Die Wilden machten wirklich Anstalten zu schießen. Sie hatten merkwürdigerweise sogar eine Kanone. Deren Mündung richteten sie auf das Schiff und die Seefahrer starrten entsetzt darauf.

»Sie schossen!« Mister Stopps jammerte, als ob er schon angeschossen wäre. Er warf sich lang auf den Boden und der Kapitän sagte, das sollten alle tun. »Sie werden nicht schießen.« Er ließ eine weiße Flagge aufhissen zum Zeichen der friedlichen Gesinnung, aber auf einmal gab es einen Blitz, einen Knall, und über das Schiff hinweg zog eine rosafarbige Wolke und hüllte alle in ihren Dunst.

Die noch nicht gelegen hatten, fielen um, und ein paar Minuten lagen alle stumm und steif da und man konnte meinen, sie wären tot. Sie waren aber kein bißchen tot, sondern sehr lebendig. Zuerst hob Piet die Nase, schnüffelte in der Luft herum und brummte: »Wie das riecht!«

Da lachte der Schiffsjunge Jörg hell auf und Piet schalt nicht, sondern lachte herzhaft mit.

Der Kapitän aber wollte schelten, doch, als er es tun wollte, kam ihn unversehens das Lachen an. Und er lachte so laut und schallend, daß ihn Kasperle ganz verwundert ansah. Da kicherte Marlenchen neben ihm: »I – i – i – ich weiß nicht, es i – i – ist so ko – ko – komisch.«

Rrrrr – ging es wie ein Sägewerk, und auf einmal lachte Mister Stopps, wie er noch nie gelacht hatte. Seine Beine fuchtelten dabei in der Luft herum wie zwei Pumpenschwengel.

Und hihihihi, hahahaha, hohohoho, huhuhuhu ging es nun los auf dem Schiff in allen Tonarten. Hoch und tief lachte es. Selbst die Prinzessin Gundolfine kicherte ohne Aufhören, und Mister Stopps rief: »Sie haben mit La – Lachpu – pulver gescho – sch – –«

»Ge – scho – scho – scho –«

»Geschossen,« wollte die Prinzessin verbessern, sie brachte aber das Wort vor Lachen nicht heraus.

Der Kapitän wollte »Unsinn« rufen, er rief aber immer nur »Un – un – un«.

Nur einer lachte nicht: Kasperle.

Auf den hatte der sonderbare Schuß keine Wirkung gehabt, ja eine Traurigkeit, die dem lustigen Kasperle sonst fremd war, war über ihn gekommen, und das Heulen war ihm näher als das Lachen.

»I – i – ich kann nicht m – m – mehr.« Die Prinzessin hatte schon Schmerzen vor Lachen, alles tat ihr weh.

»Haste Bauchschmerzen?« fragte Kasperle.

»I – i – i – ich sterbe,« stöhnte sie lachend.

»I – i – i – ich sterbe auch,« schrie Mister Stopps.

»I – i – i – ich bin schon tot,« klagte Piet.

»I – i – ich sterbe bald,« jammerte Marlenchen, »hihihihi, ist das komisch.«

»Eine hei – hei – heillose Ge – ge – geschichte,« rief der Kapitän, »sie haben ge – ge – ge – –«

»Ge – ge – geschoßt,« half Mister Stopps.

Selbst der ernste Herr Severin, Frau Liebetraut und Michele lachten, nur die Gräfin Rosemarie nicht, die hatte in der Kabine einen warmen Schal holen wollen und war verschont geblieben.

Die sagte jetzt zu Kasperle: »Kasperle, wir beide wollen weinen, vielleicht hilft das.«

Da setzten sich die beiden hin und weinten, und es wurde ihnen gar nicht sehr schwer, sie waren alle beide im Herzen tieftraurig über das allgemeine Lachen. Kasperle heulte wie ein Wolf, und was Kasperle tat, steckte an. Marlenchen begann am ersten zu weinen, dann Mister Stopps, der klagte sogar dabei: »Das Lachen war so gut.«

»Hm hm sehr, aber recht an – anstrengend,« schluchzte die Prinzessin, und »– Ka – ka – kasperle hör‘ auf, ich muß nun w – w – weinen.«

Sie lachte und weinte durcheinander und so ging es den andern auch, sie lachten und weinten durcheinander, bis das Weinen siegte. Da saßen sie alle auf dem Schiff und heulten, daß das Schiff beinahe wieder ausgepumpt werden mußte.

»Hör‘ nun auf, Kasperle,« sagte Rosemarie, »ich glaube, sie sind geheilt.«

Und sie waren wirklich geheilt. Der Schiffsjunge und der Kapitän, die weinten am längsten, aber als sie alle aufhörten, sagten sie: »Gott sei Dank, das war anstrengend.«

»Aber es hat mich gut getan,« rief Mister Stopps.

»Mir,« die Prinzessin konnte wieder reden.

»Sie auch, oh uie gut. Aber –« er machte einen Sprung, »sie schossen nochmal!«

Drüben luden sie wirklich ihre Kanone, denn sie hatten gemerkt, daß auf dem Schiff niemand mehr lachte.

Ja, was wäre geworden, wenn Kasperle nicht gewesen wäre?

Der hatte längst gesehen, die da drüben waren Kasperles wie er.

Ich kaspere ihnen etwas vor, dachte er, dann merken sie, daß ein Kasperle an Bord ist.

Und eins – zwei – drei sprang Kasperle auf eine Tonne, die am Bug des Schiffes stand. Und nun ging’s los.

Arme, Beine, Nase, Mund, Ohren, alles begann zu zappeln. Das Kasperle war wie ein aufgezogenes Puppenwerk.

Nichts hielt still, der Mund ging auseinander wie ein Scheunentor, und Gesichter schnitt der kleine Kerl, unglaublich.

Mister Stopps lachte, als hätte er wieder Lachpulver bekommen, schließlich mußte ihm die Prinzessin den Kopf wegdrehen, damit er das Kasperle nicht mehr ansah, sonst wäre er geplatzt.

Die drüben auf der Insel waren ganz nahe gekommen, und da standen sie, und der Kapitän dachte, jetzt müßte man jedem eine Kanonenkugel in den Mund schießen, solche Mäuler hatten sie. Es sind, weiß der Himmel, Kasperles!

Hier ein Kasperle, da ein Kasperle. Denen auf dem Schiff war es zu erstaunlich, wie dies möglich war.

So etwas war noch nie vorgekommen.

Kasperle aber wollte denen drüben zeigen, daß er das Kaspern gut verstand. Er kletterte auf seiner Tonne herum und gedachte auf ihr einen feinen Purzelbaum zu schießen.

Sehr fein sollte der werden.

Aber selbst einem Kasperle gelingt mal was daneben.

Die Prinzessin schrie: »Kasperle du fällst!«

Da lag er schon. Im Wasser nämlich.

Plumps, pardauz, war er hineingefallen, und auf dem Schiff und auf der Insel erhob sich gleichzeitig ein großes Geschrei. Die auf der Insel schrien fast noch mehr als die auf dem Schiff. Dafür waren es auch Kasperles.

Am meisten schrie aber Mister Stopps. Der bat himmelhoch, man solle sein Kasperle retten, er wolle viel, viel Geld geben. Die Matrosen hatten auch die Absicht, es zu tun, aber die auf der Insel waren geschwinder. Eins – zwei – drei, wie der Blitz waren die im Wasser, schwammen darin wie Fische und zogen drüben das Kasperle ans Land.

»Mein Kahspärle, mein armes Kahspärle!« jammerte Mister Stopps.

»Das ist verloren,« meinte der Kapitän. »Mein geliebtes Kahspärle, es hat zwei Millionen gekosten.«

»Und wenn es drei gekostet hätte, verloren ist verloren,« sagte der Kapitän.

»Man muß schießen!« Mister Stopps war ganz aufgeregt, und der Kapitän schüttelte über ihn den Kopf. »Unsere Kanone ist doch ins Wasser gefallen, mit was sollen wir schießen?«

»Mit die Geuehre!«

»Drei haben wir nur, und treffen tut niemand. Wir wollen froh sein, wenn die nicht mit ihrem Lachpulver schießen, das ist schlimmer.«

»Aber mein Kahspärle, mein armes Kahspärle!«

»Sie schleppen es weg,« sagte Piet.

Wirklich, sie schleppten drüben das Kasperle weg.

Das schrie gewaltig. Aber es schrie nicht nach Mister Stopps, sondern nach Marlenchen.

Und Marlenchen stand bitterlich weinend am Geländer und hätte ihrem Freunde so gern geholfen.

»Fall nicht auch noch hinein!« mahnte die Prinzessin.

»Marlenchen ist doch kein Kasperle,« meinte der Kapitän.

»Sie fällt.«

»Nein doch.«

Da machte das Schiff eine Bewegung, weil eine große Welle gekommen war, und plumps lag Marlenchen auch im Wasser.

Und es ging wie vorher.

Geschrei hüben und drüben.

Diesmal waren die Matrosen aber fixer im Wasser, und es gab eine große Prügelei, bei der das arme Marlenchen beinahe ertrunken wäre.

Herr Severin wollte auch das Kind retten, er sprang auch ins Wasser, Michele ihm nach, beide erwischten Marlenchen am Kleid, hoben das Kind empor und wollten gerade mit ihm nach dem Schiff zurückschwimmen, als ein Kasperle daher kam und ihnen beiden mit einer kleinen Pistole Lachpulver in die Gesichter schoß.

Im ersten Schreck, und weil sie gleich so furchtbar lachen mußten, ließen sie Marlenchen los, und wutsch! hatten die Kasperles Marlenchen ergriffen.

Piet kam zu Hilfe, er schlug zwar wie ein Scheunendrescher auf die Kasperles ein, es half aber alles nichts, auch Piet begann zu lachen. Immerzu, unaufhaltsam, und da er tief lachte, klang es ganz schauerlich »huhuhuhu«.

Marlenchen aber war verloren.

Ehe sich die Retter noch etwas ausgelacht hatten, war das arme Marlenchen schon auf die Insel geschleppt, und die Prinzessin Gundolfine, Frau Liebetraut, Rosemarie und das Prinzlein sahen laut weinend zu, wie das arme Marlenchen und Kasperle weggeschleppt wurden. Und dabei stürzten sich immer mehr Matrosen in das Wasser und erhielten Schüsse und lachten.

Es war schon schrecklich.

Marlenchen schrie und jammerte, vom Schiff her tönte Wehklagen und Lachen durcheinander. Kasperle tobte drüben wie ein toll gewordener Wolf, die Kasperles sagten zu ihm: »Aber sei doch nicht so dumm, du kommst doch in deine Heimat. Du bist doch ein richtiges Kasperle, du gehörst zu uns.«

»Bäh,« da streckte Kasperle so lang er konnte aus Wut seine Zunge heraus.

Die Kasperles schrien: »Das ist Menschensitte, aber fein ist’s« und »bäh« machten alle Kasperles.

»Dumm, dumm, bäh,« Kasperle platzte bald vor Ärger.

»Dumm, dumm, bäh,« ahmten ihm die Kasperles nach.

Aber wie Kasperle immer lauter brüllte, Marlenchen immer bitterlicher weinte, bekamen sie beide auf einmal Tücher über den Kopf geworfen, wurden zusammengebunden und dann ging’s heidi, wer weiß wohin.

Auf dem Schiff sahen sie mit Grausen, daß die beiden weggeschleppt wurden, und Mister Stopps verlangte stürmisch, alle sollten ihnen nacheilen.

Aber der Kapitän zeigte auf die lachenden Matrosen und sagte: »Es geht nicht, sie lachen sich sonst tot.«

»Oh, Marlenchen!«

»Oh, Kahspärle!«

Mister Stopps und die Prinzessin klagten um die Wette, bis auf einmal Mister Stopps sagte: »Sie sehen uie mein libbes Kahspärle aus.«

»Ich,« rief die Prinzessin doch ein wenig entrüstet.

»Ja Sie, Sie haben so ein großes Mund uie Kahspärle.«

»Aber ich bitte.«

»Oh, yes, ein ungeheures Mund.«

»Aber Mister Stopps!«

»O yes, und uann Sie lachen, schneiden Sie Gesichter ganz uie Kahspärle.«

»Aber das ist doch unerhört.«

»Oh no, ich höre gut,« rief Mister Stopps. »Sie lachen uirklich uie Kahspärle.«

»Aber ich bin doch kein Kasperle.«

»Und Sie purzelbaumen uie Kahspärle.«

»Ich purzelbaume nicht.«

»Doch, ich haben gesehen. Sehr komisch, uie mein libbes Kahspärle.«

Nun wurde die Prinzessin aber ganz böse, sie schrie Mister Stopps an: »Ich bin doch nicht Ihr Kasperle.«

»Oh uundervoll, uie Sie schreien, uie Kahspärle. Und das Gesicht ganz uie Kahspärle. Oh, ich libbe Ihnen.«

»Mich oder Kasperle?« fragte die Prinzessin.

»Oh Ihnen, ueil Sie aussehen uie Kahspärle. Oh, ich müssen Ihnen heiraten.«

»Mich oder Kasperle?« Jetzt mußte die Prinzessin lachen.

»Ihnen,« schrie Mister Stopps begeistert. »Sie reißen das Maul auf –«

»Wie Kasperle, ich weiß schon.«

»Uollen Sie mir heiraten?«

Sie sagt nein, denn sie ist jetzt wütend, dachte der Kapitän, der die sonderbare Unterhaltung mit angehört hatte.

Aber die Prinzessin schrie ganz flink: »Ja!«

»Und purzelbaumen Sie mich jeden Tag was vor?«

Das wollte die Prinzessin doch nicht, und beinahe hätte sie gesagt, »dann lieber nicht,« aber sie besann sich noch und sagte sanft, sie könne nicht purzelbaumen, weil sie doch eine Prinzessin wäre und für eine Prinzessin schicke sich so etwas nicht.

Das sah Mister Stopps denn auch ein und er erklärte: »Ich bin sehr glücklich, eine Frau zu bekommen, die meinem libben Kahspärle so ähnlich ist. Man kann denken, sie wäre eine Kahspärlerin.«

Sehr schmeichelhaft für die arme Prinzessin war das nun nicht. Sie dachte aber, mal wird das Kasperle schon vergessen werden. Es kommt sicher nicht wieder.

Das dachte auch der Kapitän, weil aber Marlenchens und Kasperles Freunde so sehr traurig waren, tröstete er: »Vielleicht kommen sie in drei Tagen zurück, so lange dauert es, bis das Schiff ausgebessert wird. Hoffentlich schießen sie nicht wieder mit ihrer Lachkanone.«

Das taten die Kasperles nun nicht. Sie ließen sich überhaupt nicht mehr blicken, es war, als wäre die Insel unbewohnt. Und von Marlenchen und Kasperle war nichts zu sehen, gar nichts.