Fünfzehntes Kapitel

Das Zusammentreffen mit dem Indianer und seinem Weib hatte für die Mehrzahl der Zeugen dieses Ereignisses nichts überraschendes. Aber Mabel und alle, die wohl wußten, wie sich dieser Häuptling von Caps Gesellschaft getrennt hatte, unterhielten gleichzeitig argwöhnische Vermutungen, die sich weit leichter fühlen als verfolgen und durch irgendeinen Schlüssel zur Gewißheit erheben ließen. Pfadfinder, der sich allein mit den Gefangenen – denn als solche konnten sie jetzt betrachtet werden – zu unterhalten vermochte, führte Pfeilspitze beiseite und besprach sich lange mit ihm über die Gründe, die ihn veranlaßt hatten, sich seinem Auftrag zu entziehen und über die Weise, wie er sich bisher beschäftigt hatte.

Der Tuscarora antwortete auf die an ihn gestellten Fragen mit der Ruhe eines Indianers. In betreff seines Entweichens waren seine Entschuldigungen einfach und schienen hinreichend annehmbar. Als er gefunden hatte, daß die Gesellschaft in ihrem Versteck entdeckt worden war, hatte er natürlich an seine eigene Sicherheit gedacht, die er am besten in den Wäldern zu finden hoffte; denn er zweifelte nicht, daß alle, denen dieses nicht glückte, auf der Stelle getötet werden würden. Mit einem Wort – er hatte Reißaus genommen, um sein Leben zu retten.

»Das ist gut«, erwiderte Pfadfinder, indem er sich das Ansehen gab, als ob er der Rechtfertigung des anderen Glauben beimesse; »mein Bruder hat sehr weise gehandelt. Aber sein Weib folgte ihm?«

»Folgen die Bleichgesichtsweiber ihren Männern nicht? Würde Pfadfinder nicht zurückgeblickt haben, um zu sehen, ob die, die er liebte, komme?«

Diese Berufung traf den Kundschafter gerade in der günstigsten Gemütsstimmung, um ihre Kraft fühlbar zu machen; denn Mabels gewinnende Eigenschaften und Entschlossenheit waren bereits zu Bildern geworden, mit denen sich seine Gedanken vertrauter gemacht hatten. Obgleich der Tuscarora den Grund nicht erraten konnte, so sah er doch, daß seine Entschuldigung angenommen wurde, und erwartete mit ruhiger Würde die weitere Untersuchung.

»Das klingt glaublich«, erwiderte Pfadfinder in englischer Sprache, denn er ging unwillkürlich von der einen in die andere über, wie es ihm gerade Gefühl und Gewohnheit geboten, »es ist natürlich und mag sich wohl so verhalten. Wahrscheinlich würde ein Weib dem Manne folgen, dem sie Treue gelobt hat, und Mann und Weib sind ein Fleisch. Mabel würde auch dem Sergeanten gefolgt sein, wenn er dabeigewesen war‘ und sich auf diese Weise zurückgezogen hätte, und ich zweifle nicht im mindesten, daß das warmherzige Mädchen mit ihrem Gatten gegangen wäre. Eure Worte sind ehrlich, Tuscarora« – er sprach dieses wieder in der Zunge des letzteren – »und annehmbar. Aber warum ist mein Bruder so lange von dem Fort weggeblieben? Seine Freunde haben oft an ihn gedacht, aber ihn nicht wieder zu Gesicht bekommen.«

»Wenn die Damgais dem Bock folgt, muß nicht der Bock der Gais folgen?« antwortete der Tuscarora lächelnd und legte dabei den Finger bedeutungsvoll auf die Schulter des Fragers. »Pfeilspitzes Weib folgte Pfeilspitze; es war daher billig, daß Pfeilspitze seinem Weibe folgte. Sie verlor den Weg, und man zwang sie, in einem fremden Wigwam zu kochen.«

»Ich versteh‘ Euch, Tuscarora. Das Weib fiel in die Hände der Mingos, und Ihr bliebt auf ihrer Fährte.«

»Pfadfinder kann einen Grund so leicht sehen, als er das Moos der Bäume sieht. Es ist so.«

»Seit wann habt Ihr das Weib wieder zurückerhalten, und wie ist dies geschehen?«

»Zwei Sonnen. Junitau ließ nicht lange auf sich warten, als ihr Gatte ihr den Pfad zuflüsterte.«

»Gut, gut, alles dies scheint mir glaublich. Aber, Tuscarora, wie erhieltet Ihr diesen Kahn, und warum rudert Ihr dem S. Lorenzo zu, statt gegen die Garnison hin?«

»Pfeilspitze weiß sein Eigentum von dem eines anderen zu unterscheiden. Der Kahn ist mein; ich fand ihn an dem Ufer, nahe dem Fort.«

»Auch das klingt glaublich; denn zu einem Kahn gehört ein Mensch, und ein Indianer gibt nicht viele Worte aus, wenn er sich etwas aneignen will. Es ist aber doch nicht in der Ordnung, daß wir von dem Burschen und seinem Weib nichts gesehen haben, da doch der Kahn den Fluß vor uns verlassen haben muß.«

Dieser Gedanke, der Pfadfinder plötzlich durch die Seele fuhr, wurde nun dem Indianer in der Form einer Frage vorgelegt.

»Pfadfinder weiß, daß ein Krieger Scham haben kann. Der Vater würde mich nach seiner Tochter gefragt haben, und ich konnte sie ihm nicht geben. Ich schickte Junitau nach dem Kahn aus, und niemand redete das Weib an. Ein Tuscaroraweib wagt es nicht, mit fremden Männern zu sprechen.«

Alles dieses war annehmbar, auch dem Charakter und den Gewohnheiten der Indianer gemäß. Wie gewöhnlich hatte Pfeilspitze die Hälfte seiner Belohnung im voraus erhalten, als er den Mohawk verließ, und es war ein Beweis von dem Bewußtsein gegenseitiger Rechte, das oft ebenso bezeichnend für die Moral der Wilden wie für die der Christen ist, daß er es nicht wagte, den Rest anzusprechen. In den Augen eines so rechtlichen Mannes, wie es der Pfadfinder war, hatte sich Pfeilspitze mit Zartheit und Schicklichkeit benommen, obgleich es mit seinem eigenen freimütigen Wesen besser im Einklang gewesen wäre, zu dem Vater zu gehen und bei der einfachen Wahrheit zu bleiben; da er jedoch an die Weise des Indianers gewöhnt war, so sah er nichts Auffallendes in dem Benehmen des anderen.

»Das geht wie Wasser, das den Berg ‚runterkommt, Pfeilspitze«, antwortete er nach einer kurzen Überlegung, »und die Wahrheit muß ich anerkennen. Es war die Gabe einer Rothaut, auf diese Weise zu handeln, obgleich ich nicht glaube, daß es die Gabe eines Bleichgesichts wäre. Ihr wolltet wohl den Gram nicht sehen, den der Vater um das Mädchen empfand?«

Pfeilspitze machte eine ruhige Verbeugung, als ob er dies zugestehen wolle.

»Mein Bruder wird mir noch eins sagen«, fuhr Pfadfinder fort, »und es wird keine Wolke mehr zwischen seinem Wigwam und dem festen Hause der Yengeese stehen. Wenn er noch dieses bißchen Nebel mit dem Hauch seines Mundes wegblasen kann, so werden seine Freunde auf ihn sehen, wie er bei seinem eigenen Feuer sitzt, und er kann auf sie sehen, wie sie ihre Waffen weglegen und vergessen, daß sie Krieger sind. Warum war die Spitze von seinem Kahn gegen den S. Lorenzo zugekehrt, wo er doch nur Feinde finden wird?«

»Warum blicken der Pfadfinder und seine Freunde auf denselben Weg?« fragte der Tuscarora ruhig. »Ein Tuscarora kann in dieselbe Richtung wie ein Yengeese schauen.«

»Warum, Pfeilspitze? Um die Wahrheit zu gestehen, wir sind aufs Kundschaften aus, wie – das zu Schiff geschehen kann – oder mit anderen Worten, wir sind im Dienste des Königs und haben ein Recht, hier zu sein, obgleich wir vielleicht kein Recht haben zu sagen, warum wir hier sind.«

»Pfeilspitze sah den großen Kahn, und er liebt es, in das Gesicht von Eau-douce zu sehen. Er ging am Abend gegen die Sonne, um seinen Wigwam zu suchen? da er aber fand, daß der junge Seemann einen anderen Weg gehen wolle, so kehrte er um, um dieselbe Richtung zu schauen. Eau-douce und Pfeilspitze waren beieinander auf der letzten Fährte.«

»Das mag alles wahr sein, Tuscarora, und Ihr seid willkommen. Ihr sollt von unserem Wildbret essen, und dann müssen wir uns trennen. Die untergehende Sonne ist hinter uns, und wir beide bewegen uns schnell. Mein Bruder wird sich zu weit von dem entfernen, was er sucht, wenn er nicht umkehrt.«

Pfadfinder kehrte nun zu den übrigen zurück und berichtete das Ergebnis seiner Untersuchung. Er schien selbst zu glauben, daß Pfeilspitzes Erzählung wahr sein könne, obgleich er zugestand, daß die Klugheit Vorsicht gegen einen Menschen fordere, der ihm mißfiel. Seine Zuhörer jedoch waren mit Ausnahme Jaspers wenig geneigt, seinen Erklärungen Glauben zu schenken.

»Dieser Kerl muß sogleich in Eisen gelegt werden, Bruder Dunham«, sagte Cap, als Pfadfinder seine Erzählung beendet hatte; »er muß dem Profos übergeben werden, wenn es solchen Beamten auf dem frischen Wasser gibt. Man muß ein Kriegsgericht über ihn halten lassen, sobald wir den Hafen erreichen.«

»Ich denke, es ist das klügste, den Burschen festzuhalten«, antwortete der Sergeant. »Aber Eisen ist unnötig, solang er auf dem Kutter bleibt. Morgen soll die Sache untersucht werden.«

Man forderte nun Pfeilspitze vor und verkündete ihm die Entscheidung. Der Indianer hörte ernst zu und machte keine Einwürfe; im Gegenteil unterwarf er sich mit der ruhigen und zurückhaltenden Würde, mit der sich die amerikanischen Ureingeborenen in ihr Schicksal zu ergeben pflegten, und blieb als ein aufmerksamer, aber ruhiger Beobachter dessen, was vorging, seitwärts stehen. Jasper ließ des Kutters Segel in den Wind, und der Scud nahm seinen Kurs wieder auf.

Es kam nun die Stunde heran, wo die Wachen ausgestellt wurden und man sich wie gewöhnlich zur Ruhe begab. Der größte Teil der Mannschaft ging nach unten und nur Cap, der Sergeant, Jasper und zwei Matrosen blieben auf dem Verdeck. Auch Pfeilspitze mit seinem Weib blieb; jener stand luvwärts in stolzer Abgemessenheit, indes Junitau in ihrer Haltung und Hingebung die demütige Unterwürfigkeit äußerte, die das Weib eines Indianers charakterisiert.

»Ihr werdet unten einen Platz für Euer Weib finden, Pfeilspitze, wo meine Tochter für ihre Bedürfnisse Sorge tragen wird«, sagte der Sergeant mit Güte, als er gerade im Begriff war, das Deck zu verlassen, »und dort ist ein Segel, auf dem Ihr selbst schlafen könnt.«

»Ich danke meinem Vater. Die Tuscaroras sind nicht arm. Das Weib wird nach meinen Decken im Kahn sehen.«

»Wie Ihr wollt, mein Freund; wir halten es für nötig, Euch zurückzuhalten, aber nicht, Euch einzusperren oder übel zu behandeln. Schickt Euer Weib nach den Decken in den Kahn, und Ihr selbst könnt ihr folgen und uns die Ruder überliefern. Da es einige schläfrige Köpfe in dem Scud geben könnte, Eau-douce«, fügte der Sergeant leise bei, »so wird’s wohl gut sein, sich der Ruder zu versichern.«

Jasper nickte, und Pfeilspitze und sein Weib, von denen man sich keines Widerstandes versah, gehorchten stillschweigend der Anweisung. Als beide in dem Kahn beschäftigt waren, hörte man einige Ausdrücke scharfen Tadels aus dem Munde des Indianers gegen sein Weib, die diese mit unterwürfiger Ruhe hinnahm und den begangenen Fehler dadurch zu verbessern suchte, daß sie die Decke, die sie ergriffen hatte, beiseite legte und nach einer anderen suchte, die mehr nach dem Sinne ihres Tyrannen war.

»Kommt, reicht mir die Hand, Pfeilspitze«, sagte der Sergeant, der auf dem Schandeck stand und die Bewegungen der beiden beobachtete, die für die Ungeduld eines schläfrigen Mannes viel zu langsam waren; »es wird spät, und wir Soldaten werden beizeiten geweckt – da heißt’s früh ins Bett und früh ‚raus.«

»Pfeilspitze kommt«, war die Antwort, als der Tuscarora vorwärts in den Bug seines Kahnes trat.

Ein Schnitt mit seinem scharfen Messer trennte das Tau, an dem das Boot lag: Der Kutter schoß vorwärts, und ließ die leichte Blase von Barke fast unbeweglich hinter sich. Dieses Manöver war mit einer solchen Schnelligkeit und Geschicklichkeit ausgeführt worden, daß der Kahn auf der Leeseite des Scud war, ehe der Sergeant die List bemerkte, und schon in dem Kielwasser schwamm, ehe er es seinen Gefährten mitteilen konnte.

»Hart am Lee!« rief Jasper und stach mit eigener Hand die Klüverschote auf, worauf der Kutter schnell gegen den Wind fuhr und alle Segel hängen ließ oder, wie die Seeleute sagen, in des Windes Auge lief, bis sich das leichte Fahrzeug hundert Fuß windwärts von seiner früheren Lage befand.

So schnell und sicher diese Bewegung ausgeführt wurde, so war sie doch nicht schneller und geschickter als die des Tuscarora. Mit einer Geschicklichkeit, die seine Vertrautheit mit Fahrzeugen bekundete, hatte er das Ruder ergriffen und flog, von seinem Weibe unterstützt, auf dem Wasser dahin. Er schlug seine Richtung nach Südwesten ein, in einer Linie also, die ihn zugleich gegen den Wind und gegen das Ufer führte, und ihn so weit von dem Kutter luvwärts brachte, daß dadurch die Gefahr des Zusammenstoßens mit dem großen Fahrzeug vermieden wurde, wenn letzteres seinen zweiten Gang ausführte. Da der Scud schnell gegen den Wind geschossen war und mit Gewalt vorangetrieben hatte, so wurde es für Jasper nötig, abzufallen, ehe das Fahrzeug seinen Weg ganz verlor, und das Steuer wurde kaum zwei Minuten niedergehalten, als das lebhafte kleine Schiff backvorwärts lag und so schnell abfiel, daß die Segel sich für den entgegengesetzten Gang füllen konnten.

»Er wird entrinnen!« sagte Jasper, als er einen Blick auf die wechselnden Stellungen und Bewegungen des Kutters und des Kahnes warf. »Der schlaue Schurke rudert windwärts tot, und der Scud kann ihn niemals überholen.«

»Ihr habt einen Kahn!« rief der Sergeant, der auf der Verfolgung mit der Heftigkeit eines Knaben beharrte, »wir wollen ihn ins Wasser lassen und die Jagd fortsetzen!«

»Es wird vergeblich sein. Wenn Pfadfinder auf dem Verdeck gewesen wär‘, so hätte es vielleicht gehen mögen; doch damit ist’s jetzt vorbei. Bis der Kahn im Wasser ist, gehen drei oder vier Minuten herum, und diese Zeit ist hinreichend für des Indianers Zweck.«

Cap und der Sergeant sahen die Wahrheit davon ein, die übrigens auch einem in derartigen Dingen ganz Unerfahrenen hätte einleuchten müssen. Das Ufer war kaum eine halbe Meile entfernt, und der Kahn schoß bereits in dessen Schatten, in einer Weise, die deutlich erkennen ließ, daß er das Land erreicht haben würde, ehe noch seine Verfolger die Hälfte dieser Entfernung zurücklegen konnten. Man hätte sich dann allerdings des Kahnes bemächtigen können; er wäre aber eine nutzlose Prise gewesen, da Pfeilspitze in den Wäldern wahrscheinlich eher das andere Ufer unentdeckt erreichen konnte, als wenn er sich mit dem Nachen wieder auf den See wagte, obgleich bei ersterem die körperliche Anstrengung größer sein mochte. Das Steuer des Scuds wurde – zwar nur ungern – wieder aufgenommen; der Kutter drehte sich auf seiner Hielung und kam bei dem anderen Gang fast instinktartig wieder in seinen Kurs. Alles dieses wurde von Jasper mit der größten Stille vollführt; seine Gehilfen wußten, was not tat, und unterstützten ihn mit einer fast mechanischen Nachahmung. Während diese Bewegungen gemacht wurden, nahm Cap den Sergeanten an einem Knopf, führte ihn gegen die Kajütentür, wo er außer dem Bereich des Horchens war, und begann seinen Gedankenvorrat abzuladen.

»Hör‘, Bruder Dunham«, sagte er mit einer geheimnisvollen Miene, »das ist ein Gegenstand, der reifliche Überlegung und viel Umsicht fordert.«

»Das Leben eines Soldaten besteht aus steter Überlegung und Umsicht, Bruder Cap. Würden wir sie an dieser Grenze außer acht lassen, so könnten uns bei dem ersten besten Nicken die Hirnhäute vom Kopf genommen werden.«

»Aber ich betrachte Pfeilspitzes Ergreifung als ein Indiz, und ich möchte hinzusetzen, sein Entweichen als ein zweites. Dieser Jasper Frischwasser mag sich in acht nehmen.«

»Beides sind in der Tat Indizien, wie du’s nennst, Schwager, aber sie führen zu verschiedenen Resultaten. Es ist ein Indiz gegen den Burschen, daß der Indianer entschlüpfte, und eins für ihn, daß er vorher festgenommen wurde.«

»Schön, schön, aber zwei Indizien heben sich gegenseitig nicht auf, wie zwei Verneinungen. Wenn du dem Rat eines alten Seemanns folgen willst, Sergeant, darfst du keinen Augenblick verlieren, um die nötigen Schritte für die Sicherheit des Schiffes und seiner Bemannung zu tun. Der Kutter gleitet nun in einer Geschwindigkeit von sechs Knoten durch das Wasser, und da die Entfernungen auf diesem Stückchen Weiher ja nur gering sind, können wir uns vor Anbruch des Morgens in einem französischen Hafen, und, ehe es Nacht wird, in einem französischen Gefängnis befinden.«

»Das war‘ wohl möglich, aber wozu rätst du mir, Schwager?«

»Nach meiner Meinung sollte man diesen Meister Frischwasser auf der Stelle in den Arrest schicken. Laß ihn in den unteren Raum bringen, gib ihm eine Wache und übertrage das Kommando des Kutters mir. Zu all diesem hast du die Vollmacht, da das Fahrzeug zu der Armee gehört und du der kommandierende Offizier der gegenwärtigen Truppen bist.«

Sergeant Dunham überlegte mehr als eine Stunde die Tunlichkeit dieses Vorschlages, denn obgleich er rasch in seinen Handlungen war, wenn er sich einmal zu etwas entschlossen hatte, so pflegte er doch nichts zu übereilen und die Klugheit nie außer acht zu lassen.

Da er die polizeiliche Aufsicht über die Personen in der Garnison hatte, so war er mit deren Charakteren genau bekannt geworden und hatte seit langer Zeit eine gute Meinung von Jasper. Aber jenes schleichende Gift, der Argwohn, hatte Zutritt zu seiner Seele, gefunden: Die List und die Ränke der Franzosen wurden so sehr gefürchtet, daß es, zumal infolge der vorangegangenen Warnung des Kommandanten, kein Wunder war, wenn die Erinnerung an ein jahrelanges gutes Betragen durch den Einfluß eines so scharfen und gegründet scheinenden Verdachts verwischt wurde. In dieser Verlegenheit zog der Sergeant den Quartiermeister zu Rat, dessen Ansicht, da er sein Vorgesetzter war, Dunham zu respektieren hatte, obgleich er bei dem gegenwärtigen Streifzug unabhängig von dessen Befehlen war. Es ist ein unglücklicher Umstand, wenn man in zweifelhaften Fällen einen Mann zu Rate zieht, der sich bei dem Fragenden in Gunst setzen will, denn man darf fast mit Gewißheit darauf rechnen, daß der gefragte Teil versuchen wird, in die Weise einzugehen, die dem anderen am angenehmsten ist. In gegenwärtigem Fall war es ein weiterer unglücklicher Umstand für eine vorurteilsfreie Betrachtung der Sache, daß nicht der Sergeant selbst, sondern Cap die Verhältnisse auseinandersetzte; denn der eifrige alte Seemann ließ seinen Zuhörer deutlich genug merken, auf welche Seite er den Quartiermeister zu lenken wünschte. Leutnant Muir war viel zu klug, um den Onkel und den Vater des Mädchens, das er zu gewinnen hoffte und erwartete, zu beleidigen, wenn ihm der Fall auch wirklich zweifelhaft vorgekommen wäre; aber bei der Art, wie ihm die Sache vorgelegt wurde, war er ernstlich geneigt, es für zweckmäßig zu halten, die Führung des Scud einstweilen, als eine Vorsichtsmaßregel gegen Verrat, in Caps Hände zu legen. Diese Ansicht entschied über den Sergeanten, der ohne Verzug die nötigen Maßregeln treffen ließ.

Ohne in weitere Erörterungen einzugehen, gab Sergeant Dunham Jasper die einfache Erklärung, daß er es für seine Pflicht halte, ihm vorderhand das Kommando des Kutters zu entziehen und es seinem Schwager zu übertragen. Ein natürlicher unwillkürlicher Ausbruch der Überraschung, der dem jungen Manne entfuhr, wurde mit der ruhigen Erinnerung erwidert, daß der Militärdienst oft ein Geheimhalten der Gründe fordere: Das gegenwärtige Verfahren – wurde ihm weiter erklärt – gehöre unter diese Reihe, und die getroffene Anordnung sei unvermeidlich gewesen. Obgleich Jaspers Erstaunen ungemindert blieb, denn der Sergeant hatte absichtlich jede Anspielung auf seinen Verdacht umgangen – so war doch der junge Mann an militärischen Gehorsam gewöhnt; er verhielt sich ruhig und forderte noch selbst die kleine Rudermannschaft auf, für die Zukunft Caps Befehlen zu gehorchen, bis die Sache eine andere Wendung nehmen würde. Als man ihm jedoch sagte, die Verhältnisse forderten es, daß nicht nur er, sondern auch sein erster Gehilfe, der wegen seiner langen Vertrautheit mit dem See gewöhnlich der Lotse genannt wurde, in dem unteren Raum bleiben müsse, trat eine Veränderung in seinen Gesichtszügen und seinem Benehmen ein, die ein tiefes schmerzliches Gefühl bezeichnete, obgleich es Jasper so sehr zu beherrschen wußte, daß selbst der argwöhnische Cap im Zweifel blieb, was er davon denken solle. Wie natürlich blieben aber, da ein Mißtrauen einmal vorhanden war, auch die schlimmsten Deutungen über die Sache nicht aus.

Sobald Jasper und der Lotse im unteren Raum waren, erhielt die Schildwache an der Luke geheimen Befehl, auf beide sorgfältig acht zu geben, keinem zu erlauben, wieder auf das Verdeck zu kommen, ohne vorher dem dermaligen Befehlshaber des Kutters Nachricht zu geben und dann darauf zu bestehen, daß sie so bald wie möglich wieder in ihren Raum zurückkehrten. Es bedurfte jedoch dieser Vorsichtsmaßregeln nicht, da sich Jasper und sein Gehilfe ruhig auf ihre Streu warfen und sie in dieser Nacht nicht wieder verließen.

»Und nun, Sergeant«, sagte Cap, sobald er sich als den Herrn des Verdecks sah, »wirst du die Güte haben, mir die Kurse und Entfernungen anzugeben, damit ich sehe, ob der Schnabel des Schiffes in der rechten Richtung ist.«

»Ich weiß nichts von beiden, Bruder Cap«, erwiderte Dunham, den diese Frage nicht wenig in Verlegenheit setzte. »Wir müssen eben so bald wie möglich die Station auf den Tausendinseln erreichen, wo wir landen, die dortige Mannschaft ablösen und weitere Instruktionen für unsere Schritte erhalten sollen. Das steht fast Wort für Wort in dem geschriebenen Befehl.«

»Aber du kannst doch eine Karte beibringen, auf der die Höhen und Entfernungen verzeichnet sind, damit ich mich über den Weg ins klare setze?«

»Ich glaube nicht, daß Jasper etwas der Art bei sich hat.«

»Keine Karte, Sergeant Dunham?«

»Nein, nicht die Spur davon. Unsere Schiffe befahren diesen See, ohne sich je der Karten zu bedienen.«

»Den Teufel auch! – Das müssen ja wahre Yahs sein. Glaubst du denn, Sergeant Dunham, ich könne eine Insel aus Tausenden herausfinden, ohne ihren Namen und ihre Lage zu wissen? – Ja, nicht einmal den Kurs und die Entfernung?«

»Der Name, Bruder Cap, braucht dich nicht gerade anzufechten, denn keine von diesen Tausenden hat einen, und so kann in dieser Hinsicht kein Mißgriff stattfinden. Was die Lage betrifft, so kann ich von dieser nichts sagen, da ich nie dort gewesen bin; doch glaube ich, daß sie nicht von besonderem Belang ist, wenn wir nur den Ort ausfindig machen. Vielleicht kann aber einer von den Matrosen auf dem Verdeck uns den Weg angeben.«

»Halt, Sergeant – halt einen Augenblick, wenn’s gefällig ist, Sergeant Dunham. Wenn ich das Kommando über diesen Kutter führen soll, so muß dies geschehen, ohne daß man mit dem Koch oder Kajütenjungen ratschlägt. Ein Schiffsmeister ist ein Schiffsmeister und muß seiner eigenen Einsicht folgen, wenn sie auch noch so unrichtig ist. Ich denke, du kennst den Dienst gut genug, um einzusehen, daß es besser ist, wenn ein Kommandant einen unrichtigen Weg nimmt, als wenn er gar keinen geht. Jedenfalls könnte der Lord Oberadmiral nicht einmal ein Boot mit Würde kommandieren, wollte er den Bootsmann alle Augenblicke um Rat fragen, wann er ans Ufer zu gehen wünschte. Nein, Herr! Wenn ich sinke, so sink‘ ich – aber, Gott verdamm mich, wenn ich nicht nach Schiffsart und mit Würde untergehen will.«

»Aber, Bruder Cap, ich wünsche nirgends anders hinzugehen als zu der Station an den Tausendinseln, wohin uns unsere Pflicht ruft.«

»Schön, schön, Sergeant! Aber eh‘ ich bei einem Matrosen vom Vordermast oder irgendeinem anderen als bei einem Deckoffizier Rat einhole, ich meine einen direkten, unverhohlenen Rat, will ich lieber um das ganze Tausend herumgehen und eine nach der anderen untersuchen, bis wir den rechten Hafen treffen. Aber es gibt so eine Art, was herauszukriegen, ohne daß man seine Unwissenheit zutage bringt, und ich will’s schon so einleiten, daß ich aus diesen Matrosen alles rauslocke, was sie wissen, indem ich sie zugleich glauben mache, daß ich sie mit den Vorräten meiner Erfahrung überschütte. Wir müssen uns auf dem offenen Meer manchmal des Seerohrs bedienen, wenn weit und breit nichts zu sehen ist, und das Lot auswerfen, wenn wir noch lange nicht auf den Grund kommen.«

»Ich weiß, daß wir augenblicklich in der rechten Richtung steuern«, erwiderte der Sergeant, »aber nach einigen Stunden werden wir an ein Vorgebirge kommen, wo wir acht geben müssen.«

»Ich will den Mann an dem Steuer anpumpen, und du wirst sehen, daß er in wenigen Minuten trocken liegen wird.«

Cap und der Sergeant begaben sich nun zu dem Steuermann, wobei ersterer die Sicherheit und Ruhe eines Mannes zur Schau trug, der sich seiner eigenen Überlegenheit bewußt ist.

»Das ist ’ne gesunde Luft, Junge«, bemerkte Cap, als ob es nur so nebenher geschehe, und in einer Weise, wie sich die Oberen am Bord eines Schiffes bisweilen zu einem begünstigten Untergebenen herabzulassen pflegen. »Ihr habt sie wohl alle Nacht vom Lande her in dieser Weise?«

»In dieser Jahreszeit wohl, Herr!« erwiderte der Mann, indem er aus Achtung vor seinem neuen Befehlshaber und dem Verwandten des Sergeanten Dunham an den Hut griff.

»Ich denk‘, es wird bei den Tausendinseln gerad‘ so sein? Der Wind wird wohl die gleiche Richtung halten, obgleich wir dann auf jeder Seite Land haben werden?«

»Wenn wir weiter nach Osten kommen, wird der Wind wahrscheinlich umspringen, denn dort haben wir keinen eigentlichen Landwind.«

»Ja, ja, so ist’s mit Eurem Frischwasser. Es hat immer eine Tücke, die der Natur entgegen ist. Zwar da unten an den westindischen Inseln darf man ebensogut auf den Landwind wie auf den Seewind rechnen; es war‘ daher in dieser Beziehung kein Unterschied, obgleich es in der Ordnung wäre, wenn sich’s hier oben auf dem Fleckchen Frischwasser anders verhielte. Ihr kennt demnach alles um die genannten Tausendinseln herum?«

»Gott behüte Euch, Meister Cap, niemand weiß alles oder auch nur etwas über diese Inseln. Sie bringen den ältesten Schiffer auf dem See in Verwirrung, und wir machen nicht einmal einen Anspruch darauf, ihre Namen zu kennen. Ja, die meisten von ihnen haben so wenig einen Namen wie ein Kind, das vor der Taufe stirbt.«

»Seid Ihr ein römischer Katholik?« fragte Cap scharf.

»Weder das noch was anderes. Ich bin ein Generalisierer in Religionssachen und werde nie beunruhigen, was mich nicht beunruhigt.«

»Hm! ein Generalisierer; das ist ohne Zweifel eine von den neuen Sekten, die das Land bedrängen«, brummte Dunham, dessen Großvater ein Neujerseyquäker und dessen Vater ein Presbyterianer gewesen war, indes er sich selbst, nach seinem Eintritt in das Heer, der Kirche von England angeschlossen hatte.

»Ich vermute, John«, nahm Cap wieder auf, »doch ich glaube, Euer Name ist Jack?«

»Nein, Herr! Ich heiße Robert.«

»Nun also, Robert – es ist fast dasselbe, Jack oder Bob; wir brauchen diese zwei Namen ohne Unterschied. Ich sage, Bob, ist es ein guter Haltegrund da unten an der Station, zu der wir gehen sollen?«

»Gott behüte Euch, Herr! ich weiß davon nicht mehr als einer von den Mohawkern oder ein Soldat vom Fünfundfünfzigsten.«

»Habt Ihr dort nie geankert?«

»Nie, Herr; Meister Eau-douce legt immer selbst am Ufer an.«

»Aber wenn Ihr auf die Stadt zulauft, werft Ihr doch ohne Zweifel das Lot aus; auch müßt Ihr, wie gewöhnlich, getalgt haben.«

»Talg? und noch dazu eine Stadt? Gott sei bei Euch, Meister Cap! – da ist so wenig ’ne Stadt wie auf Euerm Kinn und nicht halb so viel Talg.«

Der Sergeant lächelte sauertöpfisch, aber sein Schwager bemerkte diesen Witz nicht.

»Kein Kirchturm, kein Leuchtturm, kein Fort? Na, es wird doch wenigstens so was um den Weg sein, was Ihr Garnison nennt?«

»Fragt den Sergeanten Dunham, Herr, wenn Ihr das zu wissen wünscht. Die ganze Garnison ist an Bord des Scud.«

»Welchen Kanal haltet Ihr für den geeignetsten zum Einlanden, Bob? den, den Ihr das letztemal fuhrt, oder, oder, oder – ja, oder den anderen?«

»Ich kann das nicht sagen, denn ich weiß von keinem was.« »Wie, Ihr habt doch nicht an dem Steuer geschlafen, Bursche? Habt Ihr das?«

»Nicht am Steuer, Herr, aber unten in meiner Koje, unter der Fockgaffel. Eau-douce schickte die Soldaten und alles hinunter, den Lotsen ausgenommen, und wir wußten von dem Weg nicht mehr, als ob wir nie darüber gekommen wären. So hat er es immer gehalten, wir mochten gehen oder kommen, und ich könnte Euch ums Leben nicht was von dem Kanal oder dem Kurs sagen, nachdem wir erst mal glücklich an den Inseln angelangt waren. Niemand weiß davon als Jasper und der Lotse.«

»Da hast du wieder ein Indiz, Sergeant«, sagte Cap, indem er seinen Schwager etwas beiseite führte. »Es ist niemand an Bord, bei dem was herauszupumpen wäre, denn schon bei dem ersten Zug zeigt sich die Trockenheit ihrer Ignoranz. Wie zum Teufel soll ich nun den Weg zu der Station finden, nach der unser Auftrag geht?«

»Deine Frage, Bruder Cap, ist wahrhaft leichter gestellt als beantwortet. Läßt sich denn dies durch die Schiffahrtskunst nicht herausbringen? Ich glaubte, das sei für Euch Salzwasserschiffer eine Kleinigkeit. Ich hab‘ auch in der Tat oft gelesen, wie sie Inseln entdeckten.«

»Das hat ganz seine Richtigkeit, Bruder; und diese Entdeckung würde die größte von allen sein, da es sich dabei nicht um die Entdeckung einer einzigen Insel, sondern einer aus Tausenden heraus handelt. Ich könnte wohl, so alt ich auch bin, eine einzelne Nadel auf diesem Verdeck auffinde», aber ich zweifle, ob ich sie aus einem Heuschober herauskriegte.«

»Die Schiffer auf diesem See haben aber doch eine Methode, die Plätze zu finden, die sie besuchen wollen.«

»Wenn ich dich recht verstanden habe, Sergeant, so liegt diese Station oder dieses Blockhaus besonders verborgen?«

»So ist’s bei Gott! Man hat die größte Sorgfalt angewendet, daß der Feind keine Kunde von ihrer Lage erhalte.«

»Und du erwartest von mir, daß ich als Fremder auf diesem See jenen Platz auffinden soll ohne Karte, Kurs, Entfernung, Länge, Breite, Tiefe – ja, ich will verdammt sein, nicht mal mit dem Talg? Meinst du denn, ein Matrose brauche bloß seiner Nase nachzugehen wie einer von Pfadfinders Hunden?«

»Nun, Schwager, vielleicht kannst du doch von dem jungen Mann am Steuer noch was durch Fragen herausbringen. Ich kann kaum glauben, daß er so unwissend ist wie er sich stellt.«

»Hm! das sieht wieder einem Indiz ähnlich. In dem ganzen Fall häufen sich die Indizien nachgerade so sehr, daß man kaum weiß, wie man der Wahrheit auf die Sprünge kommen soll. Wir werden aber bald sehen, wie es mit dem Wissen dieses Burschen beschaffen ist.«

Cap und der Sergeant kehrten nun zu dem Steuer zurück, und Cap nahm seine Fragen wieder auf.

»Kennt Ihr vielleicht die Länge und Breite der gesuchten Insel, Junge?«

»Was, Herr?«

»Nun die Länge oder Breite – eins oder beides; ich mach‘ mir zwar nichts daraus, denn ich frage bloß, um zu sehen, wie man die jungen Leute hier auf diesem Frischwasserstreifen erzieht.«

»Ich mach‘ mir auch nichts aus solchen Dingen, Herr, und weiß daher zufällig nicht, was Ihr meint.«

»Nicht was ich meine? – Wie? Ihr wißt nicht, was Breite ist?«

»Nein, Herr!« erwiderte der Steuermann zögernd – »obgleich ich glaube, daß es Französisch von den oberen Seen ist.«

»Hu – hu – hu – uh!« stöhnte Cap mit einem schweren Atemzuge, gleich dem Ton einer zerbrochenen Orgelpfeife; »Breite, Französisch von den oberen Seen! Hört, junger Mann, wißt Ihr, was Länge bedeutet?«

»Ich glaube, ich weiß das Herr – fünf Fuß sechs Zoll, die regelmäßige Höhe für einen Soldaten in des Königs Dienst.«

»Das ist eine Höhe nach dem Meßstock, eine, die für dich paßt, Sergeant. – Ihr habt doch hoffentlich einige Kenntnisse von Graden, Minuten und Sekunden?«

»Ja, Herr; unter Grad versteht man einen Vorgesetzten, und Minuten und Sekunden bedeuten die langen und kurzen Loglinien. Wir wissen diese Dinge so gut wie das Salzwasservolk.«

»Ich will verdammt sein, Bruder Dunham, wenn ich denke, daß selbst der Glaube über diesen See weghelfen kann, so viel man auch davon spricht, daß er Berge versetzen kann. So viel ist wenigstens gewiß, daß hier das Amt nicht den Verstand gibt. Nun, mein Bursch, Ihr versteht Euch vielleicht auf das Azimut, das Messen der Entfernungen, und wie man die Punkte des Kompasses in gehöriger Ordnung benennt?«

»Was das erste anbelangt, so weiß ich davon nichts. Die Entfernungen kennen wir alle wohl, da wir sie von einer Landspitze zur anderen messen, und wegen des Kompasses da werde ich keinem Admiral von Seiner Majestät Flotte den Rücken kehren. Nord, Nord zu Ost, Nordnordost, Nordost zu Nord, Nordost; Nordost zu Ost, Ostnordost, Ost zu Nord, Ost –«

»Nun, das geht, das geht. Ihr werdet den Wind ganz herumbringen, wenn Ihr auf diese Weise weiter segelt. Ich sehe deutlich, Sergeant«, sagte er, indem er den Steuermann verließ, mit gedämpfter Stimme, »daß wir von diesem Burschen nichts zu hoffen haben. Ich will noch zwei Stunden auf diesem Gang halten und dann anholen und das Lot auswerfen. Wir müssen uns dann eben nach den Umständen richten.«

Der Sergeant hatte nichts dagegen einzuwenden, und da der Wind, wie gewöhnlich bei fortschreitender Nacht, leichter wurde und sich der Fahrt keine unmittelbaren Hindernisse in den Weg legten, so machte sich Dunham auf dem Verdeck aus einem Segel ein Lager und verfiel bald in den festen Schlaf eines Soldaten. Cap fuhr fort, auf dem Deck auf und ab zu gehen, denn er war ein Mann, dessen eiserner Körper jeder Ermüdung Trotz bot: Er schloß die ganze Nacht kein Auge.

Als Sergeant Dunham erwachte, war es heller Tag. Da er sich aber erhob und umherblickte, entfuhr ihm ein Ausruf der Überraschung, der kräftiger tönte, als es bei einem Mann gewöhnlich war, der so oft veranlaßt wurde, sich hören zu lassen. Er fand das Wetter ganz verändert; die Aussicht war durch einen treibenden Nebel verhüllt, der den sichtbaren Horizont auf einen Kreis beschränkte, der im Durchmesser etwa eine Meile haben mochte. Der See tobte in schäumenden Wellen, während der Scud einen Beilieger machte. Eine kurze Besprechung mit seinem Schwager gab ihm Aufschluß über diesen plötzlichen Wechsel.

Caps Bericht zufolge hatte sich der Wind gegen Mitternacht gelegt und in ein totes Wetter verwandelt, als er gerade beilegen und das Lot auswerfen wollte, weil vor ihm einige Inseln aufzutauchen begannen. Gegen ein Uhr fing er an, aus Nordost zu wehen, und führte einen Nebelregen mit sich; worauf Cap gegen Nord und West seewärts anlag, da er wußte, daß sich die Küste von New York auf der entgegengesetzten Seite befand. Gegen halb zwei Uhr beschlug er den obern Klüver, reffte das Hauptsegel und nahm den Bonnet von dem Klüver. Um zwei Uhr mußte er hinten reffen und um halb drei ein Schunerreff an das Segel legen und einen Beilieger machen.

»Ich kann’s nicht anders sagen, Sergeant, das Boot hält sich gut«, fügte der alte Seemann bei, »aber es bläst Zweiundvierzigpfünder. Ich hätte mir’s nicht gedacht, daß es solche Luftströmungen hier auf diesem Fetzchen Frischwasser gäbe; doch das kümmert mich so wenig wie ein Stümpfchen Garn, denn Euer See erhält dadurch doch ein mehr natürliches Aussehen, und« – er spuckte mit Ekel einen Schaumguß, der gerade sein Gesicht benetzt hatte, aus dem Munde – »und wenn dieses verflixte Wasser einen Salzgeschmack hätte, so könnt‘ man sich recht behaglich darauf fühlen.«

»Wie lange bist du in dieser Richtung vorwärts gefahren, Bruder Cap?« fragte der vorsichtige Krieger – »und mit welcher Geschwindigkeit gehen wir jetzt durch das Wasser?«

»Nun, so etwa zwei oder drei Stunden. In den zwei ersten flog das Schiff wie ein Pferd. Wir haben nun schöne offene See, denn, um die Wahrheit zu gestehen, ich fand an der Nachbarschaft der genannten Inseln wenig Geschmack, obgleich sie windwärts lagen, nahm daher selbst das Steuer und machte mich eine oder zwei Meilen davon weg. Ich wette, sie sind jetzt ziemlich leewärts von uns; – ich sage leewärts, denn wenn man auch wünschen mag, von einer oder auch einem halben Dutzend Inseln windwärts zu sein, so ist es doch besser, wenn mal von Tausenden die Rede ist, sich von ihnen fernzuhalten und so schnell wie möglich unter ihr Lee zu gleiten. Nein, nein; dort drüben sind sie im Nebelduft und mögen da meinetwegen liegenbleiben.«

»Da das Nordufer nur fünf bis sechs Meilen von uns liegt, Bruder, und mir bekannt ist, daß sich dort eine weite Bucht befindet, möcht‘ es da nicht gut sein, einige von dem Schiffsvolk über unsere Lage zu Rat zu ziehen, wenn wir nicht lieber Jasper Eau-douce heraufrufen und ihn darum angehen wollen, uns wieder nach Oswego zurückzuführen? Wir können jetzt unmöglich die Station erreichen, da wir den Wind gerade in unseren Zähnen haben.«

»Ein Seemann hat mehrere wichtige Gründe gegen alle deine Vorschläge, Sergeant. Einmal würde ein Zugeständnis der Unwissenheit von seitens eines Kommandanten alle Subordination aufheben. Nichts davon, Bruder; ich verstehe dein Kopfschütteln: Aber nichts stört die Disziplin mehr als das Bekenntnis, daß man sich nicht zu raten wisse. Ich hab‘ mal einen Schiffsmeister gekannt, der lieber eine Woche auf einem falschen Kurs blieb, als daß er einen Mißgriff zugestanden hätte, und es war überraschend, wie sehr er sich dadurch in der Meinung seiner Leute hob, grade weil sie ihn nicht begreifen konnten.«

»Das mag sich auf dem Salzwasser tun lassen, Bruder Cap, aber schwerlich auf diesem See. Ehe ich mein Kommando an Kanadas Ufer scheitern lasse, halt‘ ich’s für meine Pflicht, Jasper aus seiner Haft heraufzunehmen –«

»Und in Frontenac ans Land zu gehen. Nein, Sergeant; der Scud ist in guten Händen und kann jetzt was von Seemannskunst erfahren. Wir haben schöne offene See, und nur ein Verrückter würde in einer Kühlte wie dieser dran denken, sich einer Küste zu nähern. Ich werde jede Wache vieren, und dann werden wir gegen alle Gefahr sicher sein, das Abtreiben ausgenommen, was jedoch in einem so leichten und niedrigen Fahrzeug, wie diesem ohne Windfang von keinem Belang sein kann. Überlaß nur mir die ganze Sache, Sergeant, und ich stehe mit meiner Ehre dafür, daß alles gutgehen wird.«

Sergeant Dunham mußte wohl oder übel nachgeben. Er hatte ein großes Vertrauen zu der seemännischen Geschicklichkeit seines Schwagers und hoffte, er werde sich bei dem Kutter Mühe geben, diese gute Meinung noch zu erhöhen. Auf der andern Seite war er, da der Verdacht wie die Sorge immer größer wird, je mehr man ihm Nahrung läßt – so besorgt des Verrats wegen, daß er jedem, andern als Jasper gern das Schicksal der ganzen Gesellschaft in die Hände gegeben haben würde. Er hatte übrigens, um die Wahrheit zu gestehen, noch einen weiteren Grund. Der Auftrag, der ihm anvertraut war, hätte eigentlich einem Offizier überlassen werden sollen, und der Umstand, daß Major Duncan das Kommando einem untergeordneten Sergeanten gegeben, hatte unter den Subalternoffizieren eine große Unzufriedenheit erregt. Wenn er nun zurückkehrte, ohne den Ort seiner Bestimmung erreicht zu haben, so mußte dadurch ein Schatten auf ihn fallen, der sich nicht so bald verwischt haben würde, und die unausbleibliche Folge dieser Maßregel war, daß ihm der Befehl abgenommen und ein Offizier an seine Stelle gesetzt wurde.