Die Flucht

Ja, Kasperle war ein Held.

Als er am nächsten Morgen erwachte, wußte er ganz genau, was er tun mußte, um Marlenchen zu retten.

Leicht war das nicht.

Und wie sich Kasperle so umschaute, wurde ihm sein Herzlein zentnerschwer. Da lag Valrosa, seine Heimat, und wie schön war sie. Blumen, wohin er sah, alles voll Blumen, und der Himmel blau wie Seide. Die Sonne schien heller, strahlender als selbst in Lugano auf das kleine Eiland hernieder. Und hier könnte nun Kasperle als König hausen, aber was geschah dann mit dem feinen Marlenchen? Das sah nie seine Heimat wieder, nie seinen Vater.

Kasperle dachte an alle Liebe, die das feine Marlenchen ihm erwiesen hatte, denn Kasperle war dankbar, was Menschen nicht immer sind. Er beschloß, Marlenchen zu retten, wenn er dann auch die Heimat für immer verlor.

Er fühlte auch, so schön es hier war, unter so vielen Kasperles würde er nie glücklich sein, dazu hatte er die Menschen zu lieb gewonnen.

»Kasperle,« sagte das Marlenchen aus der anderen Wiege, »was wird heute werden?«

»Ich helfe dir schon,« sagte Kasperle. Und dann nickte er Marlenchen zu, purzelbaumte aus seiner Wiege und schrie: »Holla, ho – holla, seid ihr aber Langschläfer!«

»Wir dürfen doch erst aufstehen, wenn der König ruft,« sagten die Kasperles.

»Nä, dann steht nur auf, ich bin der König.«

»König Bimlim,« klang es und drang zu dem König Tolu.

Der ärgerte sich, aber als Kasperle ihn ansah, nickte der ihm zu, als wollte er sagen: »Ärgere dich doch nicht, es wird alles gut.«

Dann gab es Frühstück.

Dies war wieder für die Kasperles eine große Verwunderung, denn Kasperle vergaß seinen Wettlauf und aß sich plumpsatt. Er kann nicht laufen, dachte der König, er will im Lande bleiben.

Aber er kannte Kasperle schlecht. Der konnte mehr vertragen als so ein bißchen Kasperle-Frühstück mit rosenroter Milch und himmelblauen Brötchen und grasgrünem Honig.

»Nun der Wettlauf!« riefen die Kasperles.

»Nä, erst die Erzählung,« antwortete Prinz Bimlim. »Erst müßt ihr wissen, was ich alles erlebt habe.«

»Ja,« schrien alle, »das ist fein,« und alle purzelbaumten, aber keiner konnte es so gut wie Prinz Bimlim, trotz des Frühstücks.

Kasperle sollte sich in die Königsschaukel setzen, aber das gefiel ihm nicht, er setzte sich auf einen goldenen Tisch, und dann erzählte er.

Marlenchen hörte auch zu und ihre Augen wurden größer und größer. Hilf, Himmel! konnte Kasperle aufschneiden! Sie kannte doch alles, von dem er erzählte, aber so riesengroß war ihr alles noch nie erschienen, wie es Kasperle darstellte. Da war der Herzog August Erasmus ein mächtiger König und Schloß Himmelhoch wirklich das größte und höchste Schloß in allen Landen. Und was hatte Kasperle alles getan! Jedes dumme Streichlein war eine Heldentat und jedes dumme Torburger Straßenbüble, mit dem Kasperle Freundschaft gehalten hatte, war ein mutiger Soldat.

So etwas! So ein kleiner Schwindelpeter!

Und von der Prinzessin Gundolfine erzählte Kasperle, und dabei schnitt er die allertollsten Gesichter. Die Kasperles verrenkten sich beinahe Mund und Nase, um diese Gesichter nachzumachen. Und komisch, alle schlimmen Dinge wie das In-die-Schlagsahne-Fallen und dergleichen, waren in Kasperles Erzählung der Prinzessin passiert, und die Kasperles lachten und lachten, sie drehten und wendeten sich vor Lachen und der König dachte, das wird schlimm. Es wurde auch was Schlimmes daraus, denn sie bekamen alle Leibschmerzen vor Lachen.

»Hör‘ auf!« gebot der König.

Aber Kasperle hörte nicht auf. Er erzählte gerade von seiner Reise in die Schweiz, wo nicht er, sondern die Prinzessin nach den Schneebergen um Schlagsahne gelaufen war und wo er, das Kasperle, sie aus den Klauen des Adlers gerettet und sie aus dem Käsebottich herausgezogen hatte.

»Aufhören!« gebot der König.

Aber Kasperle sagte ruhig: »Ich bin noch lange nicht fertig, ich habe noch sehr viel zu erzählen!«

»Wir haben schon Bauchschmerzen!« klagten die Kasperles.

»Dann eßt Obst und trinkt saure Milch dazu, das ist gut für Bauchschmerzen.«

Die armen Kasperles. Sie glaubten Bimlims dummer Rede wirklich, sie baten, er solle ein Weilchen warten, und liefen alle hinaus und wollten saure Milch trinken. Aber da rief Kasperle selbst, sie sollten es lieber lassen, es wäre nur ein Scherz gewesen. Und dabei machte er ein Gesicht wie Mister Stopps.

»Aufhören,« schrien die Kasperles, »wir können nicht mehr! Wir wollen jetzt Mittag essen.«

»Nä,« sagte Kasperle, »ich bin noch nicht fertig. Noch lange nicht. Jetzt sehe ich aus wie Mister Plumpudding.«

»Aufhören, uns tut alles weh!«

»Mir nicht,« rief Kasperle frech und sah aus wie Mister Plumpudding.

Er schwindelte, denn ihm tat schon etwas weh, sein Herz nämlich. Je näher die Stunde rückte, daß er von der Heimat weg mußte, je schwerer wurde ihm sein Herz. Da hatte er sich viele Jahre nach der Heimat gesehnt, und nun, da er sie gefunden hatte, mußte er am zweiten Tage fliehen!

Es war schon hart.

Aber Kasperle war doch ein Held, er dachte nur an Marlenchens Rettung, das war ihm selbstverständlich. Wie hätte er seine liebe, kleine Freundin im Stich lassen können!

Das ging nicht.

Aber Helden verlieren auch mal die Fassung. Das geht nun eben so. Als die Kasperles so furchtbar lachten und immer schrien »aufhören, aufhören,« da überkam Kasperle plötzlich die tiefste Traurigkeit, und er fing zu weinen an.

Das war nun dumm, denn gleich fingen die Kasperles auch zu weinen an und mit dem Lachen war es vorbei.

Kasperle aber merkte wohl, daß er eine Dummheit gemacht hatte, aber er konnte sich gar nicht helfen und in seiner großen Angst weinte er immer mehr. Die Kasperles weinen nicht gern und lassen es nicht gern vor andern sehen, wenn sie weinen. Sie steckten also die Köpfe zwischen die Füße und weinten laut und kläglich.

Kasperle war heute ein rechtes Gescheitle. Er sagte leise zu Marlenchen: »Reiße aus, sie sehen es nicht!«

»Allein?«

»Reiß aus!«

Da rannte Marlenchen wie der Wind davon in ihrem bunten Kasperlekleid, das man ihr gegeben hatte, und kein Kasperle sah das fliehende Marlenchen.

Würde Kasperle nachkommen?

Das heulte weiter und die Kasperles schrien: »Hör‘ auf, wir können nicht mehr!«

Aber Kasperle hörte noch lange nicht auf. Der heulte wie ein hungriger Wolf zur Winterszeit. Auf einmal aber schrie er: »Hurra, jetzt schießt König Bimlim einen Purzelbaum, damit ihm das Essen auch gut schmeckt.«

Und – wuppdiwupp purzelbaumte er über den König und viele Kasperles hinweg.

Wohin? Dem Marlenchen nach!

Kasperle fühlte, ohne Marlenchen war ihm die schöne Heimat öde und leer. Er mußte auch sehen, ob das feine Marlenchen aufs Schiff kam.

Bis sich die Kasperles besannen und zu weinen aufhörten, war Kasperle schon ein gut Stück in das Land hinausgepurzelbaumt.

Und dann dauerte es wieder eine Weile, bis ihnen einfiel, Kasperle, der Prinz Bimlim, könnte geflohen sein.

Wer sagte es zuerst?

Das blitzdumme Kasperle. Das legte auf einmal den Finger an die Nase und sagte mit dem dümmsten Gesicht, das es machen konnte: »Er ist vielleicht ausgerissen.«

Die andern lachten alle.

Ausreißen, wenn einer König vom Kasperland werden kann, hohoho, hihihi, so dumm ist keiner.

»Und er ist doch ausgerissen. Marlenchen fehlt auch,« rief der König.

Da schrien alle durcheinander. »Man muß sie fangen.«

»Ja, man muß sie fangen.«

»Man muß sie schnell fangen.«

»Ja, man muß sie schnell fangen.«

»Wir holen sie schon ein.«

»Nein, wir holen sie nicht mehr ein.«

»Man muß die Lachkanone nehmen.«

»Ja, die Lachkanone.«

Es dauerte lange, bis die Kasperles zur Verfolgung bereit waren. Gerade als sie aus dem Tor von Valrosa zogen, purzelbaumte Kasperle über Marlenchen hinweg, die am Ufer stand und nach dem Schiff hinüberwinkte.

»Helft, helft!«

Aber noch sah es niemand. Doch da war Kasperle.

»O Kasperle, du kommst mit mir?«

Kasperle nickte ernsthaft und sagte: »Du bist doch meine Freundin, Marlenchen!«

Da fiel das feine Marlenchen ihrem Kasperle um den Hals und weinte laut, und dies Weinen hörte drüben Mister Stopps.

»Marlenchen weint.«

»Ih wo!« sagte seine liebe Braut.

»Doch, und da drüben steht sie, und mein Kahspärle ist auch da. Hurra, mein Kahspärle!« rief Mister Stopps und fiel ins Wasser.

Da konnten die Matrosen gleich Kasperle und Marlenchen mit herüberholen, es war eine Arbeit.

»Mein Kahspärle, mein liebes Kahspärle, nun hab‘ ich dich uieder!« schrie Mister Stopps.

»Nä,« sagte Kasperle, »ich bin’s nicht.«

»Du bist’s nicht?«

»Nä, ich bin Prinz Bimlim, den haste nicht gekauft.«

Vielleicht hätte der gute Mister Stopps doch gesagt: »Du bist es,« wenn nicht Piet ein furchtbares Geschrei erhoben hätte: »Sie kommen, sie kommen und sie haben die Lachkanone mit!«

Die Kasperles kamen wirklich, und sie kamen schneller als es vorher den Anschein gehabt hatte. Die Lachkanone hatten sie auch mit, aber diesmal rannten alle Schiffsleute in die Kabinen und als die rosenrote Wolke kam, traf sie allein Mister Stopps, den traf sie aber gründlich.

Mister Stopps brach in ein riesengroßes Gelächter aus, er lachte und wackelte dabei so hin und her wie neulich der Mastbaum im Sturm.

»Hahaha, hohoho, huhuhu« – Mister Stopps lachte alle Tonarten durch. Er lachte und lachte und zuletzt fiel er um.

Die von drüben schrien immerzu: »Wir wollen unsern König Bimlim haben!«

Das hörte Mister Stopps trotz seines Gelächters. Er schrie: »N –n –nein – da – da – das geht n – n – nicht, er ha – ha – hat zw – zw – zwei Mimimimi –« da brach Mister Stopps ab, mehr brachte er nicht heraus.

Die Kasperles aber hatten ihn überhaupt nicht verstanden und sie schrien immer lauter: »Wir wollen unsern König Bimlim, unsern König Bimlim!«

Kasperle aber lag in der Kabine und – weinte.

Er hörte wohl das Schreien, und Marlenchen sah ihn ganz traurig an. Würde er gehen?

Herr Severin sagte: »Kasperle, willst du nicht? Es ist deine Heimat.«

Ach, das arme Kasperle, es wäre schon gerne nach Valrosa zurückgekehrt, aber der Abschied von seinen lieben Freunden wurde ihm zu schwer.

Mein Kasperle bleibt bei mich, dachte Mister Stopps, der schon halbtot vor Lachen war. Sagen konnte er nichts mehr.

»Wir schießen so lange, bis sich alle tot gelacht haben,« riefen die Kasperles, gerade als Piet auf Deck kam, um zu sehen, was nun los wäre.

»Wir lachen ja gar nicht, aber Kasperle wird gleich kommen und weinen und wir werden alle weinen, da müßt ihr euch totweinen.«

Da rissen die Kasperles aus, der König voran. Der war heilfroh, denn wenn einer einmal König vom Kasperland ist, dann will er es auch bleiben. Nur das Marlenchen hätte er gerne behalten. Sie rissen aus und waren auf einmal verschwunden.

Aber Mister Stopps lachte immerzu. Er war schon ganz schwach vor Lachen.

Da sagte seine liebe Braut: »Man muß ihn unter die Pumpe halten, das wird gut tun.«

Also hielt man ihn unter die Pumpe und plantschte ihn pudelnaß. Da hörte er auf zu lachen. Er tat einen tiefen Seufzer und sagte: »Das haben mich gut getan.«

»Die Pumpe, das glaube ich, das hilft,« meinte der Kapitän.

»O no, das Lachen, das hat mich gut getan, ich uollte, ich hätte eine Lachkanone und meine liebe Frau könnte mich schossen. O schade, sehr schade! Aber ich habe mein liebes Kahspärle uieder.«

»Nä, ich bin’s nicht, ich bin Prinz Bimlim.«

Mister Stopps war damit gar nicht einverstanden, aber dem Kasperle kam Hilfe. Die Prinzessin sagte: »Er hat recht, als du ihn kauftest, war er Kasperle, jetzt ist er beinahe ein König. Er gehört dir nicht.«

»Er kommt zu uns,« rief Frau Liebetraut.

»Zu uns,« riefen Michele und Rosemarie.

»Zu mir,« rief das Prinzlein.

Marlenchen sagte gar nichts, sie sah Kasperle nur an. Da rief Kasperle: »Ich geh zu Marlenchen und zu den andern komme ich auf Besuch.«

»Zu mich auch?« rief Mister Stopps.

»Nä,« rief Kasperle, »du hast jetzt ’ne Frau.«

Das war Mister Stopps gar nicht recht, denn im Grunde war ihm das Kasperle lieber als die Prinzessin. Die aber sagte: »Ich bin dein Kasperle,« da war er schließlich zufrieden. Wenn er nur lachen konnte.

Die Kasperle-Einladung

Auf der Kasperle-Insel war man sehr traurig über Kasperles Flucht und König Tolu hatte einen schlimmen Stand. Die Kasperles beschuldigten ihn, er hätte um Bimlims Flucht gewußt, und König Tolu konnte reden, soviel er wollte, sie glaubten ihm nicht. Es wurde großer Kasperlerat gehalten, zuerst machten alle »bäh« und glaubten das wäre schön, aber König Tolu fand es nicht schön, doch sagte er nichts, denn wenn die Kasperles einmal böse waren, dann waren sie schlimm, selbst gegen ihren König.

Endlich, nachdem sie viele Purzelbäume geschossen hatten, und sehr oft »bäh« gemacht, kamen sie überein, König Tolu müsse auf das Schiff gehen und Prinz Bimlim um sein Bleiben bitten.

»Und dann,« sagte ein uraltes Kasperle, »mußt du nachsehen, ob Kasperle ein herzförmiges Mal an der linken Schulter hat. Das hatte nämlich Prinz Bimlim, das weiß ich noch.«

»Aber ich fürchte mich,« schrie König Tolu, »die Menschen nehmen mich mit, und dann sehe ich auch meine liebe Kasperle-Insel nicht wieder.«

»Ein König muß sich für seine Kasperles opfern können,« schrie das uralte Kasperle.

Da schwieg König Tolu und dachte bei sich, »auf alle Fälle nehme ich Lachpulver mit, um mich retten zu können«.

Er nahm also seine Dose Lachpulver, die er gut verbarg, und dann rüstete er sich zu der Reise nach dem Schiff.

Dort hielt man sorgsam Umschau.

»Sie kommen, sie kommen wieder und holen Kasperle,« schrie auf einmal der Matrose, der die Wache hatte.

»Oh, sie schossen wieder,« schrie Mister Stopps erfreut.

Doch sie schossen nicht. Sie schwenkten einen großen weißen Blumenkranz, das war ihr Friedenszeichen, und die auf dem Schiff verstanden es und fragten: »Was wollt ihr denn?«

»Unser König Tolu soll es sagen!«

Da trat König Tolu vor und rief: »Bimlim, sage, hast du ein herzförmiges Mal auf deiner Schulter, das hatte nämlich Prinz Bimlim.«

Nun hatte das gute Kasperle am ganzen Körper kein kleines Mal, er wollte aber nicht sagen, daß er nicht Bimlim wäre; also schrie er sofort: »Jawohl, wie ein Herz sieht es aus.« Das war nun frech geschwindelt.

»Er ist Bimlim,« dachte Tolu, »also müßte er König werden.«

Er rief hinüber: »Du sollst mein Mitkönig sein.«

»Mag ich nicht. Ich gehe ins Menschenland zurück! Ich will Marlenchen heiraten.«

»Komme mit ihr wieder, es soll euch nichts geschehen,« bat der Kasperlekönig.

In dem Augenblick kam Prinzessin Gundolfine auf das Verdeck, und weil sie sich mal wieder geärgert hatte, schnitt sie ein furchtbares Gesicht.

»Sie haben noch ein Kasperle auf dem Schiff,« schrien ein paar Kasperles, als sie die Prinzessin erblickten.

»Jawohl,« schrie das Kasperle, »es ist sogar eine Prinzessin Kasperle und will Mister Stopps heiraten.«

Hui, fuhr die Prinzessin wütend auf Kasperle los und drüben lachten alle laut, denn sie nahmen es für ein Späßlein, daß die Prinzessin Kasperle in das Wasser werfen wollte. Kasperle schrie mörderisch und Mister Stopps kam ihm zu Hilfe. Darüber fing er an, sich mit seiner lieben Braut zu streiten, und drüben lachten die Kasperles immer mehr.

König Tolu trat ganz dicht an das Ufer und bat: »Bimlim, komm wenigstens und besuche uns noch mal und bringe den großen Prinzessinnen-Kasper mit.«

Doch Kasperle schrie: »Die will nicht.«

So ging das Reden ein Weile hin und her. Kasperle wollte nicht mitgehen, und die Kasperles wollten nicht ohne ihn nach Valrosa zurückgehen. Dem König wäre es schon recht gewesen, aber er fürchtete den Zorn seiner Landeskinder. Endlich sagte er: »Weißte was, Bimlim, du besuchst uns.«

»Nä,« schrie Kasperle, »dann wird es wie beim Herzog, erst bin ich Besuch und dann werde ich eingesperrt.«

»Ich gebe dir mein Kasperlewort, du wirst nicht eingesperrt, das kleine Menschenmädchen auch nicht, und der große Menschenkasper soll auch mitkommen,« sagte König Tolu.

Alle hörten es und alle Kasperles sagten, »ein König hält sein Wort, Bimlim, komme zu uns, du wirst unser König.«

Der Strick Kasperle dachte, »ich bin ja gar nicht Bimlim, ich habe ja das Mal nicht, aber das brauchen sie nicht zu wissen,« und fragte: »Marlenchen, willst du mit?«

Aber Marlenchen wollte nicht.

Doch da fing der kleine Kasperlekönig furchtbar an zu weinen, er weinte so sehr, daß das gutherzige Marlenchen endlich sagte, einen Besuch könnten sie ja schließlich noch machen.

»Aber der alte Menschenkasper muß mitkommen,« riefen die Kasperles.

Die Prinzessin Gundolfine war zwar sehr entrüstet, daß sie für ein Kasperle gehalten wurde, aber neugierig war sie auch sehr. Also sagte sie, sie wollte mitgehen. Da wollte der gute Mister Stopps auch mitgehen, was der Prinzessin nicht recht war, sie machte ein Mäulchen und flugs machte jedes Kasperle ein Mäulchen, sie dachten, das wäre besonders lustig.

Mister Stopps war ganz traurig, aber das Kasperle sagte zu ihm: »Laß sie ziehen, vielleicht kommt sie nicht wieder, das wäre am besten.« Das war nun wieder arg frech von Kasperle.

Zuletzt fiel es aber der Prinzessin noch ein, Mister Stopps wäre ein guter Schutz und sie verlangte sein Mitgehen.

»Ich ging nicht,« brummte Kasperle.

Doch Mister Stopps ging auch mehr aus Neugier als aus Sorge um die Prinzessin mit.

Sie wurden alle vier drüben mit lautem Jubel empfangen, und dann ging es den bekannten Weg, nach Valrosa zu. Der König mit Kasperle und der Prinzessin Gundolfine voran; denn die hatte gesagt: »Ich bin eine Prinzessin, ich muß vorangehen.«

»Du sein meine liebe Braut, du mußt mit mich gehen,« rief Mister Stopps, aber davon wollte die Prinzessin nichts wissen. Sie stolzierte allen voran und König Tolu konnte ihr kaum folgen. So langten sie in Valrosa an und alle Kasperles verdrehten sich beinahe Augen und Hälse, weil alle die Prinzessin sehen wollten, die auch ein Kasperle war. Das fand die Prinzessin frech und sie schnitt solche Gesichter, daß die Kasperles kaum aus dem Lachen herauskamen. Auf einmal schrie das blitzdumme Kasperle: »Er muß sie heiraten!«

»Wer?«

»Bimlim die Menschenprinzessin.«

Das ging dem Kasperle doch über die Hutschnur. Er verdrehte fürchterlich seine Augen und schrie: »Ich stirbse.«

»Oh, stirbse nicht, mein Kahs – pärle,« schrie Mister Stopps erschrocken, »und die Prinzessin kannst du nicht heiraten, die heirate ich.«

»Nein, ich!« Und schwapp! fiel der Kasperlekönig vor der Prinzessin auf die Knie nieder und fragte: »Schöne Prinzessin, willst du mich heiraten?«

»Ach ja,« antwortete die Prinzessin etwas unüberlegt.

»So, nun bist du meine Frau,« rief Tolu, »denn bei uns Kasperles geht das Heiraten so geschwinde wie das Brezelbacken. Jetzt darfst du nicht mehr zu den Menschen zurück, jetzt mußt du bei uns bleiben.«

Da fing die Prinzessin furchtbar zu weinen an und Mister Stopps weinte auch, obgleich es ihm keinen rechten Spaß mehr machte, die Prinzessin zu heiraten.

»Schluß,« rief König Tolu, als die Prinzessin weiter klagte. »Jetzt bist du meine Frau und bleibst sie und nun ziehen wir in Valrosa ein. Voran, los, macht Musik!« und unter Bimmelbammelbimblimbim zogen alle in Valrosa ein und darin schrien alle: »König Bimlim soll leben und Prinz Tolu mit seiner Menschenprinzessin!«

Tolu ärgerte sich und der falsche Bimlim hatte ein mordsschlechtes Gewissen.

Auch tat Kasperle die Prinzessin leid, so ungut sie auch sonst war, jetzt war sie doch sehr traurig und Mister Stopps war ebenfalls traurig vor Mitleid. Der flüsterte leise Kasperle zu: »Du mußt sie befreien.«

»Immer soll ich jemand befreien,« brummte Kasperle, »wenn ich nur erst selbst wieder draußen wäre.«

Peringel

Im Kasperland mußten die Gäste die Schule sehen, denn weil Kasperle in eine Menschenschule gegangen war, wollten sie zeigen, daß sie auch so etwas hätten. In der Schule aber standen die Kinder alle auf dem Kopf, als die Gäste eintraten, das war Höflichkeit. Und nachher drehten sie dem Lehrer alle den Rücken zu, und wenn eins was hersagen mußte, dann schossen sie von rückwärts einen Purzelbaum und stuppten öfters dabei dem Lehrer an die Nase, das nahm der aber nicht übel.

In der Schule hatten sie gerade Geschichtenerzählen und ein Kasperlebübchen erzählte die Geschichte von Peringel, dem unnützesten aller Kasperles. Wer war Peringel, lebte er noch?

Das wußte niemand. Peringel war mit dem Prinzen Bimlim zu den Menschen gekommen und der König Tolu sagte: »Bimlim, kennst du ihn nicht mehr?«

Kasperle machte ein seltsames Gesicht. »Jawohl, ich erinnere mich seiner,« sagte er, »er war ein unnützer Kerl.«

»Ein sehr unnützer Kerl, der würde aufgehängt, wenn er wieder käme.«

»Warum?«

»Weil er Lachpulver verschossen hat und zwar in das Meer, da haben alle Fische angefangen zu lachen.«

»Sehr komisch,« rief auf einmal Mister Stopps, »schade, daß Peringel nicht mehr lebt, den möchte ich haben.«

»Wer weiß, vielleicht lebt er noch,« sagte Tolu, »Bimlim muß es wissen.«

»Er ist tot,« sagte Kasperle und machte ein furchtbar ernstes Gesicht.

»Oh, uie schade.«

Kasperle sagte nichts, aber in seinem Herzen war ein Türlein aufgesprungen, und er wußte auf einmal, daß er nicht Bimlim, sondern Peringel, der unnützeste aller Kasperles, war. Wenn das Tolu wüßte und die anderen?

Kasperle sehnte sich auf einmal fort aus Valrosa, aber er rief ganz lustig: »Ich will von Peringel hören. War er wirklich so unnütz?«

»Schrecklich unnütz, aber eigentlich mußt du ihn doch kennen, er ist mit dir ausgerissen,« sagte König Tolu wieder.

Ja freilich, Kasperle kannte Peringel schon, und auf einmal hörte er wieder einen alten Kasper sagen: »Du darfst nicht mit dem Prinzen ans Meer laufen,« und er war doch mitgelaufen, da waren er und Bimlim gefangen genommen worden.

Oh, Kasperle wußte das auf einmal ganz genau. Er brummte jedoch unwirsch: »Ich habe so viel schlafen müssen, darüber habe ich Peringel, den Schlingel, vergessen.«

Die Kasperles lachten über das Wort und der Lehrer erzählte von Peringel, dem Schlingel.

Ganz furchtbar unnütz war der gewesen, er hatte im Kasperland so viele dumme Streiche gemacht, daß man noch heute sagte: »So schlau wie Peringel.« Einmal hatte Peringel seinen Lehrer in das Bienenhaus gesperrt, da hatte der vor Angst, die Bienen könnten ihn stechen, so gekaspert, daß die Bienen alle vor Angst ausgerückt waren. Erst nach Monaten hatte man sie jenseits der Insel wieder eingefangen. Und gegessen hatte Peringel, man hätte es schon fressen nennen können.

»Uie Kahs – pärle,« sagte hier Mister Stopps.

Ei, das war nicht klug, Mister Stopps.

Auf einmal schauten alle Kasperles auf Bimlim und der König sagte: »Du bist am Ende gar nicht Bimlim, sondern Peringel.«

»Ich bin Bimlim,« schrie Kasperle.

»Du mußt das Mal zeigen!«

»An dem Tage, an dem ihr mich zum König wählen werdet, zeige ich es.«

Kasperle sah so bitterböse drein, daß alle Kasperles dachten: »Er ist doch Bimlim, sonst wäre er nicht so böse.«

»Weiter von Peringel,« schrie Kasperle, »mir dämmert’s, den habe ich gekannt. Hat er nicht einmal vor Königs Geburtstag eine ganze Speisekammer leer gefressen?«

»Ja, das hat er. Ganz und gar leer.«

»Und einmal hat er ein Loch in unsere Wasserleitung gestoßen, da wäre beinahe das ganze Kasperland ertrunken. Ja und dann hat er der Königin den falschen Zopf geangelt.«

»Wie Kasperle,« schrie die Prinzessin Gundolfine.

Da schrie sie Kasperle wütend an: »Wenn du nicht still bist, mußt du im Kasperland bleiben.«

»O Kasperle, hilf mir.«

»Jetzt ist genug von Peringel, dem Schlingel, geredet, jetzt wollen meine liebe Frau und ich essen,« schrie der König.

»Ich bin nicht deine liebe Frau,« schrie Gundolfine.

»Doch das bist du und bleibst du!«

»Nein,« schrie auf einmal Kasperle, »Tolu, ich will dir ein schreckliches Geheimnis sagen, aber dir allein, ganz allein.«

Tolu dachte: »Er wird mir sagen wollen, daß er die Prinzessin heiraten will, aber dann lasse ich ihn in das Kasperlegefängnis stecken, das leide ich nicht.« Er kletterte aber doch mit Kasperle in eine Wiege, denn nur dort wollte Kasperle ihm sein Geheimnis sagen.

Als sie oben waren, fing aber das unnütze Kasperle schrecklich zu lachen an.

»Warum lachst du?«

»Ich denke an Peringel, den Schlingel.«

»Warum?«

»Weil der einmal sämtliche Wiegen durchgesägt hat, und alle Kasperles sind auf die Erde gefallen.«

»Das weißt du noch?«

»Wie du hörst.«

»Weißt du was, du bist Peringel und nicht Bimlim.«

»Ich bin Bimlim, und wenn du noch ein Wort sagst, dann verrate ich dir mein Geheimnis nicht.«

»Was ist denn das für ein Geheimnis?«

»Die Prinzessin ist eigentlich ein Tiger.«

»O jemine.«

»Ja und sie heiratet nur, um die Männer fressen zu können.«

»Brrrr.« Tolu schüttelte sich. »Ist nicht wahr,« rief er.

»Ist doch wahr.«

»Bestimmt?«

»Mich hätte sie doch auch beinahe gefressen, und den guten Mister Stopps frißt sie ganz gewiß.«

»Das ist ja schrecklich.«

»Ja, sehr schrecklich.«

»Ich glaub’s aber nicht.«

»Du wirst es schon glauben.«

Kasperle sah ein, es war nicht so leicht, einem Kasperle etwas vorzuflunkern, und er geriet ordentlich in Schweiß vor Angst, denn die Prinzessin mußte er retten, das stand fest, und Tolu sagte eigensinnig: »Ich behalte sie doch.« Sie kehrten nun zu den anderen zurück, und der armen Prinzessin wurde es himmelangst als Tolu sagte: »Du bist meine Frau und bleibst meine Frau!«

Da gab es ein leises Geraschel unter der Prinzessin ihrem Kleid, und Kasperle sagte mit der unschuldigsten Miene von der Welt: »Nur eine Maus.« Auf der Kasperle-Insel gab es gar keine Mäuse, und die Kasperles wußten nicht, warum die Prinzessin auf einmal so schrecklich schrie. Ganz unheimlich wurde es ihnen, und Kasperle sagte: »Sie ist ja auch ein Tiger.«

»Ich bin kein Tiger, das ist frech,« und husch! fuhr die Prinzessin Kasperle in die Haare.

»Sie ist ein Tiger, ein Tiger,« schrien die Kasperles entsetzt und rissen aus. Am allereiligsten hatte es König Tolu. Kasperle rannte ihm nach, aber König Tolu dachte, die Prinzessin wäre es und schrie: »Sie frißt mich, sie frißt mich!«

Die Prinzessin war starr, so ein Davongerenne hatte sie noch gar nicht gesehen. Auch Mister Stopps staunte. Auf einmal waren alle Kasperles verschwunden, oben aus den Wiegen sah man sie hervorgucken.

»Macht, daß ihr wegkommt,« sagte Kasperle. Der sah noch im Sande etwas liegen, es war König Tolus goldene Lachpulverdose. Er hob sie auf und steckte sie ein. Da hatte er wenigstens ein Andenken an die Kasperle-Insel. Er wußte nicht, daß ein König, der die Dose verliert, dem Tode verfallen war auf der Kasperle-Insel.

Kasperle blieb stehen. Die Prinzessin, Marlenchen und Mister Stopps rannten dem Meere zu, denn ihnen war etwas unheimlich geworden.

Kasperle aber schrie, als sie fort waren: »König Tolu, komme her, ich habe dir etwas zu sagen.«

»Meine Dose,« schrie in dem Augenblick König Tolu. Da sah er die Dose in Kasperles Hand und er kam angelaufen und alle Kasperles hinter ihm her. Das war dem sehr unangenehm, er drehte sich daher um und befahl: »Keiner darf einen Schritt weiter gehen, ich habe mit Bimlim im geheimen zu reden.«

»Das ist gut,« dachte Kasperle, »dann sage ich es gleich, daß ich nicht Bimlim bin, sondern Peringel, der Schlingel.«

Er lachte und König Tolu dachte, »er freut sich, weil er die Dose hat und nun König geworden ist.« Er kam ganz zaghaft näher und Kasperle wunderte sich. Er dachte, König Tolu fürchtet sich noch vor der Prinzessin, und er rief darum tröstend: »Habe keine Angst, sie beißt dich nun nicht mehr.«

Aber Tolu hatte über den Verlust der Dose die Prinzessin ganz vergessen. »Meine Dose,« flüsterte er leise, als er vor Kasperle stand.

»Gehört die Dose dir?« fragte Kasperle ganz laut.

»Still, still, sonst töten sie mich, wenn sie merken, daß ich die Dose verloren habe.«

»Und mich, wenn sie merken, daß ich Peringel bin,« entfuhr es Kasperle.

Da standen die beiden Schelme, sahen sich an und lachten dann auf einmal laut auf, denn sie fanden sich selbst ungeheuer komisch.

»Du bist nicht Bimlim?«

»Und du hast deine Königsdose verloren?«

»Gib sie mir wieder.«

»Wenn du uns nicht verfolgst.«

»Ich verspreche es.«

»Aber ich traue dir nicht.«

»Du mußt nicht so mißtrauisch sein.«

»Komm mit nach dem Schiff, dort gebe ich dir die Dose zurück.«

»Und die Prinzessin?«

»Nä, die kriegst du nicht, die kriegt Mister Stopps.«

»Ich denke, sie frißt ihn.«

Da lachte Kasperle und der König drohte: »Peringel, du gingst als Schlingel und kehrst als Schlingel zurück.«

»Nun komm, wir purzelbaumen ans Meer.« Sie purzelbaumten nun einträchtig neben einander her, aber Kasperle konnte es besser als der König und so kam er eher an das Meer. Dort standen schon Mister Stopps, die Prinzessin und Marlenchen, und Kasperle mußte ein Späßlein machen, er rief: »Prinzessin, der Kasperlekönig holt dich!«

Himmel, erschrak da die arme Prinzessin. Sie wurde ganz grün vor Schreck. »Nun stirbst sie,« klagte Mister Stopps.

»Stirbse nicht,« tröstete Kasperle, »er will dich gar nicht, er denkt, du bist ein Tiger, ich hab’s ihm gesagt.«

»O Kasperle, was für ein Strick bist du,« murmelte die Prinzessin. Der war der Schreck so in die Glieder gefahren, daß sie nicht einmal mehr schelten konnte. Sie war aber heilfroh, daß Tolu sie nicht mehr heiraten wollte. Dann wollte sie schon lieber Frau Stopps werden, als immer unter Kasperles zu leben.

Tolu bekam seine Dose, er nahm Abschied und versprach, kein Kasperle würde mehr kommen, um die Lachkanone abzuschießen. »Uie schade,« rief Mister Stopps, und dann, als er hörte, daß Lachpulver in der Dose wäre, bot er Tolu viel Geld, wenn er ihm ein bißchen abgeben könnte. Aber der wollte nicht, nur einmal riechen durfte Mister Stopps, und er roch so gewaltig, daß er danach drei Stunden lachte und die Prinzessin schon Angst bekam, er würde nie mehr aufhören.

Kasperle aber stieg nach einem zärtlichen Abschied von Tolu auf das Schiff und rief stolz: »Ich heiße Peringel!«

»Du Schlingel,« rief die Prinzessin.

»Schlingel ja, aber doch gut, daß er mitgeht,« meinte Herr Severin, und das sagten alle.

Kasperle denkt nach

Kasperle lag unter einem Palmenbaum, streckte beide Beine in die Luft und ließ sich die Sonne auf die Nase scheinen, was diese auch gründlich tat. Die kleinen, schmalen Blätter des Palmenbaumes vermochten vor den Sonnenstrahlen nicht zu schützen, die sich Kasperles große Nase zum Zielpunkt nahmen.

Eino, der Gärtnerbursche, stand vor Kasperle, als der so mit seinen Beinen in der Luft herumfuchtelte, und fragte: »Was machst du?«

»Ich denke nach.«

»Worüber denn?«

»Wie’s früher war.«

»Was denn früher?«

»Dummkopf!«

»Bist selbst einer, Kasperle, das stimmt.«

»Nä, du bist einer!«

Doch mit dieser Bezeichnung war Eino nicht einverstanden, er drohte: »Kasperle, ich werfe dich in den Springbrunnen!«

»In den kann ich allein gehen.« Und hoppla-hopp! purzelbaumte Kasperle über Eino hinweg – pardauz – lag er im Springbrunnen. Der war kühl und erfrischte Kasperle. Dann sprang er wieder aus dem Brunnen, lief zu seinem Palmbaum zurück, dabei schüttelte er sich wie ein Spatz nach einem Regenguß und spritzte Eino ganz naß.

Der mußte lachen: »Du bist ein Strick, ich werd’s Mister Stopps sagen.«

»Meinetwegen,« brummte Kasperle. »Nun störe mich nicht, ich muß nachdenken.«

»Erzähl‘ mir, an was denkst du?« Eino war neugierig wie eine Elster, denn wenn Kasperle nachdachte, kam meist nachher ein Streichlein heraus, und Eino hatte Kasperles Streichlein gern. Er mochte überhaupt das Kasperle gut leiden, und er paßte auch immer auf das Kasperle auf, weil dessen Besitzer, Mister Stopps, gesagt hatte: »Kahspärles reißen manchmal aus. Paß auf ihn auf, Eino!«

Kasperle mochte aber keinen Aufpasser leiden, darum fuhr er jetzt Eino mit seinem rechten Bein an die Nase und als der schrie: »Laß das!« kriegte er auch einen Nasenstüber mit dem linken Bein. »Schwippdiwipp, der war nicht von Pappe,« sagte Bob, der gerade dazu kam. Bob war Mister Stopps Diener und Kasperles guter Freund. Als Bob jetzt kam, klagte Kasperle ärgerlich: »Eino langweilt mich.«

»Er denkt nach,« rief Eino, »da wird er wieder ein Streichlein machen wollen.«

»Ja,« Kasperle nickte, »ich fall dir heute abend in dein Essen.«

»Lieber nicht.«

»Doch, ich falle.«

»Ich sag’s Mister Stopps.«

»Dann bin ich böse.«

»Warum?«

»Darum.«

»Dumm, dumm.«

Eino war wütend. Und weil er ohne dies Bob nicht leiden konnte, lief er davon. Bob aber sagte: »Kasperle, an was denkst du?«

»An Marlenchen und an Herrn Severin und Frau Liebetraut, an Rosemarie und Michael, an Mutter Annettchen, an Vater Friedolin, an –« *

»An alle, die du lieb hast?«

»Ja.« Auf einmal sah Kasperles Schelmengesicht tief traurig aus und Bob merkte, daß Kasperle wieder einmal Heimweh hatte. Denn wenn Kasperle nachdachte, kam nicht immer ein Streichlein heraus, sondern manchmal auch Heimweh. Bob tröstete: »Du wirst sie bald wiedersehen.«

»Nein,« schrie Kasperle und machte ein bitterböses Gesicht, »er erlaubt es nicht.«

»Er« war Mister Stopps, ein reicher Engländer, der Kasperle vor zwei Jahren für zwei Millionen in Torburg gekauft hatte. Von dem Geld war die kleine Stadt Torburg nach einem großen Brande wieder neu aufgebaut worden. Und aus Torburg schrieben immer wieder die guten Freunde: »Kasperle, komm doch und sieh, wie schön es bei uns geworden ist. Kasperle, hast du nicht bald Ferien? Mister Stopps hat doch versprochen, dir Ferien zu geben.«

Das war es eben, versprochen hatte Mister Stopps wohl die Ferien, aber er gab sie Kasperle nicht. Mister Stopps war ein wunderlicher Herr, er konnte sehr gut sein, wenn er wollte, aber er wollte nicht immer. Manchmal wollte er gar nicht, dann war er so verdrießlich, als wäre sein Großvater ein Brummbär gewesen. Das Kasperle hatte er sehr lieb, und aus lauter Liebe war er eifersüchtig auf jeden, den das Kasperle gern hatte. Er dachte immer, Kasperle würde ausreißen, weil er ihm das Versprechen mit den Ferien nicht hielt, aber das wollte er nicht halten, weil er eifersüchtig auf alle Torburger war. Am liebsten hätte er das Kasperle in einen Glasschrank gestellt und nur zum Spaßmachen herausgenommen.

Bob wußte das wohl, auch daß Mister Stopps das mit den Ferien nur gesagt hatte, um Kasperle zu trösten. Aber Kasperle schrie wütend: »Er gibt mir keine, er ist schlecht, er hält sein Wort nicht!«

»Aber Kasperle!« rief Bob.

»Ja, schlecht, schlecht!« schrie Kasperle und machte sein allerbitterbösestes Räubergesicht, »ich kann ihn nicht leiden.«

»Uen kannst du nicht leiden?«

Ein langer Schatten fiel über Kasperle hinweg. Himmel, Mister Stopps war es, der die Frage tat.

»Dich kann ich nicht leiden,« schrie das wütende Kasperle.

»Aber du sein ein böses Kahspärle.«

Mister Stopps war böse, Kasperle aber war noch viel böser, er sah aus wie Mister Stopps an Schlechtelaunetagen. »So bist du!« schrie er.

»Aber Kasperle!« mahnte Bob. Der dachte, es gehe nicht gut aus. Und es ging auch nicht gut aus.

Mister Stopps wurde wütend. Sehr böse. Und Kasperle sollte Streiche bekommen, der jedoch meinte, eigentlich hätte Mister Stopps die Strafe verdient, denn wenn einer nicht Wort hielte, müsse er bestraft werden. Mister Stopps dachte aber gar nicht daran, sich selbst zu bestrafen, sondern rief: »Oh Kahspärle, du sein böse, wirst eingesperren.«

»Nä,« rief Kasperle, »ich will nicht.«

»Aber ich uill. Bob, sperren ihn ein!«

»Nä,« schrie Kasperle und – heidi hoppsasa! purzelbaumte er über Mister Stopps hinweg und – – weg war er.

»Er sein ausgerissen,« schrie Mister Stopps erschrocken. »Uo ist er?«

»Weg.« Bob sah sich um und um, er sah Kasperle nicht mehr. Auf einmal aber hörte er etwas plätschern, da dachte er: »Der liegt im Springbrunnen.« Da sagte er, um den kleinen Schelm vor dem Eingesperrtwerden zu retten, flink zu Mister Stopps: »Ich denke, Kasperle ist im Haus.«

Mister Stopps wollte gerade dorthin eilen, als Eino kam. Und Eino war ein Verräter und schrie: »Kasperle liegt im Springbrunnen.«

Da lag er auch wirklich drin und Mister Stopps rief erschrocken: »Oh, er sein ertrinkt!«

»Ja, ich bin ertrinkt!« schrie Kasperle aus dem Brunnen heraus mit einer wahren Bärenstimme, wie einer sicherlich nicht schreit, der ertrunken ist.

»O Kahspärle, du sein schlimm.«

»Du auch,« brummte Kasperle. Da war es gut, daß plötzlich der Briefbote kam und meldete, er habe einen Brief für Mister Stopps. Da vergaß dieser, daß Kasperle eingesperrt werden sollte. Kasperle stieg patschnaß aus dem Springbrunnen und schüttelte sich da, wo Eino stand. Da wurde auch der wieder patschnaß. Mister Stopps nahm den Brief von dem Briefträger entgegen, aber auf einmal sah er ungemein nachdenklich aus, und Kasperle, der schon wieder die ihm zugedachte Strafe vergessen hatte, kam ganz nahe an Mister Stopps heran, reckte und streckte neugierig seine Nase hoch und schrie: »Vom Michele?«

Der Brief war wirklich von dem berühmten Geiger Michael, Kasperles Freund, und Mister Stopps erschrak gewaltig darüber, daß Kasperle das herausbekommen hatte.

»Du sein neugierig, Kahspärle,« sagte er streng.

»Der Brief ist für mich,« schrie Kasperle.

»Nein, für mich.«

»Ich will ihn lesen.«

»Du sein frech.«

»Ich will ihn lesen.« Kasperle machte wieder ein bitterböses Gesicht, und Mister Stopps schrie wieder: »Du uirst eingesperren!«

Hoppla-hopp! Mister Stopps saß auf einmal auf dem Rasen und Kasperle verschwand im Hause.

»Suchet ihn, er soll eingesperren uerden,« rief Mister Stopps ganz wütend. – Weg war Kasperle.

Alles Suchen half nichts, Kasperle war nirgends zu finden. Bob und Eino suchten überall; Eino wollte sogar die Speisekammer durchsuchen, aber das litt die alte Haushälterin Angela nicht, die sagte: »Den Schlüssel habe ich in der Tasche, da kommt mir keiner rein.«

»Aber Kasperle.«

»Kasperle hin, Kasperle her, durch das Schlüsselloch kann er nicht kriechen.«

»Nein, das kann er nicht. Komm, Eino, wir sehen auf dem Boden nach,« sagte Bob lachend. Er wußte ganz genau, wo Kasperle war, aber er verriet den kleinen Schelm nicht. Und die alte Angela tat es auch nicht. Die holte ihren Speisekammerschlüssel aus der Tasche und redete in die geöffnete Kammer hinein: »Sei nur recht ruhig, Kasperle, du wirst überall gesucht, und wenn du hungrig bist, kannst du etwas essen.«

Na, das hätte sie dem Schelm nicht zu sagen brauchen. Der hatte schon einen halben Kuchen aufgegessen und platzte beinahe.

Während Mister Stopps in jeden Schrank, in den Waschtisch und unter jedes Bett schaute, ob Kasperle da nicht steckte, saß Kasperle ganz ruhig in der Speisekammer und dachte wieder nach. Er dachte an den Brief vom Michele, den er himmelgern gelesen hätte. Was mochte wohl darin stehen? Gewiß, daß er in den Ferien auf Rosemaries Schloß kommen sollte, oder sonst etwas Schönes.

Wie Kasperle so nachdachte, sah er auf einmal ganz oben an der Decke eine kleine Tür. Wohin führte die? Das mußte Kasperle untersuchen, denn geheimnisvolle Türen öffnete er gar zu gern. Er kletterte also flink auf ein großes Speiseregal, auf dem lauter Büchsen mit guten Dingen standen. Daß etliche davon herunterfielen, kümmerte Kasperle nicht viel. Eins – zwei – drei war er oben, saß auf dem höchsten Brett des Regals und sah, daß er von da gerade das Türchen aufmachen konnte. Er tat es, kletterte in die Öffnung hinein und sah – ja wohin sah Kasperle?

Den Raum kannte er doch.

Es war das Gefängnis, in das Mister Stopps Kasperle immer sperrte, wenn er unnütz gewesen war. Und darin stand Mister Stopps selbst.

Kasperle wäre vor Schrecken beinahe durch die kleine Türe gefallen, aber glücklicherweise sah weder Mister Stopps noch Bob das Kasperle. Mister Stopps sagte gerade: »Also, uenn du ihn findest, sperrst du ihn gleich ein. Ich geh‘ schlafen, ich bin von die Angst zu angegrifft.«

Damit ging er aus dem Gefängnis, und Bob folgte ihm und keiner sah das Kasperle. Das kletterte wieder zurück, warf dabei wieder etliche Büchsen und Einmachgläser um und kam so glücklich unten in der Speisekammer an.

Da saß nun Kasperle wieder und dachte weiter nach: Er mußte den Brief lesen, das mußte er! Aber wie sollte er zu dem Brief gelangen?

Wo hatte den Mister Stopps verborgen?

Das Kasperle wurde ganz trübsinnig vor lauter Nachdenken. Da hörte er auf einmal Bob in der Küche sagen: »Nun könnte Kasperle wieder zum Vorschein kommen, Mister Stopps schläft.«

Da war Kasperle draußen, stand auf einmal in der Küche wie aus einer Pistole geschossen.

»Ich dachte es mir doch!« Bob lachte. »Kasperle,« drohte er, »wenn Mister Stopps mal merkt, daß du immer in der Speisekammer steckst, dann wird es schlimm.«

Aber seit Kasperle gehört hatte, daß Mister Stopps schlief, hatte er keine Angst mehr, auch nicht, als Bob sagte: »Ich muß dich nachher einsperren.«

»Tu’s nur.« Kasperle lachte, denn das Schlüsselein zum neuentdeckten Türchen klapperte in seinem Hosensäcklein herum. Das bedeutete Freiheit.

»Kasperle, du hast ein Dummheitle im Sinn,« sagte Bob.

Kasperle machte ein unschuldiges Bubengesicht, aber Bob sah doch, wie seine Äuglein glitzerten. Da mahnte er: »Mach’s nicht gar zu schlimm, sonst wird Mister Stopps ganz wütend, du weißt –«

Oh je, Kasperle wußte. Wenn Mister Stopps ganz wütend war, dann war mit ihm kein gutes Auskommen, und Kasperle liebte ihn dann ganz und gar nicht. »Nun geh‘ und mache keinen Lärm, jetzt lasse ich dich noch frei, aber versprich mir, daß du dich nicht wieder versteckst und zum Vorschein kommst, wenn Mister Stopps ausgeschlafen hat,« sagte Bob.

Das versprach Kasperle. Und dann kugelte er zur Küche hinaus.

Ach, Bob ahnte gar nicht, wie unnütz das Kasperle sein konnte.

* Anmerkung: Wer von allen den Personen, die Kasperle kannten und ihn lieb hatten, hören will, muß die vier ersten Bände: »Kasperle auf Reisen«, »Kasperle auf Burg Himmelhoch«, »Kasperls Abenteuer in der Stadt« und »Kasperles Schweizerreise« lesen.

Sturm

Und der Sturm kam.

Erst schwankte das Schiff nur etwas hin und her.

Das wurde heftiger und heftiger und auf einmal tanzte das Schiff wie ein Kinderkahn auf dem Wasser.

Blitze zuckten, Donner krachten.

Der Sturm toste, daß niemand den andern verstehen konnte. Und allen wurde es himmelangst in ihren Kabinen.

Jedes legte einen Rettungsgürtel um, und damit krochen sie in den Speisesaal zurück. Gehen konnte niemand mehr, so sehr schwankte das Schiff.

Im Speisesaal trafen sich alle.

Auch Mister Stopps kam mit der Prinzessin, von Kasperle geführt. Ja, Kasperle führte. Kasperle war der einzige von den Passagieren, der sich auf seinen eigenen Beinen halten konnte. Auf einen Purzelbaum kam es dem Kasperle nicht an. Und als die Prinzessin klagte, ihr wäre so übel, purzelbaumte Kasperle in die Küche, er wußte, wo der dicke Koch seinen Kirschgeist aufbewahrte. Den holte er. Es war übrigens gut, daß er wußte, wo die Flasche stand, denn der Koch lag am Boden und wollte sterben. Kasperle hatte Mitleid mit ihm und gab ihm auch Kirschwasser zu trinken, gleich aus der Flasche, das focht Kasperle nicht an.

Und der Koch trank und sagte, nun würde ihm besser. Kasperle wäre doch ein ganzer Kerl.

Mit diesem Lob und dem Kirschwasser kam Kasperle zurück, und die Prinzessin trank auch aus der Flasche, und als sie getrunken hatte, sagte sie: »Das tut gut.«

»Ja,« Kasperle nickte, »das hat der Koch auch gesagt, als er getrunken hatte.«

»Hat der auch aus der Flasche getrunken?«

»Ja, freilich.« Kasperle fand das gerade nicht schlimm, aber die Prinzessin wäre beinahe böse geworden. Doch nur beinahe.

So ein Sturm ist wunderlich.

Auf dem Schiff warf er alles durcheinander und in den Menschen warf er auch alles durcheinander. Bei Herrn Severin, Frau Liebetraut, Rosemarie und Michele konnte der Sturm nicht viel durcheinander werfen. Da war alles so wohl geordnet und festgestellt, daß keine Todesangst alles durcheinander strudeln konnte. Auch bei Marlenchen nicht, das war ein reinliches Herzstübchen, in das der Sturm gar nicht hineinfegte. Beim Prinzlein gab es Hochmutsgedanken durcheinander zu wirbeln, aber bei der Prinzessin Gundolfine und Mister Stopps fuhr der Sturm recht hindurch und kehrte das Unterste zu oberst.

Die Prinzessin dachte an ihre vielen üblen Launen und Mister Stopps hätte viel darum gegeben, wenn er das Kasperle nicht belogen hätte.

Ja und Kasperle, wie sah’s in dem aus?

Kasperle hatte keine üble Laune zu beklagen, nur ein Streichlein tat ihm leid, das war die Seife, über die am Mittag die Prinzessin ausgeglitscht war.

Die bedrückte ihn. Er rückte auf einmal ganz dicht an die Prinzessin heran und bat: »Du, sei nicht böse.«

»Wegen was denn?«

»Wegen der Seife.«

Huppla-hupp! machte das Schiff und die Prinzessin stöhnte ganz sanftmütig: »Ach mein gutes Kasperle du.«

Das hatte sie noch nie gesagt.

Dazu mußte ein Sturm kommen.

Und wie der toste.

Manchmal hielt er den Atem an, dann dachten die geängstigten Menschen, er läßt nach, aber gleich darauf erhob sich ein Brausen und Pfeifen, ein Rollen und Heulen, ganz furchtbar.

Im Speisesaal lagen die Menschen alle lang auf dem Fußboden, aufrechtsitzen war nicht möglich.

Einmal kam Piet und fragte: »Leben Sie noch?«

Als alle »ja« sagten, erzählte er gemütlich: »Nun sind wir bald an deiner Insel, Kasperle, dann fallen wir alle ins Meer.’«

»O je!«

Kasperle dachte, ich muß mal Spaß machen, damit alle ein bißchen lachen, da wird es ihnen besser werden. Also fing er an, Gesichter zu schneiden, und die Prinzessin rief: »Nun wird auch noch Kasperle seekrank.«

»Ich mache doch nur Spaß!«

Aber da merkte er, daß zum erstenmal niemand über ihn lachte. Selbst Mister Stopps stöhnte: »Oh, ich kann nicht lachen. Mich ist es so schlecht.«

Mir, wollte die Prinzessin verbessern, aber – hupp – machte das Schiff, da ließ sie es bleiben.

Und immer toller brauste der Sturm.

Ein Mastbaum war schon zersplittert, just der, in dessen Korb Kasperle gesessen hatte. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, kollerte auf dem Schiff durcheinander, und der Kapitän dachte, wir kommen nicht lebendig aus diesem Wirrsal heraus. Wenn es wenigstens bei Nacht aufhörte!

Aber es hörte nicht auf.

Ja, es wurde gegen Abend schlimmer. Die Menschen waren ganz verzweifelt, als sie nun in der Nacht in dem dunklen Speisesaal lagen. Licht durfte der Feuersgefahr wegen nicht gebrannt werden.

»Ach,« seufzte auf einmal die Prinzessin, »die Bretter krachen schon, das Schiff bricht auseinander. Hörst du es, Marlenchen?«

Marlenchen hörte es wohl. Sie schrie aber ganz vergnügt: »Das ist ja Kasperle, der schnarcht.«

Kasperle verschlief den Sturm. Er schlief wie ein Rätzlein. Risselrassel ging das immerzu die ganze Nacht hindurch.

»Ach,« seufzte und stöhnte die Prinzessin, »wer so schlafen könnte!«

»Dazu müßte man schon ein Kasperle sein,« meinte Herr Severin. »Aber mir scheint, der Sturm läßt nach.«

Er ließ auch wirklich nach.

Um Mitternacht änderte sich das Wetter und es wurde klar.

Am Morgen lag die See glatt und ruhig da und nichts erinnerte an den Sturm der Nacht.

Nur auf dem Schiff sah es wüst aus. Ein Mast zerbrochen, Segel zerfetzt, Planken abgerissen, es war ein Wunder, daß kein Mann über Bord gefallen war.

Aber der Kapitän sah noch immer sehr sorgenvoll aus. Der Sturm hatte freilich nachgelassen, aber das Schiff war von seinem Kurs abgekommen, und der Kapitän fürchtete, es könnte auf einem Riff auflaufen.

Er stand im Speisesaal, um endlich einmal nach den schweren Stunden auszuruhen, als Kasperle erwachte.

Der gähnte und sah sich verdutzt um und fragte ganz erstaunt: »Es ist doch so ruhig?«

»Ja freilich, der Sturm ist vorbei.«

»Hunger,« schrie Kasperle. Er dachte, nun kann man endlich wieder ans Essen denken.

Die Prinzessin wollte etwas sagen, aber in ihrem Herzen war alles so durcheinandergeweht, daß sie kein böses Wort fand. Sie sagte ganz sanftmütig: »Mein Kasperle muß etwas zu essen haben.«

» Mein Kahspärle!« rief Mister Stopps eifersüchtig.

» Mein Kasperle.«

Da war der Streit wieder aufgewacht und Herr Severin sagte: »Komisch, kaum ist die Gefahr vorüber, dann streiten sich die Menschen wieder.«

Da schämten sich die andern und Mister Stopps sagte: »Uir uollen nicht zanken. Ich habe Kahspärle gekaufen für zwei Millionen, geben Sie mich die, ich uerde Sie geben Kahspärle.«

»Zwei Millionen. Ich glaube,« sagte die Prinzessin, »so viel hat niemand von uns.«

»Also behalte ich mein Kahspärle.«

Mister Stopps war sehr zufrieden. Die Prinzessin war es nicht, aber sie sah ein, daß Mister Stopps ein Recht hatte, von seinem Kahspärle zu sprechen.

Also schloß sie mit Mister Stopps Frieden, und beinahe hätte nun Kasperle etwas zu essen bekommen. Da erscholl aber draußen ein lautes Rufen. »Oiho, oiho, oiho! Land, Land!«

Alle rannten aufs Deck hinauf. Das hungrige Kasperle voran.

»Meine Insel!« schrie er.

War’s wirklich Kasperles Insel, was da im Meere auftauchte?

»Ja, sie ist’s,« sagte Piet.

»Unsinn,« schrie der Kapitän.

»Meine Insel!« Kasperle schrie und hoppste wie besessen. »Er muß essen, dann wird er ruhiger,« sagte Frau Liebetraut.

»Uir uollen alle essen. Uenn das Kahspärles Insel ist, müssen uir gegeßt haben,« meinte Mister Stopps.

Da der Kapitän sagte, das Schiff würde an der Insel vorbeifahren, dann könnte man ja sehen, was es wäre, gingen alle in den Speisesaal, um zu essen.

So eine Sturmnacht macht hungrig.

Kasperle wollte gerade ein riesengroßes Stück Braten in den Mund stecken, als es einen fürchterlichen Krach gab.

Und Prinzessin, Braten, Brot, Mister Stopps, Marlenchen, Kellner, Schüsseln, alles kugelte und purzelte durcheinander.

Was war geschehen?

An Bord ein lautes Rufen und Schreien: »An die Pumpen, an die Pumpen!«

Das Schiff war auf ein Riff aufgefahren.

Eine Stunde furchtbarer Angst verging.

Dann stellte es sich heraus, daß das Schiff nicht sehr beschädigt war und in kurzer Zeit wieder flott gemacht werden konnte.

»Ein paar Tage werden wir festliegen,« meinte der Kapitän, »aber ich hoffe, wir kommen los. Schwer ist’s freilich, wenn ich nur wüßte, wo wir sind. Die Inselgruppe ist mir ganz fremd.«

»Es ist die Kasperle-Insel,« schrie Piet.

»Ach, Unsinn!«

»Doch, sie ist’s.«

»Meine Insel!«

Kasperle wäre am liebsten über Bord gegangen, aber der Kapitän befahl, man sollte ihn festbinden, so ein Quirlzeug könnte man jetzt nicht auf dem Schiff gebrauchen.

Na, so eine Beleidigung!

»Es ist doch meine Insel!«

»Ja, es ist die Kasperle-Insel!«

»Wo sind denn eigentlich die Kasperles?« höhnte der Kapitän.

»Da,« Piet streckte die Hand aus.

Auf der Insel, der man nun ganz nahe war, zeigten sich wirklich ein paar Gestalten. »Es sind Wilde,« rief der Kapitän, »Vorsicht, sie wollen ihre Pfeile abschießen!«

»Es sind Kasperles!« rief Piet.

»Unsinn, es sind Wilde!« Des Kapitäns Stimme klang böse.

»Vorsicht, sie schießen!«

Die merkwürdigsten Dinge geschehen

Die Wilden machten wirklich Anstalten zu schießen. Sie hatten merkwürdigerweise sogar eine Kanone. Deren Mündung richteten sie auf das Schiff und die Seefahrer starrten entsetzt darauf.

»Sie schossen!« Mister Stopps jammerte, als ob er schon angeschossen wäre. Er warf sich lang auf den Boden und der Kapitän sagte, das sollten alle tun. »Sie werden nicht schießen.« Er ließ eine weiße Flagge aufhissen zum Zeichen der friedlichen Gesinnung, aber auf einmal gab es einen Blitz, einen Knall, und über das Schiff hinweg zog eine rosafarbige Wolke und hüllte alle in ihren Dunst.

Die noch nicht gelegen hatten, fielen um, und ein paar Minuten lagen alle stumm und steif da und man konnte meinen, sie wären tot. Sie waren aber kein bißchen tot, sondern sehr lebendig. Zuerst hob Piet die Nase, schnüffelte in der Luft herum und brummte: »Wie das riecht!«

Da lachte der Schiffsjunge Jörg hell auf und Piet schalt nicht, sondern lachte herzhaft mit.

Der Kapitän aber wollte schelten, doch, als er es tun wollte, kam ihn unversehens das Lachen an. Und er lachte so laut und schallend, daß ihn Kasperle ganz verwundert ansah. Da kicherte Marlenchen neben ihm: »I – i – i – ich weiß nicht, es i – i – ist so ko – ko – komisch.«

Rrrrr – ging es wie ein Sägewerk, und auf einmal lachte Mister Stopps, wie er noch nie gelacht hatte. Seine Beine fuchtelten dabei in der Luft herum wie zwei Pumpenschwengel.

Und hihihihi, hahahaha, hohohoho, huhuhuhu ging es nun los auf dem Schiff in allen Tonarten. Hoch und tief lachte es. Selbst die Prinzessin Gundolfine kicherte ohne Aufhören, und Mister Stopps rief: »Sie haben mit La – Lachpu – pulver gescho – sch – –«

»Ge – scho – scho – scho –«

»Geschossen,« wollte die Prinzessin verbessern, sie brachte aber das Wort vor Lachen nicht heraus.

Der Kapitän wollte »Unsinn« rufen, er rief aber immer nur »Un – un – un«.

Nur einer lachte nicht: Kasperle.

Auf den hatte der sonderbare Schuß keine Wirkung gehabt, ja eine Traurigkeit, die dem lustigen Kasperle sonst fremd war, war über ihn gekommen, und das Heulen war ihm näher als das Lachen.

»I – i – ich kann nicht m – m – mehr.« Die Prinzessin hatte schon Schmerzen vor Lachen, alles tat ihr weh.

»Haste Bauchschmerzen?« fragte Kasperle.

»I – i – i – ich sterbe,« stöhnte sie lachend.

»I – i – i – ich sterbe auch,« schrie Mister Stopps.

»I – i – i – ich bin schon tot,« klagte Piet.

»I – i – ich sterbe bald,« jammerte Marlenchen, »hihihihi, ist das komisch.«

»Eine hei – hei – heillose Ge – ge – geschichte,« rief der Kapitän, »sie haben ge – ge – ge – –«

»Ge – ge – geschoßt,« half Mister Stopps.

Selbst der ernste Herr Severin, Frau Liebetraut und Michele lachten, nur die Gräfin Rosemarie nicht, die hatte in der Kabine einen warmen Schal holen wollen und war verschont geblieben.

Die sagte jetzt zu Kasperle: »Kasperle, wir beide wollen weinen, vielleicht hilft das.«

Da setzten sich die beiden hin und weinten, und es wurde ihnen gar nicht sehr schwer, sie waren alle beide im Herzen tieftraurig über das allgemeine Lachen. Kasperle heulte wie ein Wolf, und was Kasperle tat, steckte an. Marlenchen begann am ersten zu weinen, dann Mister Stopps, der klagte sogar dabei: »Das Lachen war so gut.«

»Hm hm sehr, aber recht an – anstrengend,« schluchzte die Prinzessin, und »– Ka – ka – kasperle hör‘ auf, ich muß nun w – w – weinen.«

Sie lachte und weinte durcheinander und so ging es den andern auch, sie lachten und weinten durcheinander, bis das Weinen siegte. Da saßen sie alle auf dem Schiff und heulten, daß das Schiff beinahe wieder ausgepumpt werden mußte.

»Hör‘ nun auf, Kasperle,« sagte Rosemarie, »ich glaube, sie sind geheilt.«

Und sie waren wirklich geheilt. Der Schiffsjunge und der Kapitän, die weinten am längsten, aber als sie alle aufhörten, sagten sie: »Gott sei Dank, das war anstrengend.«

»Aber es hat mich gut getan,« rief Mister Stopps.

»Mir,« die Prinzessin konnte wieder reden.

»Sie auch, oh uie gut. Aber –« er machte einen Sprung, »sie schossen nochmal!«

Drüben luden sie wirklich ihre Kanone, denn sie hatten gemerkt, daß auf dem Schiff niemand mehr lachte.

Ja, was wäre geworden, wenn Kasperle nicht gewesen wäre?

Der hatte längst gesehen, die da drüben waren Kasperles wie er.

Ich kaspere ihnen etwas vor, dachte er, dann merken sie, daß ein Kasperle an Bord ist.

Und eins – zwei – drei sprang Kasperle auf eine Tonne, die am Bug des Schiffes stand. Und nun ging’s los.

Arme, Beine, Nase, Mund, Ohren, alles begann zu zappeln. Das Kasperle war wie ein aufgezogenes Puppenwerk.

Nichts hielt still, der Mund ging auseinander wie ein Scheunentor, und Gesichter schnitt der kleine Kerl, unglaublich.

Mister Stopps lachte, als hätte er wieder Lachpulver bekommen, schließlich mußte ihm die Prinzessin den Kopf wegdrehen, damit er das Kasperle nicht mehr ansah, sonst wäre er geplatzt.

Die drüben auf der Insel waren ganz nahe gekommen, und da standen sie, und der Kapitän dachte, jetzt müßte man jedem eine Kanonenkugel in den Mund schießen, solche Mäuler hatten sie. Es sind, weiß der Himmel, Kasperles!

Hier ein Kasperle, da ein Kasperle. Denen auf dem Schiff war es zu erstaunlich, wie dies möglich war.

So etwas war noch nie vorgekommen.

Kasperle aber wollte denen drüben zeigen, daß er das Kaspern gut verstand. Er kletterte auf seiner Tonne herum und gedachte auf ihr einen feinen Purzelbaum zu schießen.

Sehr fein sollte der werden.

Aber selbst einem Kasperle gelingt mal was daneben.

Die Prinzessin schrie: »Kasperle du fällst!«

Da lag er schon. Im Wasser nämlich.

Plumps, pardauz, war er hineingefallen, und auf dem Schiff und auf der Insel erhob sich gleichzeitig ein großes Geschrei. Die auf der Insel schrien fast noch mehr als die auf dem Schiff. Dafür waren es auch Kasperles.

Am meisten schrie aber Mister Stopps. Der bat himmelhoch, man solle sein Kasperle retten, er wolle viel, viel Geld geben. Die Matrosen hatten auch die Absicht, es zu tun, aber die auf der Insel waren geschwinder. Eins – zwei – drei, wie der Blitz waren die im Wasser, schwammen darin wie Fische und zogen drüben das Kasperle ans Land.

»Mein Kahspärle, mein armes Kahspärle!« jammerte Mister Stopps.

»Das ist verloren,« meinte der Kapitän. »Mein geliebtes Kahspärle, es hat zwei Millionen gekosten.«

»Und wenn es drei gekostet hätte, verloren ist verloren,« sagte der Kapitän.

»Man muß schießen!« Mister Stopps war ganz aufgeregt, und der Kapitän schüttelte über ihn den Kopf. »Unsere Kanone ist doch ins Wasser gefallen, mit was sollen wir schießen?«

»Mit die Geuehre!«

»Drei haben wir nur, und treffen tut niemand. Wir wollen froh sein, wenn die nicht mit ihrem Lachpulver schießen, das ist schlimmer.«

»Aber mein Kahspärle, mein armes Kahspärle!«

»Sie schleppen es weg,« sagte Piet.

Wirklich, sie schleppten drüben das Kasperle weg.

Das schrie gewaltig. Aber es schrie nicht nach Mister Stopps, sondern nach Marlenchen.

Und Marlenchen stand bitterlich weinend am Geländer und hätte ihrem Freunde so gern geholfen.

»Fall nicht auch noch hinein!« mahnte die Prinzessin.

»Marlenchen ist doch kein Kasperle,« meinte der Kapitän.

»Sie fällt.«

»Nein doch.«

Da machte das Schiff eine Bewegung, weil eine große Welle gekommen war, und plumps lag Marlenchen auch im Wasser.

Und es ging wie vorher.

Geschrei hüben und drüben.

Diesmal waren die Matrosen aber fixer im Wasser, und es gab eine große Prügelei, bei der das arme Marlenchen beinahe ertrunken wäre.

Herr Severin wollte auch das Kind retten, er sprang auch ins Wasser, Michele ihm nach, beide erwischten Marlenchen am Kleid, hoben das Kind empor und wollten gerade mit ihm nach dem Schiff zurückschwimmen, als ein Kasperle daher kam und ihnen beiden mit einer kleinen Pistole Lachpulver in die Gesichter schoß.

Im ersten Schreck, und weil sie gleich so furchtbar lachen mußten, ließen sie Marlenchen los, und wutsch! hatten die Kasperles Marlenchen ergriffen.

Piet kam zu Hilfe, er schlug zwar wie ein Scheunendrescher auf die Kasperles ein, es half aber alles nichts, auch Piet begann zu lachen. Immerzu, unaufhaltsam, und da er tief lachte, klang es ganz schauerlich »huhuhuhu«.

Marlenchen aber war verloren.

Ehe sich die Retter noch etwas ausgelacht hatten, war das arme Marlenchen schon auf die Insel geschleppt, und die Prinzessin Gundolfine, Frau Liebetraut, Rosemarie und das Prinzlein sahen laut weinend zu, wie das arme Marlenchen und Kasperle weggeschleppt wurden. Und dabei stürzten sich immer mehr Matrosen in das Wasser und erhielten Schüsse und lachten.

Es war schon schrecklich.

Marlenchen schrie und jammerte, vom Schiff her tönte Wehklagen und Lachen durcheinander. Kasperle tobte drüben wie ein toll gewordener Wolf, die Kasperles sagten zu ihm: »Aber sei doch nicht so dumm, du kommst doch in deine Heimat. Du bist doch ein richtiges Kasperle, du gehörst zu uns.«

»Bäh,« da streckte Kasperle so lang er konnte aus Wut seine Zunge heraus.

Die Kasperles schrien: »Das ist Menschensitte, aber fein ist’s« und »bäh« machten alle Kasperles.

»Dumm, dumm, bäh,« Kasperle platzte bald vor Ärger.

»Dumm, dumm, bäh,« ahmten ihm die Kasperles nach.

Aber wie Kasperle immer lauter brüllte, Marlenchen immer bitterlicher weinte, bekamen sie beide auf einmal Tücher über den Kopf geworfen, wurden zusammengebunden und dann ging’s heidi, wer weiß wohin.

Auf dem Schiff sahen sie mit Grausen, daß die beiden weggeschleppt wurden, und Mister Stopps verlangte stürmisch, alle sollten ihnen nacheilen.

Aber der Kapitän zeigte auf die lachenden Matrosen und sagte: »Es geht nicht, sie lachen sich sonst tot.«

»Oh, Marlenchen!«

»Oh, Kahspärle!«

Mister Stopps und die Prinzessin klagten um die Wette, bis auf einmal Mister Stopps sagte: »Sie sehen uie mein libbes Kahspärle aus.«

»Ich,« rief die Prinzessin doch ein wenig entrüstet.

»Ja Sie, Sie haben so ein großes Mund uie Kahspärle.«

»Aber ich bitte.«

»Oh, yes, ein ungeheures Mund.«

»Aber Mister Stopps!«

»O yes, und uann Sie lachen, schneiden Sie Gesichter ganz uie Kahspärle.«

»Aber das ist doch unerhört.«

»Oh no, ich höre gut,« rief Mister Stopps. »Sie lachen uirklich uie Kahspärle.«

»Aber ich bin doch kein Kasperle.«

»Und Sie purzelbaumen uie Kahspärle.«

»Ich purzelbaume nicht.«

»Doch, ich haben gesehen. Sehr komisch, uie mein libbes Kahspärle.«

Nun wurde die Prinzessin aber ganz böse, sie schrie Mister Stopps an: »Ich bin doch nicht Ihr Kasperle.«

»Oh uundervoll, uie Sie schreien, uie Kahspärle. Und das Gesicht ganz uie Kahspärle. Oh, ich libbe Ihnen.«

»Mich oder Kasperle?« fragte die Prinzessin.

»Oh Ihnen, ueil Sie aussehen uie Kahspärle. Oh, ich müssen Ihnen heiraten.«

»Mich oder Kasperle?« Jetzt mußte die Prinzessin lachen.

»Ihnen,« schrie Mister Stopps begeistert. »Sie reißen das Maul auf –«

»Wie Kasperle, ich weiß schon.«

»Uollen Sie mir heiraten?«

Sie sagt nein, denn sie ist jetzt wütend, dachte der Kapitän, der die sonderbare Unterhaltung mit angehört hatte.

Aber die Prinzessin schrie ganz flink: »Ja!«

»Und purzelbaumen Sie mich jeden Tag was vor?«

Das wollte die Prinzessin doch nicht, und beinahe hätte sie gesagt, »dann lieber nicht,« aber sie besann sich noch und sagte sanft, sie könne nicht purzelbaumen, weil sie doch eine Prinzessin wäre und für eine Prinzessin schicke sich so etwas nicht.

Das sah Mister Stopps denn auch ein und er erklärte: »Ich bin sehr glücklich, eine Frau zu bekommen, die meinem libben Kahspärle so ähnlich ist. Man kann denken, sie wäre eine Kahspärlerin.«

Sehr schmeichelhaft für die arme Prinzessin war das nun nicht. Sie dachte aber, mal wird das Kasperle schon vergessen werden. Es kommt sicher nicht wieder.

Das dachte auch der Kapitän, weil aber Marlenchens und Kasperles Freunde so sehr traurig waren, tröstete er: »Vielleicht kommen sie in drei Tagen zurück, so lange dauert es, bis das Schiff ausgebessert wird. Hoffentlich schießen sie nicht wieder mit ihrer Lachkanone.«

Das taten die Kasperles nun nicht. Sie ließen sich überhaupt nicht mehr blicken, es war, als wäre die Insel unbewohnt. Und von Marlenchen und Kasperle war nichts zu sehen, gar nichts.

Große Gesellschaft

Von der Gesellschaft bei Stopps redete nicht Kasperle allein, noch viele andere sprachen davon. In einem uralten Haus am Kirchplatz redeten zwei Kinder von der Gesellschaft. Es waren Liebetraut und Rosemarie Severin. Liebetraut Severin probierte ein neues Kleid an, das heißt, es war eigentlich ein ganz altes Kleid, das die Urgroßmutter Marlene schon getragen hatte, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Nun sollte es Liebetraut zu dem Fest bei Stopps anziehen. Herr Stopps hatte neulich gesagt, es sollte ein Fest aus der Biedermeierzeit sein. »Dazu paßt das alte Kleid«, sagte Rosemarie, »du siehst aus wie deine Urgroßmutter Liebetraut.«

»Ich wollte lieber, ich sähe aus wie Marlene.«

»Warum, die Urgroßmutter Liebetraut war doch sehr schön?«

»Aber sie war keine Prinzessin, nur eines armen Puppenschnitzers Pflegetochter.«

»Möchtest du so gerne eine Prinzessin sein?« fragte Rosemarie.

»Ja, sehr gerne.«

»Wie Base Marlene?«

»Die ist arm.«

»Wir sind auch arm.«

»Ich möchte eine Prinzessin sein und reich. Es ist zu schade, daß unsere Großmutter einen einfachen Herrn Severin geheiratet hat.«

»Was redest du da?« sagte eine liebe Stimme. Die Mutter war in das Zimmer getreten. Sie sah ihre Töchter traurig an. »Seid ihr schon wieder unzufrieden?«

»Wenn wir schon arm sind, dann möchten wir wenigstens Prinzessinnen sein.«

»Ich möchte Klassenerste sein,« rief Rosemarie, »das wäre mir lieber.«

»Ihr müßt euch aber sputen, damit ihr zur rechten Zeit hinkommt,« mahnte die Mutter.

»Ach, so eine dumme Kindergesellschaft,« sagte Rosemarie aufgeblasen, »ich habe keine Lust.«

»Doch, es gibt dort immer viel Kuchen,« meinte Liebetraut.

»Und man muß die Bissen zählen, so geizig ist Herr Stopps.«

»Der ist nicht geizig.« Frau Severin sprach gerne zum Guten. Sie war eine sanfte, stille Frau, und es tat ihr leid, daß ihre beiden Töchter so unzufrieden waren. Die Mutter von Herrn Severin war eine Prinzessin gewesen, und die beiden Töchter waren stolz auf diese Verwandtschaft, so stolz, daß sie immer bedauerten, nur Severin zu heißen. Viele unzufriedene Gedanken gingen in den hübschen Köpfen herum. Sie dachten dabei wenig an das Unglück ihres Vaters, der ein berühmter Maler gewesen, aber im Kriege durch einen Schuß schwer verwundet worden war und fast die Sehkraft eingebüßt hatte. Dazu hatten die Severins noch in der schlimmen Zeit beinahe ihr ganzes Vermögen verloren, so daß sie in den allerbescheidensten Verhältnissen lebten. Zu dem Fest hätten sie heute gar keine Kleider gehabt, wenn sie nicht im Biedermeieranzug erscheinen könnten. So gingen sie in Kleidern von Urgroßmutter Marlenchen und ahnten alle beide nicht, wen sie heute treffen würden. Das ahnte überhaupt niemand. Wohl wußte eine Anzahl Kinder, daß ein Kasperle wieder aufgetaucht war, sie dachten aber alle, das wäre auf dem Jahrmarkt. Als darum Kasperle mit Bimlim ankam, kannte niemand die beiden. Selbst Henry Stopps nicht. Der lief zu seinem Vater und rief: »Sieh nur die beiden häßlichen Jungens, die da gekommen sind, und wie sie angezogen sind, ganz billiges Zeug haben sie an.«

Herr Stopps wollte den Kindern eine Überraschung bereiten, darum sagte er nur: »Es sind Kinder von einem Geschäftsfreund, sei recht freundlich. Da kommt Prinzeß Marlene.«

Ein zierliches, feines Mädelchen kam in den Saal und Herr Stopps ging ihr mit Henry entgegen. Marlenchen war zwar seine Nichte, er behandelte sie aber doch ein bißchen hochachtungsvoller als die andern Kinder, weil sie eine Prinzessin war. Auch Prinz August kam in den Saal, er war Marlenes Vetter, und da gleichzeitig die Severins eintraten, gab es eine große Begrüßung zwischen den Verwandten. Andre drängten sich herzu, und niemand achtete auf die beiden Kasperles.

Auf einmal gab es puff, puff, ein heftiges Gedränge, Kasperle teilte ein Rippenstößlein nach dem andern aus, und Bimlim puffte mit, und als die Kinder gerade höchlichst entrüstet schrien: »Was will denn der häßliche fremde Junge?« fiel er dem Prinzeßchen um den Hals, küßte es und schrie: »Marlenchen, du lebst ja noch!« Aber das Marlenchen wehrte sich, es schrie laut um Hilfe, und Prinz August und Henry Stopps sprangen herzu, um den frechen Jungen zu verwichsen.

Der nicht faul, teilte kräftige Stöße aus, Bimlim half, und ehe Herr Stopps noch eingreifen konnte, war die schönste Prügelei im Gange. Kasperle und Bimlim droschen auf die fremden Buben ein, als hätten sie sich durch ihren langen Schlaf extra dafür gestärkt. Dann aber kamen andere zu Hilfe und Kasperle dachte, hauen allein hilft nichts, ich muß auch mal schreien. Da schrie er aus vollem Halse und die andern Buben blieben nicht stumm, die schrien auch.

»Kasperle, aber Kasperle!« rief Herr Stopps entsetzt.

»Da hast du eine!« Prinz August bekam eine Ohrfeige wie noch nie in seinem Leben.

»Warte du!« Herr Stopps gab Kasperle einen Nasenstüber, der kräftig war.

»Der freche Junge hat angefangen,« schrie Kasperle, wie eben nur ein Kasperle schreien kann, und Bimlim schrie nicht minder laut: »Der auch!« und schwupp, schwupp, kriegte Henry Stopps etwas ab.

»Stille!« schrie Herr Stopps so laut er konnte. Er mußte aber eine ganze Weile warten, ehe sich der Sturm etwas legte. Als es endlich still geworden war, schrie Kasperle: »Marlenchen weint.«

»Ja, weil du sie geküßt hast, du frecher Junge,« schrie Henry Stopps.

»Und mich hat er geschlagen, ich gehe nach Hause.« Das Prinzlein war auch beleidigt, und Herr Stopps mußte noch einmal »Stille« rufen. Endlich, als er sagte: »Ich will euch sagen, wer die Fremden sind,« schwiegen die Kinder.

»Kasperles sind’s.«

»Aber sie leben doch.«

»Nun ja, lebendige Kasperles.«

»Ach, ich weiß, wie mein Urgroßvater eins hatte.«

»Aber zuletzt war ich bei Marlenchen,« schrie Kasperle. »Marlenchen, kennst du mich denn nicht mehr?«

Da mußte Herr Stopps erst Kasperle klar machen, daß die Kleine nicht sein Marlenchen, sondern die Urgroßnichte vom alten Herzog August Erasmus sei.

Kasperle senkte die Nase. Das war traurig, sehr traurig, und auf einmal fing Kasperle zu weinen an. Bimlim fiel ein. Es war aber kein lautes, ungezogenes Gebrüll wie am Morgen, sondern ein bitterliches, ganz trauriges Herzweinen. Es machte alle, die es hörten, so traurig, wie das Kasperle war, und Prinzeß Marlenchen trat auf einmal auf Kasperle zu, legte beide Arme um ihn und sagte: »Armes Kasperle du. Ich will deine Freundin sein.«

»Meine auch,« schrie Bimlim, »ich bin ein Prinz und passe besser für eine Prinzessin.«

»Halt den Schnabel,« schrie Kasperle erbost, »Marlenchen ist meine Freundin.«

»Aber Kasperle,« sagte die Prinzessin sanft, »du mußt doch nicht so grob sein.«

»Du darfst nicht schimpfen,« sagte Kasperle, während ihm die Tränen kamen. Marlenchen mußte lachen, und Kasperle fing zu lachen an, wie nur ein Kasperle lachen kann. Das steckte an, und selbst Henry Stopps und Prinz August lachten mit. Da sagte auf einmal eine helle Stimme in das Lachen hinein: »Es ist dumm, mit einem Kasperle Freundschaft zu schließen. Ein Kasperle ist ein dummes Ding.«

»Marlenchen, noch ein Marlenchen!« schrie Kasperle.

Es war aber Liebetraut Severin. Als Kasperle den Namen hörte, schrie er: »Die kenne ich auch, die hat den Herrn Severin geheiratet und ist die Tochter vom Kasperleschnitzer.«

Darüber ärgerte sich Liebetraut, und sie sagte spöttisch: »Du bist doch ein dummer Kasper, du meinst meine Urgroßeltern.«

»Marlenchen hat auch nicht so böse Augen gemacht,« rief Kasperle und sah selbst bitterböse auf das kleine Mädchen, das so vertraute Namen trug.

»Jetzt muß er kaspern,« rief Prinz August, dem das Gestreite langweilig wurde.

»Ja, kaspern, wir wollen was sehen,« riefen die andern Kinder, nur Liebetraut zuckte die Achseln: »Was wird er können?«

Das ärgerte Kasperle wieder ganz gewaltig. Er dachte, nun zeige ich aber, was ich kann, und flüsterte Bimlim zu: »Mach’ mir alles nach.«

»Uah, ich mag nicht, ich bin so müde.«

»Ich denke, du hast so lange geschlafen,« sagte Rosemarie Severin, die neben Bimlim stand.

»Uah, nicht genug, nur hundertfünfzig Jahre vielleicht.«

Alle lachten, und weil Kasperle sich ärgerte, daß die Kinder über Bimlim lachten, nicht über ihn, fing er an zu kaspern.

»Was macht der denn?« rief Liebetraut, »das soll wohl rhythmische Gymnastik sein?«

»Er tanzt Tango,« rief ein kleines Mädchen.

»Nein, Schuhplattler«, schrie ein Junge.

Da merkte Kasperle, daß er mit seinem Kasperlegehopse keinen Beifall erzielte, und so fing er heftig an, Gesichter zu schneiden. Das konnte er, und darüber fingen die Kinder zu lachen an, selbst Liebetraut lächelte ein wenig.

Kasperle schnitt alle Gesichter, die er kannte, längst vergessene fielen ihm wieder ein, und als er kein altes Gesicht mehr wußte, sah er wie der Polizeirat aus, wie der Schutzmann Müller, wie Meister Hirsebrei und Meister Drillhose.

»Er kann etwas,« sagte Henry Stopps ein bißchen von oben herab.

»Er paßt gut für’s Kino,« sagte Liebetraut spöttisch.

Das ärgerte Kasperle, und weil es dachte, Kino wäre etwas zum Essen, sagte er protzig: »Ich esse kein Kino.«

Darüber lachten die Kinder mehr als über seine Gesichter, und weil Lachen ansteckt, lachte Kasperle mit. Und wie lachte Kasperle! Die Gesichter hatten den verwöhnten Kindern zwar gefallen, aber das echte Kasperlelachen gefiel ihnen am allerbesten. So hatten sie noch nie jemand lachen hören, und sie wurden alle angesteckt, selbst Liebetraut konnte nicht widerstehen, sie mußte mitlachen. Und weil Kasperle, der Schelm, wohl merkte, wie die Sache stand, lachte er immer mehr, und wer weiß, wie viele Hosenknöpfe noch abgeplatzt wären, wenn nicht ein Diener gemeldet hätte, der Kaffee wäre angerichtet. Da gab es Kaffee und Kuchen, und Kasperle fragte ängstlich: »Muß man zählen?«

»Heute nicht.« Herr Stopps lachte immer noch. Auf einmal sagte er: »Kasperle, zähle doch mal bis drei.«

»Eins, zwei, drei,« schrie Kasperle und steckte drei Pfannkuchen nacheinander in den Mund. Darüber bekam Prinzessin Marlene große Augen vor Schreck, und sie hätte wohl etwas gesagt, wenn nicht auf einmal der Lautsprecher vom Rundfunk angefangen hätte. Man hörte gerade eine Kasperlegeschichte, und Kasperle schrie ganz aufgeregt: »Wer spricht denn da von mir?«

»Dort, der Rundfunk,« antwortete Marlene.

»Wo ist denn der Herr Rundfunk?«

Die Kinder lachten alle, sie nahmen es anfangs für einen Scherz, erst als Kasperle laut in den Lautsprecher hineinrief: »Herr Rundfunk, wo bist du denn?« da merkten sie, daß das Kasperle nicht wußte, was ein Rundfunk war.

Auf einmal schrie Bimlim, der halb geschlafen hatte: »Kasperle, sei doch mal still!«

»Ich bin doch still!«

»Du redest immerzu.«

»Das ist der Herr Rundfunk.«

»Das bist du.«

»Nein, das bin ich nicht.«

»Doch.«

»Nein.«

»Der ist’s,« sagte Henry Stopps und deutete auf den Lautsprecher.

»Ist das ein Tier?«

»Ja, ein Esel,« riefen die Kinder.

Bimlim machte ein nachdenkliches Gesicht: »In meiner Zeit hatten die Esel vier Beine,« sagte er nachdenklich.

Darüber lachten die Kinder alle so, daß selbst Liebetraut nicht zum Essen kam vor Lachen. Nur Kasperle und Bimlim ließen sich nicht stören, die aßen und aßen. Kasperle aß dreizehn Pfannkuchen, sechs Windbeutel und sieben Mohrenköpfe und noch etliche Stücke Kuchen, und Bimlim machte ihm wieder alles nach.

»Wie viel er ißt!« rief Liebetraut. »Jetzt hat er schon den zehnten Pfannkuchen!«

»Ich kann nicht zählen.«

»Du kannst nicht zählen?« riefen alle.

»Bis drei,« schrie Kasperle und wollte es wieder mit Pfannkuchen machen.

»Er muß aber in die Schule gehen,« riefen alle, »er muß etwas lernen.«

»Nä.« Kasperle schüttelte den Kopf.

»Doch ja, warum denn nicht?«

»Wenn ich wieder einschlafe, vergesse ich es doch wieder.«

»Du kannst wohl auch nicht lesen?« fragte Henry.

»Nä,« rief Kasperle.

»Und nicht Lateinisch?« Rosemarie war sehr stolz auf ihr Wissen.

»Nä.« Kasperle schüttelte sich ordentlich.

»Bist du denn nicht in die Schule gegangen?«

»Doch!« schrie Peringel, als wären alle taub.

»Wo denn? Erzähle mal.«

Da erzählte Kasperle: »Ich gingte zu einem, der so aussah,« und er machte ein Gesicht wie der Schulmeister in Waldrast, »und dann kam eine, die so aussah,« nun machte er ein Gesicht wie die Base Mummeline, . . . »und da reißte ich aus und da war’s aus.«

»Wenn die Schule doch auch so kurz wäre!« rief Henry.

»Bimlim muß auch erzählen,« rief Kasperle, »ob er auch in die Schule gegangen ist.«

»Nä,« rief Bimlim, »bin ich nicht, ich hatte einen Hofmeister.«

»Oh, wie fein! Was hast du denn bei dem gelernt?«

Bimlim sann eine Weile nach, dann sagte er langsam: »Nichts.«

»Warum denn nichts?«

»Weil ich’s verschlafen habe.«

Auf einmal fing der Lautsprecher wieder ein Musikstück an, und die Kinder sprangen auf und sagten, sie wollten nun tanzen.

»Kannst du tanzen, Kasperle?«

»Ja!« schrie der, denn er nannte sein Kasperlegehopse auch Tanz.

Die Kinder nannten das aber anders. Die lachten, als Kasperle mitten im Saal mit Prinzeß Marlene zu hopsen anfing, als wären sie auf einer Kuhweide. Wie ein Kälbchen sprang Kasperle herum, und Bimlim machte lauter feine zierliche Schritte, die er früher einmal gelernt hatte. Prinzeß Marlene war außer sich und zum Überfluß kam auch noch Liebetraut und sagte: »Das sieht wundervoll aus, wenn Kasperle tanzt.«

»Nicht wahr?« rief der stolz.

Er merkte aber dann am Lachen der andern, daß Liebetraut ihn verspottete. Da sagte er: »Du bist eine Gans.«

Das war grob, und es gab eine große Aufregung. Kasperle sollte abbitten, aber er tat’s und tat’s nicht. Ja, als Marlenchen zuredete, schrie er: »Ich geh’ in meine Kiste und schlaf ein.«

»Uah, ich auch,« schrie Bimlim.

»So geht, ihr dummen Kasperles!« schrie Henry Stopps.

Und die beiden gingen, und auf einmal merkten die Kinder, wie lustig es mit den Kasperles gewesen war, und es dauerte nicht lange, da liefen sie auch alle heim. Herr Stopps aber sagte: »Ja, mit Kasperles umgehen, ist nicht leicht.«

Allerlei Hindernisse

Am nächsten Tage sollten die Kasperles auf dem Jahrmarkt spielen. Es wurde in ganz Torburg von nichts als von den Kasperles geredet, und Liebetraut hörte auch in der Schule, die Kasperles würden auf dem Jahrmarkt spielen. Da sagte sie: »Pfui, wie kann man auf dem Jahrmarkt spielen, das ist unfein.«

Prinzeß Marlene meinte sanft: »Es sind doch Kasperles.«

»Es ist unfein, mit Kasperles zu verkehren,« rief Liebetraut.

Es fanden sich etliche, die sagten, Liebetraut hat recht, und wieder andere, die das dumm fanden, Kasperles wären eben etwas Besonderes, das dürfe man nicht so streng nehmen. Aber alle, ob sie nun für oder gegen eine Kasperlefreundschaft waren, sagten, sie würden am Nachmittag auf den Jahrmarkt gehen, nur Liebetraut sagte: »Das tue ich nicht. Ich bin eine Gymnasiastin, die geht nicht auf den Jahrmarkt.«

»Ich bin auch eine und gehe doch,« rief Rosemarie. »Das Kasperle hat mir gestern ganz gut gefallen. Sei nicht so hochmütig.«

Aber Liebetraut blieb dabei, nicht auf den Jahrmarkt zu gehen, um Kasperle zu sehen. »Vielleicht tut er es doch nicht,« sagte sie. Aber Kasperle hatte die beste Absicht, auf dem Jahrmarkt zu spielen. Er sollte mit Bimlim und Madame Käsewurm am Nachmittag hinauskommen. Meister Drillhose war schon am Vormittag mit Meister Hirsebrei hinausgezogen, um das Theater für die Vorstellung in Ordnung zu bringen. Aber Madame Käsewurm war an dem Tage krank, und als das Mittagessen kam, mußten die Kasperles alle Pflaumenklöße allein essen, keinen kleinen Bissen brachte das alte Fräulein hinunter. Kasperle tat zwar, als wenn ihm das sehr leid täte, er aß aber so viel Klöße, daß selbst Bimlim sagte: »Es wird zu viel.«

»Ih nä,« sagte Kasperle, »auf dem Jahrmarkt esse ich noch Pfannküchlein, aber viele.«

»Hast du denn Geld?« fragte das alte Fräulein.

Kasperle zog ganz stolz ein Gröschlein hervor, das ihm Meister Drillhose geschenkt hatte.

»Dafür wirst du nicht viel kriegen.«

»Ich werd’ schon kriegen.«

»Aber wie kommt ihr hin? Ich kann nicht mitgehen,« sagte Madame Käsewurm bekümmert.

»Ich finde schon hin.« Kasperle tat sehr mutig und Madame Käsewurm beschrieb ihm noch genau den Weg. Das ging dem Kasperle durch die Ohren wie durch einen Tunnel. Zum einen Loch hinein, zum andern hinaus. Als die beiden Kasperles auf die Straße kamen, wußten sie alle beide nicht, ob sie links oder rechts gehen sollten.

Da kam ein Auto.

Kasperle staunte es an wie Ostern und Pfingsten, wenn es auf einen Tag fällt, und Bimlim staunte mit.

»Na, wollt ihr fahren?« fragte der Chauffeur.

»Ja!« schrie Kasperle.

»Wohin denn?«

»Auf den Jahrmarkt.«

»Habt ihr Geld?«

»Ja, viel Geld.« Kasperle klopfte auf die Tasche, in der er sein Gröschlein verwahrte.

»Na, dann steigt ein.«

Das ließen sich die beiden Schelme nicht zweimal sagen. Sie setzten sich auf die Sitze, und da lagen sie. Das Auto hatte umgedreht und davon waren sie umgefallen.

»Jetzt sind wir bald da.« Das war unvorsichtig von dem Chauffeur.

Die Kasperles dachten, unser Gröschlein wollen wir behalten. »Hier halte ich,« sagte er zum zweitenmal und drehte sich um.

Ja, wo waren denn seine Fahrgäste?

Verschwunden waren sie.

Er sah nicht die zwei sich im Straßengraben kollern, denn aus einem fahrenden Auto zu springen, ist selbst für ein Kasperle keine kleine Sache. Sie hatten sich aber nicht beschädigt, denn im Fallen hatten sie Purzelbäume geschossen. Nun saßen sie im Straßengraben und sahen auf die bunte Lichterstadt, die so anders war, wie Kasperle sie in Erinnerung hatte. So viel mehr Buden, so groß und glänzend, und so viele Dinge gab es, die die Kasperles gar nicht kannten.

Das war nicht der Jahrmarkt von einst, und Kasperle verlor ein bißchen seinen frechen Mut. Es gelang ihm aber, Meister Drillhose, Meister Hirsebrei und Frau Mariechen zu finden. Vor der Bude stand schon eine Anzahl Kinder, die ungeduldig riefen: »Geht es bald los?«

»Da kommen sie!« schrie ein kleiner dicker Stöpsel und zeigte auf die Kasperles.

»Sie sind da!« brüllten die andern.

»Wer ist da?« fragte der Chauffeur, der mit seinem Auto dicht vor der Bude hielt und sich die Kasperlegeschichte mal ansehen wollte.

»Die Kasperles, da sind sie!«

»Donnerwetter, das sind ja meine Fahrgäste!« rief der Mann.

Uh je, bekam Kasperle einen Schreck, er schnitt ein Teufelsgesicht, und der Chauffeur prallte zurück: »Nee, der war’s nicht, aber der andere ist’s.«

Aber Bimlim machte schnell ein Gesicht wie ein altes Hoffräulein, und der Chauffeur sagte ganz kleinlaut: »Sie sind’s doch nicht, aber sonst sehen sie genau so aus.«

»Es sind doch Kasperles,« sagten die Kinder.

»Dann sind sie’s auch,« schrie der Chauffeur und wollte Kasperle greifen, aber da machte der ein Gesicht wie der Schutzmann Müller, worüber sich der Chauffeur so erschreckte, daß er ihn los ließ und flugs witschte Kasperle Bimlim nach und drinnen in der Kasperlebude sagte Meister Drillhose: »Ach, Kasperle, was hast du wieder angestellt, du hättest ja mit der elektrischen Bahn fahren können.«

»Wo ist sie?«

»Dort fährt sie. Nun müßt ihr aber noch ein bißchen warten, denn Frau Mariechen hat die neuen Kasperleröcke noch nicht fertig.«

Ja, wo war Kasperle? Verschwunden.

»Geh such ihn, Bimlim, er soll keine Dummheiten machen.«

Kasperle war aber gerade dabei.

Er stand an der elektrischen Bahn und sagte: »Das ist doch auch ein Wagen ohne Pferde.«

»Wie heißt der?« fragte Bimlim, der Kasperle entdeckt hatte.

»Leckdran,« antwortete der.

»Muß man da lecken?«

»Einsteigen,« schrie der Schaffner, ehe die beiden das Lecken versuchen konnten, und die beiden stiegen ein.

An der Kasperlebude hatte inzwischen Meister Drillhose einen heftigen Streit mit dem Chauffeur, der das Geld für die Kasperlefahrt verlangte. Aber Meister Drillhose wollte es nicht geben: »Hättet Ihr sie doch stehen lassen, wo sie standen,« brummte Meister Drillhose unwirsch.

»Gut,« sagte der Chauffeur patzig, »da fahre ich sie wieder hin, wo ich sie fand, und Ihr könnt sie holen.«

Er sah sich nach den Kasperles um. Ja, wo waren die?

Verschwunden.

Meister Drillhose fragte ein paar Kinder und eins sagte, die beiden Kasperles wären mit der elektrischen Bahn davongefahren. Nun gab es vom Festplatz aus bloß eine Bahn, und es blieb Meister Drillhose nichts weiter übrig, als nachzufahren.

Inzwischen saßen die Kasperles in der elektrischen Bahn, und der Schaffner kam und verlangte Geld. »Meister Drillhose hat gesagt, wir sollen fahren,« schrie Kasperle, so laut er konnte.

»Hat er euch Geld gegeben?«

»Ja, aber zu Pfannküchlein.«

»Aber bezahlen müßt ihr.«

Da reichten die beiden seufzend ihre Gröschlein heraus, und der Schaffner nahm sie und sagte: »Damit könnt ihr bloß bis an das Henkertor fahren, weiter nicht.«

Nach einer Weile, während die Kasperles unruhig im Wagen hin- und herflitzten und den Leuten auf die Füße traten, was diesen nicht angenehm war, rief der Schaffner: »Henkertor, aussteigen!«

Wer aber sitzen blieb, waren die Kasperles.

Als der Wagen weiterfuhr, kam der Schaffner und sagte: »Wolltet ihr nicht aussteigen?«

»Nä.«

»Na, dann müßt ihr noch mal bezahlen.«

»Nä.«

»Jawohl.«

»Wir haben keine Gröschlein.«

»Wer seid ihr denn?« fragte der Schaffner.

»Kasperles.«

»Das ist Unsinn.«

»Nä.«

»Doch, Kasperles sind von Holz.«

»Aber wir sind lebendig.«

»Das sehe ich.«

»Es stimmt schon,« sagte ein Mann, »es sind Kasperles, ich habe sie gestern auf der Polizeiwache gesehen.«

»Dann kaspert uns was vor, dann dürft ihr mitfahren.«

»So lange wir wollen?«

»Ja, so lange ihr wollt.«

Da schnitten die Kasperles ihre Gesichter, die Leute lachten dazu, und die beiden fuhren bis zur Endstation und fuhren wieder zurück und wieder bis zur Endstation und Kasperle sagte: »Ach, Frau Mariechen ist doch noch nicht fertig mit den Kasperlehosen.«

Und Meister Drillhose fuhr auch bis zur Endstation und fuhr auch wieder zurück und suchte seine Kasperles, ohne sie zu finden. Als er das zweitemal wieder zurückkam, stand Meister Hirsebrei da und sagte: »Die Kinder stürmen uns fast die Bude, sie wollen die Kasperles sehen.«

»Die waren vorhin da,« schrie ein Junge.

»Wo?«

»Hier, im vorigen Wagen.«

»Wir müssen warten, vielleicht kommen sie zurück.«

»Ich nehme das Stöcklein,« sagte Meister Drillhose, »ich werde ihnen das Ausreißen abgewöhnen.«

»Nicht schlagen, Meister Drillhose,« mahnte Meister Hirsebrei.

Aber Meister Drillhose sagte: »Ich schlage doch.«

Ein paar Buben riefen da: »Uhje, die Kasperles kriegen Prügel, fein wird das.«

Und als der Wagen kam, in dem die Kasperles saßen, ertönte es ihnen schon entgegen: »Uhje, die Kasperles kriegen Prügel.«

Nun sahen Bimlim und Peringel wirklich Meister Drillhose mit dem Stöcklein stehen, und Kasperle flüsterte Bimlim zu: »Wir schreien aber feste, dann haut er uns vor Angst nicht.«

Und wirklich, kaum setzten sie die Füße vom Wagen, da schrien sie schon. Aber wie!

Das gellte über den ganzen Jahrmarkt. Himmel, schrien die beiden Kasperles! Noch ein anderer Ruf gellte über den Jahrmarkt, der: »Die Kasperles kriegen Haue!«

Der tönte nicht minder laut. Alles, was Buben- und Mädelbeine hatte, lief herzu und schrie: »Die Kasperles werden verhauen. Meister Drillhose hat sie eben in seine Bude gezogen.«

Das letztere stimmte, aber das Verhauen stimmte nicht. Die beiden Kasperlespieler und Frau Mariechen waren so erschrocken über das Gebrüll, daß sie nur immer baten: »Seid doch still, seid doch still!«

Aber die beiden waren nicht still. Je mehr sie immer schrien, je mehr brüllten die Kinder draußen, und Meister Drillhose ging endlich hinaus und sagte: »Sie werden gar nicht gehauen.«

»Aber der andere haut sie, wir hören es doch.«

Da ging Meister Drillhose und holte Meister Hirsebrei herbei, und beide sagten: »Sie werden gar nicht gehauen.«

Doch die Kinder glaubten es immer noch nicht. Frau Mariechen mußte sich auch zeigen. Als aber auch die draußen war und Peringel und Bimlim immer noch schrien, da verlangten ein paar beherzte Buben, sie wollten hineingehen und sehen, wer denn die beiden haue.

Das wurde ihnen auch erlaubt.

Ein paar Mädels schrien freilich: »Sie hauen euch auch,« aber die beiden Buben waren mutig und verschwanden hinter dem roten Vorhang der Kasperlebude.

Da sahen sie denn Peringel und Bimlim gemeinsam auf einem Stuhle hocken. Diese beiden Schlingel hielten sich eng umschlungen und brüllten aus Leibeskräften, obgleich ihnen niemand etwas zu Leid getan hatte.

»Warum schreit ihr denn so?« fragten die Buben.

»Weil wir gehauen werden.«

»Ihr werdet ja gar nicht gehauen.«

»Na, jetzt nicht, aber vielleicht später, mal in hundert Jahren.«

Daß man so brüllt, wenn man vielleicht in hundert Jahren Wichse bekommt, kam den beiden Buben Heinz und Peter erstaunlich vor, und sie fingen an zu lachen.

Kaum hörten die beiden das Lachen, stellten sie ihr Gebrüll ein und lachten mit, und zur allgemeinen Befriedigung ertönte aus der Kasperlebude ein lautes vierstimmiges Gelächter. »Sie lachen,« sagten draußen die Kinder zueinander.

»Seht ihr, wir hauen sie nicht,« rief Meister Drillhose und setzte nachdenklich hinzu: »Obgleich sie es verdient hätten.«

»Sie kaspern vielleicht,« rief ein Bube, der sich das Lachen nicht erklären konnte.

Und plötzlich rief es von allen Seiten: »Wir wollen mitlachen, wir wollen sie kaspern sehen, sie sollen spielen.«

»Ja, sie sollen spielen.«

»Kommt nur, Kasperles, ihr sollt spielen.«

»Ja, kommt nur.«

Da streckte Kasperle seine große Nase zum Vorhang heraus und sagte: »Ich komme gleich, ich muß erst meine Hosen anziehen.« Und dabei schlenkerte er seine neuen Kasperlehosen zum Vorhang heraus und witsch entwitschten sie ihm, und ein Windstoß entführte sie.

Im Nu rannten sämtliche Kinder hinterdrein. Sie sahen dabei nicht rechts und nicht links, rannten einen Würstelmann und eine Frau, die türkischen Honig feilbot, um, und erreichten die Hosen gerade am Hundezirkus. Dort saß ein dummer August, der wollte die Hosen auch fangen.

»Laß, es sind dem Kasperle seine,« schrien die Kinder und zehn Hände griffen danach und zerrten und zerrten. Jeder wollte die Hosen haben, um sie Kasperle zurückzubringen. Doch Mutter Mariechen hatte leider nicht so sehr festen Stoff genommen. Ritsch ging es auf einmal, und mitten durch waren die Kasperlehosen.

Die Kinder standen wie erstarrt, bis ein Bube rief: »Nun kann er nicht spielen, nun hat er keine Hosen.«

Ein lautes Wehklagen erhob sich, und der dumme August sagte spöttisch: »Seht ihr, blinder Eifer schadet nur.«

»Gib deine Hosen, das sind auch Kasperlehosen,« rief auf einmal Heinz, der sich mit an dem Hosenfang beteiligt hatte.

»Meine Hosen, nee, dann habe ich ja keine.«

»Ach was, ein dummer August kann ohne Hosen gehen.«

»Ich hol’ dir meine.«

»Ich habe auch ein paar weiße, die bringe ich dir.«

»Ich hab’ blaue.«

»Ich wohne nahe.«

»Ich auch.«

So rief es durcheinander, und der arme dumme August wurde arg bedrängt. Endlich sagte er: »Holt die Hosen.«

Da stoben sechs Buben davon und rasten, was sie konnten, nach Hause und in sechs Häusern rissen sechs Buben je ein paar Hosen aus dem Schrank, und als sechs Mütter fragten: »Was wollt ihr mit den Hosen?« riefen sechs Buben sehr aufgeregt: »Kasperle seine sind zerrissen, er muß Hosen haben.«

»Aber wieder bringen,« mahnten die sechs Mütter, doch sämtliche sechs Buben hatten die Mahnung vergessen, als sie vor dem dummen August standen. Einer nach dem andern kam an, und der dumme August nahm jede Hose und sagte: »Erst sehen, was der andre bringt.«

Endlich kam der letzte, der dachte nun, er würde die ersehnten Hosen kriegen, aber der dumme August holte ein paar weite Kattunhosen aus seinem Kasten, nahm die sechs Hosen über den Arm und sagte, er wollte Kasperle die Hosen selbst bringen, sonst würden sie wieder zerrissen. Das war den Hosenspendern nur halb recht. Sie gingen aber alle sechs mit, um wenigstens zu sehen, welche Hosen der dumme August behalten würde. Meister Hirsebrei freute sich sehr über den Ersatz, und der dumme August bekam noch ein Trinkgeld. Dann fragten die Buben: »Welche Hosen behältst du denn?«

»Meine?«

»Nein, meine.«

»Meine.«

»Meine.«

»Lieber meine.«

»Ach, meine.«

Sämtliche Buben hatten vergessen, daß die Mütter das Wiederbringen anempfohlen hatten. Und der dumme August sagte sechsmal ja, nahm alle sechs Hosen und verschwand in seinem Zelt. Er behielt alle sechs. Ein so sehr dummer August war er gar nicht.

Die Kasperles spielen

Endlich hatte Peringel seine Hosen an, und das Spiel konnte losgehen. Erwartungsvoll waren die Kinder, auch viele Erwachsene hatten sich eingefunden. Aber Kasperle war müde von dem ungewohnten Lärm und hungrig war er auch. Der Duft der Pfannkuchen, der über dem ganzen Festplatz lagerte, zog ihm lecker in die Nase. Er sagte darum zu Meister Hirsebrei, er müßte erst Pfannküchlein essen, ehe er kaspern könnte, doch Meister Hirsebrei war anderer Ansicht. Der sagte: »Erst spielst du, wenn du deine Sache gut machst, bekommst du vielleicht ein Pfannküchlein.«

Ein Pfannküchlein für einen Kasperlemagen! Und dazu noch vielleicht!

Was sich Meister Hirsebrei wohl dachte. Dabei gab es Pfannküchlein zu Bergen aufgehäuft. Das Wasser lief dem Kasperle im Munde zusammen, und auch Bimlim atmete sehnsüchtig den leckeren Duft ein.

Früher, fiel es Peringel ein, hatte er Pfannküchlein essen dürfen, so viel wie er wollte. Ach, wie war doch die Welt anders geworden!

Auf einmal fiel Peringel noch etwas ein, und er flüsterte in einer Ecke eifrig mit Bimlim.

»Na, Kasperles, marsch vorwärts, ich will der Teufel sein, der euch holt. Nun los, gespielt!« Meister Hirsebrei hatte es eilig. Da gingen Kasperle und Bimlim hinaus und draußen sagte Bimlim: »Uah, bin ich müde, ich habe nur hundertfünfzig Jahre geschlafen, das ist zu wenig. Und Hunger habe ich auch.«

»Haste auch hundertfünfzig Jahre nichts gegessen?« fragte ein vorwitziger Bube.

»Du hast mir doch nichts gebracht,« schrie ihn Bimlim an.

»Huch, ich weiß etwas,« rief Kasperle Peringel und legte den Finger an die Nase.

»Was weißt du denn?«

»Daß heute Jahrmarkt ist.«

»Dummer Kerl!« Bimlim schien böse zu sein, und Peringel machte sein schlaustes Gesicht, als er schrie: »Und auf dem Jahrmarkt gibt es Pfannküchlein, die schmecken fein, nicht wahr?«

»Ja,« brüllten die Kinder, und die Erwachsenen lachten.

»Hole mir welche,« gebot Bimlim sehr vornehm.

»Zu Befehl, mein Herr.« Und haste nicht gesehen, da siehste, kobolzte Peringel zur Bude hinaus zur Pfannkuchenbude hin, dort machte er eine Verbeugung und sagte: »Für meinen Herrn, den Prinzen Bimlim,« ergriff zwei Tüten und war verschwunden, ehe die dicke Pfannkuchenfrau sich noch von ihrem Erstaunen erholt hatte.

»Haste welche?« fragte Bimlim sehr unprinzlich.

»Für dich eine Tüte, für mich eine Tüte.«

Mit großartigem Schwung reichte Peringel eine Tüte Bimlim. Nun aßen beide in sechs Bissen jeder sechs Pfannkuchen auf, und die Kinder sahen erstaunt zu, denn so geschwind ging es bei ihnen nicht.

»Hole mehr,« sagte Bimlim, dem es geschmeckt hatte.

»Der will noch mehr,« schrien die Kinder.

»Kasperles, ihr platzt,« mahnte eine Frau.

Aber Peringel hatte keine Lust, zu der dicken Pfannkuchendame zu gehen. Zweimal läßt sich ein solcher Streich nicht machen. Er sagte daher: »Oh mein Prinz, es gibt auch warme Würstchen.«

»So hole warme Würstchen, aber schnell, ich verhungere.«

»Er hat sechs Pfannkuchen gegessen und verhungert, nun da möchte ich mal sehen, wann der satt wird,« rief ein kleines, dünnes Stimmchen.

Peringel ließ sich aber durch die Zwischenrufe nicht stören, er kobolzte wieder zur Bude hinaus und machte es mit dem Würstelmann wie mit der Pfannkuchenfrau, nur daß sich der Würstelmann die Sache nicht so gefallen ließ; er fing furchtbar zu schelten an.

Weil Kasperle mit den Würstchen und Semmeln nicht so schnell fort kam, stopfte er alle in seine Tasche und purzelbaumte zurück, ehe ihn der Würstelmann noch fangen konnte.

»Da ist er,« schrien die Kinder, als Peringel zurückkam.

»Es läuft ihm aus den Hosen,« schrie einer.

»Pfui,« rief ein anderer.

Heiße Würstchen mit Senf in den Hosentaschen und damit Purzelbäume schießen, ist eine unangenehme Sache, und Kasperle brachte etliche zerplatzte Würste und zerdrückte Semmeln aus der Hosentasche hervor. »Pfui, das esse ich nicht,« rief Bimlim. Aber Peringel stopfte den Mischmasch schweigend in den Mund, und neben ihm ertönte erstauntes Rufen: »Er ißt es.«

»Ja, er ißt es,« rief eine grobe Stimme, »und hat es nicht bezahlt.«

Es war der Würstelmann, der die Kasperles gefunden hatte und neben ihm stand, o Schreck und Graus, die Pfannkuchendame und schrie: »Er muß bezahlen.«

»Ja, er muß bezahlen,« rief auch der Würstelmann und das riefen sie so laut, daß es Meister Hirsebrei hörte. Der hatte sich inzwischen als Teufel angezogen und kam hinter dem Vorhang hervor.

»Der Teufel, der Teufel!« schrien die Kinder, »er holt Kasperle.«

Bimlim erschrak. Er hatte noch nie in einer Kasperlebude gespielt und wußte nicht, daß Meister Hirsebrei selbst den Teufel spielen wollte. Mit einem Satz war er aus der Bude hinaus und saß der Pfannkuchenfrau auf dem Rücken. Platsch! saß sie am Erdboden. Ein Kasperle hatte sie noch nie auf dem Rücken gehabt, das war eine neue Mode.

Kasperle, der wußte, wer der Teufel war, stopfte seelenruhig seine Würstchen und die Semmel in den Mund, und Meister Hirsebrei-Teufel fragte ihn: »Wo hast du die denn her?«

»Gestohlen hat er sie,« rief der Würstelmann.

Nun wußte Kasperle gar nicht mehr, was »gestohlen« heißen sollte, es mußte aber etwas sehr Schlimmes sein, denn alle Kinder sahen ihn entsetzt an, und Meister Hirsebrei-Teufel sagte: »Da muß er Haue haben.«

»Nä,« schrie Kasperle, »ich mag nicht.«

»Nein,« riefen auch die Kinder.

»Doch,« rief Meister Hirsebrei und holte einen Stock herbei.

»Der Teufel will Kasperle hauen.«

Alle nahmen das für Spaß, Kasperle aber merkte, es war Ernst. Und gerade in dem Augenblick kamen Henry Stopps, Prinz August mit Rosemarie und Liebetraut Severin an, und Kasperle schämte sich entsetzlich. Er sah plötzlich Meister Hirsebrei so tieftraurig an, daß der leise sagte: »Kasperle, ich mache nur Spaß.«

Just in dem Augenblick sagte Liebetraut Severin: »Pfui, wie laut das hier ist,« denn die Kinder lärmten und schrien ganz erschrecklich. Und dann fragte sie: »Warum sollte denn Kasperle Haue kriegen?«

»Weil er gestohlen hat,« brüllte es im Chor.

»Pfui!« Liebetraut rümpfte die feine, kleine Nase und sah Kasperle so verächtlich an, als wäre der der größte Missetäter auf der Welt.

Kasperle wurde sehr verlegen, die Pfannküchlein und Würstchen auf dem Jahrmarkt waren doch dazu da, um gegessen zu werden, und ein Kasperle fragt nicht nach dem Preis. Es ißt, was da ist. Dafür ist es eben ein dummes, kleines Kasperle. Und als ihn Liebetraut strafend ansah und sagte: »Pfui, schäme dich, wie bös du bist,« da wurde es auf einmal fuchsteufelswild und schrie: »Ich bin doch ein Kasperle und Marlenchen war viel netter, die hat nicht geschumpfen.«

Da lachten alle und Kasperle lachte mit und die Pfannkuchen und Würstchen wären vergessen gewesen, wenn nicht die Pfannkuchenfrau und der Würstelmann ihr Geld gefordert hätten. Das taten sie laut und grob, und Liebetraut, die es hörte, sagte spöttisch: »Also doch gestohlen! Was kann man auch nur anderes von einem Kasperle verlangen!«

Da fing Kasperle zu weinen an: »Wenn ich doch Hunger hab.«

»Ich bin schuld,« rief Meister Hirsebrei, dem sein armes kleines Kasperle leid tat. Es wurde wieder allen wind und weh bei Kasperles Weinen und ein sonst recht unnützer Bube schrie: »Kasperle, weine nicht, mir tut mein Bauch weh.«

Er meinte damit sein Herz, aber weil er keine Erfahrung in Herzschmerzen hatte, nannte er es seinen Bauch, und den andern Kindern ging es ähnlich, sie baten alle: »Kasperle, hör auf. Wir bezahlen die Schuld.«

»Ist gar nicht nötig,« rief die Pfannkuchenfrau, »ich schenk sie dem Kasperle, er soll nur wieder lachen.«

»Ich schenke ihm die Würstel auch,« rief der Würstelmann, »lache nur wieder, ich will mich mal gründlich auslachen.«

Da lachte Kasperle über das ganze Gesicht und es gab ein großes Getöse auf dem Platz. Nur Liebetraut lachte nicht, ihr tat das Herz nun wirklich weh. Denn auf einmal, sie wußte gar nicht, wie es gekommen war, tat ihr das Kasperle erschrecklich leid. Da mußte das arme Kasperle stehen und Späße machen, und dabei hatte es keine rechte Heimat, denn der Kasperlemann, bei dem es war, der dachte doch nur an die Gröschleins, die er einnehmen würde. Jetzt gerade ging er herum und rief:

»Gröschleins hergeben,
Kasperle will leben,
so ein Kasperlemagen
kann viel vertragen.«

Und Kasperle lachte dazu, hopste und sprang und Liebetraut Severin, die hochmütige, kalte Liebetraut hätte am liebsten das Kasperle in die Arme genommen und gesagt: »Komm mit heim ins alte Severinhaus, dort ist deine Heimat.«

Aber Kasperle und Bimlim dachten beide jetzt nur daran, daß sie auf dem Jahrmarkt standen und kaspern wollten, damit die Leute lachen. Sie hopsten und sprangen, schlugen Purzelbäume, stritten sich mit dem Teufel, schnitten Gesichter und waren so kasperlemäßig als nur möglich.

Das Lachen brauste über den ganzen Platz, und wer sich ärgerte, war der dumme August; hätte ich ihm doch nicht meine Hosen gegeben, dachte er.

Ich bin dumm, schalt sich Liebetraut im Herzen, Kasperle fühlt sich gar nicht einsam, er ist sehr glücklich. Sie ging weg, vorher legte sie noch eine Mark, ihr ganzes Jahrmarktsgeld, in den Sammelteller, sie wollte Kasperle eine Liebe erweisen, aber Kasperle sah es nicht.

Den ganzen Nachmittag tobte der Sturm um die Kasperlebude, alles rannte hin, jeder wollte Kasperle sehen und die andern Budenbesitzer wurden eifersüchtig. Wer fuhr denn noch in der Luftschaukel, wer im Karussell, wer ritt im Hippodrom oder lachte im Lachkabinett?

Niemand, denn niemand hatte dafür Zeit noch Geld.

Aber auf einmal hieß es, jetzt will Kasperle Luftschaukel und Karussell fahren.

Und gleich strömten alle hin. Jeder wollte sehen, jeder wollte mitfahren und die Budenbesitzer dienerten vor Kasperle und Bimlim, als wären sie Reichskanzler oder Ministerpräsident. Und Kasperle stieg auf die Luftschaukel und Meister Hirsebrei schrie: »Fall nicht herunter!« Aber da lag er schon. Er hatte sich aber nicht weh getan, denn er hatte in der Luft einen Purzelbaum geschossen und war unversehrt unten angekommen. Dann stieg Kasperle auf ein Karussellpferd, und wieder schrie Meister Hirsebrei: »Fall nicht!« Und bums, da lag Kasperle und drei Buben lagen mit ihm am Boden. Inzwischen kam die Riesendame und der Mann, der das Kalb mit den beiden Köpfen hatte, und beide baten: »Komm zu mir.«

»Warum denn?« fragte Kasperle.

»Weil’s dann Gröschlein gibt,« flüsterte ihm Meister Hirsebrei zu.

»Wollen wir, Bimlim?«

Und Bimlim sagte: »Ja,« denn er hatte so etwas noch nie gesehen.

Auch aus den andern Buden kamen sie und baten, die Kasperles möchten zu ihnen kommen. Und die Kasperles kamen, staunten alles an, rissen ihre Münder sperrangelweit auf und lachten, daß der dumme August wieder neidisch wurde. So konnte er nicht lachen.

Endlich wurde Peringel auch müde, und Bimlim ‚uahte‘ schon seit einer ganzen Weile, er hatte beinahe den Gähnkrampf. Da sagte Meister Hirsebrei: »Nun gehen wir nach Hause.«

»Wohin, zu Madame Käsewurm?«

»Nein, die ist krank, heute schlaft ihr bei Meister Drillhose.« Da fühlte Kasperle wohl, daß er nicht zu Hause war. Er bat: »Wir wollen über den Kirchplatz gehen.«

»Warum?« fragte Bimlim traurig.

»Darum,« antwortete Peringel.

»Weil er da gewohnt hat, als er das vorige Mal wach gewesen ist,« sagte Meister Hirsebrei, dem sein Freund Drillhose alles erzählt hatte.

»Uah, ich weiß nicht mehr, wo ich gewohnt habe,« rief Bimlim, »das habe ich verschlafen.«

»Da ist der Kirchplatz,« sagte Meister Hirsebrei.

»Nä, ist er nicht,« rief Kasperle.

»Doch ist er.«

Aber Kasperle wollte es nicht glauben, daß der Platz mit der großen Linde und den neuen Häusern sein alter, lieber Kirchplatz sei. Erst als er das alte Severinhaus sah, kam ihm ein Erinnern und auf einmal fing er bitterlich zu weinen an.

Und dies tieftraurige Weinen der Heimatlosigkeit hörte Liebetraut Severin. Da rief sie: »Kasperle!« und lief hinab. Aber Kasperle war schon fort und Liebetraut bereute von diesem Abend an ihre bitteren Worte aus tiefstem Herzen.

Von einem Kasten, einer Katze, einer Lampe und sehr viel Mißgeschick

Madame Käsewurm war eigentlich keine Madame, sondern ein altes Fräulein, aber Meister Drillhose fand es klüger und reputierlicher, Madame zu sagen, also sagte er Madame, und das Fräulein Käsewurm ließ sich die Madame gefallen. Sie tänzelte lächelnd in das Zimmer und rief: »Ach Meister Drillhose, wie geht es unserem Kasperle?«

»Es schläft.«

»Immer noch der Faulpelz.«

Das war ein Witz, den Madame Käsewurm jedes Jahr dreihundertfünfundsechzigmal machte, denn sie fragte jeden Tag nach Kasperle und bekam jeden Tag die gleiche Antwort. Und dreihundertfünfundsechzigmal im Jahr lachte Meister Drillhose über den Witz und heute lachte Meister Hirsebrei mit.

»Man muß es aufwecken,« sagte der.

»Wie denn?«

»Mal kitzeln.«

Aber Meister Drillhose und Madame Käsewurm sagten, das dürfe man nicht tun, es könnte Kasperle schaden.

»Aber wo ist es denn?« rief Meister Hirsebrei, der anfing ungeduldig zu werden.

»Abwarten und Tee trinken.« Herr Drillhose war nicht sehr für die Eile, er wollte lieber alles in Gemütsruhe machen. Er ging also langsam zu dem Kasten hin, öffnete ihn so langsam, als hätte er Angst, das Kasperle könnte ausreißen.

Meister Hirsebrei und Frau Mariechen zappelten vor Ungeduld, sie konnten es beide gar nicht erwarten, Kasperle zu sehen, und dabei hob Meister Drillhose ganz langsam den Deckel.

So langsam. Meister Hirsebrei trat von einem Bein auf das andere und sagte schließlich: »Wird’s bald?«

Klapp – ging der Deckel wieder zu. »Abwarten und Tee trinken,« brummte Meister Drillhose und setzte sich auf den Kasten. Dazu machte er ein Gesicht, als wollte er sagen: Nun gerade nicht.

Da erhob Madame Käsewurm ihr feines, hohes Stimmlein und fragte etwas spöttisch: »Werden wir Kasperle vor Mitternacht sehen?«

»Ja, doch nur nicht so eilig.« Jetzt war Meister Drillhose ganz schlechter Laune. Er rutschte aber doch von seinem Sitz herab und schickte sich an, den Kasten wieder zu öffnen.

In diesem Augenblick lief eine große schwarze Katze ins Zimmer und Meister Drillhose schrie entsetzt: »Die Katze, die Katze!« und klapp ließ er den Deckel wieder zufallen.

»Was ist denn mit der Katze?« Meister Hirsebrei sah verdutzt auf seinen kleinen Kollegen, der sich wieder auf den buntbemalten Kasten gesetzt hatte. Er stammelte: »Die Katze muß naus.«

»Warum denn?« Meister Hirsebrei fand, vor einer Katze brauche man sich nicht zu fürchten.

»Sie beißt ihn!«

»Wen, Kasperle?«

»Ja, Kasperle!«

»Ach, Unsinn.«

»Ist kein Unsinn. Die Katze muß naus.«

Da fingen Meister Hirsebrei und Frau Mariechen an, die Katze zu jagen. Die wollte aber nicht hinaus. Sie sprang auf einen Schrank und fauchte wütend von oben herunter.

»Sie muß naus!«

»Es ist ein ekliges Tier.« Meister Hirsebrei war ganz wütend, er machte husch, husch, aber die Katze fauchte weiter.

»Man muß einen Besen holen,« riefen Frau Mariechen, Meister Drillhose und Madame Käsewurm.

»Wo ist ein Besen?« Meister Hirsebrei sah sich suchend um.

»Holen Sie einen,« sagte Madame Käsewurm zu Meister Drillhose.

Doch der schüttelte den Kopf: »Ich kann nicht vom Kasten herunter. Draußen im Flur steht der Besen.«

Da ging Meister Hirsebrei hinaus, den Besen zu suchen. Zuerst fiel er beinahe die Kellertreppe hinab, dann stieß er sich an einem Schrank, dann purzelte er über einen Eimer, dann riß er einen Kleiderständer um und dann fand er einen Besenstiel, aber es war kein Besen dran.

»Wo ist denn der Besen?«

»Der liegt im Schrank, er muß erst angenagelt werden.«

»Wo sind denn Nägel?«

»Auf dem Boden.«

»Und der Hammer?«

»Im Keller.«

Das war Meister Hirsebrei doch zu umständlich, er sagte: »Ich nehme den Stiel, sie wird schon fortgehen.«

Aber die Katze ging nicht herunter. Sie fauchte und mauzte den Besenstiel an und blieb auf dem Schrank sitzen.

»Ich klettere hinauf,« sagte Meister Hirsebrei mutig. Aber Meister Drillhose schrie: »Sie kratzt, sie kratzt!«

Und wirklich sah das Katzentier aus, als wollte es sehr schlimm kratzen. Es fauchte und mauzte immer heftiger und der mutige Herr Hirsebrei bekam Angst.

»Gehen Sie zum Nachbarn und holen Sie einen Besen,« riet Madame Käsewurm.

»Wo wohnt denn da jemand?«

»Im Hause, zwei Treppen.«

Da stieg Herr Hirsebrei zwei Treppen hoch und fand eine alte Frau. Die wollte ihm aber keinen Besen geben; erst als sie hörte, die Katze wäre unten im Zimmer, holte sie einen herbei. Sie sagte aber: »Damit bringen Sie die nicht vom Schranke herunter, wo die sitzt, da sitzt sie.« Es schien beinahe so, als ob die alte Frau recht hätte, denn die Mieze ließ sich auf dem Schrank nicht stören, sie fauchte und mauzte und – blieb sitzen.

Einmal fuhr Meister Hirsebrei mit dem Besen aus Versehen Meister Drillhose über den Kopf, dann warf er ein Glas um, aber – die Katze blieb sitzen.

Endlich wurde ihr das Gestoße aber doch zu bunt, sie mauzte und sprang Madame Käsewurm auf den Schoß und das alte Fräulein schrie laut auf vor Schreck. Darüber erschrak wieder die Katze und sie sprang an das Fenster, wollte hinaus und – klirr ging die Scheibe in Stücke.

Meister Drillhose dachte, Meister Hirsebrei wäre es mit dem Besen gewesen und rief: »Was machen Sie?«

Da brummte Meister Hirsebrei: »Das wußte ich auch noch nicht, daß man zu einer Katze Sie sagt.«

Darüber mußte das alte Fräulein lachen und Frau Mariechen lachte auch und zuletzt lachten alle vier und Meister Hirsebrei rief: »Es ist fast, als wäre die Katze ein Kasperle gewesen!«

Holla, ja Kasperle! »Jetzt mache ich auf!« rief Meister Drillhose und ging an den Kasten. Er hob ganz vorsichtig ein wenig den Deckel und da – ging die Lampe aus.

Was ihr einfiel, wußte kein Mensch. Herr Drillhose sagte nachher, daran wäre der Besen schuld gewesen, aber Meister Hirsebrei wollte davon nichts wissen. Jedenfalls war die Lampe aus, ganz aus und – klapp fiel auch der Deckel vom Kasperlekasten zu, denn ohne Licht kann man kein Kasperle sehen.

Es war wirklich erschrecklich dunkel im Zimmer und Meister Hirsebrei schalt: »Warum haben Sie auch nur so ’ne alte Petroleumfunzel und kein elektrisches Licht?«

»Weil das ’ne ganz dumme neumodische Einrichtung ist und ich ein alter Mann bin und das Altmodische liebe. Gehen Sie, holen Sie die Flurlampe.«

Da ging Meister Hirsebrei und holte die Flurlampe, und als er damit zur Tür hereintrat, kam wieder ein Luftzug und – aus war die Lampe.

»Das ist verhext!« rief Meister Drillhose.

»Um’s Himmelswillen, wo ist die Hexe?« Das alte Fräulein war sehr abergläubisch und es dachte wirklich, irgendeine Märchenhexe säße im Ofenwinkel und bliese die Lampen aus.

»Unsinn,« brummte Meister Hirsebrei. »Ich habe Streichhölzer, ich zünde die Lampe an.« Er griff nach dem Zylinder und schrie »au« und – klatsch, da lag der Zylinder, er war noch heiß gewesen.

»Das kommt vom Unsinnsagen, und so ein neumodischer Mensch kann auch nicht mal eine Lampe anzünden. Passen Sie auf, das mache ich geschickter.« Meister Drillhose nahm den Zylinder ab, zündete die Lampe an, setzte den Zylinder auf und – klirr ging der in Splitter.

»Er hat schief gesessen,« rief Madame Käsewurm, »holen Sie eine andere Lampe.«

»Ich habe keine mehr.«

»Na, im Dunkeln kann man doch Kasperle nicht sehen.«

»Dann muß ich ihn morgen zeigen.«

»Ich gehe eine Lampe holen,« rief Meister Hirsebrei, dem die hilfsbereite Nachbarin einfiel.

Aber Meister Drillhose sagte: »Lampen hat niemand mehr, da muß ich zum Krämer gehen und Zylinder holen.«

»Aber der hat schon zu,« warf das alte Fräulein ein.

»Ich geh’ hinten hinein.«

So geschah es auch. Aber der Krämer war ausgegangen und Meister Drillhose kehrte ohne Zylinder heim.

»Mir fällt ein, ich habe noch eine Lampe, da hole ich den Zylinder.«

Also ging Madame Käsewurm, die das gesagt hatte, den Zylinder holen. Sie kam auch damit zurück, er paßte auch und Meister Drillhose zündete die Lampe an, ohne daß er platzte.

»Nun können wir Kasperle sehen,« rief Meister Hirsebrei froh.

»Nicht so eilig,« wehrte sein Kollege, »so etwas muß mit Bedacht geschehen.«

»Ich glaube,« sagte das alte Fräulein ängstlich, »die Lampe geht aus, es wird so dunkel.«

Klapp ließ Meister Drillhose wieder den Deckel fallen. Er stammelte: »Wie kann denn die Lampe ausgehen?«

»Sie hat kein Petroleum.« Madame Käsewurm hob den Behälter auf, er war leer.

»Man muß welches nachgießen.« Frau Mariechen dachte sich das ganz einfach, aber so einfach war das nicht. Es stellte sich nämlich heraus, daß auch die Petroleumkanne leer war.

»Man muß die andere Lampe umfüllen.« Frau Mariechen wußte wieder Rat, aber der Rat konnte nicht ausgeführt werden, denn auch die andere Lampe war leer.

»Ich hole Wachskerzen,« sagte das alte Fräulein und trippelte wieder hinunter, die Kerzen zu holen. Nach einer Weile kam sie ohne Kerzen wieder. Sie hatte die Schlüssel verloren. Ein hastiges Gesuche entstand, aber die Schlüssel fanden sich nicht.

»Man muß zu Meister Nipple, dem Schlosser, gehen,« rief Meister Drillhose.

Er lief selbst, da seine alte Freundin einverstanden war, um den Schlosser zu holen. »Er wird auch nicht zu Hause sein,« vermutete Madame Käsewurm. Er war aber zu Hause, nur lag er im Bett und hatte Leibschmerzen, da konnte er nicht kommen und das Schloß aufmachen. Aber ein winziges Restchen Petroleum gab er Meister Drillhose in einer Flasche mit. Meister Drillhose lief eilig nach Hause, schon an der Haustüre rief er: »Ich habe Petroleum.«

»Wo?«

»Hier.«

Und – pardauz lag Meister Drillhose mitsamt der Flasche auf der Treppe; er war über die Katze gefallen.

Nun war guter Rat teuer. Bei dem einen dürftigen Licht, das Meister Drillhose noch besaß, konnte man Kasperle nicht sehen, so behauptete wenigstens der alte Kasperlemann und Madame Käsewurm sagte auf einmal: »Mir ist die Sache unheimlich. Gewiß geschieht etwas, wenn wir das Kasperle heute ansehen. Wir wollen bis morgen warten.«

»Ja, wir wollen bis morgen warten.« Meister Drillhose war mehr wie zufrieden damit, denn es tat ihm schon leid, daß er sein Kasperle zeigen sollte.

Wer nicht einverstanden war, das war Meister Hirsebrei, aber was half es ihm, das Kasperle bekam er heute nicht gezeigt. Er mußte sich auf morgen vertrösten, und um seine Neugier recht groß zu machen, sagte nun auch noch Madame Käsewurm:

»Vielleicht, aber nur vielleicht, zeige ich Ihnen morgen mein Geheimnis.«

»Was ist das für eins?«

»Das verrate ich nicht.«

»Ist’s auch ein Kasperle?«

»Ich verrate nichts.«

»Lebt es auch oder schläft es?«

»Ich verrate nichts.«

Da lief Meister Hirsebrei davon, und wenn ihm Frau Mariechen nicht gut zugeredet hätte, wäre er überhaupt davon gelaufen, er glaubte nämlich nicht mehr an das Kasperle.

»Morgen!« rief Meister Drillhose nach.

»Morgen!« rief Madame Käsewurm.

Aber da war Meister Hirsebrei schon um die Ecke gelaufen. Er ging an diesem Abend sehr wütend ins Bett und sagte zu allem, was ihm Frau Mariechen erzählte: »Paß auf, es gibt gar kein lebendiges Kasperle mehr. Ich glaube nicht daran. Meister Drillhose hält uns zum Narren.«