Kapitel 2

 

2

 

Helen Leamington wartete, bis das Atelier fast leer war, und auch dann zögerte sie noch, ehe sie in das Büro ihres Chefs eintrat. Ein weißhaariger Mann saß zusammengekauert in einem Segeltuchstuhl. Er hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und runzelte mißmutig die Stirn.

 

Es war gerade kein glücklicher Augenblick, um ihm eine Bitte vorzutragen. Niemand wußte das besser als sie selbst.

 

»Mr. Knebworth, kann ich Sie einen Augenblick sprechen?«

 

Langsam schaute er auf. Sonst wäre der Amerikaner gleich aufgestanden, denn man rühmte an ihm allgemein seine bezaubernde Liebenswürdigkeit. Aber augenblicklich war seine Achtung vor den Frauen unter Null gesunken. Er sah sie mißmutig an, prüfte aber gewohnheitsmäßig als Filmmann unwillkürlich ihre Erscheinung. Sie war hübsch und hatte regelmäßige Gesichtszüge. Goldbraune Locken umrahmten weich ihr Gesicht mit dem festen, schöngeformten Mund. Ihre Gestalt war schlank. Man konnte nichts an ihr aussetzen.

 

Jack Knebworth hatte schon viele schöne Statistinnen zu Gesicht bekommen. Wie oft war er von einem hübschen Mädchen begeistert, und wenn er es dann auf der Leinwand sah, war er verzweifelt. Sie bewegten sich meist steif wie hölzerne Puppen, ohne Seele und Ausdrucksfähigkeit. Er kannte diese Frauen, die zu hübsch waren, um Geist zu besitzen, und die sich ihrer Schönheit zu bewußt waren, um sich noch natürlich bewegen zu können. Sie waren nur Puppen – ohne Seele und Verstand –, Statistinnen. Man konnte sie nur in der Menge auftreten lassen, mit schönen Kleidern, wo sie sich dann mit ihrem Allerweltslächeln mechanisch bewegten. Sie waren vom Schicksal eben zu Statistinnen bestimmt und konnten in ihrem ganzen Leben auch nichts anderes werden.

 

»Was gibt es?« fragte er unfreundlich.

 

»Könnte ich nicht eine Rolle in diesem Film bekommen, Mr. Knebworth?« fragte sie. Seine glattrasierte Oberlippe zog sich zusammen. »Ich denke, Sie haben eine Rolle, Miss – wie war gleich Ihr Name – Leamington, nicht wahr?«

 

»Gewiß spiele ich mit, aber nur im Hintergrund«, lächelte sie ihn an. »Ich verlange ja auch keine große Rolle. Aber ich bin sicher, daß ich mehr leisten könnte als an meiner jetzigen Stelle.«

 

»Ich bin davon überzeugt, daß Sie sich schließlich auch nicht schlechter ausnehmen werden als andere«, grollte er. »Nein, meine Liebe, es gibt für Sie keine Rolle. Es wird überhaupt nicht weiter gefilmt, wenn sich die Dinge nicht ändern. So liegt die Sache!«

 

Sie wandte sich zum Gehen, aber er rief sie noch einmal zurück.

 

»Sie sind vermutlich aus guten Verhältnissen weggelaufen?« fragte er. »Sie dachten, wenn man beim Film ist, verdient man eine Million Dollar im Jahr und kann sich jeden Donnerstag ein neues Auto kaufen? Oder Sie hatten eine gute Stellung als Stenotypistin und bildeten sich ein, daß Hollywood nur auf Sie gewartet hätte? Gehen Sie ruhig nach Hause und erzählen Sie Ihrem Vater die alte Geschichte, daß Sie nicht länger Stenotypistin bleiben wollen, weil man sich da zu Tode schindet!«

 

Ein schwaches Lächeln zeigte sich auf ihren Zügen.

 

»Ich bin nicht zum Film gegangen, weil ich verrückt nach der Bühne war – wenn Sie das etwa meinen sollten, Mr. Knebworth. Als ich hierher kam, war ich mir klar darüber, wie schwer man zu kämpfen hat. Ich habe keine Eltern mehr.«

 

Er schaute sie interessiert an.

 

»Wie bestreiten Sie denn Ihren Lebensunterhalt?« fragte er. »Als Statistin verdient man doch nicht genügend. Vielleicht wenn ich einer der Direktoren wäre, die Riesenfilme mit Wagenrennen veranstalten – und Millionen verschwenden! Aber Sie wissen ja, daß ich nicht soviel Geld zur Verfügung habe. Wenn ich einen Film drehe, dann genügen mir fünf Hauptrollen.«

 

»Ich habe etwas Zuschuß vom Vermögen meiner Mutter, und außerdem schreibe ich«, sagte das junge Mädchen schüchtern. Sie brach ab, als sie bemerkte, daß er nach dem Ateliereingang schaute, und drehte sich nach dorthin um. Eine merkwürdige Persönlichkeit stand dort. Zuerst vermutete sie einen Schauspieler, der zu einer Filmprobe kostümiert war.

 

Es war ein älterer Herr, aber sein aufrechter Gang und seine hohe Gestalt ließen ihn jünger erscheinen. Er trug einen knapp anliegenden Rock mit langen Schößen. Seine Hosen waren mit Lederbügeln an den Schuhen befestigt. Der hohe, steife Kragen und die schwarzseidene Halsbinde gehörten dem Schnitt nach der Vergangenheit an, aber sie waren funkelnagelneu. Seine weißen Leinenmanschetten lagen über den Handgelenken, und seine zweireihige Weste aus grauem Samt war mit goldenen Knöpfen verziert. Es machte ganz den Eindruck, als ob ein Familienporträt der fünfziger Jahre zum Leben erwacht wäre. In seiner behandschuhten Rechten hielt er einen großen Hut mit geschweifter, breiter Krempe, in der anderen einen Spazierstock mit goldenem Knauf. Sein tiefgefurchtes Gesicht hatte einen angenehmen, ruhigen und wohlwollenden Ausdruck. Es schien ihm nicht bewußt zu sein, daß seine Kleidung durchaus nicht mehr in diese Zeit paßte.

 

Jack Knebworth erhob sich schnell und ging dem Fremden entgegen.

 

»Mr. Longvale, ich freue mich sehr, Sie bei mir zu sehen – haben Sie meinen Brief bekommen? Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr Sie mich dadurch verpflichtet haben, daß Sie mir Ihr Haus überlassen wollen.«

 

Das Mädchen erkannte nun Mr. Sampson Longvale. Es war der Herr, der unten in Dower House wohnte. In ganz Chichester war er nur unter seinem Spitznamen »der altmodische Herr« bekannt. Als sie einmal Außenaufnahmen machten, zeigte ihr jemand das große, geräumige Haus mit dem verwilderten Garten und den schiefen Mauern, in dem er wohnte.

 

»Ich dachte, es wäre das beste, wenn ich Sie einmal besuchte«, sagte der Fremde mit wohlklingender Stimme.

 

Sie erinnerte sich nicht, jemals ein so klangvolles Organ gehört zu haben, und sah den merkwürdigen Mann mit großem Interesse an.

 

»Ich hoffe, daß das Haus und das Grundstück sich für Ihre Zwecke eignen werden. Ich fürchte nur, daß das Anwesen nicht sehr in Ordnung ist, aber ich kann den Besitz leider nicht in so gutem Zustand halten wie mein Großvater.«

 

»Das ist ja gerade das, was ich brauche, Mr. Longvale. Ich dachte schon, ich hätte Sie verletzt, als ich bat –«

 

Der alte Herr unterbrach ihn mit einem leisen Lachen.

 

»Nein, ich war durchaus nicht beleidigt. Sie brauchen ein Haus, in dem es spukt, und ich konnte Ihnen nun gerade ein solches anbieten. Aber ich kann Ihnen nicht versprechen, daß Sie der Geist meiner Ahnfrau nicht belästigen wird. In Dower House spukt es schon seit mehreren hundert Jahren. Einer meiner Vorfahren hat in einem Anfall von Wahnsinn seine Tochter ermordet, und man nimmt an, daß der Geist dieser unglücklichen Frau umgeht. Ich habe sie niemals zu Gesicht bekommen, aber vor einigen Jahren hat sie einer meiner Dienstboten gesehen. Ich habe mich von diesen Unannehmlichkeiten befreit, indem ich alle meine Dienstboten entließ«, fügte er lächelnd hinzu. »Aber wenn Sie eine Nacht dort zubringen wollen, wird es mir ein Vergnügen sein, fünf oder sechs Leute Ihrer Gesellschaft mit einzuladen.«

 

Knebworth seufzte erleichtert auf. Trotz eifrigen Bemühens hatte er in der Nähe keine Unterkunft für seine Leute finden können. Es lag ihm aber viel daran, Nachtaufnahmen zu machen, und gerade für eine Szene brauchte er das gespenstisch blasse Licht des Morgengrauens.

 

»Ich fürchte, das wird Ihnen zuviel Umstände machen, Mr. Longvale«, sagte er. »Wir müssen auch noch die schwierige Frage der Entschädigung –«

 

Der alte Herr brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.

 

»Bitte, sprechen wir nicht vom Geld«, sagte er bestimmt. »Ich interessiere mich sehr für Filmaufnahmen. Ich beschäftige mich wirklich gern mit den modernsten Dingen. Im allgemeinen sind die alten Leute ja geneigt, die Fortschritte der Neuzeit abzulehnen, aber mir ist es ein großes Vergnügen, die Wunder der Wissenschaften, die uns die letzten Jahre gebracht haben, kennenzulernen.«

 

Bei diesen Worten schaute er den Direktor merkwürdig an.

 

»Einmal müssen Sie auch von mir eine Filmaufnahme machen, und zwar in einer Rolle, in der mich keiner übertreffen kann, wie ich glaube – nämlich als mein Vorfahre.«

 

Jack Knebworth starrte ihn halb belustigt, halb erschreckt an. Er hatte schon öfters die Erfahrung gemacht, daß sich Leute gern selbst auf der Leinwand sahen, aber er hätte doch niemals vermutet, daß Mr. Sampson Longvale auch diese kleine Eitelkeit besitzen würde.

 

»Ich werde mich freuen«, sagte er etwas kühl. »Ihre Familie ist ja sehr bekannt.«

 

Mr. Longvale seufzte.

 

»Zu meinem Bedauern stamme ich nicht von der Hauptlinie ab, zu der der bekannte Charles Henry Longvale gehört, der auch in der Geschichte eine Rolle gespielt hat. Er war mein Großonkel. Ich stamme von der Linie der Longvales ab, die in Bordeaux beheimatet ist. Aber auch sie haben sich hervorgetan.« Er schüttelte traurig den Kopf.

 

»Sind Sie Franzose?« fragte Knebworth.

 

Anscheinend hatte der alte Herr seine Frage nicht gehört. Er schaute starr auf eine Stelle und sagte dann plötzlich: »Ja, früher waren wir Franzosen. Mein Urgroßvater heiratete eine Engländerin, die er unter sonderbaren Umständen kennenlernte. Zur Zeit des Direktoriums kamen wir nach England.«

 

Erst jetzt schien er die junge Dame zu bemerken und machte eine Verbeugung vor ihr.

 

»Ich werde jetzt gehen«, sagte er, indem er eine große goldene Uhr aus der Tasche zog.

 

Helen Leamington beobachtete die beiden, als sie aus dem Atelier gingen. Gleich darauf sah sie, wie »der altmodische Herr« in einem vorsintflutlichen Auto am Fenster vorbeifuhr. Der Wagen mußte einer der ersten gewesen sein, die je nach England gekommen waren. Es war eine große, hoch gebaute, äußerst unhandliche Maschine, die unter furchtbarem Lärm gemächlich die Chaussee entlangfuhr.

 

Kurze Zeit später kam Jack Knebworth zurück.

 

»Alle sind verrückt darauf, gefilmt zu werden, ob sie alt sind oder jung«, brummte er. »Gute Nacht, Miss – ich habe schon wieder Ihren Namen vergessen – Leamington, nicht wahr? Gute Nacht!« Auf dem Heimweg stellte sie fest, daß diese Unterredung, die sie so mutig begonnen hatte, doch zu einem wenig befriedigenden Resultat für sie geführt hatte. Sie war genauso weit davon entfernt, eine Rolle zu bekommen, wie vorher.

 

Kapitel 20

 

20

 

Mike Brixan bereitete sich zum letzten und nutzlosen Kampf vor. Aber zu seinem größten Erstaunen hielt der Affe plötzlich inne. Sein leises Gezwitscher wurde zu heftigem Fauchen. Er richtete sich in seiner ganzen Länge auf und schlug sich mit den Armen auf die Brust. Es gab ein hohlklingendes, schreckliches Dröhnen.

 

Aber Mike hörte trotzdem ein merkwürdiges Geräusch, das ihm fast wie das Zischen von Wasserdampf vorkam. Erstaunt blickte er sich um. Auf dem Rand der Mauer saß zusammengeduckt ein Mann, und Mike erkannte ihn sofort. Es war der braune Fremde, den er heute in Chichester gesehen hatte. Die dröhnenden Schläge wurden lauter. Plötzlich sah Mike eine aufblitzende gebogene Klinge in der Hand des Eingeborenen. Es war ein Schwert, wie es über dem Kamin Sir Gregorys hing.

 

Während Mike noch starr vor Staunen war, sprang der braune Mann auf den Boden herunter. Bhag wandte sich mit einem fast menschlichen Aufschrei zur Flucht. Mike sah der unheimlichen Gestalt nach, bis sie die Dunkelheit aufgesogen hatte.

 

»Mein Freund«, sagte Mike auf holländisch, »Sie kamen gerade im rechten Augenblick.«

 

Er drehte sich um, aber der Fremde war verschwunden, als ob die Erde ihn verschlungen hätte. Er hielt die Hand vor die Augen, um das Licht der Sterne abzudämpfen, und konnte in weiter Entfernung eine dunkle Gestalt beobachten, die im Schatten der Mauer fortschlich. Erst wollte er dem braunen Mann folgen und ihn fragen, aber dann ging er doch in der anderen Richtung weiter. Mit Mühe erkletterte er die Mauer und sprang auf der anderen Seite hinunter. Dann brachte er, so gut es ging, seine Sachen in Ordnung und lief an der Mauer entlang bis zum Parktor von Griff Towers. Kühn ging er auf das Haus zu und pfiff vor sich hin.

 

Als er über den freien Platz vor dem Haus kam, konnte er niemanden sehen. Er ging zu der Stelle zurück, wo er aus dem Fenster gesprungen war, und fand nach kurzem Suchen seine Pistole.

 

Er wollte sich nicht eher entfernen, als bis er Stella Mendoza in Sicherheit wußte. Eben hatte er gesehen, daß ihr Auto auf der Straße wartete. Schon hob er die Hand, um zu klingeln, als er in der Halle Fußtritte hörte. Er lauschte angestrengt. Zweifellos war Stella Mendoza eine der beiden Personen, die sprachen. Er trat hinter die Hecke zurück, um sich zu verstecken.

 

Sie kam heraus, und hinter ihr erschien Sir Gregory. Dem Ton ihrer Unterhaltung hätte ein Fremder, der mit den genauen Umständen nicht vertraut war, nichts Besonderes entnehmen können.

 

»Gute Nacht, Gregory«, sagte sie mit freundlicher Stimme. »Ich werde dich morgen wieder besuchen.«

 

»Komm zum Essen«, hörte er Pennes Stimme, »und bring deinen Freund mit. Soll ich dich zu deinem Wagen begleiten?«

 

»Danke, nein«, sagte sie hastig.

 

Brixan schaute ihr nach, bis er sie nicht mehr sehen konnte. Das schwere Tor von Griff Towers war inzwischen zugemacht worden, und das Rasseln der Ketten sagte ihm, daß es für heute endgültig geschlossen war.

 

Wo mochte Foß sein? Er mußte eher weggegangen sein, wenn er wirklich hiergewesen war. Brixan wartete noch, bis alles ruhig war, dann schlich er sich auf Zehenspitzen über den Kiesweg und folgte Stella. Er hielt noch Ausschau nach dem braunen Mann, aber er konnte ihn nirgends entdecken. Plötzlich erinnerte er sich, daß er die Leiter vergessen hatte. Er kehrte noch einmal zurück, um sie mitzunehmen, und fand sie noch an derselben Stelle, wo er sie gelassen hatte. Sie wurde auseinandergenommen und in den Rucksack gepackt. Zehn Minuten später holte er sein Motorrad wieder aus dem Versteck.

 

 

Ein gelbliches Licht kam aus dem Speisezimmer von Mr. Longvale. Beinahe wäre Mike noch zu ihm gegangen. Jedenfalls hätte der alte Herr ihm noch verschiedenes über das Mädchen mit dem ovalen Gesicht erzählen können, das sich in dem obersten Turmgeschoß aufhielt. Aber er entschloß sich, nach Hause zu gehen. Diese kleine nächtliche Untersuchung befriedigte ihn noch nicht. Der Turm hatte ihm kein grauenvolles Geheimnis enthüllt, wenigstens nicht das, was er erwartet hatte. Offenbar wurde dort ein Mädchen gefangengehalten. Sie war für Gregory Penne geraubt worden, und er hatte sie auf seiner Jacht nach England gebracht. So etwas kam vor. Vor einigen Monaten war vor Gericht ein ganz ähnlicher Fall verhandelt worden. Diese Sache war aber nicht wert, daß man deswegen seine Nachtruhe opferte.

 

Er nahm ein heißes Bad und machte sich selbst eine Tasse Schokolade. Bevor er sich zur Ruhe legte, überdachte er noch einmal alles, was sich an diesem Tag ereignet hatte. Nach seinen letzten Erfahrungen, war er nicht mehr so sehr davon überzeugt, daß sich das Rätsel des Kopfjägers so leicht lösen ließe, wie er zuerst annahm. Je länger er darüber nachsann, desto unbefriedigter wurde er. Schließlich war er so ärgerlich über seine eigene Unschlüssigkeit, daß er das Licht ausmachte und sich zu Bett legte.

 

Er schlief tief und ruhig bis in den späten Morgen hinein. Erst ein unerwarteter Besuch weckte ihn. Mike setzte sich im Bett aufrecht und rieb sich die Augen.

 

»Entweder sehe ich Gespenster – oder es ist Staines«, sagte er erstaunt.

 

Major Staines lächelte freundlich.

 

»Sie sind wach und bei gesunden Sinnen«, erwiderte er.

 

»Hat sich irgend etwas ereignet?« fragte Mike und sprang aus dem Bett.

 

»Nichts Besonderes. Gestern abend war ein Tanzvergnügen, das sich bis spät in die Nacht hineinzog, und heute morgen fuhr in aller Frühe ein Eisenbahnzug hierher. Da entschloß ich mich, für mein leichtsinniges Leben Buße zu tun und einmal nachzusehen, wie weit Sie mit der Aufklärung des Falles Elmer gekommen sind.«

 

»Fall Elmer?« Mike legte die Stirn in Falten. »Großer Gott, ich hätte Elmer beinahe vergessen!«

 

»Ich habe Ihnen etwas mitgebracht«, sagte Staines.

 

Er holte aus seiner Tasche einen Zeitungsausschnitt. Mike nahm ihn und las:

 

›Sind Ihre geistigen und körperlichen Beschwerden unheilbar? Zögern Sie noch am Rande des Abgrundes? Fehlt Ihnen Mut? Schreiben Sie dem Wohltäter. Fach … ‹

 

»Was ist das?« fragte Mike nachdenklich.

 

»Dieser Ausschnitt wurde in einer alten Weste gefunden, die Elmer einige Tage vor seinem Verschwinden trug. Mrs. Elmer sah alle seine Kleider nach, um sie zu verkaufen. Dabei fand sie dieses Papier. Die Anzeige erschien im ›Morgen-Telegramm‹ vom 14. des Monats. Das heißt also drei oder vier Tage, bevor Elmer verschwand. Am Ende der Anzeige steht die Nummer des Faches in der Zeitungsexpedition, wo man die Anfragen aufbewahrte. Ich habe einen Bericht von dort, daß vier Briefe an den Wohltäter eingesandt wurden! Wir haben in Erfahrung bringen können, daß er diese an einen kleinen Laden in der Stibbington Street überweisen ließ. Hier wurden sie von einer Frau, offensichtlich aus Arbeiterkreisen, abgeholt. Weiter konnten wir die Spur nicht verfolgen. Es wurden ähnliche Anzeigen in anderen Zeitungen entdeckt, aber in diesen Fällen wurden die Briefe nach einer Deckadresse in Südlondon bestellt, wo sie wahrscheinlich von derselben Frau abgeholt wurden. Bei jeder neuen Annonce änderte der Auftraggeber seine Adresse. Keiner ihrer Nachbarn kennt die Frau,, die die Briefe abholt, näher. Sie verkehrt mit niemandem, und wie die Ladeninhaber aus ihrer Gegend erzählen, scheint sie etwas geistesgestört zu sein, denn sie murmelt vor sich hin und spricht zu sich selbst. Sie heißt Stivins, wenigstens ist das der Name, den sie überall angibt. Die Bescheinigungen, die sie bringt, damit ihr die Briefe ausgehändigt werden, sind mit Mark unterzeichnet.«

 

»Bringen Sie diese Anzeige in Verbindung mit der Ermordung Elmers?«

 

»Wir sind uns darüber nicht klar. Man könnte darauf mit Ja und mit Nein antworten. Diese Annonce ist recht sonderbar abgefaßt und erregt unter den eigenartigen Umständen doch Verdacht. Nun sagen Sie mir aber, was Ihre Vermutungen sind.«

 

Eine Stunde lang sprach Mike Brixan. Ab und zu wurde er durch die Fragen des Majors unterbrochen.

 

»Es ist eine sonderbare Ansicht, die Sie haben, fast möchte man sie phantastisch nennen«, meinte Staines ernst. »Aber wenn Sie davon überzeugt sind, daß Sie die richtige Fährte gefunden haben, dann gehen Sie nur auf Ihr Ziel los. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen«, fuhr er dann vertraulich fort, »ich hatte das schauderhafte Gefühl, daß Sie einen Mißerfolg gehabt hätten. Und da ich nicht wünsche, daß Scotland Yard sich über unsere Abteilung lustig macht, hielt ich es für besser, hierherzukommen und Ihnen das Resultat meiner eigenen Nachforschungen mitzuteilen.«

 

»Ich bin ganz Ihrer Meinung«, sagte er, als sie später beim Frühstück saßen, »daß Sie äußerst vorsichtig zu Werke gehen müssen. Es ist eine sehr heikle Angelegenheit. Sie haben doch den Leuten von Scotland Yard Ihren Verdacht nicht mitgeteilt?«

 

Mike schüttelte den Kopf.

 

»Dann tun Sie es auch ja nicht«, sagte Staines mit Nachdruck. »Die würden natürlich den Mann, den Sie im Verdacht haben, gleich festnehmen. Dadurch würde es wahrscheinlich unmöglich werden, einen vollen Beweis beizubringen. Sagten Sie mir nicht eben, daß Sie das Haus durchsucht hätten?«

 

»Nicht vollständig, ich konnte nur eine oberflächliche Besichtigung vornehmen.«

 

»Sind Keller dort?«

 

»Ich sollte es annehmen«, sagte Mike. »Diese Art Häuser hat gewöhnlich ein Kellergeschoß.«

 

»Nebengebäude?«

 

Mike schüttelte den Kopf.

 

»Soviel ich sehen konnte, sind keine vorhanden.«

 

Mike ging mit seinem Vorgesetzten zur Bahnstation, und der Major versicherte Brixan, daß er viel hoffnungsvoller abfahre, als er hergekommen sei.

 

»Ich möchte Sie aber noch warnen, Mike«, sagte Staines. »Seien Sie vorsichtig. Sie haben es mit einem rücksichtslosen, verschlagenen Mann zu tun. Unterschätzen Sie um Himmels willen seine Intelligenz nicht. Ich möchte nicht eines Morgens die Nachricht erhalten, daß Sie nicht mehr unter den Lebenden sind.«

 

Kapitel 21

 

21

 

Der Rückweg führte Mike nicht direkt an der Wohnung Helens vorüber. Man mußte einen ziemlich großen Umweg machen, wollte man dorthin. Trotzdem stand er vor ihrer Tür und klopfte. Er war sehr wenig erfreut, als er hörte, daß das junge Mädchen schon seit heute morgen um sieben Uhr fort sei. Knebworth machte in den South Downs Aufnahmen, und das Atelier war leer, als er dort vorsprach. Nur der Sekretär von Knebworth und der neue Dramaturg, der gestern spät abends gekommen war, waren anwesend.

 

»Ich kenne die Gegend nicht, wo gefilmt wird, Mr. Brixan«, sagte der Sekretär. »Aber ich vermute, daß es in der Nähe von Arundel ist. Miss Mendoza war heute morgen auch schon hier und hat ebenfalls danach gefragt. Sie wollte Miss Leamington zum Mittagessen abholen.«

 

»Das ist sehr interessant«, sagte Mike liebenswürdig. »Bestellen Sie ihr bitte von mir, wenn sie wiederkommen sollte, daß Miss Leamington schon eine andere Einladung angenommen hat.«

 

Der Sekretär nickte verständnisvoll.

 

»Ich hoffe, daß Sie nicht warten müssen«, sagte er. »Wenn Direktor Jack dabei ist, Aufnahmen zu machen, dann können Sie nie wissen –«

 

»Ich habe ja gar nicht gesagt, daß sie eine Verabredung mit mir hat«, sagte Mike laut.

 

»Mr. Brixan«, meinte der Sekretär plötzlich, »erinnern Sie sich, was Sie für Aufhebens von der Sache machten – ich meine wegen des Blattes, das zufälligerweise in das Manuskript von Miss Leamington gekommen war?«

 

Mike nickte.

 

»Ist das Manuskript gefunden worden?« fragte er.

 

»Nein, aber der neue Dramaturg erzählt mir, daß er das Hauptbuch durchgesehen hat, in das Foß alle eingesandten Manuskripte eintrug. Dabei stellte sich heraus, daß eine Eintragung wieder vollständig ausradiert worden ist.«

 

»Ich würde das Buch gerne sehen«, sagte Mike interessiert. Der große, schwere Band wurde ihm gebracht. In vielen Rubriken waren der Name des Einsenders, seine Adresse, das Datum des Eingangs und des Ausgangs notiert. Mike legte das Buch auf den Tisch in dem Büro des Direktors. Sorgfältig las er die langen Reihen der Autoren durch. »Wenn er ein Manuskript eingesandt hat, wird er sicherlich noch mehrere gesandt haben«, sagte er. »Sind noch andere Titel entfernt?«

 

Der Sekretär schüttelte den Kopf.

 

»Das ist die einzige Stelle, die wir gefunden haben«, sagte er. »Sie können viele Namen hier aus dem Ort finden. Es gibt keinen Kaufmann in der ganzen Stadt, der nicht mindestens ein Manuskript oder einen Entwurf eingesandt hätte, seitdem wir hier Filmaufnahmen machen.«

 

Langsam verfolgte Mike die Liste der Namen mit seinem Finger. Seite um Seite drehte er um, dann hielt er plötzlich bei einer Eintragung an. »Die Macht der Furcht, von Sir Gregory Penne« las er. Dabei sah er sich nach dem Sekretär um.

 

»Hat denn Sir Gregory Manuskripte eingeschickt?«

 

Der Sekretär nickte.

 

»Ja, ein oder zwei. Sie finden seinen Namen auch noch weiter hinten im Buch. Er wollte Filme schreiben, die sich für Miss Mendoza eignen sollten. Der hier kommt für Sie nicht in Frage.«

 

»Nein«, sagte Mike schnell. »Aber haben Sie noch eins von seinen Manuskripten?«

 

»Sie wurden alle zurückgeschickt«, sagte der Sekretär bedauernd. »Er schrieb viel zuviel! Ich habe eins gelesen und kann mich noch besinnen, daß Foß den Direktor zu überreden versuchte, einen Entwurf von ihm auszuführen. Foß hat viel Geld aus dieser Beschäftigung gezogen. Wir haben es erst später entdeckt. Er war daran gewöhnt, daß er Prozente von den Autoren bekam. Mr. Knebworth hat heute morgen festgestellt, daß er einmal zweihundert Pfund von einer Dame annahm und dafür versprach, ihr ein Engagement beim Film zu verschaffen. Er hat Foß heute morgen deswegen einen wütenden Brief geschrieben.«

 

Mike fand den Namen von Sir Gregory noch einmal. Es war nichts Besonderes dabei, daß der Besitzer von Griff Towers Manuskripte einschickte. Es gab kaum einen Mann oder eine Frau auf der Welt, die sich nicht für fähig hielten, ein Expose für einen Film zu schreiben.

 

Er schloß das Buch und gab es dem Sekretär zurück.

 

»Es ist sicher äußerst auffällig, daß die eine Eintragung entfernt wurde. Ich werde mit Foß darüber sprechen, sobald ich ihn finden kann«, sagte Mike.

 

Er begab sich sofort zu dem kleinen Hotel, in dem Foß wohnte. Aber er traf ihn nicht an.

 

»Ich glaube nicht, daß er die letzte Nacht hier war«, sagte der Geschäftsführer, »wenigstens hat er nicht hier geschlafen. Er sagte, daß er nach London gehen wolle«, fügte er hinzu.

 

Mike kehrte zum Atelier zurück, denn es hatte zu regnen begonnen, und er wußte, daß die ganze Gesellschaft bald von der Aufnahme zurückkommen würde. Mit dieser Annahme hatte er recht. Der große Autobus kam einige Minuten später in den Hof gefahren. Helen sah ihn gleich und nickte ihm zu, als er sie zu sich rief.

 

»Ich danke Ihnen, Mr. Brixan, aber wir haben bereits draußen unser Mittagessen verzehrt. Und ich muß bis morgen noch zwei große Szenen vorbereiten.«

 

Ihre Absage war nicht sehr ermutigend, aber Mike wollte sich mit. ihrer abschlägigen Antwort nicht einfach zufriedengeben.

 

»Wie steht es denn mit dem Tee? Tee müssen Sie doch trinken, selbst wenn Sie fünfzig Szenen bis morgen studieren müßten, und beim Essen können Sie doch nicht lesen. Wenn Sie das tun, werden Sie Magenbeschwerden bekommen, und wenn Sie Magenbeschwerden bekommen –«

 

Sie mußte herzlich lachen.

 

»Wenn meine Wirtin mir ihren Salon zur Verfügung stellt, dann können Sie um halb fünf zu mir zum Tee kommen, und wenn Sie um fünf Uhr bereits eine andere Verabredung haben, werden Sie noch zurechtkommen.«

 

Jack Knebworth wartete auf ihn, als er in das Atelier kam.

 

»Haben Sie schon von dem Verschwinden der Eintragung im Hauptbuch gehört?« fragte er.

 

Mike nickte.

 

»Was halten Sie davon?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Da steckt irgend etwas dahinter. Foß war ein unverbesserlicher Lügner. Der Mensch konnte einem nicht offen in die Augen sehen. Ich habe sowieso noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen wegen einer Summe, die er einer filmwütigen Dame abgenommen hat, die durchaus hier auftreten wollte.«

 

»Wie geht es mit Helen?« fragte Mike.

 

»Oh, die ist wunderbar, Brixan! So etwas kommt sonst im gewöhnlichen Leben nie vor. Die einzigen Filmstars, die über Nacht auftauchen, sind die Freundinnen bis über die Ohren verliebter Filmdirektoren. Sie haben ihnen einmal in einer schwachen Stunde ein Versprechen gegeben, und das muß eingelöst werden. Die Dame spielt dann mit der Unterstützung von sechshundert Statisten und in so vielen prachtvollen Kostümen, wie man sie für eine halbe Million Dollar bekommen kann, eine Königin von Persien oder eine Semiramis mit den Allüren einer Statistin, die eben erst zum Film gekommen ist oder mit den Manieren eines trainierten Mannequins. Außerdem wird der Film dann noch ohne Rücksicht auf Kosten mit zwei Wagenrennen und dem Fall von Babylon aufgeputzt! Entweder hat sie dann so wenig Kleider an, daß Sie nicht auf ihr Gesicht sehen, oder sie hat so viele an, daß Sie nichts von ihrem Spiel wahrnehmen. So etwas soll ja öfters vorkommen. Es ist so viel Glanz um diese Damen herum, daß es gar nichts ausmacht, wenn sie selbst fehlen würden. Diese Helen Leamington dagegen spielt hinreißend und überzeugend, selbst wenn sie das einfachste Bettlerkleid trägt. Aber ich sage Ihnen, Brixan, irgend etwas stimmt dabei nicht. Solche Dinge ereignen sich höchstens in der Phantasie von Journalisten.«

 

»Was soll denn nicht stimmen?« fragte Mike verwundert.

 

Knebworth blieb dabei.

 

»Irgend etwas geht schief. Die Sache hat irgendeinen Haken. Sie läßt mich noch im Stich. Entweder verschwindet sie, bevor der Film zu Ende gedreht ist, oder sie wird mir verhaftet, weil sie in vollständig betrunkenem Zustand in einem Auto die Regent Street entlanggefahren ist!«

 

Mike lachte.

 

»Nichts von alledem wird passieren!« sagte er.

 

»Haben Sie schon von der neuen Filmgesellschaft der Mendoza gehört?« fragte Jack, indem er seine Pfeife stopfte.

 

Mike zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.

 

»Nein, davon habe ich noch nichts gehört.«

 

»Sie will tatsächlich eine neue Filmgesellschaft gründen. Ich habe noch niemals eine Diva entlassen, die das nicht getan hätte. Auf dem Papier macht sich das immer sehr schön. Das Kapital wird groß gedruckt und der Name des Stars noch größer! Ihre Freunde haben ihr vorher immer erzählt, daß ein Gehalt von Hunderttausend der reinste Hungerlohn für eine Schauspielerin ihres Ranges und ihrer Begabung sei. Die müssen dann das Geld zur Gründung geben. Gewöhnlich ist dann noch jemand im Hintergrund, der aus der Sache einen Profit zieht und einen Direktorposten bei der Gesellschaft einnimmt. Der steckt dann das Geld ein, und sie sucht sich ein Manuskript aus, wo sie immer zu sehen ist und womöglich in jeder Szene ein neues, kostbares Kleid tragen kann. Wenn solch ein Manuskript nicht zur Hand ist, so findet sich schon jemand, der es für sie schreibt. Die anderen Mitspieler sehen Sie nur in großen Massenszenen auftauchen. Wenn der Film halb zu Ende gedreht ist, fehlt schon das Geld, die Gesellschaft ist bankrott, und dem Star bleibt nur ein Rolls-Royce, den er extra gekauft hat, um zu den Aufnahmen zu fahren. Vielleicht auch die neue Villa, die er sich bauen ließ, um näher zur Stelle zu sein, und eventuell ein Viertel des ganzen Kapitals, das er schon auf Grund seiner späteren Tantiemen vorausbezahlt bekommen hat. – Kommen Sie herein, Mr. Longvale.«

 

Mike drehte sich um. Der liebenswürdige alte Herr stand in der Tür, den Hut in der Hand.

 

»Ich fürchte, daß ich störe«, sagte er mit seiner schönen, klangvollen Stimme. »Aber ich war in der Stadt, um meinen Rechtsanwalt zu befragen, und konnte mir nicht versagen, mich bei Ihnen zu erkundigen, wie es mit Ihrem Film vorwärtsgeht.«

 

»Oh, ich danke Ihnen, Mr. Longvale. Damit steht es ausgezeichnet. Sie kennen doch Mr. Brixan?«

 

»Weswegen wollten Sie denn zu Ihrem Rechtsanwalt?« fragte Mike.

 

»Das ist eine sonderbare Sache«, antwortete der alte Herr. »Vor vielen Jahren habe ich einmal Medizin studiert und habe auch mein Schlußexamen gemacht, so daß ich mit Fug und Recht ein Doktor bin. Ich habe aber dann nicht lange praktiziert. Im allgemeinen weiß kein Mensch, daß ich ein Arzt bin. Gestern abend war ich sehr überrascht, daß jemand – ein Nachbar – mich rief, um nach einem seiner Dienstboten zu sehen. Nun habe ich mir große Gedanken darüber gemacht und war mir nicht sicher, ob ich das Gesetz übertreten habe, indem ich zu ihm ging.«

 

»Da kann ich Ihnen helfen, Mr. Longvale«, sagte Mike. »Wenn Sie nur ein einziges Mal die Befugnis erhalten haben, zu praktizieren, so gilt das für Ihr ganzes Leben. Sie haben nichts Unrechtes getan.«

 

»Das hat mein Anwalt auch gesagt«, sagte Longvale ernst.

 

»War es ein schwerer Fall?« fragte Mike, der sich denken konnte, wer der Patient war.

 

»Nein, das nicht. Zuerst dachte ich, es könnte Blutvergiftung sein, aber ich habe mich wahrscheinlich geirrt. Die medizinische Wissenschaft hat seit der Zeit, als ich jung war, so große Fortschritte gemacht, daß ich nicht gerne irgend etwas verschreibe. Und obgleich ich sehr glücklich bin, jemandem geholfen zuhaben, muß ich doch sagen, daß mich die Angelegenheit sehr bedrückt hat. Ich habe fast die ganze Nacht nicht geschlafen. Es war aber auch am ganzen Abend und in der Nacht keine Ruhe. Als ich hinten durch den Garten ging, fand ich dort ein Motorrad in den Sträuchern versteckt.«

 

Mike hätte beinahe gelacht.

 

»Heute morgen war es wieder fort. Nachdem ich das Motorrad entdeckt hatte, kam unser Freund Foß vorbei, der sehr verstört und aufgeregt schien.«

 

»Wo haben Sie ihn gesehen?« fragte Mike schnell.

 

»Er kam an meinem Haus vorbei. Ich stand im Tor, rauchte meine Pfeife und sagte ihm guten Abend, ohne daß ich wußte, wer es war. Als er sich umdrehte, sah ich das Gesicht von Mr. Foß. Er sagte mir, daß er eben jemand aufgesucht hätte und daß er in einer Stunde noch eine andere Verabredung habe.«

 

»Um wieviel Uhr war das?« fragte Mike.

 

»Ich glaube halb elf.« Der alte Herr zögerte. »Ich bin nicht ganz sicher. Es war kurz bevor ich mich schlafen legte.«

 

Mike hätte leicht Aufschluß geben können über Foß‘ Betragen. Ihm war es ganz klar. Sir Gregory hatte ihn fortgeschickt und ihm gesagt, daß er wieder zurückkommen solle, nachdem die Mendoza gegangen war.

 

»Sonst ist mein Anwesen wegen seiner ruhigen Lage bekannt«, sagte Mr. Longvale und schüttelte den Kopf. Er wandte sich dann an Knebworth: »Sie müssen mir versprechen, wenn Ihr Film fertig ist, ihn mir zu zeigen.«

 

»Aber gewiß, Mr. Longvale.«

 

»Ich weiß nicht, warum ich gerade daran ein solches Interesse habe«, sagte er. »Ich muß selbst sagen, daß ich bis vor ein paar Wochen überhaupt noch nichts von Filmaufnahmen verstand.«

 

Der Sekretär klopfte, sah zur Tür herein und fragte: »Wollen Sie Miss Mendoza sprechen?«

 

Jack Knebworth war äußerst aufgebracht.

 

»Nein«, sagte er kurz.

 

»Sie sagte –«, begann der Sekretär.

 

Nur die Gegenwart des ehrenwerten Mr. Longvale hinderte Jack daran, seinem Ärger über Stella Mendoza in Worten Luft zu machen, wie er es sonst getan hätte.

 

»Ich habe sie gestern auch gesehen«, sagte Mr. Longvale. »Zuerst dachte ich, Sie machten Aufnahmen in der Nachbarschaft, aber Mr. Foß sagte mir, daß ich mich irre. Sie ist wirklich ein charmantes junges Mädchen. Finden Sie nicht auch?«

 

»Sicher«, meinte Jack Knebworth trocken.

 

»Sie sieht sehr lieblich aus«, fuhr Longvale fort. Er wußte nicht, wie sehr die Stimmung der anderen gegen sie war. »Das übereilte Tempo und die schreckliche Eile unserer modernen Zeit lassen Lieblichkeit und Zartheit nicht mehr aufkommen, und man ist sehr froh, wenn man einmal wirkliche Anmut findet. Für mich ist die letzte rapide Entwicklung die interessanteste Zeit meines Lebens.«

 

»Lieblich und zart«, brummte Jack Knebworth, als der alte Herr gegangen war. »Haben Sie das gehört, Brixan? Wenn Stella in ihrem Charakter lieblich und zart ist, dann ist der Teufel aus Schokolade gemacht!«

 

Kapitel 22

 

22

 

Als Mike fortging, fand er Stella vor der Tür am Eingang des Ateliers. Er erinnerte sich, daß sie zu Mittag nach Griff Towers eingeladen war. Zu seinem größten Erstaunen kam sie quer über die Straße auf ihn zu.

 

»Ich möchte Sie gerne sprechen, Mr. Brixan – ich ‚abe nach Ihnen hineingeschickt.«

 

»Dann ist Ihre Botschaft irrtümlicherweise Mr. Knebworth ausgerichtet worden«, sagte Mike lächelnd.

 

Sie zuckte die Achseln, um ihre Verachtung für Jack Knebworth und alles, was mit ihm zusammenhing, auszudrücken.

 

»Ich wollte nur Sie sprechen. Sind Sie nicht Detektiv?«

 

»Ja, das bin ich«, sagte Mike und war gespannt, was jetzt kommen sollte.

 

»Mein Wagen wartet hinter jener Ecke. Könnten Sie mit mir kommen?«

 

Mike zögerte. Er hätte zu gern Helen gesprochen, obwohl er ihr nichts Neues zu sagen hatte.

 

»Mit Vergnügen«, sagte er dann zu Stella.

 

Sie fuhr ihren Wagen mit großer Gewandtheit selbst und war anscheinend so darin vertieft, daß sie während der Fahrt nicht mit ihm sprach.

 

Von ihrem niedlichen, hübschen Wohnzimmer aus hatte er einen schönen Ausblick auf die South Downs. Er war gespannt auf das, was sie ihm zu erzählen hatte.

 

»Mr. Brixan, ich muß Ihnen etwas mitteilen, was Sie eigentlich wissen müssen.«

 

Ihr Gesicht war bleich und ihr Benehmen merkwürdig nervös.

 

»Ich weiß nicht, was Sie über mich denken, wenn ich es Ihnen gesagt habe, aber ich muß es eben wagen. Ich kann nicht länger darüber schweigen.«

 

Ein schrilles Klingeln in der Diele unterbrach sie.

 

»Das Telefon. Wollen Sie mich bitte einen Augenblick entschuldigen?«

 

Eilig ging sie hinaus und ließ die Tür leicht angelehnt. Mike hörte, daß sie schnell und ärgerlich antwortete. Dann war sie lange ruhig, sie hörte zu, ohne selbst zu sprechen. Etwa nach zehn Minuten kam sie wieder ins Zimmer. Ihre Augen glänzten, und ihre Wangen hatten sich gerötet.

 

»Würden Sie es sehr übelnehmen, wenn ich Ihnen meine Mitteilung erst später mache?«

 

Sie hatte mit Sir Gregory gesprochen, dessen war Brixan sicher, obgleich sie seinen Namen nicht erwähnt hatte.

 

»Solch eine günstige Gelegenheit wird sich nicht so bald wieder finden, Miss Mendoza«, sagte er ermutigend.

 

Sie biß sich auf die Lippen.

 

»Ja, ich weiß. Aber ich habe Gründe, warum ich im Augenblick nicht sprechen kann. Würden Sie mich morgen aufsuchen?«

 

»Gewiß«, sagte Mike höflich. Heimlich war er froh, daß er gehen konnte.

 

»Soll ich Sie zurückfahren?«

 

»Danke, nein, ich kann gehen.«

 

»Ich will Sie wenigstens bis zur Stadt bringen, ich fahre in der Richtung«, bat sie.

 

Natürlich mußte sie den Weg fahren, dachte Mike, wenn sie nach Griff Towers wollte. Er war seiner Sache so sicher, daß er sich nicht einmal die Mühe nahm, sie danach zu fragen. Als sie ihn bei seinem Hotel absetzte, wartete sie nicht einmal, bis er auf den Fußsteig gegangen war, sondern fuhr sofort weiter.

 

»Es ist ein Telegramm für Sie angekommen«, sagte der Portier. Er ging in das Büro des Geschäftsführers und kam mit einem braunen Umschlag zurück, den Mike eilig öffnete.

 

Im ersten Augenblick konnte er die verhängnisvolle Botschaft nicht begreifen, die das Telegramm enthielt. Erst als er sie zum zweitenmal las, wurde sie ihm verständlich:

 

›Kopf in der Nähe des Chobham Common heute am frühen Morgen gefunden. Sofort nach Polizeistation Leatherheed kommen.

 

Staines‹

 

 

Eine Stunde später brachte ihn ein Auto in rasender Fahrt dorthin. Staines wartete auf der Treppe auf ihn.

 

»Heute bei Tagesanbruch gefunden«, sagte er. »Der Mann ist bis jetzt noch nicht identifiziert.«

 

Er führte Mike zu einem Nebengebäude. In einem kleinen Raum stand mitten auf dem Tisch eine Kiste. Staines öffnete den Deckel, und Mike warf einen Blick auf das wachsbleiche Gesicht. Er wurde weiß bis in die Lippen.

 

»Großer Gott!« stieß er hervor.

 

Es war der Kopf von Lawley Foß.

 

Kapitel 23

 

23

 

Mike starrte, von Schrecken ergriffen, auf den Kopf des Toten. Er schloß den Kasten wieder und bedeckte ihn scheu mit einem Tuch. Dann ging er mit Staines auf den gepflasterten Hof hinaus.

 

»Kennen Sie ihn?« fragte Staines.

 

Mike nickte.

 

»Ja. Es ist Lawley Foß, früher Dramaturg bei der Knebworth-Filmgesellschaft. Gestern abend um elf ist er zuletzt beobachtet worden. Ich selbst habe ihn um diese Zeit sprechen hören, obgleich ich ihn nicht sah. Er besuchte Griff Towers, den Wohnsitz Sir Gregory Pennes in Sussex. War eine Nachricht dabei wie sonst?« fragte er.

 

»Ja. Aber sie war ganz ungewöhnlich.«

 

Er zeigte ihm ein mit Maschine beschriebenes Stück Papier im Büro des Inspektors. Nur eine charakteristische Zeile in derselben Schrift wie früher:

 

»Dies ist der Kopf eines Verräters.«

 

Weiter nichts.

 

»Ich habe die Dorking-Polizeistation angerufen. Es war eine regnerische Nacht, und obgleich mehrere Autos dort durchgekommen sind, konnte man keine Nummer feststellen.«

 

»Ist die Annonce erschienen?.« fragte Mike.

 

Staines schüttelte den Kopf.

 

»Nein. Wir dachten gleich daran. Die Zeitungen sind sorgfältig beobachtet worden, und die Chefredakteure aller Blätter im Lande haben versprochen, uns augenblicklich zu benachrichtigen, wenn eine ähnliche Anzeige bei ihnen inseriert wird. Aber es ist keine Annonce von verdächtigem Charakter aufgegeben worden.«

 

»Ich möchte einmal verfolgen, wie sich die Sache möglicherweise zugetragen hat«, sagte Mike. »Es ist klar, daß der Mann zwischen elf Uhr abends und drei Uhr morgens ermordet wurde, und wahrscheinlich näher an elf als an drei. Denn wenn der Mörder in Sussex wohnt, muß er den Kopf nach Chobham bringen, und zwar so früh, daß er im Dunkeln dort wieder fortfährt und vor Tagesanbruch zurückkommt.«

 

Mike fuhr in seinem Wagen in rasendem Tempo nach Chichester zurück. Kurz bevor er die Stadt erreicht hatte, bog er von der Hauptstraße ab, um nach Griff Towers zu gelangen. Es war spät, als er dort ankam. Das Haus zeigte sein gewöhnliches, lebloses Gesicht. Er klingelte, aber es meldete sich niemand. Als er noch einmal läutete, rief ihn Sir Gregory aus einem der oberen Fenster an: »Wer ist dort?«

 

Er ging aus der Unterführung heraus und schaute nach oben. Sir Gregory Penne erkannte ihn nicht in der Dunkelheit und rief wieder: »Wer ist dort?«

 

Dann sagte er etwas in malaiischer Sprache.

 

»Ich bin es – Brixan. Ich muß Sie sprechen.«

 

»Was wollen Sie von mir?«

 

»Kommen Sie herunter, ich werde es Ihnen sagen.«

 

»Ich habe mich schon zur Ruhe gelegt, kommen Sie morgen früh zu mir.«

 

»Ich will Sie jetzt sprechen«, sagte Mike sehr bestimmt. »Ich habe eine Vollmacht, Ihr Haus zu durchsuchen.« In Wirklichkeit hatte er keine Vollmacht, denn er hatte um keine gebeten.

 

Sir Gregory warf das Fenster zu, und es verging eine so lange Zeit, daß Mike schon dachte, der Baron würde ihm den Zutritt verwehren. Aber er hatte sich geirrt. Als er schon lange gewartet hatte, wurde die Tür endlich geöffnet, und beim Schein der elektrischen Lampe am Eingang sah er Sir Gregory Penne in einem etwas seltsamen Aufzug.

 

Er war vollkommen angezogen und trug einen Gürtel, in dem zwei schwere Revolver steckten. Aber das fiel Mike nicht so sehr auf. Der Kopf des Mannes war vollständig verbunden, nur ein Auge war sichtbar. Sein linker Arm lag in einer Bandage, und er hinkte beim Gehen.

 

»Ich hatte einen Unfall«, sagte er trotzig.

 

»Ja, Sie sehen ein bißchen schlecht aus«, sagte Mike, als er ihn näher betrachtete.

 

»Ich möchte hier nicht mit Ihnen sprechen, kommen Sie mit nach oben«, sagte Gregory.

 

In der Bibliothek sah man die Spuren eines harten Kampfes. Ein langer Spiegel, der an der einen Wand hing, war vollständig zertrümmert, die Scherben lagen auf der Erde herum. Über dem Kamin fehlte eines der beiden Schwerter.

 

»Es ist Ihnen etwas abhanden gekommen?« fragte er. »Hängt das auch mit ihrem Unfall zusammen?«

 

Sir Gregory nickte.

 

Die Lage der zweiten Waffe kam Mike merkwürdig vor, und ohne um Erlaubnis zu fragen, nahm er sie von der Wand. Die Klinge war dunkel von Blut.

 

»Was hat das zu bedeuten?« fragte er scharf.

 

Sir Gregory schluckte.

 

»In der letzten Nacht ist ein Kerl bei mir eingebrochen«, sagte er langsam. »Ein Malaie. Er schäumte vor Eifersucht – ich hätte sein Weib gestohlen! Er griff mich an, und ich verteidigte mich natürlich.«

 

»Haben Sie denn tatsächlich seine Frau gestohlen?«

 

Der Baron zuckte die Achseln.

 

»Das ist doch völliger Unsinn. Die meisten dieser Borneo-Leute sind verrückt und werden sofort zu Amokläufern, wenn man sie reizt. Ich tat mein Bestes, um ihn zu beruhigen –«

 

Mike sah auf das blutbefleckte Schwert.

 

»Wie ich sehe«, sagte er trocken. »Und haben Sie ihn – beruhigt?«

 

»Ich habe mich selbst verteidigt. Wenn Sie das meinen – ich erwiderte seine Hiebe, so gut ich konnte. Sie werden doch nicht etwa annehmen, daß ich mich ruhig hinsetze und mich in meinem eigenen Haus ermorden lasse? Ich kann ebensogut ein Schwert führen wie der andere.«

 

»Dem Anschein nach haben Sie es gebraucht!« sagte Mike. »Was ist mit Foß geschehen?«

 

Man merkte nicht, daß diese Frage den geringsten Eindruck auf Penne machte.

 

»Von wem sprechen Sie?«

 

»Von Lawley Foß, der gestern abend in Ihrem Haus war.«

 

»Ach, Sie meinen den Dramaturgen – den habe ich seit Wochen nicht gesehen.«

 

»Sie lügen«, sagte Mike ruhig. »Er war gestern abend hier. Ich weiß das, weil ich im Zimmer nebenan war.«

 

»Ach, das waren Sie«, sagte der Baron sichtlich erleichtert. »Ja, er kam zu mir, um Geld zu leihen. Ich habe ihm fünfzig Pfund gegeben, dann ging er fort. Das ist das letzte, was ich von ihm weiß.«

 

Brixan sah wieder auf die Klinge.

 

»Sind Sie erstaunt, wenn ich Ihnen sagte, daß Foß‘ Kopf im Chobham Common aufgefunden worden ist?« fragte er.

 

Gregory sah ihn mit einem kalten, forschenden Blick an.

 

»Ich bin sehr erstaunt«, sagte er kühl. »Wenn es nötig ist, so habe ich einen Zeugen, daß Foß mein Haus verließ. Aber ich möchte nicht gerne den Namen einer Dame in diese Angelegenheit verstricken. Miss Stella Mendoza war hier und hat mit mir zu Abend gespeist, wie Sie wahrscheinlich wissen, da Sie ja im nächsten Zimmer waren. Er ging vor ihr weg.«

 

»Und er kam wieder zurück«, sagte Mike.

 

»Ich habe ihn nicht wieder gesehen«, schrie der Baron heftig. »Wenn Sie jemanden finden, der ihn nach seinem ersten Besuch noch einmal in dieses Haus kommen sah, können Sie mich verhaften. Denken Sie vielleicht, ich habe ihn getötet?«

 

Mike antwortete nicht.

 

»Oben im Turm war eine Frau. Was ist aus ihr geworden?«

 

Sir Gregory feuchtete seine Lippen an, bevor er sprechen konnte.

 

»Die einzige Frau in dem Turm war eine kranke Dienerin. Sie ist nicht mehr hier.«

 

»Das möchte ich gerne selbst sehen«, sagte Mike.

 

Eine Sekunde lang blickte Gregory nach Bhags Zelle. Dann sagte er:

 

»Gut, folgen Sie mir.«

 

Er ging in den Gang, wandte sich aber nicht zur Halle, sondern in entgegengesetzte Richtung. Zehn Schritte weiter unten hielt er an und öffnete eine Tür, die so unauffällig in der Vertäfelung angebracht war und so im Schatten zwischen den beiden Lichtern lag, die den Korridor erhellten, daß es schwer war, ihr Vorhandensein zu entdecken. Er drehte ein Licht an, und Mike sah eine lange Flucht von Stufen, die rückwärts zur Halle führten.

 

Als er dem Baron folgte, erkannte er, daß der »Turm« nur eine Illusion war. Es war nur von der Vorderseite des Hauses aus ein Turm. Sonst war es ein Anbau von zwei engen Stockwerken an den einen Flügel.

 

Sie gingen durch eine Tür, dann eine Wendeltreppe hoch und kamen zu dem Gang, auf dem Mike in der letzten Nacht den lauernden Bhag gesehen hatte.

 

»Hier ist das Zimmer«, sagte Penne und öffnete eine Tür.

 

Kapitel 24

 

24

 

»O nein, dies ist nicht das Zimmer«, entgegnete Mike ruhig. »Es liegt am anderen Ende des Ganges.«

 

Penne zögerte.

 

»Warum glauben Sie mir nicht?« fragte er mit fast freundlicher Stimme. »Was sind Sie für ein skeptischer Mensch! Kommen Sie jetzt, Brixan, wir wollen uns vertragen. Gehen wir hinunter und trinken etwas. Ich fühle mich elend.«

 

»Ich wünsche das Zimmer zu sehen«, sagte Mike unnachgiebig.

 

»Ich habe den Schlüssel nicht.«

 

»Dann holen Sie ihn«, sagte Mike scharf.

 

Schließlich fand der Baron einen Hauptschlüssel in seiner Tasche und öffnete widerstrebend die Tür.

 

»Es ging alles ein wenig schnell«, sagte er. »Sie war so krank, daß ich sie fortschaffen mußte.«

 

»Dann können Sir mir wahrscheinlich den Namen des Krankenhauses angeben, in das sie gekommen ist«, sagte Mike, als er das Licht anmachte. Ein Blick in das Zimmer sagte ihm, daß ein eiliger Aufbruch glaubhaft erschien. Aber trotzdem hatte das Mädchen den Raum nicht unter normalen Umständen verlassen. Das Bett war in Unordnung, das Kissen war blutig, und an der Wand sah man dunkelbraune Flecken. Ein Stuhl war zerbrochen, der Teppich trug merkwürdige Spuren, von denen eine von einem nackten Fuß herrühren mochte. Auf dem Laken war ein Abdruck, der nicht von einer menschlichen Hand sein konnte.

 

»Das sind Spuren des Affen«, sagte Mike und deutete darauf. »Das war Bhag!«

 

Der Baron biß sich auf die Lippen.

 

»Es hat ein Kampf hier stattgefunden«, sagte er. »Der Mann kam herauf und behauptete, die Dienerin sei seine Frau –«

 

»Was geschah mit ihm?«

 

Keine Antwort.

 

»Was geschah mit ihm?« fragte Mike mit unheimlicher Geduld.

 

»Ich ließ ihn gehen und die Frau mit sich nehmen. Es war einfacher so –«

 

Mit einem plötzlichen Ausruf bückte sich Mike und hob einen glänzenden Stahl auf, der hinter dem Bett lag. Es war die Hälfte eines Schwertes, in der Mitte entzweigebrochen und fleckenlos. Er betrachtete die Klinge und fand eine oberflächliche Einkerbung. Dann nahm er den Stuhl hoch, untersuchte das Bein und fand zwei tiefere Eindrücke darin.

 

»Ich werde Ihnen erzählen, was vorging. Sie und Ihr Bhag haben den Mann gefangen, nachdem er in diesem Zimmer war. Der Stuhl wurde im Kampf wahrscheinlich von Bhag zerbrochen. Der Mann floh aus dem Zimmer, lief in die Bibliothek, nahm das Schwert von der Wand, dann kam er wieder zu Ihnen herauf. Nun begann erst der richtige Kampf. Ich vermute, daß Sie hier einiges Blut verloren haben, Penne.«

 

»Einiges!« grollte der Baron. »Alles, verdammt noch einmal!«

 

Es folgte eine lange Pause.

 

»Verließ die Frau das Zimmer – lebend?«

 

»Ich glaube ja«, sagte Penne mürrisch.

 

»Verließ der Mann Ihre Bibliothek lebend?«

 

»Es wäre besser, wenn Sie das selbst herausbrächten – soweit ich weiß, ja … Ich hatte für eine halbe Stunde das Bewußtsein verloren – Bhag kann ein Schwert gebrauchen –«

 

Brixan verließ das Haus nicht, bis er es von oben bis unten durchsucht hatte. Alle Diener waren versammelt, und er begann ein Verhör. Mit einer Ausnahme konnten sie holländisch sprechen, aber keiner von ihnen beherrschte die Sprache gut genug, um ihm richtig Auskunft geben zu können.

 

Er ging zur Bibliothek und drehte alle Lampen an.

 

»Ich wünsche Bhag zu sehen«, sagte er.

 

»Bhag ist fort, ich sagte es Ihnen ja. Wenn Sie mir nicht glauben –«

 

Penne ging zu dem Schreibtisch und drehte den Hebel. Die Tür öffnete sich, aber es kam niemand heraus.

 

Brixan zögerte einen Augenblick, dann ging er in den Raum, den Revolver in der einen, die Taschenlampe in der anderen Hand. Das Gelaß war ganz sauber, aber es herrschte ein strenger Tiergeruch in der Zelle. In der Ecke stand ein kleines Bett mit Matratzen, Bettüchern, einer Decke und einem Federkissen. Dort pflegte der Affe zu schlafen. Außerdem sah man einen kleinen Speiseschrank, der mit Nüssen gefüllt war, einen Wasserhahn und einen tiefen, abgenützten Sessel, wo sich der stumme Diener ausruhte. Drei Kricketbälle lagen darauf, die anscheinend das Spielzeug dieses sonderbaren Tieres waren.

 

Mike wurde es nun auch klar, auf welche Weise Bhag in das Haus kam und es wieder verließ. Ungefähr zwei Meter über dem Fußboden sah er eine quadratische Öffnung in der Mauer, in der weder Fenster noch Vorhang war. Drei eiserne Sprossen waren in gleichen Zwischenräumen zwischen Fenster und Boden in die Wand eingelassen und bildeten so für Bhag eine Art Leiter. An der Außenseite der Mauer fand Mike später die entsprechenden Sprossen.

 

Er konnte aber keine Blutspuren oder irgendein Zeichen dafür entdecken, daß Bhag an dem schrecklichen Kampf beteiligt gewesen war, der sich abgespielt haben mußte.

 

Er ging zur Bibliothek zurück und untersuchte alles, aber es war nichts zu finden. Erst als er in den kleinen Salon kam, in dem er sich in der vorigen Nacht verborgen hatte, sah er auf dem Fensterbrett Spuren genug. Da war der Abdruck eines nackten Fußes, und eine andere Stalle ließ erkennen, daß ein schwerer Körper durch das Fenster gezerrt worden war.

 

In diesem Augenblick kam sein Chauffeur mit den beiden Polizeibeamten zurück. Er hatte ihn bei seiner Ankunft nach Chichester geschickt, um sie zu holen. Die beiden halfen ihm bei seinen Nachforschungen auf dem Grundstück. Die Spur des Flüchtlings war leicht zu verfolgen. Blutflecken zogen sich quer über den Kies, die Pflanzen in dem runden Blumenbeet waren zertreten,, und in dem weichen Boden sah man deutlich die Abdrücke nackter kleiner Füße. Im Gemüsefeld verlor sich jedoch die Spur.

 

»Nun ist die Frage: wer hat wen getragen?« sagte Inspektor Lyle. Mike hatte ihm vorher mit einigen Worten alles erklärt, was er in Griff Towers gefunden hatte. »Mir scheint es so, als ob. die beiden Leute im Haus getötet und ihre Leichen von Bhag weggetragen wurden. In seinem Raum sind keine Blutspuren. Wahrscheinlich ist er nicht mehr dort gewesen, nachdem sie getötet worden sind. Wenn wir den. Affen finden, können wir die Geschichte ganz aufklären. Penne ist natürlich der Kopfjäger«, fuhr er fort.

 

»Ich habe mich gestern mit ihm unterhalten und habe bemerkt, daß etwas Fanatisches in seinem Charakter liegt.«

 

»Ich bin nicht so sicher«, sagte Mike langsam, »daß Sie recht haben. Vielleicht ist meine Ansicht etwas merkwürdig: Aber wenn Sir Gregory Penne wirklich der Mörder sein sollte, wäre ich sehr überrascht. Ich habe mich sehr gewundert«, gab er zu, »daß keine blutigen Fußspuren in Bhags Raum waren. Deswegen glaube ich auch, daß Ihre Vermutung soweit stimmt. Wir können jetzt weiter nichts tun, als das Haus beobachten, bis ich mich mit der Zentrale in Verbindung gesetzt habe.«

 

In diesem Augenblick kam der zweite Beamte zurück, der das Gemüsefeld bis zu seinen äußersten Grenzen durchsucht hatte. Er meldete, daß er die Spur nahe dem hinteren Ausgang wieder gefunden habe. Die Hinterpforte stand auf, sie eilten quer über das Feld und fanden seine Worte bestätigt. Sowohl innerhalb wie außerhalb des Tores bemerkten sie Blutflecken. In der Nähe des hinteren Ausganges lag ein großer Blätterhaufen, den der Gärtner dort zusammengeharkt hatte. Hier fanden sie den Abdruck eines menschlichen Körpers, als ob jemand an dieser Stelle seine Last ein wenig abgesetzt hätte, um sich auszuruhen. Aber auf den Feldern jenseits des Tores verlor sich die Spur wieder vollkommen.

 

Kapitel 14

 

14

 

Jack sah den Detektiv erstaunt an.

 

»Sie machen wohl Spaß?« fragte er.

 

»Im Gegenteil, ich meine es sehr ernst«, sagte Brixan. »Aber es ist noch ein großer Unterschied, ob man nur weiß, wer der Kopfjäger ist, oder ob man ihm auch seine Verbrechen nachweisen kann.«

 

Jack Knebworth saß mit den Händen in den Hosentaschen an seinein Schreibtisch. Er konnte das nicht glauben.

 

»Ist es einer von meiner Filmgesellschaft?« fragte er.

 

Brixan mußte laut lachen.

 

»Ich habe nicht das Vergnügen, alle Leute Ihrer Gesellschaft zu kennen«, sagte er liebenswürdig. »Aber machen Sie sich auf keinen Fall Gedanken wegen des Kopfjägers. – Was werden Sie mit Mr. Reggie Connolly anfangen?«

 

Der Direktor zuckte die Achseln.

 

»Der meint das nicht so, ich hätte nicht gleich wütend werden sollen«, sagte er. »Diese Einfaltspinsel haben überhaupt keine Meinung. Wenn Sie ihn auf der Leinwand sehen, dann spielt er zärtliche Liebe, strotzt von Kraft, Tugend und Männlichkeit und ist doch nur ein armer Gimpel ohne Witz und Verstand. Die Mendoza ist weit gefährlicher, die verdiente…« Dabei machte er eine nicht mißzuverstehende Geste.

 

Miss Stella Mendoza war nicht in der Gemütsverfassung, ihre Entlassung so ohne weiteres hinzunehmen. Sie hatte sich aus kleinsten Anfängen mühsam emporgearbeitet und wollte nicht ohne Kampf den Platz räumen. Sie hatte Geld – so viel Geld, daß sie nicht mehr zu arbeiten brauchte. Außer ihrem sehr reich bemessenen Gehalt besaß sie noch andere Einnahmequellen. Es war aber besser für sie, daß man nicht zu genaue Nachforschungen hierüber anstellte. Sie mußte auch fürchten, daß Knebworth es nicht allein bei ihrer Entlassung bewenden ließe, sondern weitere Schritte gegen sie unternehmen würde.

 

Zuerst machte sie sich auf, um Helen Leamington zu besuchen, die, wie sie erst heute morgen erfuhr, ihre Stelle eingenommen hatte. Als sie entdeckte, daß Helen bereits ihren Ankleideraum innehatte, wurde sie wütend. Man denke doch nur, den Raum, der von alters her nur für Stella Mendoza reserviert war! Sie zwang sich aber zur Ruhe und klopfte an die Tür: Daß sie, Stella Mendoza, an die Tür klopfen sollte, die doch von Rechts wegen zu ihrem eigenen Zimmer führte, war überhaupt nicht auszudenken!

 

Helen saß an ihrem Ankleidetisch und erschrak etwas, als sie die Mendoza hereinkommen sah. Der Raum war vornehm ausgestattet mit großen Spiegeln. Vielerlei Lampen und Leuchter waren angebracht. Man hatte einen Blick auf den langen Verbindungsgang, der als Garderobe eingerichtet war und in dem eine Anzahl schöner Kostüme hing, Als sie zu ihrer Besucherin aufschaute, wurde sie rot.

 

»Miss Leamington – Sie sind es doch?« fragte Stella mit ihrer süßesten Stimme. »Darf ich hereinkommen?«

 

»Bitte«, sagte Helen und stand schnell auf.

 

»Aber bitte, behalten Sie doch Platz«, sagte Stella. »Es ist ein sehr unbequemer Stuhl, aber hier sind ja fast alle Stühle nichts wert. Ich habe gehört, daß der Direktor Sie als Stellvertreterin für mich genommen hat und manche Szenen doppelt drehen will.«

 

»Als Stellvertreterin?« fragte Helen erstaunt.

 

»Ja, Mr. Knebworth sagte, daß Sie ein paar Szenen für mich spielen würden. Sie verstehen doch, was ich meine? Wenn eine Künstlerin nicht auftreten kann, dann nimmt man manchmal einen Ersatz in Szenen, wo die Personen nicht deutlich auf dem Film erscheinen. Großaufnahmen dagegen –«

 

»Aber Mr. Knebworth hat auch davon mehrere von mir gemacht«, sagte das Mädchen ruhig. »Außerdem hat er gerade die Hauptszenen mit mir gedreht.«

 

Miss Mendoza verbarg ihren Ärger und seufzte. »Der arme alte Kerl, er war sehr ärgerlich auf mich, und tatsächlich habe ich ihm etwas Anlaß dazu gegeben. Aber morgen komme ich zurück, das wissen Sie doch?« Helen wurde blaß. »Das ist allerdings sehr unangenehm für Sie – ich verstehe das am besten. Aber wir haben das alle früher einmal durchmachen müssen. Die Kolleginnen im Atelier werden alle sehr nett zu Ihnen sein.«

 

»Aber das ist doch unmöglich!« sagte Helen. »Mr. Knebworth sagte, daß ich die Rolle in diesem Film von Anfang bis zu Ende spielen solle.«

 

Die Mendoza schüttelte lächelnd den Kopf.

 

»Sie können sich nicht darauf verlassen, was die Leute Ihnen sagen. Gerade im Augenblick hat er mir mitgeteilt, daß ich mich für morgen vormittag bereit halten soll, um bei den Aufnahmen in den South Downs zu spielen.«

 

Helens Mut sank. Sie wußte, daß morgen dort gespielt werden sollte. Aber sie hatte natürlich nicht erfahren, daß Stella Mendoza ihre Informationen von dem verärgerten Connolly erhalten hatte.

 

»Natürlich ist es sehr peinlich für Sie«, fuhr Stella vorsichtig fort. »Ich an Ihrer Stelle würde so lange zur Stadt gehen und mich einige Wochen fernhalten, bis die ganze Sache vorüber ist. Ich fühle, daß ich eigentlich die Schuld trage, daß Sie so Unannehmlichkeiten haben, und wenn ich durch Geld die Sache wieder gutmachen könnte –.«

 

Bei diesen Worten öffnete sie ihre Tasche und nahm einen dicken Stoß Banknoten heraus. Sie zählte vier davon ab und legte sie auf den Tisch.

 

»Wofür soll das sein?« fragte Helen kalt.

 

»Nun ja, meine Liebe. Sie werden doch Ausgaben haben –«.

 

»Wenn Sie sich einbilden, daß ich nach London gehe, ohne Mr. Knebworth zu sprechen und ohne mich davon zu überzeugen, ob Sie die Wahrheit reden –«

 

Stella Mendozas Gesicht wurde feuerrot.

 

»Glauben Sie etwa, daß ich lüge?«

 

Sie ließ ihre freundliche Maske fallen und stand wie eine Xanthippe da, die Arme in die Seiten gestemmt. Mit dunkelrotem Gesicht schaute sie Helen an.

 

»Ich weiß nicht, ob Sie lügen oder ob Sie nur falsch unterrichtet sind«, sagte Helen. Sie machte sich wenig aus Stellas Toben und war nicht erschrocken über die Nachrichten, die sie soeben vernommen hatte. »Für heute ist dies mein Zimmer, und ich bitte Sie, den Raum sofort zu verlassen.«

 

Sie öffnete die Tür. Einen Augenblick sah es so aus, als ob Stella Mendoza die Hand gegen Helen erheben wolle, aber die starke, breitschultrige irische Ankleidefrau, die stumm, aber interessiert von draußen zugehört hatte, schob ihre dicke Gestalt dazwischen und drängte den wütenden Star in den Korridor.

 

»Ich werde Sie da schon herausbringen«, schrie Stella über die Schulter der Frau zurück. »Jack Knebworth hat in der Gesellschaft noch lange nicht alles zu sagen! Mein Einfluß ist groß genug, daß ich ihn hinauswerfen kann!«

 

Es folgte noch eine Flut von Schimpfworten, die man nicht wiederholen kann. Aber Helen Leamington hörte sie in stillem Zorn an. Sie war sehr erleichtert, denn die ohnmächtige Wut der anderen verriet die Wahrheit zu deutlich. Sie wußte jetzt, daß Stella sie belogen hatte. Im ersten Augenblick hatte sie sich allerdings täuschen lassen und ihr geglaubt. Sie war überzeugt, daß Knebworth keinen Augenblick zögern würde, sie sofort fallenzulassen und ein anderes Mitglied an ihre Stelle zu setzen, wenn er dadurch die Güte des Films heben könnte.

 

Knebworth war allein, als ihm seine frühere Diva gemeldet wurde. Zuerst hatte er die Absicht, Stella überhaupt nicht zu empfangen. Sie ließ ihn aber gar nicht erst zu einem Entschluß kommen, sondern überfiel ihn einfach in seinem Zimmer, während er noch überlegte, was er tun sollte. Einen Augenblick sah er sie durchbohrend an, dann winkte er sie mit einem Kopfnicken herein. Als sie die Tür geschlossen hatte, sagte er:

 

»Ich habe früher schon Gelegenheit gehabt, vieles an Ihnen zu bewundern, Stella, nicht zuletzt Ihre Zähigkeit, aber wenn Sie mir jetzt sagen wollen, daß Vergangenes vergangen sein soll, sind Sie bei mir an die falsche Adresse gekommen. Sie werden in dem Film nicht mehr mitspielen, und wahrscheinlich überhaupt in keinem Film mehr, den ich drehe.«

 

»So?« fragte sie gedehnt. Dabei setzte sie sich ohne Einladung in einen Sessel und nahm eine Zigarettendose aus ihrer Tasche.

 

»Ich weiß schon, Sie sind hierhergekommen, um mir zu sagen, daß Sie großen Einfluß bei einer Anzahl von Aktionären haben«, sagte Jack. Stella war verärgert. Beinahe hätte sie geglaubt, daß eine telefonische Verbindung zwischen dem Ankleideraum und dem Büro bestünde, aber sie wußte genau, daß eine solche nicht vorhanden war.

 

»Ich habe schon mit vielen Damen zu tun gehabt in meinem Beruf«, fing er wieder an. »Und jedesmal, wenn ich eine hinausgesetzt habe, hat sie den Präsidenten, den Vizepräsidenten oder den Schatzmeister in Bewegung gebracht und gegen mich ausspielen wollen. Aber alle haben es nicht fertiggebracht, mich aus der Gesellschaft herauszubringen. Leute, die finanziell an der Gesellschaft interessiert sind – mögen sie Sie persönlich noch so gern haben und bis über beide Ohren in Sie verliebt sein –, müssen doch vor allem Geld verdienen, um Sie lieben zu können. Und wenn ich keine Filme drehe, die verkäuflich sind, ist auch ein gewisser Aktionär nicht in der Lage, Ihnen Brillantkolliers zu schenken.«

 

»Nun gut, wir wollen sehen, ob Sir Gregory auch so denkt«, sagte sie überheblich.

 

Jack Knebworth grinste.

 

»Gregory Penne? Sieh einmal an – ich wußte gar nicht, daß er auch Ihr Freund ist. Stimmt, der ist auch Aktionär unserer Gesellschaft, aber er hat nicht genug Anteile, um irgendwie seine Meinung durchsetzen zu können. Vielleicht hat er Ihnen nur gesagt, daß er es könnte. Und selbst, wenn er neunundneunzig Prozent aller Anteile hätte, würde sich der alte Jack Knebworth nicht darum kümmern, denn der hat einen Vertrag in der Tasche, der ihm in solchen Dingen Vollmacht gibt. Ich kann meine Stelle nur dann verlieren, wenn ich dauernd Filme drehe, die unverkäuflich sind. Meine Stellung können Sie nicht erschüttern, Stella! In dem Punkt irren Sie sich, meine Gnädige!«

 

»Wollen Sie mich denn auch auf die schwarze Liste setzen?« fragte sie verdrießlich.

 

Vor dieser Strafe hatte Stella die größte Angst – daß Jack Knebworth allen Filmgesellschaften mitteilen würde, daß sie ihn mitten in einem Film hatte sitzenlassen.

 

»Ich habe schon daran gedacht«, sagte er und nickte. »Aber ich will nicht rachsüchtig sein, ich will Sie laufenlassen, und wir können ja sagen, daß die Rolle Ihnen nicht lag und daß Sie deswegen austraten. Im Grunde genommen ist es ja ganz egal, was Sie für, Flausen machen. Gehen Sie mit Gott, Stella – ich glaube ja nicht, daß Sie diesen Weg einschlagen werden, weil Sie nicht so veranlagt sind, aber immerhin!«

 

Er verabschiedete sie, und sie ging um vieles bescheidener weg, als sie gekommen war. Draußen traf sie Lawley Foß und erzählte ihm das Resultat ihrer Unterhaltung.

 

»Das ist gerade so, als ob Sie gar nichts mehr bedeuteten«, sagte er. »Ich würde ja gern für Sie eintreten, Stella, aber im Moment muß ich für mich selbst sprechen«, fügte er bitter hinzu. »Der Gedanke, daß ein Mann von meiner Begabung sich solch einem verdammten alten Yankee unterordnen muß, ist sehr beschämend.«

 

»Sie müßten eigentlich Direktor einer eigenen Gesellschaft sein, Lawley«, sagte sie. Foß war das nichts Neues, das hatte sie mindestens schon ein dutzendmal zu ihm gesagt. »Sie schreiben die Filme, und ich spiele die Hauptrollen. Dann würden Sie großen Erfolg haben. Durch Ihre Konkurrenz können Sie Kneb einfach totmachen. Ich weiß das, Lawley. Ich war drüben in Amerika an der einzigen Stelle auf der ganzen Erde, wo man wirklich Kunst schätzt, und ich kann Ihnen sagen, daß ein solcher Stümper wie Jack Knebworth sich nicht eine Lichtmeile lang in Hollywood halten könnte!«

 

»Eine Lichtmeile lang«, war ein Ausdruck, den sie von einem Verehrer angenommen hatte, der wissenschaftlichen Kreisen angehörte. Sie gebrauchte ihn gar zu gern. Erstens klang es großartig, und dann mußten die anderen immer erst um eine Erklärung fragen. Aber zu ihrem nicht geringen Ärger wußte Foß genügend mit den Anfangsgründen der Physik Bescheid und fragte sie nicht danach.

 

»Ist er jetzt im Büro?« fragte er.

 

Sie nickte. Ohne ein Wort zu verlieren, klopfte Lawley Foß an die Tür. Es war ihm nicht recht wohl dabei.

 

»Mr. Knebworth, ich wollte Sie um eine Gefälligkeit bitten.«

 

»Geld?« fragte Jack, indem er ihn unter seinen buschigen Augenbrauen von unten herauf ansah.

 

»Ja, tatsächlich, Geld. Ein oder zwei kleine Rechnungen habe ich übersehen, und der Gerichtsvollzieher ist hinter mir her. Ich muß heute nachmittag bis zwei Uhr fünfzig Pfund auftreiben.« Jack zog eine Schublade seines Schreibtisches auf, nahm ein Scheckbuch heraus und schrieb einen Scheck aus, aber nicht über fünfzig sondern über achtzig Pfund.

 

»So, hier haben Sie ein Monatsgehalt im voraus«, sagte er. »Bis heute haben Sie ja das Geld bekommen. In Ihrem Vertrag ist vorgesehen, daß Sie einen Monat Kündigungsfrist haben, oder daß Ihnen das Gehalt für einen Monat im voraus ausgezahlt werden muß. Das war Ihr letztes Gehalt.«

 

Foß wurde dunkelrot. »Soll das bedeuten, daß ich entlassen bin?« fragte er mit lauter Stimme.

 

Jack nickte.

 

»Ich habe Sie entlassen – nicht, weil Sie immer Geld brauchen, und nicht, weil es furchtbar schwer ist, mit Ihnen umzugehen, sondern wegen Ihrer Handlungsweise gestern abend.«

 

»Was meinen Sie damit?« fragte Foß fassungslos.

 

»Ich bin Brixans Ansicht, daß Sie die weiße runde Marke am Fenster von Miss Learningtons Zimmer angebracht haben, um einem Beauftragten von Sir Gregory Penne ein Zeichen zu geben. Nun wohl, der kam auch und hätte beinahe meine Diva geraubt.«

 

Foß lächelte verächtlich.

 

»Sie werden pathetisch, Knebworth«, sagte er. »Ihre Diva entführen? So etwas mag vielleicht in Amerika vorkommen in England gibt es das nicht.«

 

»Machen Sie, daß Sie hinauskommen!« sagte Jack, der sich wieder seiner Arbeit zuwandte.

 

»Lassen Sie mich Ihnen doch erklären«, begann Foß.

 

»Ich lasse Sie gar nichts mehr erklären«, fuhr Knebworth auf. »Ich gestatte auch nicht mehr, daß Sie Lebewohl sagen. Hinaus!«

 

Als die Tür hinter seinem Besucher zugeschlagen war, klingelte der Direktor, und als sein Hilfsregisseur eintrat, sagte er:

 

»Bitte, lassen Sie Miss Leamington zu mir kommen, ich möchte endlich einmal einen liebenswürdigen Menschen um mich sehen!«

 

Kapitel 15

 

15

 

Chichester ist gerade nicht wegen seiner vornehmen Restaurants berühmt, aber der Speisesaal des kleinen Hotels, in dem sich drei Herren an einem Nachmittag trafen, war immerhin ruhig und anheimelnd.

 

Als Mike Brixan in sein Hotel zurückkam, warteten zwei Herren auf ihn, die ihn zu sehen wünschten. Nachdem sie sich kurz vorgestellt hatten, bat er sie mit sich nach oben in sein Wohnzimmer.

 

»Ich freue mich, daß Sie gekommen sind«, sagte er, als der Inspektor die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Reine Kriminalarbeit ist mir noch neu. Ich fürchte, daß ich Ihnen nur dunkle Andeutungen machen kann«, gestand er lächelnd. »Im Augenblick bin ich noch nicht so weit, daß ich alle meine Verdachtsgründe aussprechen könnte.«

 

Der Detektivinspektor Lyle, der Rangältere der beiden, lachte.

 

»Wir sind Ihnen vollkommen unterstellt, Captain Brixan«, sagte er, »und keiner von uns beiden hat das Recht, Sie um Aufklärung zu bitten. Die Informationen, um die Sie gebeten haben, hat Sergeant Walters mitgebracht.« Dabei wies er auf seinen stattlichen Begleiter.

 

»Welche Informationen? Ach, Sie meinen Gregory Penne? Kennt ihn die Polizei?« fragte Brixan interessiert.

 

Sergeant Walters nickte.

 

»Er wurde überführt und bestraft, weil er vor einigen Jahren sich an einer Angestellten vergriffen hatte – an einer Frau. Soviel ich feststellen konnte, hat er dem Mädchen gegenüber die Peitsche gebraucht, und es war dicht daran, daß er ins Gefängnis gekommen wäre. Damals wurde unsere Aufmerksamkeit das erstemal auf ihn gelenkt. Wir haben Erkundigungen über ihn eingezogen, sowohl in London als auch in den malaiischen Staaten, und wissen jetzt ziemlich genau über ihn Bescheid. Er ist ein reicher Mann. Da er ein entfernter Vetter des letzten Barons war, hatte er unverhofftes Glück, als er den Titel erbte. In Borneo lebte er fünfzehn oder zwanzig Jahre lang tatsächlich im Dschungel. Und die Geschichten, die wir über ihn erfahren haben, sind nicht besonders schön. Einige davon können Sie zu Ihrer Unterhaltung lesen, sie sind in diesem Aktenstück zusammengestellt.«

 

Mike nickte.

 

»Steht in den Akten irgend etwas von einem Orang-Utan, den er erzogen hat und der ihn bedient?«

 

»Bhag? O ja, den kennen wir ganz genau«, sagte der Beamte zu seiner größten Verwunderung, »Penne fing ihn ein, als er noch ein ganz junges Tier war, und zog ihn in der Gefangenschaft groß. Es ist sehr schwer, den Mann zu kontrollieren, weil er niemals mit den gewöhnlichen Postdampfern nach, England zurückkehrt, so daß es geradezu unmöglich ist, stets ein Auge auf ihn zu haben. Er hat seine eigene Jacht, ein feines seetüchtiges Schiff, die ›Kipy‹. Offiziere und Besatzung sind Papuas. Es ist schwer dahinterzukommen, wen und was er mitbringt und mit sich nimmt. Als Penne das letztemal auf Fahrt war, wäre es ihm beinahe ans Leben gegangen. Er hatte einen schweren Streit mit einem Eingeborenen dort unten – wir haben später von der Sache erfahren. – Nun, Mr. Brixan, was sollen wir für Sie tun?«

 

Mike erteilte ihnen nur wenige und kurze Instruktionen.

 

 

Als Helen an diesem Abend auf dem Heinweg war, bemerkte sie, daß ihr ein Mann folgte, und da sie in der vergangenen Nacht allerhand erlebt hatte, wurde sie unruhig. Als sie aber nach Hause kam, fand sie eine Nachricht von Mike Brixan:

 

›Wären Sie damit einverstanden, wenn ich einen Mann von Scotland Yard beauftrage, über Sie zu wachen? Ich glaube nicht, daß noch irgendeine Gefahr für Sie besteht. Aber ich wäre viel beruhigter, wenn Sie nichts gegen diese Sicherheitsmaßregel einwenden würden.‹

 

 

Sie runzelte die Stirn, als sie den Brief las. Sie wurde also überwacht! Diese Entdeckung war nicht angenehm für sie, doch konnte sie nichts dagegen sagen. Viel eher war sie diesem strebsamen jungen Mann, der überall auftauchte, zu wärmstem Dank verpflichtet. Er schien tatsächlich die Absicht zu haben, sie nicht aus den Augen zu lassen.

 

Kapitel 16

 

16

 

Lawley Foß hatte wieder neuen Grund, sich über das Leben zu beklagen, und er sammelte seine Streitkräfte, um sich an dieser Welt zu rächen, die ihn so ungerecht behandelte. Die erste und mächtigste seiner Bundesgenossen war Stella Mendoza. Im Salon der kleinen, schönen Villa, die Stella bezogen hatte, als sie bei der Knebworth-Filmgesellschaft eintrat, wurde ein regelrechter Kriegsrat abgehalten. Der Dritte im Bund war Mr. Reggie Connolly. Da sie alle drei denselben Gegner hatten, verbrüderten sie sich miteinander und schlossen in selbstloser Freundschaft ein Bündnis.

 

»Wir sind von Knebworth niederträchtig behandelt worden, besonders Sie, Mr. Foß. Mit Ihnen verglichen, ist mein Fall nicht von Bedeutung.«

 

»Aber wie er gegen Sie vorgegangen ist, bringt mich wirklich auf«, sagte Foß energisch. »Bedenken Sie doch, eine Künstlerin von Ihrem Rang!«

 

»Vergessen Sie nicht, was Sie alles für ihn getan haben«, sagte Stella wieder. »Und dann Reggie – hat er den nicht wie einen Hund behandelt?«

 

»Persönlich macht mir das ja nichts aus«, sagte Reggie. »Ich kann ja immer wieder in einen neuen Vertrag hineinrutschen. Mir ist es nur um Sie zu tun.«

 

»Wenn es darauf ankommt – jeder von uns kann leicht einen neuen Vertrag bekommen«, unterbrach ihn Stella etwas scharf. »Ich kann meine eigene Gesellschaft aufmachen, wenn ich will. Zwei Direktoren sind wild darauf, mich zu engagieren. Ich habe zwei Verehrer, die sich ein Vergnügen daraus machen würden, ihren letzten Penny herzugeben, um mir mein eigenes Unternehmen zu starten – mindestens würden sie eine Menge Geld aufbringen. Und Chauncey Seiler ist verrückt danach, als mein Partner zu spielen. Sie wissen doch, wie berühmt er ist! Er würde mich in den Vordergrund bringen und selbst mit einer kleineren Rolle zufrieden sein. Er ist ein reizender Mensch und der beste jugendliche Darsteller – nicht nur in England, sondern auf der ganzen Welt!«

 

Mr. Connolly räusperte sich.

 

»Die Frage ist, ob wir das Geld gleich bekommen«, sagte Foß, der die Sache von der praktischen Seite betrachtete. Aber Stella gab ihm keine bindende, direkte Antwort und schien auch durch seinen plötzlichen Eifer in dieser Richtung nicht sehr erfreut.

 

»Sollte das nicht der Fall sein, so glaube ich, daß es mir möglich sein wird, das ganze Geld aufzubringen«, sagte Foß zur Überraschung der beiden anderen. »Ich kann jetzt noch nicht sagen, von wem oder auf welche Art ich das Geld auftreibe. Aber soviel steht fest – ich kann große Summen flüssig machen, und es ist leichter, Kapital für einen bestimmten Plan aufzubringen, als für mich persönlich.«

 

»Sie glauben, das ist mit geringerem persönlichen Risiko verbunden?« meinte Connolly, der nur etwas sagen wollte, um auch an der Unterhaltung teilzunehmen.

 

Aber mit dieser Bemerkung hatte er Pech, um so mehr, als er hiermit den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Foß wurde dunkelrot.. »Was zum Teufel verstehen Sie unter ›mit geringerem Risiko verbunden‹?«

 

Der arme Reggie hatte nichts Besonderes damit sagen wollen und beeilte sich, dies ohne weiteres zuzugeben. Er hatte doch nur helfen wollen und war nun verdrießlich über den Sturm, den er hervorgerufen hatte. Er war überhaupt unzufrieden, denn je weiter die Unterhaltung fortschritt, desto mehr wurde er in den Hintergrund gedrängt. Und nichts kann einen Verschwörer mehr in Wut bringen, als wenn er sieht, daß die Verschwörung ohne ihn gemacht wird. Er war überzeugt, daß er jetzt seine Persönlichkeit zur Geltung bringen müßte.

 

»Das ist alles ganz schön, Stella«, sagte er. »Aber es scheint mir fast so, als ob ich kaltgestellt werden soll. Was nun Chauncey Seiler angeht – natürlich hat er in mehr Filmen gespielt als zwei andere Darsteller zusammen, das weiß ich sehr wohl. Was Sie sonst noch alles von ihm erzählt haben, interessiert mich nicht. Ich weiß schon, Sie halten mich für einen schrecklichen Spielverderber, aber ich muß doch sagen, daß wir dem alten Jack Knebworth allerhand verdanken – denke ich wenigstens. Ihnen zuliebe habe ich meine Stellung aufs Spiel gesetzt. Ich bin auch bereit, alles zu tun, was Sinn und Vernunft hat. Aber wenn Sie Chauncey Seiler vorziehen wollen – nebenbei bemerkt, ein ganz übler Mensch – und wenn Foß mir gleich an die Kehle springt, wenn ich irgendeine Bemerkung mache, so muß ich schon sagen, daß ich mich besser nicht an der Neugründung beteilige.«

 

Die beiden hatten gar kein Interesse daran, ihn zu beruhigen, da sie so mit ihren Plänen für die Zukunft beschäftigt waren, daß sie nicht an die Gegenwart dachten. Reggie war über alle Maßen aufgebracht und verließ das Haus, noch bevor Stella überlegt hatte, daß sie besser getan hätte, ihn zurückzuhalten. Sie hätte dann Knebworth wenigstens dadurch geschädigt, daß er alle die Szenen, in denen Reggie bisher mitgespielt hatte, noch einmal aufnehmen mußte.

 

»Wir wollen uns über Connolly nicht den Kopf zerbrechen«, sagte sie. »Der Film wird sowieso eine böse Katastrophe mit der Statistin in der Hauptrolle, sie kann doch nichts.«

 

»Ich habe einen Freund in London«, erklärte Foß, nachdem das alte Thema wiederaufgenommen wurde, »der das ganze Geld aufbringen kann. Ich habe ihn gewissermaßen in der Hand. Tatsächlich – ich kann ihn sogar dazu zwingen. Heute abend noch werde ich zu ihm gehen.«

 

»Und ich will meinen Freund aufsuchen«, sagte Stella. »Wir werden das Unternehmen die Stella-Mendoza-Filmgesellschaft nennen.«

 

Lawley Foß hatte seine Bedenken dagegen. Ihm schwebte ein anderer Name vor. Schließlich war er bereit, einen Vergleich zu schließen und die Firma Foß-Mendoza- oder F.-M.- Gesellschaft zu nennen. Dieser Vorschlag wurde von Stella unter der Voraussetzung akzeptiert, daß die beiden Namen umgestellt wurden.

 

»Wer ist eigentlich Brixan?« fragte sie, als Foß aufbrechen wollte.

 

»Ein Detektiv.«

 

Sie machte große Augen.

 

»Ein Detektiv? Was tut er denn hier?«

 

Lawley Foß lächelte verächtlich.

 

»Er hat sich eine Aufgabe gestellt, die keiner seines Verstandes lösen wird. Er will nämlich den Kopfjäger ausfindig machen. Ich bin der einzige Mann auf der Welt, der ihm helfen könnte. Statt dessen«, lächelte er wieder, »helfe ich mir selbst.«

 

Mit dieser geheimnisvollen und mystischen Andeutung verließ er sie.

 

Stella Mendoza war eine ehrgeizige Frau, und wenn Ehrgeiz auf Reichtum und Ruhm gerichtet ist, müssen Gewissensskrupel zurücktreten. Um ihr Privatleben und ihren Ruf stand es nicht besser und nicht schlechter als um den tausend anderer Frauen, und ihre Vorliebe für eine luxuriöse Wohnung und teures Essen gehörte nun einmal zu ihrem Beruf. Man kann gewisse Sünden und Vergehen nicht immer einer bestimmten Klasse zuschreiben, denn die Selbsterziehung spielt eine größere Rolle. Die eine Frau würde lieber sterben als ihre Selbstachtung verlieren, die andere wiederum würde gerade das Gegenteil tun, um nicht in Elend und Not zu kommen, und würde sich über Mittel und Wege, die zu ihrem Ziele führen, keine Gedanken machen.

 

Als sich Foß verabschiedet hatte, ging sie nach oben, um sich umzuziehen. Es war noch zu früh, um den Besuch zu machen, den sie vorhatte, denn Sir Gregory wünschte keine Besuche bei Tag. Auf der einen Seite hatte er gar keine Bedenken, Bhag auf ein gefährliches und verbrecherisches Abenteuer auszuschicken, auf der anderen Seite war er bemüht, nach außen hin den guten Anstand nicht zu verletzen.

 

Sie schrieb einige Briefe und brachte sie zur Post. Als sie am Spätnachmittag mit ihrem Auto durch Chichester fuhr, sah sie, Mike Brixan in einer merkwürdigen Situation. Er stand mitten in einer großen Menschenmenge in der Nähe des Marktplatzes. Sogar ein Polizist war dort, sie sah seinen Helm. Sie war einen Augenblick versucht, auszusteigen, um ihre Neugierde zu befriedigen; aber dann änderte sie ihre Absicht. Als sie später wieder an der Stelle vorüberfuhr, war die Menge zerstreut und Mike Brixan verschwunden. Auf der Heimfahrt dachte sie darüber nach, ob der Detektiv dort wohl berufsmäßig zu tun gehabt hatte.

 

Mike war durch Chichester geschlendert und dabei auf eine große Ansammlung von Leuten gestoßen, die sich um einen Polizisten geschart hatte. Dieser bemühte sich vergeblich, sich mit einem kleinen, braunen Eingeborenen zu verständigen. Der Mann sah in seinem schlechtsitzenden, fertiggekauften Anzug furchtbar komisch aus. Auf dem Kopf trug er einen steifen Hut, der viel zu groß für ihn war. In der einen Hand hielt er ein Bündel, das mit einem hell leuchtenden, großen grünen Taschentuch zusammengeknüpft war. Unter dem Arm hatte er einen langen Gegenstand, der in Leinen eingenäht und stark verschnürt war. Mike dachte zuerst, daß er einer von Pennes malaiischen Dienern wäre, aber dann überlegte er sich, daß Sir Gregory nicht zulassen würde, daß einer seiner Leute sich in einem solchen Aufzug im Land umhertriebe.

 

Er bahnte sich einen Weg zu dem Polizisten, der ihn militärisch grüßte.

 

»Beim besten Willen kann ich den Kerl nicht verstehen«, sagte er. »Er will etwas wissen, aber ich kann nicht herausbringen, was er will. Gerade eben ist er in die Stadt gekommen.«

 

Der braune Mann wandte seine dunklen Augen auf Brixan. Er sagte etwas, was der Detektiv nicht verstand. Der Fremde hatte etwas Vornehmes in seinem Wesen, das selbst die lächerlich wirkende Kleidung nicht ganz verwischen konnte. Seine Haltung war aufrecht. Die unbeschreibliche Würde, die in seinem Benehmen lag, zog sofort Mikes Aufmerksamkeit auf sich. Plötzlich kam ihm ein guter Gedanke. Er redete den Mann auf Holländisch an. Die Augen des Eingeborenen leuchteten auf.

 

»Ja, Mynheer, ich spreche Holländisch.«

 

Mike vermutete mit Recht, daß er aus dem Malaiischen Archipel kam, wo die besseren Klassen der Eingeborenen Holländisch und Portugiesisch sprechen.

 

»Ich komme von Borneo und suche einen Mann, der Truji heißt. Er ist Engländer. Nein, Mynheer, ich will nur sein Haus sehen. Er ist ein großer Mann in meinem Lande. Wenn ich sein Haus gesehen habe, kehre ich nach Borneo zurück.«

 

Mike beobachtete ihn, als er sprach. Wenn man von der großen, langen, häßlichen Narbe absah, die von seiner Stirn bis zum Kinn reichte, hatte er ein schönes Gesicht.

 

Der Detektiv dachte sich, daß er ein neuer Diener für Gregory Penne sei, und beschrieb ihm den Weg dorthin.

 

Er beobachtete den merkwürdigen Fremden, bis er mit seinem Bündel verschwunden war.

 

»Eine seltsame Sprache«, sagte der Polizist. »Für mich war es dasselbe, als ob er Holländisch gesprochen hätte.«

 

»Für mich auch«, sagte Mike und lächelte. Dann setzte er seinen Weg zum Hotel fort.

 

Kapitel 17

 

17

 

Helen Leamington saß auf ihrem Bett. Neben ihr stand eine Schachtel Konfekt. Sie hatte die Knie hochgezogen und war eifrig mit ihrem Filmmanuskript beschäftigt. Aber obgleich sie sich die größte Mühe gab, war es ihr doch unmöglich, die komplizierten Anweisungen zu verstehen, die Foß an den Rand der Seiten geschrieben hatte. Sie runzelte die Stirn. Für gewöhnlich fiel es ihr nicht allzu schwer, ein Filmmanuskript durchzuarbeiten. Aber heute wanderten ihre Gedanken, sie beschäftigten sich nicht mit dem Film. Und obwohl sie im Manuskript las, erfaßte sie doch nicht dessen Sinn. Es wäre dasselbe gewesen, wenn sie leere Seiten vor sich gehabt hätte.

 

Wer war Mike Brixan eigentlich? Sie stellte sich einen Detektiv ganz anders vor. Warum hielt er sich hier in Chichester auf? War es möglich, daß er ihretwegen…? Sie gab diesen Gedanken sofort wieder auf und ärgerte sich über sich selbst. Es war doch ganz unmöglich, daß ein Mann, der ein schreckliches Verbrechen aufklären wollte, sich nur hier aufhielt, um ihr nahe zu sein. Ob der Mörder, der Kopfjäger, in der Nähe von Chichester wohnte? Bei dieser Vorstellung legte sie das Manuskript gedankenvoll auf ihre Knie.

 

Die Stimme ihrer Wirtin störte sie auf.

 

»Wollen Sie Mr. Foß empfangen?«

 

Sie sprang vom Bett und öffnete die Tür.

 

»Wo ist er?«

 

»Ich habe ihn ins Empfangszimmer gebeten«, sagte die Wirtin, die jetzt schon etwas mehr Respekt vor ihr bekommen hatte. Wenn eine Statistin zu einer Filmdiva avancierte, so wußte man dies natürlich in der Kleinstadt. Die Bewohner nahmen überhaupt regen Anteil an den Schicksalen der Filmschauspieler, die für sie von größter Bedeutung waren.

 

Lawley Foß stand am Fenster und schaute hinaus, als sie in das Zimmer trat.

 

»Guten Tag, Helen!« sagte er in guter Laune. Früher hätte er sie nie bei ihrem Vornamen genannt, selbst wenn er ihn gekannt hätte.

 

»Guten Tag, Mr. Foß«, sagte sie lächelnd. »Zu meinem Bedauern habe ich gehört, daß Sie nicht mehr in unserer Gesellschaft tätig sind.«

 

Foß zuckte gleichgültig die Achseln.

 

»Die Firma war zu klein, als daß ich mich dort hätte richtig entfalten können«, sagte er. Er war gespannt, ob Brixan ihr etwas von dem runden, weißen Papier auf ihrem Fenster erzählt hatte, und freute sich, als er fand, daß sie nichts davon wußte. Foß selbst maß der Sache keinerlei Bedeutung bei. Er war nur zu sehr geneigt, Gregorys Erklärung anzunehmen, der ihm gesagt hatte, daß er Miss Leamington sehr verehre und ihr einen Blumenstrauß durch das Fenster schieben wolle. Durch dieses Geschenk hoffe er, sie zu besänftigen. Foß hatte ihn bei sich einen liebestollen Narren genannt und hatte ihm seinen Wunsch erfüllt. Was Knebworth ihm mitgeteilt hatte, wollte er nicht glauben und lehnte es als phantastische Übertreibung ab.

 

»Helen, Sie sind noch sehr jung und unerfahren. Sie tun sehr unrecht, wenn Sie einen Mann wie Gregory Penne ablehnen«, sagte er. Aber er sah an ihrem Gesichtsausdruck sofort, daß er auf diese Weise keinen Erfolg haben würde. »Es hat doch keinen Zweck, daß Sie etwas Besonderes für sich haben wollen. Wir sind nun einmal alle Menschen. Es ist doch nichts dabei, wenn Sie Gregory Penne einmal treffen. Niemand kann etwas dabei finden! Hunderte von jungen Damen speisen mit einem Herrn zu Abend, ohne daß irgend etwas Schlimmes geschieht. Ich bin ein Freund von ihm und besuche ihn heute abend in einer wichtigen persönlichen Sache – wollen Sie mit mir kommen?«

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Es ist möglich, daß nichts dabei ist, aber mir macht es eben keinen Spaß.«

 

»Er ist reich und hat großen Einfluß«, sagte Foß eindringlich. »Seine Bekanntschaft könnte Ihnen viel nützen.«

 

Aber sie schüttelte den Kopf.

 

»Ich brauche keine andere Hilfe als meine Begabung«, sagte sie, »beinahe hätte ich Kunst gesagt, aber das klingt zu hochtrabend. Ich brauche die Befürwortung eines reichen Mannes nicht. Wenn ich ohne diese keinen Erfolg haben sollte, dann habe ich eben nicht das Zeug zur Filmdiva und will mich damit abfinden.«

 

Foß dachte nach, »Ich glaube, daß ich es auch ohne Sie kann, aber ich wäre sehr froh gewesen, wenn Sie mir geholfen hätten. Er mag Sie sehr gern. Wenn Stella Mendoza das wüßte, würde sie Sie umbringen.«

 

»Miss Mendoza?« fragte das Mädchen erstaunt. »Warum? Kennt sie ihn denn?«

 

Er nickte.

 

»Ja, aber nur sehr wenig Leute wissen darum. Es gab einmal eine Zeit, wo er alles für sie getan hätte, und sie war in ihrer Art sehr klug und wies seine Hilfe nicht zurück. Die Mendoza hat jetzt so viel Geld, daß sie es zum Fenster hinauswerfen könnte, und Diamanten genug, um die Schatzkammer im Tower zu füllen.«

 

Helen horchte erschreckt auf. Sie konnte es nicht glauben. Foß beeilte sich deshalb, dafür zu sorgen, daß Stella nichts von seiner Indiskretion erfahren würde.

 

»Sie brauchen ihr das nicht zu sagen, das war nur eine ganz vertrauliche Mitteilung. Auch möchte ich mich mit Penne nicht gern überwerfen.« Er schüttelte sich. »Der Mann ist ein Teufel.«

 

Sie biß sich auf die Lippen. »Und trotzdem wollen Sie mich dazu veranlassen, mit ihm zu speisen? Und wollen mich dazu mit Miss Mendozas Diamanten ködern?«

 

»Ich vermute, daß Sie von ihr nicht viel Gutes denken?« sagte er höhnisch.

 

»Sie tut mir leid«, sagte das Mädchen ruhig. »Aber ich möchte mir selbst nicht leid tun!«

 

Schweigend öffnete sie die Tür, und er ging ohne Gruß fort. Nach allem, dachte er, würde er auch ohne fremde Hilfe sein Ziel erreichen.

 

Denn in seiner Brieftasche lag ein Stück Papier, das mit der Schreibmaschine des Kopfjägers geschrieben war, und das war viele tausend Pfund wert, wenn er dem Verbrecher mit seinen Enthüllungen drohte.