Madame Käsewurm war eigentlich keine Madame, sondern ein altes Fräulein, aber Meister Drillhose fand es klüger und reputierlicher, Madame zu sagen, also sagte er Madame, und das Fräulein Käsewurm ließ sich die Madame gefallen. Sie tänzelte lächelnd in das Zimmer und rief: »Ach Meister Drillhose, wie geht es unserem Kasperle?«

»Es schläft.«

»Immer noch der Faulpelz.«

Das war ein Witz, den Madame Käsewurm jedes Jahr dreihundertfünfundsechzigmal machte, denn sie fragte jeden Tag nach Kasperle und bekam jeden Tag die gleiche Antwort. Und dreihundertfünfundsechzigmal im Jahr lachte Meister Drillhose über den Witz und heute lachte Meister Hirsebrei mit.

»Man muß es aufwecken,« sagte der.

»Wie denn?«

»Mal kitzeln.«

Aber Meister Drillhose und Madame Käsewurm sagten, das dürfe man nicht tun, es könnte Kasperle schaden.

»Aber wo ist es denn?« rief Meister Hirsebrei, der anfing ungeduldig zu werden.

»Abwarten und Tee trinken.« Herr Drillhose war nicht sehr für die Eile, er wollte lieber alles in Gemütsruhe machen. Er ging also langsam zu dem Kasten hin, öffnete ihn so langsam, als hätte er Angst, das Kasperle könnte ausreißen.

Meister Hirsebrei und Frau Mariechen zappelten vor Ungeduld, sie konnten es beide gar nicht erwarten, Kasperle zu sehen, und dabei hob Meister Drillhose ganz langsam den Deckel.

So langsam. Meister Hirsebrei trat von einem Bein auf das andere und sagte schließlich: »Wird’s bald?«

Klapp – ging der Deckel wieder zu. »Abwarten und Tee trinken,« brummte Meister Drillhose und setzte sich auf den Kasten. Dazu machte er ein Gesicht, als wollte er sagen: Nun gerade nicht.

Da erhob Madame Käsewurm ihr feines, hohes Stimmlein und fragte etwas spöttisch: »Werden wir Kasperle vor Mitternacht sehen?«

»Ja, doch nur nicht so eilig.« Jetzt war Meister Drillhose ganz schlechter Laune. Er rutschte aber doch von seinem Sitz herab und schickte sich an, den Kasten wieder zu öffnen.

In diesem Augenblick lief eine große schwarze Katze ins Zimmer und Meister Drillhose schrie entsetzt: »Die Katze, die Katze!« und klapp ließ er den Deckel wieder zufallen.

»Was ist denn mit der Katze?« Meister Hirsebrei sah verdutzt auf seinen kleinen Kollegen, der sich wieder auf den buntbemalten Kasten gesetzt hatte. Er stammelte: »Die Katze muß naus.«

»Warum denn?« Meister Hirsebrei fand, vor einer Katze brauche man sich nicht zu fürchten.

»Sie beißt ihn!«

»Wen, Kasperle?«

»Ja, Kasperle!«

»Ach, Unsinn.«

»Ist kein Unsinn. Die Katze muß naus.«

Da fingen Meister Hirsebrei und Frau Mariechen an, die Katze zu jagen. Die wollte aber nicht hinaus. Sie sprang auf einen Schrank und fauchte wütend von oben herunter.

»Sie muß naus!«

»Es ist ein ekliges Tier.« Meister Hirsebrei war ganz wütend, er machte husch, husch, aber die Katze fauchte weiter.

»Man muß einen Besen holen,« riefen Frau Mariechen, Meister Drillhose und Madame Käsewurm.

»Wo ist ein Besen?« Meister Hirsebrei sah sich suchend um.

»Holen Sie einen,« sagte Madame Käsewurm zu Meister Drillhose.

Doch der schüttelte den Kopf: »Ich kann nicht vom Kasten herunter. Draußen im Flur steht der Besen.«

Da ging Meister Hirsebrei hinaus, den Besen zu suchen. Zuerst fiel er beinahe die Kellertreppe hinab, dann stieß er sich an einem Schrank, dann purzelte er über einen Eimer, dann riß er einen Kleiderständer um und dann fand er einen Besenstiel, aber es war kein Besen dran.

»Wo ist denn der Besen?«

»Der liegt im Schrank, er muß erst angenagelt werden.«

»Wo sind denn Nägel?«

»Auf dem Boden.«

»Und der Hammer?«

»Im Keller.«

Das war Meister Hirsebrei doch zu umständlich, er sagte: »Ich nehme den Stiel, sie wird schon fortgehen.«

Aber die Katze ging nicht herunter. Sie fauchte und mauzte den Besenstiel an und blieb auf dem Schrank sitzen.

»Ich klettere hinauf,« sagte Meister Hirsebrei mutig. Aber Meister Drillhose schrie: »Sie kratzt, sie kratzt!«

Und wirklich sah das Katzentier aus, als wollte es sehr schlimm kratzen. Es fauchte und mauzte immer heftiger und der mutige Herr Hirsebrei bekam Angst.

»Gehen Sie zum Nachbarn und holen Sie einen Besen,« riet Madame Käsewurm.

»Wo wohnt denn da jemand?«

»Im Hause, zwei Treppen.«

Da stieg Herr Hirsebrei zwei Treppen hoch und fand eine alte Frau. Die wollte ihm aber keinen Besen geben; erst als sie hörte, die Katze wäre unten im Zimmer, holte sie einen herbei. Sie sagte aber: »Damit bringen Sie die nicht vom Schranke herunter, wo die sitzt, da sitzt sie.« Es schien beinahe so, als ob die alte Frau recht hätte, denn die Mieze ließ sich auf dem Schrank nicht stören, sie fauchte und mauzte und – blieb sitzen.

Einmal fuhr Meister Hirsebrei mit dem Besen aus Versehen Meister Drillhose über den Kopf, dann warf er ein Glas um, aber – die Katze blieb sitzen.

Endlich wurde ihr das Gestoße aber doch zu bunt, sie mauzte und sprang Madame Käsewurm auf den Schoß und das alte Fräulein schrie laut auf vor Schreck. Darüber erschrak wieder die Katze und sie sprang an das Fenster, wollte hinaus und – klirr ging die Scheibe in Stücke.

Meister Drillhose dachte, Meister Hirsebrei wäre es mit dem Besen gewesen und rief: »Was machen Sie?«

Da brummte Meister Hirsebrei: »Das wußte ich auch noch nicht, daß man zu einer Katze Sie sagt.«

Darüber mußte das alte Fräulein lachen und Frau Mariechen lachte auch und zuletzt lachten alle vier und Meister Hirsebrei rief: »Es ist fast, als wäre die Katze ein Kasperle gewesen!«

Holla, ja Kasperle! »Jetzt mache ich auf!« rief Meister Drillhose und ging an den Kasten. Er hob ganz vorsichtig ein wenig den Deckel und da – ging die Lampe aus.

Was ihr einfiel, wußte kein Mensch. Herr Drillhose sagte nachher, daran wäre der Besen schuld gewesen, aber Meister Hirsebrei wollte davon nichts wissen. Jedenfalls war die Lampe aus, ganz aus und – klapp fiel auch der Deckel vom Kasperlekasten zu, denn ohne Licht kann man kein Kasperle sehen.

Es war wirklich erschrecklich dunkel im Zimmer und Meister Hirsebrei schalt: »Warum haben Sie auch nur so ’ne alte Petroleumfunzel und kein elektrisches Licht?«

»Weil das ’ne ganz dumme neumodische Einrichtung ist und ich ein alter Mann bin und das Altmodische liebe. Gehen Sie, holen Sie die Flurlampe.«

Da ging Meister Hirsebrei und holte die Flurlampe, und als er damit zur Tür hereintrat, kam wieder ein Luftzug und – aus war die Lampe.

»Das ist verhext!« rief Meister Drillhose.

»Um’s Himmelswillen, wo ist die Hexe?« Das alte Fräulein war sehr abergläubisch und es dachte wirklich, irgendeine Märchenhexe säße im Ofenwinkel und bliese die Lampen aus.

»Unsinn,« brummte Meister Hirsebrei. »Ich habe Streichhölzer, ich zünde die Lampe an.« Er griff nach dem Zylinder und schrie »au« und – klatsch, da lag der Zylinder, er war noch heiß gewesen.

»Das kommt vom Unsinnsagen, und so ein neumodischer Mensch kann auch nicht mal eine Lampe anzünden. Passen Sie auf, das mache ich geschickter.« Meister Drillhose nahm den Zylinder ab, zündete die Lampe an, setzte den Zylinder auf und – klirr ging der in Splitter.

»Er hat schief gesessen,« rief Madame Käsewurm, »holen Sie eine andere Lampe.«

»Ich habe keine mehr.«

»Na, im Dunkeln kann man doch Kasperle nicht sehen.«

»Dann muß ich ihn morgen zeigen.«

»Ich gehe eine Lampe holen,« rief Meister Hirsebrei, dem die hilfsbereite Nachbarin einfiel.

Aber Meister Drillhose sagte: »Lampen hat niemand mehr, da muß ich zum Krämer gehen und Zylinder holen.«

»Aber der hat schon zu,« warf das alte Fräulein ein.

»Ich geh’ hinten hinein.«

So geschah es auch. Aber der Krämer war ausgegangen und Meister Drillhose kehrte ohne Zylinder heim.

»Mir fällt ein, ich habe noch eine Lampe, da hole ich den Zylinder.«

Also ging Madame Käsewurm, die das gesagt hatte, den Zylinder holen. Sie kam auch damit zurück, er paßte auch und Meister Drillhose zündete die Lampe an, ohne daß er platzte.

»Nun können wir Kasperle sehen,« rief Meister Hirsebrei froh.

»Nicht so eilig,« wehrte sein Kollege, »so etwas muß mit Bedacht geschehen.«

»Ich glaube,« sagte das alte Fräulein ängstlich, »die Lampe geht aus, es wird so dunkel.«

Klapp ließ Meister Drillhose wieder den Deckel fallen. Er stammelte: »Wie kann denn die Lampe ausgehen?«

»Sie hat kein Petroleum.« Madame Käsewurm hob den Behälter auf, er war leer.

»Man muß welches nachgießen.« Frau Mariechen dachte sich das ganz einfach, aber so einfach war das nicht. Es stellte sich nämlich heraus, daß auch die Petroleumkanne leer war.

»Man muß die andere Lampe umfüllen.« Frau Mariechen wußte wieder Rat, aber der Rat konnte nicht ausgeführt werden, denn auch die andere Lampe war leer.

»Ich hole Wachskerzen,« sagte das alte Fräulein und trippelte wieder hinunter, die Kerzen zu holen. Nach einer Weile kam sie ohne Kerzen wieder. Sie hatte die Schlüssel verloren. Ein hastiges Gesuche entstand, aber die Schlüssel fanden sich nicht.

»Man muß zu Meister Nipple, dem Schlosser, gehen,« rief Meister Drillhose.

Er lief selbst, da seine alte Freundin einverstanden war, um den Schlosser zu holen. »Er wird auch nicht zu Hause sein,« vermutete Madame Käsewurm. Er war aber zu Hause, nur lag er im Bett und hatte Leibschmerzen, da konnte er nicht kommen und das Schloß aufmachen. Aber ein winziges Restchen Petroleum gab er Meister Drillhose in einer Flasche mit. Meister Drillhose lief eilig nach Hause, schon an der Haustüre rief er: »Ich habe Petroleum.«

»Wo?«

»Hier.«

Und – pardauz lag Meister Drillhose mitsamt der Flasche auf der Treppe; er war über die Katze gefallen.

Nun war guter Rat teuer. Bei dem einen dürftigen Licht, das Meister Drillhose noch besaß, konnte man Kasperle nicht sehen, so behauptete wenigstens der alte Kasperlemann und Madame Käsewurm sagte auf einmal: »Mir ist die Sache unheimlich. Gewiß geschieht etwas, wenn wir das Kasperle heute ansehen. Wir wollen bis morgen warten.«

»Ja, wir wollen bis morgen warten.« Meister Drillhose war mehr wie zufrieden damit, denn es tat ihm schon leid, daß er sein Kasperle zeigen sollte.

Wer nicht einverstanden war, das war Meister Hirsebrei, aber was half es ihm, das Kasperle bekam er heute nicht gezeigt. Er mußte sich auf morgen vertrösten, und um seine Neugier recht groß zu machen, sagte nun auch noch Madame Käsewurm:

»Vielleicht, aber nur vielleicht, zeige ich Ihnen morgen mein Geheimnis.«

»Was ist das für eins?«

»Das verrate ich nicht.«

»Ist’s auch ein Kasperle?«

»Ich verrate nichts.«

»Lebt es auch oder schläft es?«

»Ich verrate nichts.«

Da lief Meister Hirsebrei davon, und wenn ihm Frau Mariechen nicht gut zugeredet hätte, wäre er überhaupt davon gelaufen, er glaubte nämlich nicht mehr an das Kasperle.

»Morgen!« rief Meister Drillhose nach.

»Morgen!« rief Madame Käsewurm.

Aber da war Meister Hirsebrei schon um die Ecke gelaufen. Er ging an diesem Abend sehr wütend ins Bett und sagte zu allem, was ihm Frau Mariechen erzählte: »Paß auf, es gibt gar kein lebendiges Kasperle mehr. Ich glaube nicht daran. Meister Drillhose hält uns zum Narren.«