Kasperle steigt aufwärts und wieder abwärts

Man muß sagen, trotzdem Kasperle keine Heimstätte hatte, schlief er in der Nacht wie ein Murmeltier und wachte am nächsten Morgen purzelvergnügt wieder auf. Es sollte gleich zum Jahrmarkt gehen. Meister Drillhose wollte es, obgleich Meister Hirsebrei sagte: »Es lohnt sich nicht, es ist niemand da.« Aber dem alten Kasperlespieler hatte das bunte Treiben so gefallen, daß er es bald wiedersehen wollte. Wenn er gewußt hätte, was er damit anrichten würde, er hätte es nicht getan. Auf dem Jahrmarktsplatz war es noch ganz still. Viele Buden waren noch geschlossen und Meister Drillhose, den das ärgerte, sagte etwas mißmutig zu den Kasperles: »Seht euch einmal die Flugzeuge dort an.«

»Nä,« schrie Peringel.

»Warum denn nicht?«

»Weil du uns foppen willst. Flugzeuge gibt es nicht.«

»Gibt es doch, geht nur und seht sie euch an. Ihr habt eben viel verschlafen.«

Da gingen sie, die merkwürdigen Dinge anzusehen. Ein Eindecker flog ihnen gerade wie ein großer Vogel vor der Nase weg, und die Kasperles staunten ihm mit weit aufgerissenen Mündern nach.

»So was habt ihr wohl noch nie gesehen?« fragte ein Herr. Es war der Pilot eines Passagierflugzeuges, der bald in die Lüfte segeln sollte.

»Nä,« schrie Kasperle, »das war ’n Vogel.«

»Das war ein Flugzeug, mein Junge.«

»Ich bin kein Junge.«

»Na, was bist du dann?«

»Ein Kasperle.«

Da lachte der Luftschiffer hellauf, denn er hatte gestern von dem Kasperle gehört. »Willst du mitfahren?« fragte er. »In einer halben Stunde steige ich auf.«

»Ja!« schrie Kasperle.

»Darfst du denn?«

»Es gibt ja nichts zu spielen.«

»Dann lauf und hole deine Sachen.«

»Ich habe keine.«

»Na, du kannst auch in deinen roten Kasperlehosen fahren. Geh aber erst und frage, ob du darfst.«

Kasperle aber dachte, wer viel fragt, bekommt viel Antwort, und Bimlim dachte gar nichts. Da sagte Kasperle: »Geh, frage du, ob wir mit dem Flugzeug nach – ja wohin?«

»Nach Leipzig,« rief der Pilot.

»Also frage es, Bimlim, hörst du?«

Bimlim nickte und Kasperle dachte, er findet gar nicht den Meister Drillhose, aber Bimlim fand wirklich hin. Nach einer halben Stunde kam er zurück: »Nun hast du ihn gefunden?«

»Ja.«

»Hast du gefragt?«

»Nä.«

»Warum nicht.«

»Sie schlafen gerade.«

Damit war Kasperle vollständig beruhigt. Wenn einer schläft, kann man ihn nicht um Erlaubnis fragen, und darum antwortete er vergnügt: »Ja,« als der Luftschiffer nochmals fragte: »Darfst du auch bis Leipzig mitfahren? Heute abend komme ich erst zurück.«

Ach, dachte das leichtsinnige Kasperle, dann warten eben die Kinder auf mich.

Er zog Bimlim mit hinein und beide setzten sich in dem Doppeldecker hin, als säßen sie in ihrer Kasperlebude.

Auf einmal fing der Propeller an zu spektakeln und Kasperle bekam einen kleinen Schreck. Bimlim aber sagte: »Wohin fahren wir denn?«

»Wir fahren doch nicht, wir fliegen.«

»Ih nä,« schrie Bimlim.

»Ja, da geht es schon los.«

Die Maschine hob sich langsam vom Erdboden und auf einmal sah Kasperle den Festplatz unter sich liegen. Da sprang er in die Höhe und schrie: »Ich will nicht.« Ein Herr aber nahm das Kasperle, wickelte es ganz und gar in eine Decke und sagte: »Sitz still, sonst fällst du naus.«

Bimlim wurde auch eingewickelt, und da saßen die zwei und unter ihnen rauschten die Wälder, flossen die Flüsse, sie waren bald über allem. Kasperle schnitt vor lauter Aufregung die merkwürdigsten Gesichter und Bimlim schnitt mit. Auf einmal rumpelte es in Kasperles Mäglein und auch Bimlim stöhnte: »Mir wird so komisch.«

Selbst einem Kasperle kann es in dem Flugzeug übel werden, und die Herren, die ihren Spaß an Kasperle hatten, hatten auch Mühe genug mit ihm. Kasperle wollte hinaus, wollte nach Torburg zurück, wollte lieber auf dem Jahrmarkt kaspern, statt in dem Flugzeug zu sein. Und die Welt unter ihm war ihm so fremd und unheimlich.

»Jetzt kommt Leipzig bald,« sagte der eine Herr, »dort müßt ihr uns was vorspielen.«

»Ja, ich schon,« schrie Kasperle, und ehe ihn einer halten konnte, kobolzte er zum Flugzeug hinaus und Bimlim faßte ihn am Hosenzipfel, aber statt Kasperle zu halten, kobolzte er ihm nach.

»Die sind verloren,« sagte der Luftschiffer.

»Schade, es wäre etwas Besonderes gewesen, in Leipzig mit zwei Kasperles zu landen.«

»Ja, schade.«

Und die vier Herren schauten betrübt den Kasperles nach. Es war ihnen wirklich leid um die kleinen drolligen Kerle. Und sie sagten zu einander: »Nun liegen sie irgendwo zerschlagen, schade, sehr schade.« Sie wußten aber nicht, wie gut ein Kasperle purzelbaumen kann. Die beiden purzelbaumten durch die Luft wie durch Meister Drillhoses Wohnstube und landeten unzerschlagen, nur etwas dösig, auf einer großen Strohmiete, inmitten eines Feldes. Da lagen sie und mußten sich erst besinnen, wie sie hergekommen waren.

Das erste, was Kasperle sagte, war: »Ich habe Hunger.«

»Ich auch,« schrie Bimlim.

»Wer redet da oben?« fragte eine grobe Stimme. Ein Bauer stand mit Sohn, Tochter, Knecht und Magd an der Strohmiete und sagte zu den Seinen: »Da oben sitzen zwei Bummler, die wollen wir ordentlich vornehmen.«

»Wir machen Teufelsgesichter,« flüsterte Kasperle, und auf einmal grinsten zwei rotbehoste Teufel von oben herab.

Die Magd riß zuerst aus, die Tochter folgte.

Bauer, Sohn und Knecht blieben noch stehen und sagten: »Das sind aber komische Kerle, vielleicht sind es Räuber.«

»Ja,« kreischte Kasperle und griff dem Bauern in die Haare.

Bimlim wollte das beim Knecht nachmachen, er faßte aber dessen Nase und zerrte so gewaltig daran, daß der Knecht sich laut schreiend losriß und davonlief.

Zwei gegen zwei, dachte der Sohn, ich laufe auch davon. Da rannte der Sohn davon und der Vater lief hintendrein, ihnen nach aber schrien die Kasperles, daß den Ausreißern himmelangst wurde.

Sie liefen ins Dorf und schrien dort: »Räuber sind auf der Strohmiete, die dem Ortsvorsteher gehört.«

»Nein, Teufel sind’s,« schrie die Magd.

»Ja, Teufel.«

»Die Feuerspritze anspannen lassen,« gebot der Ortsvorsteher.

»Alle müssen mit, die freiwillige Feuerwehr soll aufmarschieren.«

»Los, eins, zwei, drei!«

Und hinaus zum Dorf marschierte die freiwillige Feuerwehr und hintendrein Buben und Mädels. Die durften nicht fehlen.

Leichtsinnig wie sie waren, hatten sich die zwei erst einmal auf dem Stroh gehörig ausgestreckt, dann waren sie eingeschlafen. Sie schnarchten sich gegenseitig etwas vor und merkten nichts von dem, was um sie herum vorging.

Auf einmal sagte unten eine Stimme: »Los, sie liegen noch oben,« und schschsch, schschsch, sauste ein Wasserstrahl über die beiden.

Davon wachten sie freilich auf und sie fingen ungeheuerlich zu brüllen an.

»Das müssen ein paar Riesenkerle sein, die so brüllen können,« sagten die Dorfleute, »die müssen noch ein Güßlein haben,« und schschsch, schschsch, ging es wieder über die beiden hin.

O je! Laut brüllten sie, sie dachten, es wäre ein ungeheurer Regen über sie gekommen.

»Jetzt die große Leiter angesetzt,« sagte nun der Ortsvorsteher.

»Zwei müssen hinauf! Wer?«

Es hatte aber keiner Lust, zu den brüllenden Ungeheuern hinaufzusteigen, und die Bauerntochter schrie auch immer: »Es sind Teufel, nehmt euch in acht.«

Sie berieten unten so lange, daß die beiden oben den ersten Schreck überwunden hatten.

»Mach ein Teufelsgesicht, Bimlim,« flüsterte Kasperle.

»Hört ihr sie reden?« sagte unten der Ortsvorsteher. Und weil er doch der Ortsvorsteher war, wollte er seinen Mut zeigen und begann langsam, sehr langsam die Leiter emporzusteigen.

»Schschiiii!« fuhren die beiden mit ihren Teufelsgesichtern an den Rand des Strohlagers.

Da lag der Ortsvorsteher am Boden und die freiwillige Feuerwehr ergriff die Flucht. Heidi riß alles aus!

Es waren aber unter den Kindern zwei Buben, die ergriffen den Schlauch, und da noch Wasser im Wasserwagen war, bekamen die beiden oben wieder ein tüchtiges Güßlein.

Und während der eine spritzte, stieg der andre die Leiter empor, und da sah er die Kasperles. Ein unbändiges Lachen tönte den Fliehenden nach; die drehten sich um und sahen den Buben auf der Leiter stehen und lachen.

Kasperle schnitt zwar alle Teufels- und Räubergesichter, die er kannte, aber Oswald, so hieß der Bube, ließ sich kein bißchen schrecken. Er griff zu und packte das spuckende, schreiende Kasperle fest im Genick und zog es über die Leiter. »Ein Junge, der sich als Kasperle angezogen hat,« rief er.

»So ein frecher Bengel,« schrie der Ortsvorsteher.

»Nä,« schrie Kasperle, »ich bin ein Kasperle und bin aus dem Flugzeug gefallen und . . .«

»Warum nicht vom Monde?« spottete Oswald.

»Nä, daher komme ich nicht, ich bin eben ein Kasperle.«

»Ich bin auch ein Kasperle.« Bimlim kam auch zum Vorschein, und wie die beiden mit ihren großen Nasen und den drolligen Gesichtern vor den Dorfleuten standen, mußten die lachen. »Sie sehen wirklich wie Kasperles aus.«

Da dachten die beiden, es ist am besten, wir zeigen ihnen, was wir können, und sie fingen an, Gesichter zu schneiden und Arme, Beine, Ohren, Nasen und sonst noch etwas zu verrenken. Dabei lachten sie ihr vergnügtes Kasperlelachen und bald hallte das Feld wider vom Gelächter der Dorfleute.

Der Ortsvorsteher sagte: »Ihr wollt wohl nach Leipzig zur Messe?«

»Ja, essen,« schrie Peringel, der es falsch verstanden hatte, und Bimlim schrie mit.

»Habt ihr Hunger?«

»Ja!« »Aber feste,« setzte Peringel, der Schlingel, hinzu.

»Dann kommt herunter, wir wollen euch etwas zu essen geben,« sagte der Ortsvorsteher.

Das Herunterkommen war einfach, die beiden purzelbaumten von ihrer Feste herab und rissen drei Kinder, einen Bauern und eine Ziege um, die auch neugierig gewesen war.

Das gab ein Hallo!

Die gefallen waren, schimpften, die anderen, die aufrechtstanden, lachten, zuletzt aber lachten alle, und die beiden Kasperles wurden ins Dorf geführt. Dort sagte der Ortsvorsteher: »Wollt ihr bei mir essen?«

»Ja,« rief Kasperle Peringel.

»Ich dachte bei mir, wir haben Kaffee und Kuchen.«

»Das essen wir auch,« schrie Kasperle.

»Ich dachte bei mir, wir haben Schweinebraten und Sauerkraut.«

»Essen wir auch,« Kasperle nickte.

»Wir haben Klöße mit Birnen.«

»Und wir Milchreis und Apfelschnitze.«

»Wir Kartoffelbrei mit Leber.«

Und zu allem nickte Kasperle, denn eins schien ihm verlockender als das andre.

»Na, dann sagt doch, wo ihr essen wollt,« sagte der Ortsvorsteher ein bißchen ungeduldig.

»Überall,« schrien die Kasperles wie aus einem Munde.

»Überall, ja ihr wollt doch nicht sechsmal zu Mittag essen?«

»Doch, ist doch fein,« riefen die Kasperles vergnügt, »da wird man mal satt.«

»Na, die sind gut,« sagten die Bauern. Sie glaubten aber nicht an die sechs Mittagessen, doch als die Kasperles begannen, da sagte jeder Bauer zum andern: »Gut, daß sie bei dir auch essen, sonst hätten sie bei mir alles aufgegessen.«

Bimlim konnte nur fünfmal essen, Peringel, der Schlingel, klopfte sich nach dem sechsten Mal auf sein Bäuchlein und sagte: »Endlich mal satt.«

»Nun seid ihr so dick gegessen, nun könnt ihr keine Vorstellung geben, worauf alle Kinder warten,« sagte Oswald betrübt.

»Ich kann schon.« Peringel fing schon zu zappeln an.

Und er konnte.

Fein konnte er spielen. Zuletzt tat Bimlim doch mit, und die Dorfkinder kamen aus dem Lachen nicht heraus. Sie belachten jeden Witz und glaubten alles, was die Kasperles sagten. Am liebsten wären sie alle mit nach Leipzig auf die Messe gezogen. Das ging nun nicht, aber Gröschleins brachten sie und Zweipfennige, keine Hosenknöpfe, da bekamen die Kasperles genug Geld, um mit der Eisenbahn nach Leipzig zu fahren.

Kasperle war noch nie mit der Eisenbahn gefahren. Ja, er erinnerte sich nicht, überhaupt eine gesehen zu haben. Und nun sollte er in den langen Zug steigen, der auf der kleinen Dorfstation hielt. Die Kinder hatten alle die Kasperles hingebracht auf den Bahnhof und Kasperle fragte aufgeregt: »Wo ist denn der, der uns fährt?«

»Da ist der Herr Zug,« schrie Oswald, als der Zug brausend einfuhr. Kasperle machte eine tiefe Verbeugung, so wie er sie einst vor dem Herzog August Erasmus gemacht hatte. Und er stupste Bimlim, der mußte auch eine machen.

»Vor wem verbeugt ihr euch denn?« fragte ein Schaffner, der das sah.

»Na, vor dem Herrn Zug.«

»Donnerwetter, ihr seid aber höfliche Fahrgäste.« Der Schaffner lachte, öffnete ein Abteil vierter Klasse und schob die beiden hinein: »Einsteigen, der Herr Zug wartet nicht.«

»Ich muß erst Abschied nehmen,« rief Kasperle und eins, zwei, drei, kobolzte er aus dem Zug wieder heraus, Bimlim ihm nach.

Da fuhr der Zug los, und Schaffner, Kinder, alles schrie: »Hier bleiben!« aber die beiden blieben nicht. Wuppdiwupp waren sie wieder drin, diesmal aber waren sie in ein Abteil zweiter Klasse geturnt und Kasperle saß einer alten Dame auf dem Schoß, während Bimlim einem Herrn den Hut vom Kopf stieß.

»Was sind das für freche Jungen!« rief die Dame.

»Huch, wir sind keine Jungen.«

»Was seid ihr denn?«

»Kasperles!«

Die Dame mußte lachen, denn Kasperle sah sie so unglaublich verschmitzt an.

»Die sind von Holz.«

»Nä, von Holz sind wir nicht. Wir sind echte Kasperles.«

»Kann denn das stimmen, Herr Professor?« fragte die Dame einen Herrn, der eine große Brille auf der Nase hatte.

»Unmöglich,« sagte der, »so eine Gestalt gehört in die Märchenwelt, es sind zwei Jungen, die sich den Spaß machen, als Kasperles verkleidet zu gehen. Wissenschaftlich lehne ich sie ab.«

»Nä, wir sind keine Jungen, wir sind Kasperles.«

»Stille!«

»Nä!« Die beiden schrien und zappelten, und auf einmal sah Kasperle zum Fenster hinaus und rief: »Da, die Bäume laufen weg!«

Er wollte zum Fenster hinausspringen, den fliehenden Bäumen nach, aber die Dame hielt ihn am Hosenbödle: »Du fällst ja hinaus.«

»Ich bin heute schon mal aus dem Flugzeug gefallen,« erzählte Kasperle.

»Unsinn, da müßtest du doch zerschlagen sein.«

»Nä, bin ich nicht.« Und nun erzählte Kasperle seine Erlebnisse, und dann erzählte er von Meister Hirsebrei und Meister Drillhose und daß die auch nach Leipzig zur Messe kommen wollen.

Und plötzlich sagte der Professor: »Es ist unglaublich, wie der Junge schwindeln kann.«

»Ich schwindle nicht.«

»Alles ist erlogen.«

»Nä!« Kasperle zitterte vor Ärger. Auf einmal machte er ein Teufelsgesicht und die Dame erschrak so, daß sie umfiel und eine Ohnmacht bekam.

War das eine Begebenheit!

Der Professor goß gleich eine ganze Flasche Kölnisches Wasser über sie und Kasperle wurde gescholten, er hätte mit seinen Faxen das Unglück verschuldet. Gleich machte Kasperle ein Prinzessin-Gundolfine-Gesicht. Darüber erschrak nun der Professor gewaltig. Alle seine Wissenschaft konnte sich die seltsamen Kasperlegesichter nicht erklären und er sagte streng: »Sie müssen Haue haben.«

»Nä,« schrie Kasperle, sah das offene Fenster und purzelbaumte hinaus und Bimlim ihm nach, gerade an der Nase des Professors vorbei.

»Sie werden überfahren,« schrien alle.

Aber die beiden wurden nicht überfahren. Sie landeten gerade auf dem Bahnsteig, als der Zug in die Riesenhalle des Leipziger Bahnhofs einfuhr. »Herrjeses,« rief ein Gepäckträger, »da fliegen ja die Goffer schon zum Fenster raus.«

Und dann, als die Kasperles auf ihren Beinen standen, sah er sie erstaunt an und brummelte: »Wees Gnebchen, das sind gar keene Goffer, das sind Jungen.«

»Nä, wir sind keine Jungen.«

»Na, was seid ihr dann?«

»Kasperles!«

»Ihr gehört wohl auf die Messe?«

»Ja.«

»Na, da macht mal hin. Sie hat gerade angefangen.«

Die Abreise

Mister Stopps hatte gedacht: Früh reisen ist am besten, gestern ist genug Abschied genommen worden.

Das war schon klug gedacht, aber die Torburger dachten halt anders; die Buben und Mädels besonders, die sonst gern recht lange in den Federn lagen, waren an diesem Morgen schon vor Sonnenaufgang putzmunter. Der alte Postillon hatte nämlich Kasperles frühe Abreise verraten. Dem tat es leid, daß Kasperle so ohne nochmaligen Abschied davonfahren sollte, darum sang und blies er auch laut durch alle Gassen, Mister Stopps konnte es ihm verbieten, so viel er wollte.

»Kasperle reist ab!«

Da purzelten alle Buben und Mädels aus ihren Betten, da liefen und rannten die Großen herbei, um rechtzeitig fertig zu werden. Der Zuckerbäcker tat seinen Laden auch in aller Morgenfrühe auf für diejenigen, die Kasperle eine Abschiedstüte schenken wollten. Und alle, die dem Haus nahe standen, rannten in den Laden und kauften: keine Zuckerles, keine roten oder weißen Lutschstengel, keine Küchlein, kein Stückchen Schokolade blieben mehr übrig, alles, alles wurde für Kasperle gekauft. Und Meister Dusterling gab die schönsten Schächtelchen und Kästchen her, er selbst aber schenkte die allerfeinste Zuckerschachtel.

War das ein Gewusel, ein Schreien und Lärmen im Städtchen! Wie vor einem großen Festtag. Der Bürgermeister sah immer den Schein an, den der Engländer ihm gegeben, und rechnete und rechnete, und immer wieder kam heraus, alle Häuser konnten neu aufgebaut und eingerichtet werden. Und immer wieder kam ihm ein Ratsherr in die Stube gelaufen und fragte: »Hat er wirklich zwei Millionen bezahlt? So wertvoll war ein Kasperle? Unglaublich!«

Die Bäcker hatten am Abend vorher noch eine Beratung gehabt, und statt Morgenwecken buken sie alle Kasperlebrötchen. Und gerade als Mister Stopps Umschau nach der Postkutsche hielt, rannten die Bäckerjungen von Haus zu Haus und schrien: »Wir bringen Kasperle, lauter frische, warme Kasperle!« Zwei Bäckerjungen trugen einen großen Korb frisch gebackener Kasperle auch in Meister Severins Haus, und Kasperle sah da seine Ebenbilder mit Rosinenaugen, und er aß gleich sechs Stück und hätte auch noch mehr gegessen, aber Frau Liebetraut sagte: »Kasperle, es wird dir schlimm, wenn du so viel warme Kasperlebrötchen aufißt.« Sie packte einen Korb voll ein, denn alle Bäcker schickten an diesem Morgen Kasperle zu Meister Severin. Und alle Torburger aßen frischgebackene Kasperle-Brötchen, und Kasperles gute Freunde verdarben sich bald den Magen daran. Nur das feine Marlenchen weinte, als sie ihren kleinen Freund als Kuchen vor sich sah. Sie aß keinen Bissen und stand dann bitterlich weinend vor der Haustüre, als draußen mit trara die Post angefahren kam. Kasperle war stuppsatt, er hatte sich seinen Abschiedskummer mit lauter Kasperles weggegessen, als er aber Marlenchen so bitterlich weinen sah, fing er zu heulen an. Mister Stopps erschrak. Gestern hatte Kasperle gelacht und geweint, das war ihm manchmal etwas laut erschienen, aber so ein Geheule, das liebte er ganz und gar nicht, das war, als holte Kasperle alle Tränen aus dem Herzen. Ganz erschrocken sah Mister Stopps den Bürgermeister an. Er heulte wie ein Mensch.

Aber er ist keiner, Kasperles haben das so an sich.

»Uunderlich.« Mister Stopps nahm seine Brille und starrte Kasperle an, und da ging es bei Kasperle einmal wieder wie schon so oft, daß neben dem Weinen das Lachen stand. Mister Stopps mit der Brille auf der Nase erschien ihm so seltsam, wie er seinem Herrn. »Huhuhähä!« Kasperle lachte, wie eben nur ein Kasperle lachen kann. Mit einem lachenden Kasperle fertig zu werden, traute sich Mister Stopps schon zu, das war nicht so unheimlich wie ein brüllendes. Er nahm Kasperle beim Kräglein, steckte ihn in die Postkutsche und rief: »Fahren!«

Aber Mister Stopps hatte nicht mit den dankbaren Torburgern gerechnet. Die wollten nicht um ihren Abschied kommen. Ein lautes Rufen und Schreien erhob sich, ein paar Buben brüllten den Postillon an: »Nicht fahren!«

»Ich fahre ja nicht, nehmt nur erst Abschied,« versicherte der. Er holte sich eine Pfeife aus der Tasche, zündete die gemächlich an und rief: »Meinetwegen kann’s lange dauern!«

Und es dauerte lange. So einen Abschied hatte Mister Stopps noch nie erlebt. Was geschah da alles! Was wurde alles in die Kutsche geladen: Zuckertüten, Pakete und Körbe, Obst und Kuchen, Würste und Eier, alles brachten die Torburger an. Die Freunde Kasperles schenkten ihm altes Spielzeug, ein paar zerlesene Bücher, die kleinen Mädchen heulten, Marlenchen schluchzte immer bitterlicher, und die Buben versicherten mit trotzigen Blicken auf Mister Stopps: »Reiß nur aus, wenn er böse wird.«

»Das geht nicht, Kasperle muß bleiben,« rief der Bürgermeister, dem es himmelangst wurde, denn er dachte, dann müsse er alles Geld wieder hergeben.

Die Buben sagten aber: »Verkauft ist verkauft, aber daß er nicht ausreißen darf, hat Mister Stopps nicht gesagt.«

»Ausreißen? Er darf nicht ausreißen,« rief der lange Engländer erschrocken.

»Er darf. Gelt, Kasperle, du reißt bald aus?«

»Himmel, Hagel, jetzt fährst du aber los,« herrschte der Bürgermeister den Postillon an. Doch der rauchte in aller Ruhe seine Pfeife und brummelte gelassen: »Erst sollen sie noch spielen.«

Ja, die Torburger Musikanten wollten Kasperle noch ein Ständchen zum Abschied spielen. Sie sammelten sich gerade, und alle dachten, nun wird’s richtig, aber sie hatten alle nicht mit den alten Postpferden gerechnet.

Traratrara, bumbumbum, dideldideldum, ging es los. Mister Stopps hielt sich erschrocken die Ohren zu, die Postpferde aber spitzten sie. Beide dachten daran, daß sie einstmals Soldatenpferde gewesen waren, und daß sie bei Musik immer flott gelaufen waren. Also liefen sie, hoppla, hopp, und rumpelpumpel rollte die Postkutsche plötzlich über den Kirchplatz. Der Kutscher schrie: »Halt, halt!« Die Buben brüllten, der Bürgermeister sank in Herrn Severins Arme. Kasperle kreischte. Marlenchen jammerte, Mister Stopps lag in der Kutsche auf der Nase, aber alles half nichts, die Pferde rannten immer schneller. Die Musikanten waren so erschrocken, daß sie immer lauter und schneller spielten; es gab keine Takte und keine Pausen mehr.

Bumbumbumbum, traratraratrara, dideldideldum, tönte es, und risselrassel fuhr die Kutsche zum Tore hinaus, fuhr an verbrannten Häusern, am Zuckerbäcker Dusterling und an der Obstfrau vorbei. Da lag Meister Helmers Garten, in dem es nach dem Brand wüst und öde aussah, da lag das freie Land, und da lag der Postillon im Graben. Weiter ging es, immer weiter, die Pferde kannten ihren Weg.

Der Postillon erhob sich schimpfend. Er rannte dem Wagen nach und schrie immerzu: »Halten, Hans, Liese!«, denn so hießen die Pferde, aber die hielten nicht.

Mister Stopps, der sich mit vieler Mühe erhoben hatte, stöhnte: »Es gibt ein Unglück!« Kasperle war zwar erst auch etwas verdutzt gewesen, dann hatte er sich aber doch besonnen. Warum sollte er, Kasperle, nicht auch einmal Kutscher sein? Er kletterte also auf den Bock, erwischte die Zügel, und ruck standen die Pferde! Kasperle hatte sich wie ein Bleiklötzlein an die Zügel gehängt.

»Halt, halt!« Der Postillon sah den Wagen stehen, er dachte: Nun erreiche ich ihn doch noch; aber er hatte nicht mit Kasperle gerechnet. Der dachte, ich kann auch allein fahren, und auf einmal schrie er: »Hüh hott,« schwenkte die Peitsche, die der Kutscher im Peitschenhalter hatte stecken lassen, und heidi weiter ging die Fahrt.

»Oh Kahspärle!« stöhnte Mister Stopps. »Du mußt hal –«

Ruck ging es über einen großen Wegstein, und Mister Stopps klappte wieder wie ein Taschenmesser zusammen.

»Halt, halt!«

»Hüh hott, hüüüüüh!«

»Kahspärle!«

Bums da war wieder ein Stein, nun kam ein Loch, die Postkutsche wackelte hin und her wie eine junge Gans, die das erste Mal spazieren geht. War das eine wilde Fahrt!

Kasperle vergaß auf seinem Kutschbock alles Abschiedsleid. Er zappelte hin und her, zog mal rechts, mal links die Zügel, und den braven Postgäulen wurde es himmelangst; so im Zickzack zu fahren, waren sie nicht gewohnt. Aber Mister Stopps auch nicht. Der lag im Wagen, zappelte mit Beinen und Armen und, stöhnte: »Anhalten, anhalten!«

Ruck, da fuhr der Wagen wieder nach rechts, da war ein Graben, und die gute, alte Postkutsche überlegte: »Soll ich hineinfallen?« Aber sie war eine vernünftige alte Dame, also fiel sie nicht in den Graben, sondern richtete sich wieder auf. Sie ließ sich weiterziehen, und derweil die Postpferde auch schon anständig und nicht mehr Springinsfelde wie Kasperle waren, dachten sie, beim nächsten Wirtshaus halten wir.

Und da stand auch wirklich, noch ehe alle im Graben lagen, ein Wirtshaus, und die Pferde hielten vor dem Goldenen Knopf zu Amberg. Ruck, da standen sie. Den Goldenen Knopf und das Städtchen kannten sie. »Hü hott hüüüüüh,« schrie Kasperle. Er schwenkte die Peitsche, zog rechts den Zügel, zog den links, aber alles half nichts, Postpferde, die vor einem Wirtshaus stehen, lassen sich auf solche Kasperlepossen nicht ein.

Und Mister Stopps fand endlich wieder Kraft. Er packte Kasperle am Kräglein und zog ihn neben sich auf den Sitz, und dann rief er laut und dringlich nach dem Wirt, der Wirtin, dem Hausknecht, dem Stubenmädchen, der Köchin, nach allen, die im Haus sein konnten. Und alle kamen angelaufen, und es gab ein großes Verwundern und Fragen über die seltsame Geschichte. Weil nun aber Kasperle im ganzen Lande bekannt war, gab es ein großes Geschrei, als Mister Stopps sagte: »Der Kahspärle gehört mir!«

»Das ist geraubt,« rief die Wirtin laut.

»Oh nein, er gehören mir, ich haben ihn gekauft,« erwiderte Mister Stopps.

»Für zwei Millionen!« schrie Kasperle, denn auf den Preis war er ungeheuer stolz. Und dann erzählte er selbst die ganze Geschichte, denn Mister Stopps hatte von der ausgestandenen Angst fast den Atem verloren. Er ächzte nur einige Male: »Gehört mir!«

»Na, wenn das Kasperle es selbst sagt, dann muß es doch wahr sein,« sagte die Wirtin.

»Du bist ein Tausendsassa,« rief der Wirt, »aber wo in aller Welt hast du denn den Kutscher gelassen?«

Ja, wo war der Postillon? Der keuchte noch die Landstraße entlang und Mister Stopps und Kasperle saßen schon beim Mittagessen, als er anlangte. Er sah den Postwagen vor der Tür und ahnte gleich, die Pferde waren stehen geblieben. Er wollte heftig schelten, aber da sagte der Wirt: »Warum bist du denn heruntergefallen? Ein Postillon, weiß der Himmel, darf doch nicht von seiner Postkutsche fallen. Das ist gerade so, als wenn ein Kirchturm von der Kirche fällt. Kasperle war am gescheitesten, der ist hierhergefahren. Geh hinein, drinnen sitzen sie.«

Kasperle saß am Mittagstisch und aß. Mister Stopps hatte auch essen wollen, aber dem blieb vor Erstaunen der Bissen im Munde stecken. Konnte das Kasperle schlingen, trotzdem er so viele gebackene Kasperle aufgegessen hatte!

Mit der Suppe war es noch gegangen, beim Braten wurde es schlimm, beim Pudding aber ganz schlimm. Selbst der Wirt staunte.

»Oh,« rief Mister Stopps betrübt, »sie haben ihn hungern lassen. Armes Kahspärle, hast nichts gegessen heute?«

»Doch,« sagte Kasperle. Er holte sein gebackenes Ebenbild von Teig aus der Tasche, zeigte es und sagte: »Sechzehn Stück davon.«

»Heute schon?« fragte der Wirt verdutzt.

»Na, das ist doch wenig.« Kasperle steckte gleich ein gebackenes Kasperle auf einmal in den Mund, aber selbst ein Kasperlehunger geht einmal zu Ende. Der kleine Schelm war eigentlich pumpelsatt. Und weil er nun sein gebackenes Ebenbild quer in den Mund gesteckt hatte, konnte er auf einmal nicht mehr schnaufen.

»Hollahopp!« sagte der Wirt. »Mir scheint, Kasperle geht die Luft aus.« Bums flog ihm Kasperles Bein an die Nase, das Teigkasperle rutschte bei dieser heftigen Bewegung hinunter, und Mister Stopps fragte erstaunt: »Oh, warum tust du das?« Wenn Kasperle nur nicht ein Schelm gewesen wäre. Er zog ein Gesicht, als könnt er nicht bis drei zählen, und sagte: »Wenn ich das Bein hebe, kann ich besser essen.«

»Kurios!« Mister Stopps schüttelte erstaunt den Kopf, steckte ein großes Käsebrot in den Mund, und da setzte sich der Wirt erschrocken auf einen Stuhl, denn sein Gast warf mit dem Bein eine Weinflasche vom Tisch und schrie und hustete, aber das Käsebrot wollte nicht in den Magen gehen, das war schon eine schöne Geschichte.

Der gute Mister Stopps wäre beinah erstickt. Der Arzt mußte geholt werden. Der kam geschwinde, zog das Käsebrot Mister Stopps aus dem Munde, klopfte dem Herrn lustig auf den Rücken und sagte: »Wie haben Sie das angestellt?«

Weil Mister Stopps kein Wort sagen konnte, erzählte der Wirt die Geschichte, und der Doktor Zimmermann sah den Engländer von oben bis unten an und brummte: »Ja ja, Sie sind aber auch kein Kasperle. Was das kann, können Sie noch lange nicht.«

»Das stimmt,« rief der Wirt.

»Stimmt,« schrie Kasperle dem Doktor in die Ohren. Doch der wußte was eine rechte Maulschelle ist. Oh jemine! Kasperle kroch gleich unter den Tisch vor Schreck. Und wenn Mister Stopps etwas hätte sagen können, so hätte er etwas gesagt. Aber Mister Stopps war so angegriffen von dem Verschlucken, daß er sich ins Bett legen mußte. Kasperle tat es ihm nach, und beide verschliefen den ganzen schönen Nachmittag.

Eine furchtbare Räubergeschichte

Kasperle und sein neuer Herr wachten grade zur Abendbrotzeit auf. Mister Stopps tat es zuerst. »Hm,« stöhnte er, »hier sein ein Hund.«

»Nä,« rief Kasperle, den das Wort munter gemacht hatte, »hier sein mein Magen.«

»Oh komisch, sehr komisch!«

»Ich hab’ Hunger!«

»Ich auch!« Mister Stopps merkte nun, daß auch sein Magen ein Loch hatte, er stand also auf und sagte: »Kahspärle, uir uollen essen.«

Dagegen hatte Kasperle nichts einzuwenden. Ja, er fand, Mister Stopps wäre sehr vernünftig, und vergnügt trabte er hinter ihm drein die Treppe hinab, und beide betraten zufrieden und hungrig die Gaststube. Der Arzt, Doktor Zimmermann, saß als einziger Gast darin, und Mister Stopps machte ihm sehr höflich eine tiefe Verbeugung. Kasperle machte die Verbeugung nach, und so tief, daß er mit dem Kopf auf den harten Fußboden aufbummste.

»Je, das hat ein Loch gegeben,« rief der Arzt ganz erschrocken.

Ach, was wußte der von einem Kasperlekopf, der hielt schon was aus. Kasperle grinste vergnügt. Er kletterte auf einen Stuhl, schlug mit beiden Füßen auf den Tisch und schrie: »Ich will essen.«

»Schocking,« rief Mister Stopps.

»Nä, das will ich nicht, ich will Kalbsbraten,« rief Kasperle.

»Schock, schock, das habe ich auch nicht,« sagte der Wirt höflich.

Doktor Zimmermann lachte, Mister Stopps sah sich verwundert um, bis ihm ein Lichtlein aufging und er Kasperles und des Wirtes Irrtum verstand und wieder sein himmelblaues Taschentuch herauszog, denn das brauchte er, wenn er lachen wollte.

Es wurde ein vergnügliches Nachtmahl. Kasperle fand Mister Stopps sehr nett, weil er nicht einmal sagte: »Iß nicht zuviel,« und weil er alles Kompott Kasperle überließ. Und dann unterhielt sich Doktor Zimmermann mit dem weitgereisten Fremden, und Kasperle konnte tun, was er wollte. Der war nach dem guten Mahl wohl aufgelegt zu allerlei dummen Streichen. Er hatte am Mittag flüchtig die Köchin gesehen. Unwirsch und verdrossen sah sie drein, und Kasperle dachte, sie muß ein bißchen geneckt werden, damit sie lacht. Mit diesem guten Vorsatz ging er in die Küche.

Die Köchin Amanda saß im Ofenwinkel. Zwei Mägde standen neben ihr, und Kasperle hörte sie grade sagen: »Heute nacht kommen die vermaledeiten Kerle sicher wieder. Alles fressen sie an. Greulich!«

»Wenn sie nur nicht in die Fremdenzimmer kämen, so ein Gesindel!« rief eine Magd. »Neulich lagen zwei unter einem Bett.«

»Oh was, dem Fremden wär’s schon recht, der gefällt mir nicht. Na, und den dummen Kerl, den Kasperle, mögen die Russen meinetwegen beißen und zwicken,« sagte die zweite Magd.

Rutsch, lief Kasperle aus der Küche hinaus. Er hatte genug gehört. In Torburg hatte man noch viel von den Kriegsjahren 1813 und 1814 erzählt, und die alte Apfelfrau hatte einmal gesagt: »Die Russen waren zwar Freunde, aber für die danke ich.«

»Sind sie greulich?« hatte Kasperle gefragt.

»Ja, greulich und arg schlimm!«

Und solche Russen sollten nun zur Nachtzeit in das Gasthaus kommen. Kasperle glitt in einen Flurwinkel. Dort stand etwas auf einem Schemel, auf den er sich setzte. Ein bißchen weich und naß war es, aber das kümmerte ihn weiter nicht. Er mußte nachdenken, und wenn Kasperle nachdachte, war es schlimm.

Kasperle hatte in Torburg zum Abschied allerlei Räubergeschichten erzählt bekommen, und seine gute Freundin, die Apfelfrau, hatte ihn ermahnt: »Sieh auch in Gasthöfen immer unter die Betten, manchmal stecken da Räuber darunter.«

Und sicher waren die Russen Räuber. Was sollte er tun? Es Mister Stopps sagen? Aber der redete mit dem Wirt, und sicherlich wußte der Wirt auch von den schlimmen Russen.

Dem Kasperle wurde es übel vor Angst. Aber auf einmal fiel ihm etwas ungeheuer Kluges ein. Er rutschte von seinem Sitz herab, und merkte nun erst, daß er auf einer Schüssel Heringsalat gesessen hatte. Doch das war ihm gleichgültig, jetzt galt es Hilfe zu holen. Wutsch, war das Kasperle im Flur, dann schlich er aus dem Hause und prallte draußen mit einem zusammen, den er gerade suchen wollte.

Klirr, fiel etwas zu Boden, und der Herr Bürgermeister rief: »Welcher vermaledeite Esel rennt mich da so an? Nun ist mein neuer Pfeifenkopf kaputt.«

»Ich bin’s,« stotterte Kasperle. »Ich will zum Herrn Bürgermeister.«

»Zu mir? Wer ist Er denn?« Es war nämlich stockdunkel, und der Herr Bürgermeister konnte das Kasperle nicht erkennen.

»Ich, Kasperle!«

»Oh du unnützes Ding, von dir habe ich schon gehört. Was treibst du dich denn hier draußen herum? Du gehörst ins Bett,« rief der Bürgermeister. Der kam nämlich, um den Wirt vom Goldenen Knopf nach dem neuen Gast zu fragen.

»Nä, da liegen Räuber drunter.«

»Räu – – – ber?«

Dem Bürgermeister blieb vor Erstaunen das Wort im Halse stecken.

»Ja, Räuber, Russen sind’s,« ächzte Kasperle. »Ich wollte gerade Hilfe holen.«

Nun war der gute Bürgermeister weder sehr klug noch sehr mutig, und statt stipp stapp in das Wirtshaus zu gehen und dort zu fragen, was Kasperles Gerede bedeuten sollte, flüsterte er scheu: »Erzähl’ mal!«

Und Kasperle erzählte.

Der Schelm merkte, der Bürgermeister hatte beinahe noch mehr Angst als er, und darum schmückte er seinen Bericht noch etwas aus. Und je mehr der Bürgermeister zitterte, desto furchtbarer schilderte Kasperle die Angst der Mädchen.

Dem Bürgermeister fiel auf einmal etwas ein. Da war neulich ein Fremder in die Stadt gekommen, der hatte sich beim Schneider einen neuen Anzug machen lassen, und auf einmal war er verschwunden. »Bei Nacht ausgerückt,« hatte der Wirt gesagt.

»Den haben die Russen auch umgebracht,« stöhnte der Bürgermeister.

»Wen?« Kasperle klapperte nun vor Angst.

»Den Fremden neulich. Die Sache ist mir immer unheimlich gewesen mit dem Wirt.«

»Hach, haaaach,« kreischte Kasperle.

»Sei doch still, ums Himmels willen, wenn uns jemand drinnen hört!« Der Bürgermeister konnte kaum stehen, so war ihm die Angst in die Knie gefahren.

Kasperle hielt sich erschrocken mit beiden Händen selbst den Mund zu und setzte sich auf ein Mäuerlein.

»Fall’ nicht rein, das ist der Brunnen!« meinte der Bürgermeister.

»Nä,« rief Kasperle wieder viel zu laut für ein heimliches Gespräch.

»Still doch!« Der Bürgermeister wollte dem Schelm eins auf den Mund geben, und plumps fiel der kopfüber in den Brunnen.

Heiliger Bimbam! Dem Bürgermeister ward es himmelangst. Ein Kasperle kostet ungeheuer viel Geld, der Postillon hatte es in Amberg erzählt. Wenn das nun Schaden genommen hätte! Und innen im Wirtshaus der reiche Fremde und die russischen Räuber dazu.

Was zuviel ist, ist zuviel. Der Bürgermeister verlor allen Verstand. Er brüllte, so laut er konnte: »Nachtwächter, Nachtwächter, Sturm blasen!«

Der alte Nachtwächter Bucholz war eben aus seinem Hause, das neben dem Wirtshaus lag, herausgekommen. Der Ruf fuhr ihm in die Glieder, er setzte erschrocken sein Horn an und blies aus Leibeskräften den Feuerruf in die Nacht hinaus.

»Nicht Feuer, Sturm mußt du blasen,« schrie der Bürgermeister.

Aber wenn Bucholz einmal beim Feuerblasen war, gab es kein Aufhören. Feuer blies der Nachtwächter am liebsten. »Feuer, Feuer,« tutete er.

»Sturm, Sturm,« schrie der Bürgermeister. »Kasperle ist in den Brunnen gefallen, und da drinnen sind Räuber.«

»Wo brennt es? Was ist geschehen?« Aus allen Häusern stürzten die Menschen heraus. Der Wirt kam auch auf die Straße gelaufen. Ihm folgten bedachtsam Mister Stopps und Doktor Zimmermann.

»Wo brennt es denn, Bucholz?«

»Der Bürgermeister liegt unter dem Bett, und Räuber sind in den Brunnen gefallen,« rief Bucholz verwirrt von dem vielen Rufen.

»Bewahre, da steht doch unser Bürgermeister,« rief der Wirt.

»Ja, ich stehe hier, aber bei Ihnen liegen Räuber unter dem Bett, und Kasperle liegt im Brunnen.«

»Mein Kahs – pärle?« rief Mister Stopps erschrocken.

»Räuber, Räuber!« kreischten die Köchin und die Mägde aus dem Gasthofe.

»Ja, bei Ihnen unter dem Bett!«

»Kahs – pärle, oh mein geliebtes Kahs – pärle!«

»Ach was, die Räuber sind nicht hier.«

»No, no, Kahspärle sein nicht hier.« Das gab ein schreckliches Hin und Her. Die Feuerwehr, die Bürgerwehr, alles lief zusammen, der Bürgermeister rief: »Die Räuber müssen gefangen werden.« Mister Stopps schrie: »Mein Kahspärle.« Die Köchin, die ins Haus gelaufen war, jammerte: »Ein Räuber hat auf meinem Heringsalat gesessen, der sollte bei Jungfer Habertanz’ Hochzeit gegessen werden.«

»Räuber, Heringsalat, Kasperle, das ist ja eine alberne Geschichte.«

Doktor Zimmermann war ein besonnener Herr, dem kam das alles äußerst seltsam vor, er packte den Bürgermeister beim Rockknopf und fragte: »Wer hat was von Räubern erzählt? Und wieso ist Kasperle in den Brunnen gefallen?«

»Weil er darauf gesessen hat.«

»Kasperle? Na, wenn das nur keine Dummheit ist!«

»Es ist keine Dummheit, sie liegen unter den Betten, Russen sind’s, und die Köchin hat es selbst erzählt.«

»Was, ich hätte von Räubern erzählt? Ich bin eine ehrliche Jungfer.«

»Jawohl! Russen sollen es sein,« rief der Bürgermeister streng.

»Russen?« Die Köchin sah die beiden Mägde an, die sahen die Köchin an, und plötzlich kreischten sie los: »Das sind doch Käfer, wir haben von den ekligen schwarzen Käfern geredet.«

»Jaso!« Der Bürgermeister faßte sich an der Nase. »Oh Schockschwerebrett, ja. In manchen Orten heißen die schwarzen Küchenkäfer Schwaben, hier in Amberg nennt man sie Russen.« In seiner Verlegenheit schrie er: »Dumm, aber Kasperle ist in den Brunnen gefallen.«

»Das ist schlimmer als die Russen unter dem Bett. Hoffentlich ist er nicht bis in die tiefste Tiefe gefallen,« meinte der Arzt.

»Die Feuerwehr muß ihn herausholen,« rief der Wirt. Laternen wurden gebracht, Fackeln erhellten den Platz, Mister Stopps beugte sich klagend über den Brunnenrand und rief: »Kahspärle, oh mein Kahspärle!«

Unten blieb alles still. Da stieg ein Feuerwehrmann mit einer Laterne in die Tiefe, von oben riefen sie: »Ist er unten?«

»Nä!« Es dauerte ein paar Minuten, da kam der Mann wieder heraufgeklettert.

»Unten ist er nicht, aber unten war er, gleich am Rand an einem Eimerhaken hat er gehängt. Gelt, das gehört dem Kasper?« Und der Feuerwehrmann hielt Mister Stopps einen grün-rotseidenen Flicken unter die Nase.

»Der gehört freilich Kahspärle. Uo kann er sein?« fragte Mister Stopps bebend vor Angst.

»Unten kann er liegen, dann ist er tot.«

»Das kommt von dem hirnverbrannten Quatsch mit den Russen,« schrie der Wirt und sah den Bürgermeister scharf an.

Der wurde gelb vor Ärger. Und weil Mister Stopps drohte: »Sie müssen bezahlen mein Kahspärle,« rannte er erschrocken davon. »Zwei Millionen haben es gekosten.«

»So viel haben wir alle miteinander nicht,« brummte Bucholz, nahm sein Horn und blies: »Hört, ihr Leute laßt euch sagen.«

»Schafskopf, hör’ Er doch mit Blasen auf! Um so ein Kasperle ist es himmelschade,« rief Doktor Zimmermann. »Wer steigt noch einmal in den Brunnen?« Es meldeten sich gleich drei, doch sie fanden kein Kasperle, nur noch einen grünen Flecken, an dem klebte Heringsalat. Da wußte die Köchin wenigstens, wer in ihrem Salat gesessen hatte. Aber was half das alles? Kasperle war und blieb doch verschwunden, und alle riefen: »Der ist ertrunken, der liegt unten.«

»Uer steigt nach unten? Ich geben viel Geld.« Mister Stopps hatte sein himmelblaues Taschentuch vorgeholt und weinte so bitterlich, daß selbst die brummige Köchin Amanda das größte Mitleid mit ihm fühlte. Ganz hinunter wagte sich aber niemand zu steigen, so viel Mister Stopps auch bot und flehte. Der stand am Brunnenrand und schluchzte: »Oh du mein Kahs – pärle!«

»Es ist zu rührend!« Die dicke Köchin begann auch zu schluchzen, alle Frauenzimmer taten es ihr nach, und selbst der Wirt wischte sich die Augen. »Sicher ist er tot,« brummte er.

»Kann er denn so flink tot sein?« Doktor Zimmermann kam die Sache merkwürdig vor, und er meinte, es wäre gut, den Brunnen zu bewachen. Vielleicht komme das Kasperle doch wieder zum Vorschein. Man konnte es nicht wissen. Bucholz setzte sich also auf den Brunnenrand, drei Männer von der Feuerwehr und zwei von der Bürgerwehr gesellten sich dazu. Sie wollten alle warten, und sie versicherten, wenn sie Kasperle schreien hörten, dann würden sie ihn herausholen, ob er lebendig oder tot wäre.

Das war doch mal ein Trost. Mister Stopps versprach ihnen eine gute Belohnung und der Wirt Punsch, dann ließ es sich schon gut Wache halten.

Eine schreckliche Nacht

Doktor Zimmermann und der Wirt redeten so lange auf den armen Mister Stopps ein, bis er sich entschloß, sich ins Bett zu legen. Der Wirt brachte ihm noch Punsch, davon trank er sechs Gläser, und danach war er so schläfrig, daß er, freilich unter Tränen, einschlief. Das große, himmelblaue Taschentuch lag auf seinem Gesicht. Man hätte nun denken können, Mister Stopps werde vom blauen Himmel träumen, aber den ängstigten böse, schreckhafte Träume. Räuber wollten in sein Zimmer eindringen, die rasselten und sägten an der Türe herum. Mister Stopps stöhnte vor Angst, aber plötzlich erklang das Sägen so laut, daß er erwachte.

Himmel, das war ja gar kein Traum. Da sägte und rasselte es weiter, und dabei war stockfinstere Nacht. »Hilfe, Hilfe!« brüllte Mister Stopps, »Hiiilfe!«

Aber er konnte schreien soviel er wollte, niemand kam, aber nach kurzer Zeit war das Rasseln vorbei. Mit zitternden Fingern schlug Mister Stopps Feuer, aber das wollte ihm nicht gelingen, und angstvoll verkroch er sich in sein Bett. Vielleicht hatte sein Geschrei die Räuber, die offenbar eindringen wollten, und die Türe aufzusägen gedachten, verjagt.

Er lauschte lange, steckte tief unter dem dicken Federbett und schwitzte. Es war alles still.

Lange, lange blieb es so, und Mister Stopps war gerade wieder am Einschlafen, als das Sägen wieder losging. Entsetzt sprang der lange Engländer aus dem Bett. Er nahm seine Reisepistole vom Tisch, konnte im matten Dämmerschein des frühen Morgens gerade erkennen, wo die Tür war, und schoß auf diese. Bums, dröhnte es durch das Haus.

»Hiiilfe! Hiiilfe!« klang es aus allen Stockwerken. Der Wirt, das Hausgesinde, alles rannte herbei, und der Wirt schrie draußen an des Gastes verschlossener Türe: »Sind Sie tot?« Mister Stopps war über den Knall selbst sehr erschrocken, er saß auf der Erde und brachte den Mund nicht auf vor Angst. Er verstand kein Wort von den Rufen draußen.

»Um alles in der Welt, sind Sie tot? Antworten Sie doch!«

»Ich meine, wenn er tot ist, kann er nichts mehr sagen,« brummte Bucholz, der auch herbeigekommen war.

Das stimmte nun freilich.

»Holt ein Beil, wir schlagen die Türe ein,« gebot der Wirt.

Mister Stopps innen hörte endlich den Wirt, und er dachte: »Nun wird es ernst, jetzt schlagen die Räuber die Türe ein.« Er suchte seine Pistole, aber die war wer weiß wohin geflogen, und darum hielt es Mister Stopps für das beste, unter das Bett zu kriechen. Eins, zwei, drei – doch ging er nicht ganz drunter, er war zu lang dazu, seine Beine guckten weit hervor.

»Krach, krach!« tönte es an der Türe.

»Uff!« stöhnte Mister Stopps.

Da ging die Türe auf, und der Wirt, Hausknecht, Nachtwächter, die Köchin, die Mädchen, alle stürzten in das Zimmer, und der Wirt rief: »Da liegt er tot unterm Bett.«

»Ich meine, da täte er nicht so zappeln. Wenn eins tot ist, hält’s seine Beine ruhig.« Bucholz hatte wieder recht.

»Mister Stopps, oh, Mister Stopps!« Der Wirt packte ein Bein, Bucholz das andere, beide zogen, aber Mister Stopps, der meinte, dies wären nun die Räuber, brüllte aus Leibeskräften.

»Sind Sie doch ruhig, wir reißen Ihnen sonst noch die Beene ab.« Bucholz meinte es sehr gut, aber Mister Stopps verstand nur, ihm sollten die Beine abgerissen werden. Er brüllte immer lauter und hörte gar nicht, daß der Wirt zu ihm redete.

Es dauerte jedoch nicht lange, da war Mister Stopps unter dem Bett hervorgezogen, und Bucholz sagte verwundert: »Seinen Kopf hat er noch, darum konnte er auch noch schreien.«

»Oh, no, nicht meine Beine ausreißen, nicht Kopf abschlagen,« jammerte und stöhnte der arme Mister Stopps.

»Das wollen wir ja gar nicht!«

»Uollen Sie Geld? Rauben Sie alles, nur morden Sie mir nicht!«

»Jemine, nu denkt er gar, wir seien Räuber.«

Bucholz war höchst verwundert, der Wirt war’s nicht minder, aber die Köchin sagte auf einmal: »Pfui, der hat nichts an!«

»Oh!« Jetzt erst merkte Mister Stopps, daß er in lauter bekannte Gesichter sah. Er riß rasch die Decke vom Bett, wickelte sich hinein und stöhnte: »Uo sein die Räuber?«

»Wer hat denn geschossen?«

»Ich schoßte!«

»Schoß,« rief Bucholz.

»Yes, ich schoßte, weil Räuber an die Türe waren.«

»Ih, bewahre,« rief der Wirt.

»Doch, ganz bestimmt!«

»Uh je, ich fürchte mich!«

»Ich auch, ich auch.« Die Mägde drängten sich alle in eine Zimmerecke, in der noch ein Bett stand. In dem hatte das arme Kasperle, das draußen gewiß im tiefen Brunnen lag, schlafen sollen.

»Das mit den Räubern ist Unsinn,« rief der Wirt.

»No, sein nicht Unsinn, sie haben gemacht »rrrrrr« an die Türe, und ich schoßte.«

»Schoß,« schrie Bucholz wieder, den das falsche Reden des Engländers sehr ärgerte. Bucholz war nämlich ein halber Gelehrter, der lieber Bücher las, als Nachtwache hielt.

»Yes, schoßte!« Mister Stopps wunderte sich sehr über die Einrede des Nachtwächters. Seiner Meinung nach sagte er alles richtig.

»Halt Er doch den Mund,« brummte der Wirt und gab dem Wächter einen derben Rippenstoß. »So einem Herrn darf man nicht immer widersprechen. Jetzt suchen wir mal das ganze Haus ab vom Keller bis zum Boden!«

»Boden und Keller lassen wir lieber weg, da könnten sie sitzen.« Sehr mutig war der gute Bucholz nicht.

Aber der Wirt rief ärgerlich: »Feiger Kerl, alles wird abgesucht. Das wäre noch schöner, wenn nachher der Herr Engländer in der ganzen weiten Welt erzählte, in meinem Wirtshaus gäbe es Räuber.«

»Au, au!« Da saß die Köchin auf einmal mitten im Zimmer und jammerte: »Da im Bett liegt jemand!«

»Potz Wetter, so ’n Unsinn!« Dem armen Wirt wurde es heiß vor Ärger. Er sah die Köchin grimmig an und schrie: »Stille!«

»Nä, da liegt jemand im Bett.«

»Au!« Das Küchenmädchen sprang auch von dem Bett auf, sie schrie auch: »Es liegt jemand drin.« Und nach ihr hopste das Stubenmädchen empor und klagte: »Mich hat jemand gepufft!«

»Am Ende sind’s die Räuber, die da drinnen liegen.« Bucholz legte den Finger an die Nase, um ernsthaft über den sonderbaren Fall nachzudenken, doch ehe er noch recht dazu gekommen war, tönte von dem Bett her ein sonderbares Gurgeln und Schluchzen, und alle im Zimmer sahen sich verdutzt an. Was war denn das?

»Es lacht jemand!«

Der Wirt sah sich erstaunt um.

»Yes, es lacht uo.«

»Sie dadrinne, wenn Se Räuber sein, dann kommen Se raus!« Bucholz stocherte mit seinem Nachtwächterspieß ein bißchen an der Bettlade herum, und da wurde auf einmal die Bettdecke herausgestrampelt, die Mägde flüchteten kreischend in eine andere Ecke, und Mister Stopps schrie laut: »Uo sein meine Pistole?« Aber da. – –

Putzvergnügt kletterte Kasperle aus dem Bett heraus.

»Oh, mein Kahspärle!«

»Jemine, Kasperle, du Strick, wo kommst denn du her?« rief der Wirt.

Mister Stopps aber riß Kasperle an sich, drückte und küßte es, und Kasperle kriegte kaum Luft. »Oh, du liegst nicht in das Brunnen?«

»Dem Brunnen,« verbesserte Bucholz.

»Nä!« Kasperle riß seinen Mund weit auf, grinste alle an, tat einen Seufzer und klagte: »Hab’ schon wieder Hunger!« Aber damit kam der Schelm diesmal nicht durch. Erst mußte er erzählen, ob er wirklich in dem Brunnen gelegen hatte.

»Freilich,« klagte er, »schmutzig war’s da!«

»Oh lieber Himmel, er hat sich so ins Bett gelegt!« Das Stubenmädchen hob empört das Bett hoch: »Und Heringsalat klebt auch dran.«

»So’n Schmierfink!« Die Köchin sah Kasperle wütend an. Aber der Wirt rief ärgerlich: »Stille da! Kasperle erzählt! Alle aufgepaßt! Warste denn wirklich im Brunnen?«

Kasperle nickte. »Ich bin reingefallen und bin rausgekrochen, weil se alle so schreiten.«

»Schrien,« verbesserte Bucholz.

»Schrieten,« fuhr Kasperle fort. »Da hab’ ich mich ins Bett gelegt und da – hat jemand geschreit und geschoßt.«

»Geschrien und geschossen.«

»Halt Er doch sein Maul, Er ist doch kein Schulmeister,« ranzte der Wirt Bucholz an.

»Aber wer hat denn »rrrrrr« gemacht?« fragte Mister Stopps verwundert.

»Kasperle, aber Kasperle, was machst du denn?« Alle, die im Zimmer waren, umringten Kasperle. Der hatte sich plötzlich auf das Bett geworfen, hatte den Kopf in die Kissen gewühlt, gab sonderbare Töne von sich und strampelte mit den Beinen in der Luft herum.

»Er sterbt, er sterbt!« jammerte Mister Stopps unaufhörlich.

»Er ist übergeschnappt!« brummte die Köchin.

»Ih, bewahre, potz Wetter, der lacht.« Der Wirt hob das strampelnde und zappelnde Kasperle hoch, und da sahen es alle, Kasperle lachte und lachte. Die Tränen purzelten ihm über die Backen, so sehr lachte er. Er lachte und lachte und konnte auf alle Fragen nicht antworten. Da nahm der Wirt endlich einen Krug Wasser vom Waschtisch, und schwipp, schwapp, bekam Kasperle das Wasser über den Kopf.

Patsch, da war es stille. Es schaute etwas verdutzt von einem zum andern, schüttelte sich wie ein Bäumlein nach einem Gewitterregen, tat endlich seinen Mund wieder auf und machte: »Rrrrrr.«

»Ja, so haben gemacht die Räuber.« Kasperle fing wieder an zu lachen, und der Wirt drohte: »Ich nehme die zweite Kanne.« Da wurde der Schelm flugs still und sagte ein wenig kläglich: »Ich habe doch nur geschnarcht, »rrrrrr«, so mach’ ich’s immer.«

»Ooooh, uie seltsam! Äußerst komisch!«

»Er hat geschnarcht!« Der dicke Wirt fing plötzlich so zu lachen an wie vorher das Kasperle. Er lachte und lachte, Kasperle lachte mit, und Mister Stopps lachte. Auf einmal war es, als raßle eine schlecht geölte Tür: Bucholz, der griesgrämige Nachtwächter, lachte. Die Mägde kicherten, selbst die verdrossene Köchin lachte zuletzt. Der Wirt mußte sich die Seiten halten. »Uff!« stöhnte er, »ich kann nicht mehr!«

Und da, schwipp, schwapp, hatte geschwinde Kasperle die zweite Wasserkanne geholt und goß sie dem Wirt über den Kopf. Er dachte: »Wie du mir, so ich dir.«

Nun fand der Wirt aber, zwischen einem Wirt zum Goldenen Knopf und einem Kasperle wäre schon ein gewaltiger Unterschied. Er fing heillos zu schimpfen an, aber als er in das ganz verwunderte, blitzdumme Kasperlegesicht sah, mußte er wieder lachen, und Kasperle lachte mit. Patschnaß war er, aber er sah aus, als hätte er eben die allergrößte Herzensfreude erlebt.

»Das möchte man wirklich selbst behalten,« brummte der Wirt halblaut.

Aber Mister Stopps hatte die Worte doch gehört. Erschrocken nahm er sein Kasperle auf den Arm. »Ich hab’ ihn gekaufen, er ist mein Kahspärle!«

»Gekauft,« sagte Bucholz ärgerlich.

»Nä, er hat mich gekaufen.« Kasperle dachte, der brummige Wächter wollte ihn Mister Stopps streitig machen.

»Gekaufen,« rief Mister Stopps.

»Ja, gekaufen für zwei Millionen,« wiederholte Kasperle stolz.

»Ge –,« wollte Bucholz verbessern.

»Stille doch! Geh, tute draußen, daß es Morgen wird, die Hähne krähen schon bald,« schalt der Wirt. »Und Kasperle bekommt noch ein Stück Kuchen, damit er einschläft, sonst ist er morgen müde.« Damit waren alle einverstanden, Kasperle am meisten, der kuschelte sich bald vergnügt in sein Bett. Er hatte ein blitzsauberes Nachtröckchen an, und wenn nicht das unnütze Kasperlegesicht gewesen wäre, man hätte ihn für einen braven, kleinen Jungen halten können. Sein Wämslein nahm das Stubenmädchen mit hinaus. Sie wollte es draußen waschen, aber Mister Stopps sagte, Kasperle dürfe morgen sein feuerrotes Sonntagsjäcklein anziehen. Überhaupt bekäme Kasperle in der nächsten großen Stadt so viele bunte seidene Röcklein, wie er wolle. Sein Kasperle sollte fein angezogen dahergehen.

»Rock hin, Rock her!« Der Schelm dachte jetzt nur an seinen Kuchen. Eins, zwei, drei, hatte er den verschlungen, und dann legte er sich um, und gerade, als auch Mister Stopps in sein Bett gestiegen war, tönte es laut durch das Zimmer »rrrrrr«. Kasperle schnarchte schon wieder.

Mister Stopps aber band sich eine gelbe Nachtmütze über die Ohren. Er seufzte, nein, in seinem Zimmer konnte Kasperle nicht mehr schlafen, da würde er keine ruhige Nacht mehr haben.

»Rissel, rassel, rrrrrr,« schnarchte Kasperle.

Mister Stopps, der wie eine große Zitrone aussah, seufzte. Er drehte sich nach links und drehte sich nach rechts, aber er konnte nicht schlafen.

»Rrrrrr,« da war Kasperle auf einmal stille, und der gute Mister Stopps dachte gerade: »Nun schlafe ich vielleicht ein,« da ging es draußen los.

»Tutututut.«

»Kikerikihi, kikerikihi!«

»Tututut.«

Kasperle aber richtete sich auf und rief:

»Mußt auf der Reise stets aufstehn,
Wenn morgens früh die Hähne krähn,
Denn wer von der Welt was sehen will,
Der lieg’ nicht lang im Bette still.
Der mache sich zu früher Zeit
Zum Weiterwandern stets bereit.«

»Die Apfelfrau hat gesagt, das soll ich jeden Morgen sagen,« rief Kasperle dem armen Mister Stopps zu. Und der merkte nun, es war nicht so einfach, mit einem Kasperle zu reisen. »Bleib’ nur noch liegen,« brummte er.

»Nä,« rief Kasperle, »ich purzelbaume.«

Und hopp di hopp ging es aus dem Bett heraus, durch das Zimmer, und plumps, da saß Kasperle Mister Stopps auf dem Magen und schrie, als wäre der gute Herr stocktaub:

»Sag’ freundlich jedem Guten Morgen,
Wünsch’ einen Tag ihm ohne Sorgen,
Dann wird dir selbst der Tag zum Fest,
Mit Freundlichkeit kommst durch aufs best’ –«

»Still!« schrie Mister Stopps, der gar keine Lust hatte, der Torburger Apfelfrau Reiseregeln anzuhören. »Flink, geh, zieh dich an und bestelle den Kaffee.«

Das tat Kasperle, und im Hause gab es ein großes Verwundern über den Gast, der nach der unruhigen Nacht schon so früh auf den Beinen war.

Doch Kasperle sagte jedem, der es hören wollte, und auch der Köchin, die es nicht hören wollte, sein Sprüchlein:

»Mußt auf der Reise stets aufstehn,
Frühmorgens, wenn die Hähne krähn.«

Und dann schrie er durch das ganze Haus: »Kaffee! Ich bin hungrig.«

Im Krug zum Grünen Kranze

In dem Gasthof zum Goldenen Knopf erwarteten alle, daß bei Mister Stopps und Kasperles Abreise etwas passieren würde. Aber nichts geschah. Der Wagen hielt vor dem Hause, Mister Stopps und Kasperle stiegen ein, der Postillon blies Traritrara, und fort ging die Reise. Kasperle fiel nicht aus dem Wagen, die Pferde gingen nicht durch, und kein Räuber kam, Kasperle zu befreien. Der verlangte auch gar nicht nach Freiheit. Das Reisen erschien ihm sehr vergnüglich. Er aß, schwatzte, steckte seine große Nase hinaus und lachte jedem ins Gesicht, der des Weges daherkam. Und jeder lachte wieder. Und Mister Stopps dachte, mit Kasperle sei es schon gut reisen. Einmal unterwegs ließ er auch die Kutsche halten, denn Kasperle sagte, es müßte vergnüglich sein, da unter den zwei großen Linden zu sitzen, in die schöne Welt zu schauen und zu singen.

»Oh yes, singen ist gut. Kannst du singen?«

»Fein,« rief Kasperle, »singen kann ich prachtvoll.«

»Oh, ist mir sehr lieb! Singe!« Kasperle riß seinen Mund auf und sang mit einer Stimme, die wie eine alte Trompete klang:

»Nur nit verzagt!
Bald der Morgen tagt,
Zum guten End’
Sich alles wend’.«

»Schrecklich,« rief Mister Stopps entsetzt.

»Wunderschön,« sagte Kasperle sehr zufrieden, und noch lauter brüllte er:

»Mußt nit greinen, Mußt –«

Doch da stockte er, ein feines, feines Klingen hub an, und eine wunderschöne Stimme sang weiter:

»– nit weinen!
Auf Gott vertrau’,
Zum Himmel schau’!
Himmelslichter blinken,
Und die Englein winken,
Halt’ nur aus, halt’ nur aus!
Schon nach Haus
Finden ich und du
Einst in guter Ruh’,
Einst in guter Ruh’.«

Oh du lieber Himmel, was war das? Da lag auf einmal das sonst so putzvergnügte Kasperle im Grase und schluchzte jammervoll. Aus einem Seitenweg hervor aber trat ein Spielmann, der rief: »Kasperle, bist du mal wieder unterwegs?«

Es war Florizel, der Spielmann, der wieder einmal seine Heimat sehen wollte. Und Kasperle dachte daran, wie Florizel ihn vor Jahren mit dem Kasperlemann nach Torburg gebracht hatte. Ach je, und nun sollte er die schöne Heimat mit allen lieben Menschen darin verlassen? Es war schon schwer! Sein kleines Kasperleherz tat einmal wieder bitter weh vor Sehnsucht, er schluchzte und schluchzte, und Mister Stopps fragte verwirrt: »Hat er denn schon wieder Hunger?«

»Nein, Heimweh,« antwortete Florizel.

»Heimueh? uas sein das?«

»Ein schlimmes, schlimmes Übel.« Und Florizel beschrieb dem langen Engländer, was Heimweh wäre. Da riß der seine Augen weit auf und sah höchst nachdenklich drein. »Sterbt er daran?« fragte er.

»Nein, Kasperle stirbt nicht daran. Aber gut muß man mit dem armen Schelm sein, sehr gut, denn er hat überhaupt keine rechte Heimat.«

»Oh, uie sonderbar!«

Kasperle war Florizels Versprechen, seine schöne Urheimat zu suchen, eingefallen. Er schrie plötzlich laut in des guten Mister Stopps Bedauern hinein: »Hast denn meine Insel gefunden?«

»Ach nein, mein gutes Kasperle.«

»Warum denn nicht?«

Da tat Florizel einen tiefen Seufzer und antwortete: »Weil ich arm bin. Um so weit über Länder und Meere zu fahren, muß man Geld haben, und ich bin arm.«

Das klang traurig, und Kasperle kramte rasch aus seinem Hosensack ein paar Gröschlein heraus, das war sein ganzer Reichtum. »Das schenke ich dir,« sagte der kleine Kerl treuherzig, »da kannste um die Welt reisen.« Florizel mußte lachen, Mister Stopps sah verwundert das Kasperle an, er sah Tränen in den sonst so unnützen Äuglein, und der reiche Mann, den niemand auf der Welt recht lieb hatte, dachte, es müßte gut sein, wenn das Kasperle ihm sein kleines Herz schenkte. Sollte er dem Kasperle zuliebe dem Florizel auch Geld geben? Er sah auf einmal das stolze Leuchten in den schönen Augen des armen Spielmanns, und da spürte er, der war im tiefsten Grunde reicher als er. Der konnte singen und dichten, war das nicht ein Glück? Sehr höflich bat er, Herr Florizel möchte ihm noch etwas vorsingen. Kasperle bettelte: »Ach ja, ich singe mit.«

»Kasperle, das laß lieber sein! Hör’ zu, gestern im Walde ist mir das eingefallen,« sagte Florizel und sang:

»Zieh’ durch die Wälder weit
In der Maienzeit,
Lieg’ auf Matten grün,
Seh’ die Wolken ziehn,
Hör’ die Vögel singen,
Seh’ die Rehe springen,
Weite Länder mir zu Füßen!
Schöne Welt, o laß dich grüßen!
Wer ist noch wie ich so reich?
Einem König bin ich gleich,
Ziehe durch die Weite.
Trallala, trallala!«

Mister Stopps dachte, der ist wirklich ein König, der so singen kann, Kasperle aber schrie: »Mehr, mehr!«

Da hob Florizel den Bogen, setzte ein, und nun klang es wie sehnsüchtiges Klagen, als er sang:

»Ich weiß eine Insel in ferner See,
Denk’ ich an sie, da wird mir so weh’.
Insel du, bist Urheimat mir,
Im Traume sehn’ ich mich nach dir.
Der Weg zu dir ist so weit, so weit,
Ist ferne wie die Ewigkeit,
Drum wandre ich armes Kasperlein
Immer in fremder Welt allein.«

Oh Florizel, wie kann man dem Kasperle so ein Lied singen! Da lag auf einmal das lustige Kasperle auf der Erde, weinte und weinte und war gar nicht zu trösten.

Mister Stopps wurde es himmelangst und er sagte: »Uir uollen ueiterfahren.«

»Nä,« schrie Kasperle.

»Aber Kasperle,« sagte der gute Spielmann freundlich, »du sollst doch in die weite Welt reisen, vielleicht findest du da selbst deine Insel.«

»Komm mit,« bettelte der kleine Kerl.

»Oh yes, kommen Sie mit,« bat auch Mister Stopps, doch Florizel wollte nicht, und je mehr er den Kopf schüttelte, desto mehr wünschte sich Mister Stopps dessen Mitreise, denn Mister Stopps gehörte zu den Leuten, die das gerne wollen, was sie nicht bekommen können.

»Bitte, kommen Sie mit als mein Reisebegleiter. Ich Ihnen gebe viel Geld!«

»Nein,« antwortete Florizel, »ein Sänger und ein Dichter muß frei sein.«

»Kommen Sie mit, als mein Gast,« bat der stolze, steife Mister Stopps. Aber wieder sagte Florizel: »Nein,« da bat Kasperle: »Du bist doch mein guter Freund, komm doch mit!«

»Ja, so ist’s recht,« rief Mister Stopps. »Kommen Sie mit als unser Freund, Kasperles und mein Freund.« Da sagte Florizel endlich ja. Er stieg gleich mit in die Postkutsche, und während sie die Landstraße entlang rollten, sang Florizel:

»Vorbei am rauschenden Strom,
Vorüber an Stadt und Feld,
Durch des Waldes grünen Dom,
In die weite, weite Welt!
Heio, heio, heio!«

»Heio, heio!« sang auch Kasperle und steckte seine Nase zum Fenster hinaus. Da fuhren sie an einer schwerfälligen Reisekutsche vorbei, in der saß ein wunderliebliches Mädchen, das weinte.

»Marlenchen!« schrie Kasperle und winkte und nickte.

Doch das war nicht Marlenchen. Ein fremdes Mägdelein war es, das schaute bitter traurig drein, und Kasperle bettelte: »Die soll mit uns fahren.«

»Um Himmels uillen, uer noch?« Mister Stopps erschrak ordentlich, doch da war die Postkutsche schon an dem andern Wagen vorbeigefahren, und das fremde Mägdlein winkte zum Abschied mit einem weißen Tüchlein. »Auf Wiedersehen!« schrie Kasperle. »Auf Wiedersehen!« Florizel nahm wieder seine Geige und sang:

»Abschied nehm’ ich nimmermehr,
Abschied nehmen ist zu schwer.
Wünsch’ beim Auseinandergehn,
Lieber: Frohes Wiedersehn!«

Und dann rollte die Postkutsche weiter durch das Land. Ein Wirtshaus kam: »Zum Grünen Kranze« stand daran. Freundlich und einladend sah es aus. Kein dicker Wirt, sondern eine freundliche Frau Wirtin stand vor dem Tore, die sagte: »Das Mittagessen ist beinahe fertig.«

»Ist gut,« rief Mister Stopps, »uir uollen essen.«

»Ja, essen, ich platze vor Hunger,« schrie Kasperle. Er purzelte hinten aus dem Wagen, und Florizel mußte ihn am Hosenbödlein halten.

»Wollen die Herrschaften im Garten essen?« fragte die Frau Wirtin.

»Ja,« rief Kasperle geschwind, ehe noch jemand etwas sagen konnte.

»Ja!« sagte auch Mister Stopps, und die Wirtin dachte, Kasperle wäre gewiß ein Prinz, weil alle taten, was er wollte. Sie knickste vor Kasperle und sagte höflich: »Ißt der Herr Prinz auch Pudding?«

Oh du meine Güte, danach das Kasperle zu fragen! Der lachte über das ganze Gesicht, nickte und rief: »Ja, einen ganzen Pudding, ich hab’ schrecklichen Hunger.«

»Gleich soll der Herr Prinz etwas bekommen.« Die Wirtin rannte in das Haus, und dort rief sie nach Koch und Mägden. Sie ermahnte ihre beiden Buben, recht artig zu sein, draußen wäre ein Prinz. »Gewiß ein Königssohn.«

»Heisa!« da liefen Franzl und Hansl flugs hinaus. Einen Prinzen hatten sie noch nie gesehen. Und dann standen sie da, und staunten das Kasperle an. Sah der Prinz aber komisch aus!

Kasperle grinste, Franzl und Hansl waren etwa in seiner Größe, und er wußte schon, nach drei Minuten waren die ihm gute Spielkameraden. Also schoß er zur Einleitung flink einmal einen Purzelbaum, gerade als drinnen die Frau Wirtin rief: »Flink, Käte, schlag Sahne, ein Prinz muß einen feinen Pudding bekommen.« Da raste das Franzl in die Küche und schrie: »Er schlägt ’n Purzelbaum!«

»Jemine! Ich hab’ doch gesagt, Sahne soll geschlagen werden.«

Aber Franzl war schon wieder draußen, denn draußen kasperte Kasperle herum, als säße er in einer Jahrmarktsbude.

So etwas hatten die beiden Buben noch nicht gesehen, denn sie gingen nur in das nahe Dorf zur Schule, in eine Stadt waren sie noch niemals gekommen. Ein Kasperlemann hatte sich im Dorf, solange Hansl und Franzl denken konnten, noch nicht blicken lassen. Sie meinten daher, Kasperles Narrenpossen seien Prinzensitte, und sie staunten Kasperle mit runden Augen an. Der war putzvergnügt, und weil Mister Stopps mit Florizel in einer Laube saß und er sich unbeaufsichtigt wußte, kasperte er so toll, daß alle Hunde, Hühner, Gänse, die Geißen und selbst die dicke alte Katze in Aufregung gerieten. Kasperle bellte, miaute, gackerte und wieherte, und wenn eins der Tiere nahekam, dann bekam es einen derben Nasenstüber.

Das gab ein Geschrei. Die dicke Miezemutter saß da und fauchte, Karo bellte, und der Geißbock wollte Kasperle auf seine Hörner spießen, aber wutsch kroch Kasperle unter ihm durch und erwischte den Hahn am Schwanz, der Bock meckerte, der Hahn krähte, und Hansl und Franzl kugelten sich vor Lachen auf dem Boden herum. Franzl platzten die Höslein, und dem Hansl wären sie gewiß auch geplatzt, wenn sie es nicht schon gewesen wären. Der Lärm wurde sehr groß. Zuletzt hörte Mister Stopps das Geschrei. Florizel hatte schon lange die Ohren gespitzt, doch der wußte, wo Kasperle war, gab es Lärm. Aber auch die Wirtin in der Küche hörte das Toben, sie kam eilfertig herbei, denn ihre gute Sahnenspeise war gerade fertig geworden. »Oh jegerl, meine Güte, Buben, ihr seid wohl närrisch geworden?« rief sie, und weil das Kasperle just auf der Erde saß, meinte sie, dem Prinzlein sei Unrecht geschehen. Eins, zwei, drei, stellte sie ihre Buben auf, und ein ernstes Strafen sollte gerade beginnen, als Mister Stopps und Florizel herbeikamen. »Aber Kahspärle,« sagte Mister Stopps würdevoll. »Kasperle, du Schelm,« drohte Florizel.

»Kasperle,« rief die Wirtin verdutzt, »wie kann man einen Prinzen Kasperle nennen!«

»Einen Prinzen? Ja, ich bin ein Prinzkasperle!« Kasperle steckte beide Füße in den Mund, dann drehte und kugelte er sich und lachte zuletzt so, wie eben nur ein Kasperle lachen kann. Und alle mußten mitlachen.

Dem Hansl platzte das letzte Hosenknöpflein ab, Mister Stopps zog wieder das himmelblaue Taschentuch hervor, und die Wirtin mußte sich die Seiten halten, so lachte sie; hinter ihr lachten die Mägde, und die Tiere gackerten, meckerten, bellten und miauten durcheinander.

Und gerade da kam eine Kutsche gefahren. Rissel, rassel kam sie an, und – fuhr vorbei. Heraus aber schaute das blasse, feine Fräulein, es winkte und nickte, und Kasperle wurde auf einmal ganz ernst. »Wie Marlenchen sieht sie aus!«

»Es ist aber doch nicht Marlenchen, die ist doch blond,« sagte Florizel.

»Jemine, was ist denn? Das Kasperle weint,« klagte die Wirtin plötzlich.

Ja, Kasperle weinte, und es war gut, daß die Frau Wirtin rief: »Nun wird ihm gar meine schöne Sahnenspeise nicht schmecken!« Da hellte sich aber Kasperles Gesicht auf, und nachher gab es ein fröhliches Mahl und einen lustigen Nachmittag, und als am Spätnachmittag die Gäste weiterfahren wollten, da flossen Tränen im Krug zum Grünen Kranze. Mister Stopps sagte aber: »Ich muß ueiter, in N. uartet Bob auf mich.«

»Ist das auch ein Kasperle?« fragte Kasperle flink.

»Nein, er sein mein Kammerdiener.«

»Oh!« Kasperle riß die Augen weit auf, er dachte aber daran, wie gut der Diener Heinrich auf Schloß Himmelhoch einst zu ihm gewesen war, und darum rief er vergnügt: »Bob ist fein, ich freue mich auf Bob.« Und Kasperle kletterte vergnügt in die Postkutsche, er nahm von allen Abschied, als hätte er zehn Jahre im Krug zum Grünen Kranze gewohnt, und als der Wagen davonrollte, bat er Florizel: »Sing’ wieder das Abschiedslied!« Und Florizel nahm seine Geige und sang wieder:

»Abschied nehm’ ich nimmermehr,
Abschied nehmen ist zu schwer,
Wünsch’ beim Auseinandergehn
Lieber: Frohes Wiedersehn!«

Aber trotz des guten Versleins weinten Hansl und Franzl ihrem lustigen Freund viele Tränen nach, und wenn sie fortan jemand fragte, was sie werden wollten, antworteten sie allemal: »Ein Kasperle.«

Aber zu einem Kasperle muß man eben geboren sein.

Mister Stopps Diener Bob

»Wie sieht Bob aus?« fragte das Kasperle neugierig, als der Wagen mit den Reisenden N. zurollte.

»Dick ist er und dumm,« sagte Mister Stopps.

»Oh!« Kasperle machte kein sehr erfreutes Gesicht, und Mister Stopps verwunderte sich, als Kasperle kläglich sagte: »Dann gefällt er mir nicht.«

»Er uird dir schon gefallen, er ist sehr unangenehm,« erklärte Mister Stopps. Dick, dumm, unangenehm, und dann soll er einem gefallen? Das Kasperle schüttelte den Kopf und rief ein bißchen patzig: »Nä, dann gefällt er mir doch nicht. Dann ist er gräßlich.«

»Aber Kahspärle, mein lieber Bob ist nicht gräßlich. So etuas darfst du nicht sagen.«

Kasperle hätte sicher noch viel gesagt, wenn nicht die Kutsche gerade wieder an dem Wagen mit dem lieblichen kleinen Fräulein vorbeigerollt wäre.

»Na, immer noch so langsam?« rief der Postillon dem alten Kutscher zu, der den anderen Wagen lenkte.

Doch der gab keine Antwort, griesgrämig sah er vor sich hin, und das schöne, blasse Fräulein weinte heute gar.

Kasperle winkte ihr zu, er schnitt allerlei Gesichter, aber diesmal lächelte das Fräulein kein bißchen. Da nahm Florizel seine Geige und spielte gar süß darauf, dazu sang er sein Lied:

»Nur nit verzagt,
Bald der Morgen tagt.«

Da weinte das schöne Fräulein noch heftiger, aber sie winkte doch wieder mit dem Tüchlein herüber. Kasperle regte sich über die Tränen des lieblichen Kindes ordentlich auf, und er gab Mister Stopps einen Rippenstoß und sagte: »Die mußt du auch mitnehmen.«

»Uen soll ich mitnehmen?«

Es dauerte ein Weilchen, ehe Mister Stopps Kasperles Wunsch begriffen hatte, dann sagte er freilich, es ginge nicht an, einfach ein fremdes Fräulein mitzunehmen.

»Aber sie weint doch,« schrie Kasperle ganz böse.

»Sie hört auch wieder auf.« Mister Stopps war ein bißchen ärgerlich, denn das Kasperle verlangte noch zehnmal, die Fremde sollte mitreisen. Es war ganz ungebärdig, wollte gerade heulen, als ganz nah die Türme und Häuser einer großen Stadt auftauchten. In einer größeren Stadt als Torburg war Kasperle, noch nie gewesen. Er riß den Mund weit auf und grinste alle Vorübergehenden an, und ein lautes Rufen und Verwundern entstand. Was war das für ein schnurriger Mensch, der da im Wagen saß?

»Lassen Se Kasperle nicht rausgucken, sonst gibt’s was,« mahnte der Kutscher. Aber seine Mahnung kam zu spät. Denn gerade rollte der Wagen an einer Schule vorbei, und die war eben aus. Kasperle steckte den Kopf weit hinaus, schnitt ein Räubergesicht, dann eins, das blitzdumm war, und da umrannten die Kinder die Postkutsche so, daß die Pferde erschrocken stehen bleiben mußten.

»Kahspärle.« Mister Stopps packte Kasperle und zog ihn in den Wagen hinein. Aber da wurde es ganz schlimm. Die Buben kletterten auf das Trittbrett, die Mädel bettelten unten, sie wollten alle den komischen Jungen sehen.

»Das gibt’s nicht,« rief Mister Stopps.

»Ich bin müsemausetot,« schrie Kasperle aus dem Wagenwinkel heraus.

Ein jauchzendes Geschrei war die Antwort. »Holla he, er sagt, er wäre tot, müsemausetot,« brüllten ein paar Buben.

»Zeig doch, wie tot du bist!« Kasperle streckte flugs die Zunge heraus und machte flink ein Mister Stopps-Gesicht.

»Mehr,« kreischten die Kinder, »er sieht wie der häßliche Mann im Wagen aus.«

Das war selbst dem gutmütigen Mister Stopps zu viel. Klitsch, klatsch bekam Kasperle eins aufs Hosenbödle, und Mister Stopps rief streng: »Ueiter fahren!«

Aber wie soll ein Kutscher fahren, wenn hundert Kinder um ihn herumwuseln und diese hundert Kinder noch dazu schreien wie auf einem Kinderfest.

»Es geht nicht,« brummte der Kutscher verzagt.

Da nahm Florizel seine Geige und spielte heiter und sacht, es klang wie einer Mutter liebes Mahnen:

»Geht nach Haus,
Geht nach Haus,
Mädels und Buben!
Seid nicht wild!
Vater schilt
Und Mutter bang
Wartet schon lang.
Gehet heim,
Gehet heim,
Buben, Mägdelein!
Kasperlein
Will schlafen ein.
Müd’ ist der Wicht,
Stört ihn nicht.«

Da schloß Kasperle gleich seine Augen, er tat, als ob er schliefe.

Das wollten die Kinder aber noch sehen, doch da mahnte Florizel wieder:

»Geht doch heim,
Geht doch heim,
Mädels und Buben!
Mittagszeit,
Essen bereit,
Sorgend Eltern schauen aus.
Nach Haus, nach Haus!«

Es war wunderbar, Florizels Lied trieb die Kinder heim, und Kasperle schlief wirklich ein. Er wachte erst wieder auf, als der Wagen vor einem stattlichen Hause hielt, dem vornehmsten Gasthof der Stadt. Über der Tür hing ein dicker, silberner Mond, und Mister Stopps schüttelte Kasperle und sagte: »Uir sein da, und hier sein der Mondschein.«

Kasperle rieb sich die Augen, sah hinaus und sagte verdutzt: »Ih nein, die Sonne scheint.«

»Oh no, Mondschein.«

»Das ist doch die Sonne.«

»No, ich uill in den Mondschein.«

Da hätten sich Kasperle und sein Herr beinahe gestritten, aber Florizel sagte: »Kasperle, dummes, Mondschein heißt der Gasthof.«

»Ach so, ja das muß einer eben erst wissen.«

»Und da sein Bob, mein lieber Bob.«

Ja, da stand Bob. Neben einem schlanken, großen jungen Mann, der ungeheuer gutmütig aussah, stand einer, der war klein, dick, kugelrund, und sein Gesicht sah aus, als hätte er das schlechte Wetter vom ganzen Jahr eben verschluckt. Oh, Bob gefiel Kasperle nicht. Klein, dick, unangenehm, es stimmte alles. Aber Kasperle dachte, ich will Freundschaft mit ihm schließen, denn wenn ihn Mister Stopps gern hat, kann er so übel nicht sein. Er lief auf den Dicken zu, platschte ihm auf den Magen und rief: »Guten Tag, Bob! Ich bin Kasperle.«

»Daß du ein frecher Kasper bist, sehe ich,« brummte der Dicke, »aber mich Bob zu schimpfen, das verbitt’ ich mir. Da hast du deinen Dank!«

Wutsch, saß dem Kasperle eine kräftige Maulschelle im Gesicht, und vor Schreck kugelte er gleich zu dem Wagen zurück.

»Oh, wie böse,« rief der Schlanke, der neben dem Dicken stand, »oh, und da ist mein Herr, Mister Stopps!«

Der Schlanke sprang herzu, Mister Stopps schlug ihm vertraulich auf die Schulter und sagte: »Guten Tag, Mister Bob. Wie geht’s dir? Und da sein Kahspärle. Oh, so dumm! Kasperle, uarum hast du mit dem fremden Mann geredet?«

»Der hat gedacht, ich wäre es,« antwortete Bob vergnügt.

»Das hat er übel genommen. Aber was ist das für ein sonderbarer Junge, Mister Stopps?«

»Das sein Kahspärle.«

Kasperle heulte. »Ich hab’ doch nur Bob guten Tag gesagt.«

»Das sein hier Bob.«

»Nä,« rief Kasperle, »Sie haben gesagt, er wäre dick, dumm und unangenehm, und das ist der da.«

Der Dicke hatte das Wort gehört, wütend kam er herbei und schrie: »Was, ich soll dick, dumm und unangenehm sein?«

»Ich denken, Sie sind dünn, klug und angenehm,« rief Mister Stopps sehr streng und sehr würdevoll.

»Ach so, ja das bin ich.« Der Dicke blähte sich auf, Kasperle schaute verwirrt Mister Stopps an. Was redete der nur? Aber da lachten Florizel und Bob alle beide, denn sie merkten, der gute Mister Stopps hatte die Worte verwechselt. Bob, der gar kein Engländer war, wußte gleich, was sein Herr meinte. Er beugte sich zu Kasperle, hob es auf und sagte ihm das, und Kasperle lachte wie toll. Er schloß gleich gute Freundschaft mit Bob, denn den konnte man wohl leiden. Er lachte mit Kasperle um die Wette, und als beide an dem Dicken vorbeigingen, sagte er vergnügt: »Herr Dummklug von Angenehm!«

Weil Kasperle aber gar so lachte, machte der Fremde doch ein verdrossenes Gesicht und brummte: »Ich bin der Herr von Löwenzahn, merk Er sich das!«

»Und ich bin der Graf Kasperle von Torburg, und das da ist der Prinz Stopps von England, merk Er sich das auch,« schwätzte Kasperle, denn er nahm das Gerede des Fremden nicht für Wahrheit.

Der aber war wirklich dumm. Er sah nicht, wie Kasperles Äuglein zwinkerten. Er verneigte sich ganz tief und sagte demütig: »Oh, verzeihen Sie, Herr Graf, daß ich –«

»Ja, ich bin bitterböse, daß Sie mich geschlagen haben, und der Prinz von England sagte, Sie wären dick, dumm und unangenehm.«

Herrn von Löwenzahn brannten die Ohren. Von einem englischen Prinzen für dumm und unangenehm erklärt zu werden, war höchst betrüblich. Er hielt Kasperle, der davonlaufen wollte, am Ärmel fest und bat: »Ach, lieber kleiner Graf, Sie sind ein sehr spaßiges Herrlein, seien Sie mir nicht mehr böse!«

»Doch,« schrie Kasperle den Herrn von Löwenzahn an. Dem gellte die Stimme schrecklich in den Ohren, und er prallte ordentlich zurück. Da war Kasperle schon auf und davon, ehe sich der Herr von Löwenzahn noch recht besonnen hatte, und weil Kasperle Mister Stopps, Florizel und Bob schon im Flur des Gasthauses stehen sah, schlug er flink einen Purzelbaum und fiel just vor dem Wirt vom Mondschein nieder.

»Alle guten Geister, was ist denn das?«

»Das ist das weltberühmte, einzige lebendige Kasperle Graf von Torburg,« schrie Kasperle den Wirt an, »wir reisen um die ganze Welt herum, mein Herr, der Prinz Stopps von England –«

»Ein Prinz?« Der Mondscheinbesitzer verneigte sich tief, ein Kasperle, das ein Graf war, und ein Prinz waren noch nie bei ihm eingekehrt. Und ehe Mister Stopps noch etwas sagen konnte, rannten alle, Kellner, Hausdiener und Stubenmädchen, durcheinander, und alle riefen: »Die besten Zimmer müssen gerichtet werden.«

»Ich habe doch schon welche bestellt,« sagte Bob.

»Gilt nicht, gilt nicht,« rief der Wirt, »die sind nicht gut genug.«

»Kasperle, du bist ein Strick,« sagte Bob. Er nahm Kasperle und wollte ihn an den Ohren ziehen, aber da sah ihn das unnütze Kasperle treuherzig an, und Bob sagte: »Ich hab’ dich aber doch lieb.«

Mister Stopps sagte gar nichts, er war nur verwundert über das Geschrei um sich her, und er ließ sich schieben und drängen, und wenn einer eine Verbeugung vor ihm machte, fragte er jedesmal: »Bob, uas uill er?« Und dann verneigte sich Bob und machte auch eine tiefe Verbeugung, und der Wirt nannte ihn dann: »Herr Kammerherr!«

Die Gäste wurden wirklich in die besten Zimmer geführt, und Mister Stopps wollte sich gerade umziehen, als der Wirt in das Zimmer gerannt kam. Er verbeugte sich fortwährend, und wollte sich gerade erkundigen, wie es seinem Gaste gefiel, als Kasperle ihm mit dem linken Bein einen Nasenstüber gab. »Na, das mach’ ich nach,« dachte Bob, und ritsch! bekam der Wirt von rechts auch einen. Da rannte der erschrocken aus dem Zimmer und schrie draußen seiner Frau zu, sie sollte ja nicht in die Nähe des Prinzen gehen, der hätte sehr sonderbare Gewohnheiten. Dies hörte Bob, und Bob war beinah so ein Schelm wie das Kasperle. Er nahm den Kleinen zur Seite und tuschelte ihm etwas zu.

»Fein!« schrie Kasperle und purzelbaumte durch das Zimmer, und auf einmal kugelte er Mister Stopps beinahe um. »O Kahspärle,« stöhnte der, »ich uollte ausruhen, mir hinlegen.«

»Ich auch!« Kasperle kuschelte sich an Mister Stopps und der sagte: »Du sein ein gutes Kahspärle.«

»Es ist Essenszeit!« Der Kellner Fritz, der sich sehr fein benehmen wollte, stürzte in das Zimmer, verneigte sich, und – da hatte er seinen Nasenstüber von Bob.

»Oh Bob, uas sein das?« rief Mister Stopps erschrocken, während Fritz heulend und jammernd aus dem Zimmer lief.

»Kasperlemode.« Für lange Antworten war Bob nicht, aber diesmal wollte Mister Stopps doch mehr von der Mode wissen.

Da kam Herr von Löwenzahn in das Zimmer, und ehe er noch wußte, was los war, hatte er von rechts und links einen Nasenstüber. Bob und Kasperle standen gleich darauf steif wie zwei Säulen da.

»Was ist das?« rief Herr von Löwenzahn entrüstet.

»Sitte!« antwortete Bob.

»Wo?«

»Wo.«

»In England?«

»In England.«

Bob stand steif wie ein Pfahl, er wiederholte wie ein Leierkasten die Fragen.

»Das ist dumm, ganz dumm,« rief Herr von Löwenzahn, während Mister Stopps, der ruhig auf seinem Sofa lag, den fremden Herrn durch ein Opernglas betrachtete.

»Uer sein das?«

»Herr von Löwenmaul,« erklärte Bob.

»Zahn, Zahn,« schrie der kleine aufgeregte Herr.

»Von Maulzahn,« sagte Bob.

»Löwenzahn, Dummkopf.«

»Herr Löwenmaulzahn von Dummkopf.«

Herr von Löwenzahn platzte beinahe vor Ärger, aber da lachte plötzlich das Kasperle, eben wie nur ein Kasperle lachen kann, und darüber verlor Bob auch beinahe seine Ruhe. Er machte aber noch die Türe weit auf, und der Herr von Löwenzahn schoß hinaus wie eine feurige Rakete.

»Uff,« stöhnte Mister Stopps, »uas sein hier für komische Leute! Ich uill essen, aber hier unten ist uider etuas los.«

Darüber freuten sich Kasperle und Florizel. Bob lachte vergnügt dazu, und dann ging er steif und feierlich, um unten das Mittagessen für seinen Herrn, den Prinzen Stopps von England, zu bestellen. Dabei kam er in einen Seitenflur, dort stand Herr von Löwenzahn, der fuhr mal mit dem linken, mal mit dem rechten Bein in der Luft herum. Er wollte den Gruß, der in England Sitte war, lernen, denn der gute Herr von Löwenzahn war schrecklich dumm, und von England wußte er nur, daß die Leute dort manchmal sonderbar waren.

»So,« sagte Bob und fuhr Herrn von Löwenzahn an die Nase.

»Frech!« schrie der.

»Sind Sie selbst, Herr von Löwenmaulzahn,« und damit verneigte sich Bob, ging den Flur entlang, und weg war er.

Ein paar Minuten später gab es ein vergnügtes Mahl in dem Wohnzimmer des Mister Stopps. Kasperle aß wie ein paar Scheunendrescher. Bob legte ihm immer die größten Stücke auf. Florizel war auch vergnügt, aber als Mister Stopps bat: »Ein Lied,« da sang er doch eine traurige Weise:

»Steh’ im hellen Mondenschein,
Seh’ mich um und bin allein.
Mein Liebchen ist vorbeigefahren;
Nach hunderttausend Jahren
Treff’ ich sie erst auf einem Stern
Und sag’: Feinsliebste, hab’ dich gern.«

»Sehr merkuürdig, nach so langer Zeit,« brummte Mister Stopps, und dann schlief er sanft ein.

Kasperle wäre auch gern eingeschlafen, aber Bob nahm ihn am Hosenbödle und sagte: »Komm du mit, du mußt mein Lehrmeister sein.«

Und während Mister Stopps schlief, Florizel mit seiner Geige durch die Stadt spazierte, kasperten Bob und Kasperle in Bobs Zimmer, und Kasperle fand, Bob wäre beinahe ein richtiges Kasperle, aber nur beinahe. Zu einem ganz richtigen Kasperle muß man geboren sein. Und Bobs Vater war eben nur ein Schneider gewesen, der zeitlebens auf dem Brett gesessen hatte.

An diesem Nachmittag schlossen die beiden eine dicke, dicke Freundschaft, und Bob versprach dem Kasperle, er würde ihm auch seine Urheimat suchen helfen.

Bob und Kasperle machen eine Entdeckung

Die Fenster der Zimmer, die Mister Stopps bewohnte, öffneten sich nach einem großen Garten. Einsam daneben lag ein altes, gelbes Häuschen, auch in einem Garten, und auf der Mauer, die beide Gärten trennte, hockte Kasperle, und Florizel spielte. Kasperles Beine baumelten wie zwei Uhrpendel hin und her, und an diesen Beinen packte Bob den Schelm, als er ihn auf der Gartenmauer entdeckte. »Kasperle, was machst du?«

»Ich denke nach.«

»Worüber?«

»Florizel ist traurig, ich hör’s.«

»Dein Florizel hat Liebesleid,« sagte Bob, »man hört es.«

»Was ist denn das?«

»Na, wenn einer ein schönes, junges Fräulein liebt,« antwortete Bob.

»Hach, ich weiß, und sie soll den Grafen von Singerlingen heiraten.«

»Wen?« fragte Bob erstaunt.

»Na, den Grafen von Singerlingen, so war’s bei Rosemarie.«

Weil nun Bob von der Geschichte kein Wörtlein wußte, erzählte Kasperle von seinem Freund, dem berühmten Geiger Michele, der die Gräfin Rosemarie geheiratet hatte. »Er konnt’s, weil ich zum Herzog August Erasmus ging,« schloß er.

»War’s da schön?«

»Nä,« Kasperle schüttelte sich, als wäre er ein Bäumlein im Winde.

Es fielen aber keine Äpfel und Birnen von ihm herab, sondern ein rotes Seidentäschlein purzelte aus seinem Hosensack dem Bob auf die Nase.

»Was ist denn das?«

»Hach, ein Späßlein,« schrie Kasperle.

Er griff nach dem Täschchen, aber Bob hatte es aufgemacht; drinnen lag, zierlich auf Elfenbein gemalt, das Bild eines feinen, hübschen Fräuleins.

»Gehört es dir?«

»Nä.« Kasperle beugte sich neugierig hinab und sah das Bild auch an.

»Hach, die ist alleweil an uns vorbeigefahren, und darum hat Florizel so traurig dreingesehen, gewiß, weil Mister Stopps sie nicht mitgenommen hat.«

»Wer ist sie denn? Und wem gehört das Täschchen?«

Bob wollte auch zuviel auf einmal wissen. Kasperle legte sich auf die Mauer und seufzte, aber Bob stupfte ihn so lange, bis er erzählte.

Das Bild stellte das Fräulein dar, das den Reisenden öfter unterwegs begegnet war, und das Täschchen gehörte Florizel.

»Und da drüben wohnt sie,« rief Kasperle und zeigte auf das kleine gelbe Haus. Flugs kletterte Bob auf die Mauer, und die beiden lustigen Kameraden saßen da und schauten in den fremden Garten hinein. Beide überlegten, wie wohl dem armen Florizel zu helfen sei. Da ging ganz ruhig ein alter Mann durch den Garten, dem sah Kasperle erstaunt nach, und endlich flüsterte er: »Der war’s.«

»Wer denn?« Bob war etwas ungeduldig, und Kasperle flüsterte ihm geheimnisvoll ins Ohr: »Der sie gefahren hat.«

»Also wohnt sie drüben?«

»Hach!« Kasperle rutschte erschrocken von der Mauer herunter, und Bob rutschte ihm flink nach. Unten fragte er: »Was hast du denn?«

»Da sitzt sie!«

»Wer?«

»Na, sie!«

»Ach, das Fräulein, das Florizel liebt?«

»Aber darum brauchst du doch nicht zu schreien.«

Kasperle lag am Boden und schnaufte vor Aufregung, und Bob stand daneben und sagte ärgerlich: »Was machen wir nun?«

»Du sagst es ihr.«

»Das geht doch nicht!«

»Dann singst du!«

Nun sang Bob auch gern, und der Gedanke, dem schönen jungen Fräulein ein Verslein vorzusingen, gefiel ihm wohl. Aber dann meinte er doch, man müsse erst wissen, was Florizel dazu sage. Der saß noch immer am offenen Fenster und sang leise traurige Lieder vor sich hin, als Kasperle angestiegen kam. Kasperle stellte sich breitbeinig vor ihn hin; er hatte mit Bob ausgemacht, er wolle heimlich erforschen, ob Florizel das Fräulein liebe. Nun fragte er mit schallender Stimme: »Liebst du sie?«

»Dummkopf,« brummte Bob hinter der Türe, »das ist doch nicht heimlich erforscht.«

»Wen denn? Was denn?« fragte Florizel.

»Na, sie!« Kasperle war höchst erstaunt und dachte, jeder müßte wissen, daß er das fremde Fräulein von unterwegs meinte.

»Ja,« sagte Florizel und lachte. Er hatte keine Ahnung, was das unnütze Kasperle wollte.

»Ich dacht’s doch!« Kasperle rannte zur Türe hinaus und suchte Bob.

Der hatte inzwischen einen Gärtner gefunden, und der hatte ihm erzählt, drüben im gelben Hause wohne ein alter Herr, der wäre erschrecklich geizig, und hätte jetzt so eine schöne, junge Nichte eingesperrt. Weil die auch reich war, gönnte er sie keinem, nur dem dicken Herrn von Löwenzahn, weil der auch reich war.

Na, das war eine Geschichte!

»Wir befreien sie!« Bob und Kasperle kletterten wieder auf die Mauer. Da sahen sie drüben eine Dame lustwandeln. Die war ganz eingehüllt in einen langen, schwarzen Schleier, und Kasperle schrie: »Sie ist’s!«

»Sie ist es nicht,« rief Bob.

»Doch, sie ist es, du mußt ihr dein Lied vorsingen.«

Die Dame setzte sich, und Kasperle gab dem neuen Freund ein solches Stößlein, daß der gleich in den Nachbargarten plumpste. Wie eine reife Pflaume fiel er hinein.

Die Dame saß auf einer Bank, sie drehte ihm den Rücken zu, und Kasperle flüsterte: »Mach doch, flink!«

Da schlich sich Bob heran, stellte sich hinter der Dame auf und sang leise:

»Schöne Maid, schöne Maid,
Florizel denkt dein.
Bald, bald dein Leid,
Bald dein Leid
Gelindert soll sein.«

Da drehte sich die Dame um, und –

Alle guten Geister, erschrak da Bob. Eine fremde, sehr böse aussehende Dame schaute ihn an, die fragte mit einer dünnen Quietschstimme: »Wer ist denn dein Herr Florizel?«

Da riß Bob aus. Eins, zwei, drei, war er auf der Mauer, und dann sauste er mit Kasperle zusammen herab, und beide purzelten in einen Rosenbusch. Das war weder ihnen noch dem Busch angenehm. Es gab Risse und Krätzer in den Gesichtern und an den Händen, und da rief gerade Mister Stopps oben, und jenseits rief die Dame. Es war sehr unangenehm!

Bob und Kasperle rannten in das Haus hinein zu Mister Stopps. Der sah sie erstaunt an und fragte, was sie getan hätten. Da erzählten sie eine traurige Geschichte von der Gartenmauer und dem Rosenbusch, von der fremden Dame sagten sie aber kein Wort. Auf einmal tat sich die Türe auf und die Dame aus dem Garten kam herein und fragte: »Ist hier Herr Florizel?«

»Ja, der bin ich!« Florizel blickte die Dame verwundert an. Die lächelte jetzt sehr holdselig und – bums! da fiel sie dem erschrockenen Florizel um den Hals. »Ach,« rief sie, »ich wußte ja nicht, daß du mich lieb hast, erst durch deine Boten habe ich es erfahren.«

Florizel war ganz verdutzt, er stand wie ein Pfahl, und Mister Stopps fragte: »Uer sein das?«

»Mein Bräutigam,« rief die Dame.

»Nä,« schrie da auf einmal Kasperle. »Das ist ’ne falsche. Das ist ein Gespenst!«

Die Dame erschrak arg vor Kasperles großer Nase und seinem frechen Gesicht, und da Florizel sie auch nicht hielt, plumpste sie vor Schrecken gerade Mister Stopps vor die Füße.

»Bitte,« sagte der, »das müssen Sie nicht tun!«

»Schrecklich!« stöhnte die Dame, und da sah sie Bob. »Er ist’s, der hat gesungen,« rief sie empört.

»Ja, aber ich habe eine andere gemeint!« stotterte Bob verlegen.

»Welche andere? Oh, ich weiß, er meint die Jungfer Angela, des Herrn Vetters Mündel. Ei, das sind ja schöne Geschichten! Na, ich werde es dem Herrn Vetter schon sagen!« Die Dame sprang auf und rannte aus dem Zimmer, und Mister Stopps sah ihr verdutzt nach: »Uas uollte sie?«

»Mich,« rief Florizel, »und angezettelt haben das Bob und Kasperle.«

»Bob ist dran schuld,« rief Kasperle vorschnell und unschuldsvoll.

Da sagte Bob traurig: »Aber Kasperle!«

»Ich auch, ich auch, ich am meisten!« Kasperle fing ein wildes Geheule an, und dann stöhnte er: »Ich kann doch nichts dafür, wenn die Falsche dasitzt. Ich wollte doch Florizel helfen!«

»Dummes, kleines Kasperle, warum wolltest du mir denn helfen?« fragte Florizel freundlich.

»Weil du eine Braut möchtest und – und –«

»Aber ich will ja gar keine!« Nun erzählte endlich Bob die ganze Geschichte und Mister Stopps schüttelte bald den Kopf vor Verwunderung.

»Aber ich kenne das fremde Fräulein doch gar nicht,« rief Florizel lachend.

»Aber du hast ihr doch zugenickt und hast ihr Bild.«

»Du doch auch, Kasperle. Und das Bild hab’ ich gefunden, gestern auf der Treppe. Ich glaube, es gehört Herrn von Löwenzahn. Wenn ich ihn gesehen hätte, dann würde ich es schon zurückgegeben haben.«

»Du hast aber gesagt, du liebst sie,« schrie Kasperle jetzt wütend.

»Ich habe Spaß gemacht. Ich wußte ja nicht, wen du meinst.«

»Hach!« Kasperle machte ein unglaublich dummes Gesicht, Florizel und Bob lachten, Mister Stopps sagte: »Kurios!« und dann mußten ihm Bob und Florizel die Geschichte noch dreimal erzählen, ehe er sie verstand. Da rief er: »Uir uollen abreisen.«

»Ja, abreisen.« Bob machte gleich einen Hopser, Kasperle sah aber traurig drein und sagte: »Florizel, wenn du sie nicht heiratest, muß sie Herrn von Löwenmaul –«

»Zahn,« schrie Bob.

»Löwenzahn heiraten, das ist schlimm.«

»Aber Herzenskasperle, ich kenne sie ja gar nicht.«

Kasperle senkte seine Nase, und während Bob rasch daran ging, die Sachen wieder einzupacken, schlich das Kasperle hinaus. Er ging wieder in den Garten, und auf einer ganz von Gebüsch überwachsenen Stelle kletterte er auf die Mauer und schaute in den Nachbargarten hinab. Der gefiel ihm gar nicht. Er sah wild und wüst aus. Wenig Blumen blühten darin, und gerade als Kasperle oben auf der Mauer sich zurechtgesetzt hatte, ging unten ein mürrisch dreinschauender Herr mit Herrn von Löwenzahn vorbei. Die beiden redeten etwas, das Kasperle nicht verstand, aber während sie noch sprachen, kam die bitterböse Dame angelaufen, der vorhin Bob das Lied gesungen hatte.

»Sie wollen Angela entführen,« rief sie.

»Wer – was?«

»Drüben einer, der sich Stopps nennt.«

»Ein Prinz von England.« Herr von Löwenzahn erzählte von Mister Stopps, und die Dame erzählte die ganze Geschichte, die sie erlebt hatte.

»Das ist unerhört, sie wollen wirklich Angela entführen!« riefen der Griesgram und Herr von Löwenzahn.

»Da kommt sie, ihr könnt sie gleich nach diesem Florizel fragen. Sie kennt ihn gewiß.«

Da kam das schöne junge Fräulein, das Kasperle unterwegs gesehen hatte, langsam daher. Wirklich, sie war es. Sie hing den Kopf und sah sehr traurig aus, und Kasperle dachte betrübt: »Ach, wenn sie lacht, ist sie noch viel schöner.«

Aber das Fräulein sah aus, als hätte sie das Lachen ganz verlernt. Dazu wurde sie auch noch angefahren von ihrem Vormund, ihrer Tante und Herrn von Löwenzahn.

Das arme Fräulein fing bitterlich an zu weinen, und Kasperle auf seinem Mauerversteck hätte beinahe mitgeheult. Und dann wurde er fuchswild, denn Herr von Löwenzahn sagte, die Hochzeit solle gleich morgen sein, das wäre am besten.

»Ja, und bis dahin wird sie in das Gartenhaus gesperrt,« rief der Griesgram zornig.

Aber da weinte das junge Fräulein sehr und sagte, darin wäre es so dunkel, und Ratten und Mäuse wären auch darin. Und vielleicht auch Fledermäuse.

Aber je mehr sie bat und weinte, desto mehr schalten der Griesgram und die Tante auf sie ein, nur der Herr von Löwenzahn war nicht für das Gartenhaus. Der Vormund schien aber ein äußerst zorniger Herr zu sein, er schrie immerzu: »Ins Gartenhaus, ins Gartenhaus!«

Potz Blitz, das ging dem Kasperle doch über die Hutschnur. Er hätte beinahe laut geschrien. Sie sperrten die arme Angela wirklich in das Gartenhaus, und der Vormund wollte gerade den gewaltig großen Schlüssel abziehen, als ihm Kasperle ein Scheit Holz auf die Nase warf. Im gleichen Augenblick zog ihn jemand von rückwärts von der Mauer und hielt ihm auch noch den Mund zu. Es war Florizel. »Sei still,« flüsterte der, »ganz still!« Kasperle war nun still, desto mehr schrien die drüben: »Da hat jemand Holz über die Mauer geworfen.« Florizel zog Kasperle in einen Winkel und kaum kauerten sie in ihrem Versteck, als Herr von Löwenzahn über die Mauer sah. Er konnte die beiden nicht erblicken und sagte: »Der Garten ist ganz leer, es war ein trockener Ast. Ein Zeichen, lieber Oheim, daß Sie Angela nicht einsperren sollen.«

»Eingesperrt wird sie, und damit Punktum!« rief der Griesgram. Noch ein paar Minuten redeten sie zusammen, dann sahen Florizel und Kasperle sie fortgehen, und ein Weilchen später war es ganz still. »Kasperle,« sagte Florizel, »gelt, dem armen, schönen Fräulein helfen wir zwei, aber kannst du den Mund halten?«

Platsch, schlug Kasperle gleich mit beiden Händen auf seinen Mund, und Florizel nickte. »So ist’s recht,« lobte er, »und nun paß einmal auf, daß niemand kommt.«

Er kletterte auf die Mauer und hob Kasperle auch hinauf. Der mußte nach links und nach rechts sehen, während sich Florizel auf das Dach des Gartenhauses setzte und durch den Schornstein in das kleine Haus hinabsang:

»Schönstes Jungfräulein,
Mußt stille sein,
Springen auch die Ratten und Mäuse,
Kommt doch bald leise, leise
Einer übers Mäuerlein,
Dich, Angela, zu befrein,
Und beim Mondenschein
Geht’s in die weite Welt hinein.
Rate, wer kann das sein?«

Im Häuschen war es erst ganz still. Dann tönte ein feines Singen heraus, das hörten die beiden wohl.

»Florizel, der Sängersmann,
Mich wohl befreien kann,
Florizel, vergiß mein nicht
Beim Mondenlicht.«

Da sang Florizel noch einmal:

»Allerschönstes Jungfräulein,
Nicht bange sein!
Florizel hält sein Wort,
Noch heut führt er dich fort.«

»So, das ist ja eine nette Geschichte,« sagte Bob, der die ganze Singerei mit angehört hatte. Er stand im Garten, und das Kasperle hatte vor lauter Mitgefühl den Bob gar nicht gesehen. Erst wollte Bob schelten, aber da sagte Florizel: »Bob, du mußt uns helfen.« Und Bob, der lieber drei dumme als einen klugen Streich machte, sagte ja. »Und um Mitternacht retten wir sie. Das Fräulein Angela muß halt der neue Diener sein.«

»Ja, braucht denn Mister Stopps noch einen Diener?«

»Ha, wie kann der wissen, wer hinten aufsitzt!« rief Bob.

»Nun aber flink hinein, drinnen steht der ganze Flur voll Besuch; sie wollen alle den Prinzen von England sehen!«

»Ja,« schrie Kasperle, »was machen wir da?«

»Nichts weiter, als du legst dich ins Bett und spielst den Prinzen von England. Mister Stopps schläft. Kommt flink hinten herum. Es darf uns niemand erwischen.«

Am schönen, blauen See

Kasperle schlief lange. Es sah nichts von der schönen Welt, es hörte nicht Florizel singen und Mister Stopps schnarchen. Es schlief und schlief, und als es aufwachte, war es heller, lichter Morgen, und es lag in einem großen weichen Bett. Florizel saß neben ihm, Bob packte einen Koffer ein, und Kasperle fragte: »Sind wir in Mister Stopps’ Haus?«

»Noch nicht. Wir sind in Amsteg und fahren jetzt die Gotthardstraße entlang.«

»Und dann?«

»Weiter über den Paß.«

»Und dann?«

»Wieder hinab.«

»Und dann?«

»Nach Lugano.«

»Und dann?«

»Dann fällst du in den See, du Gescheitle. Und nun steh auf, wir fahren gleich fort.«

Doch Kasperle stand nicht auf, sondern schrie: »Frühstück!« Und als es gefrühstückt hatte, rief es: »Nun wünsch ich mir was!«

»Noch nicht, noch nicht,« mahnte Bob.

Da trat Mister Stopps in das Zimmer, der war sehr herzlich gegen Kasperle und fragte: »Uünschst du dir nun uas?«

»Nä,« sagte Kasperle, »ne Zuckertüte möcht’ ich, aber das ist kein Wunsch. Gelt, Mister Stopps, den hab’ ich noch frei?«

Da sagte Mister Stopps, ja, den hätte es noch frei, und eine Zuckertüte wäre auch kein Wunsch. Aber bekommen sollte Kasperle trotzdem eine.

Oh, Mister Stopps, das war nicht klug!

Kasperle erklärte an diesem Tage so oft, es habe noch keinen Wunsch, nur was zu schlecken möchte es, daß Mister Stopps zuletzt sagte: »Dir uird es noch schlimm gehen, und uenn du das noch einmal sagst, dann ist es doch ein Uunsch.«

Bob winkte und zwinkerte mit den Augen, und Kasperle schwieg seitdem ganz still. Es war aber ein Schelm, seufzte ein paarmal und klagte: »Mir wird schlecht!«

Und dann schlug Mister Stopps allemal allerlei Mittel vor, und immer klagte Kasperle: »Davon wird mir’s noch schlechter!« bis Mister Stopps »Zuckerkand« sagte, und davon wurde das kleine Schleckermaul, merkwürdig genug, gleich gesund.

Sonst ging die Reise ohne Unfall weiter. Einmal warf Kasperle die Kaffekanne um, gerade Mister Stopps ins Bett, einmal setzte es sich in den Pudding, einmal fiel es aus dem Fenster einer Geiß auf den Rücken, aber das waren eben alles richtige Kasperle-Stücke, und außer Mister Stopps, der Wirtin und der armen Geiß regte sich niemand darüber auf.

Die Fahrt ging über das Gebirge. Immer höher und höher wuchsen die Berge empor, immer kälter wurde es. Kasperle wagte kaum noch seine Nase hinauszustrecken, so sehr fror es. Doch dann senkte sich der Weg, blauer wurde der Himmel, wärmer schien die Sonne, Frühlingsblumen blühten, dann Sommerblumen, und an einem Nachmittag fuhren die Reisenden in ein Städtchen hinein, in dem alle Gäßlein bergan und bergab liefen.

Rumpelpumpel ging es eine holprige Straße entlang, und Kasperle schrie auf einmal: »Da liegt Seide, nein, da liegt der Himmel unten.« Es war aber weder himmelblaue Seide, noch der Himmel selbst, den Kasperle sah, es war der schöne, blaue See von Lugano. Der Wagen rollte an ihm entlang, und Kasperle beugte sich weit, weit hinaus.

»Gescheitle, falle nicht,« mahnte Florizel, der oben auf dem Wagen saß, doch platsch, da lag das Kasperle schon im See. Der war nun aber nicht wie der wilde Wasserfall, er trug das Kasperle nicht gleich himmelweit fort. Im sonnenwarmen Wasser lag das Kasperle, und als Mister Stopps angstvoll rief: »Es wird ertrinken!« da steckte Kasperle seine Nase weit hinaus und rief vergnügt: »Nä, hier ist’s fein, ich bleib’ liegen.«

Doch eins, zwei, drei kam Bob an, und Kasperle saß dann naß wie ein Fröschlein wieder im Wagen. Der fuhr in eine Seitenstraße ein, und da lag auf einer Anhöhe ein schönes, weißes Säulenhaus, ganz von Rosen umrankt waren die Säulen.

»Fein!« rief Kasperle. »Da werden wir wohnen?« Mister Stopps nickte. »Das sein mein Haus, und da steht Angela!«

»Angela sitzt auf dem Wagen,« schrie Kasperle.

»Oh nein, sie stehen da.«

»Wo?«

»Da!«

Himmel, die häßliche Frau sollte Angela sein? »Sie ist es nicht!« schrie Kasperle, »ich seh’ sie doch sitzen!«

»Aber Kasperle, Dummköpfle,« rief Florizel, »es gibt eben zwei Angelas.«

»Kann’s auch zwei Marlenchen geben?« fragte Kasperle.

»Freilich!«

»Nä, ist nicht wahr, Marlenchens gibt’s nur eins.« Kasperle wurde ganz zornig und ging mit einem so bösen Gesicht in das Haus hinein, daß die alte Angela vor Entsetzen laut schrie. »So einen Diavolo hat der Herr mitgebracht?« rief sie klagend. Da blickte Kasperle sie an und sah, wie gut und freundlich die alte Angela aussah, wenn sie auch häßlich war. So lieb wie Frau Annettchen oder die alte Apfelfrau.

»Heißt du wirklich Angela?«

»Schon, schon,« antwortete die Alte, der das Kasperle auch gefiel, und die sich gar nicht mehr ängstigte. »Du kannst aber auch Nonna sagen.«

»Was heißt das?«

»Großmutter!«

»Dann,« rief Kasperle, »dann sag’ ich Großmutter!« und von dem Augenblicke an war zwischen ihm und Angela die Freundschaft geschlossen.

Es war schön in Mister Stopps Hause, so schön, daß Kasperle gleich am ersten Tage sagte: »Hier will ich bleiben.«

»Ist das dein Geuunschen?«

»Nä, das möchte ich nur. Morgen wünsch’ ich mir aber etwas, Mister Stopps, das mußt du mir geben.«

»Ja,« versprach Mister Stopps. »Bin neugierig, was es ist.«

Sie schliefen alle gut in dem schönen Hause. Florizel sang schon in der Morgenfrühe von dem Land Italia, dem sie so nahe waren. Bob aber ging mit Kasperle in den Garten und erzählte ihm etwas. Er fragte zehnmal: »Hast du es auch verstanden, Kasperle?«

»Nä,« rief Kasperle, »du mußt’s nochmal sagen.« Und Bob erklärte Kasperle noch dreimal den Wunsch, den Kasperle Mister Stopps sagen sollte. Und dann rannte Kasperle in das Haus zurück und schrie: »Ich sag’s jetzt gleich!«

Ist auch besser, dachte Bob, es bringt doch sonst alles durcheinander. Kasperle lief im Haus herum, Mister Stopps war aber nicht da. Die Alte und die junge Angela, denn aus Tom war nun wieder eine Angela geworden, standen in der Küche und sagten, Mister Stopps säße am See. Da rannte Kasperle an den See und fand Mister Stopps, der ernst und feierlich dasaß und angelte. »Uas willst du, Kahs – pärle?« fragte er.

»Ich wünsche mir was, Mister Stopps.«

»Uas denn?«

»Geld!«

»Geld?« rief Mister Stopps erstaunt. Da aber seine Börse neben ihm lag, und er dachte, das naschlustige Kasperle wollte sich etwas zu schlecken kaufen, sagte er: »Da, nimm, ueil ich es einmal versprochen habe.« Und Kasperle nahm ein kleines Geldstück, nicht mehr als ein Gröschlein war es wert, und rannte damit zu Bob. »Da,« rief er, »nun habe ich gewünscht, und nun können Florizel und Angela nach Rom zu ihrer Großmutter fahren.«

»Aber Kasperle, du Schafsköpfle,« rief Bob enttäuscht, »das ist viel, viel zu wenig. Viel mehr muß es sein.«

Und Kasperle rannte zurück und rief: »Mister Stopps, ich habe mir doch Geld gewünscht, nun langt es nicht.«

Mister Stopps, der gerade auf einen großen Fisch aufpaßte, brummelte etwas unwirsch: »Nimm mehr!«

Da schüttelte Kasperle die ganze Börse in seine Hosensäcklein und lief zu Bob. »Da,« rief er, und das Geld kollerte in der Stube herum.

Es ist schwer, es jemand recht zu machen. Bob rief erschrocken: »Aber Kasperle, das ist zuviel.« Dann zählte er sein Sümmlein ab und gebot: »Das andere trägst du Mister Stopps zurück und sagst ihm noch schönen Dank.«

Kasperle rannte wie besessen den Weg zurück, wollte Mister Stopps das Geld geben, das entrutschte ihm und kollerte ins Wasser. Der Fisch, der just anbeißen wollte, schwamm fort, die Angelschnur zerriß, und Mister Stopps rief vorwurfsvoll: »Oh Kahs – pärle, du sein böse!«

»Nä, ich bin dir nicht böse, Mister Stopps!« Kasperle fiel Mister Stopps um den Hals, der fiel um, und der Wirrwarr dauerte erst eine Weile, ehe Kasperle erzählen konnte, warum er sich Geld gewünscht hatte. Florizel hätte keines, Angela hätte keines, und doch wollte Florizel Angela zu ihrer Großmutter nach Rom bringen. »Die will er dann heiraten!«

»Uen – die Großmutter?«

»Hach! nä, Angela!« Kasperle lag auf seinem Bäuchlein vor Lachen und schnaufte und quiekte, so komisch kam ihm Mister Stopps’ Frage vor. Und schließlich mußte der ernsthafte Herr herzlich mitlachen. Auch war ihm die Reise der beiden recht, zumal Florizel an ein Wiederkommen dachte. Wenn er aber mit Angela verheiratet war, dann konnte der böse Oheim sie nicht wiederbekommen, und Herr von Löwenzahn sie auch nicht heiraten. Schon am nächsten Morgen reisten die beiden ab, und Florizel sang dazu sein Lied vom Scheiden und vom Wiedersehn. Kasperle hätte sonst vielleicht geweint, wenn das Wiedersehen nicht dabei mitgeklungen hätte. So lief es vergnügt der Kutsche nach, purzelte lustig in das Haus zurück und brachte dort die alte Angela so zum Lachen, daß diese meinte, in ihrem ganzen Leben hätte sie nicht einen solchen Kauz wie das Kasperle erblickt. Und dann legte sich Kasperle in den Garten, ließ sich die Sonne auf die Nase scheinen und fand die Welt wunderschön.

Zwei Tage vergingen so hin in Frieden und Heiterkeit, am dritten aber rasselte ein Reisewagen vor das Haus, just als Kasperle vor dem Hause saß und von allem Sonnenglanz ein wenig dösig war.

»Hallo, da – ist Kasperle!« Herr von Löwenzahn, er war es wirklich, lief auf ihn zu und schrie ihn an: »Ist Angela im Haus?«

»Nä, im Garten.« Kasperle gähnte und sah Herrn von Löwenzahn erstaunt an. War er etwa vom Himmel gefallen?

»Ruf sie!« gebot der.

»Was willste denn von ihr?«

»Man nennt mich gnädiger Herr.«

»Meinetwegen,« brummelte Kasperle schläfrig.

»Heiraten will ich sie,« rief der kleine, dicke Herr und stampfte mit dem Stock auf, »gleich heiraten. Geh flink, hole sie!«

Da rannte Kasperle davon, und drei Minuten später kann er mit der alten Angela an. Die hielt sich die Schürze vor das Gesicht. Es kam ihr doch sonderbar vor, daß ein adeliger Herr sie so auf der Stelle geschwind heiraten wollte.

»Da, sie will dich nicht!« rief Kasperle.

»Wenn’s aber durchaus sein muß, –« Angela nahm die Schürze vom Gesicht, und Herr von Löwenzahn schrie laut: »Das ist nicht Angela.«

»Doch ich bin’s.«

»Das ist eine Lüge.«

Patsch schlug ihm Angela, die ein handfestes Weiblein war, den Hut vom Kopf. »Ich lüge nie, und was will Er eigentlich von mir?«

»Heiraten will er dich,« Kasperle krähte wie ein Hähnlein. »Heiraten, hei – raten.«

»Die doch nicht, die junge Angela will ich.«

»Ach,« sagte Bob, der hinzugekommen war, gelassen, »die ist bei ihrer Frau Großmutter und heiratet den Sänger Florizel. Wenn Sie sich recht, recht sehr sputen, kommen Sie gerade zur Hochzeit.«

Und so war es auch. Die schöne Angela heiratete in Rom den Spielmann Florizel, und Herr von Löwenzahn, die Tante und der griesgrämige Oheim konnten noch so viel schelten, weinen und brummen, den Kutscher noch so sehr zur Eile antreiben, sie kamen wirklich zu spät.

Kasperle freute sich, und Kasperle war traurig, denn er dachte, Florizel würde nicht wiederkommen, doch Bob tröstete ihn. Florizel und Angela dürften, solange sie wollten, in Mister Stopps schönem Hause wohnen, und sie würden schon wiederkommen.

»Mister Stopps ist doch gut,« meinte Kasperle nachdenklich.

»Ja, das ist er.« Bob dachte freilich, etwas sonderbar wäre zwar sein Herr, aber das sagte er nicht.

Da rannte Kasperle davon und suchte Mister Stopps und fand ihn in seinem Schlafzimmer. »Oh Mister Stopps, du bist gut!«

Wenn Kasperle jemand so anrannte, so mußte man schon feststehen. Mister Stopps stand aber nicht gerade fest, er wankte und setzte sich in eine große Badewanne. »Oh Kahs – pärle,« rief er, »ich sitzen im Uasser!«

»Das schadet nichts,« schrie Kasperle vergnügt, »ich habe schon mal im Heringsalat, in der Schlagsahne, im Pudding, in –«

»Oh, ich ueiß, aber du bist ein Kasperle.« Mister Stopps seufzte, stand auf und dachte: »Es ist manchmal schlimm mit einem Kasperle.« Dann sah er in des Kleinen gutherziges Gesichtlein und sagte froh: »Ich habe dich sehr lieb, mein Kahs – pärle.«

»Ich dich auch, Mister Stopps,« antwortete Kasperle. »Aber gelt, nun gibt es bald Ferien.«

»Erst reisen wir nach Italien.«

»Hurra!« schrie Kasperle, »das wird fein, wir reisen nach Italien! Da sind Florizel und Angela, Michele und Rosemarie auch. Hurra! Hurra! wir reisen nach Italien! Hurraaa!«

 

 

 

Die weiteren Abenteuer und Schicksale des einzigen, lebendigen Kasperle erzählt Josephine Siebe in den ebenfalls im Herold-Verlag G. m. b. H. in Stuttgart-W erschienenen Bänden: » Kasperle auf Reisen« – » Kasperle auf Burg Himmelhoch« – » Kasperls Abenteuer in der Stadt« – » Kasperle im Kasperland« – » Kasperle ist wieder da!« – » Kasperles Spiele und Streiche«.

 

 

 

Kasperle wird verkauft

Während Mister Stopps beim Bürgermeister die Beine auf den Tisch legte und mit Trine und der Käseschüssel zusammenstieß, saß Kasperle in einem dunkeln Kirchenwinkel und – weinte.

Das lustige, putzvergnügte Kasperle weinte bitterlich. Aus lauter Mitleid weinte es, während Herr Severin, der Organist, die Orgel klagen und trösten ließ. Ein Bittgottesdienst sollte gehalten werden, und Herr Severin spielte schon still einmal für sich die Orgel, um sie am Sonntag recht herzbewegend tönen lassen zu können.

Kasperle in seiner Ecke schluchzte, und sein kleines Kasperleherz tat ihm bitter weh. So viel seiner liebsten Freunde hatten Haus und Heim verloren, waren in bittere Armut geraten, und das Kasperle dachte: »Was bin ich für ein dummes, unnützes Kasperle, niemand kann ich helfen!« Und dann dachte Kasperle an seine Urheimat, die schöne, ferne Insel, von der er nur wußte, daß es wunderschön dort war. Ach! Kasperle seufzte sehr tief, und just, da hörte er unten in der Nische eine Stimme: »Da oben sitzt er.«

Herr Severin unterbrach sein Spiel. Wer wagte es denn, in der Kirche zu reden? Da rief von unten herauf eine Stimme seinen Namen. Es war der Bürgermeister. »Meister Severin,« rief der, »können Sie einmal mit Kasperle auf den Kirchplatz, nein, besser in Ihr Haus kommen? Ich habe etwas sehr, sehr Wichtiges mit Ihnen und dem Kasperle zu reden.«

»Ich hab’ keine Dummheiten gemacht,« schrie Kasperle.

»Bewahre, die machst du nie, du bist ja unser goldiges, geliebtes Kasperle,« sagte der Bürgermeister.

So hatte der noch nie vom Kasperle gesprochen, aber er dachte, wenn der Engländer von Kasperles Dummheiten hört, dann heidi Million.

»Ich freuen mich sehr.« Mister Stopps verneigte sich ganz feierlich und höflich, just als wäre das Kasperle ein vornehmer Herr. Das kam diesem ungemein spaßig vor. Es lachte und lachte, wie nur ein rechtes, unnützes, putzlebendiges Kasperle lachen kann. Erst sah Mister Stopps ihn erstaunt an. So ein Gelächter hatte er noch nie vernommen und konnte sich auch nicht erinnern, jemals einen so großen, weit aufgerissenen Mund gesehen zu haben. »Hihihahahahohoho«, lachte Kasperle hoch und tief; man konnte denken, ganz Torburg hätte das Lachen bekommen.

»Hohohohuhuhu.« Da lachte Mister Stopps plötzlich auch. Er prustete und gurgelte, er wackelte hin und her, hielt sich seinen Magen fest, schüttelte den Kopf und lachte. »Oh gut, sein sehr gut. Dies Kahs – muß ich kaufen.«

Patsch, klappte Kasperle seinen Mund zu. Das Lachen war ihm vergangen. Kaufen, ihn kaufen wollte der Fremde? Kasperle dachte daran, wie schlimm es ihm schon einmal in der weiten Welt gegangen war, und so sehr er eben gelacht hatte, so fürchterlich fing er nun zu heulen an. »Uhhuuuuhuuu.« Die Tränen tropften und rannen dem Kasperle über das Gesicht; es sah ganz jämmerlich aus.

Mister Stopps erschrak, und wie das Lachen angesteckt hatte, steckte ihn plötzlich der Kummer an; er schnitt verzweifelte Gesichter, kniff die Augen zu, zog den Mund breit und sah drein wie einer, der einen Liter Essig getrunken und ein viertel Pfund Pfeffer verschluckt hat. Potz Wetter, ja, konnte Mister Stopps Gesichter schneiden, beinahe wie das Kasperle selbst.

Das staunte, vergaß das Heulen, begann wieder zu lachen, und gleich lachte Mister Stopps mit. Die beiden hätten vielleicht noch stundenlang gelacht, geheult und Gesichter geschnitten, wenn nicht Herr Severin den Bürgermeister gefragt hätte: »Was soll das? Was ist das für eine Geschichte? Wer ist der Herr, der denkt, unser liebes Kasperle sei zu verkaufen?«

»Ja, kaufen! Ich uill ihn kaufen. Ich geben eine Million.«

»Nä,« schrie Kasperle, »ist zu wenig, ich bin nicht so billig.«

Mister Stopps machte kugelrunde Augen. Billig nannte sich das Kasperle. Eine Million fand er zu wenig, das war doch ein bißchen toll.

»Eine Million sein viel, sehr viel. Ich kann kaufen ein ganzes Schloß dafür.«

»Ich bin doch kein Schloß,« schrie Kasperle, »ich bin nicht so billig.«

»Ich kaufen ein Museum voll dafür.«

»Ich bin auch kein Museum,« rief Kasperle jetzt wütend. »Ich bin das einzigste, allereinzigste Kasperle von der Welt.«

»Ooooh!« Mister Stopps starrte ihn ehrfurchtsvoll an. Etwas, das niemand sonst in der Welt besaß, zu besitzen, das lockte ihn. Er verneigte sich vor Kasperle und sagte: »Oh, Sie sein nett, äußerst nett!«

Kasperle staunte den Fremden wieder an, und weil es ein Kasperle war, das alles nachmachte, verneigte es sich plötzlich auch so höflich und rief auch: »Oh, Sie sein nett, äußerst nett.«

»Ooooh!« Mister Stopps starrte wieder das Kasperle an und schrie: »Uundervoll!«

Und Kasperle schrie auch: »Wundervoll!«

Dem Bürgermeister wurde die Sache langweilig. Er bekam Angst um die Million und redete dazwischen: »Kasperle, allerliebstes Herzenskasperle, denke doch, eine Million will der Mister Stopps für dich geben, und dafür kann Torburg um- und noch schöner aufgebaut werden.«

Torburg konnte wieder aufgebaut werden, allen seinen guten Freunden sollte geholfen werden! Kasperle dachte nach, und wenn er nachdachte, pflegte er das allerdümmste Gesicht von der Welt zu schneiden.

»Schön, uundervoll!« schrie Mister Stopps, »ich geben eine und eine viertel Million.«

Dem guten Bürgermeister wurde es ganz heiß. Er stieß Meister Severin an und flüsterte ihm zu: »Verkauft doch Kasperle, Meister, und helft Torburg.«

»Das kann ich nicht. Ich habe Kasperle gelobt, ihn nie zu verkaufen, und Wort ist Wort. Kasperle mag selbst entscheiden.«

»Das ist zu billig,« schrie Kasperle, der wußte natürlich gar nicht, wieviel Geld das war.

»Ooooh!« Mister Stopps sah sehr nachdenklich drein. Er hatte zwar erschrecklich viel Geld, aber eine und eine Viertel Million war doch viel.

»Zu billig, zu billig,« schrie Kasperle wieder.

»Ich uerde geben eine und eine halbe Million. Dann bist du mein,« bot Mister Stopps.

»Zu billig, zu billig!« Kasperle schlug dreimal Purzelbaum, die Sache wurde ihm doch zu gefährlich.

»Bedenke doch, Herzenskasperle, du kannst Torburg helfen,« sagte der Bürgermeister.

»Dafür kaufen ich eine Grafschaft,« schrie Mister Stopps.

»Ich bin keine Grafschaft, ich bin das einzige lebendige Kasperle und koste zwei Millionen,« rief Kasperle, und hopp, pardauz, kasperte er auf dem Kirchplatz herum und schlug einen Purzelbaum über Mister Stopps hinweg. Da setzte sich der erschrocken auf seinen Hosenboden und riß seinen Mund weit auf.

»Uundervoll,« schrie er, »ich muß ihn haben!«

»Ich koste zwei Millionen, und in einer Viertelstunde koste ich drei Millionen.« Kasperle hatte eine Heidenangst, der Fremde könnte ja sagen, und dabei mußte er doch immer denken: Ich helfe Torburg, Torburg kann wieder aufgebaut werden.

»Kasperle, sei gut, Kasperle, allersüßestes Zuckerherzchen, du mein goldiges Kasperle, hilf uns!« flehte der Bürgermeister.

»Ich bin nicht so billig, ich koste zwei Millionen, zwei Millionen – und vier Wochen Ferien muß ich auch haben,« kreischte Kasperle und sprang herum wie ein Besessener.

»Das ist zu teuer!«

»In einer Viertelstunde koste ich drei Millionen.« Schwapp, schwapp, da hatte Kasperle wieder einen Purzelbaum über Mister Stopps hinweg geschossen, und bums, da saß der auf dem Kirchplatz, und bums, da saß auch der Herr Bürgermeister.

»Na, so ein Blitzkasperle, so ein Wirbelwind!«

»Topp, es gilt, ich uerde zahlen zuei Millionen, Kasperle ist mein!«

Oh Himmel, der Schreck! Kasperle lag auf einmal lang auf dem Boden und verdrehte die Augen fürchterlich.

»Er uird sterbsen,« jammerte Mister Stopps.

»Tut der nicht.«

»Nä, ich sterbse nicht,« Kasperle stöhnte, »aber wer zwei Millionen kostet, der muß – muß – ins – Bett – gelegt – werden.« Kasperle kam es jetzt erst so recht zum Bewußtsein, daß er verkauft war, verkauft an einen wildfremden Menschen.

»Huhuhuhuuuuuu,« Kasperle heulte laut. Schauerlich klang es, und auf dem Kirchplatz taten sich immer mehr Fenster und Türen auf. Was war nur bei Meister Severin los, daß Kasperle so schlimm heulte? Eine hörte auch das bitterliche Weinen, das war das feine Marlenchen, Kasperles gute Freundin. Die lauschte erschrocken. Was fehlte ihrem Kasperle? Und geschwind lief sie hinüber in das Haus Severins, rannte in die Stube und rief: »Kasperle, mein Kasperle, was fehlt dir?«

»Das sein mein Kasperle, das gehören mir. Ich habe gekaufen.« Mister Stopps wollte Marlenchen beiseite schieben, aber Kasperle erhob ein fürchterliches Gebrüll. So etwas hatte Mister Stopps, der doch schon Löwen und Tiger hatte brüllen hören, noch nie vernommen. Er fragte den Bürgermeister ganz erschrocken: »Sein er mit Löwen verwandt?« Kasperle, der Schelm, hörte dies, und er dachte: »Na, Mister Stopps, du sollst mal einen Schreck kriegen.«

Lieber Himmel, klang das schauerlich! Mister Stopps erschrak furchtbar, er kroch eiligst unter den Tisch, der Bürgermeister aber nahm Kasperle, das selbst von Marlenchen angestaunt wurde, ob seines Brüllens, beutelte es tüchtig und rief: »Gleich bist du still, du heilloser Wicht, sonst –«

Ja, was sonst? Mit dem Herrn Bürgermeister war nicht gut umgehen, das wußte Kasperle. Er klappte flink seinen Mund zu und sah plötzlich wieder so lieb und unschuldig drein, als hätte er nichts als gute und freundliche Gedanken im Kopf.

»Ooooh, er sein doch kein Löwe,« rief der lange Mister Stopps. Er kroch wieder unter dem Tisch vor, und da Kasperle ihm einen Bittblick zuwarf, nahm er es, streichelte es und sagte immer wieder: »Mein sein!«

»Nein, das ist mein Kasperle,« rief Marlenchen empört.

Mister Stopps tippte die Kleine an und fragte: »Sein das auch eine Merkwürdigkeit?«

Aber ach, das feine Marlenchen war wohl ein besonders liebes Menschenkind, doch keine Merkwürdigkeit. Weil es aber ein sehr gutes, kleines Menschenherz hatte, fing es auf einmal bitterlich zu weinen an, als der Bürgermeister sagte: »Kasperle ist verkauft, es stimmt, und damit Punktum und Streusand drauf.«

»Verkauft, wirklich verkauft?«

Marlenchen sah vorwurfsvoll zu Meister Severin auf. Stimmte das? Hatte er wirklich seine Einwilligung dazu gegeben?

Da erzählte Meister Severin alles. Er streichelte das unnütze, törichte, kleine Kasperle und sagte: »Er bringt ein großes Opfer, aber er hilft Torburg aus seiner Not. Eigentlich ist unser Kasperle ein Held.«

Ha, da streckte und reckte sich das Kasperle, und als nun auch noch der Bürgermeister einstimmte und Kasperle auch einen Helden nannte und sagte, gleich wollte er Kasperles Tat ausrufen lassen, da hob Kasperle seine Nase ganz steil in die Höhe.

Auf einmal aber fiel ihm wieder der Abschied ein, fiel ihm ein, daß er aus der kleinen, behaglichen Stadt, in der jeder Kasperle gern hatte, fort mußte, und er rief kläglich: »Aber Ferien, Ferien muß ich haben.«

»Oh, uill ich kaufen sie!« Mister Stopps nickte freundlich.

Ferien kaufen, wie war denn das? Kasperle und Marlenchen sahen den langen Herrn höchst erstaunt an. Meister Severin aber erklärte Mister Stopps, was Ferien wären, und der dicke Bürgermeister dachte, nun sagt er gleich »nein«.

Aber Mister Stopps erklärte sich auch mit den Ferien einverstanden. Wenn er nun mal eine Merkwürdigkeit besaß, konnte seinetwegen diese Merkwürdigkeit auch Ferien haben, gehören tat sie ihm doch. Er versprach also, er wolle jedes Jahr Kasperle vier Wochen nach Torburg bringen. »Und Sie kommen, mich besuchen.« Er verneigte sich vor Marlenchen, als wäre die eine richtige Dame. Marlenchen wurde knallrot und fragte verlegen: »Ja, wo denn?«

»Irgenduo!« Mister Stopps beschrieb mit der rechten Hand einen weiten Bogen: »Ich uohne immer irgenduo, auf ein Schiff, in ein Gasthaus, mal im Norden, mal im Süden, mal da, mal dort.«

»Fein,« rief Kasperle plötzlich, dem dies arg gefiel. So in der Welt herumreisen, mußte lustig sein. Aber Marlenchen fand das nicht fein, sie sagte ernsthaft: »Irgendwo muß man zu Hause sein.« Sie sagte es aber so leise, daß Mister Stopps es nicht hörte, der hatte nur Kasperles Ausruf gehört, und er sagte zufrieden: »Uir uerden uns schon miteinander vertragen, nicht uahr Kahs –?«

»Kasperle heiß ich!« schrie der Kleine.

»Oh, gut, gut, Kahspärle. Oh, sein schöner Name, sein sehr merkuürdig.«

»Gelt, sehr merkwürdig. Und nun werde ich’s ausrufen lassen, daß unser gutes und allerbestes Herzenskasperle sich für Torburg verkauft hat,« sagte der Bürgermeister.

»Zwei Millionen und Ferien!« Kasperle dachte plötzlich, dies wäre doch sehr billig, und er seufzte: »Zu billig, zu billig!«

Da lief der Bürgermeister flink aus dem Hause hinaus. Der dachte: »Das verflixte Kasperle! Nun tut es ihm gar noch leid.« Meister Severin aber bat den Engländer höflich, er möchte bei ihm zu Tisch bleiben. Mister Stopps war einverstanden; Frau Liebetraut richtete eilig ein Mahl, kochte flink noch Kasperles Lieblingsgericht, denn schon am Abend wollte Mister Stopps abreisen. Er hatte einen ganzen Koffer Gold mit und konnte Kasperle gleich bezahlen.

Und während Frau Liebetraut den Tisch rüstete, Kasperle mit Marlenchen und dem Prinzen, der gerade aus der Schule heimkam, noch einmal im Garten herumtollte, rannte der Stadtdiener durch die Gassen Torburgs, schwang eine große Klingel mit Bimelimbimbim und rief laut dazu:

»Hört, ihr Torburger Bürgersleut’
Eine Neuigkeit gibt es heut’.
Unser gutes Kasperlein
Hat gesagt: In Not nicht sein
Soll Torburg, und als Mister Stopps
Zwei Millionen geboten hat
Für die liebe, arme Stadt,
Kasperle mit einem Hopps
Ziehet in die weite Welt,
Schenkt uns all das viele Geld.«

Na, da staunten die Leute. Erst dachten sie, die Stadt wäre verkauft, und der Stadtdiener wurde ganz böse, er meinte, wunderfein gedichtet zu haben.

Alle guten Geister, zwei Millionen sollte Torburg erhalten! Als die Leute das begriffen, waren sie nun aufs allerhöchste verwundert. Die meisten wußten gar nicht, wie viel Geld das war, aber sie schrien doch alle: »Kasperle lebe hoch, unser Zuckerkasperle, unser geliebtes, süßes Kasperle soll hochleben! Unser guter Freund, unser Stolz, hoch! Kasperle lebe hoch!« Und alle redeten aufgeregt zusammen, lobten und priesen das Kasperle, nannten es einen Glückstag, und zuletzt beschlossen sie, dem Kasperle zum Abschied ein neues, buntes Seidengewand zu schenken und ihm ein Ständchen zu bringen. Sämtliche Näherinnen der Stadt mußten eiligst Stück um Stück zusammenflicken, die Sänger aber übten ein wunderfeines Lied ein, das Herr Museritz, der Lehrer, flink dichtete.

Ganz wundervoll sollte alles werden.

Torburg stand beinahe Kopf vor Erstaunen. Alle sahen im Geiste ihre abgebrannten Häuser neu und schön aufgebaut; ja, der Schneidermeister Mutz sagte, nun bekäme er sicher sogar ein Sofa, das hatte er sich schon lange gewünscht.

»Und ich einen neuen Küchenschrank,« rief die dicke Witwe Rumpelbach.

»Und ich eine Kuchenschüssel,« sagte ein schüchternes Frauchen.

»Wir schreiben alles auf,« schlug der Schuster Hirsebrei vor.

»Ja, aufschreiben ist das beste, wir machen eine Bittschrift, und wenn Kasperle seinen Namen drunter setzt, dann ist es gut.«

Und so machten sie es.

Eine vergnügte Abschiedsfeier

Das feine Marlenchen hatte mit Kasperle das allertiefste Mitleid. Es dachte sogar, Kasperle würde nur noch weinen, und gar nichts mehr essen können. Doch darin irrte sich die kleine, gute Freundin sehr.

Kasperle heulte zwar erst eine Weile erbärmlich, aber als dann der Bürgermeister selbst den allerschönsten Kuchen schickte, den Torburgs einziger Zuckerbäcker, Meister Dusterling, in seinem Laden hatte, da schmauste Kasperle für drei. Erst heulte er noch dabei, weil aber der Kuchen gar so gut schmeckte, stopfte er immer mehr und mehr in seinen Mund und vergaß das Heulen.

Meister Severin, der, trotzdem er Kasperle sehr, sehr ungern hergab, sich doch freute, daß die armen Abgebrannten nun ohne Sorge an den Wiederaufbau ihrer Häuser denken konnten, tröstete auch: »Du hast ja Ferien, und dann besuchst du uns immer.«

»Ferien, ja Ferien!«

Kasperle wußte wohl, dies war etwas Köstliches. Und je mehr gute Dinge er aß, desto mehr wuchs seine Ferienfreude. Zuletzt dachte Kasperle, der Schelm, überhaupt nicht mehr an Mister Stopps, sondern nur an die Ferien. Und als Mister Stopps am Spätnachmittag kam und sagte: »Uir fahren heute noch!« Da schrie Kasperle: »Erst muß ich Ferien haben!«

Na, gleich eine Sache mit Ferien anfangen zu wollen, das war etwas viel verlangt. Mister Stopps sagte es, selbst Herr Severin stand Kasperle nicht bei, und auch das feine Marlenchen meinte: »Kasperle, das geht nicht!«

Da hing der Schelm die Nase, sah wie ein betrübtes Lohgerberlein drein, wagte aber doch kein Gegenwort. Weil der Kuchen ohnehin alle war, dachte er, nun kann ich ja wieder heulen, und schon wollte er damit beginnen, als Mister Stopps eine ungeheuer große Zuckertüte aus der Tasche zog. Die bekam Kasperle, und glücklicherweise lief der Zuckertüte nicht gleich die Mahnung hinterdrein: »Iß nicht so viel!«

Kasperle zog also ganz getröstet mit Marlenchen und der Zuckertüte in den Garten, dort gesellte sich sein Freund, das Prinzlein, dazu, und die Zuckertüte wurde geteilt. Kasperle war gut. Marlenchen bekam die besten Bissen, aber Marlenchen war nicht wie Kasperle, die konnte vor Kummer nicht essen. Da fing Kasperle wieder mit Heulen an, dazwischen steckte er ein Zuckerle nach dem andern in seinen Mund, und so verging mit Heulen und Schmausen der Nachmittag.

Und dann kam etwas Wunderbares. Mister Stopps dachte just an das Weiterfahren, als der Bürgermeister kam und bat, er möchte noch bis morgen früh bleiben, Torburg wollte Kasperle feiern. Und ganz Torburg lief auf dem Kirchplatz zusammen zur Kasperlefeier, und als Mister Stopps das sah, versprach er das Bleiben. Die Feier war sehr rührend und lustig zugleich. Erst sangen Sänger ein Wanderlied. Dann kletterte der dicke Bürgermeister auf einen Stuhl, der auf einem Tisch stand, und hielt eine Lobrede auf Kasperle, und ringsherum standen alle Buben und Mädels von Torburg mit bunten Papierlaternen, und allemal, wenn der Bürgermeister sagte: »Unser allerbestes, herzensgutes Kasperle,« da schwenkten sie die Laternen. Wunderhübsch sah es aus, und zuletzt sagte der Bürgermeister: »Kasperle lebe hoch!« und dabei purzelte er vom Tisch, und alle dachten, er habe das getan, damit Kasperle oben stehen sollte. Da hoben sie Kasperle auf den Stuhl, und während sich der arme Bürgermeister rieb, denn er hatte sich braun und blau geschlagen, kasperte Kasperle auf dem Stuhl herum. Es war eine herrliche Feier.

Die Sänger sangen: »Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt,« und Kasperle steckte vor Rührung sein rechtes Bein in den Mund. Und weil das noch nicht half, wollte er auch sein linkes Bein in den Mund stecken, aber das war zuviel und auf einmal lag Kasperle auf dem Bürgermeister, der gleich umfiel, und alle riefen: »Jetzt soll Mister Stopps reden!«

»Au,« stöhnte der Bürgermeister, denn Kasperle lag gerade auf seinem Bauch. Aber dann stand Kasperle auf, und der Bürgermeister stand auf, und Mister Stopps kletterte auf den Tisch und sagte: »Uerte Festgenossen! Ich haben Kahspärle –«

»Kasperle heißt es,« schrien ein paar Buben.

»Kahspärle, uohl, uohl! Kahs – pärle.«

»Kasperle heiß ich,« brüllte Kasperle.

»Gekaufen,« schloß Mister Stopps.

»Gekauft heißt es,« rief ein Bube naseweis.

»Für eine – – –«

»Zwei,« schrie der Bürgermeister.

»Oh, zwei Millionen! Das sein sehr viel.«

»Ich bin mehr wert,« brüllte Kasperle, »drei Millionen bin ich wert.«

»Ja, das ist er wert,« riefen Buben, Mädel, Männer, Frauen, alle durcheinander.

»Zwei Millionen sein genug, und –«

»Ferien,« schrie Kasperle.

»Ja, Ferien,« brüllten alle Schulkinder, »und die muß er in Torburg verleben.«

»Ja, er soll leben,« stotterte Mister Stopps, »und nun sein ich fertig, und – –«

Pardauz, da fiel auch Mister Stopps von oben herab.

»Hurra, hurra!« schrien die Torburger, die dachten, dies wäre wie vom Bürgermeister eine neue Mode, vom Rednerstuhl herabzusteigen.

»Hurra, hurra!«

»Jetzt kommt Meister Severin,« sagte plötzlich jemand.

Wirklich stieg Meister Severin auf den Tisch.

»Er fällt dann auch runter, fein!« riefen die Buben.

Doch Meister Severin fiel nicht herab. Der nahm seine Geige und begann wunderherrlich zu spielen, so schön, wie ihn noch niemand hatte spielen hören. Kasperles Abschiedslied spielte er. Die Geige weinte und klagte, und das Kasperle weinte auch, dicke Tränen rollten über sein schalkhaftes Gesichtlein.

Es weinten überhaupt viele. Am allerheftigsten begann aber plötzlich Mister Stopps zu weinen. Steif, feierlich saß der auf der Kante des Tisches, auf dem Meister Severin stand, und steif und feierlich hielt er ein großes himmelblaues seidenes Taschentuch in der Hand, in das seine Tränen liefen.

Niemand lachte, denn Meister Severins Spiel hielt alle im Banne. Alle waren gerührt, und selbst der Bürgermeister dachte dabei: »Ist doch schade, daß unser Kasperle weggeht.«

Und als Meister Severin fertig war, kletterte Mister Stopps wieder auf den Tisch. Er schwenkte sein himmelblaues Taschentuch und rief: »Ich uerden gut mit ihm sein!«

»Hurra,« riefen alle, »Kasperle soll es gut haben.«

Kasperle rief mit, und dann wäre Meister Severin beinahe umgefallen, denn Kasperle hing plötzlich an seinem Halse, und Mister Stopps merkte, daß auch ein armes, unnützes Kasperle tiefes Leid haben kann. Er klopfte Kasperle auf die Schulter und sagte: »Sein nicht bange, uir kommen bald uieder.« Das war ein Trost.

Einer der Abgebrannten kletterte nun auch auf den Tisch und sagte Kasperle viel tausend Dank, und wieder schrien alle: »Kasperle soll leben hoch! hoch!«

Da dachte das Kasperle: »Nun werde ich ihnen doch noch etwas vorkaspern.« Er kletterte also wieder auf den Tisch, und seine Freunde riefen ängstlich: »Fall nicht runter!« Doch Kasperle fiel diesmal nicht herab. Er machte zwar die tollsten Sprünge, schnitt die allerseltsamsten Gesichter, sah einmal wie der, einmal wie jener aus Torburg aus, und Mister Stopps riß seine kugelrunden Augen immer weiter auf.

»Nein, war das Kasperle spaßig!«

Dem langen Herrn wurde das Stehen zu mühsam, so sehr mußte er lachen, er sah sich nach einem Sitze um und – –

»Jemine, jetzt sieht das Kasperle wie unser Herr Bürgermeister aus,« riefen die Torburger, und ein gewaltiges Lachen erhob sich.

Bumbum!

Was war denn das wieder?

Zwei Beine stocherten in der Luft herum. Einer schrie jammernd: »Meine Trommel, meine Trommel!«

Kasperle lachte wie toll, und die Leute, die etwas abseits standen, reckten die Hälse und fragten: »Was ist denn los?«

Ja was!

Mister Stopps war in die große Trommel gefallen. Er hatte gedacht, auf eine Trommel könnte man sich setzen, doch da die Trommel anderer Meinung war, platzte sie.

Meister Severin faßte Mister Stopps am rechten Bein, der Bürgermeister am linken, und heidi hopsassa, da war er wieder draußen.

»Komisch,« dachte Mister Stopps, »sehr kurios!«

Man muß es sagen, er machte dazu ein arg dummes Gesicht, und flink machte ihm Kasperle das Gesicht nach.

»Er sieht aus wie Mister Stopps,« jauchzten die Leute.

»Uer sehen aus wie ich?«

»Kasperle, Kasperle.«

»Oh, sehr kurios, sehr kurios!«

»Fein, Kasperle, fein!«

Mister Stopps nahm so etwas nicht übel, der fand es so seltsam, daß Kasperle aussehen konnte wie er, daß er erst vor Staunen seinen Mund riesengroß aufriß und dann laut lachte.

Na, Mister Stopps konnte beinahe wie Kasperle lachen. Ein paar Buben meinten sogar: »Vielleicht ist’s ein altes Kasperle!«

Der lange Herr lachte gewöhnlich nur einmal im Jahr, aber dann gründlich. An diesem Tage aber lachte er, als hätte er drei Jahre nicht gelacht. Kasperle lachte mit, er hopste und sprang, Mister Stopps lachte, und das Lachen steckte an.

War das eine vergnügte Abschiedsfeier! Das Lachen schallte nur so über den Kirchplatz. Selbst die griesgrämigsten Leute lachten, und zuletzt sagte Mister Stopps: »Ich sein glücklich, das Kahspärle zu haben.«

»Kasperle, Kasperle!« brüllten die Torburger Buben.

»Oh, uell, Kahspärle. Ich lieben ihn.«

Kasperle legte plötzlich den Kopf auf die Seite, schielte Mister Stopps an und brummte: »Ich dich nicht!«

»Aber Kasperle!« mahnte der Bürgermeister.

»Oh, er liebt mir nicht!«

»Mich,« schrien die Buben wieder.

»Mich nicht! ich bin traurig!«

Und da sagte Kasperle, das wilde, lachlustige Kasperle plötzlich ganz ernsthaft: »Ich hab’ dich auch lieb, aber –«

»Uas aber?« fragte Mister Stopps.

»Die lieb’ ich lieber.« Kasperle zeigte im weiten Bogen herum, und alle Torburger konnten denken, er meinte sie. Sie riefen denn auch alle wieder hoch und hurra, schwenkten die Taschentücher, die Musik spielte, die Sänger sangen, Kasperle hopste und sprang, kurz und gut, es war eine sehr vergnügliche Abschiedsfeier.

Meister Severin sagte zu seiner schönen Frau Liebetraut: »Es wird ihm doch nicht zu schwer.«

Aber ach, dem Kasperle tat sein kleines Herzchen doch arg weh. Und als er in seinem Bette lag und dachte, es ist das letzte Mal für lange, lange Zeit, da fing er plötzlich herzbrechend zu weinen an und klagte: »Nie hab’ ich eine rechte Heimat, immer muß ich wandern!«

»Oh du armes Kasperle, du!« Frau Liebetraut, die das Kasperle wirklich recht wie eine gute Mutter lieb hatte, streichelte den armen, traurigen Schelm. Meister Severin aber holte sich die Geige, und dann setzte er sich an Kasperles Bett und spielte nur ihm allein das allerschönste Abschiedslied.

Da meinte Kasperle plötzlich, er wäre draußen im alten, lieben Waldhaus, es zöge wieder wie einst mit Meister Severin über Berg und Tal, und sein trauriges Herzlein wurde still. Ganz sacht kam der Schlaf, schloß Kasperles Schelmenaugen, fröhliche Traumengelchen setzten sich an sein Bett, und das Kasperle schlief ein, schlief zum letztenmal in Meister Severins Haus so friedlich und fest wie schon viele, viele Nächte nicht. Kasperle wachte nicht einmal auf, und schlaftrunken drehte er sich um, als auf einmal auf dem Kirchplatz Wagenrollen erklang, und der Postillon grade unter seinem Fenster mit seiner Knurrstimme traurig sang:

»Traratrara,
Die Post ist da,
Will mit Kasperlein
Fahren in die Welt hinein,
Traratrara in die weite Welt.
Zwei Millionen sind viel Geld.«

Kasperle drehte sich einmal um, als Frau Liebetraut rief: »Aufstehen!« dann noch einmal, und dann schlief er wieder. Rrrrrrrrrr rasselte er ein Schnarcherlein herab, und als Frau Liebetraut wieder rief und ihn schüttelte, brummelte er: »Nä, ich mag nicht!«

Ach, du lieber Himmel, das half aber nichts, Kasperle mußte aufstehen und mit Mister Stopps in die weite, weite Welt reisen.