus ihm geschaffen hätte. Die Umrisse der spielenden Züge Magua’s waren geschmeidiger; seine Miene verlor allmählig an Trotz, in einen Ausdruck wilder Freude übergehend; er athmete tief auf, den furchtbaren Namen – »le cerf agile!« – aussprechend. Alle Krieger sprangen auf, als dieser wohlbekannte Name genannt wurde, und eine Weile hindurch wich die stoische Sündhaftigkeit der Eingebornen gänzlich der Gewalt der Ueberraschung. Der Verhaßte und doch geachtete Name ward aus aller Munde wiederholt und ertönte selbst über die Gränzen der Hütte hinaus. Die Weiber und Kinder, welche den Eingang belagerten, nahmen ihn auf wie ein Echo, dem ein schrilles, klägliches Geheul folgte. Dieses war noch nicht verhallt, als die Aufregung unter den Männern sich bereits gänzlich gelegt hatte. Alle Anwesenden setzten sich wieder, als schämten sie sich ihrer Uebereilung: aber noch manche Minute ruhten ihre Augen auf dem Gefangenen, einen Krieger mit neugierigen Blicken prüfend, der so oft an den Besten und Stolzesten ihrer Nation seine Tapferkeit bewährt hatte.

Uncas genoß diesen Sieg, begnügte sich aber, seinen Triumph durch ein ruhiges Lächeln auszudrücken – ein Zeichen der Verachtung, das allen Zeiten und Völkern eigen ist. Magua gewahrte diesen Ausdruck, erhob seinen Arm und schüttelte ihn gegen den Gefangenen, so daß die leichten Silberzierrathen an seinen Armbändern von der zitternden Bewegung des Gliedes rasselten, während er in rachedrohendem Tone auf Englisch ausrief:

»Mohikaner, du stirbst!«

»Die heilenden Wasser bringen die todten Huronen nie mehr an’s Leben,« erwiederte Uncas in der wohlklingenden Sprache der Delawaren; »die rollenden Wogen bespülen ihre Gebeine: ihre Männer sind Weiber, ihre Weiber Eulen. Geh – ruf die Hunde von Huronen zusammen auf, daß sie einen Krieger schauen mögen. Meine Nase ist beleidigt, sie riecht das Blut eines Feigen.«

Die letzte Anspielung schlug tief und die Wunde brannte. Manche unter den Huronen verstanden die fremde Sprache, in welcher der Gefangene redete: so auch Magua. Der schlaue Wilde nahm seinen Vortheil wahr und eilte ihn zu benützen. Sein leichtes Fell von der Schulter werfend, reckte er seinen Arm aus und ließ seiner arglistigen, verderblichen Beredtsamkeit freien Lauf. Wie sehr auch sein Einfluß durch die unheilvolle Schwäche, der er sich zu Zeiten hingab, und durch seinen Abfall von dem Stamme gelitten haben mochte – sein Muth und sein Ruf als Redner war unbestritten geblieben. Er sprach nie ohne Zuhörer, und selten, ohne daß er Anhänger für seine Meinung gewann. Im gegenwärtigen Falle wurde sein natürliches Talent noch durch den Durst nach Rache gestachelt.

Er erzählte von Neuem die Ereignisse bei dem Angriff auf der Glenn-Insel, den Tod seiner Genossen und das Entkommen ihrer furchtbarsten Feinde. Dann beschrieb er die Natur und die Umgebung des Erdhügels, wohin er die Gefangenen geführt hatte, die in seine Hände gefallen waren. Seiner eigenen blutdürstigen Absichten gegen die Mädchen und seiner vereitelten Bosheit gedachte er mit keinem Wort, sondern ging rasch zu dem Ueberfall durch la longue Carabine mit seinen Genossen und dessen unglücklichem Ausgang über. Hier machte er eine Pause, und schaute um sich, Ehrfurcht für das Andenken der Gefallenen heuchelnd, in Wahrheit aber, um den Eindruck seiner beginnenden Rede zu beobachten. Wie gewöhnlich waren Aller Augen auf sein Antlitz geheftet, die düstern Gestalten schienen belebte Bildsäulen, so regungslos war ihre Stellung, so gespannt die Aufmerksamkeit jedes Einzelnen.

Jetzt ließ Magua seine Stimme, die bisher hell, stark, erhoben gewesen war, sinken, und berührte die Verdienste der Gefallenen. Keine Eigenschaft, die auf das Mitgefühl des Indianer Einfluß üben konnte, blieb ungerühmt. Der Eine war als nimmer fehlender Jäger bekannt; ein Anderer war unermüdlich gewesen, die Fährte des Feindes zu verfolgen. Dieser war tapfer, Jener edelmüthig. Kurz, er wußte seine Anspielungen so gut anzubringen, daß es ihm bei einem Volksstamme, der aus so wenigen Familien bestand, gelingen mußte, jede Saite anzuschlagen, die in irgend einer Brust wiederklingen konnte.

»Sind die Gebeine – so schloß er – meiner jungen Krieger auf dem Begräbnißplatze der Huronen? Ihr wißt es, nein. Ihre Geister sind nach der untergehenden Sonne gegangen und ziehen bereits über die großen Wasser nach den glücklichen Jagdgründen. Aber sie sind hingegangen ohne Nahrung, ohne Büchsen oder Messer, ohne Moccasins, nackt und arm, wie sie geboren wurden. Soll das so seyn? Sollen ihre Seelen in das Land der Gerechten treten, gleich hungrigen Irokesen oder unmännlichen Delawaren – oder sollen sie ihren Freunden begegnen, Waffen in der Hand und Mäntel auf dem Rücken? Was, werden unsre Väter denken, ist aus den Stämmen der Wyandots geworden? Mit finstrem Blicke werden sie auf ihre Kinder schauen und sprechen: geht! Ein Chippewa ist unter dem Namen eines Huronen hieher gekommen. Brüder, wir dürfen der Todten nicht vergessen; einer Rothhaut Gedächtniß ist immer frisch. Wir wollen den Rücken dieses Mohikaners beladen, bis er unter unseren Gaben zu Boden sinkt, und ihn den jungen Kriegern nachsenden. Sie rufen uns um Hülfe an; aber unsere Ohren sind nicht offen; sie sprechen: vergeßt uns nicht. Wenn sie den Geist dieses Mohikaners unter seiner Bürde ihnen nachkeuchen sehen, werden sie erkennen, daß wir noch der gleichen Gesinnung sind. Dann werden sie glücklich ihres Weges ziehen, und unsere Kinder werden sagen: dieß thaten unsere Väter für ihre Freunde, wir müssen ein Gleiches für sie thun. Was ist ein Yengee? Wir haben Viele erschlagen; aber die Erde ist noch blaß. Ein Flecken auf dem Namen eines Huronen kann nur durch Blut getilgt werden, das aus den Adern eines Indianers strömt. So sterbe denn dieser Delaware!«

Die Wirkung einer solchen Rede, die in der nervigten Sprache und mit dem hinreißenden Vortrage eines Huronischen Redners gesprochen ward, war nicht zu mißkennen. Magua hatte die natürlichen Gefühle und den religiösen Aberglauben seiner Zuhörer auf eine so schlaue Weise zu vermengen gewußt, daß ihre Gemüther, schon durch Gewohnheit darauf vorbereitet, den Manen ihrer Landsleute blutige Opfer zu bringen, jede Spur von Menschlichkeit in dem Wunsche nach Rache verloren. Ein Krieger insbesondere, ein Mann von wilder, unbändiger Miene, hatte sich durch die Aufmerksamkeit ausgezeichnet, welche er den Worten des Sprechers geschenkt hatte. Sein Ausdruck wechselte unter jeder vorübergehenden Bewegung, bis er sich in einen Blick tödtlicher Bosheit festsetzte. Er sprang auf, als Magua kaum geendet hatte, und schwang, ein dämonisches Geheul erhebend, eine kleine hellgeschliffene Streitaxt, die im Fackellicht erglänzte, über sein Haupt. Die Bewegung und das Geschrei erfolgte zu plötzlich, als daß Worte die blutige Absicht hätten abwenden können. Es war, als ob ein blitzender Strahl seiner Hand entschöße, in demselben Augenblick mächtig durchkreuzt von einem dunklen Streifen. Die schnelle, entschlossene Bewegung des Häuptlings kam nicht ganz zu spät. Die kühne Waffe durchschnitt die Kriegsfeder auf dem Skalpirschopf des jungen Mohikaners und fuhr durch die schwache Wandung der Hütte, als wäre sie von einer furchtbaren Maschine geschleudert worden.

Duncan war Zeuge der drohenden Handlung gewesen und sprang schnell auf seine Füße, während sein Herzblut stockte und die edelmüthigsten Entschlüsse zu Gunsten seines Freundes in ihm erwachten. Ein Blick sagte ihm, daß der Streich gefehlt hatte und sein Schrecken ging in Bewunderung über, Uncas stand ruhig da, seinem Feinde mit einer Miene, die über jede Aufregung erhaben war, fest in’s Auge blickend, Marmor konnte nicht kälter, unbeweglicher, starrer seyn, als der Ausdruck, womit er diesem plötzlichen, rachsüchtigen Angriff begegnete. Dann aber lächelte er, den Mangel an Geschick, der ihn gerettet hatte, gleichsam bemitleidend und murmelte einige Worte der Verachtung in seiner Muttersprache.

»Nein,« sprach Magua, nachdem er sich beruhigt hatte, daß der Gefangene unbeschädigt war, »die Sonne muß seine Schande beleuchten. Die Squaws sollen sehen, wie sein Fleisch zittern wird, oder unsre Rache ist nur ein Knabenspiel. Geht, bringt ihn an einen Ort, wo Schweigen herrscht. Wir wollen sehen, ob ein Delawarer in der Nacht schlafen kann, und am andern Morgen sterben.«

Die jungen Krieger, welche den Gefangenen zu bewachen hatten, wanden alsbald ihre Bastriemen um seine Arme und führten ihn unter tiefer unheimlicher Stille aus der Hütte. Nur unter der Oeffnung des Eintritts zögerte Uncas‘ fester Tritt: er wandte sich und warf einen eilenden, stolzen Blick auf seine Feinde umher. In diesem las Duncan gerne den Ausdruck eines Muthes, der immer noch nicht alle Hoffnung aufgab.

Magua begnügte sich mit dem gewonnenen Erfolge, oder war er zu viel mit geheimen Planen beschäftigt, um seine Nachforschungen fortzusetzen. Seinen Mantel schüttelnd und über der Brust faltend verließ auch er die Hütte, ohne einen Gegenstand zu verfolgen, der für seinen Nebenmann so leicht verderblich werden konnte. Trotz des in ihm wachsenden Rachegefühls, trotz seiner natürlichen Festigkeit und der Besorgnis für Uncas fühlte sich Heyward doch durch die Entfernung eines so gefährlichen und listigen Feindes merklich erleichtert. Die Aufregung, welche Magua’s Rede hervorgerufen hatte, legte sich allmählig. Die Krieger nahmen ihre Sitze wieder ein, und Wolken von Rauch füllten abermals die Hütte. Fast eine halbe Stunde ward keine Silbe gesprochen, kaum ein Blick bei Seite geworfen. Ein ernstes, nachdenkliches Schweigen war die natürliche Folge dieser Scene der Gewaltthat und der Aufregung unter Menschen, die neben solcher Leidenschaftlichkeit so viel Selbstbeherrschung zeigen.

Als der Häuptling, welcher sich Duncans Hülfe erbeten, seine Pfeife zu Ende geraucht hatte, machte er eine letzte und ungehinderte Bewegung zum Aufbruch. Ein Wink mit dem Finger war für den vermeintlichen Arzt das Zeichen, zu folgen; und während Duncan durch die Rauchwolken schritt, war er in mehr als einer Hinsicht froh, bald die reine Luft eines kühlen und erfrischenden Sommerabends wieder athmen zu dürfen.

Statt den Weg nach den Hütten zu nehmen, wo Heyward bereits seine erfolglose Nachsuchung angestellt hatte, wandte sich sein Begleiter seitwärts und schritt gerade auf die Ansteigung eines nahen Berges zu, der über den zeitigen Wohnsitz der Huronen ragte. Ein Dickicht von Unterholz umgab seinen Fuß und ein schmaler, geschlängelter Pfad lag gerade vor ihnen. Die Knaben hatten ihre Spiele in der Lichtung wieder begonnen und gaben eben unter sich eine mimische Vorstellung von der Jagd nach dem Kriegspfosten. Um ihre Spiele der Wirklichkeit so nahe als möglich zu bringen, hatte einer der kecksten einige Feuerbrände in Bündel von abgehauenen Baumwipfeln geworfen, die bis jetzt der Flamme entgangen waren. Der Schein eines dieser Feuer leuchtete dem Häuptling und Duncan auf ihrem Wege und erhöhte noch den wilden Charakter der rauhen Landschaft. In geringer Entfernung von einem kahlen Felsen und gerade vor demselben kamen sie an eine Grasfläche, die sie eben durchschreiten wollten. In diesem Augenblick erhielt das Feuer neue Nahrung, und das Licht der mächtigen Flamme drang selbst bis zu jener entfernten Stelle. Es fiel auf die weiße Oberfläche des Berges und warf sich auf ein dunkles, geheimnißnißvoll aussehendes Wesen zurück, das sich unerwartet auf ihrem Wege erhob.

Der Indianer zögerte, als sey er unschlüssig, ob er weiter gehen sollte, und ließ seinen Begleiter zu sich heran kommen. Ein großer schwarzer Knäuel, der Anfangs stille zu liegen schien, begann sich jetzt auf eine für Duncan unerklärliche Weise zu bewegen. Das Feuer flammte von Neuem auf, und sein Schein fiel deutlicher auf den Gegenstand. Jetzt erkannte selbst Duncan das Thier an der unruhigen und schwankenden Stellung, die den obern Theil seiner Gestalt in beständiger Bewegung erhielt, während das Ganze zu sitzen schien – für einen Bären. Obgleich er laut und wild brummte, und von Zeit zu Zeit seine feurigen Augäpfel sichtbar wurden, gab er doch kein Zeichen von Feindseligkeit. Der Hurone wenigstens schien von den friedlichen Absichten des seltsamen Eindringlings überzeugt, denn er verfolgte nach einer aufmerksamen Betrachtung ruhig seinen Weg.

Duncan, welcher wußte, daß dieses Thier unter den Indianern oft als Hausthier gefunden wird, folgte dem Beispiel seines Begleiters, in der Meinung, ein Lieblingsbär des Stammes habe, auf Futter ausgehend, seinen Weg in das Dickicht gefunden, und sie kamen unangefochten vorbei. Obgleich genöthigt, mit dem Ungeheuer in nahe Berührung zu kommen, schritt der Hurone, der anfänglich über diesen seltsamen Gast sich so vorsichtig zu beruhigen gesucht hatte, nun ohne einen Augenblick weiteren Forschens voran, aber Heyward konnte nicht umhin, sich nochmals umzusehen, in wachsamer Hut gegen Angriffe von hinten. Seine Unruhe verminderte sich in keiner Weise, als er bemerkte, wie das Thier den Weg entlang rollte und ihnen auf dem Fuße folgte. Er wollte eben sprechen, als der Indianer in diesem Augenblick eine Thür von Rinde bei Seite schob und in eine Höhle im Innern des Berges trat.

Zufrieden, sich einen so leichten Rückzug gesichert zu sehen, folgte ihm Duncan auf dem Fuße und wollte die leichte Thüre der Oeffnung hastig hinter sich schließen, als er sie seiner Hand durch das Thier entrissen fühlte, dessen zottige Gestalt unverweilt den Eingang verdunkelte. Sie befanden sich jetzt in dem engen und langen Gang einer Felsenspalte, wo jede Umkehr, ohne auf das Thier zu stoßen, unmöglich war. In dieser Noth das Beste wählend, eilte der junge Mann vorwärts, sich möglichst nahe an seinen Führer haltend. Der Bär brummte häufig dicht auf seinen Fersen, und ein- oder zweimal legten sich ihm seine ungeheuren Tatzen auf den Rücken, als wollte er ein weiteres Vordringen in die Höhle hindern.

Wie lange Heyward’s Nerven in dieser so außerordentlichen Lage ausgehalten haben würden, läßt sich schwer entscheiden, denn glücklicherweise wurde er bald erlöst. Ein Lichtschimmer war beständig vor ihnen gewesen, und sie befanden sich jetzt an der Stelle, von welcher er ausging.

Die geräumige Höhlung des Felsens war auf eine rohe Weise zum Dienste verschiedener Gemächer eingerichtet worden. Die Unterabtheilungen waren einfach, aber sinnreich aus Stein, Aesten und Rinde in buntem Gemisch aufgeführt. Oeffnungen von oben ließen das Tageslicht herein, und bei Nacht vertraten Feuer und Fackeln die Stelle der Sonne. Hierher hatten die Huronen ihre meisten Besitzthümer von Werth gebracht, besonders diejenigen, welche Gemeingut des Stammes waren; und hierher, wie sich jetzt zeigte, war auch die kranke Frau, die man für ein Opfer übernatürlicher Mächte hielt, geschafft worden, in dem unbewußten Eindrucke, ihrem Quälgeiste werde es schwerer fallen, mit seinem Angriffe durch die Steinwände, als durch die Laubdächer der Hütten zu dringen. Das Gemach, in welches Duncan mit seinem Führer zuerst eintrat, war ausschließlich der Bequemlichkeit der Kranken gewidmet. Er näherte sich ihrem Lager, das von Weibern umgeben war, in deren Mitte Heyward zu seiner Ueberraschung den vermißten Freund David entdeckte.

Ein einziger Blick überzeugte den vorgeblichen Arzt, daß die Kranke der Hülfe der Heilkunst bereits entrückt sey. Sie lag in einer Art Lähmung, gleichgültig gegen ihre ganze Umgebung, und schien zum Glücke ihre Leiden nicht zu empfinden. Heyward war es keineswegs unlieb, daß er seine Gaukeleien an einem Wesen üben sollte, das sich viel zu schlecht befand, um an ihrem Erfolg oder Mißlingen noch Interesse zu nehmen. Der leichte Gewissensskrupel, den sein vorgehabter Betrug in ihm erregt hatte, war alsbald beschwichtigt, und er begann eben seine Gedanken zu sammeln, um seine Rolle mit gebührendem Nachdruck zu spielen, als er fand, daß ein Anderer seiner Geschicklichkeit zuvorkommen und die Gewalt der Musik erproben wollte.

Gamut, der bereit gewesen war, seinen Geist zu einem Gesang zu erheben, als die neuen Ankömmlinge eintraten, zog nach augenblicklichem Aufschub einen Ton aus seiner Pfeife und begann eine Hymne, die Wunder gewirkt haben würde, wenn der feste Glaube an ihre Wirksamkeit hier von Belang hätte seyn können. Man ließ ihn zu Ende singen, da die Indianer seine vermeintliche Geistesschwäche schonten, und dem jungen Soldaten der Verzug zu gelegen kam, um die geringste Unterbrechung zu wagen. Die letzte hinsterbende Cadenz klang eben in Duncan’s Ohren, da fuhr er erschreckt bei Seite, denn er hörte dieselben Strophen hinter sich mit einer Stimme wiederholen, die, nur halb menschlich, wie aus einem Grabe herauftönte. Er sah um sich und erblickte das zottige Unthier in einem schattigen Winkel der Höhle, auf den Hinterbeinen sitzend, wo es seinen Leib in der unruhigen Weise dieser Thiere rastlos hin und her wiegte, und mit dumpfem Brummen Laute, wo nicht Worte wiederholte, die mit der Melodie des Sängers eine entfernte Ähnlichkeit hatten.

Die Wirkung eines so unerwarteten Echo’s auf David läßt sich leichter denken als beschreiben. Er öffnete die Augen weit, als ob er an ihrer Wirklichkeit zweifelte, und seine Stimme verstummte augenblicklich vor Erstaunen. Ein tief durchdachter Plan, Heyward wichtige Mittheilungen zu machen, ward aus seinem Gedächtniß durch ein Gefühl vertrieben, das so ziemlich der Furcht glich, von ihm aber gerne für Bewunderung gehalten wurde. Unter solchen Einflüssen rief er laut: »Sie erwartet Euch! – sie ist in der Nähe!« und rannte eilig zur Höhle hinaus.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Snug. Habt ihr des Löwen Rolle aufgeschrieben? Wenn ja, so gebt sie
mir, ich studire sehr schwer ein.
Quince. Ihr könnt sie aus dem Stegreif sprechen, dürft nur brüllen.
Sommernachtstraum.

Es lag eine seltsame Mischung von Komischem und Feierlichem in dieser Scene. Das Thier setzte seine wiegenden Bewegungen, wie es schien, mit unermüdlicher Beharrlichkeit fort, obgleich sein possierlicher Versuch, Davids Melodie nachzuahmen, aufhörte, sobald dieser das Feld verlassen hatte. Gamut’s Worte waren, wie wir gesehen, englisch gesprochen worden, und Duncan glaubte irgend einen verborgenen Sinn darin zu ahnen, obgleich kein Gegenstand seiner Umgebung ihm die Anspielung enthüllen half. Jeder weiteren Vermuthung hierüber setzte indeß der Häuptling alsbald ein Ziel, indem er an das Lager der Kranken trat und die ganze weibliche Gruppe, die sich hier zusammengedrängt hatte, um Zeuge von der Kunst des Fremden zu seyn, hinwegwinkte. Wenn auch mit Widerstreben, so gehorchten die Frauen dennoch sogleich, und als das leise Echo aufgehört hatte, welches längs des hohlen, von der Natur gebildeten Ganges von dem Schließen der fernen Thüre her ertönte, deutete er auf seine unempfindlich daliegende Tochter und sprach:

»Jetzt zeige mein Bruder seine Kunst!«

So unumwunden aufgefordert, seinen angenommenen Beruf auszuüben, mußte Heyward fürchten, der geringste Verzug möchte verderblich werden. Er bemühte sich also seine Gedanken zu sammeln, und schickte sich an jene Beschwörungsweise und die seltsamen Gebräuche in Anwendung zu bringen, unter welchen die indianischen Zauberkünstler ihre Unwissenheit und Unmacht zu verbergen gewohnt sind. Ohne Zweifel aber hätte er bei dem ungeordneten Zustande seiner Gedanken bald einen verdachterregenden, wenn nicht unheildrohenden Fehler begangen, wenn seine ersten Versuche nicht durch ein wildes Gebrumm des Vierfüßlers unterbrochen worden wären. Zu drei Verschiedenen Malen erneuerte er seine Bemühungen, und eben so oft begegnete er demselben unerklärlichen Widerstand: jede Unterbrechung schien grimmiger und drohender als die vorhergegangene.

»Die Meister der Kunst sind eifersüchtig,« bemerkte der Hurone; »ich gehe, Bruder, die Frau ist das Weib eines meiner wackersten jungen Krieger; nimm dich ihrer an! Ruhig!« fügte er hinzu, dem ergrimmten Thiere Stille bedeutend: »ich gehe.«

Der Häuptling hielt Wort, und Duncan fand sich jetzt in dieser wilden, öden Behausung allein mit der hülflosen Kranken und dem grimmigen, gefährlichen Unthier. Dieses lauschte mit dem Scharfsinne, der den Bären eigen ist, auf die Bewegungen des Indianers, bis ein zweites Echo verkündigte, daß auch er die Höhle Verlassen habe. Jetzt wandte sich der Bär, watschelte auf Duncan zu, und setzte sich in seiner natürlichen Stellung aufrecht wie ein Mann vor ihn hin. Der junge Mann sah sich ängstlich nach einer Waffe um, mit der er dem Angriffe Widerstand zu leisten vermöchte, den er nun ernstlich erwartete. Das Thier schien jedoch seine Laune plötzlich geändert zu haben. Statt unzufrieden fortzubrummen, oder weitere Zeichen von Unwillen zu geben, schüttelte es gewaltig seinen zottigen Pelz, wie von einem seltsamen, innern Krampfe ergriffen. Mit seinen ungeheuern, schwerfälligen Tatzen kraute es täppisch an der grinsenden Schnauze, und während Heyward seinen Bewegungen mit ängstlicher Wachsamkeit folgte, fiel der grimmige Kopf auf die eine Seite und statt seiner erschien das ehrliche, kecke Gesicht des Kundschafters, der von Grund des Herzens und auf seine eigenthümliche Weise in ein heiteres Lachen ausbrach.

»St!« sprach der vorsichtige Waidmann, Heyward’s Ausruf der Ueberraschung hindernd; »die Schelme sind noch in der Nähe, und jeder Laut, der nicht zu eurer Zauberei paßte, brächte den ganzen Haufen zu uns zurück!«

»Erklärt mir erst den Zweck dieser Mummerei; und warum Ihr ein so verzweifeltes Abenteuer gewagt habt.«

»Ach, Vernunft und Berechnung werden oft vor dem Zufall zu Nichte!« versetzte der Kundschafter. »Weil aber ’ne Geschichte immer mit dem Anfang beginnen soll, will ich euch Alles in guter Ordnung erzählen. Als wir uns trennten, brachte ich den Commandanten mit dem Sagamoren in ein altes Biberquartier, wo sie vor den Huronen sicherer sind, als sie in dem Fort Edward wären: denn eure Indianer vom hohen Nordwesten her, die noch nicht viel Krämer unter sich gehabt haben, hegen stets Achtung vor dem Bibergeschlecht. Dann gingen wir, wie besprochen, nach dem andern Lager ab; habt ihr den Jungen gesehen?«

»Zu meinem großen Leidwesen! – Er ist gefangen und verurtheilt mit Sonnenaufgang zu sterben!«

»Ich besorgte immer, daß es so mit ihm kommen würde!« sagte der Kundschafter in minder zuversichtlichem und minder heiterem Tone. Bald aber gewann er die natürliche Festigkeit seiner Stimme wieder und fuhr fort: »sein Mißgeschick ist der eigentliche Grund meines Hierseyns: denn es wäre eine Schande, einen

solchen Jungen in den Händen der Huronen zu lassen – ein seltenes Fest wär‘ es für die Schurken, wenn sie das ›springende Elendthier‹ und ›la longue Carabine‹, wie sich mich heißen, an einen Pfahl binden könnten! Und doch weiß ich nicht, warum sie mir einen solchen Namen gegeben haben: es ist zwischen den Tugenden meines Wildtödters und den Leistungen eurer ächten Canadischen Carabiner so wenig Aehnlichkeit, als zwischen einem Stück Pfeifenerde und einem Flintenstein!«

»Bleibt bei eurer Erzählung!« sprach der ungeduldige Heyward; »wir wissen nicht, wann die Huronen wieder kommen.«

»Fürchtet nichts! Ein Beschwörer muß seine Zeit haben, so gut wie ein wandernder Priester in den Kolonien: wir werden so wenig unterbrochen, als ein Missionär am Beginn einer zweistündigen Rede, – Nun gut – Uncas und ich stießen auf eine heimkehrende Bande dieser Schelme: der Junge war viel zu vorschnell für einen Kundschafter; nun, was das betrifft, er hat einmal heißes Blut, und ich will ihn darob nicht so sehr tadeln; kurz einer der Huronen war eine Memme und brachte ihn fliehend in einen Hinterhalt.«

»Und theuer hat er seine Schwäche bezahlt:«

Der Kundschafter fuhr mit der Hand bezeichnend um seine Kehle, nickte, indem er sagte, »ich verstehe, was Ihr meint.« Hierauf fuhr er etwas lauter, wenn auch nicht verständlicher fort:

»Nach dem Verlust des Jungen fiel ich auf die Huronen, wie Ihr wohl denken könnt. Es gab ein paar Scharmützel zwischen mir und einigen ihrer Wegelagerer; doch das wollte nicht viel heißen. Nachdem ich die Schelme angeschossen hatte, kam ich ohne weitere Störung nahe genug an ihre Hütten heran. Was konnte mir das Glück besser zuweisen, als mich an eine Stelle führen, wo einer der berühmtesten Beschwörer ihres Stammes sich, wie ich wohl sah, zu einem großen Strauß mit dem Satan anputzte. Doch warum soll ich Glück nennen, was nun als eine besondere Fügung der Vorsehung erscheint? Ein gut gezielter Schlag auf den Kopf streckte dem Schelm für eine Weile die Beine: ich ließ ihm zum Abendimbiß einen Wallnußknebel zwischen den Zähnen, um Lärm zu verhüten und hängte ihn dann zwischen zwei jungen Bäumen auf. Endlich zog ich ihm seinen Putz vom Leibe und übernahm selbst die Bärenrolle, damit die Operation nicht in’s Stocken gerieth.«

»Und bewunderungswürdig habt Ihr den Charakter dargestellt; das Thier selbst wäre von eurer Vorstellung beschämt worden.«

»Du mein Gott, Major!« versetzte der geschmeichelte Waidmann; »ich wäre für Einen, der so lang in der Wildniß seine Studien getrieben hat, ein armseliger Stümper, wenn ich nicht die Natur und die Bewegungen einer solchen Bestie inne hätte! War’s erst ein recht großer Panther oder eine wilde Katze gewesen, da hättet ihr sehen sollen, wie ich Euch ein Stückchen aufgeführt hätte, des Ansehens werth! Es will eben seine Heldenthat heißen, ein so dummes Thier nachzumachen; aber auch bei einem Bären kann man’s übertreiben. Ja, ja; nicht Jedermann weiß, wie viel leichter man die Natur übertreibt, als sie erreicht! – Aber wir haben noch Alles vor uns. Wo ist das Mädchen?«

»Das weiß der Himmel; ich habe jede Hütte im Dorfe durchforscht, ohne die geringste Spur von ihrer Anwesenheit unter dem Stamme zu entdecken.«

»Ihr hörtet doch den Sänger beim Fortgehen sagen: – Sie ist hier und erwartet euch!«

»Ich mußte glauben, er habe das unglückliche Weib da gemeint.«

»Der einfältige Mann hatte Angst und plumpte mit seiner Botschaft heraus; sicher lag mehr darin. Hier sind Wände genug, die ganze Dorfschaft getrennt unterzubringen. Ein Bär muß klettern können; ich will ‚mal hinüber spioniren, es sind vielleicht Honigtöpfe in diesen Felsen verborgen, und ich bin eine Bestie, die auf solche Süßigkeiten erpicht ist.« Der Kundschafter sah zurück, seinen eigenen Einfall belachend, während er unter beständigem Nachahmen der linkischen Bewegungen eines Bären die Scheidewand hinaufkletterte. Sobald er den Gipfel erreicht hatte, winkte er Heyward zu schweigen und glitt so schnell als thunlich wieder herab.

»Sie ist hier!« flüsterte er: »und durch diese Thüre könnt Ihr zu ihr kommen. Gern hätt‘ ich ein Wort des Trostes zu dem betrübten Kinde gesprochen; aber der Anblick eines solchen Ungeheuers hätte ihren Verstand gefährdet. Uebrigens – Major, Ihr seyd in eurer Malerei eben auch nicht der Einladendste.«

Duncan, der bereits hastig vorgeeilt war, zog sich bei dieser entmuthigenden Rede alsbald wieder zurück. »Seh‘ ich denn wirklich so abstoßend aus?« fragte er ärgerlich.

»Ihr würdet damit keinen Wolf schrecken, noch ein Regiment der königlichen Amerikaner vom Angriffe abhalten, aber ich weiß eine Zeit, wo Ihr besser in die Augen fielet. Solche gestreifte Gesichter stehen den Squaws wohl an, aber Mädchen von weißem Blute ziehen ihre eigene Farbe vor,«

»Seht,« fügte er hinzu, auf eine Stelle weisend, wo das Wasser aus einem Felsen rieselte, ein kleines Krystallbecken bildend, ehe es einen Ausfluß durch die nahen Felsenspalten fand; »da werdet Ihr leicht des Sagamoren Tünche los, und wenn Ihr zurückkommt, will ich meine Kunst zu einem neuen Schmuck versuchen. Es ist so gewöhnlich bei einem Beschwörer, daß er die Malerei wechselt als wenn ein Windbeutel in den Colonien seinen Putz ändert.«

Der besonnene Waidmann konnte nicht viel Argumente suchen, um seinem Rathe Nachdruck zu geben. Er hatte noch nicht ausgesprochen, als Duncan sich bereits das Wasser zu Nutze machte. In einem Augenblick war jeder schreckhafte oder zurückstoßende Zug verwischt, und der junge Mann erschien wieder in der Gesichtsbildung, mit welcher ihn die Natur begabt hatte. So zu dem Besuche bei seiner Geliebten vorbereitet, nahm er hastig Abschied von seinem Begleiter und verschwand durch den bezeichneten Gang. Der Kundschafter sah sein Weggehen mit Wohlgefallen, nickte freundlich mit dem Kopfe und murmelte seine besten Wünsche, worauf er mit aller Kaltblütigkeit die Speisekammer der Huronen untersuchte, da die Höhle unter Anderem dazu diente, den Ertrag der Jagden aufzubewahren.

Duncan hatte keinen andern Führer als ein entferntes flimmerndes Licht, das dem Liebenden jedoch den Dienst des Polarsterns vertrat und ihm in den Hafen seiner Hoffnungen einlaufen half. Dieser war nur eine andere Abtheilung der Höhle, einzig zum Gewahrsam einer so wichtigen Gefangenen, wie die Tochter des Commandanten von William Henry war, in Stand gesetzt. Der Raum war voll von zerstreuter Beute aus der unglücklichen Festung. Mitten unter diesem Chaos fand er sie, die er suchte, bleich, ängstlich, erschrocken, aber immer liebenswürdig. David hatte sie auf einen solchen Besuch vorbereitet.

»Duncan!« rief sie mit einer Stimme, die über ihrem eigenen Klange zu zittern schien.

»Alice!« antwortete er, sorglos über Koffer, Kistchen, Waffen und Hausgeräthe hinwegspringend, bis er an ihrer Seite stand.

»Ich wußte, daß Sie mich nie verlassen würden,« sprach sie, zu ihm aufblickend, während eine flüchtige Röthe über ihr bekümmertes Antlitz lief. »Aber Sie sind allein! So dankenswerth es ist, in solchem Andenken zu stehen, so wünschte ich doch, Sie wären nicht ganz allein.«

Duncan, welcher sah, daß sie zitterte und nicht länger im Stande war, aufrecht zu bleiben, nöthigte sie sanft zum Sitzen und erzählte ihr die Hauptbegebnisse, die wir bereits zu schildern hatten. Alice horchte mit athemloser Aufmerksamkeit, und obgleich der junge Mann der Sorge des niedergebeugten Vaters nur leicht erwähnte, doch immer so, daß er die Selbstschätzung seiner Zuhörerin nicht verletzte, so rannen doch die Thränen so reichlich über die Wangen der Tochter, als ob sie noch nie zuvor geweint hätte. Die besänftigende Zärtlichkeit Duncan’s stillte jedoch bald den ersten Ausbruch ihres Schmerzes und sie hörte ihm mit ungetheilter Aufmerksamkeit, wenn nicht mit Fassung zu, bis er mit seiner Erzählung zu Ende war.

»Und jetzt, Alice,« fügte er hinzu, »werden Sie sehen, wie viel wir noch von Ihnen erwarten müssen. Mit Hülfe unseres erfahrenen und unschätzbaren Freundes, des Kundschafters, könnte es möglich werden, den Händen dieses wilden Volkes uns zu entziehen. Sie werden aber alle Ihre Seelenstärke aufbieten müssen: bedenken Sie, daß Sie den Armen Ihres ehrwürdigen Vaters zueilen, und wie sehr sein und Ihr Glück von Ihren Anstrengungen abhängt.«

»Kann ich anders für einen Vater handeln, der so viel für mich gethan hat?«

»Und auch für mich,« fiel der Jüngling ein, ihre Hand, die er zwischen den seinigen hielt, sanft drückend.

Der Blick der Unschuld und Ueberraschung, der aus ihrem Auge auf Heyward fiel, sagte diesem, daß er sich deutlicher erklären müsse.

»Hier ist weder Ort noch Zeit, Sie mit selbstischen Wünschen bekannt zu machen,« fügte er hinzu, »aber welches Herz, so gepreßt, wie das meinige, sollte nicht wünschen, seine Bürde abzuwerfen? Unglück, sagt man, sey das mächtigste aller Bande; was wir gemeinschaftlich um Ihretwillen erduldet haben, ließ nur wenig zwischen Ihrem Vater und mir dunkel.«

»Und meine theuerste Cora, Duncan; gewiß ist Cora nicht vergessen worden?«

»Nicht vergessen! nein, sie ist bemitleidet, betrauert worden, wie selten ein Mädchen zuvor. Ihr ehrwürdiger Vater kannte keinen Unterschied zwischen seinen Kindern; aber ich – Alice, Sie werden mir vergeben, wenn ich sage, daß für mich ihr Werth in etwas verdunkelt –« »Dann haben Sie den Werth meiner Schwester nicht kennen gelernt,« sprach Alice, ihre Hand zurückziehend, »sie spricht immer von Ihnen, als von ihrem theuersten Freunde,«

»Mit Freude darf ich sie dafür halten,« versetzte Duncan hastig, »ich wünschte, sie wäre es mir in noch höherem Grade; aber mit Ihnen, Alice, darf ich nach Ihres Vaters Erlaubniß noch auf ein näheres, theureres Band hoffen.«

Alice zitterte heftig und wandte ihr Gesicht einen Augenblick bei Seite, einer ihrem Geschlechte so natürlichen Empfindung nachgebend: doch bald schwand dieser Eindruck und sie war wieder Herrin ihrer Fassung, wenn nicht ihrer Gefühle.

»Heyward,« sprach sie, ihn mit einem rührenden Ausdruck von Unschuld und Vertrauen anblickend, »geben Sie mir die heilige Gegenwart und die Einwilligung meines ehrwürdigen Vaters, bevor Sie weiter in mich dringen,«

»Mehr durfte und weniger konnte ich nicht sagen,« war der Jüngling im Begriff zu antworten, als ihn ein leichter Schlag auf seine Schulter unterbrach. Er sprang auf, wandte sich gegen den Eindringling, und seine Blicke fielen auf die dunkle Gestalt und das boshafte Gesicht Magua’s. Das gedämpfte Lachen aus der Kehle des Wilden tönte in einem solchen Augenblick für Duncan wie der höllische Hohn eines Dämons. Wäre er dem ungestümen, heftigen Drange des Augenblicks gefolgt, so hätte er sich auf den Huronen geworfen, und sein Schicksal dem Ausgang eines Kampfes um Leben und Tod anvertraut. Da er aber keine Waffen hatte und nicht wußte, welche Hülfe dem listigen Feind noch zu Gebote stehe – da er zudem für die Sicherheit eines Wesens zu wachen hatte, das eben jetzt seinem Herzen theurer als je geworden war, gab er diesen verzweifelten Entschluß eben so schnell auf, als er ihn gefaßt hatte,

»Was hast Du vor?« fragte Alice, ihre Hände sanft auf ihrer Brust kreuzend, während sie damit kämpfte, die tödtliche Angst für Heyward in dem fernehaltenden und kalten Benehmen zu verbergen, womit sie ihren Sieger bei jedem Besuche zu empfangen pflegte.

Der triumphirende Indianer hatte seine strenge Haltung wieder angenommen, zog sich aber vor den drohenden Blicken aus dem feurigen Auge des jungen Mannes vorsichtig zurück. Er betrachtete beide Gefangene eine Weile mit festem Blicke, trat dann bei Seite und wälzte ein Stück Holz vor eine andere Thüre, als die, durch welche Duncan eingetreten war. Dieser begriff jetzt die Art des Ueberfalls, und da er sich unrettbar verloren glaubte, zog er Alice an seine Brust, und stand bereit, sich einem Schicksal zu unterwerfen, das ihm sehr nahe ging, da er es in solcher Gesellschaft erleiden sollte. Magua sann aber nicht auf augenblickliche Gewaltthat: seine ersten Maaßregeln gingen nur dahin, sich seines neuen Gefangenen zu versichern, ja er warf nicht einmal einen Blick weiter auf die regungslosen Gestalten in der Mitte der Höhle, bis jede Möglichkeit, durch die geheime Pforte, zu entfliehen, die er benützt hatte, abgeschnitten war. Heyward blieb ein aufmerksamer Beobachter aller seiner Bewegungen, ruhig da stehend, indem er die zarte Gestalt Alicens an sein Herz gedrückt hielt, zu stolz und zu hoffnungslos, einen so oft überwundenen Feind um Schonung anzustehen. Als Magua seine Vorkehrungen getroffen, näherte er sich den Gefangenen und sagte in englischer Sprache:

»Die Blaßgesichter fangen die schlauen Biber; die Rothhäute aber wissen, wie man die Yengeese fängt.«

»Hurone, thue, was Du kannst!« rief der aufgereizte Heyward, vergessend, daß er jetzt zwei Leben auf’s Spiel setzte. »Ich verachte Dich, wie Deine Rache!«

»Wird der weiße Mann auch am Pfahle so sprechen?« fragte Magua, seine Worte mit einem Hohnlächeln begleitend, das zeigte, wie wenig Glauben er in diesen Entschluß des Andern habe. »Hier, Dir dem Einzelnen in’s Gesicht und in Gegenwart Deines Stammes!«

»Le Renard Subtil ist ein großer Häuptling!« erwiederte der Indianer, »er wird seine jungen Leute herbeiholen, damit sie sehen, wie standhaft ein Blaßgesicht Martern verlachen kann.«

Mit diesen Worten wandte er sich ab und war im Begriff, durch den Gang, durch welchen Duncan gekommen war, sich zu entfernen, als ein Brummen sein Ohr traf und ihn etwas zögern ließ. Die Gestalt des Bären erschien jetzt unter der Thüre, setzte sich nieder und wiegte sich wieder mit gewohnter Beweglichkeit. Magua betrachtete ihn, wie der Vater der kranken Frau, einen Augenblick scharf, als wollte er sich über seine wahre Natur in’s Klare setzen. Ueber den gewöhnlichen Aberglauben seines Stammes weit erhaben, unterschied er bald die wohlbekannte Maske des Beschwörers und wollte in kalter Verachtung an ihm vorübergehen. Doch ein lauteres und drohenderes Brummen desselben veranlaßte ihn noch einmal stille zu stehen; endlich aber schien er entschlossen, sich durch die Posse nicht länger aufhalten zu lassen und ging festen Schrittes weiter. Der kunstfertige Bär, welcher vorgetreten war, zog sich langsam vor ihm zurück, bis an den Eingang, wo er sich auf seine Hinterbeine stellte und nach der Weise seines Vorbildes in der Thierwelt mit den Tatzen in der Luft herum schlug,

»Narr!« rief der Häuptling auf Huronisch, »geh‘, spiele mit Kindern und Weibern, und mache Dich nicht an weise Männer!«

Noch einmal versuchte er, an dem vermeintlichen Charlatan vorbeizukommen, indem er selbst eine Scheindrohung mit dem Messer oder dem Tomahawk verschmähte, der an seinem Gürtel hing. Plötzlich aber streckte das Thier seine Arme oder vielmehr Füße aus und umschloß ihn mit einer Gewalt, die sich selbst mit der des weitberühmten Riesenbären hätte messen dürfen. Duncan war allen Bewegungen Hawk-eye’s mit athemloser Erwartung gefolgt. Er ließ zuerst Alice los, haschte dann nach einem Riemen von Bocksleder, der um einen Bündel geschnürt gewesen war, und stürzte, als er seinen Feind beide Arme an die Seite gepreßt von den eisenfesten Muskeln des Kundschafters umschlungen sah, auf Magua zu, ihn festzubinden. Schneller, als wir es erzählen, hatte er ihm Arme, Beine und Füße zwanzigfach mit den Riemen umzogen. Als der furchtbare Hurone so ganz und gar gefesselt war, ließ der Kundschafter seine Beute los und Duncan legte seinen Feind, völlig hülflos, auf den Rücken.

Während dieser plötzlichen und unerwarteten Operation hatte Magua nicht den leisesten Ruf von sich gegeben, obwohl er sich mit Leibeskraft sträubte, bis er überzeugt war, daß er sich in den Händen eines Mannes von weit stärkeren Muskeln befinde. Als aber Hawk-eye, um sein Verfahren in Kürze zu erklären, die zottigen Bärenkinnbacken bei Seite schob, und sein eigenes, finsteres und rauhes Antlitz den Blicken des Gegners wies, war die Philosophie des Huronen so weit aus dem Feld geschlagen, daß er das nie fehlende »Hugh!« ausstieß.

»Ja, nun bist Du wieder Deiner Zunge mächtig!« sprach der unerschütterte Sieger, »damit Du sie aber nicht zu unserem Verderben gebrauchst, muß ich mir erlauben, Dir den Mund zu stopfen.«

Da keine Zeit zu verlieren war, so machte sich der Kundschafter sogleich herbei, diese nöthige Vorsichtsmaßregel in’s Werk zusetzen; und nachdem er den Indianer geknebelt hatte, schien dieser mit allem Fug als kampfunfähig betrachtet werden zu dürfen.

»Wo kam der Schurke herein?« fragte der emsige Kundschafter, als er sein Werk vollendet hatte. »Seit Ihr mich verlassen habt, ist nicht eine Seele an mir vorbei gekommen,«

Duncan wies auf die Thür, durch welche Magua seinen Eingang genommen hatte: der Rückzug durch sie bot aber jetzt zu viele Hindernisse dar.

»So kommt mit dem Mädchen,« fuhr sein Freund fort, »wir müssen versuchen, durch den andern Ausgang in den Wald zu gelangen!«

»Es ist unmöglich!« entgegnete Duncan, »die Furcht hat sie bewältigt. Sie kann sich keine Hülfe geben. Alice, meine süße, meine einzige Alice, raffe Dich auf! jetzt ist der Augenblick zur Flucht! – Es ist umsonst. Sie hört uns, ist aber unvermögend zu folgen. Geht, edler, würdiger Freund! Rettet Euch und überlasset mich meinem Schicksal!«

»Jede Fährte hat ihr Ende und jedes Unglück gibt eine Lehre!« entgegnete der Kundschafter. »Da, wickelt sie in diese Indianerkleidung, doch so, daß ihre kleine Gestalt ganz unsichtbar wird! Nein, der Fuß hat seines Gleichen nicht in der Wildniß; er wird sie verrathen! Alles, auch das Geringste verborgen! Jetzt nehmt sie in die Arme und folget. Das Uebrige sey mir überlassen!«

Duncan war, wie man aus den Worten seines Gefährten schließen wird, eifrig beschäftigt zu gehorchen, und kaum hatte der Andere ausgeredet, so nahm er die leichte Gestalt Alicens in seine Arme und folgte den Fußtritten des Kundschafters. Sie fanden die kranke Frau, wie sie sie verlassen hatten, ganz allein, und schritten schnell durch die Felsengallerie dem Ausgange zu. Als sie sich der kleinen Rindenthür näherten, verkündigte ihnen ein Gemurmel von Summen, daß die Freunde und Verwandten der Kranken außen versammelt waren, geduldig eine Aufforderung zum Wiedereintritt erwartend.

»Wenn ich meine Lippen öffne, um zu sprechen,« flüsterte Hawk-eye, »so wird den Schelmen mein Englisch, die wahre Sprache einer Weißhaut, verrathen, daß ein Feind unter ihnen ist. Ihr müßt daher Euer Kauderwelsch preisgeben, Major, müßt sagen, daß wir den bösen Geist in die Hölle eingeschlossen haben und die Frau in die Wälder nehmen wollen, um stärkende Wurzeln für sie zu finden. Nehmt all Eure Schlauheit zusammen, denn hier ist dergleichen wohl erlaubt.« Die Thüre öffnete sich ein wenig, als ob Jemand von außen horchen wollte, was innen vorgehe. Dies nöthigte den Kundschafter, mit seinen Anleitungen zu schweigen. Ein wildes Gebrumm trieb den Lauscher zurück, der Kundschafter stieß kühn die Rindenthür auf und verließ den Ort, fortwährend die Bärenrolle spielend. Duncan ging dicht auf seinen Fersen und fand sich alsbald mitten in einem Trupp von zwanzig ängstlich neugierigen Verwandten und Freunden. Der Haufe wich etwas zurück und ließ den Vater und einen, welcher der Gatte der Frau zu seyn schien, näher treten.

»Hat mein Bruder den bösen Geist ausgetrieben?« fragte der Erstere. »Was hat er in seinen Armen?«

»Dein Kind!« sprach Duncan feierlich; »die Krankheit ist von ihr gewichen und ist in den Felsen eingeschlossen. Ich trage die Frau eine Strecke weit fort, und will sie dann gegen künftige Anfälle stärken. Sie soll in dem Wigwam des jungen Mannes seyn, wenn die Sonne wieder kehrt!«

Als der Vater des Fremden Worte in die Huronensprache übertragen hatte, verkündete ein unterdrücktes Murmeln das Wohlgefallen, mit welchem die Nachricht aufgenommen wurde. Der Häuptling winkte Duncan selbst mit der Hand, weiter zu gehen, indem er mit lauter, fester Stimme und stolzem Ausdrucke sprach:

»Geh – ich bin ein Mann, ich will nach der Höhle und mit dem bösen Geiste kämpfen.«

Heyward hatte gerne gehorcht und war schon an der kleinen Gruppe vorbei, als ihn diese beunruhigenden Worte wieder anhielten.

»Ist mein Bruder von Sinnen?« rief er; »ist er grausam? Er wird der Krankheit begegnen, und sie wird in ihn selber fahren: oder er treibt sie heraus, damit sie seine Tochter in die Wälder jage. Nein – meine Kinder mögen außen warten, und wenn der Geist erscheint, ihn mit Keulen niederschlagen. Er ist schlau, und wird sich in den Berg begraben, wenn er sieht, wie viele gerüstet sind, ihn zu bekämpfen.« Diese sonderbare Warnung hatte den erwünschten Erfolg. Statt in die Höhle zu treten, zogen der Vater und der Gatte ihre Tomahawks und hielten sich bereit, ihre Rache an dem vermeintlichen Quäler ihrer armen Verwandten zu üben, während die Weiber und Kinder in gleicher Absicht Schöße von den Gebüschen brachen oder Felsenbröckel aufnahmen. In diesem günstigen Augenblick verschwanden die Vorgeblichen Beschwörer.

Obwohl Hawk-eye so viel auf die abergläubische Natur der Indianer rechnete, wußte er doch recht gut, daß die weiseren Häuptlinge deren Aeußerungen mehr nur duldeten als theilten – wußte, wie kostbar ihre Zeit in einer so dringenden Noth sey. So weit auch die Selbsttäuschung der Feinde gehen mochte und wie sehr sie ihre Plane begünstigt hatte, so konnte doch der geringste Verdacht, der bei einem klügeren Indianer aufstieg, ihnen nach Allem verderblich werden. Er schlug deshalb den Pfad ein, der am wenigsten beobachtet werden konnte und hielt sich mehr am Rande als innerhalb des Dorfes. In einiger Entfernung waren die Krieger bei dem Lichte der erlöschenden Feuer immer noch sichtbar, von Hütte zu Hütte schreitend. Die Kinder aber hatten die Spiele mit ihren Fellbetten vertauscht, und die Ruhe der Nacht begann über die Aufregung und Unruhe eines so geräuschvollen, denkwürdigen Abends zu siegen.

Alice lebte unter dem erfrischenden Einflusse der freien Luft wieder auf, und da mehr ihre physischen als ihre Geisteskräfte Ursache der früheren Schwäche gewesen waren, so bedurfte sie keiner Erklärung dessen, was sich zugetragen hatte.

»Jetzt lassen Sie mich versuchen, zu gehen,« sprach sie, nachdem der Wald erreicht war, insgeheim erröthend, daß sie nicht früher im Stande gewesen war, Duncan’s Arme zu verlassen, »ich fühle mich wieder vollkommen hergestellt.«

»Nein, Alice, Sie sind noch zu schwach!«

Das Mädchen sträubte sich sanft, nm frei zu werden und Heyward mußte die kostbare Bürde verlieren. Der menschliche Bär hatte sicherlich keine Ahnung von den köstliche»Empfindungen des Liebhabers, während er die Geliebte in seinen Armen hielt, und vielleicht war ihm sogar das Gefühl keuscher Scham unbekannt, das die zitternde Alice beherrschte. Als er sich in gehöriger Entfernung von den Hütten befand, machte er Halt und sprach über einen Gegenstand, dessen er ganz Meister war.

»Dieser Pfad führt Euch nach dem Bache,« sprach er; »folgt seinem nördlichen Ufer, bis Ihr zu einem Wasserfalle kommet; dann, steigt Ihr auf den Berg zur Rechten und Ihr werdet die Feuer eines andern Volkes erblicken. Dahin müßt Ihr gehen und um Schutz bitten; wenn es ächte Delawaren sind, so seyd Ihr geborgen. Mit dem zarten Geschöpfe weiter zu entfliehen, ist jetzt unmöglich. Die Huronen würden unsrer Fährte folgen und Herren unsrer Skalpe seyn, ehe wir noch ein Dutzend Meilen gegangen wären. Geht, und die Vorsehung schirme Euch!«

»Und Ihr?« fragte Heyward überrascht, »wir trennen uns doch nicht hier?«

»Die Huronen haben den Stolz der Delawaren, den Letzten aus dem hohen Blute der Mohikaner, in ihrer Gewalt,« entgegnete der Kundschafter; »ich geh‘ und sehe, was für ihn geschehen kann. Hätten sie sich eures Skalps bemeistert, Major, so wäre, wie ich versprochen habe, für jedes Haar darauf ein Schurke gefallen: wird aber der junge Sagamore an den Pfahl geführt, dann sollen die Indianer sehen, wie auch ein Mann von unverfälschtem Blute sterben kann.«

Nicht im Geringsten gekränkt durch den entschiedenen Vorzug, den der unerschrockene Waidmann Dem gab, der gewissermaßen sein Adoptivkind genannt werden konnte, fuhr Duncan fort, alle Gründe geltend zu machen, die sich gegen ein so verzweifeltes Vorhaben darboten. Alice unterstützte ihn, Heyward’s Bitten durch die ihrigen verstärkend, indem sie den Freund beschwor, einen Entschluß aufzugeben, bei dem sich so viele Gefahr und so wenig Hoffnung auf Erfolg voraussehen ließ. Ihre edelmüthige Beredsamkeit sprach sich aber vergebens aus. Der Kundschafter hörte sie aufmerksam, aber ungeduldig an und schloß die Erörterung in einem Tone, der Alice sogleich zum Schweigen brachte, während sich Heyward überzeugte, wie fruchtlos fernere Vorstellungen bleiben würden.

»Ich habe sagen hören,« sprach er, »es gebe in der Jugend ein Gefühl, das den Mann fester an das Weib kette, als den Vater an den Sohn. Das mag seyn. Ich war selten, wo Frauen meiner Farbe weilen; aber innerhalb der Kolonieen mag dies in der Natur liegen. Ihr habt euer Leben und Alles, was euch theuer ist, auf’s Spiel gesetzt, um dieses zarte Geschöpf zu retten, und ich vermuthe, daß eine solche Empfindung dem Allem zu Grunde liegt. Was aber mich betrifft, so habe ich den Jungen gelehrt, was eine Büchse werth ist, und reichlich hat er mir dafür gelohnt. In manchem blutigen Scharmützel habe ich an seiner Seite gekämpft; und so lange ich den Knall seiner Büchse mit dem einen Ohr und die des Sagamoren mit dem andern hören konnte, wußte ich, daß kein Feind mir im Rücken war. Winter und Sommer, Tag und Nacht haben wir gemeinsam die Wildniß durchstreift, aus derselben Schüssel gegessen und Einer wachte, indeß der Andere schlief. Ehe man aber sagen soll, Uncas sey den Martern übergeben worden, während ich in der Nähe war – es ist nur ein Herrscher über uns Allen, welche Farbe wir auch haben mögen, und ihn ruf‘ ich zum Zeugen an – ehe der Mohikaner-Junge stirbt, weil ihm kein Freund zu Hülfe kommt, eher soll Treu‘ und Glauben von der Erde weichen und mein Wildtödter so harmlos werden, als die tutende Waffe des Sängers.«

Duncan ließ den Arm des Kundschafters los; dieser wandte sich um, und schlug festen Schrittes den Weg nach den Hütten wieder ein.

Nachdem sie eine Weile stille gestanden, ihm nachzusehen, nahm Heyward, so glücklich und dennoch sorgenvoll, mit Alice seinen Weg nach der entfernten Wohnstätte der Delawaren.