In welchem ich allein gelassen werde
Ich öffnete Catriona die Tür und hielt sie auf der Schwelle an. »Euer Vater wünscht, daß wir unseren Spaziergang machen.« Sie blickte zu James More hinüber, er nickte, und wie ein gut disziplinierter Soldat wandte sie sich, um mit mir zu gehen. Wir wählten einen unserer alten Wege, den wir schon so oft gegangen waren in einem Glück, wie ich es gar nicht beschreiben kann. Ich ging einen halben Schritt hinterdrein, so daß ich sie ungestört beobachten konnte. Das Poch, Poch, Poch ihrer kleinen Schuhe auf dem Pflaster klang ungemein hübsch und traurig zugleich; und mich dünkte er seltsam, dieser Augenblick, da ich sowohl dem Anfang wie dem Ende so nahe war und gleichsam zwischen zwei Schicksalen wandelte, ohne zu wissen, ob ich diese Schritte zum letztenmal hörte, oder ob ihr Klang mit und neben mir eilen würde mein Leben lang, bis der Tod uns schied. Sie vermied es, mich anzusehen und ging nur vor mir her wie jemand, der weiß, was kommt. Ich erkannte, daß ich zu ihr sprechen müßte, bevor mich mein Mut ganz verließ, aber ich wußte nicht, wo anfangen. In dieser peinlichen Lage, da das Mädchen mir gleichsam mit Gewalt in die Arme gezwungen wurde, und in Anbetracht ihrer Bitte um Schonung schien jeder übermäßige Druck unehrenhaft; und doch mußte es allzu kalt anmuten, wenn ich jeglichen Druck vermied. Zwischen diesen beiden Extremen schwankte ich hilflos hin und her; ich hätte mir vor Verzweiflung die Finger zerbeißen mögen, und als ich endlich doch ein Wort über die Lippen brachte, sprach ich sozusagen ohne Überlegung, auf gut Glück. »Catriona,« sagte ich, »ich bin in einer sehr peinlichen Lage; wir beide sind es. Ich wäre Euch zu sehr großem Danke verpflichtet, wenn Ihr mir versprechen wolltet, mich ausreden zu lassen und mich nicht zu unterbrechen.« Sie gab mir schlicht das Versprechen.
»Ja,« sagte ich, »was ich sagen muß, fällt mir sehr schwer; ich weiß auch ganz genau, daß ich eigentlich gar kein Recht zu reden habe. Nach allem, was vorigen Freitag zwischen uns vorgefallen ist, habe ich kein Recht mehr dazu. Wir sind in einen solchen Wirrwarr hineingeraten (einzig durch meine Schuld), daß Schweigen das Mindeste ist, was man von mir verlangen kann, und ich hatte auch die redliche Absicht zu schweigen; nichts lag mir ferner, als Euch noch einmal zu beunruhigen. Aber, Liebe, das Reden ist nun zur Notwendigkeit geworden – es gibt keine andere Möglichkeit. Seht Ihr, inzwischen ist mir auch mein Erbe zugefallen, wodurch ich eine bessere Partie geworden bin und, – und die ganze Sache sieht überhaupt nicht mehr so lächerlich aus wie früher. Außerdem behauptet man, unsere ganze Angelegenheit sei so verwickelt (wie ich vorhin schon sagte), daß es besser wäre, wenn wir es dabei bewenden ließen. Meiner Ansicht nach hat man diesen Teil der Sache ungeheuer übertrieben, und ich würde, wenn ich an Eurer Stelle wäre, keine zwei Gedanken mehr daran verschwenden. Es ist aber nur recht, wenn ich es Euch gegenüber erwähne, da es James More zweifellos beeinflußt. Dann meine ich auch, wir wären gar nicht so unglücklich gewesen, als wir noch zusammen lebten. Ich meine, wir sind doch recht gut miteinander ausgekommen. Wenn Ihr nur einen Blick in die Vergangenheit werfen wolltet, Liebe, – «
»Ich will weder in die Vergangenheit noch in die Zukunft blicken,« unterbrach sie mich. »Sagt mir nur das eine: ist dies meines Vaters Werk?«
»Er billigt es,« sagte ich, »er billigt es, daß ich um Eure Hand anhalte.« Gleichzeitig wollte ich mit einem stärkeren Appell an ihr Gefühl fortfahren, als sie mir, ohne darauf zu achten, das Wort abschnitt.
»Er hat es Euch befohlen!« rief sie, »es nützt nichts, daß Ihr leugnet; Ihr sagtet selbst, nichts hätte Euch ferner gelegen. Er hat es Euch befohlen!«
» Er hat als erster davon geredet, wenn Ihr das meint,« hub ich an. Sie ging jetzt ein wenig rascher und starrte gerade vor sich hin; bei meinen Worten stieß sie einen leisen, unartikulierten Laut aus, und ich glaubte zuerst, sie würde davonlaufen. »Ohne das hätte ich nach dem, was Ihr mir letzten Freitag sagtet, gar nicht erst lange gefragt,« fuhr ich fort; »aber als er mich darum ersuchte – was konnte ich wohl anders tun?«
Sie hielt inne und drehte sich nach mir um. »Jedenfalls ist die Frage mit ›Nein‹ beantwortet, und damit hat’s ein Ende.« Und sie begann von neuem vorwärts zu eilen.
»Ich hätte mir ja denken können, daß es nicht anders möglich sei«, sagte ich, »aber ich finde, Ihr könntet, nun alles wirklich endgültig aus ist, ein wenig freundlicher sein. Ich verstehe nicht, weshalb Ihr so hart seid. Ich habe Euch sehr lieb gehabt, Catriona – was schadet es, wenn ich Euch zum letztenmal so nenne. Ich habe getan, was in meinen Kräften stand, ich versuche immer noch das Gleiche zu tun, und bedauere nur, daß ich nicht mehr zu tun vermag. Ich wundere mich, daß es Euch Freude macht, hart gegen mich zu sein.« »Ich denke nicht an Euch«, sagte sie, »ich denke nur an jenen Mann, meinen Vater.«
»Nun, auch in dieser Richtung kann ich Euch helfen; ich muß Euch sogar helfen. Es ist durchaus notwendig, Liebe, daß wir uns über Euern Vater beraten; so, wie unsere Unterredung geendet hat, wird James More sehr zornig werden.« Sie hielt noch einmal inne. »Ist es, weil ich meine Ehre verloren habe?« fragte sie.
»Das ist seine Art, die Sache zu sehen,« entgegnete ich, »aber ich sagte Euch ja bereits, Ihr solltet Euch nicht dran kehren.« »Mir ist es ganz gleich«, rief sie. »Ich freue mich, daß ich entehrt bin.« Ich wußte nicht recht, was ich darauf sagen sollte und schwieg.
Nach diesem letzten Ausruf schien sie heftig mit sich zu ringen, dann brach es aus ihr hervor: »Was soll das überhaupt heißen? Wie kommt es, daß solche Schande auf mein Haupt gehäuft wird? Wie konntet Ihr es nur wagen, David Balfour?«
»Liebe«, sagte ich, »was sollte ich denn tun?«
»Ich bin nicht Eure Liebe«, protestierte sie. »Ich verbiete Euch, mir derartige Namen zu geben.«
»Ich dachte im Augenblick nicht an meine Worte«, sagte ich. »Mir blutet das Herz, Miß Drummond. Was immer ich auch sage, seid überzeugt, ich habe volles Mitgefühl mit Eurer schwierigen Lage. Aber ich möchte, daß Ihr wenigstens eine Sache im Auge behaltet, wenn auch nur so lange, bis wir sie in Ruhe besprochen haben: es wird zu Hause einen heftigen Zusammenstoß geben. Nehmt mein Wort dafür: wir beide müssen zusammenhalten, wenn wir diese Affäre in Frieden beilegen wollen.« »Ja«, sagte sie. Auf ihre beiden Wangen trat ein roter Fleck. »Wollte er sich mit Euch duellieren?«
»Ja, das wollte er,« antwortete ich.
Das Lachen, das sie hervorstieß, war furchtbar. »Das hat nur noch gefehlt!« rief sie. Und dann zu mir gewandt: »Mein Vater und ich sind ein sauberes Paar, aber ich danke dem lieben Gott, daß einige noch schlimmer sind als wir. Ich danke dem lieben Gott, daß er mich Euch hat so sehen lassen. Auf der ganzen Welt lebt kein Mädchen, das Euch nicht verachten müßte.« Ich hatte ziemlich viel in Geduld über mich ergehen lassen, aber das schoß über das Ziel.
»Ihr habt kein Recht, so zu mir zu sprechen. Was habe ich Euch anderes als Gutes getan – oder doch zu tun versucht? Ist das hier der Dank? Oh, das ist wirklich zu viel.«
Sie sah mich immer noch mit bösem Lächeln an. »Feigling!« sagte sie.
»Das Wort in Eure und Eures Vaters Kehle!« schrie ich. »Ich habe ihm heute schon einmal getrotzt, um Euretwillen; ich werde ihm auch ein zweites Mal trotzen, dem stinkenden alten Iltis; komme, was da mag! Zurück mit Euch ins Haus; ich habe genug von Euch allen, genug von Eurer ganzen sauberen Hochlandsbande! Paßt auf, wie Euch zumute sein wird, wenn ich erst tot bin.«
Sie schüttelte den Kopf und sah mich immer noch mit dem gleichen Lächeln an; ich hätte sie schlagen mögen. »So ist’s recht; lächelt nur immer weiter! Ich habe Euren sauberen Vater heute schon einmal lächeln sehen, aber nachher hat er’s bereut. Nicht, daß er etwa Angst hatte,« fügte ich hastig hinzu; »aber er zog den anderen Weg vor.«
»Was soll das heißen?« fragte sie.
»Ich habe ihn gefordert.«
»Ihr habt James More gefordert?«
»Jawohl, und er hatte höchst wenig Lust zu kämpfen; wäre ich sonst hier?«
»Dahinter steckt etwas«, beharrte sie. »Was wollt Ihr damit sagen?«
»Er wollte Euch zwingen, mich zu heiraten,« erwiderte ich, »und ich wollte es nicht dulden. Ich sagte, Ihr solltet frei sein, und ich müßte Euch allein sprechen; freilich, daß es so kommen würde, ahnte ich nicht! ›Und wenn ich mich nun weigere?‹ sagte er. – ›Dann muß es wohl zum Halsabschneiden kommen‹, sagte ich. ›Ich dulde ebensowenig, daß man jener jungen Dame einen Gatten aufoktroyiert, wie ich mir ein Weib aufzwingen lasse.‹ Das waren meine Worte, die Worte eines Freundes; teuer habe ich dafür bezahlen müssen. Nun Ihr mich aus freien Stücken ausgeschlagen habt, lebt in den ganzen Hochlanden, ja in der weiten Welt kein Vater, der diese Heirat erzwingen könnte. Ich werde sorgen, daß Eure Wünsche respektiert werden; ich werde das zu meiner Aufgabe machen, wie ich es die ganze Zeit über getan habe. Aber ich finde, Ihr hättet den Anstand haben können, ein wenig Dankbarkeit zu zeigen. Wahrhaftig, ich glaubte, Ihr kenntet mich besser. Ich habe nicht immer richtig an Euch gehandelt, aber das war nur Schwäche. Und jetzt haltet Ihr mich für einen Feigling – für einen solchen Feigling, daß – nein, Mädel, das ist das Letzte!«
»Davie,« rief sie, »wie konnte ich das ahnen? Oh, dies ist eine schreckliche Geschichte! Ich und meine Sippe –« sie stieß bei dieser Bezeichnung einen leisen, verzweifelten Schrei aus – »ich und meine Sippe sind nicht wert, das Wort an Euch zu richten. Oh, ich möchte hier auf der Straße niederknien und Euch die Hände küssen und um Vergebung flehen!« »Lieber behalte ich die Küsse, die ich schon habe«, rief ich. »Lieber behalte ich die, die ich selber begehrte und die mir etwas wert schienen; ich will nicht aus Reue geküßt werden.«
»Was denkt Ihr nur von mir unglücklichem Mädchen!«
»Das gerade versuche ich ja, Euch die ganze Zeit über klarzumachen! Das beste ist, Ihr laßt mich allein – Ihr habt mich schon so unglücklich gemacht, daß Ihr mich nicht unglücklicher machen könnt – und wendet Eure Aufmerksamkeit James More, Eurem Vater, zu, mit dem Ihr noch ein nettes Hühnchen zu rupfen haben werdet.«
»Oh, daß ich allein mit einem solchen Manne in die Welt ziehen muß!« schrie sie – dann schien sie sich mit aller Macht zusammenzuraffen. »Aber gebt Euch meinetwegen keine weitere Mühe. Er weiß nicht, welch eine Natur in meinem Herzen lebt. Er soll mir diesen Tag noch teuer bezahlen. Teuer, teuer soll er ihn bezahlen!«
Sie wandte sich, um nach Hause zu gehen, und ich begleitete sie. Da hielt sie inne.
»Ich will alleine gehen. Ich muß ihn allein sprechen.«
Eine Weile noch rannte ich zornwütig durch die Straßen; ich sagte mir immer wieder, in der ganzen Christenheit gäbe es keinen Burschen, dem man wie mir derartiges Unrecht getan. Zorn würgte mich; vergeblich holte ich tief Atem; mir schien, in ganz Leyden gäbe es nicht genug Luft, um mich zu befriedigen; ich glaubte, ich müßte bersten, gleich einem Menschen auf dem Grunde der See. Dann blieb ich wohl eine Minute lang an irgendeiner Straßenecke stehen und lachte so laut vor mich hin, daß einer der Vorübergehenden mir einen Blick zuwarf und mich wieder zur Besinnung brachte.
»Nun,« dachte ich, »ich bin lange genug der Pinsel und der Gimpel und der blöde Hans gewesen. Hohe Zeit, daß das vorüber ist. Das war eine gute Lehre, in Zukunft das verfluchte Weibergeschlecht zu meiden, das schon von Anbeginn des Mannes Verderb war und bis an das Ende der Welt sein Verderb sein wird. Gott weiß es, eh ich sie sah, war ich glücklich genug; Gott weiß es, ich kann mich glücklich preisen, daß ich sie losgeworden bin.«
Das schien mir jetzt die Hauptsache: sie mußten fort. Leidenschaftlich klammerte ich mich an diese Idee und glitt bald darauf mit einer gewissen boshaften Genugtuung zu dem Gedanken über, wie erbärmlich es ihnen gehen würde, wenn sie nicht länger Davie Balfour als Milchkuh hätten, worauf – zu meiner größten Überraschung – mein ganzes Empfinden sich plötzlich auf den Kopf stellte. Ich war immer noch zornig; ich haßte sie – aber – ich schuldete es mir selbst, daß Catriona keinen Mangel litt.
Das führte mich auf dem geradesten Wege nach Hause zurück, wo ich die Koffer bereits fertig verschnürt vor der Tür stehen fand. Das Verhalten von Vater und Tochter verriet deutlich einen erst kürzlich stattgefundenen Streit. Catriona glich einer hölzernen Puppe; James More atmete schwer, sein Gesicht zeigte ein fleckiges Weiß, und er blickte schielend zur Seite. Bei meinem Eintritt sah ihn das Mädchen finster, klar und fest an; es war ein Blick, wie er einem Schlag hätte vorausgehen können, ein Wink, verächtlicher als ein Befehl, und zu meiner Überraschung gehorchte James More. Es war klar, er hatte in der Unterredung seinen Meister gefunden; ich erkannte, in dem Mädchen steckte ein stärkerer Teufel als ich geahnt hatte, und in ihm mehr Gutmütigkeit, als ich ihm zuzusprechen willens gewesen war.
Er machte wenigstens den Versuch, zu reden, offenbar nach einem fertig eingetrichterten Konzept, wobei er mich Mr. Balfour nannte, aber er kam nicht sehr weit; bei dem ersten sonoren Anschwellen seiner Stimme schnitt ihm Catriona das Wort ab.
»Ich will Euch sagen, was James More meint. Er meint, wir sind als Bettler zu Euch gekommen und haben uns Euch gegenüber nicht gut benommen, und wir schämen uns unserer Undankbarkeit und unseres schlechten Verhaltens. Jetzt wollen wir weggehen und wollen, daß Ihr uns vergeßt; und mein Vater hat sein Hab und Gut so schlecht verwaltet, daß wir nicht einmal dies tun können, wenn Ihr uns nicht weitere Almosen gebt. Denn das und nichts anderes sind wir: Bettler und Schnorrer.«
»Mit Eurer Erlaubnis, Miß Drummond,« sagte ich, »ich möchte Euren Vater allein sprechen.«
Sie ging in ihr eigenes Zimmer und schloß ohne ein Wort oder einen Blick die Tür.
»Ihr müßt sie entschuldigen, Mr. Balfour«, sagte James More. »Sie besitzt kein Zartgefühl.«
»Ich bin nicht hier, um das mit Euch zu erörtern,« sagte ich, »sondern um Euch loszuwerden. Zu diesem Zwecke muß ich von Eurer Lage reden. Mr. Drummond, ich habe den Stand Eurer Geschäfte genauer im Auge behalten, als es in Eurer Absicht lag. Ich weiß, Ihr besaßet eigenes Geld, als Ihr von mir Geld borgtet. Ich weiß, Ihr habt seit Eurem Aufenthalt hier in Leyden noch mehr Geld in die Hand bekommen, obwohl Ihr es vor Eurer Tochter verheimlichtet.«
»Ich warne Euch, nehmt Euch in acht! Ich lasse mir eine derartige Behandlung nicht mehr gefallen«, brach er los. »Ich habe Euch beide satt. Was ist das für ein verdammter Beruf, Vater zu sein! Man hat mir gegenüber Ausdrücke gebraucht –« er verstummte. »Sir, das hier ist das Herz eines Soldaten und eines Vaters,« fuhr er fort, die Hand auf den Busen legend, »man hat es in dieser doppelten Eigenschaft geschändet – ich warne Euch, seid auf der Hut.«
»Hättet Ihr mich ausreden lassen,« erwiderte ich, »Ihr würdet bald gemerkt haben, daß es Euer Schaden nicht gewesen wäre.«
»Mein teurer Freund,« rief er, »ich weiß, ich weiß, ich hätte mich auf Eure Großmut verlassen sollen.«
»Mann, wollt Ihr mich endlich ausreden lassen? Tatsache ist, ich kann nicht dahinter kommen, ob Ihr reich oder arm seid. Aber ich habe so die Vermutung, daß Eure Mittel, da sie aus geheimer Quelle stammen, nicht gerade sehr reichlich sind, und ich will nicht, daß Eurer Tochter irgend etwas mangelt. Wenn ich es wagen würde, mit ihr selbst zu reden, Ihr könntet sicher sein, ich würde Euch nie und nimmer etwas anvertrauen, denn ich kenne Euch wie meine eigene Hand, und Euer prahlerisches Geschwätz ist wie Wind in meinen Ohren. Ich glaube aber, daß Ihr auf Eure Weise trotz allem noch an Eurer Tochter hängt; und ich muß mich mit dem zufrieden geben.«
Dann vereinbarte ich mit ihm, daß er mich regelmäßig von Catrionas Adresse und Befinden unterrichten solle und setzte ihm als Entgelt ein kleines Stipendium aus.
Er verfolgte die ganze Sache mit großem Eifer bis zum Abschluß und rief, als wir uns geeinigt hatten: »Mein teurer Freund, mein lieber Sohn, das sieht Euch ähnlicher als alles andere! Ich werde Euch mit soldatischer Treue –«
»Kein Wort mehr!« sagte ich. »Ihr habt es so weit gebracht, daß mich bei der Bezeichnung Soldat bereits der Ekel würgt. Unser Handel ist erledigt; ich gehe jetzt fort und komme in einer halben Stunde wieder; bis dahin erwarte ich, daß Ihr meine Räume von Eurer Gegenwart gesäubert haben werdet.« Ich ließ ihnen gehörige Zeit; ich hatte nur die einzige Furcht, Catriona von neuem zu begegnen, denn Tränen und Schwäche lauerten in meinem Herzen, und ich hegte und pflegte meinen Zorn wie eine große Auszeichnung. Rund eine Stunde verstrich; die Sonne war untergegangen und eine schmale, junge Mondsichel reiste ihr über einen Hintergrund scharlachfarbener Abendröte nach; im Osten begannen bereits einige Sterne aufzusteigen, und Nacht blaute in meinen Räumen, als ich sie endlich von neuem betrat. Ich zündete eine Kerze an und musterte die Zimmer. Im ersten war nichts geblieben, das auch nur eine Erinnerung an die Entschwundenen hätte wachrufen können; aber in dem zweiten entdeckte ich in einem Winkel am Fußboden einen kleinen Haufen Sachen, bei dessen Anblick mir der Herzschlag stockte. Sie hatte alles, was ich ihr je geschenkt, bei ihrer Abreise zurückgelassen. Das war der Schlag, der mich am stärksten traf, vielleicht, weil es der letzte war. Ich warf mich über diesen Haufen Kleider zu Boden und benahm mich törichter, als ich hier eingestehen möchte.
Spät in der Nacht, bei eisigem Frost und mit klappernden Zähnen, gewann ich genügend Selbstbeherrschung zurück, um ein wenig nachdenken zu können. Der Anblick dieser armen Kleider und Bänder, ihrer Hemden und geflickten Strümpfe war unerträglich. Und doch – wollte ich nur einen Teil meines Seelenfriedens zurückgewinnen, dann mußte ich mich noch vor Morgengrauen ihrer entledigen. Mein erster Gedanke war, Feuer zu machen und sie zu verbrennen; aber einmal war mir Verschwendung von jeher verhaßt, und dann schien es mir fast grausam, diese Sachen, die sie so dicht an ihrem Körper getragen, zu vernichten. In jenem Zimmer befand sich noch ein Eckschrank; dort beschloß ich, die Kleider aufzubewahren. Das tat ich denn auch mit gebührender Langsamkeit; mit gar geringem Geschick, aber mit um so größerer Sorgfalt faltete ich die einzelnen Gegenstände zusammen; ja, mitunter entglitten sie mir wieder samt meinen Tränen. All mein Mut hatte mich verlassen, ich war müde, wie nach einem zehn Meilen langen Lauf, und an allen Gliedern wund, als hätte man mich geschlagen. Da bemerkte ich, als ich ein Halstuch, das sie viel getragen, zusammenlegen wollte, daß die eine Ecke säuberlich abgeschnitten war. Das Tuch war von wunderschöner Farbe, und ich hatte es oft an ihr bewundert; ich erinnerte mich: einmal, als es sie schmückte, hatte ich im Scherz gesagt, jetzt trüge sie meine Farben. Eine warme Welle von Hoffnung durchströmte gleich einer süßen Flut mein Herz; im nächsten Augenblick versank ich von neuem in Verzweiflung. Dort für sich in einer anderen Ecke des Zimmers lag zusammengeknüllt der fehlende Zipfel.
Als ich noch innerlich mit mir stritt, wurde ich wieder hoffnungsfroher. Sie hatte jenen Zipfel in kindischer, aber zärtlicher Laune abgeschnitten; daß sie ihn wieder weggeworfen, war nicht so sehr verwunderlich; ich war daher eher geneigt, bei der ersten denn bei der zweiten Tatsache zu verweilen und freute mich mehr, daß ihr wenigstens der Gedanke, ein Andenken zu bewahren, gekommen war, als daß ich mich sorgte, weil sie es in einem Augenblick begreiflichen Zorns fortgeworfen hatte.