Am nächsten Tage sollten die Kasperles auf dem Jahrmarkt spielen. Es wurde in ganz Torburg von nichts als von den Kasperles geredet, und Liebetraut hörte auch in der Schule, die Kasperles würden auf dem Jahrmarkt spielen. Da sagte sie: »Pfui, wie kann man auf dem Jahrmarkt spielen, das ist unfein.«
Prinzeß Marlene meinte sanft: »Es sind doch Kasperles.«
»Es ist unfein, mit Kasperles zu verkehren,« rief Liebetraut.
Es fanden sich etliche, die sagten, Liebetraut hat recht, und wieder andere, die das dumm fanden, Kasperles wären eben etwas Besonderes, das dürfe man nicht so streng nehmen. Aber alle, ob sie nun für oder gegen eine Kasperlefreundschaft waren, sagten, sie würden am Nachmittag auf den Jahrmarkt gehen, nur Liebetraut sagte: »Das tue ich nicht. Ich bin eine Gymnasiastin, die geht nicht auf den Jahrmarkt.«
»Ich bin auch eine und gehe doch,« rief Rosemarie. »Das Kasperle hat mir gestern ganz gut gefallen. Sei nicht so hochmütig.«
Aber Liebetraut blieb dabei, nicht auf den Jahrmarkt zu gehen, um Kasperle zu sehen. »Vielleicht tut er es doch nicht,« sagte sie. Aber Kasperle hatte die beste Absicht, auf dem Jahrmarkt zu spielen. Er sollte mit Bimlim und Madame Käsewurm am Nachmittag hinauskommen. Meister Drillhose war schon am Vormittag mit Meister Hirsebrei hinausgezogen, um das Theater für die Vorstellung in Ordnung zu bringen. Aber Madame Käsewurm war an dem Tage krank, und als das Mittagessen kam, mußten die Kasperles alle Pflaumenklöße allein essen, keinen kleinen Bissen brachte das alte Fräulein hinunter. Kasperle tat zwar, als wenn ihm das sehr leid täte, er aß aber so viel Klöße, daß selbst Bimlim sagte: »Es wird zu viel.«
»Ih nä,« sagte Kasperle, »auf dem Jahrmarkt esse ich noch Pfannküchlein, aber viele.«
»Hast du denn Geld?« fragte das alte Fräulein.
Kasperle zog ganz stolz ein Gröschlein hervor, das ihm Meister Drillhose geschenkt hatte.
»Dafür wirst du nicht viel kriegen.«
»Ich werd’ schon kriegen.«
»Aber wie kommt ihr hin? Ich kann nicht mitgehen,« sagte Madame Käsewurm bekümmert.
»Ich finde schon hin.« Kasperle tat sehr mutig und Madame Käsewurm beschrieb ihm noch genau den Weg. Das ging dem Kasperle durch die Ohren wie durch einen Tunnel. Zum einen Loch hinein, zum andern hinaus. Als die beiden Kasperles auf die Straße kamen, wußten sie alle beide nicht, ob sie links oder rechts gehen sollten.
Da kam ein Auto.
Kasperle staunte es an wie Ostern und Pfingsten, wenn es auf einen Tag fällt, und Bimlim staunte mit.
»Na, wollt ihr fahren?« fragte der Chauffeur.
»Ja!« schrie Kasperle.
»Wohin denn?«
»Auf den Jahrmarkt.«
»Habt ihr Geld?«
»Ja, viel Geld.« Kasperle klopfte auf die Tasche, in der er sein Gröschlein verwahrte.
»Na, dann steigt ein.«
Das ließen sich die beiden Schelme nicht zweimal sagen. Sie setzten sich auf die Sitze, und da lagen sie. Das Auto hatte umgedreht und davon waren sie umgefallen.
»Jetzt sind wir bald da.« Das war unvorsichtig von dem Chauffeur.
Die Kasperles dachten, unser Gröschlein wollen wir behalten. »Hier halte ich,« sagte er zum zweitenmal und drehte sich um.
Ja, wo waren denn seine Fahrgäste?
Verschwunden waren sie.
Er sah nicht die zwei sich im Straßengraben kollern, denn aus einem fahrenden Auto zu springen, ist selbst für ein Kasperle keine kleine Sache. Sie hatten sich aber nicht beschädigt, denn im Fallen hatten sie Purzelbäume geschossen. Nun saßen sie im Straßengraben und sahen auf die bunte Lichterstadt, die so anders war, wie Kasperle sie in Erinnerung hatte. So viel mehr Buden, so groß und glänzend, und so viele Dinge gab es, die die Kasperles gar nicht kannten.
Das war nicht der Jahrmarkt von einst, und Kasperle verlor ein bißchen seinen frechen Mut. Es gelang ihm aber, Meister Drillhose, Meister Hirsebrei und Frau Mariechen zu finden. Vor der Bude stand schon eine Anzahl Kinder, die ungeduldig riefen: »Geht es bald los?«
»Da kommen sie!« schrie ein kleiner dicker Stöpsel und zeigte auf die Kasperles.
»Sie sind da!« brüllten die andern.
»Wer ist da?« fragte der Chauffeur, der mit seinem Auto dicht vor der Bude hielt und sich die Kasperlegeschichte mal ansehen wollte.
»Die Kasperles, da sind sie!«
»Donnerwetter, das sind ja meine Fahrgäste!« rief der Mann.
Uh je, bekam Kasperle einen Schreck, er schnitt ein Teufelsgesicht, und der Chauffeur prallte zurück: »Nee, der war’s nicht, aber der andere ist’s.«
Aber Bimlim machte schnell ein Gesicht wie ein altes Hoffräulein, und der Chauffeur sagte ganz kleinlaut: »Sie sind’s doch nicht, aber sonst sehen sie genau so aus.«
»Es sind doch Kasperles,« sagten die Kinder.
»Dann sind sie’s auch,« schrie der Chauffeur und wollte Kasperle greifen, aber da machte der ein Gesicht wie der Schutzmann Müller, worüber sich der Chauffeur so erschreckte, daß er ihn los ließ und flugs witschte Kasperle Bimlim nach und drinnen in der Kasperlebude sagte Meister Drillhose: »Ach, Kasperle, was hast du wieder angestellt, du hättest ja mit der elektrischen Bahn fahren können.«
»Wo ist sie?«
»Dort fährt sie. Nun müßt ihr aber noch ein bißchen warten, denn Frau Mariechen hat die neuen Kasperleröcke noch nicht fertig.«
Ja, wo war Kasperle? Verschwunden.
»Geh such ihn, Bimlim, er soll keine Dummheiten machen.«
Kasperle war aber gerade dabei.
Er stand an der elektrischen Bahn und sagte: »Das ist doch auch ein Wagen ohne Pferde.«
»Wie heißt der?« fragte Bimlim, der Kasperle entdeckt hatte.
»Leckdran,« antwortete der.
»Muß man da lecken?«
»Einsteigen,« schrie der Schaffner, ehe die beiden das Lecken versuchen konnten, und die beiden stiegen ein.
An der Kasperlebude hatte inzwischen Meister Drillhose einen heftigen Streit mit dem Chauffeur, der das Geld für die Kasperlefahrt verlangte. Aber Meister Drillhose wollte es nicht geben: »Hättet Ihr sie doch stehen lassen, wo sie standen,« brummte Meister Drillhose unwirsch.
»Gut,« sagte der Chauffeur patzig, »da fahre ich sie wieder hin, wo ich sie fand, und Ihr könnt sie holen.«
Er sah sich nach den Kasperles um. Ja, wo waren die?
Verschwunden.
Meister Drillhose fragte ein paar Kinder und eins sagte, die beiden Kasperles wären mit der elektrischen Bahn davongefahren. Nun gab es vom Festplatz aus bloß eine Bahn, und es blieb Meister Drillhose nichts weiter übrig, als nachzufahren.
Inzwischen saßen die Kasperles in der elektrischen Bahn, und der Schaffner kam und verlangte Geld. »Meister Drillhose hat gesagt, wir sollen fahren,« schrie Kasperle, so laut er konnte.
»Hat er euch Geld gegeben?«
»Ja, aber zu Pfannküchlein.«
»Aber bezahlen müßt ihr.«
Da reichten die beiden seufzend ihre Gröschlein heraus, und der Schaffner nahm sie und sagte: »Damit könnt ihr bloß bis an das Henkertor fahren, weiter nicht.«
Nach einer Weile, während die Kasperles unruhig im Wagen hin- und herflitzten und den Leuten auf die Füße traten, was diesen nicht angenehm war, rief der Schaffner: »Henkertor, aussteigen!«
Wer aber sitzen blieb, waren die Kasperles.
Als der Wagen weiterfuhr, kam der Schaffner und sagte: »Wolltet ihr nicht aussteigen?«
»Nä.«
»Na, dann müßt ihr noch mal bezahlen.«
»Nä.«
»Jawohl.«
»Wir haben keine Gröschlein.«
»Wer seid ihr denn?« fragte der Schaffner.
»Kasperles.«
»Das ist Unsinn.«
»Nä.«
»Doch, Kasperles sind von Holz.«
»Aber wir sind lebendig.«
»Das sehe ich.«
»Es stimmt schon,« sagte ein Mann, »es sind Kasperles, ich habe sie gestern auf der Polizeiwache gesehen.«
»Dann kaspert uns was vor, dann dürft ihr mitfahren.«
»So lange wir wollen?«
»Ja, so lange ihr wollt.«
Da schnitten die Kasperles ihre Gesichter, die Leute lachten dazu, und die beiden fuhren bis zur Endstation und fuhren wieder zurück und wieder bis zur Endstation und Kasperle sagte: »Ach, Frau Mariechen ist doch noch nicht fertig mit den Kasperlehosen.«
Und Meister Drillhose fuhr auch bis zur Endstation und fuhr auch wieder zurück und suchte seine Kasperles, ohne sie zu finden. Als er das zweitemal wieder zurückkam, stand Meister Hirsebrei da und sagte: »Die Kinder stürmen uns fast die Bude, sie wollen die Kasperles sehen.«
»Die waren vorhin da,« schrie ein Junge.
»Wo?«
»Hier, im vorigen Wagen.«
»Wir müssen warten, vielleicht kommen sie zurück.«
»Ich nehme das Stöcklein,« sagte Meister Drillhose, »ich werde ihnen das Ausreißen abgewöhnen.«
»Nicht schlagen, Meister Drillhose,« mahnte Meister Hirsebrei.
Aber Meister Drillhose sagte: »Ich schlage doch.«
Ein paar Buben riefen da: »Uhje, die Kasperles kriegen Prügel, fein wird das.«
Und als der Wagen kam, in dem die Kasperles saßen, ertönte es ihnen schon entgegen: »Uhje, die Kasperles kriegen Prügel.«
Nun sahen Bimlim und Peringel wirklich Meister Drillhose mit dem Stöcklein stehen, und Kasperle flüsterte Bimlim zu: »Wir schreien aber feste, dann haut er uns vor Angst nicht.«
Und wirklich, kaum setzten sie die Füße vom Wagen, da schrien sie schon. Aber wie!
Das gellte über den ganzen Jahrmarkt. Himmel, schrien die beiden Kasperles! Noch ein anderer Ruf gellte über den Jahrmarkt, der: »Die Kasperles kriegen Haue!«
Der tönte nicht minder laut. Alles, was Buben- und Mädelbeine hatte, lief herzu und schrie: »Die Kasperles werden verhauen. Meister Drillhose hat sie eben in seine Bude gezogen.«
Das letztere stimmte, aber das Verhauen stimmte nicht. Die beiden Kasperlespieler und Frau Mariechen waren so erschrocken über das Gebrüll, daß sie nur immer baten: »Seid doch still, seid doch still!«
Aber die beiden waren nicht still. Je mehr sie immer schrien, je mehr brüllten die Kinder draußen, und Meister Drillhose ging endlich hinaus und sagte: »Sie werden gar nicht gehauen.«
»Aber der andere haut sie, wir hören es doch.«
Da ging Meister Drillhose und holte Meister Hirsebrei herbei, und beide sagten: »Sie werden gar nicht gehauen.«
Doch die Kinder glaubten es immer noch nicht. Frau Mariechen mußte sich auch zeigen. Als aber auch die draußen war und Peringel und Bimlim immer noch schrien, da verlangten ein paar beherzte Buben, sie wollten hineingehen und sehen, wer denn die beiden haue.
Das wurde ihnen auch erlaubt.
Ein paar Mädels schrien freilich: »Sie hauen euch auch,« aber die beiden Buben waren mutig und verschwanden hinter dem roten Vorhang der Kasperlebude.
Da sahen sie denn Peringel und Bimlim gemeinsam auf einem Stuhle hocken. Diese beiden Schlingel hielten sich eng umschlungen und brüllten aus Leibeskräften, obgleich ihnen niemand etwas zu Leid getan hatte.
»Warum schreit ihr denn so?« fragten die Buben.
»Weil wir gehauen werden.«
»Ihr werdet ja gar nicht gehauen.«
»Na, jetzt nicht, aber vielleicht später, mal in hundert Jahren.«
Daß man so brüllt, wenn man vielleicht in hundert Jahren Wichse bekommt, kam den beiden Buben Heinz und Peter erstaunlich vor, und sie fingen an zu lachen.
Kaum hörten die beiden das Lachen, stellten sie ihr Gebrüll ein und lachten mit, und zur allgemeinen Befriedigung ertönte aus der Kasperlebude ein lautes vierstimmiges Gelächter. »Sie lachen,« sagten draußen die Kinder zueinander.
»Seht ihr, wir hauen sie nicht,« rief Meister Drillhose und setzte nachdenklich hinzu: »Obgleich sie es verdient hätten.«
»Sie kaspern vielleicht,« rief ein Bube, der sich das Lachen nicht erklären konnte.
Und plötzlich rief es von allen Seiten: »Wir wollen mitlachen, wir wollen sie kaspern sehen, sie sollen spielen.«
»Ja, sie sollen spielen.«
»Kommt nur, Kasperles, ihr sollt spielen.«
»Ja, kommt nur.«
Da streckte Kasperle seine große Nase zum Vorhang heraus und sagte: »Ich komme gleich, ich muß erst meine Hosen anziehen.« Und dabei schlenkerte er seine neuen Kasperlehosen zum Vorhang heraus und witsch entwitschten sie ihm, und ein Windstoß entführte sie.
Im Nu rannten sämtliche Kinder hinterdrein. Sie sahen dabei nicht rechts und nicht links, rannten einen Würstelmann und eine Frau, die türkischen Honig feilbot, um, und erreichten die Hosen gerade am Hundezirkus. Dort saß ein dummer August, der wollte die Hosen auch fangen.
»Laß, es sind dem Kasperle seine,« schrien die Kinder und zehn Hände griffen danach und zerrten und zerrten. Jeder wollte die Hosen haben, um sie Kasperle zurückzubringen. Doch Mutter Mariechen hatte leider nicht so sehr festen Stoff genommen. Ritsch ging es auf einmal, und mitten durch waren die Kasperlehosen.
Die Kinder standen wie erstarrt, bis ein Bube rief: »Nun kann er nicht spielen, nun hat er keine Hosen.«
Ein lautes Wehklagen erhob sich, und der dumme August sagte spöttisch: »Seht ihr, blinder Eifer schadet nur.«
»Gib deine Hosen, das sind auch Kasperlehosen,« rief auf einmal Heinz, der sich mit an dem Hosenfang beteiligt hatte.
»Meine Hosen, nee, dann habe ich ja keine.«
»Ach was, ein dummer August kann ohne Hosen gehen.«
»Ich hol’ dir meine.«
»Ich habe auch ein paar weiße, die bringe ich dir.«
»Ich hab’ blaue.«
»Ich wohne nahe.«
»Ich auch.«
So rief es durcheinander, und der arme dumme August wurde arg bedrängt. Endlich sagte er: »Holt die Hosen.«
Da stoben sechs Buben davon und rasten, was sie konnten, nach Hause und in sechs Häusern rissen sechs Buben je ein paar Hosen aus dem Schrank, und als sechs Mütter fragten: »Was wollt ihr mit den Hosen?« riefen sechs Buben sehr aufgeregt: »Kasperle seine sind zerrissen, er muß Hosen haben.«
»Aber wieder bringen,« mahnten die sechs Mütter, doch sämtliche sechs Buben hatten die Mahnung vergessen, als sie vor dem dummen August standen. Einer nach dem andern kam an, und der dumme August nahm jede Hose und sagte: »Erst sehen, was der andre bringt.«
Endlich kam der letzte, der dachte nun, er würde die ersehnten Hosen kriegen, aber der dumme August holte ein paar weite Kattunhosen aus seinem Kasten, nahm die sechs Hosen über den Arm und sagte, er wollte Kasperle die Hosen selbst bringen, sonst würden sie wieder zerrissen. Das war den Hosenspendern nur halb recht. Sie gingen aber alle sechs mit, um wenigstens zu sehen, welche Hosen der dumme August behalten würde. Meister Hirsebrei freute sich sehr über den Ersatz, und der dumme August bekam noch ein Trinkgeld. Dann fragten die Buben: »Welche Hosen behältst du denn?«
»Meine?«
»Nein, meine.«
»Meine.«
»Meine.«
»Lieber meine.«
»Ach, meine.«
Sämtliche Buben hatten vergessen, daß die Mütter das Wiederbringen anempfohlen hatten. Und der dumme August sagte sechsmal ja, nahm alle sechs Hosen und verschwand in seinem Zelt. Er behielt alle sechs. Ein so sehr dummer August war er gar nicht.