chapter32.html


Schluß

Kaum befanden wir uns innerhalb der Mauern von Dünkirchen in Sicherheit, da hielten wir den so nötigen Kriegsrat über unsere Lage. Wir hatten mit Waffengewalt einem Vater seine Tochter geraubt; jeder Richter hätte sie ihm ohne weiteres wieder zugeführt und aller Wahrscheinlichkeit nach Alan und mich ins Gefängnis geworfen, und obwohl wir in Gestalt von Kapitän Pallisers Brief ein Argument zu unseren Gunsten besaßen, lag doch weder Catriona noch mir sonderlich daran, es in der Öffentlichkeit zu gebrauchen. Alles in allem schien es uns das Klügste, das Mädchen nach Paris zu bringen in die Obhut ihres eigenen Häuptlings, Macgregor von Bohaldie, der nicht nur bestimmt bereit sein würde, seiner Verwandten zu helfen, sondern auch durchaus abgeneigt, James Mores Schande aufzudecken.

Wir kamen nur recht langsam vorwärts, da Catriona nicht so gewandt im Reiten wie im Rennen war und seit ’45 kaum im Sattel gesessen hatte. Aber endlich, an einem Sonntagsmorgen, waren wir in Paris und begaben uns unter Alans Führung auf dem schnellsten Wege zu Bohaldie. Er wohnte recht prächtig und lebte auf gutem Fuß, da er eine Pension aus dem Schottenfond bezog und auch über Privatmittel verfügte; Catriona begrüßte er wie eine Angehörige seines eigenen Hauses und benahm sich im ganzen sehr höflich und diskret, wenn auch nicht besonders offenherzig. Wir fragten ihn nach Nachrichten über James More. »Der arme James!« sagte er und schüttelte den Kopf und lächelte, und ich gewann die Überzeugung, daß er mehr wußte, als er sagen wollte. Dann zeigten wir ihm Pallisers Brief, und sein Gesicht wurde ellenlang. »Der arme James!« sagte er von neuem. »Nun, es gibt schlechtere Menschen als James More. Aber das hier ist wirklich sehr schlimm. Ja, ja, er muß reinweg den Kopf verloren haben! Ein höchst unerfreulicher Brief. Trotzdem, meine Herren, sehe ich nicht ein, weshalb wir ihn der Öffentlichkeit übergeben sollten. Es ist ein schlechter Vogel, der sein eigen Nest beschmutzt, und wir sind alle Schotten und Hochländer.« Darin waren wir mit ihm einig, alle, ausgenommen vielleicht Alan, und noch einiger waren wir betreffs unserer Heirat, die Bohaldie selbst in die Hand nahm, als gäbe es überhaupt keinen James More. Auf die reizendste Manier, und mit zierlich gedrechselten französischen Komplimenten gab er Catriona eigenhändig in die Ehe, und erst, als alles vorbei war und man auf unser Wohl getrunken hatte, verriet er uns, daß James sich in der Stadt befände, wo er einige Tage vor uns eingetroffen war und jetzt auf den Tod krank darniederlag. Ich glaubte auf meiner Frau Gesicht zu lesen, wohin ihr Herz sie trieb.

»Wir wollen ihn besuchen«, sagte ich.

»Wenn du es wirklich wünschst«, meinte Catriona. Das war noch in den Flitterwochen.

Er war in dem gleichen Stadtviertel wie sein Häuptling in einem großen Eckhaus untergebracht; und der Klang eines hochländischen Dudelsacks zeigte uns den Weg nach seiner Dachkammer. Es scheint, daß er sich von Bohaldie ein paar Querpfeifen geborgt hatte, um sich während seiner Krankheit die Zeit zu vertreiben, und obgleich er kein solcher Künstler wie sein Bruder Rob war, machte er doch recht gute Musik. Es war ein kurioser Anblick, die französischen Zuhörer lachend sich auf der Treppe drängen zu sehen. Er lag auf einer Strohmatratze, von Kissen gestützt. Bereits auf den ersten Blick erkannte ich, daß es mit ihm zu Ende ging, und zweifellos war der Ort als Sterbezimmer für ihn ein merkwürdiger Ort. Aber selbst jetzt vermag ich kaum mit Nachsicht bei seinem Ende zu verweilen. Sicherlich hatte Bohaldie ihn auf unser Kommen vorbereitet; er wußte anscheinend, daß wir verheiratet waren, beglückwünschte uns zu dem Ereignis und erteilte uns wie ein Patriarch seinen Segen.

»Man hat mich niemals verstanden«, sagte er. »Ich verzeihe Euch beiden ohne Bitterkeit,« und so redete er fort, ganz wie früher; ja, er war so gefällig, uns auf den Querpfeifen ein paar Lieder vorzuspielen und ging mich zum Schluß um ein kleines Darlehen an. Ich vermochte auch nicht die Spur von Scham an ihm zu entdecken, dagegen war er ein Meister im Vergeben; das schien für ihn niemals den Reiz zu verlieren. Ich glaube, er vergab mir jedesmal, wenn wir zusammen waren, und als er rund vier Tage später in einer Art Heiligenschein liebevoller Frömmigkeit verschied, hätte ich mir vor Ekel die Haare ausraufen können. Ich ließ ihn begraben, aber was ich auf seinen Grabstein setzen sollte, ging über meinen Horizont; bis es mich endlich das beste dünkte, es bei dem schlichten Datum zu belassen.

Ich hielt es für ratsamer, jeden Gedanken an Leyden, wo wir als Bruder und Schwester aufgetreten waren, aufzugeben; ohne Frage sah es sehr sonderbar aus, jetzt in einer neuen Rolle dort zu erscheinen. Schottland war für uns das Richtige, und nach Schottland fuhren wir auf einem niederländischen Schiff, nachdem ich mein zurückgelassenes Hab und Gut wieder in meinen Besitz gebracht hatte.

Und jetzt, Fräulein Barbara Balfour (um den Damen den Vortritt zu geben) und Mr. Alan Balfour, Junker von Shaw, habe ich Euch die Geschichte fein säuberlich zu Ende erzählt. Ihr werdet finden (wenn Ihr’s Euch recht überlegt), daß Ihr einen großen Teil der darin handelnden Personen kennt und gesprochen habt. Alison Hastie aus Limekilnes ist das Mädchen, das Eure Wiege schaukelte, als Ihr noch zu klein wart, um etwas davon zu verstehen, und Euch in späteren Jahren auf dem Gute spazierenführte. Die sehr schöne, große Dame, Barbaras Patin, ist niemand anders als Miß Grant, die David Balfour im Hause des Lord Staatsanwalts so arg zum Narren hielt. Und ich frage mich, ob Ihr Euch wohl noch des kleinen, hageren, lebhaften Herrn in Stutzperrücke und schwerem Mantel erinnert, der sehr spät in einer dunklen Nacht nach Shaw kam und den zu begrüßen Ihr aus Euren Betten geholt wurdet, um ihm in dem Speisesaal unter dem Namen Mr. Jamieson vorgestellt zu werden? Oder hat Alan etwa vergessen, was er auf Mr. Jamiesons Verlangen tat – eine äußerst unpatriotische Handlung, deretwegen er, dem Buchstaben des Gesetzes nach, sogar hätte gehenkt werden können – nämlich auf das Wohl des Königs »jenseits des Meeres« zu trinken? Schöne Dinge, merkwürdige Dinge für ein gut whigsches Haus! Aber Mr. Jamieson ist eine privilegierte Persönlichkeit und kann, wenn er will, selbst meinen Kornspeicher in Brand setzen; und der Name, unter dem man ihn heute in Frankreich kennt, lautet ›der Chevalier Stuart‹. Und was Davie und Catriona betrifft, so werde ich sie in diesen Tagen recht scharf im Auge behalten, ob sie auch nicht so naseweis sind, Papa und Mama auszulachen. Wahr, wir benahmen uns nicht immer so gescheit, wie wir uns hätten benehmen können und schafften uns aus dem Nichts ein gut Teil Herzeleid; aber Ihr werdet finden, wenn Ihr erst erwachsen seid, daß selbst die kluge Miß Barbara und der tapfere Mr. Alan nicht so sehr viel gescheiter als ihre Eltern sind. Das Leben des Menschen auf dieser Erde ist eine recht kurzweilige Sache. Es heißt zwar, daß es die Engel zum Weinen bringt, aber ich meine, weit öfter müssen sie sich die Seiten halten vor Lachen, wenn sie auf uns hier unten herniederschauen; und das eine stand nun mal bei mir fest, als ich diese lange Geschichte begann: alles so zu erzählen, wie es sich wirklich ereignet hat.

Drittes Kapitel


Ich gehe nach Pilrig

Kaum war ich am nächsten Morgen in meinem neuen Logis aufgewacht, als ich auch schon munter und in meinen Kleidern war; und kaum hatte ich mein Frühstück heruntergeschluckt, als ich auf weitere Abenteuer auszog. Für Alan, konnte ich hoffen, war jetzt gesorgt; James versprach ein heiklerer Fall zu werden, und ich mußte annehmen, daß dieses Unterfangen mich teuer zu stehen kommen würde, zumal jeder, dem ich meine Auffassung auseinandergesetzt hatte, mich desgleichen versicherte. Es schien, als hätte ich den Gipfel des Berges nur erklommen, um gleich wieder in die Tiefe zu stürzen; als hätte ich mich durch so schwere Mühsale zu Reichtum und Ehren, zu meiner städtischen Kleidung und dem Schwert an meiner Seite emporgearbeitet, lediglich um zum Schluß Selbstmord zu begehen, und zwar die schlimmste Art von Selbstmord: auf des Königs Kosten gehängt zu werden. Weshalb tat ich es eigentlich? fragte ich mich selbst, als ich die High-Street hinunter und nordwärts über Leith Wynd zum Tore hinausschritt. An erster Stelle, sagte ich mir, um James Stuart zu retten; und wirklich spielte die Erinnerung an seine Verzweiflung, an die Wehklagen seiner Frau sowie an ein gelegentliches Wort von mir, das ich ihm gegenüber hatte allen lassen, dabei eine große Rolle. Gleichzeitig aber überlegte ich mir, daß es meines Vaters Sohn doch eigentlich höchst gleichgültig sein könnte (oder müßte), ob James in seinem Bett oder auf dem Schafott stürbe. Zwar war er Alans Vetter; aber was Alan selbst betraf, so konnte ich nichts Besseres tun, als mich mucksmäuschenstill zu verhalten und den König, Seine Liebden, den Herzog von Argyle, und die Krähen sich nach Herzenslust um die Knochen ihres Verwandten raufen lassen. Zudem konnte ich nicht vergessen, daß James, obwohl wir doch alle miteinander in der gleichen Klemme steckten, keine übertriebene Besorgnis um Alan und mich gezeigt hatte.

Dann kam mir der Gedanke, daß es um der Gerechtigkeit willen geschehe; das Wort gefiel mir ungemein, und ich setzte mir selbst des langen und breiten auseinander, daß uns vor allem daran gelegen sein müsse (da wir alle nun mal in die Politik verwickelt wären, einer dem anderen zum Schaden), der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen, und daß der Tod eines Unschuldigen dem ganzen Gemeinwesen eine Wunde schlüge. Dann wieder gab der Versucher mir eine Probe seiner Überredungskunst zu kosten; er flüsterte mir zu, ich solle mich schämen, daß ich mich in diese hohe Angelegenheit mische, ich sei ja nur ein eitles, prahlerisches Kind, das sich vor Rankeillor und Stuart gebrüstet hätte und sich nun durch seine Eitelkeit gebunden hielte, für seine großen Worte einzustehen. Ja, und er ließ mich auch das andere Ende des Knüppels spüren: er klagte mich der feigen Berechnung an, und daß ich auf Kosten eines kleinen Risikos mir größere Sicherheit erkaufen wolle. Sicher war, ich konnte jeden Tag Mungo Campbell oder den Beamten des Sheriffs von neuem über den Weg laufen, und dann würde man mich erkennen und mich Hals über Kopf in die Appin-Mordaffäre hineinziehen, wenn ich mich nicht zuvor gestellt und vom Verdacht gereinigt hätte. Und zweifellos würde ich, falls es mir gelang, meine Sache gut zu führen, von da an bis an mein Lebensende freier atmen. Doch wenn ich diesen Gründen voll ins Gesicht schaute, vermochte ich an ihnen nichts Unehrenhaftes zu entdecken. Und was das übrige betraf, so überlegte ich mir: hier steh ich am Kreuzweg; beide Wege führen zum gleichen Ziel. Es ist ungerecht, daß James gehenkt wird, wenn ich ihn retten kann; und ich würde mich lächerlich machen, wenn ich nach all meinem Gerede nicht auch handelte. James von der Schlucht kann von Glück sagen, daß ich mich von Anfang an so gebrüstet habe; und für mich selbst ist es auch kein Unglück, denn nun bin ich gebunden, das Rechte zu tun. Ich habe jetzt den Namen und die Mittel eines Gentleman; es wäre recht erbärmlich, entdecken zu müssen, daß mir das Wesentlichste dazu fehlt. Und dann fiel mir wieder ein, das sei ja eine unchristliche Gesinnung, und ich sprach rasch für mich ein Gebet, in dem ich um den Mut flehte, an dem es mir vielleicht gebrach, und bat, daß ich schnurstracks auf meine Pflicht losmarschieren möchte, wie ein Soldat in die Schlacht, um womöglich auch unbeschadet an Leib und Leben davonzukommen wie so viele andere.

Diese Gedankengänge festigten meinen Entschluß, trotzdem sie meine Augen durchaus nicht gegen die mich umdrohenden Gefahren und gegen die Tatsache verschlossen, daß ich auf meinem Wege (wenn ich ihn wirklich fortsetzte) wahrscheinlich über die Leiter zum Galgen stolpern würde. Es war ein klarer, schöner Morgen, obwohl der Wind von Osten blies. Seine kühle Frische sang sich mir ins Blut und gab mir ein Gefühl wie von Herbst und welken Blättern und von Toten, die in ihren Gräbern ruhen. Wahrhaftig, der Teufel mußte schon seine Hand im Spiele haben, wenn ich tatsächlich in der Hochflut meines Glücks um anderer Leute willen sterben sollte. Auf dem Gipfel von Calton Hill liefen einige Kinder lärmend hin und her und ließen ihre Drachen steigen, obwohl es für dieses Vergnügen noch nicht die richtige Jahreszeit war. Die papierenen Vögel zeichneten sich klar gegen den Himmel ab; ich sah, wie ein besonders schwerer vom Wind in große Höhen getrieben wurde und dann zwischen den Ginsterbüschen schwerfällig zur Erde fiel; und bei diesem Anblick dachte ich zu mir selbst: »Das war Davie.«

Mein Weg führte mich über Mouters Hill und zwischen Wiesen und an Hügeln vorbei durch den Zipfel eines Dorfes. Hier tönte das Gerassel von Webstühlen von Haus zu Haus; Bienen summten in den Gärten; die Nachbarn, die ich vor der Türe miteinander schwatzen sah, redeten eine fremde Sprache, und später hörte ich, daß es das Dorf Picardy gewesen sei, eine Niederlassung französischer Weber, die für die Linen Company arbeiteten. Bei ihnen erkundigte ich mich von neuem nach meinem Ziel, Pilrig und stieß nach einer Weile neben der Landstraße auf einen Galgen, an dem an Ketten zwei Männer hingen. Die Leichen waren, der Sitte gemäß, in Teer getaucht; der Wind wirbelte sie im Kreise herum, die Ketten klirrten, und die Vögel klammerten sich schreiend an die unheimlichen Hampelmänner. Das Schauspiel traf mich urplötzlich gleich einer Versinnbildlichung aller meiner Befürchtungen, und ich wurde nicht müde, es näher zu betrachten und mit allen Poren das Trostlose des Anblicks einzusaugen. Und was führt mir da der Zufall in den Weg, während ich immer wieder den Galgen umkreise? Ein gespenstiges altes Weiblein, das hinter dem einen Pfosten hockte und kopfschüttelnd und mit vielen Verbeugungen und Handbewegungen laut mit sich selbst redete. »Wer sind diese beiden da, Mutter?« fragte ich, auf die zwei Leichname deutend. »Gottes Segen über dein herziges Gesicht«, rief sie. »Zwei alte Schätze von mir; nur zwei meiner alten Schätze, mein Junge.« »Und weswegen hängen sie da?« erkundigte ich mich weiter. »Oh, nur wegen der guten Sache«, erwiderte sie. »Oft hab ich’s ihnen vorausgesagt, wie’s enden würde. Zwei Shilling schottisch, nicht einen Penny mehr; und zwei hübsche Jungen müssen dafür hängen: sie nahmen’s einem Balg aus Brouchton ab.« »So, so«, sagte ich zu mir selbst und nicht zu der tollen alten Vettel, »und wegen einer so erbärmlichen Sache haben sie’s so weit gebracht. Das heiß ich wahrhaftig von Gott verlassen sein.«

»Laß mich deine Hand sehen, Herzensjunge,« fuhr sie fort, »ich will deine Zukunft voraussagen.«

»Nein, Mutter«, entgegnete ich, »ich sehe schon so klar genug, wohin der Weg mich führt. Es tut nicht gut, zuviel vorauszuwissen.«

»Ich lese auf deiner Stirne«, antwortete sie. »Da ist ein hübsches Mädel mit hellen Augen und ein kleiner Mann in einem schönen, gestickten Rock und ein großer Mann in einer gepuderten Perücke, und da ist noch der Schatten der Rabenwippe, hier quer über deinem Weg. Zeig deine Hand her, Herzensjunge, und laß dir von der alten Merren eine feine, gute Zukunft voraussagen.«

Die beiden Zufallstreffer, die auf Alan und die Tochter James Mores abzuzielen schienen, berührten mich tief, und ich floh vor dem grausigen Geschöpf, ihr einen Batzen hinwerfend, mit dem sie unter den tanzenden Schatten der Gehenkten weiter spielte.

Mein Weg auf der Leither Landstraße wäre ohne diese Begegnung um vieles angenehmer gewesen. Der alte Fahrdamm führte zwischen Feldern hindurch, derengleichen ich, was Geschicklichkeit in der Bebauung anbelangt, nie gesehen hatte; allein die Galgenketten rasselten weiter in meinem Kopf, und das Krächzen und Unken der alten Hexe sowie der Gedanke an die beiden Toten verfolgten mich wie ein Gespenst. Am Galgen zu endigen schien mir ein hartes Los, und ob nun ein Bursche wegen zwei Shilling schottisch oder (wie Mr. Stuart es prophezeite) wegen seines Pflichtgefühls dort baumelte, machte, sobald er erst mal geteert und gefesselt und aufgehängt war, im Grunde genommen wenig aus. Dort würde David Balfour vielleicht auch einmal hängen, und die anderen Burschen würden vorbeigehen und Schlechtes von ihm denken und sich von verrückten alten Weibern, die am Fußende kauerten, die Zukunft voraussagen lassen; und saubere, schlanke Mädchen würden vorübergehen und sich dabei die Nase zuhalten. Ich sah sie deutlich vor mir, und alle hatten sie graue Augen, und die Bänder, die sie im Haare trugen, leuchteten in den Drummond-Farben. Ich war daher in gedrücktester Stimmung, wenn auch immer noch ziemlich fest entschlossen, als ich Pilrig vor mir auftauchen sah: ein hübsches Haus mit vielen Giebeln, das neben der Landstraße zwischen einigen prächtigen jungen Bäumen lag. Des Gutsherrn Pferd stand gesattelt vor der Türe, als ich mich dem Hause näherte, aber er selbst befand sich in seinem Studierzimmer, wo er mich, umgeben von gelehrten Büchern und Musikinstrumenten, empfing, denn er war nicht nur ein großer Philosoph, sondern auch ein eifriger Musiker. Anfänglich begrüßte er mich ziemlich freundlich und stellte sich mir dann, nachdem er Rankeillors Brief gelesen hatte, mit großer Zuvorkommenheit ganz zur Verfügung. »Worum handelt es sich, Vetter David?« fragte er – »denn wir sind ja, wie es scheint, Vettern – was kann ich für Euch tun? Ein Wort an Prestongrange? Das ist zweifellos leicht geschrieben. Aber wie soll dieses Wort lauten?« »Mr. Balfour,« entgegnete ich, »wollte ich Euch meine Geschichte erzählen, ich glaube tatsächlich, Ihr wäret wenig davon entzückt. Das ist meine Ansicht, und Mr. Rankeillors ebenfalls.«

»Es tut mir leid, derartiges von Euch zu hören, Vetter,« antwortete er. »Das darf ich nicht auf mir sitzen lassen, Mr. Balfour,« entgegnete ich: »mich drückt nichts, das mich gereut oder das Ihr um meinetwillen zu bedauern braucht, ausgenommen gemeine menschliche Gebrechen, wie wir sie alle tragen: ›die Schuld aus Adams erster Sünde, der Mangel ursprünglicher Gerechtigkeit und die Verderbtheit meiner ganzen Natur‹: für die muß ich einstehen, und ich hoffe, man hat mich gelehrt, wohin ich mich um Hilfe wenden muß«, fügte ich hinzu; denn aus dem Aussehen des Mannes schloß ich, daß er um so besser von mir denken würde, je genauer ich meinen Katechismus kannte. »Doch was meine weltliche Ehre betrifft, so habe ich mir nichts vorzuwerfen, und die Schwierigkeiten, in die ich geraten bin, sind sehr gegen meinen Willen und (soweit ich es beurteilen kann) ohne mein Zutun über mich hereingebrochen. Das Schlimme ist, ich bin in politische Wirren verstrickt, von denen Ihr, wie man mir sagt, nichts wissen mögt.« »Schön, schön, Mr. David,« lautete seine Antwort, »ich freue mich, daß Ihr all das haltet, was Mr. Rankeillor von Euch verspricht. Und was die politischen Wirren anbetrifft, so habt Ihr vollkommen recht. Es ist mein Bemühen, jeden Verdacht zu vermeiden, ja mit alledem nichts zu tun zu haben. Die Frage ist nur,« fuhr er fort, »wie kann ich Euch, ohne von der Sache irgend etwas zu erfahren, helfen?« »Nun, Sir,« entgegnete ich, »ich schlage vor, daß Ihr an Seine Lordschaft schreibt, ich sei ein junger Mann von leidlich guter Familie und ansehnlichem Vermögen; beides trifft, wie ich glaube, zu.«

»Rankeillors Wort bürgt dafür,« sagte Mr. Balfour, »und das genügt mir unter allen Umständen.«

»Dann könntet Ihr noch hinzufügen (falls Ihr mein Wort dafür nehmen wollt), ich sei ein guter Kirchgänger und treuer Untertan König Georgs und in dieser Anschauung erzogen worden.«

»Was Euch unter gar keinen Umständen schaden kann«, sagte Mr. Balfour.

»Und ferner«, schlug ich vor, »könntet Ihr Seiner Lordschaft schreiben, ich käme in einer überaus wichtigen Angelegenheit zu ihm, die Seiner Majestät Dienste und Rechtspflege beträfe.«

»Da ich von der Angelegenheit nichts erfahren soll,« erklärte der Gutsherr, »kann ich auch nicht für ihre Wichtigkeit einstehen. ›Überaus‹ wird daher gestrichen und ›Wichtigkeit‹ ebenfalls. Im übrigen kann ich mich ja so ausdrücken, wie Ihr es wünscht.«

»Und dann, Sir,« schloß ich, ein paarmal mit dem Daumen über mein Genick fahrend, »dann wäre es mir noch sehr lieb, wenn Ihr an irgendeiner Stelle ein Wort zu meinem Schutz einfügen wolltet.«

»Schutz?« echote er, »zu Eurem Schutz? Der Ausdruck wirkt ein wenig wie eine Dusche auf mich. Wenn die Angelegenheit gar so gefährlich ist, dann trage ich, offen gestanden, einige Bedenken, mich so mit einer Binde vor den Augen einzumischen.«

»Ich glaube, ich könnte Euch in zwei Worten sagen, wo der Hund begraben liegt«, erwiderte ich.

»Das wäre vielleicht das Beste.«

»Nun, es handelt sich um die Appin-Mordaffäre.«

Er hielt beide Hände hoch. »Gott im Himmel!« rief er. Nach dem Ausdruck seines Gesichtes und seiner Stimme zu urteilen, glaubte ich zunächst, ich hätte meinen Gönner verloren.

»Ich will Euch erklären – –«, hub ich an.

»Vielen Dank, ich will nichts mehr davon hören«, meinte er kategorisch. »Ich weigere mich in toto, noch etwas davon zu hören. Um Eures Namens und um Rankeillors willen und vielleicht auch ein wenig um Eurer selbst willen werde ich tun, was ich kann, um Euch zu helfen; aber ich will keine Einzelheiten wissen. Und es ist offenbar meine erste Pflicht, Euch zu warnen. Das hier sind kitzlige Angelegenheiten, Mr. David, und Ihr seid noch ein junger Mann. Hütet Euch und überlegt es Euch zweimal.«

»Man sollte meinen, ich hätte es mir öfter überlegt, Mr. Balfour,« erwiderte ich, »und ich möchte Euch auf Mr. Rankeillors Brief aufmerksam machen, darin er (wie ich hoffe und glaube) mein Vorhaben billigt.«

»Gut, gut,« sagte er und wiederholte nach einer Pause, »gut, gut! Ich werde tun, was ich kann.« Mit diesen Worten griff er zu Feder und Papier, dachte eine Weile nach und begann dann mit großer Bedachtsamkeit zu schreiben. »Wenn ich Euch recht verstehe, billigt Mr. Rankeillor Eure Absicht?« fragte er schließlich.

»Nach einigem Hin- und Herreden hieß er mich in Gottes Namen gehen«, antwortete ich.

»Das ist der Name, in dem man eine Sache anfangen soll«, sagte Mr. Balfour und fuhr mit Schreiben fort. Nach einer Weile fügte er die Unterschrift hinzu, überflog noch einmal das Geschriebene und wandte sich dann wieder an mich. »Also hier habt Ihr Euren Empfehlungsbrief, Mr. David. Ich setze mein Siegel darauf, ohne ihn zu verschließen, und übergebe ihn Euch offen, wie es die Sitte verlangt. Da ich aber vollständig im Dunkeln tappe, will ich ihn Euch rasch einmal vorlesen, damit Ihr sehen könnt, ob Euch damit gedient ist:

›Pilrig, den 26. August 1751.

Mylord, – Dieser Brief möchte Eurer Wohlgeneigtheit meinen Namensvetter und Verwandten, David Balfour von Shaw, empfehlen, einen jungen Herrn von untadeliger Herkunft und ansehnlichem Vermögen. Er hat des weiteren die wertvolleren Vorteile einer gottesfürchtigen Erziehung genossen, und seine politischen Grundsätze entsprechen ganz Eurer Lordschaft Wünschen. Ich genieße nicht Mr. Balfours Vertrauen, aber er hat, wenn ich ihn recht verstehe, Eurer Lordschaft eine Angelegenheit zu unterbreiten, die Seiner Majestät Dienste und Rechtspflege betrifft: Dinge, von denen bekannt ist, wie sehr sie Eurer Lordschaft am Herzen liegen. Ich muß noch hinzufügen, daß einige seiner Freunde des jungen Herrn Absichten kennen und billigen, und daß sie mit hoffnungsvoller Besorgnis deren Gelingen und Scheitern verfolgen.‹

Und dann«, fuhr Mr. Balfour fort, »habe ich noch mit den üblichen Höflichkeitsfloskeln meine Unterschrift daruntergesetzt. Ihr seht, es ist von ›einigen seiner Freunde‹ die Rede; hoffentlich habe ich damit nicht zuviel gesagt?«

»Durchaus nicht, Sir; meine Absichten werden von mehr als einem gebilligt«, entgegnete ich. »Und Euer Brief, für den ich Euch von ganzem Herzen danke, besagt alles, was ich mir nur wünschen kann.«

»Ich habe hineingepreßt, was mir nur irgend möglich war,« erklärte er, »und soweit ich über die Angelegenheit, in die Ihr Euch mischen sollt, unterrichtet bin, kann ich nur Gott bitten, daß es genügen möge.«

Viertes Kapitel


Der Lord Staatsanwalt Prestongrange

Mein Verwandter hielt mich noch zum Mittagessen fest, »um der Ehre des Hauses willen«, behauptete er; und ich glaube, ich legte den Rückweg um so rascher zurück. Ich hatte nur den einen Gedanken, auch den nächsten Schritt zu vollenden und mir damit jeden Rückzug abzuschneiden. Für einen Menschen in meiner Lage hatte eine derartige Geste, die der Unentschlossenheit und der Versuchung scheinbar einen Riegel vorschob, an sich schon etwas ungemein Verlockendes; um so enttäuschter war ich, als ich Prestongranges Haus erreichte und die Auskunft erhielt, daß er ausgegangen sei. Dies traf, glaube ich, für den Anfang und für die darauffolgenden paar Stunden auch zu; später war ich jedoch überzeugt, daß er nach Hause gekommen war und in einem der benachbarten Zimmer mit seinen Freunden tafelte, während man meine Anwesenheit wahrscheinlich ganz vergessen hatte. Wohl ein dutzendmal war ich nahe daran, wieder wegzugehen, und ich hätte es auch getan, wäre nicht das starke Verlangen gewesen, auf der Stelle meine Erklärung abzugeben, um mich dann mit reinem Gewissen schlafen legen zu können. Anfänglich beschäftigte ich mich mit Lesen, denn das kleine Arbeitszimmer, in dem man mich warten ließ, enthielt eine Menge Bücher. Aber ich fürchte, ich zog nur wenig Nutzen aus meiner Lektüre, und da die Dämmerung infolge des trüben Wetters früher als gewöhnlich einsetzte und mein Zimmer nur von einem einzigen kleinen Fenster erhellt wurde, war ich schließlich gezwungen, auch diesen Zeitvertreib (sofern es wirklich einer war) aufzugeben und den Rest der Zeit in überaus quälendem Nichtstun zu verbringen. Nur das Stimmengewirr im Nebenzimmer und die einschmeichelnden Töne eines Spinetts sowie einmal ein Lied, von einer Dame gesungen, leisteten mir gleichsam Gesellschaft.

Ich weiß nicht, wieviel Uhr es war; aber es war lange schon dunkel geworden, als die Tür zum Arbeitszimmer aufging und ich auf der Schwelle im Licht des Nebenraumes die hohe Gestalt eines Mannes erblickte. Ich erhob mich sogleich.

»Ist jemand hier?« fragte er. »Wer ist dort?«

»Ich bin der Überbringer eines Schreibens von dem Herrn von Pilrig an den Lord Staatsanwalt«, antwortete ich.

»Seid Ihr schon lange hier?« erkundigte er sich.

»Ich möchte nicht erraten, wieviele Stunden«, erwiderte ich.

»Das ist das erste, was ich davon höre«, meinte er mit einem leisen Lachen. »Die Burschen müssen Euch vergessen haben. Aber Ihr seid nun endlich am Ziel, denn ich bin Prestongrange.«

Mit diesen Worten schritt er an mir vorüber in das benachbarte Zimmer, wohin ich ihm auf seinen Wink folgte, und wo er eine Kerze anzündete und auf einen Schreibtisch stellte. Es war ein langgestreckter Raum von ansehnlichem Ausmaß, an den Wänden ganz mit Büchern bedeckt. Der schwache Lichtstrahl in der einen Ecke fiel auf die stattliche Gestalt und auf das energische Gesicht des Mannes. Es war gerötet, seine Augen tränten und funkelten hell, und ich bemerkte, daß er einigemal unsicher hin und her schwankte, ehe er sich setzte. Ohne Zweifel hatte er reichlich getrunken, aber er war vollkommen Herr seines Verstandes und seiner Zunge.

»Nun, Sir, nehmt Platz«, sagte er, »und laßt sehen, was Pilrig schreibt.«

Er durchflog den Brief anfänglich nur ganz oberflächlich, indem er bei meinem Namen aufblickte und mir eine Verbeugung machte; bei den letzten Worten jedoch verdoppelte er seine Aufmerksamkeit, und ich bin sicher, daß er sie zweimal las. Ihr könnt Euch denken, wie mir während dieser Zeit das Herz klopfte, denn jetzt hatte ich endgültig meinen Rubikon überschritten und mich in die Schlacht begeben.

»Ich freue mich, Euch kennenzulernen, Mr. Balfour«, sagte er, als er geendet hatte. »Darf ich Euch ein Glas Wein anbieten?«

»Mit Verlaub, Mylord, ich täte mir selbst unrecht, es anzunehmen«, entgegnete ich. »Wie Ihr aus dem Briefe erseht, bin ich in einer für mich sehr ernsten Sache hierher gekommen; und da ich Wein nicht gewöhnt bin, könnte er mir leicht zu Kopf steigen.« »Wie Ihr wollt,« meinte er, »aber ich glaube, ich werde mit Eurer Erlaubnis für mich eine Flasche kommen lassen.«

Er klingelte, und wie auf ein verabredetes Signal erschien ein Lakai mit Wein und Gläsern.

»Wollt Ihr wirklich nicht mithalten?« erkundigte sich der Staatsanwalt. »Nun denn, auf unsere nähere Bekanntschaft! Womit kann ich Euch dienen?«

»Ich sollte vielleicht mit der Mitteilung beginnen, Mylord, daß ich auf Eure dringende Einladung hier bin«, sagte ich. »Da seid Ihr mir gegenüber irgendwo im Vorteil,« versetzte er, »denn ich muß gestehen, vor heute abend habe ich meines Wissens nach nie von Euch gehört.« »Das stimmt, Mylord, der Name dürfte Euch wirklich fremd sein«, sagte ich. »Und doch ist Euch seit langem sehr viel daran gelegen, meine Bekanntschaft zu machen, und Ihr habt dergleichen öffentlich erklärt.« »Ich wollte, Ihr gäbet mir irgendeinen Anhaltspunkt«, meinte er. »Ich bin kein Hexenmeister.«

»Vielleicht wird die Mitteilung genügen,« sagte ich, »daß ich bei Euer Lordschaft, wäre ich zum Scherzen aufgelegt – was durchaus nicht der Fall ist – Anspruch auf zweihundert Pfund erheben dürfte.« »Inwiefern?« forschte er. »Insofern, als auf Einlieferung meiner Person eine Belohnung ausgesetzt ist«, lautete meine Antwort.

Er schob sein Glas ein für allemal weit von sich und setzte sich in dem Stuhl, in dem er es sich bisher bequem gemacht hatte, kerzengerade aufrecht. »Was soll das heißen?« fragte er.

»Ein großer, kräftiger Bursche von etwa achtzehn Jahren«, zitierte ich, »spricht wie ein Tiefländer und trägt keinen Bart.« »Ich kenne diese Worte,« sagte er, »und sie können Euch, falls Ihr in der unangebrachten Absicht, Euch einen Scherz zu erlauben, hierhergekommen seid, teuer zu stehen kommen.« »Mein Wollen in dieser Angelegenheit«, entgegnete ich, »ist genau so ernst wie das Leben oder der Tod. Ihr habt mich restlos verstanden. Ich bin der Bursche, der mit Glenure sprach, als er erschossen wurde.«

»Ich kann nur annehmen (da Ihr hier steht), daß Ihr unschuldig zu sein behauptet«, sagte er.

»Die Folgerung liegt auf der Hand«, erwiderte ich. »Ich bin ein sehr guter Untertan König Georgs; doch wenn ich mir irgend etwas vorzuwerfen hätte, ich besäße mehr Vernunft, als mich in die Höhle des Löwen zu begeben.« »Das freut mich, Mr. Balfour«, sagte er. »Dies abscheuliche Verbrechen ist von einer Art, die jede Milde ausschließt. Blut ist auf barbarische Weise vergossen worden. Es ist vergossen worden in direkter Auflehnung gegen Seine Majestät und gegen unseren ganzen Gesetzeskodex, und zwar von denen, die als seine offenen Widersacher bekannt sind. Ich nehme diesen Fall sehr ernst. Ich will nicht leugnen, daß ich dies Verbrechen als direkt persönlich gegen Seine Majestät gerichtet ansehe.« »Und zum Unglück auch gegen eine andere hochgestellte Persönlichkeit, die vielleicht ungenannt bleiben möchte«, fügte ich ein wenig trocken hinzu.

»Wenn Ihr mit Euren Worten irgend etwas sagen wollt, so muß ich Euch erklären, daß ich sie im Munde eines getreuen Untertanen höchst unziemlich finde; und wären sie in der Öffentlichkeit gesprochen, ich würde es als meine Pflicht erachten, davon Notiz zu nehmen«, sagte er. »Ihr scheint mir den Ernst Eurer Lage nicht ganz begriffen zu haben, oder Ihr würdet Euch hüten, sie durch Reden zu verschlimmern, die die Reinheit der Justiz anzweifeln. Die Justiz macht in diesem Lande und in meinen geringen Händen vor keiner Person halt.«

»Ihr mißt meiner Rede eine zu persönliche Bedeutung bei, Mylord«, entgegnete ich. »Ich wiederhole nur, was im ganzen Lande Gemeingut ist, und was ich während meiner Reise überall von Leuten jeder politischen Richtung habe sagen hören.«

»Wenn Ihr älter und verständiger geworden seid, werdet Ihr begreifen, daß man derartiges Gerede nicht beachtet, geschweige denn wiederholt«, erklärte der Staatsanwalt. »Doch ich spreche Euch von jeder bösen Absicht frei. Jener Edelmann, den wir alle ehren, und der durch diese letzte Barbarei empfindlich getroffen worden ist, steht allzu hoch, als daß derartige Insinuationen ihn zu beleidigen vermöchten. Der Herzog von Argyle – Ihr seht, daß ich ganz offen mit Euch rede – nimmt sich die Angelegenheit zu Herzen, wie auch ich das tue, und wie wir beide es durch unsere juristischen Funktionen im Dienste Seiner Majestät zu tun verpflichtet sind. Ich wünschte nur, alle Hände wären in dieser argen Zeit so rein von Familienranküne. Jedoch der Zufall, daß wieder einmal ein Campbell das Opfer seiner Pflicht geworden ist – und wer, wenn nicht die Campbells, haben sich von jeher in die vordersten Reihen gestellt, wenn es galt, diesen Pfad zu beschreiten – das darf ich, der ich kein Campbell bin, getrost behaupten – – jener Zufall, wie gesagt, und die Tatsache, daß das Oberhaupt dieses großen Hauses gleichzeitig (zu unser aller Vorteil) auch das gegenwärtige Oberhaupt des Justizkollegiums ist, haben kleine Geister und mißvergnügte Zungen in jedem Wirtshaus des Landes in Aufruhr versetzt; und ich sehe einen jungen Gentleman wie Mr. Balfour so schlecht beraten, sich zu deren Echo zu erniedrigen.« Bisher hatte er mit stark rednerischer Pose wie vor versammeltem Gerichtshof gesprochen, jetzt aber fiel er wieder in die Art eines Gentleman. »Das für Euch privat«, meinte er. »Jetzt muß ich nur noch wissen, was ich mit Euch eigentlich anfangen soll.«

»Ich hatte gedacht, das würde ich von Eurer Lordschaft erfahren«, erwiderte ich. »Schon gut«, erklärte der Lord Staatsanwalt. »Doch seht, Ihr seid mit guten Empfehlungsschreiben zu mir gekommen, und es steht ein guter, ehrlicher Whigname unter diesem Brief«, fuhr er fort, ihn einen Augenblick vom Tische nehmend. »Und – außergerichtlich, Mr. Balfour – es gibt immer die Möglichkeit zu irgendeinem Ausgleich. Ich mache Euch darauf aufmerksam, und zwar gleich von vorneherein, damit Ihr auf Eurer Hut seid: Euer Schicksal ruht einzig und allein in meinen Händen. In dergleichen Dingen bin ich (mit aller Ehrfurcht zu vermelden ) mächtiger als Seine Majestät der König; und wenn Ihr mir im Verlaufe unserer Auseinandersetzung gefallt – – und selbstverständlich auch mein Gewissen beruhigt – – so kann, was jetzt noch zwischen uns vorgeht, unter uns bleiben.«

»Wie meint Ihr das?« erkundigte ich mich.

»Ich meine, Mr. Balfour,« entgegnete er, »keine Seele braucht auch nur von Eurem Besuch in meinem Hause zu erfahren, wenn Ihr mir eine befriedigende Erklärung gebt. Ihr seht, ich rufe nicht einmal meinen Schreiber herein.« Ich merkte, worauf er hinaus wollte. »Ich vermute, es ist wirklich überflüssig, daß irgend jemand von meinem Besuche erfährt,« sagte ich, »obwohl ich nicht sehe, was mir das nützen soll. Ich schäme mich durchaus nicht, hierhergekommen zu sein.«

»Und habt auch gar keine Ursache dazu«, meinte er in aufmunterndem Tone. »Ebenso wie Ihr die Folgen (wenn Ihr besonnen seid) nicht zu befürchten braucht.« »Mylord,« sagte ich, »ich bin, mit Eurer gütigen Erlaubnis, nicht so leicht ins Bockshorn zu jagen.« »Das ist auch gewiß nicht meine Absicht«, erwiderte er. »Doch nun zu dem Verhör; und ich warne Euch noch einmal, antwortet nur auf das, was ich Euch fragen werde, ohne von Euch aus etwas hinzuzufügen. Das kann für Eure Sicherheit von größter Bedeutung sein; ich bin ganz außerordentlich diskret, aber alles hat seine Grenzen.« »Ich werde versuchen, Eurer Lordschaft Rat zu befolgen«, antwortete ich.

Er breitete ein Stück Papier auf dem Tische aus schrieb die Überschrift. »Es scheint, daß Ihr im Walde von Lettermore zugegen waret und am Wegrande standet, als der tödliche Schuß abgegeben wurde«, begann er. »War das ein Zufall?«

»Ein Zufall«, entgegnete ich. »Wie kam es, daß Ihr mit Colin Campbell spracht?« forschte er. »Ich erkundigte mich bei ihm nach dem Wege nach Aucharn«, antwortete ich. Ich bemerkte, daß er diese Entgegnung nicht niederschrieb. »Hm, wahr,« meinte er, »das hatte ich vergessen. Und soll ich Euch raten, Mr. Balfour? Ich würde an Eurer Stelle so wenig wie möglich bei Euren Beziehungen zu diesen Stuarts verweilen. Das könnte unser Geschäft bedeutend erschweren. Ich bin einstweilen nicht geneigt, diese Dinge als wesentlich zu betrachten.« »Ich dachte, Mylord, in einem solchen Falle wären alle Einzelheiten gleich wesentlich«, bemerkte ich. »Ihr vergeßt, wir haben es mit diesen Stuarts zu tun«, erwiderte er mit vielsagender Betonung. »Sollte es je dazu kommen, daß wir auch Euch vor die Schranken stellen, so ändert das die Lage ganz und gar, und ich werde alsdann die nämlichen Fragen, über die ich jetzt bereit bin, hinwegzugleiten, mit besonderer Schärfe verfolgen. Doch zur Sache: hier in Mr. Mungos Aussage steht, Ihr wäret sofort den Hügel hinaufgelaufen. Wie kam das?«

»Nicht unmittelbar darauf, Mylord, und die Ursache war, daß ich den Mörder erblickte.«

»Ihr saht ihn also?« »So deutlich wie ich Eure Lordschaft hier vor mir sehe, wenn auch nicht ganz so nah.«

»Würdet Ihr ihn wiedererkennen?«

»Das würde ich.« »Ihr waret bei Eurer Verfolgung also nicht so glücklich, ihn einzuholen?«

»Nein.« »War er allein?«

»Er war allein.« »Es war also niemand anders in der Nähe?«

»Alan Breck Stuart befand sich nicht weit davon entfernt im Walde.« Der Staatsanwalt legte sein Feder weg. »Ich glaube, wir reden hier aneinander vorbei,« sagte er, »und der Spaß dürfte Euch teuer zu stehen kommen.« »Ich bin zufrieden, Eurer Lordschaft Rat zu befolgen,« entgegnete ich, »und antworte lediglich auf das, was man mich fragt.« »Dann seid so klug, Euch rechtzeitig zu besinnen,« antwortete er; »ich behandle Euch mit denkbar größter Schonung, die Ihr indes kaum zu würdigen scheint, und die (wenn Ihr nicht vorsichtiger seid) vergeblich sein könnte.« »Im Gegenteil, ich weiß Eure Nachsicht vollauf zu schätzen, halte sie jedoch für falsch«, entgegnete ich, und fast wollte die Stimme mir versagen; denn ich erkannte, daß jetzt endlich der Kampf zwischen uns begonnen hatte. »Ich stehe hier, um gewisse Aussagen zu machen, kraft derer ich Euch überzeugen will, daß Alan an dem Morde Glenures keinen Anteil hatte.« Der Staatsanwalt schien einen Augenblick fassungslos. Da saß er, die Lippen aufgeworfen, und blinzelte mich an wie eine zornige Katze. »Mr. Balfour,« meinte er schließlich, »ich sage es Euch rund heraus: Euer Verhalten läuft Euren Interessen stracks zuwider.« »Mylord«, entgegnete ich, »ich bin von dem Vorwurf, in dieser Sache meine eigenen Interessen berücksichtigen zu wollen, so frei wie Eure Lordschaft selbst. So wahr Gott mich sieht, verfolge ich nur den einen Zweck, der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen und Unschuldige von Verdacht zu reinigen. Wenn ich mir dabei Eurer Lordschaft Ungnade zuziehe, muß ich das ertragen, so gut ich kann.«

Nach diesen Worten erhob er sich von seinem Sessel, zündete eine zweite Kerze an und blickte mir eine Weile fest ins Gesicht. Zu meiner Überraschung war eine große Veränderung mit ihm vorgegangen; er sah sehr ernst und, wenn ich mich nicht irre, fast ein wenig bleich aus. »Ihr seid entweder höchst einfältig oder das gerade Gegenteil, und ich sehe, ich muß vertraulicher mit Euch reden«, sagte er schließlich. »Das hier ist ein politischer Fall, – ja, ja, ein politischer Fall, Mr. Balfour! – ob wir es nun wollen oder nicht – und ich zittere, wenn ich seine möglichen Folgen bedenke. An einen politischen Fall gehen wir – das brauche ich einem jungen Manne von Eurer Bildung wohl kaum erst zu sagen – mit ganz anderen Gedanken heran als an einen rein kriminellen. Salus populi suprema lex, das ist ein Maxim, das wir sonst nur in den Gesetzen der Natur wiederfinden: ich meine, es besitzt die Kraft der Notwendigkeit. Ich will Euch das, mit Verlaub, näher erklären. Ihr wollt mir weismachen – « »Verzeihung, Mylord, ich will Euch nur glauben machen, was ich beweisen kann«, unterbrach ich ihn. »Pah, pah, junger Herr!« lautete seine Antwort, »seid nicht gar so pragmatisch und erlaubt einem Manne, der Euer Vater (wenn nicht Euer Großvater) sein könnte, seine eigene, unvollkommene Redeweise zu gebrauchen und seine eigene bescheidene Meinung zu sagen, selbst wenn sie das Unglück hat, mit Mr. Balfours nicht übereinzustimmen. Ihr wollt mir einreden, daß Alan Breck unschuldig ist. Ich würde das, an sich, für unwichtig halten, zumal wir des Mannes nicht habhaft werden können. Doch die Frage nach Brecks Unschuld ist von weittragenderer Bedeutung. Würden wir seine Unschuld zugestehen, so wäre damit zugleich unsere ganze Anklage gegen einen zweiten und ganz andersartigen Verbrecher hinfällig geworden, gegen einen Mann, der alt und grau geworden ist in Hochverrat, der bereits zweimal die Waffen gegen seinen König ergriffen hat und zweimal begnadigt worden ist, gegen einen Volksaufwiegler und gegen den eigentlichen Anstifter der Tat (ganz gleich, wer den Schuß abfeuerte). Ich brauche Euch nicht erst zu sagen, daß ich James Stuart meine.«

»Und ich kann nur genau so offen erklären, daß Alans und James‘ Unschuld der Grund ist, weswegen ich privatim vor Eurer Lordschaft stehe, und daß ich, wenn nötig, bereit bin, sie in der öffentlichen Verhandlung durch meine Zeugenaussage zu beweisen.« »Worauf ich nur mit der gleichen Offenheit antworten kann, Mr. Balfour,« entgegnete er, »daß ich Euch (in diesem Falle) nicht als Zeuge aufrufen werde und Euch hiermit ersuche, Eure Auslagen in toto für Euch zu behalten.« »Ihr seid ein Oberhaupt der Justiz dieses Landes,« rief ich, »und Ihr schlagt mir ein derartiges Verbrechen vor?« »Ich bin ein Mann, der mit beiden Händen die Interessen dieses Landes pflegt,« erwiderte er, »und überrede Euch lediglich zu einer politischen Notwendigkeit. Vaterlandsliebe ist nicht durchwegs moralisch im formalen Sinne. Ihr solltet Euch eigentlich darüber freuen; die Indizien sprechen stark gegen Euch, und wenn ich mich noch immer bemühe, Euch von einem überaus gefährlichen Schritt zurückzuhalten, so geschieht das teils Eurer Ehrlichkeit wegen, hierherzukommen, für die ich nicht unempfänglich bin, und teils wegen Pilrigs Brief; in der Hauptsache aber, weil ich in dieser Sache an erster Stelle meine politische Pflicht und erst an zweiter Stelle meine Pflicht als Justizbeamter berücksichtige. Aus dem nämlichen Grunde – ich wiederhole es mit denselben ungeschminkten Worten – will ich Eure Aussagen nicht.« »Ich möchte nicht als fürwitzig erscheinen, wenn ich lediglich unsere beiderseitige Position kennzeichne«, entgegnete ich. »Aber ob auch Eure Lordschaft Aussage nicht brauchen können, glaube ich doch, daß die andere Partei sich sehr darüber freuen würde.« Prestongrange erhob sich und begann, im Zimmer auf und ab zu schreiten. »Ihr seid nicht so jung, daß Ihr Euch nicht genau des Jahres ’45 erinnern könntet und des Schreckens, der damals im ganzen Lande herrschte. Aus Pilrigs Brief ersehe ich, Eure kirchlichen und politischen Anschauungen sind gesund. Wer hat sie in jenem verhängnisvollen Jahr gerettet? Ich denke dabei nicht an Seine Königliche Hoheit und an seine Ladestöcke, obzwar sie seinerzeit sehr nützlich waren. Das Land wurde gerettet und die Schlacht gewonnen, bevor noch Cumberland nach Drummossie kam. Wer hat es gerettet? Ich frage Euch noch einmal. Wer hat die protestantische Religion und den gesamten Bau unserer bürgerlichen Institutionen gerettet? An erster Stelle der verstorbene Lord Präsident Culloden; er handelte wie ein Mann, und der Dank, den er dafür erntete, war gering, so wie ich, den Ihr hier vor Euch seht, jeden Nerv im Dienste der Sache anspanne und keinen anderen Lohn erwarte als das Bewußtsein, meine Pflicht getan zu haben. Und wer an zweiter Stelle? Ihr kennt die Antwort so gut wie ich; teils haben sie einen Skandal daraus gemacht, auf den Ihr vorhin selbst anspieltet und dessentwegen ich Euch tadelte, am Anfange, als Ihr zu mir kamt. Es war der Herzog und der große Clan Campbell. Und jetzt ist ein Campbell heimtückisch ermordet worden, und obendrein noch im Dienste des Königs. Der Herzog und ich sind beide Hochländer. Aber wir sind zivilisierte Hochländer, und auf die große Masse unserer Clans und Familien trifft das nicht zu. Sie haben noch ihre barbarischen Tugenden und Fehler. Sie sind Wilde geblieben, wie diese Stuarts, mit dem einzigen Unterschied, daß die Campbells auf der richtigen Seite, die Stuarts aber auf der falschen stehen. Nun urteilt selbst. Die Campbells rechnen mit ihrer Rache. Bekommen sie sie nicht – geht dieser Mann James frei aus – dann gibt es Unruhen unter den Campbells. Und das bedeutet Aufruhr in den Hochlanden, die immer unruhig und durchaus nicht entwaffnet sind: die Entwaffnung ist eine Posse –« »Darin muß ich Euch recht geben«, bestätigte ich. »Aufruhr in den Hochlanden jedoch verschafft unseren wachsamen, alten Feinden die Gelegenheit, derer sie harren«, fuhr Seine Lordschaft fort, im Auf- und Abgehen jeden Satz mit dem Finger unterstreichend, »und ich gebe Euch mein Wort, daß wir ein zweites ’45 erleben werden, aber mit den Campbells auf der anderen Seite. Um das Leben dieses James Stuart zu retten – ein Leben, das er ein halbes dutzend Mal in anderen Dingen, wenn nicht in diesem verwirkt hat –, wollt Ihr Euer Vaterland in einen Krieg hineinhetzen, den Glauben Eurer Väter in Gefahr bringen und das Leben und Vermögen vieler tausend Unschuldiger aufs Spiel setzen? – Das sind Bedenken, die bei mir und, wie ich hoffe, auch bei Euch, der Ihr Euer Land, eine tüchtige Regierung und die Wahrheiten der Religion liebt, schwer in die Wagschale fallen, Mr. Balfour.« »Ihr sprecht sehr offen mit mir, und ich danke Euch dafür«, sagte ich. »Ich will versuchen, nun meinerseits nicht weniger aufrichtig zu sein. Ich halte Eure Politik für vernünftig. Ich glaube gern, daß diese hohen Pflichten Eurer Lordschaft auferlegt sind; ich glaube, daß Ihr sie mit Eurem Amtseid Eurem Gewissen auferlegt habt. Doch mir, der ich ein einfacher Mann – oder kaum erst ein Mann bin – müssen die einfachen Pflichten genügen. Ich kann nur zwei Dinge bedenken: die arme Seele, die sich in unmittelbarer Gefahr eines schändlichen und ungerechten Todes befindet, und die Tränen und Klagen seiner Frau, die mir noch immer in den Ohren klingen. Weiter vermag ich nicht zu sehen, Mylord. Ich bin wohl nun einmal so beschaffen. Soll das Land untergehen, so muß es untergehen. Und möge Gott mich erleuchten, wenn dies vorsätzliche Blindheit ist.« Er hatte mich regungslos angehört und stand noch eine Weile, ohne sich zu rühren. »Das ist ein unerwartetes Hindernis«, sagte er laut, aber zu sich selber. »Und was wollen Euer Lordschaft mit mir anfangen?« fragte ich. »Ihr wißt doch, ich könnte Euch, wenn ich es wollte, heute nacht im Gefängnis schlafen lassen.« »Mylord,« entgegnete ich, »ich habe schon an schlimmeren Orten genächtigt.« »Nun, mein Junge,« sagte er, »das eine geht klar aus unserer Unterredung hervor: ich kann mich auf Euer Wort verlassen. Gebt mir Euer Ehrenwort, daß Ihr sowohl über das, was heute nacht hier vorgegangen ist, wie auch über den ganzen Appiner Mord schweigen werdet, und ich lasse Euch die Freiheit.« »Ich will es Euch bis morgen oder bis zu irgendeinem anderen nahen Tag versprechen«, entgegnete ich. »Ich möchte nicht als zu schlau erscheinen, aber würde ich mein Wort ohne jede Einschränkung geben, dann hätten Euer Lordschaft ja den Zweck erreicht.« »Ich hatte nicht die Absicht, Euch eine Falle zu stellen«, versetzte er. »Davon bin ich überzeugt.« »Laßt sehen«, fuhr er fort. »Morgen ist Sonntag. Kommt Montag früh um acht Uhr wieder und gebt mir bis dahin Euer Wort.« »Von Herzen gern, Mylord,« erwiderte ich, »und was Eure Äußerung zu mir betrifft, so will ich versprechen, zu schweigen, solange es Gott gefallen mag, Euch am Leben zu erhalten.« »Ihr werdet bemerkt haben,« meinte er alsdann, »daß ich keinerlei Drohungen gebraucht habe.« »Wie es von Eurer Lordschaft Edelmut zu erwarten war«, sagte ich. »Und doch bin ich nicht ganz so dumm, als daß ich die Natur der Drohungen, die unausgesprochen blieben, nicht erkannt hätte.«

»Nun,« sagte er, »ich wünsche Euch gute Nacht. Schlaft wohl, das ist mehr, als ich wahrscheinlich tun werde.« Dann griff er seufzend nach der Kerze und geleitete mich zur Haustür.

Fünftes Kapitel


Im Hause des Staatsanwalts

Am nächsten Tage, Sonntag, den 27. August, hatte ich die langerhoffte Gelegenheit, einige der Edinburger Prediger zu hören, die ich aus den Reden Mr. Campbells schon so gut kannte. Umsonst: ebenso gut hätte ich in Essendean zu Füßen des würdigen Mr. Campbell selbst sitzen können! Der Aufruhr meiner Gedanken, die ständig bei der Unterredung mit Prestongrange weilten, hinderte mich an jeglichem Zuhören. Die Logik der geistlichen Herren machte in Wahrheit weit geringeren Eindruck auf mich als das Schauspiel der gedrängt vollen Kirchen, das meiner Meinung nach weit eher einer Theatervorstellung oder (meiner damaligen Stimmung entsprechend) der Sitzung eines Affisengerichts glich. Vor allem war das in der Westkirche der Fall, wohin ich mich in der vergeblichen Hoffnung, Miß Drummond zu treffen, begeben hatte. Am Montag besuchte ich zum erstenmal einen Barbierladen und verließ ihn, äußerst befriedigt von dem Resultat. Von dort ging ich zum Staatsanwalt, wo vor der Tür wieder die Rotröcke harrten: der einzige leuchtende Fleck in dem düsteren Hofe. Ich spähte nach der jungen Dame und ihren Leuten aus: nirgends eine Spur von ihnen. Kaum jedoch hatte man mich in das Arbeitskabinett oder Wartezimmer geführt, in dem ich am Samstag so quälende Stunden verbracht hatte, als ich in einer Ecke die hohe Gestalt James Mores erblickte. Er schien von peinlichster Unruhe ergriffen; seine Hände und Füße zuckten und seine Augen schweiften unstet hier und dort an den Wänden des kleinen Raumes umher, was mir mit einem Gefühl des Mitleids seine elende Lage zu Bewußtsein brachte. Wahrscheinlich geschah es teils deswegen, teils seiner Tochter zuliebe, daß ich mich überwand, ihn anzureden. »Schön guten Morgen, Sir«, begann ich.

»Guten Morgen«, antwortete er.

»Ihr habt eine Verabredung mit Prestongrange?« fuhr ich fort. »In der Tat, Sir, und ich hoffe zu Gott, daß Eure Geschäfte mit diesem Herrn angenehmer sein mögen als die meinigen«, lautete seine Entgegnung. »Hoffentlich dauern die Eurigen wenigstens nicht gar zu lange,« sagte ich, »ich vermute, Ihr habt den Vortritt.« »Alle anderen haben mir gegenüber den Vortritt«, erwiderte er achselzuckend und mit einer hilflosen Gebärde. »Es war nicht immer so, Sir, aber die Zeiten ändern sich. So war es nicht, als das Schwert noch etwas galt, junger Herr, und die Tugenden des Soldaten gewürdigt wurden.« Der Mann hatte eine weinerlich verlogene Hochländerart, die mir einen seltsamen Ekel verursachte.

»Nun, Mr. McGregor,« sagte ich »soviel ich weiß, ist Schweigen das erste Gebot des Soldaten und Standhaftigkeit die vornehmste seiner Tugenden.« »Ihr kennt, wie ich sehe meinen Namen,« – er verbeugte sich vor mir, die Arme über der Brust gekreuzt – »obwohl ich selbst ihn nicht führen darf. Das nenn ich mir Berühmtheit – nun, ich habe meinen Namen vor meinen Feinden allzuoft gebraucht und ihnen zu oft ins Antlitz geschaut; da darf man sich nicht wundern, wenn Name wie Aussehen vielen bekannt sind, die ich nicht kenne.« »Die Ihr nicht im geringsten kennt, Sir,« entgegnete ich, »und die bis heute auch niemand kennen dürfte. Doch wenn Ihr meinen Namen zu erfahren wünscht – ich heiße Balfour.« »Ein guter Name«, war die höfliche Antwort; »viele anständige Leute führen ihn. Nun ich mich erinnere, war da im Jahre ’45 ein Namensvetter von Euch in meinem Bataillon, ein Armeechirurgus.« »Das wird wohl ein Bruder Balfours von Baith sein«, erwiderte ich, denn auf den Chirurgus war ich mittlerweile vorbereitet. »Der nämliche, Sir«, sagte James More. »Und da ich Eures Verwandten Waffenbruder war, müßt Ihr schon erlauben, daß ich Euch die Hand drücke.« Er schüttelte mir lange und fast liebevoll die Hand, wobei er mit strahlendem Wohlwollen auf mich herabblickte, wie auf einen lang vermißten Bruder. »Ah!« sagte er, »die Zeiten haben sich geändert, seit Euer Vetter und ich die Kugeln um unsere Ohren pfeifen hörten.« »Ich glaube, er war nur ein Vetter zehnten Grades,« erwiderte ich trocken, »und muß Euch noch sagen, daß ich ihn mein Lebtag nicht zu Gesicht bekommen habe.» »Wirklich?« fragte er. »Aber das ändert gar nichts. Und Ihr selbst – ich glaube kaum, daß Ihr selbst im Felde standet, Sir, jedenfalls erinnere ich mich nicht deutlich Eures Gesichts, das man doch so leicht nicht vergißt.« »In dem Jahre, von dem Ihr redet, Mr. McGregor, erhielt ich noch in der Gemeindeschule meine Prügel«, erwiderte ich. »So jung!« rief er. »Ah, dann werdet Ihr niemals ermessen können, was dieses Zusammentreffen für mich bedeutet. Hier in der Stunde meiner Bedrängnis, im Hause meines Feindes, begegne ich dem Blutsverwandten eines alten Kameraden – es macht mir Mut, wie das Schrillen der Sackpfeifen. Ein trauriger Rückblick, Sir, der sich für manchen von uns auftut, und den gar mancher nur durch Tränen sieht! Ich habe in meinem eigenen Lande wie ein König gelebt; mein Schwert, meine Berge und die Treue meiner Freunde waren mir alles. Und jetzt liege ich in einem stinkenden Gefängnis; und wißt Ihr, Mr. Balfour,« fuhr er, meinen Arm ergreifend und mit mir im Zimmer auf und ab gehend fort, »wißt Ihr, daß es mir manchmal sogar am Allernotwendigsten fehlt? Die Bosheit meiner Feinde hat mein Vermögen beschlagnahmt. Ich bin, wie Ihr wißt, eines erdichteten Verbrechens angeklagt und bin so unschuldig wie Ihr selbst. Sie wagen es nicht, mich vor Gericht zu stellen, und inzwischen leide ich im Gefängnis die ärgsten Entbehrungen. Ich wünschte, ich wäre Eurem Vetter oder seinem Bruder Baith begegnet. Beide wären, wie ich weiß, froh, mir helfen zu können, während ein relativ Fremder wie Ihr – –«

Ich schäme mich, all das erbärmliche Geschwätz, das er mir jetzt in die Ohren goß, und meine kurzen, sehr widerwilligen Antworten zu wiederholen. Mitunter fühlte ich mich stark versucht, ihm mit ein paar Kupfermünzen das Maul zu stopfen; allein, ob nun aus Scham oder Stolz – ob um Catrionas oder meiner selbst willen – ob es geschah, weil ich ihn nicht für würdig hielt, eine solche Tochter zu besitzen, oder weil ich die handgreifliche Unehrlichkeit, die allseits dem Manne anhaftete, nicht vertragen konnte: ich brachte es einfach nicht fertig. Und so redete und schwatzte er immer noch auf mich ein und strich mir Honig ums Maul und führte mich am Arme in jenem winzigen Räume auf und ab – immer drei Schritt in der einen und drei in der anderen Richtung – und schon hatten meine kurzen Absagen begonnen, meinen Schnorrer heftig zu erzürnen, obwohl sie ihn durchaus nicht entmutigten, als Prestongrange auf der Türschwelle erschien und mich eifrig in sein großes Studierzimmer nötigte.

»Ich bin noch einen kurzen Augenblick beschäftigt«, sagte er, »und möchte Euch, damit Ihr Euch nicht langweilt, meinen drei hübschen Töchtern vorstellen, von denen Ihr vielleicht schon gehört haben werdet, denn sie sind, glaube ich, berühmter als ihr Papa. Hierher bitte!« Er ging voran nach einem zweiten, langgestreckten Zimmer im ersten Stock, wo eine verknöcherte, alte Dame an einem Stickrahmen saß und die drei (wie ich glaube) schönsten Mädchen in Schottland zusammen am Fenster standen.

»Mein neuer Freund, Mr. Balfour«, sagte er, mich vorstellend. »David, das hier ist meine Schwester, Miß Grant, die so gütig ist, mir die Wirtschaft zu führen, und die sich sehr freuen wird, Euch behilflich zu sein. Und hier,« fuhr er fort, sich an die drei jungen Damen wendend, »hier sind meine ›drei schönen Töchter‹ Eine Frage in Ehren, Mr. David: welche ist die hübscheste? Ich wette, er hat nicht die Unverschämtheit, mir mit des ehrlichen Alan Ramsays Antwort zu kommen!« Hierauf begannen alle drei wie auch die alte Miß Grant ihn des Scherzes wegen auszuschelten, der (da ich die Verse, auf die er anspielte, gut kannte) mich über und über erröten machte. Das Zitat schien mir in dem Munde eines Vaters ganz unverzeihlich, und ich war außerordentlich erstaunt, daß diese Damen darüber lachen konnten, noch während sie es tadelten oder zu tadeln vorgaben. Unter allgemeiner Heiterkeit vollzog Prestongrange seinen Rückzug und ließ mich wie einen Fisch auf dem Trockenen in dieser für mich sehr unpassenden Gesellschaft zurück. Wenn ich in späteren Zeiten auf das Folgende zurückblickte, konnte ich niemals leugnen, daß ich mich ungemein linkisch benahm, und die Damen waren sehr wohlerzogen, so lange Geduld mit mir zu haben. Zwar widmete die Tante ihre ganze Aufmerksamkeit der Stickerei und blickte nur gelegentlich lächelnd auf; aber die Fräulein, besonders die älteste, die zugleich die hübscheste war, erwiesen mir wohl ein Dutzend Aufmerksamkeiten, die ich nur sehr schlecht zu erwidern vermochte. Vergeblich hielt ich mir vor, ich sei doch ein junger Bursch von einigem Wert und gutem Vermögen, und ich hätte es nicht nötig, mich durch diese Mädchen einschüchtern zu lassen, von denen die älteste kaum älter als ich war, und alle sicherlich weniger Bildung besaßen. Vernunft vermochte nichts an der Sache zu ändern, und zuzeiten trieb mir das Bewußtsein, daß ich mich am nämlichen Tage zum erstenmal hatte rasieren lassen, das Blut ins Gesicht.

Da das Gespräch unter diesen Umständen trotz aller Bemühungen nicht recht in Gang kommen wollte, nahm die Älteste sich endlich meiner Unbeholfenheit an und setzte sich an ihr Instrument, auf dem sie eine vollendete Meisterin war, um mir eine Weile sowohl in schottischer wie italienischer Manier vorzuspielen und zu -singen. Das nahm mir ein wenig meine Schüchternheit, und in Erinnerung an Alans Lied, das er mich in einer Höhle in der Nähe von Carriden gelehrt hatte, war ich so kühn, ein paar Takte zu pfeifen und sie zu fragen, ob sie es kenne. Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe noch nie einen Ton davon gehört«, entgegnete sie. »Pfeift es mir einmal ganz vor. Und jetzt noch einmal«, fügte sie hinzu, als ich geendet hatte. Dann suchte sie die Melodie auf dem Spinett zusammen und begleitete sie (zu meiner Überraschung) gleich danach mit wohlklingenden Akkorden, während sie mit höchst drolligem Ausdruck im breitesten Dialekt sang:

»Sitzt mir die Weise itzt gut im Ohr?
Klingt so nicht das Lied, das Ihr pfiffet?«

»Wie Ihr seht, kann ich auch dichten, nur will es sich nicht reimen«, bemerkte sie und fuhr dann fort:

»Ich bin Barbara Grant, des Lord Staatsanwalts Tochter,
Und Ihr seid, wie mich dünket, Dauvit Balfour.«

Ich sagte ihr, daß ihr Talent mich in Erstaunen setze. »Und wie heißt die Melodie?« erkundigte sie sich. »Ich kenne ihren richtigen Namen nicht«, entgegnete ich. »Ich nenne sie einfach ›Alans Lied‹.«

Sie sah mir gerade ins Gesicht. »Ich werde sie ›Davids Lied‹ nennen,« meinte sie, »obwohl es mich nicht wundert, falls sie im geringsten den Liedern gleicht, die Euer israelitischer Namensvetter Saul vorsang, daß der König nur wenig Trost daraus schöpfte; es ist eine melancholische Musik. Der andere Name gefällt mir nicht; wenn Ihr also Eure Melodie je wieder hören wollt, müßt Ihr mich schon unter meiner Überschrift darum bitten.« Das wurde mit so vielsagender Betonung gesprochen, daß ich im Herzen erschrak. »Weshalb denn, Miß Grant?« forschte ich. »Nun,« meinte sie, »solltet Ihr je dazu kommen, gehenkt zu werden, so will ich Eure Abschiedsrede und Beichte nach dieser Melodie setzen und singen.« So erhielt ich die unzweifelhafte Gewißheit, daß sie zum Teil wenigstens von meiner Geschichte und der mir drohenden Gefahr unterrichtet war. Aber woher und in welchem Umfange, das war eine schwierigere Frage. Es war klar, sie wußte, daß mit dem Namen Alan irgendeine Gefahr verbunden war und warnte mich auf diese Weise, ihn noch weiter zu erwähnen; es war auch klar, daß sie von dem kriminellen Verdacht wußte, der auf mir ruhte. Ich vermutete ferner, daß die Brutalität ihrer letzten Rede (der sie im übrigen noch ein sehr lautes Musikstück folgen ließ) unserer gegenwärtigen Unterhaltung ein Ende machen sollte. Ich stand also da und gab vor, ihr zuzuhören und ihr Spiel zu bewundern; in Wahrheit jedoch wirbelten mir die Gedanken im Kopfe herum. Stets habe ich bei der betreffenden jungen Dame eine starke Neigung für das Geheimnisvolle gefunden, und sicher ist, daß diese erste Unterredung uns in Tiefen führte, die jedes Lotversuchs spotteten. Das eine habe ich viel später erfahren: man hatte von jenem Sonntag guten Gebrauch gemacht. Der Bankbediente war aufgespürt und mein Besuch bei Charles Stuart entdeckt worden, und man hatte daraus den Schluß gezogen, daß ich mit James und Alan ziemlich tief unter einer Decke stecke und mit dem letzteren wahrscheinlich in ständiger Verbindung stände. Daher hier am Spinett der Wink mit dem Zaunpfahl.

Mitten in diesem Musikstück rief eines der jüngeren Fräulein, das sich an einem der Fenster, die auf den Hof hinausgingen, aufgehalten hatte, ihren Schwestern zu, rasch einmal herzukommen; dort wären wieder die »Grauen Augen«. Alle sprangen eilig auf und drängten sich zusammen, um einen Blick zu erhaschen. Das Fenster befand sich an einer fernen Ecke des Zimmers, unmittelbar über der Haustür, und wurde von dem Hof flankiert.

»Kommt, Mr. Balfour,« riefen sie alle, »kommt her und seht! Ein wunderschönes Geschöpf! Die ganzen letzten Tage hält sie sich zusammen mit den zerlumpten Kerlen hier in einem Winkel des Hofes auf, und doch scheint sie eine vollkommene Dame!«

Ich hatte es nicht nötig, hinzusehen; und ich schaute auch nicht zweimal oder gar zu lange hin. Ich fürchtete, sie könnte mich dort entdecken, wie ich aus dem Musikzimmer auf sie herabblickte, während sie da unten stand und für ihren Vater drinnen im Hause, dessen Bitten ich eben erst zurückgewiesen hatte, vielleicht unter Tränen um Gnade flehte. Aber schon der eine Blick genügte, um mir eine bessere Meinung von mir selbst zu geben und meine Angst vor den Damen zu verscheuchen. Sie waren schön, das stand außer jedem Zweifel, aber Catriona war auch schön, zudem von einer Art innerlichem Feuer wie eine glühende Kohle. In dem Maße, wie die anderen mich bedrückten, steigerte sie mein Selbstvertrauen. Es fiel mir ein, daß ich mich mühelos mit ihr unterhalten hatte. Wußte ich mit diesen vornehmen Fräulein nichts anzufangen, so war das vielleicht deren eigene Schuld. In meine Verlegenheit begann sich jetzt ein wenig Humor zu mischen, der meine Stimmung etwas hob; und wenn die Tante von ihrer Stickerei aufsah und die drei Töchter mir wie einem Baby schöntaten, während auf »Papas Befehl« aus jeder ihrer Mienen zu lesen war, hätte ich mitunter selber lachen mögen.

Nach einer Weile kehrte Papa zurück, immer noch der gütige, fröhliche, liebenswürdige Mann. »Jetzt, Mädchen, muß ich Euch Mr. Balfour wieder entführen; ich hoffe aber, es ist Euch gelungen, ihn zur Rückkehr dorthin zu bewegen, wo ich ihn stets gerne sehen werde.« Also machten sie mir alle ein billiges Kompliment, und ich wurde abgeführt. War dieser Besuch im Schoße der Familie geplant, um meinen Widerstand zu beugen, so scheiterte er kläglich. Ich war kein solcher Esel, nicht zu merken, welche traurige Rolle ich gespielt hatte; und erkannte, daß die Mädchen sich zu Tode gähnen würden, sobald sie nur meinen steifen Rücken sähen. Ich fühlte genau, wie wenig ich gezeigt hatte, was an Zartem und Liebenswürdigem in mir lebte; so sehnte ich mich denn danach, beweisen zu können, daß ich zum mindesten des andern Stoffs, des Harten und Gefährlichen, nicht entbehrte. Nun, ich sollte meinen Willen haben, denn die Szene, die jetzt meiner harrte, war von ganz anderer Art.

Sechsundzwanzigstes Kapitel


Zu Dritt

Ob ich nun wirklich so sehr zu tadeln war und nicht vielmehr Mitleid verdiente, das zu beurteilen, überlasse ich anderen. Mein gesunder Menschenverstand (von dem ich eine gute Portion mitbekommen habe) scheint den Damen gegenüber so ziemlich zu versagen. Kein Zweifel, als ich Catriona weckte, dachte ich in der Hauptsache an die Wirkung auf James More; aus dem nämlichen Grunde benahm ich mich bei meiner Rückkehr, als wir uns alle zum Frühstück niedersetzten, der jungen Dame gegenüber mit ehrerbietiger Zurückhaltung, was, auch heute noch, in meinen Augen das Klügste war. Ihr Vater hatte die Unschuld meiner Freundschaft angezweifelt; diese Zweifel zum Schweigen zu bringen, war meine vornehmste Pflicht. Aber auch zu Catrionas Entschuldigung läßt sich manches anführen. Die Szene zwischen uns war nicht ohne Leidenschaft und Zärtlichkeit gewesen; wir hatten allerlei Liebkosungen getauscht; ich hatte sie mit Gewalt aus dem Zimmer gedrängt, hatte in der Nacht vom Nachbarraume her zu ihr gesprochen; sie hatte stundenlang wach gelegen und geweint, und es ist kaum anzunehmen, daß ich ihren nächtlichen Gedanken ferngeblieben war. Nach allen diesen Dingen wurde sie jetzt mit ungewohnter Förmlichkeit unter der Anrede Miß Drummond geweckt und von da an mit kühler Ehrerbietung behandelt; kein Wunder, daß sie sich in bezug auf meine wahren Gefühle zu gänzlich falschen Schlüssen gedrängt sah und dem schier unfaßlichen Irrtum verfiel, ich bereue mein Verhalten und suche mich jetzt zurückzuziehen. Zwischen uns bestand folgender verhängnisvoller Gegensatz: ich dachte (seitdem mein Blick zum erstenmal auf seinen großen Hut gefallen war) einzig an James More, an seine Rückkehr und an seinen Argwohn, während sie diesen Dingen so völlig gleichgültig gegenüberstand, daß sie sie kaum bemerkte; ihr ganzes Sorgen und Handeln galten dem, was in der verflossenen Nacht zwischen uns vorgefallen war. Das läßt sich teils durch die Unschuld und Kühnheit ihres Charakters, teils durch die Tatsache erklären, daß James More, nachdem er in seiner Unterredung mit mir so schlecht abgeschnitten hatte und seinen Mund durch meine Einladung verschlossen wähnte, kein Wort ihr gegenüber über das Thema fallen ließ. So wurde es schon beim Frühstück klar, daß sie und ich gegeneinander spielten. Ich hatte erwartet, sie in ihren eigenen Kleidern zu finden; ich fand sie (als hätte sie ihren Vater ganz vergessen) in einer der schönsten Toiletten, die ich ihr gekauft hatte, von der sie wußte (oder glaubte), daß ich sie an ihr bewunderte. Ich glaubte und erwartete, sie würde meine Zurückhaltung nachahmen und ungemein kurz und förmlich sein; statt dessen saß sie da mit hochroten Wangen und wilden Blicken; ihre Augen brannten ungewöhnlich hell, der Ausdruck ihres Gesichtes war schmerzlich und unstet, und sie nannte mich in einer Art bittender Zärtlichkeit mit dem Vornamen, kurz, benahm sich in rücksichtsvoller Unterordnung unter all meine Gedanken und Wünsche wie eine besorgte und in ihrer Ehre angezweifelte Gattin. Das dauerte jedoch nicht lange. Als ich sie so achtlos ihren Interessen zuwiderhandeln sah, die ich gefährdet hatte und jetzt zu wahren mich bemühte, verdoppelte ich meine Kälte, wie um dem Mädchen eine Lehre zu geben. Je entgegenkommender sie war, um so zurückhaltender wurde ich; je mehr sie die Intimität unseres Zusammenlebens verriet, um so pointierter wurde meine Höflichkeit, bis selbst ihr Vater (wäre er nicht so vollkommen mit Essen beschäftigt gewesen) diese Abwehr hätte bemerken müssen. Worauf sie ganz plötzlich ihr Benehmen ins Gegenteil verkehrte, und ich mir erheblich erleichtert sagte, daß sie endlich, endlich den Wink begriffen hätte. Den ganzen Tag verbrachte ich im Kolleg und auf der Wohnungssuche; und obwohl die Stunde unseres Spaziergangs elend langsam dahinschlich, muß ich doch gestehen, daß ich im großen und ganzen glücklich war, nun klaren Weg vor mir zu sehen, das Mädchen in den richtigen Händen und den Vater befriedigt oder zum mindesten gefügig zu wissen, während ich selbst in Ehren meine Werbung fortsetzen konnte. Beim Abendessen wie bei allen anderen Mahlzeiten führte James More das Wort. Kein Zweifel, er war ein guter Redner, hätte man nur glauben können. Doch von ihm noch ausführlicher später. Als das Mahl beendet war, erhob er sich, holte seinen Überrock herunter und bemerkte, wobei er mich ansah (wie mich dünkte), er hätte geschäftlich auswärts zu tun. Ich faßte dies als einen Wink auf, gleichfalls zu gehen, und erhob mich auch; worauf das Mädchen, die mich bei meinem Eintritt kaum begrüßt hatte, mich groß ansah, bittend, daß ich bleiben möchte. Da war ich nun zwischen beiden wie ein Fisch auf dem Trockenen; keiner schien mich weiter zu beachten; sie starrte den Fußboden an, er knöpfte seinen Mantel zu; meine Verlegenheit wuchs ins Unermeßliche. Diese scheinbare Gleichgültigkeit deutete ihrerseits auf heftigen, fast unkontrollierbaren Zorn. Von ihm aus schien sie mir entsetzlich beunruhigend; ich war überzeugt, daß sich bei ihm ein Ungewitter zusammenbraute und lieferte mich, da ich diese Gefahr für die größere hielt, sozusagen in seine Hand. »Kann ich irgend etwas für Euch tun, Mr. Drummond?« fragte ich Er unterdrückte ein Gähnen – auch das hielt ich für Schein. »Nun, Mr. David, da Ihr so gütig seid, es vorzuschlagen, könnt Ihr mir den Weg nach einem gewissen Wirtshaus zeigen (er nannte einen Namen), wo ich einige meiner alten Waffenbrüder zu treffen hoffe.« Darauf war nichts zu sagen; ich griff nach Hut und Mantel, um ihn zu begleiten. »Und was dich betrifft,« meinte er, zu seiner Tochter gewandt, »so ist es das Gescheiteste, du legst dich zu Bett. Ich werde spät nach Hause kommen.«

Dann küßte er sie mit ziemlichem Aufwand an Zärtlichkeit und ließ mich vor sich zur Tür hinaus. In meinen Augen geschah das mit Absicht, da auf diese Weise ein Abschiednehmen meinerseits so gut wie unmöglich war; ich bemerkte indes, daß sie mich nicht ansah, und schrieb das ihrer Furcht vor James More zu. Das Wirtshaus lag eine beträchtliche Strecke von unserer Wohnung entfernt. Unterwegs sprach er die ganze Zeit von Dingen, die mich nicht im geringsten interessierten, und entließ mich vor der Tür mit einer leeren Redensart. Von dort ging ich nach meinem neuen Quartier, wo ich nicht einmal einen Kamin, mich zu wärmen, hatte, und keine andere Gesellschaft als meine Gedanken. Diese waren immer noch freundlich genug; ich ahnte auch nicht im Traume, daß Catriona sich gegen mich gewendet hatte; in meinen Augen waren wir verlobt; ich meinte, wir standen zu nahe, hatten zu innig miteinander gesprochen, um durch irgend etwas, am wenigsten aber durch Schritte einer höchst notwendigen Politik, getrennt zu werden. Meine größte Sorge war, welche Art Schwiegervater ich bekommen würde – durchaus nicht die Art, die ich mir gewünscht hatte; dann, wie bald ich wohl mit ihm reden müßte, was in mancher Hinsicht eine delikate Frage war. Erstens einmal errötete ich kopfüber bei dem Gedanken an meine Jugend, fast hätte ich überhaupt nicht fragen mögen; wenn ich die beiden aber ohne Erklärung aus Leyden fortließ, ging mir Catriona vielleicht ganz verloren. Zweitens galt es unsere äußerst irreguläre Lage zu berücksichtigen sowie die etwas magere Genugtuung, die ich James More diesen Morgen geboten hatte. Alles in allem gelangte ich zu dem Schluß, daß ein kleiner Aufschub nichts schaden könnte, obwohl ich nicht zu lange zögern durfte, und kroch übervollen Herzens in mein kaltes Bett.

Den nächsten Tag schien James More mit meinem Zimmer ein wenig unzufrieden, und ich bot ihm an, noch einige Möbel kommen zu lassen; als ich am Nachmittag wieder vorsprach, fand ich Möbelräumer dort, die Tische und Stühle heranschleppten; sonst war Catriona allein. Bei meinem Eintritt grüßte sie mich höflich, zog sich aber sogleich in ihr eigenes Zimmer zurück und schloß hinter sich die Tür. Ich traf meine Dispositionen, bezahlte und entließ die Leute so laut, daß sie es hören konnte, und glaubte, sie würde nun sofort wiederkommen, um mit mir zu sprechen. Ich wartete eine Weile und klopfte dann an ihre Tür.

»Catriona!« rief ich. Die Tür wurde rasch geöffnet, fast noch ehe das Wort heraus war; ich glaube, sie hatte gelauscht. Inzwischen stand sie ganz regungslos mit einem Ausdruck, den ich nicht beschreiben kann, wie ein Mensch in bitterer Seelennot. »Wollen wir auch heute nicht spazierengehen?« stammelte ich. »Ich danke Euch,« entgegnete sie, »mir liegt nicht mehr viel am Spazierengehen, jetzt, da mein Vater zurückgekehrt ist.«

»Aber er ist doch ausgegangen und hat dich allein gelassen«, widersprach ich. »Nennt Ihr das freundlich, so zu sprechen?« forschte sie. »Es war nicht unfreundlich gemeint«, erwiderte ich. »Was fehlt dir überhaupt, Catriona? Was habe ich getan, daß du dich so von mir wendest?«

»Ich wende mich durchaus nicht von Euch ab«, antwortete sie mit sorgfältigster Überlegung. »Ich werde meinem Freunde, der so gut zu mir war, stets dankbar sein; ich werde stets in allem, was mir möglich ist, seine Freundin sein. Aber jetzt, da mein Vater, James More, zurückgekehrt ist, muß wohl ein gewisser Unterschied gemacht werden, und ich glaube, Dinge sind gesagt und getan worden, die man am besten vergißt. Aber ich werde stets, soweit ich kann, Eure Freundin sein, und wenn das nicht genügt … wenn das nicht so viel ist … Aber Euch ist das sicherlich ganz gleich! Ich möchte nur nicht, daß Ihr zu hart von mir denkt. Ihr hattet recht, als Ihr sagtet, ich sei zu jung, um beraten zu werden, und ich hoffe, Ihr werdet nicht vergessen, daß ich ja nur ein Kind war. Ich möchte unter keinen Umständen Eure Freundschaft verlieren.« Sie war sehr bleich zu Beginn dieser Rede; aber noch bevor sie endete, flammte das Blut in ihrem Antlitz scharlachrot, daß nicht nur ihre Worte, nein, auch ihr Gesicht und ihre bebenden Hände um Schonung flehten. Da erkannte ich zum erstenmal, wie groß mein Unrecht war, dieses Kind in eine Lage gebracht zu haben, in der sie sich zu momentanen Schwäche hatte hinreißen lassen, derer sie sich jetzt schämte. »Miß Drummond«, sagte ich und stockte und begann noch einmal mit der gleichen Anrede. Dann rief ich: »O ich wollte, Ihr könntet in mein Herz sehen! Ihr würdet dort lesen, daß meine Achtung ungeschmälert ist. Ja, wenn es möglich wäre, würde ich Euch sagen, daß sie noch gewachsen ist. Das hier ist nur die Folge des Irrtums, dem wir verfielen; es mußte so kommen, und je weniger wir davon reden, um so besser. Von unserem ganzen Leben hier soll nicht eine Silbe über meine Lippen kommen, das verspreche ich Euch; ich wollte, ich könnte Euch auch versprechen, daß ich mit keinem Gedanken mehr daran denken werde, aber die Erinnerung wird mir ewig teuer sein. Und was Euern Freund betrifft, so habt Ihr einen hier, der für Euch sterben würde.«

»Ich danke Euch«, sagte sie. Eine Weile standen wir schweigend, und in meinem Herzen begann das Mitleid mit mir selbst die Oberhand zu gewinnen; waren nicht alle meine Träume hier jämmerlich gescheitert? Hatte ich nicht meine Liebe verloren, und stand ich nicht wieder wie zu Anfang allein in der Welt? »Nun,« sagte ich, »wir werden immer Freunde bleiben, das ist sicher. Aber das hier ist auch eine Art Abschied, es ist wirklich eine Art Abschied; Miß Drummond werde ich immer kennen, aber dies ist der Abschied von meiner Catriona.«

Ich blickte sie an, ich konnte sie kaum sehen, aber sie schien in meinen Augen größer und strahlender zu werden, und damit verlor ich, glaube ich, den Kopf, denn wieder rief ich sie mit Namen und trat mit ausgestreckten Händen einen Schritt auf sie zu. Wie ein Mensch, der einen Schlag empfängt, wich sie vor mir zurück; ihr Gesicht flammte auf, aber das Blut schoß ihr nicht eiliger in die Wangen, als es mir bei ihrem Anblick vor Reue und Kummer aus dem eigenen Herzen wich. Ich fand keine Worte zu meiner Entschuldigung, verneigte mich nur ungemein tief und ging meiner Wege aus dem Hause, den Tod im Busen. Ich glaube, es folgten fünf Tage ohne jede Veränderung. Ich sah sie kaum außerhalb der Mahlzeiten und selbst dann natürlich nur in Gegenwart von James More. Waren wir auch nur einen Augenblick allein, so machte ich es mir zur Pflicht, mich gleichzeitig zurückhaltender denn je zu zeigen und meine höfliche Aufmerksamkeit zu vertausendfachen. Dabei stand mir ständig das Bild des scheu zurückweichenden, schamübergossenen Mädchens vor Augen, und ich empfand in meinem Herzen mehr Mitleid, als ich in Worten ausdrücken kann. Ich selber tat mir auch leid genug, das brauche ich kaum zu sagen – in wenigen Sekunden war ich kopfüber aus allen Himmeln gestürzt; aber wahrhaftig, das Mädchen tat mir fast ebenso leid, zum mindesten leid genug, um zu verhindern, daß ich, außer in wenigen heftigen Momenten, auf sie böse war. Ihre Entschuldigung war wirklich stichhaltig: sie war ja nur ein Kind; man hatte sie in eine schiefe Stellung gebracht; hatte sie sich wirklich in mir und in sich selbst getäuscht, so war das nicht mehr, als man hätte erwarten können. Außerdem war sie jetzt fast ständig allein. Ihr Vater zeigte sich, solange er in ihrer Nähe war, als zärtlicher Vater; aber Geschäfte und Vergnügungen vermochten ihn leicht abzulenken; dann vernachlässigte er das Mädchen ohne weitere Worte oder Zeichen von Reue, verbrachte die Nächte im Wirtshaus – vorausgesetzt, daß er Geld hatte, und das trat häufiger ein, als ich es zu erklären vermochte – und versäumte es in diesen Tagen sogar das eine Mal zum Essen zu erscheinen, so daß Catriona und ich schließlich gezwungen waren, ohne ihn zu speisen. Es war eine Abendmahlzeit, und ich verabschiedete mich, sobald ich gegessen hatte, mit der Bemerkung, sie zöge es vermutlich vor, allein zu sein. Sie stimmte zu, und – sonderbar – ich glaubte es ihr. Ja, ich glaubte, mein Anblick müsse dem Mädchen schmerzlich sein, da er sie an eine momentane Schwäche erinnerte, die sie jetzt verabscheute. So mußte sie ganz allein in dem Zimmer sitzen, wo sie und ich so fröhlich gewesen waren, im Schein jenes Kamins, der so manchen schwierigen und zärtlichen Augenblick bestrahlt hatte. Dort saß sie allein und hielt sich für ein Mädchen, das auf unmädchenhafte Art ihre Liebe angeboten und zurückgewiesen gesehen hätte. Inzwischen saß ich allein an einem andern Ort und hielt mir selbst Strafpredigten (wann immer ich den Zorn in mir aufwallen fühlte) über menschliche Schwäche und weibliche Empfindlichkeit. Und im Großen und Ganzen glaube ich: niemals haben zwei arme Narren sich aus einem größeren Mißverständnis unglücklich gemacht.

Was nun James anbetraf, so schenkte er uns geringere Aufmerksamkeit als seinen eigenen prahlerischen Reden und allen Fragen seines Beutels und seines Magens. Noch vor Ablauf von zwölf Stunden hatte er sich von mir eine kleine Summe Geldes geliehen, noch vor Ablauf von dreißig um eine zweite gebeten und eine Weigerung erhalten. Geld wie Korb nahm er mit der gleichen liebenswürdigen Gutmütigkeit entgegen. Ja, nach außen hin trug er eine Noblesse zur Schau, durchaus geeignet, eine Tochter zu blenden; das Licht, in das er sich durch seine Reden zu stellen pflegte, sowie des Mannes schönes Äußere und Grandseigneurmanieren paßten vortrefflich zueinander. Wer also nichts mit ihm zu tun hatte und entweder geringen Scharfblick oder ein Übermaß von Voreingenommenheit besaß, hätte sich fast düpieren lassen können. Für mich war er nach unseren ersten beiden Unterredungen so klar wie die Lettern eines Buches; ich durchschaute ihn als einen durch und durch egoistischen Menschen, ohne die leiseste Erkenntnis seiner Selbstsucht, und lauschte seinen Aufschneidereien (über seine »Waffen«, über die Tatsache, daß er »ein alter Soldat« und »ein armer Hochlands-Gentleman« sei, und über die »Macht« seines »Vaterlandes« und seiner »Freunde«), wie man dem leeren Geplapper eines Papageien lauscht.

Das Seltsame an der Sache war, daß er, glaube ich, jedesmal, oder doch mitunter, einen Teil dieser Dinge selbst glaubte; ich vermute, er war so bis in die Wurzeln falsch, daß er kaum wußte, wann er log; aufrichtig war er nur in seinen Momenten der Depression. Zuzeiten konnte er das schweigsamste, liebevollste, anschmiegsamste Geschöpf von der Welt sein; dann hielt er wie ein großes Kind Catrionas Hand in der seinen und bettelte, ich solle ihn doch nicht verlassen, wenn ich überhaupt irgendwelche Zuneigung für ihn empfände. Das tat ich nun freilich nicht, hatte dafür aber eine um so stärkere Zuneigung zu seiner Tochter. Er bat, ja flehte, wir möchten ihn doch mit Gesprächen unterhalten, was bei den zwischen uns herrschenden Beziehungen sehr schwierig war, und zuletzt brach er in jämmerliche Klagen um sein Land und seine Freunde oder in irgendein gälisches Lied aus. »Das hier ist eine der melancholischen Weisen meiner Heimat«, pflegte er zu sagen. »Ihr findet es vielleicht seltsam, einen Soldaten weinen zu sehen, und es heißt auch wirklich, Euch eng in mein Vertrauen ziehen. Aber die Musik dieses Liedes ist mir ins Blut übergegangen, und die Worte kommen aus meinem Herzen. Wenn ich an meine roten Berge und an die Wildvögel denke, die dort rufen, und an die stolzen Flüsse, die die Hänge hinuntereilen, so kann ich mich nicht einmal vor meinen Feinden dieser Tränen schämen«. Dann hub er von neuem zu singen an und übersetzte mir Bruchstücke aus dem betreffenden Liede, stotternd und stolpernd und die nachdrücklichste Verachtung für die englische Sprache bezeugend. »An dieser Stelle heißt es, daß die Sonne untergegangen und die Schlacht vorüber ist, und daß die tapferen Häuptlinge alle besiegt sind. Und dann heißt es, daß die Sterne sie in fremde Länder fliehen sehen oder auf sie niederblicken, wie sie tot auf dem roten Berge liegen; und niemals wieder werden sie den Kriegsruf erschallen lassen und ihre Füße in den Flüssen des Tales waschen. Ach, verstündet Ihr nur etwas von jener Sprache, Ihr würdet gleich mir weinen, weil die Worte über jede Wiedergabe erhaben sind und es der reinste Hohn ist, sie Euch auf englisch zu sagen.« Nun, mich dünkte, die ganze Sache entbehrte nicht des Hohnes, so oder so; und doch war einiges echt daran, aus welchem Grunde ich ihn, glaube ich, am meisten haßte. Es schnitt mir ins Herz, Catrionas große Sorge um den alten Gauner zu sehen und zu wissen, daß sie sich um seiner Tränen willen in den Schlaf weinte, da ich überzeugt war, daß die Hälfte seines Kummers vornächtlichen Zechereien in irgendeiner Kneipe entsprang. Manchmal fühlte ich mich versucht, ihm eine runde Summe auszuhändigen und ihn ein für alle mal los zu sein; aber das hätte bedeutet, daß ich auch Catriona losgeworden wäre, wozu ich schwerlich so bereit war. Außerdem ging es gegen mein Gewissen, mein gutes Geld an jemanden zu verschwenden, der so wenig damit umzugehen wußte.

Siebenundzwanzigstes Kapitel


Zu zweit

Ich glaube, es war am fünften Tage – genau weiß ich, daß James an einer seiner Depressionen litt – als ich drei Briefe erhielt. Der erste war von Alan und enthielt die Frage, ob er mich in Leyden besuchen dürfe; die beiden anderen kamen aus Schottland, beide aus dem gleichen Anlaß. Diesen Anlaß bildeten der Tod meines Onkels und mein endgültiger Eintritt in alle meine Rechte. Rankeillors Schreiben bezog sich natürlich ausschließlich auf geschäftliche Dinge; das von Miß Grant war ganz sie selbst, mehr witzig denn weise, voller Vorwürfe wegen meines Schweigens (was hätte ich ihr nur schreiben sollen, bei den Nachrichten, die es zu vermelden gab?) und voller Neckereien über Catriona, die mich, zumal ich den Brief in ihrer Gegenwart las, bis ins Herz trafen. Denn selbstverständlich hatte ich die Briefe in meiner eigentlichen Wohnung vorgefunden, als ich zum Essen dorthin kam; so entfuhren mir meine Neuigkeiten im nämlichen Augenblick, da ich sie las. Sie boten uns alle drei eine willkommene Ablenkung, ohne daß einer von uns die daraus entstehenden schlimmen Folgen geahnt hätte. Der Zufall hatte es so gefügt, daß alle drei Briefe am gleichen Tage eintrafen, und daß sie mir überreicht wurden, als James More im Zimmer war. Von all den Ereignissen, die diesem Zufall entsprangen und die ich hätte verhüten können, hätte ich nur meinen Mund gehalten, kann man daher mit Recht sagen, daß sie vorherbestimmt waren, noch ehe Agricola nach Schottland kam oder Abraham seine Reise antrat. Selbstverständlich öffnete ich als ersten Alans Brief; was war da natürlicher, als daß ich ein Wort über seine Absicht, mich zu besuchen, fallen ließ? Sogleich bemerkte ich, daß James sich gespannt und aufmerksam aufrichtete. »Ist das nicht der Alan Breck, dem man die Schuld an dem Appiner Unglücksfall in die Schuhe schiebt?«

Ich sagte »ja«, es wäre der nämliche, und eine Zeitlang hielt er mich von meinen anderen Briefen ab durch allerlei Fragen über die Art unserer Bekanntschaft, über Alans Leben in Frankreich, von dem ich ja nur sehr wenig wußte, und über den Besuch, den er mir vorgeschlagen. »Wir Verbannten hängen alle ein wenig zusammen,« erklärte er, »außerdem kenne ich den Gentleman; und obwohl seine Abstammung etwas zweifelhaft ist und er in Wahrheit gar nicht das Recht hat, sich den Namen Stuart beizulegen, wurde er bei Drummossie doch sehr bewundert. Er hat sich dort als echter Soldat gezeigt; hätten andere, deren Namen nicht genannt zu werden brauchen, sich ebenso benommen, der Ausgang würde jetzt nicht als so traurig in unserer Erinnerung haften. Zwei Männer haben an jenem Tage ihr Bestes hergegeben; das kittet uns zusammen.« Es fehlte wenig, und ich hätte ihm die Zunge gezeigt; fast hätte ich wünschen mögen, Alan wäre da gewesen, um ihn über die Bemerkung betreffs seiner Abstammung etwas genauer zur Rede zu stellen (obschon man mir sagt, daß sie wirklich nicht ganz einwandfrei ist). Inzwischen hatte ich Miß Grants Brief geöffnet und konnte mich eines Ausrufs nicht enthalten.

»Catriona,« rief ich – zum erstenmal seit ihres Vaters Rückkehr vergaß ich einen Schnörkel hinzuzufügen – »ich bin endlich zu meinem Eigentum gekommen, jetzt bin ich wirklich Gutsherr von Shaw – mein Onkel ist gestorben.« Sie klatschte in die Hände und sprang von ihrem Sitz auf. Im nächsten Augenblick muß es uns beiden wohl klar geworden sein, wie wenig Grund zur Freude wir noch hatten, und wir starrten einander traurig an. Aber James zeigte sich als vollendeter Heuchler. »Meine Tochter,« sagte er, »ist das ein Benehmen, wie meine Base es dich gelehrt hat? Mr. David hat einen nahen Freund verloren; wir sollten ihm vor allem zu seinem Verlust unser Beileid aussprechen.« »Bei Gott, Sir,« erwiderte ich, mich in einer Art Zorn gegen ihn wendend, »ich bring’s nicht fertig, Fratzen zu schneiden. Sein Tod bedeutet für mich eine so freudige Nachricht, als ich nur je empfangen werde.« »Eine wackere Soldatenphilosophie«, meinte James. »’S ist der Weg allen Fleisches; wir müssen alle, alle sterben. Und wenn der betreffende Gentleman wirklich so wenig Eure Gunst genoß – nun, dann habt Ihr recht! Aber wir dürfen Euch doch wenigstens zum Antritt Eures Erbes beglückwünschen?«

»Das will ich auch nicht sagen«, entgegnete ich nicht minder eifrig. »Es ist zwar ein stattlicher Besitz; aber was hat das für einen Junggesellen, der bereits sein Auskommen hat, zu bedeuten? Da ich sparsam bin, genügte mir meine Rente bisher vollauf; außer durch den Tod dieses Mannes – der mich freut, zu meiner Schande sei’s gesagt! – kann ich nicht finden, daß irgend jemand durch diese neuen Verhältnisse gewinnt.« »Pah, pah,« sagte er, »Ihr seid tiefer gerührt, als Ihr zugeben wollt, sonst würdet Ihr Euch nicht für so einsam erklären. Hier sind drei Briefe; das bedeutet, daß Euch drei Menschen wohlwollen, und ich kann allein in diesem Zimmer noch zwei weitere nennen. Ich kenne Euch erst kurze Zeit, aber Catriona wird, wenn wir allein sind, nicht müde, Euer Lob zu singen.« Der Blick, den sie ihm bei diesen Worten zuwarf, war ein wenig wild, und er glitt sofort in ein anderes Thema hinüber: den Umfang meiner Besitzungen. Dieser Gegenstand beschäftigte ihn den größten Teil des Mahles lebhaft. Aber seine Heuchelei war ganz umsonst; er hatte allzu plump an der Angelegenheit gerührt, ich wußte, was mir bevorstand. Das Essen war kaum vorüber, als er ganz offen seine Karten aufdeckte. Er erinnerte Catriona an einen Auftrag, den sie zu erledigen hatte, und hieß sie gehen. »Ich glaube nicht, daß du länger als eine Stunde fort sein wirst, und Freund David wird die Güte haben, mir bis zu deiner Rückkehr Gesellschaft zu leisten.« Sie beeilte sich, ihm schweigend zu gehorchen. Ich weiß nicht, ob sie ihn verstand, glaube es aber nicht; ich war mir dagegen vollständig im Klaren und stählte mich innerlich gegen das, was nun folgen mußte.

Kaum war die Tür hinter ihr ins Schloß gefallen, als er sich in seinen Stuhl zurücklehnte und sich mit affektierter Leichtigkeit an mich wandte. Eines nur verriet ihn: sein Gesicht, das plötzlich über und über von kleinen Schweißperlen glänzte.

»Ich bin recht froh, ein Wort mit Euch allein zu sprechen, weil in unserer ersten Unterredung einige Ausdrücke fielen, die Ihr mißverstanden habt und die ich lang schon aufzuklären beabsichtigte. Meiner Tochter Ehre ist über jeden Zweifel erhaben. Die Eure auch; ich bin bereit, das mit meinem Degen gegen alle Widersacher zu bezeugen. Aber, mein lieber David, diese Welt ist eine tadelsüchtige Welt – wer wüßte das besser als ich, der ich seit dem Tode meines seligen Vaters – Gott schenk ihm die ewige Ruh! – geradezu in einem Meer von Verleumdungen gewatet habe? Wir müssen dem entgegentreten; Ihr und ich müssen das berücksichtigen; wir müssen das berücksichtigen.« Hier schüttelte er sein Haupt mit der Miene eines Geistlichen auf der Kanzel. »Inwiefern, Mr. Drummond?« fragte ich. »Ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr zur Sache sprechen wolltet.« »Ha, ha,« meinte er lachend, »das sieht Euch wahrhaftig ähnlich! Das ist gerade der Charakterzug, den ich am meisten an Euch bewundere. Aber die Sache, mein guter Junge, ist ein wenig heikel.« Er schenkte sich ein Glas Wein ein. » Obwohl es natürlich zwischen guten Freunden, wie wir es sind, gar nicht vieler Worte bedarf. Die Sache betrifft, wie ich Euch wohl kaum erst zu sagen brauche, meine Tochter. Vorausschicken möchte ich, daß ich Euch keineswegs tadele. Unter den damaligen unglücklichen Verhältnissen konntet Ihr wirklich kaum anders handeln. Ich wüßte wahrhaftig nicht, wie Ihr sonst hättet handeln sollen.« »Ich danke Euch für dieses Wort«, sagte ich, scharf auf dem Quivive. »Ich habe außerdem Euren Charakter studiert«, fuhr er fort. »Eure Talente sind recht anständig; Ihr scheint ein mäßiges Auskommen zu besitzen, was nie schaden kann; kurz, alles in allem bin ich sehr froh, Euch mitteilen zu können, daß ich mich für den zweiten der beiden mir offenstehenden Wege entschieden habe.« »Ich fürchte, ich bin ein wenig schwer von Begriff«, sagte ich. »Von welchen Wegen redet Ihr?«

Er runzelte ungemein drohend die Stirn und schlug die Beine übereinander. »Sir,« sagte er, »ich glaube, ich brauche sie einem Gentleman Eures Standes nicht erst zu beschreiben: entweder ich schneide Euch den Hals durch oder Ihr heiratet meine Tochter.«

»Endlich habt Ihr die Gewogenheit, Euch deutlich auszudrücken«, bemerkte ich. »Ich glaube, ich war von Anfang an recht deutlich«, rief er polternd. »Ich bin ein fürsorglicher Vater, Mr. Balfour, aber, Gott sei Dank, ein geduldiger, bedachtsamer Mann. Manch ein Vater, Sir, hätte Euch auf der Stelle entweder zum Altar oder auf den Kampfplatz geschleppt. Meine Achtung vor Eurem Charakter …« »Mr. Drummond,« unterbrach ich ihn, »wenn Ihr überhaupt irgendwelche Achtung vor mir habt, bitte ich Euch, Eure Stimme zu dämpfen. Es ist vollkommen überflüssig, einen Gentleman, der im selben Zimmer mit Euch sitzt und der Euch seine volle Aufmerksamkeit schenkt, derart anzufahren.«

»Wahr, wahr«, sagte er, sofort in einen anderen Ton verfallend. »Ihr müßt die Aufregung eines Vaters entschuldigen.« »Ich habe also zu verstehen,« fuhr ich fort – »ich ignoriere die zweite Alternative, die zu erwähnen vielleicht bedauerlich war – ich habe zu verstehen, Ihr würdet mich, für den Fall, daß ich Euch um Eurer Tochter Hand bitte, unterstützen?«

»Unmöglich könnte man meine Absicht besser ausdrücken«, sagte er. »Ich sehe, wir werden uns noch trefflich verstehen.« »Das bleibt abzuwarten«, entgegnete ich. »Aber ich brauche kein Geheimnis draus zu machen, daß ich der betreffenden Dame die zärtlichsten Gefühle entgegenbringe; selbst im Traume vermöchte ich mir kein größeres Glück vorzustellen, als ihr Gatte zu werden.« »Ich wußte es ja, ich war Eurer sicher, David«, rief er und streckte mir die Hand entgegen.

Ich übersah sie. »Ihr geht zu schnell, Mr. Drummond«, sagte ich. »Es sind da noch einige Bedingungen zu erfüllen; auf meinem Wege liegt ein Hindernis, von dem ich augenblicklich nicht sehe, wie wir es überwinden wollen. Ich habe Euch gesagt, daß meinerseits kein Bedenken gegen die Heirat vorliegt, aber ich habe guten Grund zu glauben, daß auf Seiten der jungen Dame um so größere bestehen.«

»Das steht nicht zur Diskussion,« sagte er, »ich verbürge mich für ihr Jawort.« »Ich glaube, Ihr vergeßt, Mr. Drummond,« warf ich ein, »daß Ihr Euch bereits in den Verhandlungen mit mir zu zwei, drei unschmackhaften Ausdrücken habt hinreißen lassen. Ich dulde es nicht, daß Ihr ähnliche der jungen Dame gegenüber gebraucht. Ich stehe hier, um für uns beide zu sprechen und zu denken, und gebe Euch hiermit zu verstehen, daß ich ebensowenig gestatten würde, mir ein Weib aufzuzwingen, wie ich erlaube, daß man mich als Gatte einer jungen Dame aufoktroyiert.«

Er saß und starrte mich finster an, wie jemand, der mit Zweifel und heftigem Zorne kämpft.

»So stehen also die Dinge«, schloß ich. »Ich will Miß Drummond heiraten, und zwar mit größter Freude, vorausgesetzt, sie ist aus freien Stücken dazu bereit. Falls aber auch nur der geringste Widerstand von ihrer Seite besteht, wie ich Grund zu befürchten habe – werde ich sie um keinen Preis der Welt heiraten.« »Pah, pah,« meinte er, »die Sache ist eine Lappalie. Sobald sie zurückkehrt, werde ich sie ein wenig sondieren und hoffe, Euch dann versichern zu können –« Ich unterbrach ihn abermals. »Ihr rührt keinen Finger, Mr. Drummond, sonst ziehe ich mich zurück und Ihr könnt Eurer Tochter einen Gatten suchen, wo es Euch beliebt. Ich bin in diesem Falle der einzige Handelnde und Richtende. Ich werde mich peinlichst von dem Tatbestand überzeugen; kein anderer darf sich einmischen – Ihr selbst am allerwenigsten.«

»Auf mein Wort, Sir,« rief er laut, »wer seid Ihr denn, darüber zu urteilen?« »Der Bräutigam, wie ich glaube«, antwortete ich.

»Das ist Wortfechterei«, rief er von neuem. »Ihr kehrt den Tatsachen den Rücken. Dem Mädchen, meiner Tochter, bleibt keine Wahl. Ihre Reputation ist hin.« »Vergebung,« sagte ich, »solange die Angelegenheit zwischen ihr und Euch und mir ein Geheimnis bleibt, ist das keineswegs der Fall.« »Und welche Sicherheit habe ich?« meinte er heftig. »Soll ich meiner Tochter Ruf von einem Zufall abhängig machen?« »Ihr hättet früher daran denken sollen,« erwiderte ich, »bevor Ihr so irregeleitet ward, sie zu verlieren, nicht jetzt, da alles viel zu spät ist. Ich lehne es ab, in irgendeiner Weise die Verantwortung für Eure Nachlässigkeit zu tragen und lasse mich von keinem Menschen auf der Welt schuriegeln. Mein Beschluß steht unerschütterlich fest; komme was da wolle, ich weiche auch nicht um Haaresbreite von ihm ab. Ihr und ich werden bis zu Eurer Tochter Rückkehr hier zusammen auf sie warten; dann werden sie und ich, ohne Wort oder Blick von Euch, zusammen fortgehen, um uns auszusprechen. Wenn sie mich von ihrer Bereitwilligkeit zu einem derartigen Schritt überzeugt, werde ich ihn tun; andernfalls tue ich ihn nicht.« Er sprang, wie von einer Hornisse gestochen, von seinem Sitz auf. »Ich durchschaue Euer Manöver,« schrie er, »Ihr wollt sie dazu bewegen, nein zu sagen!« »Vielleicht ja, vielleicht nein«, antwortete ich. »Es bleibt aber bei dem, was ich sage.« »Und wenn ich mich weigere?« schrie er. »Dann, Mr. Drummond, wird es wohl zum Halsdurchschneiden kommen müssen.« Angesichts der Größe des Mannes, seiner gewaltigen Armlänge, in der er seinem Vater kaum nachstand, und seines Ruhmes als Fechter, sprach ich diese Worte nicht ohne geheime Angst. Dazu kam noch, daß er Catrionas Vater war. Aber ich hätte mir meine Befürchtungen ersparen können. Aus der Armseligkeit meiner Behausung – seiner Tochter Kleider, die ihm ja alle gleich neu waren, schien er überhaupt nicht bemerkt zu haben – und aus meiner Abneigung, ihm Geld zu borgen, hatte er eindeutig auf meine Armut geschlossen. Die unerwartete Nachricht von meinem Erbe überzeugte ihn von seinem Irrtum, und er hatte bei allen seinen neuen Versuchen nur das eine Ziel im Auge, an das er sich jetzt so fest klammerte, daß ich glaube, er hätte alles in der Welt eher getan, als mit mir gefochten. Eine kleine Weile fuhr er noch fort, mit mir zu disputieren, bis es mir endlich gelang, ihn durch ein Wort zum Schweigen zu bringen.

»Wenn Ihr so abgeneigt seid, mich mit der Dame allein sprechen zu lassen, muß ich annehmen, Ihr habt guten Grund zu glauben, ich hätte mit meinen Befürchtungen recht.«

Er murmelte irgendeine Ausflucht.

»Aber all das stellt unser beider Geduld auf eine harte Probe«, fügte ich hinzu; »ich denke daher, es ist vernünftiger, wir bewahren jetzt ein taktvolles Schweigen.« Das taten wir auch, bis das Mädchen zurückkehrte, und nahmen uns dabei vermutlich recht lächerlich aus; nur war niemand da, uns zu beachten.

Achtundzwanzigstes Kapitel


In welchem ich allein gelassen werde

Ich öffnete Catriona die Tür und hielt sie auf der Schwelle an. »Euer Vater wünscht, daß wir unseren Spaziergang machen.« Sie blickte zu James More hinüber, er nickte, und wie ein gut disziplinierter Soldat wandte sie sich, um mit mir zu gehen. Wir wählten einen unserer alten Wege, den wir schon so oft gegangen waren in einem Glück, wie ich es gar nicht beschreiben kann. Ich ging einen halben Schritt hinterdrein, so daß ich sie ungestört beobachten konnte. Das Poch, Poch, Poch ihrer kleinen Schuhe auf dem Pflaster klang ungemein hübsch und traurig zugleich; und mich dünkte er seltsam, dieser Augenblick, da ich sowohl dem Anfang wie dem Ende so nahe war und gleichsam zwischen zwei Schicksalen wandelte, ohne zu wissen, ob ich diese Schritte zum letztenmal hörte, oder ob ihr Klang mit und neben mir eilen würde mein Leben lang, bis der Tod uns schied. Sie vermied es, mich anzusehen und ging nur vor mir her wie jemand, der weiß, was kommt. Ich erkannte, daß ich zu ihr sprechen müßte, bevor mich mein Mut ganz verließ, aber ich wußte nicht, wo anfangen. In dieser peinlichen Lage, da das Mädchen mir gleichsam mit Gewalt in die Arme gezwungen wurde, und in Anbetracht ihrer Bitte um Schonung schien jeder übermäßige Druck unehrenhaft; und doch mußte es allzu kalt anmuten, wenn ich jeglichen Druck vermied. Zwischen diesen beiden Extremen schwankte ich hilflos hin und her; ich hätte mir vor Verzweiflung die Finger zerbeißen mögen, und als ich endlich doch ein Wort über die Lippen brachte, sprach ich sozusagen ohne Überlegung, auf gut Glück. »Catriona,« sagte ich, »ich bin in einer sehr peinlichen Lage; wir beide sind es. Ich wäre Euch zu sehr großem Danke verpflichtet, wenn Ihr mir versprechen wolltet, mich ausreden zu lassen und mich nicht zu unterbrechen.« Sie gab mir schlicht das Versprechen.

»Ja,« sagte ich, »was ich sagen muß, fällt mir sehr schwer; ich weiß auch ganz genau, daß ich eigentlich gar kein Recht zu reden habe. Nach allem, was vorigen Freitag zwischen uns vorgefallen ist, habe ich kein Recht mehr dazu. Wir sind in einen solchen Wirrwarr hineingeraten (einzig durch meine Schuld), daß Schweigen das Mindeste ist, was man von mir verlangen kann, und ich hatte auch die redliche Absicht zu schweigen; nichts lag mir ferner, als Euch noch einmal zu beunruhigen. Aber, Liebe, das Reden ist nun zur Notwendigkeit geworden – es gibt keine andere Möglichkeit. Seht Ihr, inzwischen ist mir auch mein Erbe zugefallen, wodurch ich eine bessere Partie geworden bin und, – und die ganze Sache sieht überhaupt nicht mehr so lächerlich aus wie früher. Außerdem behauptet man, unsere ganze Angelegenheit sei so verwickelt (wie ich vorhin schon sagte), daß es besser wäre, wenn wir es dabei bewenden ließen. Meiner Ansicht nach hat man diesen Teil der Sache ungeheuer übertrieben, und ich würde, wenn ich an Eurer Stelle wäre, keine zwei Gedanken mehr daran verschwenden. Es ist aber nur recht, wenn ich es Euch gegenüber erwähne, da es James More zweifellos beeinflußt. Dann meine ich auch, wir wären gar nicht so unglücklich gewesen, als wir noch zusammen lebten. Ich meine, wir sind doch recht gut miteinander ausgekommen. Wenn Ihr nur einen Blick in die Vergangenheit werfen wolltet, Liebe, – «

»Ich will weder in die Vergangenheit noch in die Zukunft blicken,« unterbrach sie mich. »Sagt mir nur das eine: ist dies meines Vaters Werk?«

»Er billigt es,« sagte ich, »er billigt es, daß ich um Eure Hand anhalte.« Gleichzeitig wollte ich mit einem stärkeren Appell an ihr Gefühl fortfahren, als sie mir, ohne darauf zu achten, das Wort abschnitt.

»Er hat es Euch befohlen!« rief sie, »es nützt nichts, daß Ihr leugnet; Ihr sagtet selbst, nichts hätte Euch ferner gelegen. Er hat es Euch befohlen!«

» Er hat als erster davon geredet, wenn Ihr das meint,« hub ich an. Sie ging jetzt ein wenig rascher und starrte gerade vor sich hin; bei meinen Worten stieß sie einen leisen, unartikulierten Laut aus, und ich glaubte zuerst, sie würde davonlaufen. »Ohne das hätte ich nach dem, was Ihr mir letzten Freitag sagtet, gar nicht erst lange gefragt,« fuhr ich fort; »aber als er mich darum ersuchte – was konnte ich wohl anders tun?«

Sie hielt inne und drehte sich nach mir um. »Jedenfalls ist die Frage mit ›Nein‹ beantwortet, und damit hat’s ein Ende.« Und sie begann von neuem vorwärts zu eilen.

»Ich hätte mir ja denken können, daß es nicht anders möglich sei«, sagte ich, »aber ich finde, Ihr könntet, nun alles wirklich endgültig aus ist, ein wenig freundlicher sein. Ich verstehe nicht, weshalb Ihr so hart seid. Ich habe Euch sehr lieb gehabt, Catriona – was schadet es, wenn ich Euch zum letztenmal so nenne. Ich habe getan, was in meinen Kräften stand, ich versuche immer noch das Gleiche zu tun, und bedauere nur, daß ich nicht mehr zu tun vermag. Ich wundere mich, daß es Euch Freude macht, hart gegen mich zu sein.« »Ich denke nicht an Euch«, sagte sie, »ich denke nur an jenen Mann, meinen Vater.«

»Nun, auch in dieser Richtung kann ich Euch helfen; ich muß Euch sogar helfen. Es ist durchaus notwendig, Liebe, daß wir uns über Euern Vater beraten; so, wie unsere Unterredung geendet hat, wird James More sehr zornig werden.« Sie hielt noch einmal inne. »Ist es, weil ich meine Ehre verloren habe?« fragte sie.

»Das ist seine Art, die Sache zu sehen,« entgegnete ich, »aber ich sagte Euch ja bereits, Ihr solltet Euch nicht dran kehren.« »Mir ist es ganz gleich«, rief sie. »Ich freue mich, daß ich entehrt bin.« Ich wußte nicht recht, was ich darauf sagen sollte und schwieg.

Nach diesem letzten Ausruf schien sie heftig mit sich zu ringen, dann brach es aus ihr hervor: »Was soll das überhaupt heißen? Wie kommt es, daß solche Schande auf mein Haupt gehäuft wird? Wie konntet Ihr es nur wagen, David Balfour?«

»Liebe«, sagte ich, »was sollte ich denn tun?«

»Ich bin nicht Eure Liebe«, protestierte sie. »Ich verbiete Euch, mir derartige Namen zu geben.«

»Ich dachte im Augenblick nicht an meine Worte«, sagte ich. »Mir blutet das Herz, Miß Drummond. Was immer ich auch sage, seid überzeugt, ich habe volles Mitgefühl mit Eurer schwierigen Lage. Aber ich möchte, daß Ihr wenigstens eine Sache im Auge behaltet, wenn auch nur so lange, bis wir sie in Ruhe besprochen haben: es wird zu Hause einen heftigen Zusammenstoß geben. Nehmt mein Wort dafür: wir beide müssen zusammenhalten, wenn wir diese Affäre in Frieden beilegen wollen.« »Ja«, sagte sie. Auf ihre beiden Wangen trat ein roter Fleck. »Wollte er sich mit Euch duellieren?«

»Ja, das wollte er,« antwortete ich.

Das Lachen, das sie hervorstieß, war furchtbar. »Das hat nur noch gefehlt!« rief sie. Und dann zu mir gewandt: »Mein Vater und ich sind ein sauberes Paar, aber ich danke dem lieben Gott, daß einige noch schlimmer sind als wir. Ich danke dem lieben Gott, daß er mich Euch hat so sehen lassen. Auf der ganzen Welt lebt kein Mädchen, das Euch nicht verachten müßte.« Ich hatte ziemlich viel in Geduld über mich ergehen lassen, aber das schoß über das Ziel.

»Ihr habt kein Recht, so zu mir zu sprechen. Was habe ich Euch anderes als Gutes getan – oder doch zu tun versucht? Ist das hier der Dank? Oh, das ist wirklich zu viel.«

Sie sah mich immer noch mit bösem Lächeln an. »Feigling!« sagte sie.

»Das Wort in Eure und Eures Vaters Kehle!« schrie ich. »Ich habe ihm heute schon einmal getrotzt, um Euretwillen; ich werde ihm auch ein zweites Mal trotzen, dem stinkenden alten Iltis; komme, was da mag! Zurück mit Euch ins Haus; ich habe genug von Euch allen, genug von Eurer ganzen sauberen Hochlandsbande! Paßt auf, wie Euch zumute sein wird, wenn ich erst tot bin.«

Sie schüttelte den Kopf und sah mich immer noch mit dem gleichen Lächeln an; ich hätte sie schlagen mögen. »So ist’s recht; lächelt nur immer weiter! Ich habe Euren sauberen Vater heute schon einmal lächeln sehen, aber nachher hat er’s bereut. Nicht, daß er etwa Angst hatte,« fügte ich hastig hinzu; »aber er zog den anderen Weg vor.«

»Was soll das heißen?« fragte sie.

»Ich habe ihn gefordert.«

»Ihr habt James More gefordert?«

»Jawohl, und er hatte höchst wenig Lust zu kämpfen; wäre ich sonst hier?«

»Dahinter steckt etwas«, beharrte sie. »Was wollt Ihr damit sagen?«

»Er wollte Euch zwingen, mich zu heiraten,« erwiderte ich, »und ich wollte es nicht dulden. Ich sagte, Ihr solltet frei sein, und ich müßte Euch allein sprechen; freilich, daß es so kommen würde, ahnte ich nicht! ›Und wenn ich mich nun weigere?‹ sagte er. – ›Dann muß es wohl zum Halsabschneiden kommen‹, sagte ich. ›Ich dulde ebensowenig, daß man jener jungen Dame einen Gatten aufoktroyiert, wie ich mir ein Weib aufzwingen lasse.‹ Das waren meine Worte, die Worte eines Freundes; teuer habe ich dafür bezahlen müssen. Nun Ihr mich aus freien Stücken ausgeschlagen habt, lebt in den ganzen Hochlanden, ja in der weiten Welt kein Vater, der diese Heirat erzwingen könnte. Ich werde sorgen, daß Eure Wünsche respektiert werden; ich werde das zu meiner Aufgabe machen, wie ich es die ganze Zeit über getan habe. Aber ich finde, Ihr hättet den Anstand haben können, ein wenig Dankbarkeit zu zeigen. Wahrhaftig, ich glaubte, Ihr kenntet mich besser. Ich habe nicht immer richtig an Euch gehandelt, aber das war nur Schwäche. Und jetzt haltet Ihr mich für einen Feigling – für einen solchen Feigling, daß – nein, Mädel, das ist das Letzte!«

»Davie,« rief sie, »wie konnte ich das ahnen? Oh, dies ist eine schreckliche Geschichte! Ich und meine Sippe –« sie stieß bei dieser Bezeichnung einen leisen, verzweifelten Schrei aus – »ich und meine Sippe sind nicht wert, das Wort an Euch zu richten. Oh, ich möchte hier auf der Straße niederknien und Euch die Hände küssen und um Vergebung flehen!« »Lieber behalte ich die Küsse, die ich schon habe«, rief ich. »Lieber behalte ich die, die ich selber begehrte und die mir etwas wert schienen; ich will nicht aus Reue geküßt werden.«

»Was denkt Ihr nur von mir unglücklichem Mädchen!«

»Das gerade versuche ich ja, Euch die ganze Zeit über klarzumachen! Das beste ist, Ihr laßt mich allein – Ihr habt mich schon so unglücklich gemacht, daß Ihr mich nicht unglücklicher machen könnt – und wendet Eure Aufmerksamkeit James More, Eurem Vater, zu, mit dem Ihr noch ein nettes Hühnchen zu rupfen haben werdet.«

»Oh, daß ich allein mit einem solchen Manne in die Welt ziehen muß!« schrie sie – dann schien sie sich mit aller Macht zusammenzuraffen. »Aber gebt Euch meinetwegen keine weitere Mühe. Er weiß nicht, welch eine Natur in meinem Herzen lebt. Er soll mir diesen Tag noch teuer bezahlen. Teuer, teuer soll er ihn bezahlen!«

Sie wandte sich, um nach Hause zu gehen, und ich begleitete sie. Da hielt sie inne.

»Ich will alleine gehen. Ich muß ihn allein sprechen.«

Eine Weile noch rannte ich zornwütig durch die Straßen; ich sagte mir immer wieder, in der ganzen Christenheit gäbe es keinen Burschen, dem man wie mir derartiges Unrecht getan. Zorn würgte mich; vergeblich holte ich tief Atem; mir schien, in ganz Leyden gäbe es nicht genug Luft, um mich zu befriedigen; ich glaubte, ich müßte bersten, gleich einem Menschen auf dem Grunde der See. Dann blieb ich wohl eine Minute lang an irgendeiner Straßenecke stehen und lachte so laut vor mich hin, daß einer der Vorübergehenden mir einen Blick zuwarf und mich wieder zur Besinnung brachte.

»Nun,« dachte ich, »ich bin lange genug der Pinsel und der Gimpel und der blöde Hans gewesen. Hohe Zeit, daß das vorüber ist. Das war eine gute Lehre, in Zukunft das verfluchte Weibergeschlecht zu meiden, das schon von Anbeginn des Mannes Verderb war und bis an das Ende der Welt sein Verderb sein wird. Gott weiß es, eh ich sie sah, war ich glücklich genug; Gott weiß es, ich kann mich glücklich preisen, daß ich sie losgeworden bin.«

Das schien mir jetzt die Hauptsache: sie mußten fort. Leidenschaftlich klammerte ich mich an diese Idee und glitt bald darauf mit einer gewissen boshaften Genugtuung zu dem Gedanken über, wie erbärmlich es ihnen gehen würde, wenn sie nicht länger Davie Balfour als Milchkuh hätten, worauf – zu meiner größten Überraschung – mein ganzes Empfinden sich plötzlich auf den Kopf stellte. Ich war immer noch zornig; ich haßte sie – aber – ich schuldete es mir selbst, daß Catriona keinen Mangel litt.

Das führte mich auf dem geradesten Wege nach Hause zurück, wo ich die Koffer bereits fertig verschnürt vor der Tür stehen fand. Das Verhalten von Vater und Tochter verriet deutlich einen erst kürzlich stattgefundenen Streit. Catriona glich einer hölzernen Puppe; James More atmete schwer, sein Gesicht zeigte ein fleckiges Weiß, und er blickte schielend zur Seite. Bei meinem Eintritt sah ihn das Mädchen finster, klar und fest an; es war ein Blick, wie er einem Schlag hätte vorausgehen können, ein Wink, verächtlicher als ein Befehl, und zu meiner Überraschung gehorchte James More. Es war klar, er hatte in der Unterredung seinen Meister gefunden; ich erkannte, in dem Mädchen steckte ein stärkerer Teufel als ich geahnt hatte, und in ihm mehr Gutmütigkeit, als ich ihm zuzusprechen willens gewesen war.

Er machte wenigstens den Versuch, zu reden, offenbar nach einem fertig eingetrichterten Konzept, wobei er mich Mr. Balfour nannte, aber er kam nicht sehr weit; bei dem ersten sonoren Anschwellen seiner Stimme schnitt ihm Catriona das Wort ab.

»Ich will Euch sagen, was James More meint. Er meint, wir sind als Bettler zu Euch gekommen und haben uns Euch gegenüber nicht gut benommen, und wir schämen uns unserer Undankbarkeit und unseres schlechten Verhaltens. Jetzt wollen wir weggehen und wollen, daß Ihr uns vergeßt; und mein Vater hat sein Hab und Gut so schlecht verwaltet, daß wir nicht einmal dies tun können, wenn Ihr uns nicht weitere Almosen gebt. Denn das und nichts anderes sind wir: Bettler und Schnorrer.«

»Mit Eurer Erlaubnis, Miß Drummond,« sagte ich, »ich möchte Euren Vater allein sprechen.«

Sie ging in ihr eigenes Zimmer und schloß ohne ein Wort oder einen Blick die Tür.

»Ihr müßt sie entschuldigen, Mr. Balfour«, sagte James More. »Sie besitzt kein Zartgefühl.«

»Ich bin nicht hier, um das mit Euch zu erörtern,« sagte ich, »sondern um Euch loszuwerden. Zu diesem Zwecke muß ich von Eurer Lage reden. Mr. Drummond, ich habe den Stand Eurer Geschäfte genauer im Auge behalten, als es in Eurer Absicht lag. Ich weiß, Ihr besaßet eigenes Geld, als Ihr von mir Geld borgtet. Ich weiß, Ihr habt seit Eurem Aufenthalt hier in Leyden noch mehr Geld in die Hand bekommen, obwohl Ihr es vor Eurer Tochter verheimlichtet.«

»Ich warne Euch, nehmt Euch in acht! Ich lasse mir eine derartige Behandlung nicht mehr gefallen«, brach er los. »Ich habe Euch beide satt. Was ist das für ein verdammter Beruf, Vater zu sein! Man hat mir gegenüber Ausdrücke gebraucht –« er verstummte. »Sir, das hier ist das Herz eines Soldaten und eines Vaters,« fuhr er fort, die Hand auf den Busen legend, »man hat es in dieser doppelten Eigenschaft geschändet – ich warne Euch, seid auf der Hut.«

»Hättet Ihr mich ausreden lassen,« erwiderte ich, »Ihr würdet bald gemerkt haben, daß es Euer Schaden nicht gewesen wäre.«

»Mein teurer Freund,« rief er, »ich weiß, ich weiß, ich hätte mich auf Eure Großmut verlassen sollen.«

»Mann, wollt Ihr mich endlich ausreden lassen? Tatsache ist, ich kann nicht dahinter kommen, ob Ihr reich oder arm seid. Aber ich habe so die Vermutung, daß Eure Mittel, da sie aus geheimer Quelle stammen, nicht gerade sehr reichlich sind, und ich will nicht, daß Eurer Tochter irgend etwas mangelt. Wenn ich es wagen würde, mit ihr selbst zu reden, Ihr könntet sicher sein, ich würde Euch nie und nimmer etwas anvertrauen, denn ich kenne Euch wie meine eigene Hand, und Euer prahlerisches Geschwätz ist wie Wind in meinen Ohren. Ich glaube aber, daß Ihr auf Eure Weise trotz allem noch an Eurer Tochter hängt; und ich muß mich mit dem zufrieden geben.«

Dann vereinbarte ich mit ihm, daß er mich regelmäßig von Catrionas Adresse und Befinden unterrichten solle und setzte ihm als Entgelt ein kleines Stipendium aus.

Er verfolgte die ganze Sache mit großem Eifer bis zum Abschluß und rief, als wir uns geeinigt hatten: »Mein teurer Freund, mein lieber Sohn, das sieht Euch ähnlicher als alles andere! Ich werde Euch mit soldatischer Treue –«

»Kein Wort mehr!« sagte ich. »Ihr habt es so weit gebracht, daß mich bei der Bezeichnung Soldat bereits der Ekel würgt. Unser Handel ist erledigt; ich gehe jetzt fort und komme in einer halben Stunde wieder; bis dahin erwarte ich, daß Ihr meine Räume von Eurer Gegenwart gesäubert haben werdet.« Ich ließ ihnen gehörige Zeit; ich hatte nur die einzige Furcht, Catriona von neuem zu begegnen, denn Tränen und Schwäche lauerten in meinem Herzen, und ich hegte und pflegte meinen Zorn wie eine große Auszeichnung. Rund eine Stunde verstrich; die Sonne war untergegangen und eine schmale, junge Mondsichel reiste ihr über einen Hintergrund scharlachfarbener Abendröte nach; im Osten begannen bereits einige Sterne aufzusteigen, und Nacht blaute in meinen Räumen, als ich sie endlich von neuem betrat. Ich zündete eine Kerze an und musterte die Zimmer. Im ersten war nichts geblieben, das auch nur eine Erinnerung an die Entschwundenen hätte wachrufen können; aber in dem zweiten entdeckte ich in einem Winkel am Fußboden einen kleinen Haufen Sachen, bei dessen Anblick mir der Herzschlag stockte. Sie hatte alles, was ich ihr je geschenkt, bei ihrer Abreise zurückgelassen. Das war der Schlag, der mich am stärksten traf, vielleicht, weil es der letzte war. Ich warf mich über diesen Haufen Kleider zu Boden und benahm mich törichter, als ich hier eingestehen möchte.

Spät in der Nacht, bei eisigem Frost und mit klappernden Zähnen, gewann ich genügend Selbstbeherrschung zurück, um ein wenig nachdenken zu können. Der Anblick dieser armen Kleider und Bänder, ihrer Hemden und geflickten Strümpfe war unerträglich. Und doch – wollte ich nur einen Teil meines Seelenfriedens zurückgewinnen, dann mußte ich mich noch vor Morgengrauen ihrer entledigen. Mein erster Gedanke war, Feuer zu machen und sie zu verbrennen; aber einmal war mir Verschwendung von jeher verhaßt, und dann schien es mir fast grausam, diese Sachen, die sie so dicht an ihrem Körper getragen, zu vernichten. In jenem Zimmer befand sich noch ein Eckschrank; dort beschloß ich, die Kleider aufzubewahren. Das tat ich denn auch mit gebührender Langsamkeit; mit gar geringem Geschick, aber mit um so größerer Sorgfalt faltete ich die einzelnen Gegenstände zusammen; ja, mitunter entglitten sie mir wieder samt meinen Tränen. All mein Mut hatte mich verlassen, ich war müde, wie nach einem zehn Meilen langen Lauf, und an allen Gliedern wund, als hätte man mich geschlagen. Da bemerkte ich, als ich ein Halstuch, das sie viel getragen, zusammenlegen wollte, daß die eine Ecke säuberlich abgeschnitten war. Das Tuch war von wunderschöner Farbe, und ich hatte es oft an ihr bewundert; ich erinnerte mich: einmal, als es sie schmückte, hatte ich im Scherz gesagt, jetzt trüge sie meine Farben. Eine warme Welle von Hoffnung durchströmte gleich einer süßen Flut mein Herz; im nächsten Augenblick versank ich von neuem in Verzweiflung. Dort für sich in einer anderen Ecke des Zimmers lag zusammengeknüllt der fehlende Zipfel.

Als ich noch innerlich mit mir stritt, wurde ich wieder hoffnungsfroher. Sie hatte jenen Zipfel in kindischer, aber zärtlicher Laune abgeschnitten; daß sie ihn wieder weggeworfen, war nicht so sehr verwunderlich; ich war daher eher geneigt, bei der ersten denn bei der zweiten Tatsache zu verweilen und freute mich mehr, daß ihr wenigstens der Gedanke, ein Andenken zu bewahren, gekommen war, als daß ich mich sorgte, weil sie es in einem Augenblick begreiflichen Zorns fortgeworfen hatte.

Erstes Kapitel


Ein Bettler zu Pferde

Es war um die zweite Nachmittagsstunde des 25. August 1751, da verließ ich, David Balfour, gefolgt von einem Dienstmann, der einen Geldsack trug, die British Linen Company, bis zur Tür von einigen der Chefs dieses Handelshauses begleitet, die sich mit vielen Bücklingen von mir verabschiedeten. Zwei Tage vorher aber, ja noch am gestrigen Morgen, hatte ich in meinen Lumpen eher einem Bettler von der Landstraße geglichen: meine ganze Habe ein paar armselige Schillinge, mein einziger Begleiter ein vom Gericht verfolgter Hochverräter und ein Preis auf mein eigenes Haupt gesetzt ob eines Verbrechens, von dem weit und breit das Land widerhallte. Heute dagegen war ich der anerkannte Erbe der Lebensstellung, die mir von Geburt aus zufiel, ein Grundbesitzer, dem ein Bankbedienter das Gold nachtrug, mit Empfehlungen in der Tasche und (wie die Redensart lautet) mit der Welt zu meinen Füßen.

Zwei Umstände gab es, die meinem mit vollen Segeln fahrenden Lebensschiff als Ballast dienten. Die erste Gefahr drohte von der überaus schwierigen, ja tödlichen Angelegenheit, die es noch zu ordnen galt; die zweite von dem Ort, an dem ich mich befand. Die ragende, finstere Stadt, die Zahl, das Gewühl und der Lärm der Menschen bedeuteten für mich, der ich mich bisher nur zwischen Heidehügeln und Sanddünen und in stillen, ländlichen Gegenden aufgehalten hatte, eine neue Welt. Insbesondere verwirrte mich das Gedränge der Städter. Rankeillors Sohn war klein und von schmächtiger Gestalt; seine Kleider wollten mir gar nicht recht passen; mir stand es daher wahrlich schlecht an, vor einem Bankbedienten einherzustolzieren. Es war klar, falls ich es dennoch tat, mußte dies Verhalten die Leute zum Lachen reizen und (was in meinem Falle weit schlimmer war) zum Fragenstellen veranlassen. So lag es mir denn ob, mich nach eigener Kleidung umzusehen und in der Zwischenzeit neben dem Träger herzugehen und meinen Arm in den seinen zu legen, als wären wir zwei Freunde.

Bei einem Händler in den Luckenbooths staffierte ich mich aus; nicht allzu prächtig, denn ich hatte durchaus nicht die Absicht, als Bettler zu Pferde zu erscheinen, wohl aber zierlich und anständig, so daß Dienstboten mich respektieren würden. Von dort ging es zu einem Waffenhändler, bei dem ich einen einfachen Degen erstand, wie er meinem Range geziemte. Ich fühlte mich im Besitze dieser Waffe sicherer, obwohl sie für jemanden, der des Fechtens so unkundig war, nur eine weitere Gefahr bedeutete. Der Dienstmann, der natürlich ein Mann von einiger Erfahrung war, hielt die Wahl meiner Ausstattung für zweckmäßig.

»Nichts Auffallendes,« meinte er, »einfache, anständige Sachen. Und was das Rapier anbetrifft, so wird es ja gewißlich zu Eurem Range passen; aber ich an Eurer Stelle hätte meine Groschen für Besseres aufgespart.« Und sofort schlug er mir vor, von einem Weiblein in einer der Hintergassen von Cowgate, die seine leibhaftige Base wäre, Winterstrümpfe zu kaufen, da sie sie »ganz ungemein haltbar« verfertige. Doch ich hatte andere, dringendere Angelegenheiten zu erledigen. Da war ich nun in dieser alten, düsteren Stadt, die mit nichts auf der Welt solche Ähnlichkeit hatte wie mit einem Kaninchenbau, sowohl der Zahl ihrer Bewohner wegen wie auch dank des Labyrinths ihrer Gänge und Schlupflöcher. Wahrlich, es war ein Ort, an dem kein Fremder die Möglichkeit hatte, auch nur einen Freund, geschweige denn einen anderen Fremden aufzuspüren. Selbst wenn er zufällig in den richtigen Hof geriet, drängten sich die Menschen in diesen hohen Häusern doch so dicht zusammen, daß er einen ganzen Tag hätte suchen dürfen, um die richtige Tür zu finden. Das Nächstliegende wäre gewesen, sich einen Jungen, hier »Caddie« geheißen, zu mieten, der als Führer oder Pilot dient, und der den Fremden geleitet, wohin der Betreffende will, und ihn dann (nach erledigten Geschäften) in das Logis zurückführt. Allein die Caddies, die stets zu den gleichen Diensten verwendet werden, und zu deren Pflichten es gehört, über jedes Haus und jeden Einwohner gut unterrichtet zu sein, hatten allmählich eine Art Spionagegemeinschaft gebildet; und ich wußte aus den Erzählungen Mr. Campbells, daß sie alle Nachrichten auszutauschen pflegten, sich mit leidenschaftlicher Neugier für die Angelegenheiten ihrer Auftraggeber interessierten und so gleichsam die Augen und die Finger der Polizei darstellten. In meiner Lage wäre es wohl kaum klug gewesen, mir einen dieser Spürhunde an die Fersen zu heften. Ich hatte drei verschiedene, aber gleich dringliche Besuche zu machen: einen bei meinem Verwandten, Mr. Balfour von Pilrig, einen bei Stuart, dem Advokaten, der Appins Sachwalter war, und einen bei William Grant, Herrn von Prestongrange, Lord Staatsanwalt von Schottland. Der Besuch bei Mr. Balfour war unbedenklich; außerdem getraute ich mich (da Pilrig auf dem Lande lag), den Weg dorthin allein mit Hilfe meiner zwei Beine und einer gut schottischen Zunge zu finden. Ganz anders stand es um die beiden anderen Besuche. Der bei dem Sachwalter Appins war jetzt inmitten des Aufruhrs anläßlich des Appiner Mordes nicht nur an sich gefährlich, sondern kaum vereinbar mit dem dritten Besuch. Auch bestenfalls würde ich dem Lord Staatsanwalt gegenüber einen schweren Stand haben; doch mich geradewegs von Appins Sachwalter zu ihm begeben, hieß meine Sache schwerlich bessern und konnte den glatten Ruin von Freund Alan bedeuten. Außerdem verlieh mir das Ganze den Anschein, als trüge ich den Mantel nach zwei Seiten, eine Sache, die mir wenig behagen wollte. Ich beschloß daher, unverzüglich mit Mr. Stuart und mit dem gesamten jakobitischen Teil meiner Angelegenheiten zu Rande zu kommen und mich zu diesem Zwecke der Ortskenntnis des Trägers an meiner Seite zu bedienen. Kaum jedoch hatte ich ihm die Adresse genannt, als ein leichter Regenschauer niederging – nicht arg, aber meinen neuen Kleidern nicht sonderlich zuträglich –, und wir flüchteten uns unter einen Torbogen am Eingang eines Hofes oder Gäßchens.

Da meine ganze Umgebung mir fremd war, trat ich etwas weiter zurück. Der schmale, gepflasterte Gang fiel steil ab. Unermeßlich hohe Häuser ragten zu beiden Seiten auf und sprangen, ein Stockwerk über dem anderen, im Aufsteigen immer weiter vor, so daß oben nur ein schmaler Streifen Himmel sichtbar war. Soweit ich aus dem, was die Fenster enthüllten, sowie aus dem ehrbaren Aussehen der Personen, die aus- und eingingen, zu ersehen vermochte, waren die Häuser von anständigen Leuten bewohnt, und der ganze Ort fesselte und interessierte mich wie eine Geschichte.

Ich starrte noch immer um mich, als hinter mir plötzlich das muntere Stampfen vieler Füße im Gleichtritt und das Geklirr von Waffen ertönten. Ich drehte mich rasch um und gewahrte einen Zug bewaffneter Soldaten, in ihrer Mitte einen hochgewachsenen Mann in schwerem Mantel. Der Mann schritt gebeugt, wie in höfischer Zuvorkommenheit und mit schmeichelndem Anstand; im Gehen gestikulierte er beredt, und sein Gesicht war schlau und schön. Ich glaubte zu bemerken, daß sein Blick auf mich fiel, vermochte indes nicht seinem Auge zu begegnen. Der Zug schritt an mir vorüber nach einer Tür in dem Hofe, die von einem Bedienten in prächtiger Livree geöffnet wurde, und zwei Soldaten geleiteten den Gefangenen hinein, während die anderen mit ihren Feuerschloßgewehren an der Türe herumlungerten.

Nichts vermag sich auf den Straßen einer Stadt zu ereignen, ohne eine Schar müßiger Erwachsener und Kinder anzuziehen. So auch jetzt. Doch die Mehrzahl der Zuschauer zerstreute sich auf der Stelle, bis nur drei übriggeblieben waren, darunter ein Mädchen. Sie war wie eine Dame gekleidet und trug ein Stückchen Band in den Drummondfarben im Haar; doch ihre Kameraden oder, sagen wir lieber, Gefolgsleute waren zerlumpte Burschen, wie ich sie zu Dutzenden auf meiner Reise durch das Hochland getroffen hatte. Alle drei sprachen eifrig in gälisch, das meinen Ohren um Alans willen lieblich klang, aufeinander ein; und obgleich der Regen nachgelassen hatte und mein Dienstmann mich am Ärmel zupfte, um mich zum Aufbruch zu gemahnen, näherte ich mich ihnen noch weiter, um zu lauschen. Die Dame schalt die anderen heftig aus, die sich entschuldigten und vor ihr krochen, und ich war nun überzeugt, daß sie einer Häuptlingsfamilie angehörte. Während dieser ganzen Zeit durchstöberten alle drei ihre Taschen, doch brachten sie, soweit ich sehen konnte, zusammen nicht mehr als einen halben Farthing auf, weshalb ich leise lächeln mußte; denn ich erkannte, daß die Hochländer, was schöne Manieren und eine leere Geldkatze betrifft, sich alle gleich sind.

Zufällig drehte sich das Mädchen plötzlich um, so daß ich zum erstenmal ihr Gesicht erblickte. Nun gibt es aber kein größeres Wunder als die Art, in der das Gesicht eines jungen Weibes von eines jungen Mannes Sinn Besitz ergreift und in ihm haften bleibt, ohne daß er euch den Grund zu sagen vermöchte! Es ist, als hätte er just das gefunden, wonach er sich gesehnt. Sie hatte wunderbare, helle Augen wie Sterne, und ich glaube wohl, die Augen hatten etwas damit zu tun; wessen ich mich jedoch am klarsten erinnere, ist die Art, wie ihre Lippen leicht geöffnet waren, als sie den Kopf wendete. Was immer auch der Grund gewesen sein mag, ich stand dort wie ein Narr. Sie ihrerseits starrte mich, da sie niemanden in solcher Nähe vermutet hatte, etwas länger und vielleicht mit größerer Überraschung an, als mit höflicher Sitte ganz vereinbar war.

Es schoß mir durch meinen Bauernschädel, daß sie vielleicht meinen neuen Anzug bewundere; darauf errötete ich bis an die Haarwurzeln, und bei dem Anblick meiner Verlegenheit muß sie wohl ihre eigenen Schlüsse gezogen haben, denn sie hieß ihre Leute weiter in den Hof hineingehen, und sie nahmen ihre Auseinandersetzung dort wieder auf, wo ich nichts mehr davon hören konnte.

Ich hatte schon manch ein Mädchen bewundert, wenn auch kaum je so plötzlich und so heftig, und meinem Charakter lag es näher, zurückhaltend als fürwitzig zu sein; denn ich fürchtete mich sehr, von dem Weibervolk verspottet zu werden. Man hätte daher meinen können, ich hätte jetzt allen Grund gehabt, meinen üblichen Gepflogenheiten zu folgen, zumal ich diese junge Dame auf der Gasse, anscheinend im Gefolge eines Gefangenen und von zwei äußerst zerlumpten, wenig ehrbaren Hochlandsrittern begleitet, angetroffen hatte. Allein hier spielte noch eine andere Sache mit: es war klar, das Mädchen glaubte, ich hätte ihren Geheimnissen nachspioniert; und das war angesichts der neuen Kleidung und des Degens, den ich trug, in meiner jetzigen Lage, fast auf dem Gipfel des Glücks, mehr als ich herunterschlucken konnte.

Ich ging ihr daher nach und lüftete vor ihr, so gut ich es verstand, meinen neuen Hut.

»Madame,« sagte ich, »ich meine, es ist nur gerecht gegen mich selbst, Euch wissen zu lassen, daß ich kein Gälisch verstehe. Es ist zwar wahr, daß ich lauschte, denn ich besitze jenseits der Grenze im Hochland selber Freunde, weshalb jene Sprache freundlich in meinen Ohren klingt. Doch was Eure Privatangelegenheiten anbelangt, so würde ich sie, hättet Ihr Griechisch geredet, eher erraten haben.«

Sie machte mir eine leichte, kühle Reverenz. »Es ist kein Schaden geschehen«, sagte sie mit einem hübschen Akzent, der in erster Linie dem Englischen glich (aber weit lieblicher klang). »Schaut doch die Katz‘ den König an.«

»Ich will keinen Anstoß erregen«, antwortete ich. »Ich bin ungeschult in Städterart; vor heute hat mein Fuß den Bezirk Edinburg nie betreten. Nehmt mich also hin als einen Burschen vom Lande – das bin ich auch; es ist mir lieber, ich sag’s Euch selbst, als daß Ihr’s von Euch aus entdecktet.«

»In der Tat, es dürfte höchst ungewöhnlich sein, daß Fremde sich also auf der Gasse unterhalten«, entgegnete sie. »Doch wenn Ihr vom Lande seid, so ist das eine andere Sache. Ich stamme selbst vom Land; ich bin vom Hochland, wie Ihr seht, und fühl mich um so ferner von der Heimat.«

»Es ist noch keine Woche her, daß ich die Grenze überschritt«, sagte ich. »Vor weniger als einer Woche weilte ich noch in den Hügeln von Balwhidder.« »Balwhidder?« rief sie. »Kommt Ihr von Balwhidder? Allein der Name macht, daß mein ganzes Herz sich freut. Ihr könnt nicht lange dort gewesen sein, ohne einige unserer Freunde und Verwandten kennenzulernen!« »Ich wohnte bei einem kreuzbraven, freundlichen Mann namens Duncan Dhu Maclaren,« lautete meine Antwort. »Nun, ich kenne Duncan, und Ihr habt ihm das rechte Zeugnis ausgestellt;« erwiderte sie; »und ist er kreuzbrav, so ist’s seine Frau erst recht!«

»Ja,« sagte ich, »es sind prächtige Leute, und der Ort ist ein schöner Ort.« »Wo auf der ganzen, weiten Welt gibt’s seinesgleichen?« rief sie. »Ich liebe den Geruch dieser Gegend, ja selbst die Wurzeln, die dort wachsen.«

Das Feuer, mit dem sie sprach, gefiel mir ganz ungemein. »Ich wünsche fast, ich hätte Euch ein Zweiglein Heidekraut mitgebracht«, sagte ich. »Und ob ich auch unrecht tat, Euch vorhin anzureden, mach‘ ich es doch jetzt, da wir gemeinsame Bekannte haben, zu einer Bitte, daß Ihr mich nicht vergessen möget. David Balfour ist der Name, unter dem man mich kennt. Heute ist mein Glückstag, denn soeben habe ich mein Erbe angetreten, und es ist noch nicht sehr lange her, daß ich einer tödlichen Gefahr entrann. Ich wollte, Ihr behieltet meinen Namen Balwhidder zuliebe im Gedächtnis, so wie ich mich um meines Glückstags willen des Euren erinnern will.«

»Mein Name wird nicht ausgesprochen«, entgegnete sie mit großem Hochmut. »Es sind mehr als hundert Jahre her, daß er, außer zu Sekunden, den Leuten auf der Zunge war. Ich bin namenlos, wie das Stille Volk.1 Catriona Drummond ist der Name, dessen ich mich bediene.« Jetzt wußte ich in der Tat, woran ich war. Im ganzen großen Schottland gab es nur einen Namen, der proskribiert war: den der Macgregors. Jedoch weit davon entfernt, diese unerwünschte Bekanntschaft zu fliehen, stürzte ich mich nur noch tiefer hinein.

»Ich war mit jemandem zusammen, der sich in der gleichen Lage wie Ihr befand,« sagte ich, »und ich glaube, er wird einer Eurer Freunde sein. Er nannte sich Robin Oig.« »Wahrhaftig?« rief sie. »Ihr kennt Rob?«

»Ich verbrachte eine ganze Nacht in seiner Gesellschaft,« erwiderte ich.

»Er ist ein Nachtvogel«, erklärte sie.

»Sackpfeifen waren auch bei der Hand«, fuhr ich fort. »Urteilt also, ob uns die Zeit verging.«

»Jedenfalls werdet Ihr kein Feind sein«, sagte sie. »Der vorhin dort vorüberging, umgeben von Rotröcken, war sein Bruder. Er ist’s, den ich Vater nenne.«

»Wirklich?« rief ich. »Seid Ihr eine Tochter James Mores?« »Seine einzige Tochter,« entgegnete sie, »die Tochter eines Gefangenen! Daß ich das auch nur eine Sekunde vergessen konnte, um mich mit einem Fremden zu unterhalten!« Jetzt wandte sich einer der Kerle an sie, indem er die wenigen Brocken Englisch, die er kannte, zusammenkratzte, um sie zu fragen, was »sie« (womit er sich selbst meinte) wegen des »Tobaks« machen sollte. Ich musterte ihn und sah einen kleinen Mann mit großem Schädel, krummbeinig und rothaarig, den ich später zu meinem Schaden noch näher kennenlernen sollte. »Heute wird es wohl keinen geben, Neil«, lautete die Antwort. »Wo willst du ›Tobak‹ hernehmen, wenn dir das Geld dazu fehlt? Ich werde dich das nächstemal lehren, achtsamer zu sein; und James More wird, glaub ich, mit Neil vom Tom auch nicht sonderlich zufrieden sein.« »Miss Drummond,« sagte ich, »ich erzählte Euch doch, daß heute mein Glückstag ist. Hier steh ich und hinter mir ein Träger von der Bank. Und vergeßt nicht, daß ich die Gastfreundschaft Eurer Heimat Balwhidder genossen habe.«

»Es war keiner von meiner Sippe, der sie Euch gewährte«, entgegnete sie. »Gut,« sagte ich, »zum mindesten aber bin ich Eures Onkels Schuldner für einige Lieder auf der Sackpfeife. Außerdem habe ich mich Euch als Freund angeboten, und Ihr wäret so unvorsichtig, das nicht zur rechten Zeit abzulehnen.« »Wäre es eine große Summe, Ihr würdet vielleicht Ehre damit einlegen«, erwiderte sie; »aber ich will Euch sagen, um was es sich handelt. James More liegt in Ketten im Gefängnis; diese ganze Zeit über bringen sie ihn täglich zum Staatsanwalt – – « »Zum Staatsanwalt?« fragte ich. »Ist das – – – « »Das hier ist das Haus des Lord Staatsanwalts Grant von Prestongrange«, sagte sie. »Dorthin schaffen sie von Zeit zu Zeit meinen Vater, zu welchem Zwecke, weiß ich nicht; aber es scheint, daß es seit kurzem wieder Hoffnung für ihn gibt. Trotzdem wollen sie nicht erlauben, daß ich ihn spreche, oder daß er mir schreibt; und so harren wir seiner hier auf des Königs Gassen, um ihn zu treffen, und manchmal, wenn er vorübergeht, geben wir ihm seinen Schnupftabak, und manchmal auch anderes. Und hier steht dieser Sohn des Mißgeschicks, Neil, der Sohn Duncans, und hat mein Vierpennystück, mit dem ich den Tabak kaufen wollte, verloren, und nun muß James More ohne Tabak fertig werden und wird denken, seine Tochter habe ihn vergessen.«

Ich nahm einen halben Shilling aus der Tasche, reichte ihn Neil und hieß ihn seinen Auftrag erledigen. Dann sagte ich, zu ihr gewandt: »Jener halbe Shilling wurde mir in Balwhidder gegeben.« »Ah!« meinte sie, »Ihr seid ein Freund der Gregara!« »Ich will Euch auch nichts vortäuschen«, entgegnete ich. »Ich weiß sehr wenig von den Gregara und weniger noch von James More und seinen Händeln; doch seit ich hier in diesem Gange stehe, scheine ich einiges von Euch zu wissen; und wenn Ihr statt dessen lieber ›Ein Freund von Fräulein Catriona‹ sagen wolltet, will ich dafür sorgen, daß Ihr um so weniger hintergangen werdet.«

»Das Eine ist unmöglich ohne das Andere«, sagte sie.

»Ich will es trotzdem versuchen«, erwiderte ich.

»Und was denkt Ihr von mir, daß ich so dem ersten besten Fremden meine Hand entgegenstrecke?« rief sie.

»Ich denke nichts weiter, als daß Ihr eine gute Tochter seid«, war meine Antwort.

»Ich darf nicht unterlassen, Euch das Geld zurückzuzahlen«, versetzte sie. »Wo wohnt Ihr?«

»Um die Wahrheit zu sagen, einstweilen nirgends,« entgegnete ich, »da ich noch keine drei Stunden in der Stadt bin; doch wenn Ihr mir Eure Adresse geben wollt, werde ich so kühn sein, mir meinen halben Shilling selbst zu holen.«

»Kann ich Euch so weit trauen?« fragte sie.

»Ihr habt wenig zu befürchten«, antwortete ich.

»James More würde anderes nicht dulden«, sagte sie. »Ich wohne jenseits des Dorfes Dean, an der Nordseite des Flusses, bei Mrs. Drummond Ogilvy von Allardyce, die eine nahe Freundin von mir ist und sich freuen wird, Euch kennenzulernen.«

»Ihr werdet mich also wiedersehen, sobald meine Obliegenheiten es mir gestatten«, sagte ich; und da mit diesen Worten die Erinnerung an Alan mich von neuem befiel, beeilte ich mich, ihr Lebewohl zu sagen. Noch im gleichen Augenblick und mir selbst zum Trotz mußte ich denken, daß wir in Anbetracht der Kürze unserer Bekanntschaft doch recht weit miteinander gekommen wären, und daß eine wirklich vorsichtige junge Dame etwas mehr Zurückhaltung gezeigt hätte. Ich glaube, es war der Bankbediente, der mir diese ungalanten Gedanken vertrieb.

»Ich dachte, Ihr wäret ein Bursche von einiger Vernunft«, begann er und schob die Unterlippe vor. »Auf diese Art werdet Ihr’s wohl nicht weit bringen. Ein Narr und sein Geld sind bald geschieden. Ihr seid mir ein grüner Junge«, rief er, »und obendrein noch liederlich! So um die Menscher zu scharwenzeln!« »Wenn Ihr es wagt, auch nur ein Wort gegen die junge Dame – – « hub ich an. »Dame!« rief er. »Gott schütz und bewahr uns, welche Dame? Nennt Ihr die eine Dame? Die Stadt wimmelt ja von denen. Damen! Mann, man sieht, daß Ihr Euch in Edinburg nicht auskennt!«

Eine Zorneswelle packte mich. »Hier«, sagte ich, »führt mich, wohin ich Euch geheißen, und haltet Euer dreckiges Maul!«

Er gehorchte mir nicht ganz, denn wenn er mich auch nicht direkt anredete, sang er mir doch im Gehen in einer überaus zweideutigen und unverschämten Weise und mit ungemein falscher und krächzender Stimme vor:

Als Molly unsern Weg gekreuzt, da flog im Wind ihr Band,
Da flog ihr Blick zu mir zurück und über ihr Bettelgewand.
Jetzt ziehen wir nach Ost und West, jetzt geht durch’s ganze Land
Nach West und Ost auf Freiersfuß die Fahrt um Molly s Hand
.

  1. Die Elfen.

Neunzehntes Kapitel


Ich bin viel in den Händen der Damen

Das Kopieren war ein langweiliges Geschäft, zumal ich recht klar erkannte, daß die betreffende Angelegenheit in keiner Weise pressierte und sehr bald meine Beschäftigung als einen Vorwand zu betrachten begann. Kaum war ich damit fertig, da saß ich auch schon zu Pferde, um noch den letzten Rest Tageslicht auszunutzen; trotzdem wurde ich von der Dunkelheit überrascht und mußte in einem Hause in der Nähe von Almond Water übernachten. Noch vor Tagesgrauen war ich wieder im Sattel, und die Edinburger Läden wurden eben aufgeschlossen, als ich bei West Bow zum Tor hineinrasselte und vor des Lord Staatsanwalts Haus mein dampfendes Pferd zügelte. In meinem Besitze befand sich eine schriftliche Anweisung an Doig, Mylords Privatsekretär, von dem man annahm, daß er in alle Geheimnisse eingeweiht wäre – ein würdiger, häßlicher kleiner Mann, ganz Fett, Schnupftabak und Selbstsicherheit. Ich fand ihn in dem gleichen Vorraum, in dem ich mit James More zusammengestoßen war, vor einem Pult, trotz der Morgenfrühe über und über mit Tabakspuren bekleckst. Meinen Zettel las er mit peinlicher Sorgfalt durch, gleich einem Kapitel aus der Bibel.

»Hm,« meinte er, »Ihr kommt ein wenig spät, Mr. Balfour. Der Vogel ist ausgeflogen – wir ließen ihn frei.« »Miß Drummond befindet sich in Freiheit?« rief ich. »Jawohl! Weshalb sollten wir sie behalten? Versteht Ihr mich? Wem wäre damit gedient, wenn wir um des Mädels willen ein Aufhebens machen?«

»Wo wird sie jetzt sein?« forschte ich.

»Weiß der liebe Himmel«, antwortete Doig mit einem Achselzucken. »Sie wird zu Lady Allardyce gegangen sein.«

»Höchstwahrscheinlich.«

»Dann gehe ich auch dorthin.«

»Aber Ihr werdet zuvor doch einen Bissen zu Euch nehmen?« »Keinen Bissen und keinen Tropfen! Ich trank in Ratho einen tüchtigen Trunk Milch.«

»Gut, gut«, meinte Doig. »Ihr könnt indes Euer Pferd und Euer Gepäck hier lassen; es scheint, wir müssen Euch beherbergen.« »Nein, nein,« entgegnete ich, »am heutigen Tage von allen Tagen des Jahres wären Schusters Rappen nicht die richtigen Rösser für mich.« Da Doig ziemlich breiten Dialekt redete, war ich unwillkürlich in eine Aussprache verfallen, weit gröber als die, derer ich mich gewöhnlich mit großer Sorgfalt befleißigte. Um so beschämter war ich, als hinter mir eine dritte Stimme einige Takte aus einer Ballade summte:

»Lauf, sattle mir mein tapferes Roß,
Heut gilt’s, drum spute dich fein;
Will reiten über den Gatehope-Berg,
Besuchen die Liebste mein.«

Die junge Dame stand da im Morgennegligé, die Hände, wie abwehrend, in den Falten ihres Kleides vergraben. Trotzdem schien mir der Blick, mit dem sie mich betrachtete, nicht unfreundlich. »Mein ehrerbietigstes Kompliment, Miß Grant«, grüßte ich, mich verneigend. »Euch selber das gleiche«, antwortete sie und machte mir einen tiefen Knicks. »Gestattet mir, Euch an ein hausbackenes und altersgraues Sprichwort zu gemahnen: ›Durch Messen und Essen kam niemand noch zuschanden.‹ Die Messe kann ich Euch zwar nicht bieten, da wir alle gute Protestanten sind, aber das Essen möcht ich Euch dringend anempfehlen. Ferner müßte es mich wundernehmen, hätt ich nicht privatim für Euer Ohr einige Neuigkeiten, die den Aufenthalt hier lohnen dürften.« »Miß Grant,« sagte ich, »ich glaube, ich bin bereits etlicher munterer Worte wegen – die mir zugleich recht gütig dünkten – Euer Schuldner. Sie standen auf einem Papier ohne Unterschrift.«

»Ohne Unterschrift?« wiederholte sie mit drolligem, aber wunderbar schönem Ausdruck, wie jemand, der sich an etwas zu erinnern sucht. »Sonst müßte ich mich arg täuschen«, fuhr ich fort. »Doch uns bleibt ja noch Zeit genug, davon zu reden, da Euer Herr Vater so gütig ist, mich eine Zeitlang als Hausgenossen aufzunehmen; ›der Esel‹ bittet Euch daher, ihm dieses eine Mal die Freiheit zu gewähren.« »Ihr gebt Euch da einen harten Namen!«

»Mr. Doig und ich würden uns mit Freuden seitens Eurer geschickten Feder noch härtere gefallen lassen.« »Wieder einmal muß ich die Diskretion der Männer bewundern«, lautete die Antwort. »Aber macht, daß Ihr fortkommt, wenn Ihr wirklich nicht essen wollt. Um so früher seid Ihr zurück; die wilde Jagd ist doch umsonst. Macht, daß ihr fortkommt, Mr. David.« Und die Tür öffnend, fügte sie hinzu:

»Auf saß er auf sein wackeres Roß,
Fort ging’s über Berg und Rain;
Nicht schonte er Peitsche und stachligen Sporn;
So jagt er zur Liebsten fein.«

Ich ließ mir das nicht zweimal sagen und machte Miß Grants Zitat auf dem Wege nach Dean alle Ehre. Die alte Lady Allardyce spazierte in Hut und Haube allein im Garten, gestützt auf einen schwarzen, mit Silber eingefaßten Spazierstock. Als ich vom Pferde stieg und mich ihr unter Bücklingen näherte, sah ich, daß ihr das Blut ins Gesicht schoß, und daß sie mit einer Miene, wie ich sie mir bei einer Kaiserin träumte, den Kopf in den Nacken warf. »Was führt Euch an meine Tür?« rief sie in schrillem, näselnden Ton. »Ich kann sie Euch nicht verschließen. Die Männer meines Hauses sind tot und begraben; ich habe weder Gatten noch Sohn, die sich an meiner Statt vor die Schwelle stellen könnten; jeder Bettler darf mich am Barte zupfen – ein Bart ist wirklich vorhanden – und das ist noch das Schlimmste an der Sache!« fügte sie halb zu sich selbst hinzu.

Ich war über diesen Empfang arg konsterniert, zumal die letzte Bemerkung, die von einer Verrückten zu stammen schien, machte mich sprachlos.

»Ich sehe, ich habe mir Eure Ungnade zugezogen Madame«, sagte ich. »Dennoch möchte ich so kühn sein, mich bei Euch nach Miß Drummond zu erkundigen.« Brennenden Auges blickte sie mich an, die Lippen in zwanzig Falten zusammengepreßt, zitternd auf ihren Stock gelehnt. »Das übersteigt doch alles!« stieß sie hervor. »Ihr kommt, um Euch nach ihr zu erkundigen? Wolle Gott, ich wüßte was von ihr!« »Sie ist nicht hier?« rief ich. Abermals warf die alte Dame den Kopf zurück, trat einen Schritt vor und fuhr mich so heftig an, daß ich schleunigst den Rückzug antrat.

»Schande über Eure lügnerische Zunge! Was? Ihr kommt, mich auszuhorchen? Im Gefängnis sitzt sie, wo Ihr sie hingebracht habt – mehr gibt es nicht zu sagen. Und von allen Wesen in Mannsbildkleidung mußtet gerade Ihr der Verräter sein! Ihr feiger Schuft! Wäre meinem Namen auch nur ein einziges Mannsbild verblieben, ich sorgte, daß Euch der Buckel verwamst würde, bis Ihr brülltet.« Mich dünkte es unratsam, länger an diesem Ort zu verweilen, da ich merkte, daß sie sich immer mehr in Zorn hineinredete. Ja, als ich nach dem Pfosten zurückwich, an dem mein Pferd angebunden war, folgte sie mir, und ich schäme mich nicht, einzugestehen, daß ich davonritt, einen Fuß im Steigbügel und mit dem anderen krampfhaft den zweiten Bügel suchend. Da ich nicht wußte, wohin ich mich mit meinen Nachforschungen noch wenden sollte, blieb mir nichts übrig, als nach dem Hause des Lord Staatsanwalts zurückzukehren. Ich wurde von den vier Damen sehr freundlich begrüßt, die alle beisammen saßen und sich bemüßigt fühlten, mit großer Ausführlichkeit und Langeweile für mich, alle Neuigkeiten zu erzählen, sowie alles, was es von Prestongrange zu berichten gab. Währenddessen beobachtete mich die junge Dame, die wieder allein zu sprechen ich mich von Herzen sehnte, mit verschmitztem Ausdruck und schien sich an meiner Ungeduld zu weiden. Endlich, als ich eine ganze Mahlzeit über mich hatte ergehen lassen und schon sehr nahe daran war, das Fräulein in Gegenwart ihrer Tante um eine Unterredung zu bitten, erhob sie sich, ging an das Notenpult, wählte ein Lied aus und sang in hohem Sopran: »Wer nicht nutzt die Gelegenheit, wartet vergeblich zu späterer Zeit«. Damit jedoch ließ ihre Strenge es bewenden; bald darauf führte sie mich unter irgendeinem Vorwand, den ich vergessen habe, in ihres Vaters Privatbibliothek. Dabei darf ich nicht unterlassen zu erwähnen, daß sie mit vollendeter Eleganz gekleidet war und ganz ungewöhnlich schön aussah.

»So, Mr. David, jetzt setzt Euch und laßt uns unter vier Augen miteinander plaudern. Ich habe Euch viel zu erzählen; außerdem scheine ich Euch in puncto Geschmack schweres Unrecht getan zu haben.«

»Inwiefern, Miß Grant? Ich hoffe, ich habe es niemals an schuldigem Respekt fehlen lassen.« »Darüber kann ich Euch beruhigen, Mr. David. Euer Respekt, ob gegenüber Euch selbst oder Euren armen Mitmenschen, war glücklicherweise stets exemplarisch. Ihr erhieltet von mir ein Billett?«

»Ich war so kühn, dies auf gewisse Indizien hin zu glauben; es wurde dankbar aufgenommen.«

»Es muß Euch ungeheuer überrascht haben. Aber wir wollen mit dem Anfang anfangen. Ihr erinnert Euch vielleicht noch eines Tages, da Ihr so freundlich waret, drei äußerst langweilige Fräulein nach Hause zu geleiten? Ich habe um so mehr Grund, ihn nicht zu vergessen, als Ihr die große Güte hattet, mich in einige Grundprinzipien der lateinischen Grammatik einzuführen, eine Tatsache, die sich unauslöschlich in mein Dankesbewußtsein eingegraben hat.« »Ich fürchte, ich war ein trauriger Pedant«, sagte ich, in der Erinnerung schamüberwältigt. »Bedenkt indes, daß ich Damengesellschaft durchaus ungewohnt bin.« »Wir wollen also die Grammatik nicht weiter erwähnen. Wie kamt Ihr aber dazu, Eure Schutzbefohlenen im Stich zu lassen? ›Und er stieß sie hinweg und sah sie nimmer an, sein Annchen, sein süßes, süßes Annchen‹« summte sie. »Nun, sein Annchen und ihre beiden Schwestern mußten wie eine Herde junger Gänse ganz allein nach Haus marschieren! Ihr kehrtet, wie es scheint, zu meinem Papa zurück und benahmt Euch ungemein martialisch, und von dort ging es in unbekannte Gegenden, zuletzt offenbar nach der Insel Baß; aber vielleicht sind Lummen mehr nach Eurem Geschmack als hübsche Mädchen?« Durch all diese Neckerei hindurch schimmerte in der Dame Auge ein gewisses Wohlwollen, das mich annehmen ließ, sie habe Besseres für mich in petto.

»Ihr findet Vergnügen daran, mich zu quälen, und ich gebe ein recht wehrloses Spielzeug ab. Laßt Euch jedoch bitten, etwas barmherziger zu sein. Zur Zeit gelüstet es mich, nur das eine zu hören: Neues über Catriona.« »Nennt Ihr sie auch in ihrer Gegenwart bei diesem Namen?« »Mein Wort darauf, ich weiß es nicht genau«, stammelte ich. »Jedenfalls würde ich das nicht vor Fremden tun. Weshalb seid Ihr eigentlich so sehr an dieser jungen Dame Schicksal interessiert?« »Ich hörte, sie befände sich im Gefängnis.«

»Nun, jetzt hört Ihr, daß sie nicht mehr dort ist; was wollt Ihr mehr? Sie bedarf in Zukunft keines Ritters.« »Um so mehr bedarf ich ihrer, gnädiges Fräulein.« »Ach, das klingt schon besser! Aber blickt mir einmal gerade ins Gesicht; bin ich nicht hübscher als sie?«

»Ich wäre der letzte, das zu bestreiten; es gibt in ganz Schottland nicht Euresgleichen.« »Nun, jetzt habt Ihr die Wahl zwischen uns beiden und müßt durchaus nur von der andern reden? Das ist nie und nimmer die rechte Art, Damen zu gefallen, Mr. Balfour.« »Aber, Fräulein, zweifellos gibt es doch noch andere Dinge als Schönheit.« »Womit ich zu verstehen habe, daß ich nicht besser bin, als ich eigentlich sein sollte?«

»Womit Ihr gnädigst verstehen wollt, daß ich dem Hahn im Fabelbuche gleiche. Ich sehe zwar das kostbare Juwel – und es gefällt mir gut – aber mir tut ein Körnlein Weizen wohler«. »Bravissimo!« rief sie. »Endlich eine gut gedrehte Antwort, und Euer Lohn soll meine Geschichte sein. In der Nacht, da Ihr desertiertet, kehrte ich in vorgeschrittener Stunde von einer Freundin zurück – in deren Haus ich baß bewundert wurde, was immer Eure Ansicht sein mag – und was erfahre ich bei meiner Rückkunft? Daß mich ein Mädchen in Hochlandstracht zu sprechen wünscht. Sie sei schon über eine Stunde da, behauptete das Dienstmädel, und habe im Warten geweint. Ich ging direkt zu ihr; sie erhob sich bei meinem Eintritt, und ich erkannte sie auf den ersten Blick. ›Die Grauen Augen!‹ sagte ich zu mir selbst, war aber so klug, mir nichts merken zu lassen. ›Endlich! Ihr werdet Miß Grant sein?‹ sagte sie, sich erhebend, und sah mich mit festem, traurigen Blick an. ›Ja, er hat wahr gesprochen, Ihr seid schön, das ist gewiß.‹ – ›So wie Gott mich erschaffen hat, liebes Kind,‹ sagte ich, ›aber ich wäre froh und dankbar, wenn Ihr mir sagen wolltet, was Euch zu dieser Nachtzeit hierher führt? – ›Fräulein,‹ sagte sie, ›wir gehören der gleichen Sippe an, wir sind beide vom Blut der Söhne Alpins.‹ – ›Liebes Kind,‹ erwiderte ich, ›mir bedeuten Alpin und seine Söhne nicht mehr als irgendein Kohlstrunk. Diese Tränen da auf Eurem hübschen Gesicht sind in meinen Augen ein gewichtigeres Argument.‹ Darauf hatte ich die Schwäche, sie zu küssen, wozu Ihr ebenfalls große Lust habt – aber ich wette, Ihr werdet nimmermehr den Mut dazu aufbringen. Ich sagte schon, daß es von mir eine Schwäche war, und in Wahrheit kannte ich ja an dem Mädchen nichts als ihr Äußeres. Trotzdem war dieser Kuß das Klügste, das ich hätte tun können. Sie ist ein wackeres, tapferes Mädchen, an Zärtlichkeiten aber kaum gewöhnt, wie mir scheint, und mit dieser Liebkosung (die, um die Wahrheit zu gestehen, gar leichtfertig gegeben wurde) hatte ich ihr ganzes Herz gewonnen. Nun werde ich Euch aber keineswegs die Geheimnisse meines Geschlechts verraten, Mr. Davie; niemals sollt Ihr wissen, wie sie mich um den Finger wickelte, denn auf ganz die gleiche Art wird sie auch Euch um den Finger wickeln. Wahrhaftig, sie ist ein prächtiges Mädchen! So klar wie ein Bergquell!« »Ja, das ist sie!« rief ich. »Also, sie klagte mir ihr Leid,« fuhr Miß Grant fort, »und welchen Kummer sie um ihren Papa litte und welche Sorge um Euch – mit sehr geringem Grund – und wie ratlos sie gewesen wäre, als Ihr sie verlassen hattet. ›Und endlich‹, sagte sie, ›fiel mir ein, daß wir ja von einer Sippe sind, und daß Mr. David Euch als die Schönste aller Schönen geschildert hatte, und ich sagte zu mir selbst: Wenn sie so schön ist, dann ist sie auch gut, und deshalb machte ich mich auf den Weg zu Euch!‹ Das war der Augenblick, als ich Euch alles verzieh, Mr. Davie. Solange Ihr Euch in meiner Gesellschaft befandet, schienet Ihr auf glühendem Rost zu braten; hab ich je einen jungen Mann sich von mir fortsehnen sehen, so wart Ihr der Mann, und ich nebst meinen beiden Schweizern waren die Damen, denen Ihr entfliehen wolltet. Jetzt aber schien es, als hättet Ihr so en passant dennoch einige Notiz von mir genommen und die Güte gehabt, Euch wohlwollend über meine Reize zu äußern! Von jener Stunde an mögt Ihr meine Freundschaft für Euch datieren; gleichzeitig begann ich mit zärtlicher Nachsicht der lateinischen Grammatik zu gedenken.«

»Ihr werdet noch viele Stunden Zeit haben, meiner zu spotten«, sagte ich. »Zudem bin ich der Meinung, daß Ihr Euch selber unrecht tut. Ich glaube, Catriona war es, die mir Euer Herz zuwandte. Sie ist zu schlicht, die Steifheit ihres Freundes zu bemerken, wie Ihr es tut.« »Darauf möchte ich keine Wette eingehen, Mr. David. Das Mädchen hat helle Augen. Aber zum minderten ist sie ganz und gar Eure Freundin, wie ich gar bald erfahren sollte. Ich führte sie zu Seiner Lordschaft, meinem Herrn Papa; und Seine richterliche Gnaden waren so gütig, da er sich in angenehmer Rotweinlaune befand, uns beide zu empfangen. ›Hier sind die Grauen Augen, die Euch in letzter Zeit so viel zu schaffen machte‹, sagte ich; ›sie sind erschienen, um zu beweisen, daß wir die Wahrheit redeten. Hiermit lege ich Euch das hübscheste Mädchen in den drei Lothians zu Füßen‹ – innerlich machte ich selbstverständlich ein jesuitisches Reservatio zu meinen Gunsten. Das Mädchen paßte ihr Verhalten meinen Worten an: schon lag sie vor ihm auf den Knien – ja, ich möchte wetten, daß er gleich zwei hübsche Mädchen vor sich sah, was Catrionas Bitte zweifellos um so unwiderstehlicher machte – Ihr seid ja samt und sonders spitzbübische Mohammedaner. Sie erzählte ihm, was sich in jener Nacht ereignet hatte, und wie sie ihres Vaters Knecht zurückgehalten hätte, Euch zu folgen, und wie verzweifelt sie über ihren Vater wäre, und wie aufgeregt über Euer Schicksal, und sie bat ihn unter Tränen um Euer beider Leben (die beide durchaus nicht bedroht waren), bis ich, auf mein Wort, zugleich stolz war auf mein Geschlecht, weil alles mit solcher Anmut vorgetragen wurde, und mich seiner ob des geringen Anlasses schämte. Sie war noch nicht weit gekommen, bevor der Lord Staatsanwalt, angesichts der Tatsache, daß ein junges Mädchen seine geheimste Politik enthüllte und der unlenksamsten aller Töchter verriet, völlig nüchtern wurde. Aber wir nahmen ihn vereint in die Hand und brachten die Affäre bald in Ordnung. Richtig geleitet – will sagen, von mir geleitet – gibt es keinen, der sich mit meinem Papa messen kann.«

»Mir gegenüber hat er sich als guter Mensch gezeigt.« »Nun, zu Catriona war er gleichfalls gut; ich war dabei, um drauf zu achten.«

»Sie hat also wirklich für mich gebeten?«

»Freilich, und zwar recht inständig; ich möchte Euch nicht wiederholen, was sie sagte – ich finde, Ihr seid schon eitel genug.«

»Gott lohne es ihr!«

»Durch Mr. David Balfours Hand, nicht wahr?«

»Da endlich tut Ihr mir zuviel Unrecht!« rief ich. »Ich zittere bei dem Gedanken, sie in so harten Händen zu sehen. Meint Ihr, ich würde fürwitzig sein, nur weil sie für mich gebeten hat? Das täte sie auch für einen wehrlosen jungen Hund! Da hätt ich schon stärkeren Grund, mir Mut zu machen, wenn Ihr’s nur wüßtet. Sie hat mir diese meine Hand geküßt. Ja, das hat sie. Wollt Ihr wissen, weshalb? Weil sie glaubte, daß ich eine wackere Rolle spielte und vielleicht in meinen Tod ginge. Es geschah nicht um meinetwillen – aber das brauche ich Euch, die Ihr mich, ohne zu lachen, gar nicht ansehen könnt, nicht erst zu sagen. Es geschah aus Liebe zu meiner Handlung, die sie für tapfer hielt. Ich glaube, außer mir und dem Prinzen Charlie ist noch niemandem dergleichen Ehre widerfahren. Heißt das nicht, aus mir einen Götzen machen? Und zweifelt Ihr etwa, daß mein Herz in Erinnerung daran zittert?«

»Ich muß wirklich oft über Euch lachen, weit öfter, als es mit Höflichkeit ganz vereinbar ist; aber ich will Euch eins verraten: wenn Ihr auf diese Weise zu ihr sprecht, bleibt Euch ein matter Schimmer von Hoffnung.« »Nie!« rief ich aus. »Dazu hätte ich niemals die Courage. Zu Euch kann ich reden, Miß Grant, weil mir gleichgültig ist, was Ihr von mir denkt. Aber zu ihr –? Keine Angst!«

»Ich glaube wahrhaftig, Ihr habt die plumpsten Füße in ganz Schottland«, lautete ihre Antwort.

»Wahrhaftig, sehr klein sind sie nicht«, meinte ich und blickte auf meine Füße hinab.

»Ach arme Catriona!« rief Miß Grant.

Da konnte ich nicht anders, ich mußte sie verwundert anstarren, denn, obwohl ich genau wußte, worauf sie (vielleicht sogar nicht ohne eine gewisse Berechtigung) hinauswollte, war ich doch von jeher angesichts so leichten Geplänkels recht schwerfällig. »Ja, ja, Mr. David,« bemerkte sie, »es läuft meinem Gewissen zwar stracks zuwider, aber ich sehe, ich muß mich zu Eurem Sprachrohr erwählen. Sie soll erfahren, daß Ihr unmittelbar nach der Nachricht von ihrer Gefangensetzung hierher eiltet; sie soll wissen, daß Ihr nicht warten wolltet, um zu essen, und von unserem Gespräch soll sie so viel hören, als ich für eine Jungfrau ihres Alters und ihrer mangelnden Erfahrung für richtig erachte. Glaubt mir, Euch wird auf diese Weise viel besser gedient sein, als Ihr Euch selber dienen könnt; ich werde sorgen, daß die plumpen Füße nicht dazwischen stolpern.«

»So wißt Ihr, wo sie sich befindet?«

»Ich weiß es, Mr. David, aber ich werde es Euch niemals verraten.«

»Weshalb nicht?«

»Nun, ich bin, wie Ihr bald merken werdet, meinen Freunden eine gute Freundin, und mein bester Freund ist mein Papa. Ich versichere Euch, von diesem Standpunkt werden weder Hitze noch Kälte mich abbringen, also verschont mich mit Euren Lammsaugen. Inzwischen wünsche ich Eurer David-Balfourschaft Adieu.«

»Noch eins!« rief ich. »Es gibt da einen Punkt, der aufgeklärt werden muß, da er ihr selbst und auch mir schwer schadet.« »Also faßt Euch kurz, ich habe Euch ohnehin die Hälfte meines Tages gewidmet.«

»Mylady Allardyce glaubt –« hub ich an – »ist der Ansicht – meint – ich hätte sie entführt.«

Miß Grant schoß das Blut ins Gesicht, daß ich anfänglich ganz zerknirscht war, sie so schamhaft zu finden, bis mir endlich der Gedanke kam, sie bemühe sich vielmehr, ihrer Heiterkeit Herr zu werden – eine Auffassung, die vollkommen durch den zitternden Ton ihrer Antwort bestätigt wurde: –

»Ich werde die Verteidigung Eurer Reputation auf mich nehmen. Ihr dürft sie mir getrost überlassen.«

Mit diesen Worten verließ sie die Bibliothek.

Zwanzigstes Kapitel


Ich fahre fort, mich in guter Gesellschaft zu bewegen

Genau zwei Monate blieb ich als Gast in der Prestongrangeschen Familie, wo ich meine Bekanntschaft mit Richtern und Advokaten, ja mit der Blüte der Edinburgher Gesellschaft vervollständigte. Trotzdem darf man nicht annehmen, daß ich meine Ausbildung vernachlässigte; ich hatte im Gegenteil alle Hände voll zu tun. Vor allem studierte ich Französisch, um mich auf meinen Leydener Aufenthalt vorzubereiten; außerdem lernte ich fechten und übte mich darin fleißig, mitunter drei Stunden den Tag, so daß ich gute Fortschritte machte. Auf Vorschlag meines Vetters Pilrig, der ein tüchtiger Musiker war, nahm ich an einem Singkursus teil und auf Befehl von Miß Grant an einer Tanzstunde, der ich indes nicht zur Zierde gereichte. Alle jedoch waren so gütig, zu behaupten, daß diese Dinge mir ein wenig Schliff verliehen. Jedenfalls lernte ich, meine Rockschöße und mein Rapier mit größerer Gewandtheit schwenken und mich in einem Salon bewegen, als gehöre das Zimmer mir. Auch meine Kleidung wurde mit großem Ernst von A bis Z revidiert, und selbst die lächerlichsten Kleinigkeiten, wie zum Beispiel die Frage, wie und mit welcher Farbe Band ich meine Haare binden sollte, wurden von den drei Fräulein mit einem Ernst erörtert, der einer gewichtigen Sache wert gewesen wäre. Alles in allem veränderte ich mich äußerlich stark zu meinem Vorteil, ja ich gewann ein leicht modisches Aussehen, das die guten Leute in Essendean fraglos in Erstaunen gesetzt hätte. Die beiden jüngeren Fräulein waren außerordentlich gern bereit, Toilettenfragen mit mir zu erörtern, da ihr Denken sich vornehmlich in dieser Richtung bewegte. Sonst könnte ich kaum sagen, daß sie in irgendeiner Weise von meiner Gegenwart Notiz zu nehmen schienen. Obwohl sie stets höflich waren, ja mich mit einer Art herzloser Herzlichkeit behandelten, konnten sie doch nicht verhehlen, wie sehr ich sie langweilte. Was nun die Tante betraf, so war sie eine merkwürdig stille Frau; ich glaube, sie zollte mir ungefähr ebensoviel Aufmerksamkeit wie den übrigen Mitgliedern der Familie, und das war wenig genug. So kam es, daß ich mich vor allem dem Staatsanwalt selbst und seiner ältesten Tochter anschloß, und unsere Intimität wuchs noch dank eines Vergnügens, das wir gemeinsam genossen. Vor Zusammentritt des Gerichts verbrachten wir ein, zwei Tage auf Schloß Grange, wo wir in großzügigster Weise offenes Haus hielten; hier war es auch, daß wir drei anfingen, miteinander über die Wiesen zu reiten, ein Zeitvertreib, den wir, sofern des Staatsanwalts ständige Geschäfte es gestatteten, noch in Edinburgh fortsetzten. Sobald die muntere Bewegung, die Schwierigkeiten des Weges oder die Zufälle schlechten Wetters unser Blut in Wallung brachten, verlor ich auch meine Schüchternheit. Dann vergaßen wir, daß wir einander fremd waren, und das Gespräch floß um so zwangsloser, als niemand zu sprechen sich verpflichtet fühlte. So kam es, daß sie mir meine Geschichte entlockten, Stück für Stück, von der Zeit an, da ich Essendean verließ bis zu meiner Fahrt auf der ›Covenant‹ und meinen Wanderungen durch die Heide usw., und dem Interesse, das sie an meinen Abenteuern nahmen, entsprang ein kleiner Ausflug, den wir bald darauf an einem Tag, da keine Gerichtsverhandlung war, unternahmen, und den ich hier ein wenig ausführlicher behandeln möchte. Wir saßen schon früh am Morgen auf und ritten zuerst nach dem Hause Shaw, das rauchlos und leblos in einer weißen, mit Rauhreif bedeckten Ebene lag. Hier stieg Prestongrange vom Pferde, reichte mir die Zügel und begab sich allein ins Haus, um meinen Onkel zu besuchen. Ich weiß noch, daß mein Herz bei dem Anblick dieses öden Gebäudes und bei dem Gedanken an den alten Geizhals, der frierend in seiner kalten Küche hockte, vor Bitterkeit schwoll.

»Das ist nun mein Heim und meine Familie«, sagte ich.

»Armer David Balfour!« entgegnete Miß Grant.

Was sich während des Besuches ereignete, habe ich nie erfahren; aber ich zweifle keinen Augenblick, daß es für Ebenezer nicht sonderlich angenehm war, denn als der Lord Staatsanwalt wieder erschien, war sein Blick finster.

»Ich glaube, Ihr werdet hier bald der Herr sein, Mr. David«, bemerkte er und wandte sich, den Fuß im Steigbügel, noch einmal halb zurück.

»Ich will nicht behaupten, daß es mich reuen würde«, antwortete ich; um die Wahrheit zu sagen, hatten Miß Grant und ich während Prestongranges Abwesenheit Pläne entworfen, wie man das Anwesen durch Anpflanzungen, Beete und Terrassen verschönern könnte, Pläne, die ich seitdem größtenteils ausgeführt habe. Von dort ritten wir drei nach Queensferry, wo Rankeillor uns einen herzlichen Empfang bereitete. Ja, er war ganz außer sich über die Ehre, so hohen Besuch bei sich zu sehen. Hier hatte der Lord Staatsanwalt die unverhohlene Güte, sich eingehendst nach meinen Angelegenheiten zu erkundigen und sich über zwei Stunden mit dem Advokaten in seinem Studierzimmer zu beraten, wobei er (wie man mir später erzählte) große Achtung vor mir selbst und ein lebhaftes Interesse an dem Stand meiner Geschäfte bezeugte. Um die Zeit zu vertreiben, nahmen derweil Miß Grant, ich und der junge Rankeillor ein Boot und setzten über die Hope nach Limekilnes über. Rankeillor benahm sich dabei recht lächerlich und (meiner Meinung nach) auch unschicklich, so groß war seine Bewunderung für die junge Dame; diese jedoch schien zu meinem Erstaunen (trotzdem das eine allgemeine Schwäche ihres Geschlechts ist) eher Gefallen daran zu finden. Allerdings hatte sein Verhalten ein Gutes: als wir das jenseitige Ufer erreichten, befahl sie ihm, das Boot zu hüten, während sie und ich nach dem Wirtshause weitergingen. Miß Grant war selbst auf diesen Gedanken gekommen; mein Bericht hatte sie für Alison Hastie sehr eingenommen, und sie wünschte persönlich mit dem Mädchen zu sprechen. Auch diesmal fanden wir die Wirtstochter allein – ich glaube, ihr Vater arbeitete den ganzen Tag auf dem Felde – und sie machte den Herrschaften, insbesondere der schönen jungen Dame in dem Reithabit, pflichtgemäß einen ehrerbietigen Knicks. »Soll das unser ganzer Willkomm sein?« fragte ich, ihr die Hand entgegenstreckend. »Erinnerst du dich nicht eines alten Freundes?« »Gott im Himmel, wer ist denn das?« stieß sie hervor und fügte hinzu: »Gottes Wahrheit, es ist der zerlumpte, junge Bursch!«

»Niemand anders«, bestätigte ich.

»Wie oft hab ich an Euch und Euern Freund denken müssen, und wie freue ich mich, Euch in den schönen Kleidern zu sehen! Zwar wußte ich, daß Ihr zu Eurer Familie zurückgekehrt wäret; das zeigte mir das prächtige Geschenk, das Ihr mir sandtet, und ich danke Euch auch von Herzen.« »So,« sagte Miß Grant, zu mir gewandt, »jetzt seid ein guter Bursch und laßt uns allein. Ich bin nicht gekommen, um Euch das Licht zu halten; sie und ich wollen miteinander schwätzen.« Sie blieb an die zehn Minuten im Hause, und als sie herauskam, bemerkte ich zweierlei: ihre Augen waren gerötet, und an ihrem Busen fehlte eine silberne Brosche. Das rührte mich tief. »Noch nie sah ich Euch so schön geschmückt«, bemerkte ich. »Ach Davie, Bursch, sei kein geschraubter Geck!« lautete ihre ganze Antwort, und den Rest des Tages war ihr Ton mir gegenüber ungewöhnlich scharf.

*

Längere Zeit hörte ich nichts mehr von Catriona. Miß Grant blieb nach wie vor undurchdringlich und verschloß mir mit Neckereien den Mund. Eines Tages jedoch, als sie von einem Spaziergang heimkehrte, fand sie mich im Salon allein über meinem Französisch, und ich glaubte an ihrem Aussehen etwas Ungewöhnliches zu bemerken. Ihre Farben waren lebhafter als sonst, die Augen funkelten übermütig, und jedesmal, wenn sie mich ansah, umspielte ein Lächeln ihre Lippen. Ja, sie dünkte mich der verkörperte Mutwillen, und bald hatte sie mich, munter im Zimmer auf und ab spazierend, in eine Art Streit um nichts verstrickt (zum minderten war auf meiner Seite nichts Böses beabsichtigt). Ich glich dem guten Christen in der Fabel, der durch einen Sumpf watet – je mehr ich mich am Ufer hinauszuarbeiten suchte, um so tiefer sank ich hinein, bis sie zuletzt mit großer Heftigkeit erklärte, eine derartige Antwort ließe sie sich von niemandem gefallen, und ich hätte sie auf der Stelle kniefällig um Verzeihung zu bitten. Die Zwecklosigkeit all dieses Lärms trieb auch mir die Galle hoch. »Ich habe nichts gesagt, an dem Ihr gerechterweise Anstoß nehmen könntet,« erwiderte ich, »und was das Hinknien betrifft, so spare ich eine derartige Stellung für den Herrgott auf.« »Und ich will wie eine Göttin behandelt werden!« rief sie mit lebhaft gerötetem Gesicht, ihre braunen Locken schüttelnd. »Jeder Mann, der auch nur in die Nähe meiner Weiberröcke kommt, hat mich so zu behandeln!«

»Ich will so weit gehen, Euch um Verzeihung zu bitten, da die Sitte es erheischt, obwohl ich schwöre, daß ich nicht weiß, welche Ursache ich dazu hätte. Aber was diese Schauspielergebärden anbelangt, so müßt Ihr Euch einen anderen suchen.« »O Davie, wenn ich Euch nun darum bitte!« Da fiel mir ein, daß ich es ja mit einer Frau zu tun hatte, also mit einem Kinde, und daß sich das Ganze obendrein nur um eine Äußerlichkeit drehte.

»Ich halte es zwar für kindisch«, entgegnete ich, »und für ein Euer unwürdiges Verlangen, ebenso wie die Gewährung meiner unwürdig ist. Trotzdem will ich es Euch nicht verweigern. Die Schande komme über Euer Haupt!« Mit diesen Worten sank ich tatsächlich in die Knie. »Da,« rief sie. »Das ist die Euch geziemende Stellung; ich hatte es mir vorgenommen, Euch dahin zu bringen.« Und plötzlich warf sie mir mit den Worten: »Fangt auf!« ein Billett zu und rannte lachend aus dem Zimmer. Das Billet verriet weder ein Datum noch den Ort des Schreibens. Es lautete: »Lieber Mr. David, – Ich höre regelmäßig von Eurem Wohlergehen durch meine Base, Miß Grant, und höre stets Angenehmes. Mir geht es sehr gut; ich befinde mich an einem freundlichen Ort bei freundlichen Menschen, muß mich aber wohl oder übel recht still verhalten, obwohl ich hoffe, Euch endlich einmal wiederzusehen. All Eure Freundschaften sind mir von meiner lieben Base, die uns beide liebt, berichtet worden. Sie will, daß ich Euch diesen Brief sende, und hat selbigen überwacht. Ich bitte Euch, alle ihre Befehle auszuführen, und verbleibe Eure treue Freundin Catriona MacGregor-Drummond. P.S. Wollt Ihr nicht meine Base Allardyce aufsuchen?«

Ich erachte es als eines meiner glanzvollsten Bravourstückchen (wie es im Jargon der Militärs heißt), daß ich tat, worum man mich gebeten hatte, und mich unverzüglich nach Dean begab. Aber die alte Dame war jetzt vollständig verändert und so schmiegsam wie ein Handschuh. Wie Miß Grant das zuwege gebracht hatte, vermochte ich nie zu erraten. Jedenfalls bin ich überzeugt, daß sie in dieser Affäre nicht offen hervorzutreten wagte, da ihr Papa sich darin bereits ziemlich tief kompromittiert hatte. In der Tat war er es gewesen, der Catriona überredet hatte, ihre Base zu verlassen oder, richtiger, nicht zu ihr zurückzukehren, und der sie statt dessen bei einer Familie Gregory einquartiert hatte – anständigen Leuten, die dem Lord Staatsanwalt durchaus ergeben waren, und in die Catriona um so mehr Vertrauen setzte, als sie zu ihrem eigenen Clan und Stamm gehörten. Diese Familie hielt sie bei sich verborgen, bis die Zeit reif war, spornte sie an und half ihr, ihres Vaters Befreiung durchzuführen und nahm sie, nach ihrer Entlassung, in gleicher Heimlichkeit wieder bei sich auf. So bemächtigte und bediente sich Prestongrange seines Werkzeugs, ohne daß auch nur eine Silbe von seiner Bekanntschaft mit James Mores Tochter ruchbar wurde. Natürlich munkelte man allerlei über die Flucht einer so zweifelhaften Persönlichkeit; aber die Regierung antwortete durch ostentative Strenge; einer der Gefangenenwärter wurde ausgepeitscht, und der wachhabende Leutnant (mein armer Freund Duncansby) verlor seinen Offiziersrang. Was Catriona anbetrifft, so fand die gesamte Männerwelt an ihrem Vergehen derartiges Gefallen, daß alle es wohl zufrieden waren, sie straffrei entkommen zu sehen. Miß Grant war durch nichts zu bewegen, Catriona ein Antwortbillett zu überbringen. »Nein,« entgegnete sie auf meine wiederholten Bitten, »ich bin entschlossen, die plumpen Füße vor dem Dazwischenstolpern zu bewahren.« Für mich war das um so schwerer zu ertragen, als ich wußte, daß sie mehrere Male in der Woche mit meiner kleinen Freundin zusammentraf und ihr jedesmal, »wenn ich brav gewesen war« (wie sie sich ausdrückte), von mir berichtete. Endlich machte sie mir eine Freude, zum mindesten nannte sie es so, mich dünkte die Sache jedoch eher eine Neckerei. Sie empfand ohne Frage eine starke, fast heftige Freundschaft für alle Menschen, die sie gut leiden konnte, darunter mit an erster Stelle für ein kränkliches, altes Edelfräulein, stockblind und sehr geistreich, das zusammen mit einer Schar eingesperrter Hänflinge auf einem hohen Hügel oberhalb eines engen Hofes häufte und den ganzen Tag über zahlreiche Besuche empfing. Miß Grant liebte es sehr, mich dorthin zu führen, damit ich die alte Dame mit dem Bericht meiner Abenteuer unterhielte, und Miß Tibbie Ramsay (so hieß das alte Fräulein) war stets besonders liebenswürdig und erzählte mir viel Wissenswertes von den alten Familien und vergangenen Ereignissen in Schottland. Ich muß noch erwähnen, daß man von ihrem Zimmerfenster aus keine drei Fuß entfernt – so eng ist der betreffende Hof – in ein vergittertes Ochsenauge blicken konnte, das den Treppenflur des gegenüberliegenden Hauses erhellte. Hier ließ mich Miß Grant eines schönen Tages unter irgendeinem Vorwande mit Miß Ramsay allein; ich weiß noch, daß die alte Dame mir unaufmerksam und zerstreut erschien. Außerdem fühlte ich mich unbehaglich, da entgegen jeder Gewohnheit das Fenster offen stand und es draußen kalt war. Plötzlich drang Miß Grants Stimme aus einiger Entfernung an mein Ohr. »Hierher, Shaw!« rief sie, »guckt einmal aus dem Fenster und seht, was ich Euch mitgebracht habe.« Ich glaube, das Bild, das sich mir bot, war das hübscheste, das ich je gesehen habe. Der Brunnen auf dem Hofe lag ganz in klarem Schatten, der alles deutlich erkennen ließ; die Mauern waren tiefschwarz und rußig, und aus dem vergitterten Mauerschlitz schauten zwei lächelnde Gesichter – Miß Grants und Catrionas. »Da!« rief Miß Grant, »ich wollte, daß sie Euch auch einmal in Eurem Staat sehen sollte, wie die Wirtstochter in Limekilnes. Ich wollte ihr einmal zeigen, was ich alles aus Euch machen kann, wenn ich mir ernsthaft Mühe gebe!« Da fiel mir ein, daß sie sich heute eingehender denn je mit meiner Kleidung befaßt hatte: ja, ich glaube, einen Teil der gleichen Sorgfalt hatte sie auch auf Catrionas Anzug verwendet. Für eine so lebhafte und gescheite junge Dame legte Miß Grant entschieden erstaunlichen Wert auf Putz.

»Catriona!« war alles, was ich über die Lippen brachte. Und sie? Sie äußerte kein einziges Wort, winkte nur hinüber und lächelte mich an und wurde plötzlich vom Fenster fortgezogen. Kaum war diese Vision meinen Blicken entschwunden, als ich auch schon zur Haustür rannte, die ich jedoch verschlossen fand; von dort lief ich zu Miß Ramsay zurück und verlangte polternd den Schlüssel; ebensogut hätte ich den Burgfelsen anflehen können. Sie hätte ihr Wort gegeben, beteuerte sie, ich müsse ein folgsamer Junge sein. Es war unmöglich, die Tür zu sprengen, selbst wenn es der Anstand erlaubt hätte; nicht minder unmöglich war es, aus dem Fenster zu springen, da das sieben Stockwerke über dem Erdboden lag. Ich konnte also lediglich auf den Hof hinausstarren und warten, daß sie zusammen die Treppe hinunter zur Tür herausträten. Auch dann gab es nur wenig zu sehen: nichts als von oben ihre beiden Köpfe, die sich auf einer Spule von Reifröcken bewegten – ein lächerlicher Anblick, wie zwei wandelnde Nadelkissen. Catriona blickte auch nicht einmal auf, um Lebewohl zu sagen; später hörte ich, Miß Grant habe sie daran gehindert durch die Mitteilung, nie nähme man sich so unvorteilhaft aus, wie von oben betrachtet. Auf dem Heimwege, sobald ich die Freiheit wiedererlangt hatte, schalt ich Miß Grant ob ihrer Grausamkeit.

»Es tut mir leid, daß Ihr enttäuscht seid«, sagte sie, ganz sittsame Sanftmut. »Ich dagegen war sehr zufrieden. Ihr saht besser aus, als ich erwartet hatte; Ihr nahmt Euch aus – hoffentlich werdet Ihr nicht gar zu eitel – wie ein verflixt hübscher junger Mann, als Ihr dort oben am Fenster erschienet. Vergeßt nicht, daß sie Eure Füße nicht sehen konnte.« Letzteres fügte sie in beruhigendem Tone hinzu.

»O!« rief ich, »laßt meine Füße in Ruh – sie sind auch nicht größer als die meiner Mitmenschen.«

»Sie sind sogar kleiner als viele andere, aber ich spreche in Parabeln, wie die jüdischen Propheten.« »Dann wundere ich mich nicht, daß sie mitunter gesteinigt wurden! Böses Mädchen! Wie brachtet Ihr das nur übers Herz? Weshalb findet Ihr Vergnügen daran, mich durch einen flüchtigen Augenblick zu quälen?« »Die Liebe ist wie die Menschen; beide bedürfen einer gewissen Nahrung.« »O Barbara! Erlaubt, daß ich sie richtig spreche!« flehte ich. »Es steht in Eurer Macht – Ihr seht sie, wann es Euch beliebt; vergönnt mir eine halbe Stunde!« »Habt Ihr oder habe ich diese Liebesaffäre in die Hand genommen?« forschte sie und griff, als ich sie weiter mit Bitten bestürmte, auf ein unfehlbares Mittel zurück; sie imitierte den Ton meiner Stimme, als ich Catriona mit Namen rief. Ja, durch das gleiche Mittel hielt sie mich die nächsten Tage in Schach. Niemals fiel auch nur ein Wort von dem Memorial, wenigstens nicht von meiner Seite. Prestongrange und Seine Gnaden, der Lord Präsident mögen – was weiß ich – auf der tauben Seite ihres Kopfes davon gehört haben; jedenfalls behielten sie die Sache für sich – und die Öffentlichkeit wurde um keinen Deut klüger. Ja, der arme James von der Schlucht wurde im Laufe der Zeit, am 8. November, inmitten ungeheuren Sturms und Regens, zu Lettermore bei Ballachulish vorschriftsmäßig gehenkt. Das war also das Ergebnis meiner Politik! James war nicht der erste Unschuldige, der elend zugrunde ging, und viele Unschuldige werden noch bis an das Ende aller Zeiten (trotz unserer übergroßen Weisheit) zugrunde gehen. Und bis an das Ende aller Zeiten werden junge Leute, die die Doppelzüngigkeit des Lebens und der Menschen ungewohnt sind, wie ich weiterkämpfen und heroische Entschlüsse fassen und schwere Gefahren auf sich nehmen; und die Ereignisse werden sie beiseite schieben und wie eine sich vorwärts bewegende Armee ihren Marsch fortsetzen. James wurde gehenkt; trotzdem verweilte ich hier in Prestongranges Haus und fühlte mich ihm gegenüber für seine väterliche Sorge tief verpflichtet. James wurde gehenkt, und siehe da! – als ich Herrn Simon Fraser auf der Straße begegnete, zog ich vor ihm meinen Hut wie ein gehorsamer kleiner Schulbub vor seinem Lehrer. James wurde durch Betrug und Gewalt gehenkt, und die Welt ging ihren Gang weiter, und nichts war um ein Jota anders, und die Verbrecher in dieser scheußlichen Verschwörung waren ehrbare Familienväter, die den Gottesdienst besuchten und das Abendmahl einnahmen! Ich besaß jedoch meine eigene Ansicht von jenem widerlichen Geschäft – Politik –, ich hatte einen Blick hinter die Kulissen geworfen und hatte dort nichts als nacktes Gebein und Finsternis gesehen! Das genügte, um mich auf Lebenszeit von jeder Versuchung, mich an der Politik zu beteiligen, zu kurieren. Mein Ehrgeiz hatte sich einen geraden ruhigen, stillen Lebenspfad zum Ziel erwählt, wo ich mein Haupt ungefährdet aufrecht tragen und mein Gewissen vor Versuchung bewahren konnte. Aber rückblickend wollte es mir erscheinen, daß ich doch ziemlich kläglich gescheitert war; trotz der denkbar größten Reden und Vorbereitungen hatte ich nichts erreicht.

Am 25. des Monats sollte von Leith aus ein Schiff in See stechen, und unversehens erhielt ich den Rat, mein Bündel zu schnüren und mich nach Leyden auf den Weg zu machen. Zu Prestongrange konnte ich natürlich kein Wort äußern; ich hatte lange Zeit von seinem Hause und seinem Tisch gezehrt. Aber seiner Tochter gegenüber war ich offener; ich beklagte mein Los, außer Landes gehen zu müssen, und versicherte ihr, wenn sie es zuvor nicht ermöglichte, daß ich Catriona Lebewohl sagte, würde ich mich in letzter Stunde weigern.

»Hab ich Euch nicht meinen Rat erteilt?« forschte sie.

»Das habt Ihr in der Tat, und ich weiß auch, wie tief ich in Eurer Schuld stehe und daß ich zu gehorchen verpflichtet bin. Aber Ihr müßt selbst zugeben: mitunter seid Ihr allzu lose, als daß man Euch völlig trauen könnte.«

»Ich will Euch eines sagen. Seid um neun Uhr morgens an Bord; das Schiff fährt erst am Nachmittag. Sorgt, daß Euer Boot in der Nähe bleibe, und wenn Ihr dann nicht mit meinem Abschiedsgruß zufrieden seid, dürft ihr an Land zurückkehren und Kathrin persönlich aufsuchen.«

Mehr konnte ich nicht aus ihr herausbringen; also mußte ich mich damit zufrieden geben.

Endlich war der Tag da, an dem sie und ich uns trennen mußten. Wir waren einander recht nahegekommen; ich schuldete ihr großen Dank, und die Frage, wie wir auseinandergehen sollten, sowie die Frage nach den Trinkgeldern für die Dienerschaft beraubten mich meines Schlafes. Ich wußte, ich war in Barbaras Augen allzu schüchtern, und spürte daher eher den Wunsch, in dieser Hinsicht meinen Ruf zu heben. Außerdem mußte jede Steifheit nach so viel ostentativer (und, wie ich glaube, auch echter) Zuneigung kalt erscheinen. Also nahm ich meinen Mut in beide Hände, legte mir meine Rede zurecht und fragte sie, als wir voraussichtlich das letztemal allein waren, ob ich ihr zum Abschied einen Kuß geben dürfe.

»Ihr vergeßt Euch, Mr. Balfour, und setzt mich in Erstaunen. Wann hätte ich Euch im Laufe unserer Bekanntschaft das Recht gegeben, Euch irgendwelche Freiheiten zu gestatten?«

Da stand ich vor ihr wie eine Uhr, deren Gang man aufgehalten hat, und wußte nicht, was ich denken, geschweige denn sagen sollte, als sie plötzlich ihre Arme um meinen Nacken schlang und mich mit größter Herzlichkeit küßte.

»Du einziges Kind!« rief sie. »Meinst du, ich ließe uns wie Fremde auseinandergehen? Weil ich dir gegenüber keine fünf Minuten lang ernst bleiben kann, darfst du doch nicht glauben, ich hätte dich nicht sehr lieb! Ich bin ja ganz Liebe und Lachen, so oft ich dich nur ansehe! Und jetzt will ich dir als Abschluß meines Unterrichts einen Rat geben, den du gar bald wirst brauchen können: frage die Weiber nie erst um Erlaubnis. Sie können dann nicht anders, als mit Nein antworten; Gott hat das Mädel nicht erschaffen, das der Versuchung zu widerstehen vermöchte. Die Pfaffen glauben, das sei der Fluch Evas; weil sie nicht nein sagen konnte, als der Teufel ihr den Apfel anbot, vermögen ihre Töchter nichts anderes zu sagen.«

»Da ich so bald meine schöne Lehrmeisterin verlieren soll –«, begann ich.

»Das nenne ich in der Tat galant«, meinte sie mit einem Knicks.

»– möchte ich mir erlauben, eine Frage zu stellen: darf ich ein Mädchen fragen, ob sie mich heiraten will?«

»Du meinst, ohne diese Frage geht es nicht? Oder soll sie etwa das Angebot machen?«

»Ich sehe, Ihr könnt wirklich nicht ernst bleiben.«

»In einer Sache wirst du mich sehr ernst finden, David. Ich werde stets deine Freundin sein.«

Als ich am folgenden Morgen mein Pferd bestieg, standen alle vier Damen am Fenster, von dem aus sie Catriona beobachtet hatten, und alle vier riefen mir Lebewohl zu und winkten mit den Schnupftüchern, als ich davonritt. Von einer wußte ich, daß ihr der Abschied ehrlich schwer wurde; und in dem Gedanken daran und an die Verfassung, in der ich vor drei Monaten zum erstenmal an diese Tür geklopft hatte, packten mich Trauer und Dankbarkeit und führten in meinem Geiste einen wirren Kampf.