Vierundzwanzigstes Kapitel


Ausführliche Geschichte eines Exemplars Heineccius

Die Wohnung, die wir gefunden hatten, lag im Oberstock eines Hauses, das rückwärts an den Kanal grenzte. Wir hatten zwei Zimmer, von denen das zweite nur durch das erste betreten werden konnte; in jedem befand sich ein Kamin, nach holländischer Art weit in das Gemach hineingebaut, und da die Räume nebeneinander lagen, blickte man von beiden Fenstern zuerst auf den Wipfel eines Baumes und in einen kleinen Hof, dann auf einen Ausschnitt des Kanals und auf Häuser in holländischem Stil sowie auf einen Kirchturm am jenseitigen Ufer. In jenem Turme hing ein großes Glockenspiel, das die herrlichste Musik machte, und wenn es überhaupt Sonne gab, schien sie gerade in unsere beiden Zimmer hinein. Gute Mahlzeiten ließen wir uns aus einem benachbarten Gasthof kommen. Die erste Nacht waren wir beide ziemlich müde, Catriona war sogar völlig erschöpft. Wir sprachen nur wenig, und ich schickte sie ins Bett, sobald wir gegessen hatten. Am Morgen schrieb ich als Erstes eine Zeile an Sprott, um ihr Gepäck nachkommen zu lassen, sowie einen kurzen Brief an Alan, den ich an die Adresse seines Häuptlings richtete; beide hatte ich expediert und das Frühstück bereitet, bevor ich sie weckte. Ich schämte mich ein wenig, als sie in ihrem einzigen Gewande, ihre Strümpfe noch kotbespritzt von der Landstraße, aus ihrem Zimmer trat. Nach allem, was ich erfahren, mußte eine ganze Reihe von Tagen vergehen, ehe ihre Koffer in Leyden eintreffen konnten, und es war klar, daß sie ein Kleid zum Wechseln brauchte. Anfänglich sträubte sie sich, mir derartige Unkosten aufzuerlegen; aber ich erinnerte sie daran, daß sie jetzt eines reichen Mannes Schwester sei und in einem Anzug, wie er sich für diese Rolle schickte, auftreten müßte; schon bei dem zweiten Händler war sie hingerissen von dem Geist des Unterfangens, und ihre Augen leuchteten. Ich freute mich an ihrer unschuldigen Hingabe an dieses Vergnügen. Merkwürdiger noch war die Leidenschaft, mit der ich mich selbst in die Sache stürzte; nichts war mir schön und gut genug für sie, und ich bekam es niemals satt, sie in den verschiedensten Aufputzen zu sehen. Ja, ich begann einen Teil von Miß Grants tiefem Interesse an der Kleiderfrage zu verstehen; denn die Wahrheit ist, gilt es einen schönen Menschen zu schmücken, so wird alles an dem Geschäft selber schön. Ich muß noch hinzufügen, daß die holländischen Kattune außerordentlich fein und billig waren; aber ich schäme mich, zu verraten, was ich für ihre Strümpfe ausgab. Im großen und ganzen verwendete ich eine so große Summe auf dieses Amüsement – anders kann ich es nicht gut nennen –, daß ich mich lange Zeit schämte, noch weiteres Geld auszugeben und als eine Art Gegengewicht unsere Zimmer ziemlich kahl ließ. Wenn wir nur Betten hatten, wenn Catriona nur recht zierlich gekleidet ging und mir genug Licht, sie zu betrachten blieb, waren unsere Räume für meinen Geschmack prächtig genug. Am Schlusse unserer Besorgungen war ich froh, Catriona mit unseren vielen Paketen vor der Tür absetzen zu können, und begab mich auf einen langen, einsamen Spaziergang, um mir eine Strafpredigt zu halten. Da hatte ich unter mein Dach und quasi an meinen Busen ein junges, sehr schönes Mädchen genommen, deren einzige Bedrohung ihre Unschuld war. Meine Unterredung mit dem alten Holländer und die Lügen, zu denen ich mich gezwungen sah, zeigten mir, wie mein Verhalten sich in anderer Leute Augen ausnehmen mußte; und nach der starken Bewunderung, die ich soeben erst gespürt und der Unmäßigkeit, mit der ich meiner eitlen Kauflust gefrönt hatte, begann ich mein Benehmen selbst für äußerst gewagt zu halten. Ich fragte mich, ob ich, wenn ich in der Tat eine Schwester hätte, sie wohl so kompromittieren würde; dann, als mir das Problem gar zu schwer löslich erschien, veränderte ich die Frage dahin, ob ich Catriona irgendeinem anderen Menschen so ausliefern würde: die Antwort ließ mich schamrot werden. Ich hatte mich selbst und auch das Mädchen in eine Falle gelockt, um so mehr mußte ich darauf achten, mich mit peinlichster Korrektheit zu benehmen. Sie hing, was Nahrung und Unterkunft betraf, gänzlich von mir ab; falls ich ihr Schamgefühl verletzte, blieb ihr keine Zuflucht mehr. Ich war ihr Wirt und ihr Beschützer; je abenteuerlicher die Art, auf die ich in diese Rolle verfallen war, um so unverzeihlicher mein Handeln, wenn ich durch eine noch so ehrliche Werbung dadurch zu profitieren suchte. Angesichts der Gelegenheiten, die sich mir boten, Gelegenheiten, die kein kluger Vater auch nur einen Augenblick geduldet haben würde, war auch die ehrlichste Werbung unfair. Ich erkannte, ich mußte in unserem Verkehr außerordentlich zurückhaltend sein, und doch wieder nicht zu zurückhaltend; denn hatte ich auch kein Recht als Freier aufzutreten, so mußte ich mich doch in der Rolle des Wirts, und wenn möglich des liebenswürdigen Wirts, zeigen. Es war klar, das Ganze bedurfte eines großen Maßes von Takt und Wohlerzogenheit, größer vielleicht, als meine Jahre es mir gewährten. Aber ich hatte mich kühn hineingestürzt, wo selbst die Engel kaum zu wandeln wagten, und es gab keinen anderen Ausweg aus jener Lage, als zu tun, was mich recht dünkte. Ich baute mir daher ein System von Verhaltungsmaßregeln auf, flehte innerlich um Kraft, sie einzuhalten, und kaufte mir als menschlicheres Mittel zu diesem Zweck ein Lehrbuch der Jurisprudenz. Da mir sonst nichts einfallen wollte, ließ ich alle ernsten Betrachtungen fahren und wurde sogleich so überschäumend glücklich, daß ich auf dem Heimwege auf lauter Luft zu gehen schien. Ja, bei dem Gedanken an den Begriff »Heim« und an die Gestalt, die mich zwischen meinen vier Wänden erwartete, klopfte mir das Herz in der Brust vor lauter Freude.

Meine Nöte setzten mit meiner Rückkehr ein. Sie lief mir in unverhüllter, rührendster Freude entgegen. Außerdem war sie von Kopf bis zu Fuß in die neuen Sachen gekleidet, die ich ihr gekauft hatte, und sah über die Maßen hübsch aus, und natürlich drehte und wendete sie sich von allen Seiten und knickste in einem fort, um sich zu zeigen und bewundert zu werden. Letzteres tat ich ohne Zweifel recht ungnädig; die Worte blieben mir förmlich in der Kehle stecken. »Nun,« sagte sie, »wenn du nicht nach meinen hübschen Kleidern fragst, so sieh dir wenigstens an, was ich mit unseren Zimmern getan habe.« Und sie zeigte mir die sauber gefegten Räume und die Feuer, die in den beiden Kaminen brannten. Ich freute mich der Gelegenheit, etwas strenger erscheinen zu können, als mir in Wahrheit zumute war. »Catriona,« sagte ich, »ich bin mit dir sehr unzufrieden; niemals wieder darfst du mein Zimmer anrühren. Einer von uns beiden muß der Herr sein, solange wir zusammen sind! Als der Ältere und als Mann kommt mir diese Rolle zu, nimm meine Worte also als Befehl.« Sie machte mir eine ihrer Reverenzen, die über die Maßen reizend waren. »Wenn du zankst, muß ich dich kajolieren, Davie. Ich werde sehr folgsam sein, wie es sich schickt, da jeder Fetzen an meinem Leibe dir gehört. Aber du darfst auch nicht böse sein, denn ich habe jetzt niemanden als dich.« Diese Worte trafen mich tief, und ich beeilte mich, halb und halb reumütig, die gute Wirkung meiner letzten Rede wieder aufzuheben. In dieser abschüssigen Richtung war es leichter, Fortschritte zu machen; Catriona schritt lächelnd voran, und bei ihrem Anblick, bei dem freundlichen Licht des Feuers, bei ihren reizenden Gesten und Blicken ward mein Herz butterweich. Unsere Mahlzeit verlief unter unendlichen Scherzen und Zärtlichkeiten; ja, wir beide waren so eins, daß selbst unser Lachen einer Liebkosung glich. Inmitten dieses Treibens fielen mir meine Bedenken ein; ich stammelte eine lahme Entschuldigung und machte mich bäurisch tölpelhaft an meine Studien. Das Buch war ein umfangreiches, instruktives Werk des verstorbenen Dr. Heineccius, in das ich mich in den folgenden Tagen noch recht häufig vertiefen sollte, obwohl ich mich mitunter freute, daß niemand da war, mich über meine Lektüre auszufragen. Mich dünkte, Catriona biß sich leicht auf die Lippen – das schnitt mir ins Herz. Ja, mein Verhalten ließ sie völlig einsam, zumal sie nur wenig las und im Augenblick kein einziges Buch besaß.

Der Rest des Abends verfloß fast schweigend.

Ich hätte mich prügeln können. In jener Nacht vermochte ich vor Wut und Reue nicht im Bett zu bleiben und lief mit bloßen Füßen so lange im Zimmer auf und ab, bis ich vor Kälte umzukommen meinte, denn das Feuer war ausgegangen, und es herrschte ein scharfer Frost. Der Gedanke an Catriona im Nachbarzimmer, der Gedanke, daß sie mich jetzt vielleicht auf und ab gehen hörte, die Erinnerung an meine Unhöflichkeit und das Bewußtsein, daß ich gezwungen war, auch weiterhin an diesem undankbaren Benehmen festzuhalten, wenn ich nicht ehrlos werden wollte, raubten mir fast den Verstand.

Ich stand zwischen Szylla und Charybdis: was mußte sie nur von mir denken? Das war die Vorstellung, die mich immer wieder wankend machte. Die andere, die mich in meinem Entschlusse stählte, lautete: »Was sollte nur aus uns werden?« Diese meine erste schlaflose und von Zweifeln zerrissene Nacht, der noch viele ähnliche folgen sollten, verbrachte ich teils wie ein Wahnsinniger auf und ab rennend, teils unter kindischen Tränen, teils (wie ich hoffe) christliche Gebete zum Himmel sendend.

Aber man hat leicht beten; viel schwerer ist die Praxis. In Catrionas Gegenwart hatte ich nur geringe Macht über die Konsequenzen meines Handelns, vor allem, wenn ich irgendwelche Vertraulichkeiten aufkommen ließ. Dagegen überstieg es meine Kraft, den ganzen Tag mit dem Mädchen das Zimmer zu teilen und mich dem äußeren Anschein nach in meinen Heineccius zu versenken. So verfiel ich auf den Ausweg, mich möglichst viel zu absentieren. Ich besuchte regelmäßig die Kollegs, häufig jedoch mit nur geringer Aufmerksamkeit; der Beweis dafür ist ein Kollegheft jener Tage, das mir vor kurzem in die Hände fiel. Mitten in einem erbaulichen Vortrag bricht es ab; statt dessen sind die Seiten mit recht schlechten Versen vollgekritzelt, wenn auch das Latein besser ist, als ich je gehofft hatte, schreiben zu können. Zum Unglück wogen die Nachteile eines derartigen Verhaltens die Vorteile fast auf. Zwar wurde meine Prüfungszeit verkürzt, aber sie war meines Erachtens nach um so schwerer, solange sie dauerte; denn da Catriona viel allein blieb, begrüßte sie meine Rückkehr mit wachsender Inbrunst, die mich fast überwältigte. Diese liebevollen Annäherungen war ich gezwungen auf barbarische Art zurückzuweisen, und meine Härte verletzte sie mitunter so tief, daß ich sofort wieder weich wurde und alles durch doppelte Güte wieder gutmachte. So war die Zeit unseres Zusammenlebens ein einziges Auf und Ab, eine Flut von Verstimmungen und Enttäuschungen, die mich (mit aller Ehrfurcht sei’s gesagt) fast kreuzigten.

Die Basis meiner Nöte war Catrionas überraschende Unschuld, die mich indes nicht so sehr mit Staunen wie mit Mitleid und Bewunderung erfüllte. Das Mädchen schien unserer Lage auch nicht einen Gedanken zu schenken, meine Kämpfe überhaupt nicht zu ahnen. Jedes Zeichen von Schwäche meinerseits begrüßte sie mit aufquellender Freude, und wenn ich dadurch in die Abwehr gezwungen wurde, gab sie sich nicht immer Mühe, ihren zornigen Kummer zu verbergen. Mitunter dachte ich bei mir selbst: wenn sie bis über beide Ohren verliebt wäre und es sich in den Kopf gesetzt hätte, mich einzufangen, könnte sie es nicht anders treiben. Und wieder mußte ich mich über die Einfalt der Frauen wundern, von denen abzustammen ich mich (in derartigen Momenten) für unwürdig hielt. Einen Punkt insbesondere gab es, um den unser Krieg sich drehte: das war die Frage ihrer Kleider. Meine Koffer waren uns sehr bald von Rotterdam nachgesandt worden, die ihrigen von Helvoetsluys. Sie besaß daher im Augenblick zwei komplette Garderoben, und es wurde allmählich selbstverständlich (wie, vermochte ich niemals zu sagen), daß sie, wenn sie mir gut war, meine Kleider trug, und wenn sie mir grollte, die ihrigen. Letzteres sollte als eine Art Zurückweisung und als Verzicht auf ihre Dankbarkeit gelten, und tief im Herzen empfand ich es auch so; gewöhnlich aber war ich zu klug, um nach außen hin diesen Umstand zu bemerken.

Einmal ließ ich mich in noch kindischerer Weise gehen als sie. Das geschah so: auf dem Heimwege aus meinem Kolleg hatte ich ihrer in Liebe, untermischt mit ziemlich viel Ärger, inbrünstig gedacht, bald jedoch war der Ärger verschwunden, und als ich in einem Ladenfenster eine jener Treibhausblumen erblickte, in deren Zucht die Holländer Meister sind, gab ich einem Impulse nach und kaufte sie für Catriona. Den Namen der Blume kenne ich nicht; sie war von rosa Farbe. Ich glaubte, Catriona würde sie sehr bewundern und trug sie in wunderbar weicher Stimmung heim. Beim Abschied hatte Catriona meine Kleider getragen, als ich sie nun bei meiner Rückkehr völlig umgezogen und obendrein mit einem hierzu passenden Gesicht antraf, maß ich sie mit einem einzigen Blick von Kopf bis zu Fuß, biß die Zähne aufeinander, riß das Fenster auf, warf meine Blume auf den Hof hinunter und mich selbst (zwischen Wut und Vorsicht schwankend und die Tür hinter mir ins Schloß donnernd) zur Tür hinaus. Auf der steilen Treppe wäre ich um ein Haar gefallen; das brachte mir die Torheit meines Benehmens augenblicklich zum Bewußtsein. Ich ging daher nicht, wie ich es ursprünglich beabsichtigt hatte, auf die Straße, sondern in den Hof, der wie immer verlassen da lag. Dort sah ich meine Blume (die mich weit mehr als ihren eigentlichen Wert gekostet hatte) an dem kahlen Baume hängen. Ich pflanzte mich neben dem Kanale auf und starrte hinunter auf das Eis. Bauern glitten auf ihren Schlittschuhen vorüber: ich beneidete sie. Ich sah keinen Ausweg aus meiner Klemme, sah nicht einmal eine Möglichkeit, in das Zimmer zurückzukehren, das ich soeben verlassen hatte. Kein Zweifel, ich hatte das Geheimnis meiner Gefühle verraten, hatte, um die Sache noch schlimmer zu machen, in elender, kindischer Wut meinen hilflosen Gast vor den Kopf gestoßen.

Vermutlich sah sie mich aus dem offenen Fenster. Ich glaube, ich hatte noch nicht lange dort gestanden, da hörte ich knirschende Schritte auf dem gefrorenen Schnee und erblickte, als ich mich ärgerlich über die Störung umwandte, Catriona. Sie war abermals von Kopf bis zu den gestickten Strümpfen, umgezogen. »Sollen wir heute unseren Spaziergang versäumen?« erkundigte sie sich.

Ich blickte sie verwundert an. »Wo ist deine Brosche?« fragte ich.

Sie fuhr mit der Hand an den Busen und errötete tief. »Ich habe sie vergessen. Ich laufe gleich nach oben und hole sie; dann können wir doch unseren Spaziergang machen, nicht wahr?«

Das Letzte wurde in so bittendem Tone gesprochen, daß ich vor Staunen nicht aus noch ein wußte. Mir blieben die Worte wie die Stimme versagt; so konnte ich nur zustimmend nicken und kletterte, kaum daß sie mich verlassen hatte, auf den Baum, um die Blume zu holen, die ich ihr bei ihrer Rückkehr überreichte. »Ich habe sie für dich gekauft, Catriona«, sagte ich. Sie befestigte sie mit ihrer Brosche am Busen, wie mich deuchte, nicht ohne Zärtlichkeit.

»Sie ist durch meine Behandlung nicht besser geworden«, hub ich von neuem an.

»Sie gefällt mir darum nicht schlechter, des kannst du sicher sein«, antwortete sie.

An jenem Tage sprachen wir nicht viel miteinander; sie schien einen Schatten reserviert, aber nicht unfreundlich. Und was mich betraf, so grübelte ich die ganze Zeit unseres Spazierganges und nach unserer Rückkehr, als ich sie die Blume in ein Gefäß mit Wasser hatte stecken sehen, darüber nach, was für ein Rätsel doch die Frauen seien. Jetzt dachte ich, es sei doch die größte Dummheit von der Welt, daß sie meine Liebe nicht erkannt hätte, jetzt, daß sie sie längst bemerkt haben müßte, und daß sie nur als kluges Mädchen mit feinem, weiblichen Instinkt für Schicklichkeit ihr Wissen verberge.

Wir gingen täglich spazieren. Auf der Straße fühlte ich mich sicherer; da ließ meine Zurückhaltung etwas nach, und vor allem gab es da keinen Heineccius. So kam es, daß diese Zeiten für mich eine Erleichterung und für mein armes Kind ein großes Vergnügen bedeuteten. Wenn ich um die gewohnte Stunde nach Hause zurückkehrte, fand ich sie meist schon fertig angezogen und glühend vor Erwartung. Sie pflegte unsere Wanderungen nach Möglichkeit in die Länge zu ziehen und schien (ebenso wie ich) sich vor der Stunde der Rückkehr zu fürchten. In Leyden gibt es daher kaum ein Feld oder ein Flüßchen, keine Straße oder Gasse, wo wir nicht geweilt. Im übrigen hatte ich sie gebeten, sich ganz auf die Wohnung zu beschränken; ich fürchtete, sie könnte irgendeinem Bekannten in die Arme laufen und unsere Lage noch erschweren. Aus dem nämlichen Grunde gestattete ich es weder ihr noch mir selbst, in die Kirche zu gehen; statt dessen improvisierten wir eine Art Privatgottesdienst in unserer Wohnung – wie ich hoffe mit ehrlichem, wenn auch zweifellos geteiltem Herzen. Ja, nichts rührte mich so tief, wie gleich Mann und Weib mit ihr vor Gott zu knien.

Eines Tages schneite es ungewöhnlich heftig. Ich hatte es für unmöglich gehalten, in solchem Wetter auszugehen, und war erstaunt, sie fertig angekleidet auf mich wartend zu finden. »Nie und nimmer werde ich auf meinen Spaziergang verzichten«, rief sie. »Du bist im Hause kein guter Junge, Davie; ich liebe dich nur in der freien Luft. Ich glaube, das beste ist, wir werden Zigeuner und schlagen unser Lager neben der Landstraße auf.«

Das wurde der schönste Spaziergang von allen; sie klammerte sich im fallenden Schnee an mich; die Flocken umwirbelten uns und schmolzen auf unserer Kleidung, und die Tropfen hafteten wie Tränen auf ihren hellen Wangen und zerrannen in ihren lächelnden Mund. Mir war’s, als wüchsen mir Riesenkräfte; ich glaube, ich hätte sie in die Arme nehmen und mit ihr bis ans Ende der Erde laufen können, und die ganze Zeit unterhielten wir uns mit einer Freiheit und süßen Harmonie, wie ich es nie erlebt hatte. Es war dunkle Nacht, als wir wieder vor der Haustüre standen. Sie drückte meinen Arm an ihre Brust. »Ich danke dir von Herzen für diese guten Stunden«, sagte sie, und ihre Stimme hatte einen tiefen Klang. Die Sorge, in die mich diese Worte sofort stürzten, zwang mich mit gleicher Schnelligkeit in eine Abwehrstellung; kaum hatten wir unsere Zimmer erreicht und das Licht angezündet, als sie von neuem das alte, sauertöpfische, eigensinnige Gesicht des heineccius’schen Studenten vor sich sah. Ohne Zweifel fühlte sie sich mehr denn je verletzt; ich weiß jedenfalls, daß es mir schwerer als sonst fiel, meine Steifheit zu bewahren. Selbst beim Essen wagte ich es kaum, weniger zugeknöpft zu sein und meine Augen zu ihrem Gesicht zu erheben. Sobald das Mahl vorüber war, versenkte ich mich in mein bürgerliches Recht, diesmal mit größerer Hingabe und weniger Verständnis als je zuvor. Mir war während der Lektüre, als hörte ich mein Herz wie eine Wanduhr schlagen. So sehr ich mich auch mühte, in mein Buch vertieft zu erscheinen, äugte ich doch verstohlen über den Rand hinweg nach Catriona. Sie hockte auf dem Boden neben meinem großen Koffer; der Schein des Feuers umspielte sie, funkelte und zuckte und ließ ihr Gesicht in einem Wunder schöner Farben aufleuchten und versinken. Jetzt starrte sie in die Flammen, dann wieder zu mir hinüber; sogleich tauchte ich in panischer Angst vor mir selbst in meinen Heineccius und umblätterte die Seiten, wie jemand, der in der Kirche nach dem Text sucht.

Plötzlich schrie sie laut: »Oh, – weshalb kommt mein Vater nicht?« Dann löste sich ihre Spannung in einem Strom von Tränen. Ich sprang auf, warf den Heineccius mitten ins Feuer, lief zu ihr hin und umschlang ihren schluchzenden Körper mit beiden Armen. Sie stieß mich heftig von sich. »Du liebst deine Freundin nicht«, sagte sie. »Auch ich könnte so glücklich sein, wenn du es nur erlaubtest!« Und dann: »Oh, was habe ich nur getan, daß du mich so hassest?« »Hassen!« rief ich, sie fest in den Armen haltend. »Du blindes Kind, kannst du denn nicht ein wenig in meinem Herzen lesen und sehen, wie unglücklich ich bin? Glaubst du, wenn ich hier sitze und in dem dummen Buch lese, das ich soeben verbrannt habe – der Teufel hole es! – ich hätte auch nur einen einzigen Gedanken an etwas anderes als dich? Nacht für Nacht hätte ich heulen können, dich dort so einsam zu sehen. Aber was sollte ich nur tun? Du bist meiner Ehre anvertraut; willst du mich deswegen strafen? Willst du aus diesem Grunde deinen treuen Diener von dir weisen?« Bei diesen Worten klammerte sie sich mit plötzlicher, kleiner Gebärde fest an mich. Ich hob ihr Gesicht zu dem meinen und küßte es, und sie drückte ihren Kopf an meine Brust und hielt mich fest umschlungen. Ich saß da in einem schwindelnden Wirbel, wie betrunken. Da hörte ich eine ganz leise Stimme erstickt aus meinen Kleidern aufsteigen: »Hast du sie wirklich geküßt?«

Mich durchzuckte eine so gewaltige Welle des Erstaunens, daß ich am ganzen Leibe zitterte.

»Miß Grant!« rief ich völlig ausgelöst. »Ja, ich bat sie, mir zum Abschied einen Kuß zu geben und sie tat es auch.« »Ah,« sagte sie, »aber wenigstens hast du mich auch geküßt.« Bei der Seltsamkeit und Süße dieser Worte wurde mir plötzlich klar, wohin wir geraten waren; ich erhob mich und stellte sie auf die Füße.

»Das geht so nie und nimmermehr«, sagte ich. »Nie und nimmermehr. O Katrin, Katrin!« Eine Pause, in der ich zu reden unfähig war, und ich fügte hin zu: »Geh fort, zu Bett. Geh zu Bett und laß mich allein.« Sie wandte sich, fügsam wie ein kleines Kind, um mir zu gehorchen. Das Nächste, was ich wußte, war, daß sie auf der Türschwelle stehen blieb.

»Gute Nacht, Davie,« sagte sie. »Gute Nacht, du mein Lieb!« rief ich in einem einzigen, leidenschaftlichen Ausbruch meiner Seele und riß sie mit einer Gewalt an mich, daß ich glaubte, ich hätte sie zerbrochen. In der nächsten Sekunde hatte ich sie aus dem Zimmer gedrängt und die Tür heftig zugeschlagen und stand allein.

Jetzt war der Krug zerschellt, die Milch verschüttet; das Wort war mir entschlüpft, die Wahrheit an den Tag gekommen. Wie ein wankelmütiger Schwächling hatte ich mich in des armen Mädchens Liebe eingeschlichen; als gebrechliches, unschuldiges Geschöpf, das ich nach Belieben zerstören oder hüten konnte, lag sie in meiner Hand; welche Verteidigungswaffe war mir jetzt noch geblieben? Es schien mir wie ein Symbol, daß das Exemplar Heineccius, mein alter Schild, verbrannt war. Ich bereute, und doch brachte ich es nicht über mich, mir meines Versagens wegen Vorwürfe zu machen. Es schien mir ein schier unmögliches Verlangen, ihrer kühnen Unschuld oder der letzten großen Versuchung ihrer Tränen widerstanden zu haben. Aber alle meine Entschuldigungen ließen meinen Fehler nur noch größer erscheinen – fast dünkte es mich, ich hätte ein so wehrloses Wesen, alle Vorteile meiner Position ausnutzend, überlistet.

Was füllte jetzt aus uns werden? Wir konnten doch nicht länger in der gleichen Wohnung hausen? Wohin sollte ich aber gehen? Wohin sie? Ohne Zutun oder Schuld unsererseits hatte sich das Leben gegen uns verschworen und uns in jene engen vier Wände eingesperrt. Mir kam der wilde Gedanke, mich auf der Stelle mit ihr zu verheiraten; im nächsten Augenblick wies ich ihn empört zurück. Sie war ja nur ein Kind, sie kannte nicht einmal ihr eigenes Herz; ich hatte ihre Schwäche überrumpelt; niemals durfte ich diesen Überfall ausnutzen; ich mußte nicht nur dafür sorgen, daß sie kein Makel traf, nein, auch daß sie so frei von mir ging, wie sie gekommen war.

Ich setzte mich vor das Feuer und grübelte nach und bereute und zerbrach mir vergeblich den Kopf auf der Suche nach einem Ausweg. Etwa um drei Uhr morgens waren noch drei rotglühende Kohlen übriggeblieben, Haus und Stadt lagen im Schlaf, da hörte ich vom Nebenzimmer her ein leises Weinen. Sie dachte, auch ich schliefe, das arme Kind; sie bereute ihre Schwäche, ihre Fürwitzigkeit (Gott helfe ihr!), wie sie es vielleicht nannte, und suchte sich in der Totenstille der Nacht durch Tränen Erleichterung zu verschaffen. Zärtliche und bittere Gefühle, Liebe, Reue und Mitleid kämpften in meiner Seele einen Kampf; ich schien verpflichtet, jene Tränen zu trösten.

»O, versuche doch, mir zu verzeihen!« rief ich laut, »versuche, versuche, mir zu verzeihen! Wir wollen alles vergessen, wir wollen versuchen, ob wir es nicht vergessen können!« Es kam keine Antwort, aber das Schluchzen hörte auf. Lange Zeit stand ich, immer noch mit verschlungenen Händen, wie im Augenblick, da ich sie gebeten hatte; dann packte mich schaudernd die Kälte der Nacht, und ich glaube, meine Vernunft gelangte wieder zur Herrschaft. »Du wirst aus dieser Sache doch nicht klug, Davie«, dachte ich. »Geh zu Bett wie ein verständiger Junge, und versuche zu schlafen. Morgen wirst du vielleicht wissen, was du zu tun hast.«

Fünfundzwanzigstes Kapitel


Die Rückkehr James Mores

Am Morgen wurde ich zu später Stunde durch Klopfen an meiner Tür aus unruhigem Schlummer geweckt; ich lief, um zu öffnen und wäre im Widerstreit meist schmerzlicher Empfindungen fast umgesunken: dort auf der Schwelle in einem groben Überrock und ungewöhnlich großem, betreßten Hut stand James More. Ich hätte mich vielleicht rückhaltlos freuen sollen, denn der Mann kam in gewissem Sinne wie eine Antwort auf ein Gebet. Ich hatte mir vorgeredet, bis mir der Kopf schwindelte, daß Catriona und ich uns trennen müßten, hatte mich, bis ich Kopfschmerzen bekam, nach einer Möglichkeit hierzu umgeschaut. Jetzt war das Mittel auf zwei Beinen zu mir heranspaziert, und Freude nahm den hintersten Platz in meinen Gedanken ein. Zu bedenken ist jedoch, daß, obwohl die Last der Zukunft durch dieses Mannes Ankunft von meinen Schultern genommen wurde, die Gegenwart nur um so schwärzer und drohender vor mir aufragte; ich glaube daher, daß ich, als ich mich im ersten Augenblick in Hemd und Hosen ihm gegenüber sah, wie angeschossen zurückfuhr.

»Ah,« sagte er, »ich habe Euch gefunden, Mr. Balfour.« Und er bot mir seine große, schöne Hand, die ich (gleichzeitig, wie zur Abwehr, meinen Posten an der Tür von neuem beziehend) etwas im Zweifel ergriff. »Höchst eigentümlich, wie unsere Geschäfte sich verstricken«, fuhr er fort. »Ich schulde Euch wegen dieses bedauerlichen Eingreifens in die Euren, zu dem ich mich durch mein Vertrauen in jenes Doppelgesicht, Prestongrange, verleiten ließ, eine Entschuldigung; ich schäme mich, einzugestehen, daß ich einmal einem Juristen traute.« Er zuckte auf sehr französische Art die Achsel. »Aber wahrhaftig, der Mann machte einen so guten Eindruck. Und jetzt scheint es gar, als hättet Ihr Euch in nobelster Weise meiner Tochter angenommen, deren Adresse zu erfragen man mich an Euch wies.«

»Ich glaube, Sir,« entgegnete ich über die Maßen verlegen, »zwischen uns beiden ist eine Auseinandersetzung erforderlich.« »Es ist doch alles in Ordnung?« forschte er. »Mein Agent, Mr. Sprott –« »Um Gottes willen, dämpft Eure Stimme!« rief ich. »Sie darf Euch nicht hören, bis wir unsere Auseinandersetzung gehabt haben.«

»Sie befindet sich hier?« rief er.

»Das ist ihre Kammertür.«

»Ihr seid hier mit ihr allein?« »Wen sonst sollte ich noch bei mir haben?« rief ich. Ich will ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen: er erbleichte. »Das ist sehr ungewöhnlich«, sagte er. »Die Umstände sind sehr ungewöhnlich. Ihr habt recht: eine Auseinandersetzung ist erforderlich.«

Mit diesen Worten ging er an mir vorbei, und ich muß gestehen, der imponierende alte Schelm nahm sich im Augenblick sehr würdig aus. Er sah jetzt zum erstenmal mein Zimmer, das ich sozusagen mit seinen Augen musterte. Ein Strahl der Morgensonne fiel durch das Fenster und beleuchtete den Raum; mein Bett, meine Koffer, der Waschtisch, meine ziemlich unordentliche Garderobe, der leere Kamin bildeten die einzige Ausstattung; kein Zweifel, es sah kalt und kahl aus und schien als Unterkunft für eine Dame der unpassendste, erbärmlichste Platz von der Welt. Gleichzeitig fielen mir die Kleider ein, die ich ihr gekauft hatte, und mich dünkte, der Kontrast zwischen Armut und Verschwendung machte einen üblen Eindruck.

Er sah sich rings im Zimmer nach einem Sitz um, und ließ sich, da er keinen anderen passenden fand, auf meinem Bettrand nieder, wo ich mich wohl oder übel zu ihm setzen mußte, nachdem ich zuvor die Tür geschlossen hatte. Wie immer diese merkwürdige Unterredung auch enden mochte, sie mußte, wenn möglich, stattfinden, ohne Catriona zu wecken, und dazu war erforderlich, daß wir dicht beieinander saßen und leise sprachen. Ich kann mir kaum vorstellen, welch ein Bild wir beide abgaben, er in seinem schweren Mantel, der gegen die Kälte außerordentlich am Platze schien, ich frierend in Hemd und Hosen; er fast mit der Miene eines Richters, ich (was immer auch mein Aussehen war) ganz mit den Gefühlen eines Mannes, der die Posaune des Jüngsten Gerichts erschallen hört.

»Nun?« forschte er. »Nun«, hub ich an, entdeckte aber, daß ich nicht weiterreden konnte.

»Ihr sagt mir, sie sei hier?« fragte er abermals, jetzt aber mit einem Anflug von Ungeduld, der mir Mut zu verleihen schien. »Sie befindet sich in diesem Hause«, sagte ich; »ich wußte, man würde die Umstände ungewöhnlich finden. Aber Ihr müßt bedenken, wie ungewöhnlich die ganze Angelegenheit von Anfang bis zu Ende war. Hier ist eine junge Dame, die mit zwei Schillingen und anderthalb Pence in der Tasche an der Küste Europas an Land gesetzt wird. Sie wird an Euren Beauftragten, Sprott, in Helvoet gewiesen. Ich höre, Ihr bezeichnet den Mann als Euren Agenten. Alles, was ich von ihm weiß, ist, daß er bereits bei der Nennung Eures Namens in Flüche und Schimpfworte ausbricht, und ich bin genötigt, ihn aus meiner eigenen Tasche zu bezahlen, um ihn zu bewegen, wenigstens Eurer Tochter Sachen in Aufbewahrung zu nehmen. Ihr sprecht von ungewöhnlichen Umständen, Mr. Drummond, falls das der Name ist, den Ihr Euch zu geben beliebt. Das war ein Umstand, dem Ihr sie niemals hättet aussetzen dürfen – ja, eine Barbarei.« »Aber ich begreife von alledem kein Wort«, sagte James. »Meine Tochter wurde der Obhut verantwortlicher Leute anvertraut – den Namen habe ich vergessen.« »Der Name lautet Gebbie,« sagte ich,» und ohne Zweifel hätte Mr. Gebbie mit ihr in Helvoet an Land gehen müssen. Das tat er aber nicht, Mr. Drummond, und ich meine, Ihr könnt Gott danken, daß ich dort war und an seiner Statt zu gehen mich erbot.«

»Ich werde noch ein Wort mit Mr. Gebbie zu haben«, erwiderte er »Und was Euch selbst betrifft, so hättet Ihr, meine ich, bedenken müssen, daß Ihr für einen derartigen Posten ein wenig jung seid.«

»Aber es handelte sich ja gar nicht um eine Wahl zwischen ihr und jemand anderem. Es blieb nur die Wahl zwischen mir und niemand. Niemand erbot sich, statt meiner zu gehen, und ich muß sagen, Ihr scheint mir für das, was ich getan habe, nur geringe Dankbarkeit zu zeigen.« »Ich werde warten, bis ich die Art meiner Verpflichtung etwas genauer kenne«, meinte er.

»Nun, mich dünkt, sie starrt Euch förmlich ins Gesicht. Euer Kind war ganz verlassen, sie war mitten in Europa auf die Straße gesetzt, mit knapp zwei Schillingen und keine zwei Worte der Landessprache zu ihrer Verfügung: ich muß sagen, ein sauberes Geschäft! Ich brachte sie hierher. Ich gab ihr den Namen und die zärtliche Pflege einer Schwester; all das ist nicht ohne Aufwand geschehen, aber das brauche ich wohl kaum zu erwähnen. Diese Dienste war ich der jungen Dame, deren Charakter ich hochschätze, schuldig. Ja, mich dünkt, es wäre eine nette Sache, wenn ich hier ihrem Vater noch ihr Lob singen müßte.« »Ihr seid ein junger Mann«, begann er.

»Das habt Ihr mir schon einmal gesagt«, entgegnete ich ziemlich hitzig. »Ihr seid ein sehr junger Mann,« wiederholte er, »oder Ihr hättet die Bedeutung dieses Schrittes erkannt.«

»Ich finde, Ihr habt hier sehr leicht reden«, rief ich. »Was konnte ich sonst wohl tun? Freilich hätte irgendeine ehrbare arme Frau als Gesellschafterin mieten können; aber ich erkläre Euch, auf diesen Gedanken bin ich erst jetzt gekommen. Und wo sollte ich sie hernehmen, ich, der ich hier selbst fremd bin? Außerdem möchte ich Euch darauf aufmerksam machen, Mr. Drummond, daß es mich nochmals Geld aus meiner Tasche gekostet hätte. Darauf läuft die ganze Sache hinaus: für Eure Nachlässigkeit habe ich büßen müssen; und die Wahrheit ist: Ihr wäret so lieblos und so unachtsam, Eure Tochter einfach zu verlieren.« »Wer im Glashause sitzt, soll nicht mit Steinen werfen«, antwortete er; »erst wollen wir einmal Miß Drummonds Verhalten untersuchen, bevor wir über ihren Vater zu Gericht sitzen.«

»Aber ich lehne es ab, mich in eine derartige Stellung locken zu lassen. Wie ihr Vater eigentlich wissen müßte, ist Miß Drummonds Charakter über jeden Zweifel erhaben. Der meinige auch; das gebe ich Euch hiermit zu verstehen. Es stehen Euch nur zwei Wege offen. Der eine ist der, mir wie ein Gentleman dem anderen Euren Dank auszudrücken und kein Wort mehr über die Sache zu verlieren. Der andere (wenn Ihr es wirklich so genau nehmt) besteht darin, mir meine Auslagen zurückzuerstatten und Euch von mir zu trennen.« Er schien mich mit erhobener Hand beruhigen zu wollen. »Sachte, sachte; Ihr seid zu hastig, Mr. Balfour. Gut, daß ich etwas mehr Geduld gelernt habe. Ich glaube, Ihr vergeßt, daß ich meine Tochter noch nicht gesprochen habe.«

Ich fühlte mich ein wenig erleichtert nach dieser Rede und nach einer gewissen Veränderung in des Mannes Gebaren, die ich entdeckte, sobald das Wort Geld zwischen uns gefallen war.

»Ich glaube, es wäre schicklicher – falls Ihr mir die Ungeniertheit des Ankleidens in Eurer Gesellschaft verzeihen wollt – wenn ich ausginge und Euch bei Eurem Zusammentreffen allein ließe?«

»Das hatte ich von Euch erwartet!« entgegnete er, und kein Zweifel! die Worte waren höflich gemeint. Dies gefiel mir immer mehr, und da mir, während ich meine Strümpfe anzog, des Mannes unverschämte Schnorrerei bei Prestongrange einfiel, beschloß ich, meinen offenbaren Sieg zu verfolgen.

»Falls Ihr Euch längere Zeit in Leyden aufzuhalten gedenkt, steht Euch dieses Zimmer von Herzen gern zur Verfügung; ich kann ohne Schwierigkeiten ein anderes finden. Auf diese Weise haben wir möglichst wenig Scherereien, da nur einer umzuziehen genötigt ist.« »Sir,« entgegnete er, sich in die Brust werfend, »ich schäme mich nicht einer Bedürftigkeit, die ich mir im Dienste meines Königs zugezogen habe. Ich verhehle nicht, der Stand meiner Angelegenheiten ist sehr im unklaren; ja im Augenblick wäre es mir sogar unmöglich, eine Reise zu unternehmen.«

»Bis Ihr Gelegenheit erhaltet, Euch mit Freunden in Verbindung zu setzen,« sagte ich, »ist es Euch dann vielleicht recht (wie es mir natürlich eine Ehre ist) Euch als meinen Gast zu betrachten?«

»Sir,« entgegnete er, »Euer Angebot ist freimütig, ich glaube, ich ehre mich selbst am meisten, wenn ich diesen Freimut nachahme. Eure Hand, Mr. David; Ihr besitzt einen Charakter, den ich vor allem schätze; Ihr gehört zu den Menschen, aus deren Händen ein Gentleman ohne weitere Worte eine Gefälligkeit anzunehmen vermag. Ich bin ein alter Soldat,« fügte er hinzu, sich ein wenig angewidert im Zimmer umsehend, »Ihr braucht daher nicht fürchten, daß ich Euch zur Last fallen werde. Ich habe allzuoft schon neben Schützenwällen gespeist und aus einem Graben getrunken und außer dem Regen kein Dach über meinem Haupte gehabt.« »Ich muß Euch noch sagen, daß uns gewöhnlich um diese Zeit unser Frühstück gebracht wird«, versetzte ich. »Ich schlage daher vor, daß ich mich jetzt in den Gasthof begebe, um noch ein zweites Gedeck für Euch zu bestellen und das Mahl um eine Stunde hinauszuzögern. In der Zwischenzeit könnt Ihr ja Eure Tochter sprechen.« Ich glaube, bei diesen Worten zuckten seine Nasenflügel. »Oh, eine ganze Stunde?« meinte er. »Das ist vielleicht doch überflüssig. Eine halbe Stunde, Mr. David, oder sagen wir, zwanzig Minuten. Das genügt mir vollkommen. Da fällt mir ein,« fügte er hinzu, mich am Rockzipfel festhaltend, »was trinkt Ihr eigentlich morgens? Bier oder Wein?«

»Offen gesagt, Sir, nichts als pures, kaltes Wasser.«

»Puh, puh« machte er, »das ist ja für den Magen schier ruinös, nehmt eines alten Veteranen Wort. Unser heimatlicher Branntwein ist vielleicht das Allergesündeste; da der aber nicht erhältlich ist, werden Rheinwein oder Burgunder wohl das Nächstbeste sein.« »Ich werde dafür sorgen, daß Euch nichts mangelt«, entgegnete ich. »Sehr gut,« sagte er, »wir werden noch einen Mann aus Euch machen, Mr. David.« Jetzt war ich so weit, daß ich kaum noch auf ihn achtete, höchstens schoß es mir durch den Kopf, was für eine Art Schwiegervater er wohl abgeben würde. All meine Sorge konzentrierte sich auf das Mädchen, seine Tochter, die ich vor dem Zusammentreffen mit ihrem Besuche irgendwie zu warnen beschloß. Ich trat daher an ihre Tür, klopfte und rief gleichzeitig durch die Füllung: »Miß Drummond, Euer Vater ist endlich angekommen.« Dann machte ich mich an die Erledigung meines Auftrags, nachdem ich zuvor (durch zwei kleine Worte) meiner Sache schwer geschadet hatte.

Erstes Kapitel


Ein Bettler zu Pferde

Es war um die zweite Nachmittagsstunde des 25. August 1751, da verließ ich, David Balfour, gefolgt von einem Dienstmann, der einen Geldsack trug, die British Linen Company, bis zur Tür von einigen der Chefs dieses Handelshauses begleitet, die sich mit vielen Bücklingen von mir verabschiedeten. Zwei Tage vorher aber, ja noch am gestrigen Morgen, hatte ich in meinen Lumpen eher einem Bettler von der Landstraße geglichen: meine ganze Habe ein paar armselige Schillinge, mein einziger Begleiter ein vom Gericht verfolgter Hochverräter und ein Preis auf mein eigenes Haupt gesetzt ob eines Verbrechens, von dem weit und breit das Land widerhallte. Heute dagegen war ich der anerkannte Erbe der Lebensstellung, die mir von Geburt aus zufiel, ein Grundbesitzer, dem ein Bankbedienter das Gold nachtrug, mit Empfehlungen in der Tasche und (wie die Redensart lautet) mit der Welt zu meinen Füßen.

Zwei Umstände gab es, die meinem mit vollen Segeln fahrenden Lebensschiff als Ballast dienten. Die erste Gefahr drohte von der überaus schwierigen, ja tödlichen Angelegenheit, die es noch zu ordnen galt; die zweite von dem Ort, an dem ich mich befand. Die ragende, finstere Stadt, die Zahl, das Gewühl und der Lärm der Menschen bedeuteten für mich, der ich mich bisher nur zwischen Heidehügeln und Sanddünen und in stillen, ländlichen Gegenden aufgehalten hatte, eine neue Welt. Insbesondere verwirrte mich das Gedränge der Städter. Rankeillors Sohn war klein und von schmächtiger Gestalt; seine Kleider wollten mir gar nicht recht passen; mir stand es daher wahrlich schlecht an, vor einem Bankbedienten einherzustolzieren. Es war klar, falls ich es dennoch tat, mußte dies Verhalten die Leute zum Lachen reizen und (was in meinem Falle weit schlimmer war) zum Fragenstellen veranlassen. So lag es mir denn ob, mich nach eigener Kleidung umzusehen und in der Zwischenzeit neben dem Träger herzugehen und meinen Arm in den seinen zu legen, als wären wir zwei Freunde.

Bei einem Händler in den Luckenbooths staffierte ich mich aus; nicht allzu prächtig, denn ich hatte durchaus nicht die Absicht, als Bettler zu Pferde zu erscheinen, wohl aber zierlich und anständig, so daß Dienstboten mich respektieren würden. Von dort ging es zu einem Waffenhändler, bei dem ich einen einfachen Degen erstand, wie er meinem Range geziemte. Ich fühlte mich im Besitze dieser Waffe sicherer, obwohl sie für jemanden, der des Fechtens so unkundig war, nur eine weitere Gefahr bedeutete. Der Dienstmann, der natürlich ein Mann von einiger Erfahrung war, hielt die Wahl meiner Ausstattung für zweckmäßig.

»Nichts Auffallendes,« meinte er, »einfache, anständige Sachen. Und was das Rapier anbetrifft, so wird es ja gewißlich zu Eurem Range passen; aber ich an Eurer Stelle hätte meine Groschen für Besseres aufgespart.« Und sofort schlug er mir vor, von einem Weiblein in einer der Hintergassen von Cowgate, die seine leibhaftige Base wäre, Winterstrümpfe zu kaufen, da sie sie »ganz ungemein haltbar« verfertige. Doch ich hatte andere, dringendere Angelegenheiten zu erledigen. Da war ich nun in dieser alten, düsteren Stadt, die mit nichts auf der Welt solche Ähnlichkeit hatte wie mit einem Kaninchenbau, sowohl der Zahl ihrer Bewohner wegen wie auch dank des Labyrinths ihrer Gänge und Schlupflöcher. Wahrlich, es war ein Ort, an dem kein Fremder die Möglichkeit hatte, auch nur einen Freund, geschweige denn einen anderen Fremden aufzuspüren. Selbst wenn er zufällig in den richtigen Hof geriet, drängten sich die Menschen in diesen hohen Häusern doch so dicht zusammen, daß er einen ganzen Tag hätte suchen dürfen, um die richtige Tür zu finden. Das Nächstliegende wäre gewesen, sich einen Jungen, hier »Caddie« geheißen, zu mieten, der als Führer oder Pilot dient, und der den Fremden geleitet, wohin der Betreffende will, und ihn dann (nach erledigten Geschäften) in das Logis zurückführt. Allein die Caddies, die stets zu den gleichen Diensten verwendet werden, und zu deren Pflichten es gehört, über jedes Haus und jeden Einwohner gut unterrichtet zu sein, hatten allmählich eine Art Spionagegemeinschaft gebildet; und ich wußte aus den Erzählungen Mr. Campbells, daß sie alle Nachrichten auszutauschen pflegten, sich mit leidenschaftlicher Neugier für die Angelegenheiten ihrer Auftraggeber interessierten und so gleichsam die Augen und die Finger der Polizei darstellten. In meiner Lage wäre es wohl kaum klug gewesen, mir einen dieser Spürhunde an die Fersen zu heften. Ich hatte drei verschiedene, aber gleich dringliche Besuche zu machen: einen bei meinem Verwandten, Mr. Balfour von Pilrig, einen bei Stuart, dem Advokaten, der Appins Sachwalter war, und einen bei William Grant, Herrn von Prestongrange, Lord Staatsanwalt von Schottland. Der Besuch bei Mr. Balfour war unbedenklich; außerdem getraute ich mich (da Pilrig auf dem Lande lag), den Weg dorthin allein mit Hilfe meiner zwei Beine und einer gut schottischen Zunge zu finden. Ganz anders stand es um die beiden anderen Besuche. Der bei dem Sachwalter Appins war jetzt inmitten des Aufruhrs anläßlich des Appiner Mordes nicht nur an sich gefährlich, sondern kaum vereinbar mit dem dritten Besuch. Auch bestenfalls würde ich dem Lord Staatsanwalt gegenüber einen schweren Stand haben; doch mich geradewegs von Appins Sachwalter zu ihm begeben, hieß meine Sache schwerlich bessern und konnte den glatten Ruin von Freund Alan bedeuten. Außerdem verlieh mir das Ganze den Anschein, als trüge ich den Mantel nach zwei Seiten, eine Sache, die mir wenig behagen wollte. Ich beschloß daher, unverzüglich mit Mr. Stuart und mit dem gesamten jakobitischen Teil meiner Angelegenheiten zu Rande zu kommen und mich zu diesem Zwecke der Ortskenntnis des Trägers an meiner Seite zu bedienen. Kaum jedoch hatte ich ihm die Adresse genannt, als ein leichter Regenschauer niederging – nicht arg, aber meinen neuen Kleidern nicht sonderlich zuträglich –, und wir flüchteten uns unter einen Torbogen am Eingang eines Hofes oder Gäßchens.

Da meine ganze Umgebung mir fremd war, trat ich etwas weiter zurück. Der schmale, gepflasterte Gang fiel steil ab. Unermeßlich hohe Häuser ragten zu beiden Seiten auf und sprangen, ein Stockwerk über dem anderen, im Aufsteigen immer weiter vor, so daß oben nur ein schmaler Streifen Himmel sichtbar war. Soweit ich aus dem, was die Fenster enthüllten, sowie aus dem ehrbaren Aussehen der Personen, die aus- und eingingen, zu ersehen vermochte, waren die Häuser von anständigen Leuten bewohnt, und der ganze Ort fesselte und interessierte mich wie eine Geschichte.

Ich starrte noch immer um mich, als hinter mir plötzlich das muntere Stampfen vieler Füße im Gleichtritt und das Geklirr von Waffen ertönten. Ich drehte mich rasch um und gewahrte einen Zug bewaffneter Soldaten, in ihrer Mitte einen hochgewachsenen Mann in schwerem Mantel. Der Mann schritt gebeugt, wie in höfischer Zuvorkommenheit und mit schmeichelndem Anstand; im Gehen gestikulierte er beredt, und sein Gesicht war schlau und schön. Ich glaubte zu bemerken, daß sein Blick auf mich fiel, vermochte indes nicht seinem Auge zu begegnen. Der Zug schritt an mir vorüber nach einer Tür in dem Hofe, die von einem Bedienten in prächtiger Livree geöffnet wurde, und zwei Soldaten geleiteten den Gefangenen hinein, während die anderen mit ihren Feuerschloßgewehren an der Türe herumlungerten.

Nichts vermag sich auf den Straßen einer Stadt zu ereignen, ohne eine Schar müßiger Erwachsener und Kinder anzuziehen. So auch jetzt. Doch die Mehrzahl der Zuschauer zerstreute sich auf der Stelle, bis nur drei übriggeblieben waren, darunter ein Mädchen. Sie war wie eine Dame gekleidet und trug ein Stückchen Band in den Drummondfarben im Haar; doch ihre Kameraden oder, sagen wir lieber, Gefolgsleute waren zerlumpte Burschen, wie ich sie zu Dutzenden auf meiner Reise durch das Hochland getroffen hatte. Alle drei sprachen eifrig in gälisch, das meinen Ohren um Alans willen lieblich klang, aufeinander ein; und obgleich der Regen nachgelassen hatte und mein Dienstmann mich am Ärmel zupfte, um mich zum Aufbruch zu gemahnen, näherte ich mich ihnen noch weiter, um zu lauschen. Die Dame schalt die anderen heftig aus, die sich entschuldigten und vor ihr krochen, und ich war nun überzeugt, daß sie einer Häuptlingsfamilie angehörte. Während dieser ganzen Zeit durchstöberten alle drei ihre Taschen, doch brachten sie, soweit ich sehen konnte, zusammen nicht mehr als einen halben Farthing auf, weshalb ich leise lächeln mußte; denn ich erkannte, daß die Hochländer, was schöne Manieren und eine leere Geldkatze betrifft, sich alle gleich sind.

Zufällig drehte sich das Mädchen plötzlich um, so daß ich zum erstenmal ihr Gesicht erblickte. Nun gibt es aber kein größeres Wunder als die Art, in der das Gesicht eines jungen Weibes von eines jungen Mannes Sinn Besitz ergreift und in ihm haften bleibt, ohne daß er euch den Grund zu sagen vermöchte! Es ist, als hätte er just das gefunden, wonach er sich gesehnt. Sie hatte wunderbare, helle Augen wie Sterne, und ich glaube wohl, die Augen hatten etwas damit zu tun; wessen ich mich jedoch am klarsten erinnere, ist die Art, wie ihre Lippen leicht geöffnet waren, als sie den Kopf wendete. Was immer auch der Grund gewesen sein mag, ich stand dort wie ein Narr. Sie ihrerseits starrte mich, da sie niemanden in solcher Nähe vermutet hatte, etwas länger und vielleicht mit größerer Überraschung an, als mit höflicher Sitte ganz vereinbar war.

Es schoß mir durch meinen Bauernschädel, daß sie vielleicht meinen neuen Anzug bewundere; darauf errötete ich bis an die Haarwurzeln, und bei dem Anblick meiner Verlegenheit muß sie wohl ihre eigenen Schlüsse gezogen haben, denn sie hieß ihre Leute weiter in den Hof hineingehen, und sie nahmen ihre Auseinandersetzung dort wieder auf, wo ich nichts mehr davon hören konnte.

Ich hatte schon manch ein Mädchen bewundert, wenn auch kaum je so plötzlich und so heftig, und meinem Charakter lag es näher, zurückhaltend als fürwitzig zu sein; denn ich fürchtete mich sehr, von dem Weibervolk verspottet zu werden. Man hätte daher meinen können, ich hätte jetzt allen Grund gehabt, meinen üblichen Gepflogenheiten zu folgen, zumal ich diese junge Dame auf der Gasse, anscheinend im Gefolge eines Gefangenen und von zwei äußerst zerlumpten, wenig ehrbaren Hochlandsrittern begleitet, angetroffen hatte. Allein hier spielte noch eine andere Sache mit: es war klar, das Mädchen glaubte, ich hätte ihren Geheimnissen nachspioniert; und das war angesichts der neuen Kleidung und des Degens, den ich trug, in meiner jetzigen Lage, fast auf dem Gipfel des Glücks, mehr als ich herunterschlucken konnte.

Ich ging ihr daher nach und lüftete vor ihr, so gut ich es verstand, meinen neuen Hut.

»Madame,« sagte ich, »ich meine, es ist nur gerecht gegen mich selbst, Euch wissen zu lassen, daß ich kein Gälisch verstehe. Es ist zwar wahr, daß ich lauschte, denn ich besitze jenseits der Grenze im Hochland selber Freunde, weshalb jene Sprache freundlich in meinen Ohren klingt. Doch was Eure Privatangelegenheiten anbelangt, so würde ich sie, hättet Ihr Griechisch geredet, eher erraten haben.«

Sie machte mir eine leichte, kühle Reverenz. »Es ist kein Schaden geschehen«, sagte sie mit einem hübschen Akzent, der in erster Linie dem Englischen glich (aber weit lieblicher klang). »Schaut doch die Katz‘ den König an.«

»Ich will keinen Anstoß erregen«, antwortete ich. »Ich bin ungeschult in Städterart; vor heute hat mein Fuß den Bezirk Edinburg nie betreten. Nehmt mich also hin als einen Burschen vom Lande – das bin ich auch; es ist mir lieber, ich sag’s Euch selbst, als daß Ihr’s von Euch aus entdecktet.«

»In der Tat, es dürfte höchst ungewöhnlich sein, daß Fremde sich also auf der Gasse unterhalten«, entgegnete sie. »Doch wenn Ihr vom Lande seid, so ist das eine andere Sache. Ich stamme selbst vom Land; ich bin vom Hochland, wie Ihr seht, und fühl mich um so ferner von der Heimat.«

»Es ist noch keine Woche her, daß ich die Grenze überschritt«, sagte ich. »Vor weniger als einer Woche weilte ich noch in den Hügeln von Balwhidder.« »Balwhidder?« rief sie. »Kommt Ihr von Balwhidder? Allein der Name macht, daß mein ganzes Herz sich freut. Ihr könnt nicht lange dort gewesen sein, ohne einige unserer Freunde und Verwandten kennenzulernen!« »Ich wohnte bei einem kreuzbraven, freundlichen Mann namens Duncan Dhu Maclaren,« lautete meine Antwort. »Nun, ich kenne Duncan, und Ihr habt ihm das rechte Zeugnis ausgestellt;« erwiderte sie; »und ist er kreuzbrav, so ist’s seine Frau erst recht!«

»Ja,« sagte ich, »es sind prächtige Leute, und der Ort ist ein schöner Ort.« »Wo auf der ganzen, weiten Welt gibt’s seinesgleichen?« rief sie. »Ich liebe den Geruch dieser Gegend, ja selbst die Wurzeln, die dort wachsen.«

Das Feuer, mit dem sie sprach, gefiel mir ganz ungemein. »Ich wünsche fast, ich hätte Euch ein Zweiglein Heidekraut mitgebracht«, sagte ich. »Und ob ich auch unrecht tat, Euch vorhin anzureden, mach‘ ich es doch jetzt, da wir gemeinsame Bekannte haben, zu einer Bitte, daß Ihr mich nicht vergessen möget. David Balfour ist der Name, unter dem man mich kennt. Heute ist mein Glückstag, denn soeben habe ich mein Erbe angetreten, und es ist noch nicht sehr lange her, daß ich einer tödlichen Gefahr entrann. Ich wollte, Ihr behieltet meinen Namen Balwhidder zuliebe im Gedächtnis, so wie ich mich um meines Glückstags willen des Euren erinnern will.«

»Mein Name wird nicht ausgesprochen«, entgegnete sie mit großem Hochmut. »Es sind mehr als hundert Jahre her, daß er, außer zu Sekunden, den Leuten auf der Zunge war. Ich bin namenlos, wie das Stille Volk.1 Catriona Drummond ist der Name, dessen ich mich bediene.« Jetzt wußte ich in der Tat, woran ich war. Im ganzen großen Schottland gab es nur einen Namen, der proskribiert war: den der Macgregors. Jedoch weit davon entfernt, diese unerwünschte Bekanntschaft zu fliehen, stürzte ich mich nur noch tiefer hinein.

»Ich war mit jemandem zusammen, der sich in der gleichen Lage wie Ihr befand,« sagte ich, »und ich glaube, er wird einer Eurer Freunde sein. Er nannte sich Robin Oig.« »Wahrhaftig?« rief sie. »Ihr kennt Rob?«

»Ich verbrachte eine ganze Nacht in seiner Gesellschaft,« erwiderte ich.

»Er ist ein Nachtvogel«, erklärte sie.

»Sackpfeifen waren auch bei der Hand«, fuhr ich fort. »Urteilt also, ob uns die Zeit verging.«

»Jedenfalls werdet Ihr kein Feind sein«, sagte sie. »Der vorhin dort vorüberging, umgeben von Rotröcken, war sein Bruder. Er ist’s, den ich Vater nenne.«

»Wirklich?« rief ich. »Seid Ihr eine Tochter James Mores?« »Seine einzige Tochter,« entgegnete sie, »die Tochter eines Gefangenen! Daß ich das auch nur eine Sekunde vergessen konnte, um mich mit einem Fremden zu unterhalten!« Jetzt wandte sich einer der Kerle an sie, indem er die wenigen Brocken Englisch, die er kannte, zusammenkratzte, um sie zu fragen, was »sie« (womit er sich selbst meinte) wegen des »Tobaks« machen sollte. Ich musterte ihn und sah einen kleinen Mann mit großem Schädel, krummbeinig und rothaarig, den ich später zu meinem Schaden noch näher kennenlernen sollte. »Heute wird es wohl keinen geben, Neil«, lautete die Antwort. »Wo willst du ›Tobak‹ hernehmen, wenn dir das Geld dazu fehlt? Ich werde dich das nächstemal lehren, achtsamer zu sein; und James More wird, glaub ich, mit Neil vom Tom auch nicht sonderlich zufrieden sein.« »Miss Drummond,« sagte ich, »ich erzählte Euch doch, daß heute mein Glückstag ist. Hier steh ich und hinter mir ein Träger von der Bank. Und vergeßt nicht, daß ich die Gastfreundschaft Eurer Heimat Balwhidder genossen habe.«

»Es war keiner von meiner Sippe, der sie Euch gewährte«, entgegnete sie. »Gut,« sagte ich, »zum mindesten aber bin ich Eures Onkels Schuldner für einige Lieder auf der Sackpfeife. Außerdem habe ich mich Euch als Freund angeboten, und Ihr wäret so unvorsichtig, das nicht zur rechten Zeit abzulehnen.« »Wäre es eine große Summe, Ihr würdet vielleicht Ehre damit einlegen«, erwiderte sie; »aber ich will Euch sagen, um was es sich handelt. James More liegt in Ketten im Gefängnis; diese ganze Zeit über bringen sie ihn täglich zum Staatsanwalt – – « »Zum Staatsanwalt?« fragte ich. »Ist das – – – « »Das hier ist das Haus des Lord Staatsanwalts Grant von Prestongrange«, sagte sie. »Dorthin schaffen sie von Zeit zu Zeit meinen Vater, zu welchem Zwecke, weiß ich nicht; aber es scheint, daß es seit kurzem wieder Hoffnung für ihn gibt. Trotzdem wollen sie nicht erlauben, daß ich ihn spreche, oder daß er mir schreibt; und so harren wir seiner hier auf des Königs Gassen, um ihn zu treffen, und manchmal, wenn er vorübergeht, geben wir ihm seinen Schnupftabak, und manchmal auch anderes. Und hier steht dieser Sohn des Mißgeschicks, Neil, der Sohn Duncans, und hat mein Vierpennystück, mit dem ich den Tabak kaufen wollte, verloren, und nun muß James More ohne Tabak fertig werden und wird denken, seine Tochter habe ihn vergessen.«

Ich nahm einen halben Shilling aus der Tasche, reichte ihn Neil und hieß ihn seinen Auftrag erledigen. Dann sagte ich, zu ihr gewandt: »Jener halbe Shilling wurde mir in Balwhidder gegeben.« »Ah!« meinte sie, »Ihr seid ein Freund der Gregara!« »Ich will Euch auch nichts vortäuschen«, entgegnete ich. »Ich weiß sehr wenig von den Gregara und weniger noch von James More und seinen Händeln; doch seit ich hier in diesem Gange stehe, scheine ich einiges von Euch zu wissen; und wenn Ihr statt dessen lieber ›Ein Freund von Fräulein Catriona‹ sagen wolltet, will ich dafür sorgen, daß Ihr um so weniger hintergangen werdet.«

»Das Eine ist unmöglich ohne das Andere«, sagte sie.

»Ich will es trotzdem versuchen«, erwiderte ich.

»Und was denkt Ihr von mir, daß ich so dem ersten besten Fremden meine Hand entgegenstrecke?« rief sie.

»Ich denke nichts weiter, als daß Ihr eine gute Tochter seid«, war meine Antwort.

»Ich darf nicht unterlassen, Euch das Geld zurückzuzahlen«, versetzte sie. »Wo wohnt Ihr?«

»Um die Wahrheit zu sagen, einstweilen nirgends,« entgegnete ich, »da ich noch keine drei Stunden in der Stadt bin; doch wenn Ihr mir Eure Adresse geben wollt, werde ich so kühn sein, mir meinen halben Shilling selbst zu holen.«

»Kann ich Euch so weit trauen?« fragte sie.

»Ihr habt wenig zu befürchten«, antwortete ich.

»James More würde anderes nicht dulden«, sagte sie. »Ich wohne jenseits des Dorfes Dean, an der Nordseite des Flusses, bei Mrs. Drummond Ogilvy von Allardyce, die eine nahe Freundin von mir ist und sich freuen wird, Euch kennenzulernen.«

»Ihr werdet mich also wiedersehen, sobald meine Obliegenheiten es mir gestatten«, sagte ich; und da mit diesen Worten die Erinnerung an Alan mich von neuem befiel, beeilte ich mich, ihr Lebewohl zu sagen. Noch im gleichen Augenblick und mir selbst zum Trotz mußte ich denken, daß wir in Anbetracht der Kürze unserer Bekanntschaft doch recht weit miteinander gekommen wären, und daß eine wirklich vorsichtige junge Dame etwas mehr Zurückhaltung gezeigt hätte. Ich glaube, es war der Bankbediente, der mir diese ungalanten Gedanken vertrieb.

»Ich dachte, Ihr wäret ein Bursche von einiger Vernunft«, begann er und schob die Unterlippe vor. »Auf diese Art werdet Ihr’s wohl nicht weit bringen. Ein Narr und sein Geld sind bald geschieden. Ihr seid mir ein grüner Junge«, rief er, »und obendrein noch liederlich! So um die Menscher zu scharwenzeln!« »Wenn Ihr es wagt, auch nur ein Wort gegen die junge Dame – – « hub ich an. »Dame!« rief er. »Gott schütz und bewahr uns, welche Dame? Nennt Ihr die eine Dame? Die Stadt wimmelt ja von denen. Damen! Mann, man sieht, daß Ihr Euch in Edinburg nicht auskennt!«

Eine Zorneswelle packte mich. »Hier«, sagte ich, »führt mich, wohin ich Euch geheißen, und haltet Euer dreckiges Maul!«

Er gehorchte mir nicht ganz, denn wenn er mich auch nicht direkt anredete, sang er mir doch im Gehen in einer überaus zweideutigen und unverschämten Weise und mit ungemein falscher und krächzender Stimme vor:

Als Molly unsern Weg gekreuzt, da flog im Wind ihr Band,
Da flog ihr Blick zu mir zurück und über ihr Bettelgewand.
Jetzt ziehen wir nach Ost und West, jetzt geht durch’s ganze Land
Nach West und Ost auf Freiersfuß die Fahrt um Molly s Hand
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  1. Die Elfen.

Neunzehntes Kapitel


Ich bin viel in den Händen der Damen

Das Kopieren war ein langweiliges Geschäft, zumal ich recht klar erkannte, daß die betreffende Angelegenheit in keiner Weise pressierte und sehr bald meine Beschäftigung als einen Vorwand zu betrachten begann. Kaum war ich damit fertig, da saß ich auch schon zu Pferde, um noch den letzten Rest Tageslicht auszunutzen; trotzdem wurde ich von der Dunkelheit überrascht und mußte in einem Hause in der Nähe von Almond Water übernachten. Noch vor Tagesgrauen war ich wieder im Sattel, und die Edinburger Läden wurden eben aufgeschlossen, als ich bei West Bow zum Tor hineinrasselte und vor des Lord Staatsanwalts Haus mein dampfendes Pferd zügelte. In meinem Besitze befand sich eine schriftliche Anweisung an Doig, Mylords Privatsekretär, von dem man annahm, daß er in alle Geheimnisse eingeweiht wäre – ein würdiger, häßlicher kleiner Mann, ganz Fett, Schnupftabak und Selbstsicherheit. Ich fand ihn in dem gleichen Vorraum, in dem ich mit James More zusammengestoßen war, vor einem Pult, trotz der Morgenfrühe über und über mit Tabakspuren bekleckst. Meinen Zettel las er mit peinlicher Sorgfalt durch, gleich einem Kapitel aus der Bibel.

»Hm,« meinte er, »Ihr kommt ein wenig spät, Mr. Balfour. Der Vogel ist ausgeflogen – wir ließen ihn frei.« »Miß Drummond befindet sich in Freiheit?« rief ich. »Jawohl! Weshalb sollten wir sie behalten? Versteht Ihr mich? Wem wäre damit gedient, wenn wir um des Mädels willen ein Aufhebens machen?«

»Wo wird sie jetzt sein?« forschte ich.

»Weiß der liebe Himmel«, antwortete Doig mit einem Achselzucken. »Sie wird zu Lady Allardyce gegangen sein.«

»Höchstwahrscheinlich.«

»Dann gehe ich auch dorthin.«

»Aber Ihr werdet zuvor doch einen Bissen zu Euch nehmen?« »Keinen Bissen und keinen Tropfen! Ich trank in Ratho einen tüchtigen Trunk Milch.«

»Gut, gut«, meinte Doig. »Ihr könnt indes Euer Pferd und Euer Gepäck hier lassen; es scheint, wir müssen Euch beherbergen.« »Nein, nein,« entgegnete ich, »am heutigen Tage von allen Tagen des Jahres wären Schusters Rappen nicht die richtigen Rösser für mich.« Da Doig ziemlich breiten Dialekt redete, war ich unwillkürlich in eine Aussprache verfallen, weit gröber als die, derer ich mich gewöhnlich mit großer Sorgfalt befleißigte. Um so beschämter war ich, als hinter mir eine dritte Stimme einige Takte aus einer Ballade summte:

»Lauf, sattle mir mein tapferes Roß,
Heut gilt’s, drum spute dich fein;
Will reiten über den Gatehope-Berg,
Besuchen die Liebste mein.«

Die junge Dame stand da im Morgennegligé, die Hände, wie abwehrend, in den Falten ihres Kleides vergraben. Trotzdem schien mir der Blick, mit dem sie mich betrachtete, nicht unfreundlich. »Mein ehrerbietigstes Kompliment, Miß Grant«, grüßte ich, mich verneigend. »Euch selber das gleiche«, antwortete sie und machte mir einen tiefen Knicks. »Gestattet mir, Euch an ein hausbackenes und altersgraues Sprichwort zu gemahnen: ›Durch Messen und Essen kam niemand noch zuschanden.‹ Die Messe kann ich Euch zwar nicht bieten, da wir alle gute Protestanten sind, aber das Essen möcht ich Euch dringend anempfehlen. Ferner müßte es mich wundernehmen, hätt ich nicht privatim für Euer Ohr einige Neuigkeiten, die den Aufenthalt hier lohnen dürften.« »Miß Grant,« sagte ich, »ich glaube, ich bin bereits etlicher munterer Worte wegen – die mir zugleich recht gütig dünkten – Euer Schuldner. Sie standen auf einem Papier ohne Unterschrift.«

»Ohne Unterschrift?« wiederholte sie mit drolligem, aber wunderbar schönem Ausdruck, wie jemand, der sich an etwas zu erinnern sucht. »Sonst müßte ich mich arg täuschen«, fuhr ich fort. »Doch uns bleibt ja noch Zeit genug, davon zu reden, da Euer Herr Vater so gütig ist, mich eine Zeitlang als Hausgenossen aufzunehmen; ›der Esel‹ bittet Euch daher, ihm dieses eine Mal die Freiheit zu gewähren.« »Ihr gebt Euch da einen harten Namen!«

»Mr. Doig und ich würden uns mit Freuden seitens Eurer geschickten Feder noch härtere gefallen lassen.« »Wieder einmal muß ich die Diskretion der Männer bewundern«, lautete die Antwort. »Aber macht, daß Ihr fortkommt, wenn Ihr wirklich nicht essen wollt. Um so früher seid Ihr zurück; die wilde Jagd ist doch umsonst. Macht, daß ihr fortkommt, Mr. David.« Und die Tür öffnend, fügte sie hinzu:

»Auf saß er auf sein wackeres Roß,
Fort ging’s über Berg und Rain;
Nicht schonte er Peitsche und stachligen Sporn;
So jagt er zur Liebsten fein.«

Ich ließ mir das nicht zweimal sagen und machte Miß Grants Zitat auf dem Wege nach Dean alle Ehre. Die alte Lady Allardyce spazierte in Hut und Haube allein im Garten, gestützt auf einen schwarzen, mit Silber eingefaßten Spazierstock. Als ich vom Pferde stieg und mich ihr unter Bücklingen näherte, sah ich, daß ihr das Blut ins Gesicht schoß, und daß sie mit einer Miene, wie ich sie mir bei einer Kaiserin träumte, den Kopf in den Nacken warf. »Was führt Euch an meine Tür?« rief sie in schrillem, näselnden Ton. »Ich kann sie Euch nicht verschließen. Die Männer meines Hauses sind tot und begraben; ich habe weder Gatten noch Sohn, die sich an meiner Statt vor die Schwelle stellen könnten; jeder Bettler darf mich am Barte zupfen – ein Bart ist wirklich vorhanden – und das ist noch das Schlimmste an der Sache!« fügte sie halb zu sich selbst hinzu.

Ich war über diesen Empfang arg konsterniert, zumal die letzte Bemerkung, die von einer Verrückten zu stammen schien, machte mich sprachlos.

»Ich sehe, ich habe mir Eure Ungnade zugezogen Madame«, sagte ich. »Dennoch möchte ich so kühn sein, mich bei Euch nach Miß Drummond zu erkundigen.« Brennenden Auges blickte sie mich an, die Lippen in zwanzig Falten zusammengepreßt, zitternd auf ihren Stock gelehnt. »Das übersteigt doch alles!« stieß sie hervor. »Ihr kommt, um Euch nach ihr zu erkundigen? Wolle Gott, ich wüßte was von ihr!« »Sie ist nicht hier?« rief ich. Abermals warf die alte Dame den Kopf zurück, trat einen Schritt vor und fuhr mich so heftig an, daß ich schleunigst den Rückzug antrat.

»Schande über Eure lügnerische Zunge! Was? Ihr kommt, mich auszuhorchen? Im Gefängnis sitzt sie, wo Ihr sie hingebracht habt – mehr gibt es nicht zu sagen. Und von allen Wesen in Mannsbildkleidung mußtet gerade Ihr der Verräter sein! Ihr feiger Schuft! Wäre meinem Namen auch nur ein einziges Mannsbild verblieben, ich sorgte, daß Euch der Buckel verwamst würde, bis Ihr brülltet.« Mich dünkte es unratsam, länger an diesem Ort zu verweilen, da ich merkte, daß sie sich immer mehr in Zorn hineinredete. Ja, als ich nach dem Pfosten zurückwich, an dem mein Pferd angebunden war, folgte sie mir, und ich schäme mich nicht, einzugestehen, daß ich davonritt, einen Fuß im Steigbügel und mit dem anderen krampfhaft den zweiten Bügel suchend. Da ich nicht wußte, wohin ich mich mit meinen Nachforschungen noch wenden sollte, blieb mir nichts übrig, als nach dem Hause des Lord Staatsanwalts zurückzukehren. Ich wurde von den vier Damen sehr freundlich begrüßt, die alle beisammen saßen und sich bemüßigt fühlten, mit großer Ausführlichkeit und Langeweile für mich, alle Neuigkeiten zu erzählen, sowie alles, was es von Prestongrange zu berichten gab. Währenddessen beobachtete mich die junge Dame, die wieder allein zu sprechen ich mich von Herzen sehnte, mit verschmitztem Ausdruck und schien sich an meiner Ungeduld zu weiden. Endlich, als ich eine ganze Mahlzeit über mich hatte ergehen lassen und schon sehr nahe daran war, das Fräulein in Gegenwart ihrer Tante um eine Unterredung zu bitten, erhob sie sich, ging an das Notenpult, wählte ein Lied aus und sang in hohem Sopran: »Wer nicht nutzt die Gelegenheit, wartet vergeblich zu späterer Zeit«. Damit jedoch ließ ihre Strenge es bewenden; bald darauf führte sie mich unter irgendeinem Vorwand, den ich vergessen habe, in ihres Vaters Privatbibliothek. Dabei darf ich nicht unterlassen zu erwähnen, daß sie mit vollendeter Eleganz gekleidet war und ganz ungewöhnlich schön aussah.

»So, Mr. David, jetzt setzt Euch und laßt uns unter vier Augen miteinander plaudern. Ich habe Euch viel zu erzählen; außerdem scheine ich Euch in puncto Geschmack schweres Unrecht getan zu haben.«

»Inwiefern, Miß Grant? Ich hoffe, ich habe es niemals an schuldigem Respekt fehlen lassen.« »Darüber kann ich Euch beruhigen, Mr. David. Euer Respekt, ob gegenüber Euch selbst oder Euren armen Mitmenschen, war glücklicherweise stets exemplarisch. Ihr erhieltet von mir ein Billett?«

»Ich war so kühn, dies auf gewisse Indizien hin zu glauben; es wurde dankbar aufgenommen.«

»Es muß Euch ungeheuer überrascht haben. Aber wir wollen mit dem Anfang anfangen. Ihr erinnert Euch vielleicht noch eines Tages, da Ihr so freundlich waret, drei äußerst langweilige Fräulein nach Hause zu geleiten? Ich habe um so mehr Grund, ihn nicht zu vergessen, als Ihr die große Güte hattet, mich in einige Grundprinzipien der lateinischen Grammatik einzuführen, eine Tatsache, die sich unauslöschlich in mein Dankesbewußtsein eingegraben hat.« »Ich fürchte, ich war ein trauriger Pedant«, sagte ich, in der Erinnerung schamüberwältigt. »Bedenkt indes, daß ich Damengesellschaft durchaus ungewohnt bin.« »Wir wollen also die Grammatik nicht weiter erwähnen. Wie kamt Ihr aber dazu, Eure Schutzbefohlenen im Stich zu lassen? ›Und er stieß sie hinweg und sah sie nimmer an, sein Annchen, sein süßes, süßes Annchen‹« summte sie. »Nun, sein Annchen und ihre beiden Schwestern mußten wie eine Herde junger Gänse ganz allein nach Haus marschieren! Ihr kehrtet, wie es scheint, zu meinem Papa zurück und benahmt Euch ungemein martialisch, und von dort ging es in unbekannte Gegenden, zuletzt offenbar nach der Insel Baß; aber vielleicht sind Lummen mehr nach Eurem Geschmack als hübsche Mädchen?« Durch all diese Neckerei hindurch schimmerte in der Dame Auge ein gewisses Wohlwollen, das mich annehmen ließ, sie habe Besseres für mich in petto.

»Ihr findet Vergnügen daran, mich zu quälen, und ich gebe ein recht wehrloses Spielzeug ab. Laßt Euch jedoch bitten, etwas barmherziger zu sein. Zur Zeit gelüstet es mich, nur das eine zu hören: Neues über Catriona.« »Nennt Ihr sie auch in ihrer Gegenwart bei diesem Namen?« »Mein Wort darauf, ich weiß es nicht genau«, stammelte ich. »Jedenfalls würde ich das nicht vor Fremden tun. Weshalb seid Ihr eigentlich so sehr an dieser jungen Dame Schicksal interessiert?« »Ich hörte, sie befände sich im Gefängnis.«

»Nun, jetzt hört Ihr, daß sie nicht mehr dort ist; was wollt Ihr mehr? Sie bedarf in Zukunft keines Ritters.« »Um so mehr bedarf ich ihrer, gnädiges Fräulein.« »Ach, das klingt schon besser! Aber blickt mir einmal gerade ins Gesicht; bin ich nicht hübscher als sie?«

»Ich wäre der letzte, das zu bestreiten; es gibt in ganz Schottland nicht Euresgleichen.« »Nun, jetzt habt Ihr die Wahl zwischen uns beiden und müßt durchaus nur von der andern reden? Das ist nie und nimmer die rechte Art, Damen zu gefallen, Mr. Balfour.« »Aber, Fräulein, zweifellos gibt es doch noch andere Dinge als Schönheit.« »Womit ich zu verstehen habe, daß ich nicht besser bin, als ich eigentlich sein sollte?«

»Womit Ihr gnädigst verstehen wollt, daß ich dem Hahn im Fabelbuche gleiche. Ich sehe zwar das kostbare Juwel – und es gefällt mir gut – aber mir tut ein Körnlein Weizen wohler«. »Bravissimo!« rief sie. »Endlich eine gut gedrehte Antwort, und Euer Lohn soll meine Geschichte sein. In der Nacht, da Ihr desertiertet, kehrte ich in vorgeschrittener Stunde von einer Freundin zurück – in deren Haus ich baß bewundert wurde, was immer Eure Ansicht sein mag – und was erfahre ich bei meiner Rückkunft? Daß mich ein Mädchen in Hochlandstracht zu sprechen wünscht. Sie sei schon über eine Stunde da, behauptete das Dienstmädel, und habe im Warten geweint. Ich ging direkt zu ihr; sie erhob sich bei meinem Eintritt, und ich erkannte sie auf den ersten Blick. ›Die Grauen Augen!‹ sagte ich zu mir selbst, war aber so klug, mir nichts merken zu lassen. ›Endlich! Ihr werdet Miß Grant sein?‹ sagte sie, sich erhebend, und sah mich mit festem, traurigen Blick an. ›Ja, er hat wahr gesprochen, Ihr seid schön, das ist gewiß.‹ – ›So wie Gott mich erschaffen hat, liebes Kind,‹ sagte ich, ›aber ich wäre froh und dankbar, wenn Ihr mir sagen wolltet, was Euch zu dieser Nachtzeit hierher führt? – ›Fräulein,‹ sagte sie, ›wir gehören der gleichen Sippe an, wir sind beide vom Blut der Söhne Alpins.‹ – ›Liebes Kind,‹ erwiderte ich, ›mir bedeuten Alpin und seine Söhne nicht mehr als irgendein Kohlstrunk. Diese Tränen da auf Eurem hübschen Gesicht sind in meinen Augen ein gewichtigeres Argument.‹ Darauf hatte ich die Schwäche, sie zu küssen, wozu Ihr ebenfalls große Lust habt – aber ich wette, Ihr werdet nimmermehr den Mut dazu aufbringen. Ich sagte schon, daß es von mir eine Schwäche war, und in Wahrheit kannte ich ja an dem Mädchen nichts als ihr Äußeres. Trotzdem war dieser Kuß das Klügste, das ich hätte tun können. Sie ist ein wackeres, tapferes Mädchen, an Zärtlichkeiten aber kaum gewöhnt, wie mir scheint, und mit dieser Liebkosung (die, um die Wahrheit zu gestehen, gar leichtfertig gegeben wurde) hatte ich ihr ganzes Herz gewonnen. Nun werde ich Euch aber keineswegs die Geheimnisse meines Geschlechts verraten, Mr. Davie; niemals sollt Ihr wissen, wie sie mich um den Finger wickelte, denn auf ganz die gleiche Art wird sie auch Euch um den Finger wickeln. Wahrhaftig, sie ist ein prächtiges Mädchen! So klar wie ein Bergquell!« »Ja, das ist sie!« rief ich. »Also, sie klagte mir ihr Leid,« fuhr Miß Grant fort, »und welchen Kummer sie um ihren Papa litte und welche Sorge um Euch – mit sehr geringem Grund – und wie ratlos sie gewesen wäre, als Ihr sie verlassen hattet. ›Und endlich‹, sagte sie, ›fiel mir ein, daß wir ja von einer Sippe sind, und daß Mr. David Euch als die Schönste aller Schönen geschildert hatte, und ich sagte zu mir selbst: Wenn sie so schön ist, dann ist sie auch gut, und deshalb machte ich mich auf den Weg zu Euch!‹ Das war der Augenblick, als ich Euch alles verzieh, Mr. Davie. Solange Ihr Euch in meiner Gesellschaft befandet, schienet Ihr auf glühendem Rost zu braten; hab ich je einen jungen Mann sich von mir fortsehnen sehen, so wart Ihr der Mann, und ich nebst meinen beiden Schweizern waren die Damen, denen Ihr entfliehen wolltet. Jetzt aber schien es, als hättet Ihr so en passant dennoch einige Notiz von mir genommen und die Güte gehabt, Euch wohlwollend über meine Reize zu äußern! Von jener Stunde an mögt Ihr meine Freundschaft für Euch datieren; gleichzeitig begann ich mit zärtlicher Nachsicht der lateinischen Grammatik zu gedenken.«

»Ihr werdet noch viele Stunden Zeit haben, meiner zu spotten«, sagte ich. »Zudem bin ich der Meinung, daß Ihr Euch selber unrecht tut. Ich glaube, Catriona war es, die mir Euer Herz zuwandte. Sie ist zu schlicht, die Steifheit ihres Freundes zu bemerken, wie Ihr es tut.« »Darauf möchte ich keine Wette eingehen, Mr. David. Das Mädchen hat helle Augen. Aber zum minderten ist sie ganz und gar Eure Freundin, wie ich gar bald erfahren sollte. Ich führte sie zu Seiner Lordschaft, meinem Herrn Papa; und Seine richterliche Gnaden waren so gütig, da er sich in angenehmer Rotweinlaune befand, uns beide zu empfangen. ›Hier sind die Grauen Augen, die Euch in letzter Zeit so viel zu schaffen machte‹, sagte ich; ›sie sind erschienen, um zu beweisen, daß wir die Wahrheit redeten. Hiermit lege ich Euch das hübscheste Mädchen in den drei Lothians zu Füßen‹ – innerlich machte ich selbstverständlich ein jesuitisches Reservatio zu meinen Gunsten. Das Mädchen paßte ihr Verhalten meinen Worten an: schon lag sie vor ihm auf den Knien – ja, ich möchte wetten, daß er gleich zwei hübsche Mädchen vor sich sah, was Catrionas Bitte zweifellos um so unwiderstehlicher machte – Ihr seid ja samt und sonders spitzbübische Mohammedaner. Sie erzählte ihm, was sich in jener Nacht ereignet hatte, und wie sie ihres Vaters Knecht zurückgehalten hätte, Euch zu folgen, und wie verzweifelt sie über ihren Vater wäre, und wie aufgeregt über Euer Schicksal, und sie bat ihn unter Tränen um Euer beider Leben (die beide durchaus nicht bedroht waren), bis ich, auf mein Wort, zugleich stolz war auf mein Geschlecht, weil alles mit solcher Anmut vorgetragen wurde, und mich seiner ob des geringen Anlasses schämte. Sie war noch nicht weit gekommen, bevor der Lord Staatsanwalt, angesichts der Tatsache, daß ein junges Mädchen seine geheimste Politik enthüllte und der unlenksamsten aller Töchter verriet, völlig nüchtern wurde. Aber wir nahmen ihn vereint in die Hand und brachten die Affäre bald in Ordnung. Richtig geleitet – will sagen, von mir geleitet – gibt es keinen, der sich mit meinem Papa messen kann.«

»Mir gegenüber hat er sich als guter Mensch gezeigt.« »Nun, zu Catriona war er gleichfalls gut; ich war dabei, um drauf zu achten.«

»Sie hat also wirklich für mich gebeten?«

»Freilich, und zwar recht inständig; ich möchte Euch nicht wiederholen, was sie sagte – ich finde, Ihr seid schon eitel genug.«

»Gott lohne es ihr!«

»Durch Mr. David Balfours Hand, nicht wahr?«

»Da endlich tut Ihr mir zuviel Unrecht!« rief ich. »Ich zittere bei dem Gedanken, sie in so harten Händen zu sehen. Meint Ihr, ich würde fürwitzig sein, nur weil sie für mich gebeten hat? Das täte sie auch für einen wehrlosen jungen Hund! Da hätt ich schon stärkeren Grund, mir Mut zu machen, wenn Ihr’s nur wüßtet. Sie hat mir diese meine Hand geküßt. Ja, das hat sie. Wollt Ihr wissen, weshalb? Weil sie glaubte, daß ich eine wackere Rolle spielte und vielleicht in meinen Tod ginge. Es geschah nicht um meinetwillen – aber das brauche ich Euch, die Ihr mich, ohne zu lachen, gar nicht ansehen könnt, nicht erst zu sagen. Es geschah aus Liebe zu meiner Handlung, die sie für tapfer hielt. Ich glaube, außer mir und dem Prinzen Charlie ist noch niemandem dergleichen Ehre widerfahren. Heißt das nicht, aus mir einen Götzen machen? Und zweifelt Ihr etwa, daß mein Herz in Erinnerung daran zittert?«

»Ich muß wirklich oft über Euch lachen, weit öfter, als es mit Höflichkeit ganz vereinbar ist; aber ich will Euch eins verraten: wenn Ihr auf diese Weise zu ihr sprecht, bleibt Euch ein matter Schimmer von Hoffnung.« »Nie!« rief ich aus. »Dazu hätte ich niemals die Courage. Zu Euch kann ich reden, Miß Grant, weil mir gleichgültig ist, was Ihr von mir denkt. Aber zu ihr –? Keine Angst!«

»Ich glaube wahrhaftig, Ihr habt die plumpsten Füße in ganz Schottland«, lautete ihre Antwort.

»Wahrhaftig, sehr klein sind sie nicht«, meinte ich und blickte auf meine Füße hinab.

»Ach arme Catriona!« rief Miß Grant.

Da konnte ich nicht anders, ich mußte sie verwundert anstarren, denn, obwohl ich genau wußte, worauf sie (vielleicht sogar nicht ohne eine gewisse Berechtigung) hinauswollte, war ich doch von jeher angesichts so leichten Geplänkels recht schwerfällig. »Ja, ja, Mr. David,« bemerkte sie, »es läuft meinem Gewissen zwar stracks zuwider, aber ich sehe, ich muß mich zu Eurem Sprachrohr erwählen. Sie soll erfahren, daß Ihr unmittelbar nach der Nachricht von ihrer Gefangensetzung hierher eiltet; sie soll wissen, daß Ihr nicht warten wolltet, um zu essen, und von unserem Gespräch soll sie so viel hören, als ich für eine Jungfrau ihres Alters und ihrer mangelnden Erfahrung für richtig erachte. Glaubt mir, Euch wird auf diese Weise viel besser gedient sein, als Ihr Euch selber dienen könnt; ich werde sorgen, daß die plumpen Füße nicht dazwischen stolpern.«

»So wißt Ihr, wo sie sich befindet?«

»Ich weiß es, Mr. David, aber ich werde es Euch niemals verraten.«

»Weshalb nicht?«

»Nun, ich bin, wie Ihr bald merken werdet, meinen Freunden eine gute Freundin, und mein bester Freund ist mein Papa. Ich versichere Euch, von diesem Standpunkt werden weder Hitze noch Kälte mich abbringen, also verschont mich mit Euren Lammsaugen. Inzwischen wünsche ich Eurer David-Balfourschaft Adieu.«

»Noch eins!« rief ich. »Es gibt da einen Punkt, der aufgeklärt werden muß, da er ihr selbst und auch mir schwer schadet.« »Also faßt Euch kurz, ich habe Euch ohnehin die Hälfte meines Tages gewidmet.«

»Mylady Allardyce glaubt –« hub ich an – »ist der Ansicht – meint – ich hätte sie entführt.«

Miß Grant schoß das Blut ins Gesicht, daß ich anfänglich ganz zerknirscht war, sie so schamhaft zu finden, bis mir endlich der Gedanke kam, sie bemühe sich vielmehr, ihrer Heiterkeit Herr zu werden – eine Auffassung, die vollkommen durch den zitternden Ton ihrer Antwort bestätigt wurde: –

»Ich werde die Verteidigung Eurer Reputation auf mich nehmen. Ihr dürft sie mir getrost überlassen.«

Mit diesen Worten verließ sie die Bibliothek.

Zwanzigstes Kapitel


Ich fahre fort, mich in guter Gesellschaft zu bewegen

Genau zwei Monate blieb ich als Gast in der Prestongrangeschen Familie, wo ich meine Bekanntschaft mit Richtern und Advokaten, ja mit der Blüte der Edinburgher Gesellschaft vervollständigte. Trotzdem darf man nicht annehmen, daß ich meine Ausbildung vernachlässigte; ich hatte im Gegenteil alle Hände voll zu tun. Vor allem studierte ich Französisch, um mich auf meinen Leydener Aufenthalt vorzubereiten; außerdem lernte ich fechten und übte mich darin fleißig, mitunter drei Stunden den Tag, so daß ich gute Fortschritte machte. Auf Vorschlag meines Vetters Pilrig, der ein tüchtiger Musiker war, nahm ich an einem Singkursus teil und auf Befehl von Miß Grant an einer Tanzstunde, der ich indes nicht zur Zierde gereichte. Alle jedoch waren so gütig, zu behaupten, daß diese Dinge mir ein wenig Schliff verliehen. Jedenfalls lernte ich, meine Rockschöße und mein Rapier mit größerer Gewandtheit schwenken und mich in einem Salon bewegen, als gehöre das Zimmer mir. Auch meine Kleidung wurde mit großem Ernst von A bis Z revidiert, und selbst die lächerlichsten Kleinigkeiten, wie zum Beispiel die Frage, wie und mit welcher Farbe Band ich meine Haare binden sollte, wurden von den drei Fräulein mit einem Ernst erörtert, der einer gewichtigen Sache wert gewesen wäre. Alles in allem veränderte ich mich äußerlich stark zu meinem Vorteil, ja ich gewann ein leicht modisches Aussehen, das die guten Leute in Essendean fraglos in Erstaunen gesetzt hätte. Die beiden jüngeren Fräulein waren außerordentlich gern bereit, Toilettenfragen mit mir zu erörtern, da ihr Denken sich vornehmlich in dieser Richtung bewegte. Sonst könnte ich kaum sagen, daß sie in irgendeiner Weise von meiner Gegenwart Notiz zu nehmen schienen. Obwohl sie stets höflich waren, ja mich mit einer Art herzloser Herzlichkeit behandelten, konnten sie doch nicht verhehlen, wie sehr ich sie langweilte. Was nun die Tante betraf, so war sie eine merkwürdig stille Frau; ich glaube, sie zollte mir ungefähr ebensoviel Aufmerksamkeit wie den übrigen Mitgliedern der Familie, und das war wenig genug. So kam es, daß ich mich vor allem dem Staatsanwalt selbst und seiner ältesten Tochter anschloß, und unsere Intimität wuchs noch dank eines Vergnügens, das wir gemeinsam genossen. Vor Zusammentritt des Gerichts verbrachten wir ein, zwei Tage auf Schloß Grange, wo wir in großzügigster Weise offenes Haus hielten; hier war es auch, daß wir drei anfingen, miteinander über die Wiesen zu reiten, ein Zeitvertreib, den wir, sofern des Staatsanwalts ständige Geschäfte es gestatteten, noch in Edinburgh fortsetzten. Sobald die muntere Bewegung, die Schwierigkeiten des Weges oder die Zufälle schlechten Wetters unser Blut in Wallung brachten, verlor ich auch meine Schüchternheit. Dann vergaßen wir, daß wir einander fremd waren, und das Gespräch floß um so zwangsloser, als niemand zu sprechen sich verpflichtet fühlte. So kam es, daß sie mir meine Geschichte entlockten, Stück für Stück, von der Zeit an, da ich Essendean verließ bis zu meiner Fahrt auf der ›Covenant‹ und meinen Wanderungen durch die Heide usw., und dem Interesse, das sie an meinen Abenteuern nahmen, entsprang ein kleiner Ausflug, den wir bald darauf an einem Tag, da keine Gerichtsverhandlung war, unternahmen, und den ich hier ein wenig ausführlicher behandeln möchte. Wir saßen schon früh am Morgen auf und ritten zuerst nach dem Hause Shaw, das rauchlos und leblos in einer weißen, mit Rauhreif bedeckten Ebene lag. Hier stieg Prestongrange vom Pferde, reichte mir die Zügel und begab sich allein ins Haus, um meinen Onkel zu besuchen. Ich weiß noch, daß mein Herz bei dem Anblick dieses öden Gebäudes und bei dem Gedanken an den alten Geizhals, der frierend in seiner kalten Küche hockte, vor Bitterkeit schwoll.

»Das ist nun mein Heim und meine Familie«, sagte ich.

»Armer David Balfour!« entgegnete Miß Grant.

Was sich während des Besuches ereignete, habe ich nie erfahren; aber ich zweifle keinen Augenblick, daß es für Ebenezer nicht sonderlich angenehm war, denn als der Lord Staatsanwalt wieder erschien, war sein Blick finster.

»Ich glaube, Ihr werdet hier bald der Herr sein, Mr. David«, bemerkte er und wandte sich, den Fuß im Steigbügel, noch einmal halb zurück.

»Ich will nicht behaupten, daß es mich reuen würde«, antwortete ich; um die Wahrheit zu sagen, hatten Miß Grant und ich während Prestongranges Abwesenheit Pläne entworfen, wie man das Anwesen durch Anpflanzungen, Beete und Terrassen verschönern könnte, Pläne, die ich seitdem größtenteils ausgeführt habe. Von dort ritten wir drei nach Queensferry, wo Rankeillor uns einen herzlichen Empfang bereitete. Ja, er war ganz außer sich über die Ehre, so hohen Besuch bei sich zu sehen. Hier hatte der Lord Staatsanwalt die unverhohlene Güte, sich eingehendst nach meinen Angelegenheiten zu erkundigen und sich über zwei Stunden mit dem Advokaten in seinem Studierzimmer zu beraten, wobei er (wie man mir später erzählte) große Achtung vor mir selbst und ein lebhaftes Interesse an dem Stand meiner Geschäfte bezeugte. Um die Zeit zu vertreiben, nahmen derweil Miß Grant, ich und der junge Rankeillor ein Boot und setzten über die Hope nach Limekilnes über. Rankeillor benahm sich dabei recht lächerlich und (meiner Meinung nach) auch unschicklich, so groß war seine Bewunderung für die junge Dame; diese jedoch schien zu meinem Erstaunen (trotzdem das eine allgemeine Schwäche ihres Geschlechts ist) eher Gefallen daran zu finden. Allerdings hatte sein Verhalten ein Gutes: als wir das jenseitige Ufer erreichten, befahl sie ihm, das Boot zu hüten, während sie und ich nach dem Wirtshause weitergingen. Miß Grant war selbst auf diesen Gedanken gekommen; mein Bericht hatte sie für Alison Hastie sehr eingenommen, und sie wünschte persönlich mit dem Mädchen zu sprechen. Auch diesmal fanden wir die Wirtstochter allein – ich glaube, ihr Vater arbeitete den ganzen Tag auf dem Felde – und sie machte den Herrschaften, insbesondere der schönen jungen Dame in dem Reithabit, pflichtgemäß einen ehrerbietigen Knicks. »Soll das unser ganzer Willkomm sein?« fragte ich, ihr die Hand entgegenstreckend. »Erinnerst du dich nicht eines alten Freundes?« »Gott im Himmel, wer ist denn das?« stieß sie hervor und fügte hinzu: »Gottes Wahrheit, es ist der zerlumpte, junge Bursch!«

»Niemand anders«, bestätigte ich.

»Wie oft hab ich an Euch und Euern Freund denken müssen, und wie freue ich mich, Euch in den schönen Kleidern zu sehen! Zwar wußte ich, daß Ihr zu Eurer Familie zurückgekehrt wäret; das zeigte mir das prächtige Geschenk, das Ihr mir sandtet, und ich danke Euch auch von Herzen.« »So,« sagte Miß Grant, zu mir gewandt, »jetzt seid ein guter Bursch und laßt uns allein. Ich bin nicht gekommen, um Euch das Licht zu halten; sie und ich wollen miteinander schwätzen.« Sie blieb an die zehn Minuten im Hause, und als sie herauskam, bemerkte ich zweierlei: ihre Augen waren gerötet, und an ihrem Busen fehlte eine silberne Brosche. Das rührte mich tief. »Noch nie sah ich Euch so schön geschmückt«, bemerkte ich. »Ach Davie, Bursch, sei kein geschraubter Geck!« lautete ihre ganze Antwort, und den Rest des Tages war ihr Ton mir gegenüber ungewöhnlich scharf.

*

Längere Zeit hörte ich nichts mehr von Catriona. Miß Grant blieb nach wie vor undurchdringlich und verschloß mir mit Neckereien den Mund. Eines Tages jedoch, als sie von einem Spaziergang heimkehrte, fand sie mich im Salon allein über meinem Französisch, und ich glaubte an ihrem Aussehen etwas Ungewöhnliches zu bemerken. Ihre Farben waren lebhafter als sonst, die Augen funkelten übermütig, und jedesmal, wenn sie mich ansah, umspielte ein Lächeln ihre Lippen. Ja, sie dünkte mich der verkörperte Mutwillen, und bald hatte sie mich, munter im Zimmer auf und ab spazierend, in eine Art Streit um nichts verstrickt (zum minderten war auf meiner Seite nichts Böses beabsichtigt). Ich glich dem guten Christen in der Fabel, der durch einen Sumpf watet – je mehr ich mich am Ufer hinauszuarbeiten suchte, um so tiefer sank ich hinein, bis sie zuletzt mit großer Heftigkeit erklärte, eine derartige Antwort ließe sie sich von niemandem gefallen, und ich hätte sie auf der Stelle kniefällig um Verzeihung zu bitten. Die Zwecklosigkeit all dieses Lärms trieb auch mir die Galle hoch. »Ich habe nichts gesagt, an dem Ihr gerechterweise Anstoß nehmen könntet,« erwiderte ich, »und was das Hinknien betrifft, so spare ich eine derartige Stellung für den Herrgott auf.« »Und ich will wie eine Göttin behandelt werden!« rief sie mit lebhaft gerötetem Gesicht, ihre braunen Locken schüttelnd. »Jeder Mann, der auch nur in die Nähe meiner Weiberröcke kommt, hat mich so zu behandeln!«

»Ich will so weit gehen, Euch um Verzeihung zu bitten, da die Sitte es erheischt, obwohl ich schwöre, daß ich nicht weiß, welche Ursache ich dazu hätte. Aber was diese Schauspielergebärden anbelangt, so müßt Ihr Euch einen anderen suchen.« »O Davie, wenn ich Euch nun darum bitte!« Da fiel mir ein, daß ich es ja mit einer Frau zu tun hatte, also mit einem Kinde, und daß sich das Ganze obendrein nur um eine Äußerlichkeit drehte.

»Ich halte es zwar für kindisch«, entgegnete ich, »und für ein Euer unwürdiges Verlangen, ebenso wie die Gewährung meiner unwürdig ist. Trotzdem will ich es Euch nicht verweigern. Die Schande komme über Euer Haupt!« Mit diesen Worten sank ich tatsächlich in die Knie. »Da,« rief sie. »Das ist die Euch geziemende Stellung; ich hatte es mir vorgenommen, Euch dahin zu bringen.« Und plötzlich warf sie mir mit den Worten: »Fangt auf!« ein Billett zu und rannte lachend aus dem Zimmer. Das Billet verriet weder ein Datum noch den Ort des Schreibens. Es lautete: »Lieber Mr. David, – Ich höre regelmäßig von Eurem Wohlergehen durch meine Base, Miß Grant, und höre stets Angenehmes. Mir geht es sehr gut; ich befinde mich an einem freundlichen Ort bei freundlichen Menschen, muß mich aber wohl oder übel recht still verhalten, obwohl ich hoffe, Euch endlich einmal wiederzusehen. All Eure Freundschaften sind mir von meiner lieben Base, die uns beide liebt, berichtet worden. Sie will, daß ich Euch diesen Brief sende, und hat selbigen überwacht. Ich bitte Euch, alle ihre Befehle auszuführen, und verbleibe Eure treue Freundin Catriona MacGregor-Drummond. P.S. Wollt Ihr nicht meine Base Allardyce aufsuchen?«

Ich erachte es als eines meiner glanzvollsten Bravourstückchen (wie es im Jargon der Militärs heißt), daß ich tat, worum man mich gebeten hatte, und mich unverzüglich nach Dean begab. Aber die alte Dame war jetzt vollständig verändert und so schmiegsam wie ein Handschuh. Wie Miß Grant das zuwege gebracht hatte, vermochte ich nie zu erraten. Jedenfalls bin ich überzeugt, daß sie in dieser Affäre nicht offen hervorzutreten wagte, da ihr Papa sich darin bereits ziemlich tief kompromittiert hatte. In der Tat war er es gewesen, der Catriona überredet hatte, ihre Base zu verlassen oder, richtiger, nicht zu ihr zurückzukehren, und der sie statt dessen bei einer Familie Gregory einquartiert hatte – anständigen Leuten, die dem Lord Staatsanwalt durchaus ergeben waren, und in die Catriona um so mehr Vertrauen setzte, als sie zu ihrem eigenen Clan und Stamm gehörten. Diese Familie hielt sie bei sich verborgen, bis die Zeit reif war, spornte sie an und half ihr, ihres Vaters Befreiung durchzuführen und nahm sie, nach ihrer Entlassung, in gleicher Heimlichkeit wieder bei sich auf. So bemächtigte und bediente sich Prestongrange seines Werkzeugs, ohne daß auch nur eine Silbe von seiner Bekanntschaft mit James Mores Tochter ruchbar wurde. Natürlich munkelte man allerlei über die Flucht einer so zweifelhaften Persönlichkeit; aber die Regierung antwortete durch ostentative Strenge; einer der Gefangenenwärter wurde ausgepeitscht, und der wachhabende Leutnant (mein armer Freund Duncansby) verlor seinen Offiziersrang. Was Catriona anbetrifft, so fand die gesamte Männerwelt an ihrem Vergehen derartiges Gefallen, daß alle es wohl zufrieden waren, sie straffrei entkommen zu sehen. Miß Grant war durch nichts zu bewegen, Catriona ein Antwortbillett zu überbringen. »Nein,« entgegnete sie auf meine wiederholten Bitten, »ich bin entschlossen, die plumpen Füße vor dem Dazwischenstolpern zu bewahren.« Für mich war das um so schwerer zu ertragen, als ich wußte, daß sie mehrere Male in der Woche mit meiner kleinen Freundin zusammentraf und ihr jedesmal, »wenn ich brav gewesen war« (wie sie sich ausdrückte), von mir berichtete. Endlich machte sie mir eine Freude, zum mindesten nannte sie es so, mich dünkte die Sache jedoch eher eine Neckerei. Sie empfand ohne Frage eine starke, fast heftige Freundschaft für alle Menschen, die sie gut leiden konnte, darunter mit an erster Stelle für ein kränkliches, altes Edelfräulein, stockblind und sehr geistreich, das zusammen mit einer Schar eingesperrter Hänflinge auf einem hohen Hügel oberhalb eines engen Hofes häufte und den ganzen Tag über zahlreiche Besuche empfing. Miß Grant liebte es sehr, mich dorthin zu führen, damit ich die alte Dame mit dem Bericht meiner Abenteuer unterhielte, und Miß Tibbie Ramsay (so hieß das alte Fräulein) war stets besonders liebenswürdig und erzählte mir viel Wissenswertes von den alten Familien und vergangenen Ereignissen in Schottland. Ich muß noch erwähnen, daß man von ihrem Zimmerfenster aus keine drei Fuß entfernt – so eng ist der betreffende Hof – in ein vergittertes Ochsenauge blicken konnte, das den Treppenflur des gegenüberliegenden Hauses erhellte. Hier ließ mich Miß Grant eines schönen Tages unter irgendeinem Vorwande mit Miß Ramsay allein; ich weiß noch, daß die alte Dame mir unaufmerksam und zerstreut erschien. Außerdem fühlte ich mich unbehaglich, da entgegen jeder Gewohnheit das Fenster offen stand und es draußen kalt war. Plötzlich drang Miß Grants Stimme aus einiger Entfernung an mein Ohr. »Hierher, Shaw!« rief sie, »guckt einmal aus dem Fenster und seht, was ich Euch mitgebracht habe.« Ich glaube, das Bild, das sich mir bot, war das hübscheste, das ich je gesehen habe. Der Brunnen auf dem Hofe lag ganz in klarem Schatten, der alles deutlich erkennen ließ; die Mauern waren tiefschwarz und rußig, und aus dem vergitterten Mauerschlitz schauten zwei lächelnde Gesichter – Miß Grants und Catrionas. »Da!« rief Miß Grant, »ich wollte, daß sie Euch auch einmal in Eurem Staat sehen sollte, wie die Wirtstochter in Limekilnes. Ich wollte ihr einmal zeigen, was ich alles aus Euch machen kann, wenn ich mir ernsthaft Mühe gebe!« Da fiel mir ein, daß sie sich heute eingehender denn je mit meiner Kleidung befaßt hatte: ja, ich glaube, einen Teil der gleichen Sorgfalt hatte sie auch auf Catrionas Anzug verwendet. Für eine so lebhafte und gescheite junge Dame legte Miß Grant entschieden erstaunlichen Wert auf Putz.

»Catriona!« war alles, was ich über die Lippen brachte. Und sie? Sie äußerte kein einziges Wort, winkte nur hinüber und lächelte mich an und wurde plötzlich vom Fenster fortgezogen. Kaum war diese Vision meinen Blicken entschwunden, als ich auch schon zur Haustür rannte, die ich jedoch verschlossen fand; von dort lief ich zu Miß Ramsay zurück und verlangte polternd den Schlüssel; ebensogut hätte ich den Burgfelsen anflehen können. Sie hätte ihr Wort gegeben, beteuerte sie, ich müsse ein folgsamer Junge sein. Es war unmöglich, die Tür zu sprengen, selbst wenn es der Anstand erlaubt hätte; nicht minder unmöglich war es, aus dem Fenster zu springen, da das sieben Stockwerke über dem Erdboden lag. Ich konnte also lediglich auf den Hof hinausstarren und warten, daß sie zusammen die Treppe hinunter zur Tür herausträten. Auch dann gab es nur wenig zu sehen: nichts als von oben ihre beiden Köpfe, die sich auf einer Spule von Reifröcken bewegten – ein lächerlicher Anblick, wie zwei wandelnde Nadelkissen. Catriona blickte auch nicht einmal auf, um Lebewohl zu sagen; später hörte ich, Miß Grant habe sie daran gehindert durch die Mitteilung, nie nähme man sich so unvorteilhaft aus, wie von oben betrachtet. Auf dem Heimwege, sobald ich die Freiheit wiedererlangt hatte, schalt ich Miß Grant ob ihrer Grausamkeit.

»Es tut mir leid, daß Ihr enttäuscht seid«, sagte sie, ganz sittsame Sanftmut. »Ich dagegen war sehr zufrieden. Ihr saht besser aus, als ich erwartet hatte; Ihr nahmt Euch aus – hoffentlich werdet Ihr nicht gar zu eitel – wie ein verflixt hübscher junger Mann, als Ihr dort oben am Fenster erschienet. Vergeßt nicht, daß sie Eure Füße nicht sehen konnte.« Letzteres fügte sie in beruhigendem Tone hinzu.

»O!« rief ich, »laßt meine Füße in Ruh – sie sind auch nicht größer als die meiner Mitmenschen.«

»Sie sind sogar kleiner als viele andere, aber ich spreche in Parabeln, wie die jüdischen Propheten.« »Dann wundere ich mich nicht, daß sie mitunter gesteinigt wurden! Böses Mädchen! Wie brachtet Ihr das nur übers Herz? Weshalb findet Ihr Vergnügen daran, mich durch einen flüchtigen Augenblick zu quälen?« »Die Liebe ist wie die Menschen; beide bedürfen einer gewissen Nahrung.« »O Barbara! Erlaubt, daß ich sie richtig spreche!« flehte ich. »Es steht in Eurer Macht – Ihr seht sie, wann es Euch beliebt; vergönnt mir eine halbe Stunde!« »Habt Ihr oder habe ich diese Liebesaffäre in die Hand genommen?« forschte sie und griff, als ich sie weiter mit Bitten bestürmte, auf ein unfehlbares Mittel zurück; sie imitierte den Ton meiner Stimme, als ich Catriona mit Namen rief. Ja, durch das gleiche Mittel hielt sie mich die nächsten Tage in Schach. Niemals fiel auch nur ein Wort von dem Memorial, wenigstens nicht von meiner Seite. Prestongrange und Seine Gnaden, der Lord Präsident mögen – was weiß ich – auf der tauben Seite ihres Kopfes davon gehört haben; jedenfalls behielten sie die Sache für sich – und die Öffentlichkeit wurde um keinen Deut klüger. Ja, der arme James von der Schlucht wurde im Laufe der Zeit, am 8. November, inmitten ungeheuren Sturms und Regens, zu Lettermore bei Ballachulish vorschriftsmäßig gehenkt. Das war also das Ergebnis meiner Politik! James war nicht der erste Unschuldige, der elend zugrunde ging, und viele Unschuldige werden noch bis an das Ende aller Zeiten (trotz unserer übergroßen Weisheit) zugrunde gehen. Und bis an das Ende aller Zeiten werden junge Leute, die die Doppelzüngigkeit des Lebens und der Menschen ungewohnt sind, wie ich weiterkämpfen und heroische Entschlüsse fassen und schwere Gefahren auf sich nehmen; und die Ereignisse werden sie beiseite schieben und wie eine sich vorwärts bewegende Armee ihren Marsch fortsetzen. James wurde gehenkt; trotzdem verweilte ich hier in Prestongranges Haus und fühlte mich ihm gegenüber für seine väterliche Sorge tief verpflichtet. James wurde gehenkt, und siehe da! – als ich Herrn Simon Fraser auf der Straße begegnete, zog ich vor ihm meinen Hut wie ein gehorsamer kleiner Schulbub vor seinem Lehrer. James wurde durch Betrug und Gewalt gehenkt, und die Welt ging ihren Gang weiter, und nichts war um ein Jota anders, und die Verbrecher in dieser scheußlichen Verschwörung waren ehrbare Familienväter, die den Gottesdienst besuchten und das Abendmahl einnahmen! Ich besaß jedoch meine eigene Ansicht von jenem widerlichen Geschäft – Politik –, ich hatte einen Blick hinter die Kulissen geworfen und hatte dort nichts als nacktes Gebein und Finsternis gesehen! Das genügte, um mich auf Lebenszeit von jeder Versuchung, mich an der Politik zu beteiligen, zu kurieren. Mein Ehrgeiz hatte sich einen geraden ruhigen, stillen Lebenspfad zum Ziel erwählt, wo ich mein Haupt ungefährdet aufrecht tragen und mein Gewissen vor Versuchung bewahren konnte. Aber rückblickend wollte es mir erscheinen, daß ich doch ziemlich kläglich gescheitert war; trotz der denkbar größten Reden und Vorbereitungen hatte ich nichts erreicht.

Am 25. des Monats sollte von Leith aus ein Schiff in See stechen, und unversehens erhielt ich den Rat, mein Bündel zu schnüren und mich nach Leyden auf den Weg zu machen. Zu Prestongrange konnte ich natürlich kein Wort äußern; ich hatte lange Zeit von seinem Hause und seinem Tisch gezehrt. Aber seiner Tochter gegenüber war ich offener; ich beklagte mein Los, außer Landes gehen zu müssen, und versicherte ihr, wenn sie es zuvor nicht ermöglichte, daß ich Catriona Lebewohl sagte, würde ich mich in letzter Stunde weigern.

»Hab ich Euch nicht meinen Rat erteilt?« forschte sie.

»Das habt Ihr in der Tat, und ich weiß auch, wie tief ich in Eurer Schuld stehe und daß ich zu gehorchen verpflichtet bin. Aber Ihr müßt selbst zugeben: mitunter seid Ihr allzu lose, als daß man Euch völlig trauen könnte.«

»Ich will Euch eines sagen. Seid um neun Uhr morgens an Bord; das Schiff fährt erst am Nachmittag. Sorgt, daß Euer Boot in der Nähe bleibe, und wenn Ihr dann nicht mit meinem Abschiedsgruß zufrieden seid, dürft ihr an Land zurückkehren und Kathrin persönlich aufsuchen.«

Mehr konnte ich nicht aus ihr herausbringen; also mußte ich mich damit zufrieden geben.

Endlich war der Tag da, an dem sie und ich uns trennen mußten. Wir waren einander recht nahegekommen; ich schuldete ihr großen Dank, und die Frage, wie wir auseinandergehen sollten, sowie die Frage nach den Trinkgeldern für die Dienerschaft beraubten mich meines Schlafes. Ich wußte, ich war in Barbaras Augen allzu schüchtern, und spürte daher eher den Wunsch, in dieser Hinsicht meinen Ruf zu heben. Außerdem mußte jede Steifheit nach so viel ostentativer (und, wie ich glaube, auch echter) Zuneigung kalt erscheinen. Also nahm ich meinen Mut in beide Hände, legte mir meine Rede zurecht und fragte sie, als wir voraussichtlich das letztemal allein waren, ob ich ihr zum Abschied einen Kuß geben dürfe.

»Ihr vergeßt Euch, Mr. Balfour, und setzt mich in Erstaunen. Wann hätte ich Euch im Laufe unserer Bekanntschaft das Recht gegeben, Euch irgendwelche Freiheiten zu gestatten?«

Da stand ich vor ihr wie eine Uhr, deren Gang man aufgehalten hat, und wußte nicht, was ich denken, geschweige denn sagen sollte, als sie plötzlich ihre Arme um meinen Nacken schlang und mich mit größter Herzlichkeit küßte.

»Du einziges Kind!« rief sie. »Meinst du, ich ließe uns wie Fremde auseinandergehen? Weil ich dir gegenüber keine fünf Minuten lang ernst bleiben kann, darfst du doch nicht glauben, ich hätte dich nicht sehr lieb! Ich bin ja ganz Liebe und Lachen, so oft ich dich nur ansehe! Und jetzt will ich dir als Abschluß meines Unterrichts einen Rat geben, den du gar bald wirst brauchen können: frage die Weiber nie erst um Erlaubnis. Sie können dann nicht anders, als mit Nein antworten; Gott hat das Mädel nicht erschaffen, das der Versuchung zu widerstehen vermöchte. Die Pfaffen glauben, das sei der Fluch Evas; weil sie nicht nein sagen konnte, als der Teufel ihr den Apfel anbot, vermögen ihre Töchter nichts anderes zu sagen.«

»Da ich so bald meine schöne Lehrmeisterin verlieren soll –«, begann ich.

»Das nenne ich in der Tat galant«, meinte sie mit einem Knicks.

»– möchte ich mir erlauben, eine Frage zu stellen: darf ich ein Mädchen fragen, ob sie mich heiraten will?«

»Du meinst, ohne diese Frage geht es nicht? Oder soll sie etwa das Angebot machen?«

»Ich sehe, Ihr könnt wirklich nicht ernst bleiben.«

»In einer Sache wirst du mich sehr ernst finden, David. Ich werde stets deine Freundin sein.«

Als ich am folgenden Morgen mein Pferd bestieg, standen alle vier Damen am Fenster, von dem aus sie Catriona beobachtet hatten, und alle vier riefen mir Lebewohl zu und winkten mit den Schnupftüchern, als ich davonritt. Von einer wußte ich, daß ihr der Abschied ehrlich schwer wurde; und in dem Gedanken daran und an die Verfassung, in der ich vor drei Monaten zum erstenmal an diese Tür geklopft hatte, packten mich Trauer und Dankbarkeit und führten in meinem Geiste einen wirren Kampf.

Zwölftes Kapitel


Wieder auf dem Marsch mit Alan

Es mochte zwischen ein und zwei Uhr sein; der Mond war, wie gesagt, untergegangen; ein starker Wind, der schwere Wolkenmassen vor sich hertrieb, sprang plötzlich im Westen auf, und wir traten unseren Marsch in einer so finsteren Nacht an, als sie ein Flüchtling oder Mörder sich nur wünschen könnte. Der weiße Schimmer der Landstraße geleitete uns nach dem schlafenden Städtchen Broughton und von dort über Picardy, vorbei an meinem alten Bekannten, dem Galgen mit den beiden Dieben. Kurz danach, in Lochend, gewahrten wir in einem Fenster ein Licht, das uns als willkommenes Leuchtfeuer diente. Mit ihm als Wegweiser ging es, immer noch ziemlich auf gut Glück, vorwärts, mitunter über volle Erntefelder, dann wieder stolpernd und gleitend über Brachacker, quer durch das Land, bis wir schließlich die wellige, sumpfige Heidelandschaft von Figgate Whins erreichten. Hier unter einem Ginsterbusch legten wir uns nieder, um den Rest der Nacht zu verschlafen. Etwa um fünf Uhr weckte uns der Tag. Es war ein wunderschöner Morgen, immer noch blies aus Westen ein kräftiger Wind, aber die Wolken waren alle nach dem Kontinent gezogen. Alan hatte sich schon lächelnd aufgerichtet. Es war das erstemal seit unserer Trennung, daß ich meines Freundes Gesicht sah, und ich betrachtete es mit frohem Herzen. Er trug immer noch den gleichen schweren Mantel; neu war nur ein Paar gestrickte Gamaschen, die ihm bis über die Knie reichten. Zweifellos sollten sie eine Art Verkleidung sein; da es jedoch ein warmer Tag zu werden versprach, machte Alan eine äußerst auffallende Figur. »Nun, David,« sagte er, »ist das nicht ein schöner Morgen? Heute ist ein Tag, wie er sein sollte. Das nenn ich mir eine Abwechslung nach dem Aufenthalt im Bauche des Heus; und während du hier schliefst und dich rekeltest, habe ich etwas getan, das ich vielleicht nur allzu selten tue.«

»Was denn?« fragte ich.

»Ach, nur so ’n bißchen gebetet.«

» Und wo sind meine ›Herrschaften‹, wie du sie nennst?«

»Das weiß allein der liebe Gott«, antwortete er.

»Mit einem Wort, wir müssen uns auf unser Glück verlassen. Munter, David! Auf die Beine! Fortuna sei uns noch einmal hold! Es scheint, wir sollen einen wundervollen Spaziergang haben.«

So ging es in östlicher Richtung weiter am Meere entlang bis an die Mündung des Esk, wo die Salzgruben dampften. Ohne Zweifel schien die Morgensonne strahlender als sonst auf Arthurs Sitz und auf die grünen Hügel von Pentland, aber der Zauber des Tages schien Alan gegen den Strich zu gehen.

»Ich komme mir vor wie ein Holzklotz, an einem Tage wie heute Schottland zu verlassen«, bemerkte er. »Es will mir nicht aus dem Schädel; lieber, glaub ich, bleibe ich hier und lass mich henken.«

»Es würde dir doch nicht gefallen, Alan«, sagte ich. »In Frankreich ist es ja auch ganz schön,« erklärte er, »aber es ist nicht dasselbe. Es ist, glaube ich, sogar schöner als hier, aber es ist nicht Schottland. Es gefällt mir großartig, wenn ich erst drüben bin; und doch bang ich mich nach schottischen Strohdächern und schottischem Torfgeruch.«

»Wenn dich nichts anderes drückt, Alan, so ist es ja weiter nicht schlimm«, sagte ich.

»Ich hab auch kein Recht, mich zu beklagen,« meinte er, »gerade jetzt, da ich eben erst aus dem verdammten Heu heraus bin.«

»Du hattest deinen Heuschober also gründlich satt?« erkundigte ich mich.

»Satt ist gar nicht der richtige Ausdruck«, entgegnete er. »Ich lass mich nicht so leicht entmutigen; aber ich fühl mich wohler an der frischen Luft mit dem Himmel über mir. Ich bin wie der alte schwarze Douglas (so hieß er doch?), der lieber die Lerche trillern als die Mäuse piepsen hörte. Und in dem Schober, David – der sich ja, wie ich zugeben muß, vorzüglich als Versteck eignete – war es stockfinster von morgens bis abends, weißt du. Es gab Tage (oder auch Nächte, wie sollte ich das wissen?) die mir so lang wie ein langer Winter erschienen.«

»Wie wußtest du die Stunde für unser Stelldichein?« fragte ich.

»Der Hausvater brachte mir so um elf mein Abendbrot und einen Tropfen Schnaps und ein Endchen Talglicht, um mir zu leuchten«, sagte er. »Wenn ich dann einen Bissen gegessen hatte, wußte ich, es war ungefähr Zeit, in den Wald zu gehen. Dort lag ich und bangte mich arg nach dir, David,« fuhr er fort, seine Hand auf meine Schulter legend, »und erriet aus dem Gefühl, wann die zwei Stunden vorbei waren – wenn nicht Charlie Stuart kam und es mir an seiner Uhr bewies, – und zurück ging’s in meinen Schober. Ja, ja, das war kein kurzweiliger Aufenthalt, und dem Himmel sei Dank, daß ich mich durchgeschunden habe.«

»Wie vertriebst du dir die Zeit?« erkundigte ich mich.

»So gut ich konnte!« antwortete er. »Manchmal spielte ich das Knöchelspiel. Ich bin großartig im Knöchelspiel, aber es ist eine langweilige Geschichte, wenn keiner da ist, um einen zu bewundern. Und manchmal hab ich auch gedichtet.«

»Wovon handeln denn deine Gedichte?« forschte ich weiter.

»Oh, so von Hirschen und von der Heide und von den alten Häuptlingen, die längst gestorben sind – na, wovon Gedichte im allgemeinen handeln – und manchmal redete ich mir auch ein, ich hätte einen Dudelsack und spielte darauf. Großartige Melodien hab ich gespielt, und mir kam’s vor, ganz meisterhaft; ich schwöre, mitunter hab ich’s direkt schrillen hören! Aber die Hauptsache ist doch, daß es nun hinter mir liegt.«

Danach brachte er das Gespräch wieder auf meine Abenteuer, die er sich ganz von vorne, aber ausführlicher erzählen ließ, und denen er mit außerordentlichem Beifall lauschte. Von Zeit zu Zeit erklärte er, ich sei doch »ein sonderbares Exemplar von einem Burschen«.

»Du hattest also Angst vor Simon Fraser?« fragte er das eine Mal.

»Große Angst!« rief ich.

»Das hätte ich auch gehabt, Davie. Er ist, weiß Gott, ein furchtbarer Mensch. Aber selbst dem Teufel soll man zahlen, was ihm gebührt, und ich sage dir, Fraser ist auf dem Schlachtfeld ungemein zu respektieren.«

»Ist er so tapfer?« fragte ich.

»Tapfer?« wiederholte er. »So tapfer wie meine Klinge hier.«

Die Geschichte meines Duells brachte ihn außer sich. »Wer hätte das gedacht!« rief er. »Nachdem ich dir obendrein in Corrynakiegh gezeigt habe, wie man’s macht! Dreimal – dreimal hintereinander entwaffnet! ’s ist eine Schande für mich, der ich dich unterrichtet habe! Hier, stell dich mal in Positur, heraus mit deinem Eisen! Du kommst mir nicht vom Fleck, bis du nicht mir und dir mehr Ehre machst.«

»Alan,« erwiderte ich, »das ist doch hellster Wahnsinn. Jetzt ist nicht die Zeit für Fechtunterricht.«

»Eigentlich hast du recht«, gab er zu. »Aber dreimal hintereinander, Junge! Und sich wie ein Holzklotz hinzustellen und dann wegzulaufen und sein eigenes Schwert aufzulesen, wie ’n Hündchen ein Taschentuch! David, dieser Duncansby muß ein Phänomen sein! Er muß ein Wunder an Fechtkunst sein! Hätt ich die Zeit, ich kehrte um, mich selber mal mit ihm zu messen. Der Mann müßte Profos werden.«

»Du dummer Kerl,« erwiderte ich, »du vergißt, er hatte ja nur mich als Gegner.«

»Aber dreimal hintereinander!«

»Aber du weißt doch selbst genau, daß ich kaum fechten kann!«

»Nein, so was ist mir noch nicht vorgekommen.«

»Ich will dir eines versprechen, Alan«, fügte ich hinzu. »Wenn wir uns das nächste Mal treffen, werde ich es besser verstehen. Du sollst in Zukunft nicht die Schmach erdulden, einen Freund zu haben, der keinen Hieb austeilen kann.«

»Das nächste Mal?« wiederholte er. »Wann wird das sein? Ich wollte, ich wüßte es.«

»Nun, Alan, ich habe auch darüber nachgedacht,« sagte ich, »und mein Plan ist: ich will Advokat werden.«

»Ein langweiliges Geschäft,« meinte Alan, »und ein schuftiges obendrein. Da stäkest du schon besser in des Königs Rock.«

»Das wäre zweifellos die richtige Art, uns wieder zu treffen«, rief ich. »Du in König Louis‘ Rock und ich in König Geordies. Eine reizende Zusammenkunft!«

»Du hast nicht so ganz unrecht«, stimmte er zu.

»Also muß es schon bei dem Advokaten bleiben,« fuhr ich fort, »ich glaube auch, der Beruf paßt besser für einen Gentleman, der dreimal hintereinander entwaffnet worden ist. Aber das Schöne ist: eine der besten Fakultäten für diese Wissenschaft – bei der auch mein Verwandter Pilrig gehört hat – befindet sich zu Leyden in Holland. Was sagst du dazu, Alan? Könnte nicht ein Fähnrich der Royal Ecossais gelegentlich Urlaub bekommen, um über die Marsch zu eilen und einen Leydener Studenten zu besuchen?« »Das will ich meinen!« rief er. »Schau, ich steh mich gut mit meinem Obristen, dem Grafen Drumond-Belfort; und was noch wichtiger ist, ein Vetter von mir ist Obristleutnant in einem schottischen Regiment in Holland. Nichts könnte passender sein, als daß ich Urlaub nehme, um Obristleutnant Stuart von Halkett zu besuchen. Und Lord Melfort, der so eine Art Gelehrter ist und Bücher nach der Manier Cäsars schreibt, wird sich meine Beobachtungen sicherlich mit Freuden zunutze machen.« »Ist Lord Melfort ein Autor?« fragte ich, denn ob auch Alan viel von den Militärs hielt, mir standen Edelleute, die Bücher schrieben, höher.

»Freilich, Davie«, antwortete er. »Man sollte meinen, ein Obrist hätte Besseres zu tun. Aber was soll ich dazu sagen, der ich Gedichte schreibe?«

»Ja, dann brauchst du mir nur noch eine Adresse in Frankreich anzugeben, an die ich dir schreiben kann, und sowie ich in Leyden bin, schicke ich dir die meine.« »Das Beste ist, du schreibst mir an die Adresse meines Häuptlings, Charles Stuart, Herrn von Ardshiel, in der Stadt Melons, Isle de France. Es kann lang dauern, und es kann auch nicht lang dauern, aber zum Schluß kommt es doch in meine Hände.« Zum Frühstück in Musselburgh verspeisten wir einen Schellfisch, und es war ungemein belustigend, dabei Alan zuzuhören. Sein schwerer Mantel und die Wollgamaschen mußten an diesem warmen Morgen jedem auffallen, und vielleicht war eine vorsichtige Erklärung in der Tat ganz angebracht. Alan jedoch machte sich an diese Angelegenheit wie an ein Geschäfl oder, besser noch, Vergnügen. Er eroberte das Herz der Hausfrau mit einigen Komplimenten über die Zubereitung des Fisches, und den Rest unseres Aufenthaltes verwickelte er sie in ein Gespräch über eine Unterleibserkältung, die er sich zugezogen hätte, wobei er ihr todernst alle möglichen Symptome auseinandersetzte und mit scheinbar ungeheurem Interesse der Aufzählung der Altweibermittel lauschte, die sie ihm anpries. Wir verließen Musselburgh noch vor Eintreffen der Neun-Pence-Postkutsche aus Edinburg, denn das wäre eine Begegnung, meinte Alan, der wir am besten aus dem Wege gingen. Der Wind war zwar noch kräftig, aber sehr mild, die Sonne brannte, und Alan begann unter seinem schweren Anzug zu leiden. Bei Prestonpans führte er mich vom Wege ab nach dem Schlachtfeld von Gladsmuir, wo er sich weit mehr als nötig anstrengte, um mir den Verlauf der Schlacht zu schildern. Dann ging es in unserem altbekannten, scharfen Wanderschritt weiter nach Cockenzie. Dort bauten sie bei Cadells Heringsboote, aber das Ganze machte den Eindruck eines verlassenen, rückschrittlichen Städtchens, zur Hälfte voll verfallener Häuser. Allein das Wirtshaus war sauber, und Alan, der mittlerweile die Hitze kaum ertragen konnte, mußte sich durchaus eine Flasche Ale leisten und der neuen Wirtin seine alte Geschichte von dem Unterleibsleiden aufbinden, nur waren die Symptome diesmal ganz andere. Ich saß und lauschte, und mir fiel ein, ich hätte ihn noch niemals in meinem Leben im Ernst drei Worte mit einer Frau sprechen hören; immer trieb er Scherz und Spott mit ihnen und machte sich im Stillen über sie lustig, und doch verwandte er auf dieses Geschäft eine erstaunliche Menge Energie und Interesse. Das ungefähr sagte ich ihm auch, als die Gevatterin zufällig abgerufen wurde. »Was willst du mehr?« fragte er. »Ein Mann sollte sich mit dem Weibervolk stets auf möglichst guten Fuß stellen; er muß ihnen immer irgendeine Geschichte zum besten geben, arme Schäfchen, die sie sind! Das solltest du auch lernen, David; du müßtest wenigstens die Grundbegriffe zu erfassen suchen. Es gehört nun mal zum Geschäft. Zum Beispiel, wäre unsere Freundin hier ein junges Mädchen oder auch nur ein bißchen hübsch, niemals hätt ich ihr von meinem Bauch erzählt, Davie. Sind sie aber fürs Hofieren zu alt geworden, dann werden sie alle Quacksalberinnen. Warum? Weiß ich es! Sie sind nun mal so, wie der Herrgott sie erschaffen hat. Aber ein Mann, der sich nicht mit ihnen abgibt, ist in meinen Augen ein Dummkopf.« Und als in diesem Augenblick die alte Dame zurückkehrte, wandte er sich, wie ungeduldig, von neuem das Gespräch aufzunehmen, von mir weg. Die gute Frau war schon früher von dem Thema, Alans Bauch, abgekommen, um ihm den Fall eines Gevatters in Aberlady zu erklären, dessen Siechtum und Tod sie mit großer Ausführlichkeit beschrieb. Mitunter war die Geschichte nur langweilig, mitunter aber auch grausig, und die Frau sprach mit sichtlichem Wohlbehagen. Die Folge war, daß ich in tiefes Nachsinnen versank und zum Fenster auf die Landstraße hinaussah, ohne indes das meiste wirklich wahrzunehmen. Würde man mich jedoch beachtet haben, man hätte mich nach einer Weile zusammenzucken sehen. »Wir machten ihm einen warmen Umschlag für die Füße«, erzählte die Gevatterin gerade, »und legten ihm einen heißen Stein auf den Leib, und wir gaben ihm einen Trank aus Eisenkraut und Poleiminze, und schönen, sauberen Schwefelbalsam gegen den Husten –.« »Sir,« unterbrach ich sie sehr ruhig, »ein Freund von mir ist eben am Haus vorbeigegangen.« »Wahrhaftig«, entgegnete Alan vollkommen gleichgültig, und die lästige Klatschbase fuhr mit ihrer Geschichte fort. Bald jedoch gab er ihr als Bezahlung eine halbe Krone, und sie mußte zum Wechseln das Zimmer verlassen. »War es der Rothaarige?« fragte Alan. »Jawohl«, entgegnete ich. »Was hab ich dir im Walde gesagt?« rief er. »Und doch ist’s sonderbar, daß er hier ist. War er allein?« »Mutterseelenallein, soweit ich sehen konnte.«

»Ging er vorüber?« »Geradeswegs vorüber, ohne nach rechts oder links zu schauen.«

»Das ist noch sonderbarer«, meinte Alan. »Ich glaube, Davie, es ist an der Zeit, daß wir uns aus dem Staube machen. Aber wohin? Der Teufel hol es! Jetzt ist tatsächlich die alte Zeit zurückgekehrt.«

»Mit einem großen Unterschied«, erwiderte ich. »Diesmal haben wir Geld in der Tasche.« »Da ist noch ein zweiter, wichtiger Unterschied, Mr. Balfour«, sagte er. »Heute sind uns die Spürhunde auf den Fersen. Sie haben die Fährte aufgenommen; die Meute ist uns hart auf der Spur, David, ’s ist ein elendes Geschäft, hol es der Henker.« Er dachte angestrengt nach, und ein Ausdruck trat auf sein Gesicht, den ich gut kannte. »Sagt einmal, Frau Wirtin,« fragte er, als die Hausfrau zurückkehrte, »hat dieses Gasthaus noch einen rückwärtigen Ausgang?« Sie bejahte und erklärte ihm, wohin er führe.

»Dann, Sir,« meinte er, zu mir gewandt, »ist das, meines Erachtens, für uns der kürzeste Weg. Lebt recht wohl, gute Frau, und das Zimtwasserrezept werde ich mir merken.« Wir verließen das Haus durch der Wirtin Kohlgarten und bogen in einen Wiesenpfad ein. Alan spähte scharf nach allen Seiten und ließ sich, da wir uns in einer kleinen Erdsenke außer Sichtweite befanden, am Wege nieder. »Und jetzt zu unserm Kriegsrat, Davie«, sagte er. »Zuvor aber einen Wink. War ich nun wie du gewesen, was hätte sich die Alte an uns gemerkt? Nichts weiter, als daß wir durch die Hintertür das Haus verließen. Und an was erinnert sie sich jetzt? An einen netten, gemütlichen, freundlichen, gesprächigen Mann, der – armer Kerl – an Leibschmerzen litt und ungemein von ihres Gevatters Schicksal mitgenommen war! Ach, Davie, Mann, versuch doch ein wenig klüger zu werden.« »Ich will’s versuchen, Alan«, versprach ich.

»Und jetzt zu dem Fuchskopf«, fuhr er fort; »ging er schnell oder langsam?«

»So halb und halb«, entgegnete ich.

»Also keine große Eile?«

»Keineswegs.« »Hm,« sagte Alan, »das sieht merkwürdig aus. Heute morgen in Whins war keine Spur von ihnen zu entdecken; er überholt uns, er scheint nicht nach uns auszuschauen, und doch bleibt er uns auf der Spur! Potz Donner, Davie, ich glaube, ich hab’s! Ich glaube, sie sind gar nicht hinter dir her, mich wollen sie fangen. Und ich glaube, sie wissen genau, was sie tun.« »Sie wissen?« fragte ich, »Ich glaube, Andie Scougal hat mich verkauft – er oder sein Maat, der zum Teil Bescheid weiß – oder Charlies Schreiberbursche, was ja ein Jammer wäre«; bemerkte Alan, »und wenn du mich nach meiner ganz persönlichen Ansicht fragst, bin ich der Meinung: auf Gillane Sands wird’s einige geborstene Schädel geben.« »Alan,« rief ich, »wenn du nur annähernd recht hast, werden ihrer mehr als genug dort sein! Es wird uns aber wenig nützen, ihnen die Schädel einzuschlagen.« »Es wäre aber eine Art Genugtuung«, meinte Alan. »Doch wart ein Weilchen, wart ein Weilchen; laß mich mal überlegen – ich glaube, ich hab noch eine Chance, durchzukommen, dank dieses prächtigen Westwinds. Auf folgende Weise, Davie: ich habe mich mit diesem Kerl Scougal erst gegen Dunkelwerden verabredet. ›Aber,‹ sagte er, ›schnapp ich von Westen her ’ne Handvoll Wind auf, bin ich viel früher dort,‹ – das hat er gesagt – ›und dann warte ich auf Euch hinter der Insel Fidra.‹ Wenn nun deine Herrschaften den Treffpunkt kennen, wissen sie auch die Zeit. Siehst du, worauf ich hinaus will, Davie? Dank Johnnie Copes und der übrigen schafsköpfigen Rotröcke kenn ich diese Gegend wie meine Tasche; und bist du bereit, wieder mal einen kleinen Eilmarsch mit Alan Breck zu unternehmen, so könnten wir uns ein Stückchen landeinwärts schlagen und bei Dirleton wieder zur Küste stoßen. Finden wir dort mein Schiff, so werden wir versuchen, an Bord zu gehen. Ist es nicht dort, muß ich wohl oder übel in meinen verdammten Heuschober zurück. Auf jeden Fall aber werden unsere Herrschaften vergeblich nach uns pfeifen.« »Vielleicht ist die Sache durchführbar«, sagte ich. »Also los, Alan!«

Dreizehntes Kapitel


Gillane Sands

Ich lernte aus Alans Führung weniger als er aus General Cope’s Manöver, denn ich weiß kaum, welchen Weg wir nahmen. Meine Entschuldigung ist, daß wir sehr rasch reisten. Teils liefen, teils trabten wir, und die übrige Strecke marschierten wir in einem verteufelten Tempo drauflos. Zweimal prallten wir mitten im Lauf mit Landleuten zusammen, und obwohl der erste ganz unversehens an einer Ecke auftauchte, war Alan schlagfertiger als eine geladene Muskete. »Habt Ihr mein Pferd gesehen?« keuchte er. »Nee, nee, wir haben überhaupt kein Pferd gesehen,« antwortete der Bauer. Und Alan nahm sich die Zeit, ihm ausführlich auseinanderzusetzen, wir hätten höchste Eile; unser Rößlein hätte sich losgemacht, und wir fürchteten, es sei auf dem Wege in den Stall nach Linton. Damit nicht zufrieden, fing er an, unter Aufwand des geringen Atems, der ihm noch geblieben war, sein Pech und meine Dummheit, die an allem schuld wäre, zu verfluchen. »Wer nicht die Wahrheit sagen kann,« bemerkte er im Weitergehen zu mir, »sollte stets eine ehrliche, handfeste Lüge bei der Hand haben. Wenn die Leute nicht wissen, was du vor hast, Davie, sind sie verflixt neugierig; glauben sie aber Bescheid zu wissen, dann fragen sie so wenig danach, wie ich nach einem Linsengericht.«

Da wir zuerst landeinwärts marschiert waren, führte unsere Straße zuletzt fast unmittelbar nach Norden; die alte Kirche von Aberlady war unser Wegzeichen zur Linken, zur Rechten die Anhöhe von Berwick Law; so erreichten wir dicht bei Dirleton die Küste. Westlich von North Berwick bis Gillane Neß liegen in einer Reihe vier kleine Inseln: Craigleich, The Lamb, Fidra und Eyebrough, alle bemerkenswert durch die Verschiedenheit ihrer Größe und Gestalt. Fidra ist die eigenartigste: eine seltsame, graue Insel mit zwei Höckern, die obendrein noch eine Ruine trägt; und ich erinnere mich, die See spähte, als wir uns ihr näherten, fast wie ein menschliches Auge durch die Türen und Fenster dieser Trümmerstätte. Die Leeseite von Fidra bietet bei Westwind einen guten Ankerplatz; und dort sahen wir auch schon von weitem die ›Thristle‹ sich an ihren Tauen wiegen. Die Küste ist gegenüber diesen Inseln vollkommen verödet; nirgends eine menschliche Behausung und nur sehr selten ein menschliches Wesen; höchstens verirren sich gelegentlich ein paar strolchende Kinder beim Spielen dorthin. Gillane ist ein kleiner Ort jenseits der Neß – die Bewohner von Dirleton haben ihre Felder weiter nach dem Innern verlegt, und die von North Berwick betreiben unmittelbar von ihrem Hafen aus die Fischerei – so daß wenige Teile der Küste einsamer sind. Trotzdem erinnere ich mich, daß wir scharf nach allen Richtungen spähten, und daß unsere Herzen gegen die Rippen hämmerten, als wir platt auf dem Bauche durch dieses Labyrinth von Hügeln und Tälern krochen; und die Sonne schien so hell, der Wind pfiff so lustig durch das Dünengras, und es herrschte ein derartiger Lärm von auffliegenden Möwen und sich niederduckenden Kaninchen, daß die Wüste einem bevölkerten Orte glich. Zweifellos war der Platz für eine heimliche Einschiffung – falls sie wirklich geheim war – in jeder Hinsicht gut gewählt. Und selbst jetzt, da wir verraten waren und man den Ort beobachtete, vermochten wir uns unbemerkt bis nach der vordersten Dünenkette, die unmittelbar auf Strand und Meer niederschaute, heranzupirschen.

Dort aber hielt Alan plötzlich an.

»Davie,« sagte er, »das hier ist ein kitzliger Weg! Solange wir stillliegen, sind wir sicher; aber ich bin dann meinem Schiff und der französischen Küste nicht viel näher. Und das Aufstehen und Heranwinken der Brigg ist auch ’ne heikle Sache. Wo, meinst du, stecken deine Herrschaften?«

»Vielleicht sind sie noch gar nicht da«, entgegnete ich. »Und selbst wenn sie da sind, spricht ein Umstand klar zu unseren Gunsten: sie haben sich zwar versammelt, um sich auf uns zu stürzen, aber sie sind darauf vorbereitet, daß wir aus Osten kommen, und hier befinden wir uns westlich von ihnen.«

»Ja,« sagte Alan, »trotzdem wünschte ich, wir wären unserer mehr, und das hier wäre eine Schlucht, dann hätten wir sie fein überlistet! Aber es ist nun mal nicht der Fall, David, und so wie die Dinge liegen, wirken sie ein bißchen ernüchternd auf Alan Breck. Ich schwanke, Davie.«

»Die Zeit flieht, Alan«, drängte ich.

»Ich weiß«, sagte Alan. »Ich weiß nichts anderes, wie die Franzosen sagen. Aber es ist ein schreckliches Lotteriespiel. Ach, wüßte ich nur, wo deine Herrschaften stecken!«

»Alan«, entgegnete ich, »du bist gar nicht du selbst. Es gilt: jetzt oder nie.«

»Das bin ich nicht, sagt er,
Ich bin es nicht, du bist es nicht,
Nein, Johnnie, Mann! Wir beide nicht,«

sang Alan mit komischem Ausdruck, halb drollig, halb beschämt, und plötzlich hatte er sich kerzengerade aufgerichtet und marschierte, ein wehendes Taschentuch in der Rechten, auf den Strand zu. Auch ich stand auf, hielt mich aber etwas im Hintergrund und beobachtete im Osten die Dünenkette. Sein Auftauchen blieb anfänglich unbemerkt; Scougal erwartete ihn nicht zu so früher Stunde und ›meine Herrschaften‹ hielten nach der anderen Richtung Ausguck. Dann erwachten die Leute an Bord der ›Thristle‹ zum Leben; alles schien in Bereitschaft, denn nach einem sekundelangen Durcheinander auf Deck sahen wir sie am Heck ein Boot zu Wasser lassen, das eilig auf das Ufer zuhielt. Fast im gleichen Augenblick erschien auf einem Hügel etwa eine halbe Meile nach Gillane Neß zu blitzschnell die Gestalt eines Mannes, der mit den Armen gestikulierte, und obwohl er ebenso rasch wieder verschwand, fuhren die Möwen an jener Stelle fort, eine Weile unruhig hin und her zu flattern.

Alan hatte ihn nicht bemerkt, da er unentwegt meerwärts nach Schiff und Boot ausschaute.

»Es muß kommen, wie es will!« sagte er, als ich ihm berichtet hatte. »Wenn nur mein Boot sich eilt, sonst wird mein Schädel wohl einige Püffe aushalten müssen.« Der Strand dehnte sich an jenem Teil der Küste lang und eben und bot bei Ebbe ein bequemes Gehen; ein kleiner, kressereicher Bach ergoß sich an der einen Stelle ins Meer, und die Dünen zogen sich gleich einem Mauerwall an seiner Mündung hin. Keiner von uns konnte sehen, was sich in den Senken ereignete, keine noch so große Eile unsererseits vermochte die Fahrt des Bootes zu beschleunigen. Für uns schien die Zeit während dieses unheimlichen Harrens stillzustehen.

»Das eine möchte ich wissen.« meinte Alan, »jener Herren Befehle. Wir beide zusammen sind unsere vierhundert Pfund wert; wie wenn sie nun Gewehre gegen uns herangeschleppt hätten, Davie? Von jener langen Sandböschung aus könnten sie einen feinen Schuß gegen uns abgeben.«

»Logisch unmöglich«, entgegnete ich. »Das ist es ja gerade: Gewehre haben sie nicht. Sie sind allzu heimlich ans Werk gegangen; sie haben vielleicht Pistolen, aber keine Gewehre.«

»Ich glaube, du hast recht«, bestätigte Alan. »Trotzdem sehne ich mich ganz ungemein nach jenem Boot.« Und er schnippte mit den Fingern und versuchte, es wie einen Hund heranzupfeifen.

Die Jolle hatte jetzt vielleicht den dritten Teil der Strecke zurückgelegt, und wir selbst befanden uns fast am Meeresrande, so daß der weiche Sand in meine Schuhe drang. Wir konnten nichts anderes tun als warten und, so gut es ging, beobachten, wie das Boot näher kroch, und so wenig wie möglich nach der unerbittlichen Front der Dünen schauen, über der die Mövenflügel funkelten und hinter der zweifellos unsere Feinde sich sammelten.

»Ein schöner, prächtiger, passender Ort zum Erschießen«, sagte Alan plötzlich; »Mann, ich wollte, ich hätte deinen Mut.«

»Alan,« rief ich, »was sind das für Redensarten? In dir lebt nichts anderes als Mut; er ist die Wurzel deines Charakters; das kann ich allein schon beweisen, falls keine anderen Zeugen da sind.«

»Um so mehr würdest du dich irren«, widersprach er. »Den Unterschied machen lediglich mein großer Scharfblick und meine Kenntnisse der Lage aus. Aber was alten, kalten, forschen, tödlichen Mut betrifft, so bin ich nicht wert, dir die Schuhriemen zu lösen. Sieh uns beide an, wie wir hier am Strande stehen. Da bin ich und verzappele mich vor Ungeduld, wegzukommen, und da bist du und weißt (wenn ich mich nicht täusche) nicht einmal, ob du gehen oder bleiben sollst. Meinst du, ich könnte oder würde das tun? Ich nicht! Erstens hätte ich nicht den Mut und würde mich nicht getrauen, und dann bin ich ein Mann von großem Scharfsinn und würde dich eher zum Teufel gehen lassen.«

»Also darauf willst du hinaus!« rief ich. »Ach, Alan, Mann, deine alten Weiber magst du an der Nase herumführen, mich aber nicht.«

Erinnerung an meine Versuchung im Walde machte mich fest wie Eisen.

»Ich muß ein Stelldichein einhalten«, fuhr ich fort. »Ich habe mich mit deinem Vetter Charlie verabredet und habe mein Wort gegeben.«

»Ein schönes Stelldichein, und schön wirst du’s einhalten«, sagte Alan. »Den Herrschaften dort hinter den Dünen wirst du in die Arme laufen; dabei wird’s bleiben, ein für allemal. Und weshalb?« fügte er mit bedrohlichem Ernst hinzu. »Sag mir nur, weshalb, mein Jungchen! Will man dich verschwinden lassen wie Lady Grange? Oder wollen sie dir den kalten Stahl zu fressen geben, um dich dann in den Dünen zu verscharren? Oder haben sie sich das Gegenteil in den Kopf gesetzt, und wollen sie dich mit James zusammen vor Gericht schleppen? Sind das etwa Leute, denen man vertrauen kann? Willst du wirklich deinen Kopf Simon Fraser und den anderen Whigs direkt in den Rachen stecken?« schloß er mit auffallender Bitterkeit.

»Alan,« rief ich, »es sind alles Lügner und Schelme, das gebe ich zu. Um so wichtiger, daß unter solchem Gaunerpack wenigstens ein anständiger Mensch bleibt! Ich habe mein Wort gegeben und werde daran festhalten. Damals schon sagte ich zu deiner Base, ich würde vor keinem Risiko zurückschrecken. Erinnerst du dich noch jener Nacht, als Colin Campbell fiel? Hier bleibe ich. Prestongrange hat mir mein Leben versprochen, und wird er meineidig, so sterbe ich hier.«

»Schön, schön«, antwortete Alan.

Die ganze Zeit über hatten wir nichts mehr von unseren Verfolgern gesehen oder gehört. In Wahrheit hatten wir sie völlig überrumpelt. Wie ich später erfuhr, hatte die Bande sich noch nicht vollständig versammelt; die zur Stelle waren, lagen zwischen den Hängen nach Gillane zu verstreut. Es war keine leichte Sache, sie zu alarmieren und zusammenzutreiben, und inzwischen kam das Boot gut vorwärts. Außerdem hatten wir es mit feigem Pack zu tun: einer Rotte von Hochlandsräubern, die sich nur aufs Viehstehlen verstand, aus verschiedenen Clans zusammengestellt, ohne einen Gentleman-Anführer, und je länger sie Alan und mich dort stehen sahen, umso weniger (nehme ich an) gefiel ihnen unser Aussehen. Wer immer Alan verraten hatte, der Kapitän war es nicht. Der begleitete selbst das Boot und lenkte und feuerte seine Ruderer an gleich jemandem, der mit dem Herzen bei der Sache ist. Schon war er uns ganz nahe, schon wollte das Boot auf dem Sand auflaufen, und Alans Gesicht glühte vor Aufregung über seine Rettung – da stießen unsere Freunde in den Dünen, sei es aus Verzweiflung, ihr Opfer entrinnen zu sehen, sei es in der Hoffnung, Andie abzuschrecken, einen schrillen, mehrstimmigen Schrei aus.

Der Lärm hier an dieser gottverlassenen Küste war wirklich furchterregend, und sofort hielten die Männer in dem Boote an.

»Wer da? Was ist los?« schrie der Kapitän, der sich jetzt bequem in Rufweite befand.

»Freunde von mir«, entgegnete Alan und begann auf der Stelle durch das seichte Wasser zum Boot hinauszuwaten. »Davie,« sagte er, noch einmal innehaltend, »Davie, kommst du wirklich nicht mit? Ich kann dich nicht hier lassen.«

»Nicht einen Zoll weit«, sagte ich.

Eine Sekunde zögerte er immer noch, bis zu den Knien im Salzwasser.

»Wem nicht zu raten ist, dem ist nicht zu helfen«, sagte er und wurde, jetzt bis zu den Hüften naß, an Bord der Jolle gezogen, die sofort wieder auf das Schiff zuhielt. Ich stand, wo er mich verlassen hatte, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Alan saß mit dem Gesicht zu mir gekehrt und sah mich an, und das Boot glitt unbehindert weg. Plötzlich war ich so nahe daran, in Tränen auszubrechen, wie nur je in meinem Leben, und fühlte mich als den verlassensten, einsamsten Burschen in ganz Schottland. Da drehte ich mich mit dem Rücken dem Meere zu, den Dünen entgegen. Kein Mensch war zu sehen oder zu hören; die Sonne schien über nassem und trockenem Sand, der Wind wehte durch die Dünen, die Möwen schrieen traurig. Als ich den Strand hinaufschritt, hüpften die Sandflöhe munter durch den angeschwemmten Tang. Kein Laut oder sonstiges Merkmal von Leben an jenem unheimlichen Ort. Und doch wußte ich, Menschen waren da und belauerten mich zu irgendeinem verborgenen Zweck. – Es waren keine Soldaten, sonst hätten sie uns längst überfallen und gefangen genommen; zweifellos hatte ich es nur mit ganz gemeinen Halunken zu tun, gedungen zu meinem Schaden, vielleicht um mich zu verschleppen, vielleicht auch, um mich kaltblütig zu ermorden. Nach dem Range der Mietlinge hielt ich das erstere für wahrscheinlicher; was ich von ihrem Charakter und ihrer Liebe zu diesem Geschäft wußte, ließ das letztere als möglich erscheinen, und bei dieser Vorstellung fror mir das Herzblut. Mir kam der tolle Gedanke, mein Schwert in der Scheide zu lockern; denn war ich auch völlig außerstande, mich Klinge gegen Klinge mit einem Gentleman zu messen, so glaubte ich doch in einem Handgemenge ganz gehörigen Schaden anrichten zu können. Doch ich erkannte rechtzeitig die Torheit eines Widerstandes. Ohne Zweifel war dieser Überfall der ›bestimmte Weg‹, über den Prestongrange und Fraser sich geeinigt hatten. Der eine, des war ich sicher, hatte gesorgt, daß man mein Leben schonte; der andere aber hatte höchstwahrscheinlich Neil und seinen Gefährten gegenüber irgendeinen gegenteiligen Wink fallen lassen, und zog ich blank, so spielte ich meinem Todfeinde vielleicht einen Trumpf in die Hand und besiegelte eigenhändig meinen Untergang. Diese Gedanken hatten mich bis zu der Strandböschung begleitet. Ich sah mich um; das Boot näherte sich der Brigg. Alan ließ als Lebewohl sein Taschentuch flattern, und ich winkte ihm meine Antwort mit der Hand. Aber selbst Alan war für mich angesichts meiner schrecklichen Lage zu einer nebensächlichen Angelegenheit zusammengeschrumpft. Ich drückte den Hut fest ins Gesicht, biß die Zähne zusammen und schritt gerade auf den Dünenkranz los. Es war eine schwierige Kletterpartie, der Sand gab unter meinen Tritten nach wie Wasser. Aber schließlich packte ich oben an der Dünenkuppe ein Büschel des langen Seegrases und zog mich auf festeren Boden hinauf. Im nämlichen Augenblick rührte sich etwas, und sechs bis sieben Männer, sämtlich zerlumpt und jeder mit einem Dolch in der Hand, tauchten hier und dort wie aus dem Erdboden auf. Die Wahrheit ist, ich schloß die Augen und betete. Als ich sie wieder öffnete, waren die Halunken, schweigend und ohne jede Eile, einen Schatten näher gekrochen. Aller Augen waren auf mich gerichtet, und mit seltsam starken Empfinden spürte ich ihr Leuchten und die Furcht, mit der die Burschen sich auch weiterhin mir näherten. Ich streckte ihnen meine leeren Hände entgegen; da fragte mich einer mit starkem, hochländischen Akzent, ob ich mich ergäbe. »Unter Protest,« entgegnete ich, »falls Ihr das versteht, was ich bezweifle.« Nach diesen Worten stürzten sie alle über mich her, wie ein Schwarm Vögel über Aas, packten mich, nahmen mir meinen Degen ab und das Geld aus meinen Taschen, banden mich, Hand und Fuß, mit einem starken Strick und warfen mich auf einen Klumpen Seegras. Dort setzten sie sich im Halbkreis um ihren Gefangenen und starrten ihn schweigend an, wie reißende Tiere, Löwen oder Tiger auf dem Sprung. Nach einer Weile ließ ihre Aufmerksamkeit nach. Sie rückten näher aneinander heran, fingen an, sich auf gälisch zu unterhalten und verteilten mit größter Unverfrorenheit vor meinen Augen unter sich mein Eigentum. Währenddessen war es mein Trost, daß ich von meiner Lage aus meines Freundes Flucht verfolgen konnte. Ich sah, wie das Boot die Brigg erreichte, wie es hochgezogen wurde, wie die Segel sich blähten, und wie das Schiff hinter den Inseln an North Berwick vorbei das offene Meer gewann. Im Verlauf der nächsten zwei, drei Stunden stießen mehr und mehr zerlumpte Hochländer zu uns, darunter als einer der ersten Neil, bis die Gesellschaft an die zwanzig Mann zählte. Mit jedem Ankömmling wurde das Gespräch wieder lebhaft, und es klang, als folgten Beschwerden und Erklärungen einander. Das eine fiel mir auf: keiner der Nachzügler erhielt einen Anteil an der Beute. Die letzte Auseinandersetzung war äußerst heftig und bewegt, und einmal dachte ich, es käme zu einem Kampf. Das Ergebnis war, daß sie sich trennten; die Mehrzahl zog vereint in westlicher Richtung davon, während Neil mit zwei anderen als Bewachung zurückblieb.

»Ich kenne jemand, dem Eure Tagesarbeit sehr schlecht gefallen würde, Neil Duncanson«, sagte ich, als die anderen sich entfernt hatten. Als Antwort versicherte er mir, man würde mich schonend behandeln, da ich ›ein Bekannter des Fräul’ns‹ wäre. Das war unsere ganze Unterhaltung; sonst ließ kein Muttersohn sich an jenem Teil der Küste blicken, bis die Sonne hinter den Bergen des Hochlands versank und die Dämmerung sich zur Nacht vertiefte. Um diese Zeit bemerkte ich einen langen, hageren, knochigen Tiefländer von auffallend dunkler Gesichtsfarbe, der uns zwischen den Dünen auf einem Ackergaul entgegenritt. »Jungens, habt ihr einen Ausweis wie diesen hier?« rief er, ein Papier hoch haltend. Neil zog ein zweites hervor, das der Fremde durch eine Hornbrille studierte, worauf er erklärte, alles wäre in Ordnung; wir seien die Leute, die er suche. Dann saß er ab, und ich wurde statt seiner auf das Pferd gesetzt; man band meine Füße unter den Bauch des Tieres zusammen, und wir machten uns unter der Führung des Tiefländers auf den Weg. Er muß seine Route gut gewählt haben, denn die ganze Zeit über begegneten wir nur zwei Menschen, einem Liebespärchen, die uns vielleicht für Schmuggler hielten und bei unserem Kommen flohen. Einmal befanden wir uns hart am Fuße des Südhangs von Berwick Law; ein andermal, als wir einige offene Hügel passierten, gewahrte ich die Lichter eines Dorfes und in der Nähe, zwischen Bäumen, einen alten Kirchturm, alles aber noch so fern, daß jeder Hilferuf, selbst wenn ich daran gedacht hätte, umsonst gewesen wäre. Endlich hörten wir wieder das Meer. Der Mond schien, wenn auch nicht hell, und in seinem Licht konnte ich die drei mächtigen Türme und bröckelnden Bastionen von Tantallon, dem alten Stammsitz der Roten Douglas, erkennen. Das Pferd wurde in der Tiefe eines Grabens zum Grafen angekoppelt, und mich führte man hinein durch den Hof und von dort in einen verfallenen, steinernen Saal. Hier, mitten auf den Fliesen, bauten meine Wärter ein lustiges Feuer, denn die Nacht war kühl. Meine Hände wurden losgebunden, ich wurde an dem einen Ende der Halle gegen die Mauer gesetzt und erhielt (nachdem der Flachländer Mundvorrat hervorgeholt hatte) Haferbrot und eine Kanne französischen Schnapses. Danach ließ man mich wieder mit meinen drei Hochländern allein. Diese scharten sich eng ums Feuer und tranken und schwatzten; der Wind pfiff durch die Mauerlücken, wirbelte den Rauch und Flammenwolken umher und heulte durch die Turmspitzen. Ich konnte das Meer am Fuße der Klippen hören, und da ich in bezug auf mein Leben beruhigt und nach diesem Tage an Leib und Seele erschöpft war, drehte ich mich auf die Seite und schlief. Wie spät es war, als man mich weckte, vermochte ich durchaus nicht zu erraten, aber der Mond war untergegangen, und das Feuer brannte schwach. Man löste meine Fußfesseln und schleppte mich durch die Ruinen einen steilen Pfad den Klippen entlang an eine Stelle, wo ich in einem natürlichen Felshafen ein Fischerboot fand. Dieses mußte ich besteigen, und wir stießen bei leuchtendem Sternenlicht vom Ufer ab.

Vierzehntes Kapitel


Die Insel Baß

Ich dachte nicht nach, wohin sie mich führten; ich spähte nur hier und dort nach einem Schiff aus, und indessen ging ein Wort Ransomes – »die Zwanzigpfünder« – mir unaufhörlich im Kopfe herum. Sollte ich wiederum der Gefahr einer Verschleppung nach den Plantagen ausgesetzt werden, so würde es mir diesmal, meinte ich, schlecht ergehen; ein zweites Mal würden kein Alan, kein Schiffbruch und keine lose Rahe da sein, und ich sah mich bereits unter der Peitsche Tabak schneiden. Der Gedanke ließ mich frieren; die Luft auf dem Wasser war scharf, die Sitze im Boot waren von eisigem Tau durchnäßt, und ich zitterte vor Kälte auf meinem Platze neben dem Steuermann. Dieser war der Dunkelhäutige, den ich bisher als den Flachländer bezeichnet habe; er hieß Dale und wurde gewöhnlich der »Schwarze Andie« genannt. Als er mich zittern fühlte, reichte er mir freundlichst eine grobe Jacke voller Fischschuppen, und ich war froh, mich damit bedecken zu können. »Ich danke Euch für Eure Güte«, sagte ich, »und erlaube mir, sie durch eine Warnung zu vergelten. Ihr habt mit dieser Sache eine schwere Verantwortung auf Euch geladen. Ihr seid nicht wie diese unwissenden, barbarischen Hochländer, sondern kennt die Gesetze und das Risiko, das jene laufen, die sie übertreten.«

»Ich kann zwar nicht behaupten, daß ich’s mit den Gesetzen so besonders genau nehme, auch in der besten Zeit nicht«, entgegnete er; »aber in dieser Sache handle ich mit sicherer Vollmacht.« »Was wollt Ihr mit mir anfangen?« fragte ich.

»Nichts Schlimmes,« erwiderte er, »durchaus nichts Schlimmes. Ihr habt mächtige Freunde, mein‘ ich. Es wird noch alles gut werden.«

Ein grauer Schleier begann sich auf des Meeres Antlitz zu senken, kleine rosa und rote Flecken, glimmenden Kohlen gleich, tauchten im Osten auf; gleichzeitig erwachte das Wildgeflügel und umkreiste schreiend den Gipfel von Baß. Die Insel besteht, wie jeder weiß, aus einem einzigen Felsen, der jedoch so groß ist, daß man draus eine ganze Stadt hauen könnte. Die See war ungewöhnlich ruhig, aber am Fuß der Klippe tönte ein hohles Plätschern. Mit dem wachsenden Licht konnte ich sie immer deutlicher erkennen; die schiere Felswand war mit Exkrementen von Seegeflügel bemalt wie mit morgendlichem Rauhreif, den schrägen Gipfel deckte grünes Gras, ein Volk von weißen Lummen umschrie ihre Flanken, und die schwarzen, verfallenen Baulichkeiten des Gefängnisses hockten hart neben dem Uferrand. Bei diesem Anblick ging mir plötzlich die Wahrheit auf. »Dorthin schafft Ihr mich also!« rief ich. »Nach Baß, wohin sonst denn, Freundchen?« entgegnete er. »Wo vor Euch die alten Märtyrer waren; doch zweifle ich, ob Ihr Euer Gefängnis auf so redliche Weise verdient habt.«

»Aber jetzt haust niemand mehr hier«, rief ich; »der Ort ist ja längst verfallen.« »Um so angenehmer der Wechsel für die Lummen«, meinte Andie trocken. Als der Tag sich mählich klärte, bemerkte ich zwischen dem Seetang unter großen Steinen, wie die Fischer sie als Ballast wählen, eine Reihe von Fässern und Körben sowie einigen Brennvorrat. All das war auf den Klippen abgeladen worden. Andie, ich und meine drei Hochländer (ich nenne sie »mein«, obwohl es umgekehrt richtiger wäre) landeten neben ihnen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als das Boot sich wieder entfernte, während das Knirschen der Ruder in den Dollen von den Klippen widerhallte, und wir fünf blieben in unserer seltsamen Wüstenei allein. Andie Dale war der Präfekt von Baß (wie ich ihn im Scherz zu nennen pflegte) und gleichzeitig der Schäfer und Wildhüter jener kleinen, aber reichen Herrschaft. Er mußte etwa ein Dutzend Schafe hüten, die dort fett wurden und an den schrägen Hängen weideten gleich Tieren auf den Dächern einer Kathedrale. Außerdem pflegte er die weißen Tölpel – eine Lummenart – die in den Klippen nisteten, und die ein ansehnliches Vermögen repräsentierten. Die Jungen gelten als Delikatesse und werden gewöhnlich von Epikuräern bereitwilligst mit zwei Shilling das Stück bezahlt. Selbst die ausgewachsenen Vögel sind durch die Federn und das Öl, das sie liefern, wertvoll, sodaß ein Teil der Pfründe des Pfarrers von North Berwick bis auf den heutigen Tag in diesem Seegeflügel bezahlt wird, weshalb sie (in mancher Leute Augen) als ungemein begehrenswert gilt. Um diesen mannigfachen Pflichten nachzukommen, auch um die Vögel vor Wilderern zu schützen, mußte Andie häufig Tage und Nächte auf dem Felsen zubringen, und er war dort so vollkommen zu Hause wie ein Bauer auf seinem Hof. Mit der Aufforderung, einen Teil der Vorräte aufzuladen – ein Geheiß, das ich mich zu erfüllen beeilte – führte er uns durch ein verschließbares Tor, den einzigen Zugang zur Insel, und durch die Ruinen der Festung nach dem Gouvernementsgebäude. Dort hatte er, wie wir aus der Asche im Kamin und einem in der Ecke befindlichen Pfostenbett ersahen, seine ständige Wohnstatt aufgeschlagen. Das Bett bot er mir zur Benutzung an, mit der Bemerkung, ich beanspruche vermutlich, vom Adel zu sein. »Mein Adel hat nichts mit der Art meiner Unterkunft zu tun«, entgegnete ich. »Gottlob war ich auch früher schon harte Betten gewöhnt und kann sie mit Dankbarkeit von neuem hinnehmen. Solange ich hier bin, Mr. Andie – falls das Euer Name ist – werde ich genau wie Ihr anderen meine Arbeit tun und meinen Platz an Eurer Seite einnehmen; dagegen bitte ich Euch, mich mit Eurem Spott zu verschonen, der mir, das gebe ich zu, nicht behagt.« Er murrte ein wenig gegen diese Rede, schien sie jedoch nach einigem Nachdenken zu billigen. In Wahrheit war er ein schlauer, vernünftiger Mann, ein guter Whig und Presbyterianer. Täglich las er in seiner Taschenbibel und war sowohl imstande wie begierig, sich ernsthaft über Religion zu unterhalten; dabei zeigte er keine geringe Neigung zu cameronischen Extremen. Seine Moral jedoch war von zweifelhafter Farbe. Ich fand, daß er tief in das Schmugglergewerbe verstrickt war und die Ruinen von Tantallon als Stapelplatz für seine verbotenen Waren benutzte. Und was die Zollbeamten betraf, so war ihm deren Leben, glaube ich, keinen halben Farthing wert. Aber jener Teil von Lothian ist auch heute noch eine wilde Gegend und das Volk so rauh als nur irgendeins in Schottland. Ein Vorfall, der sich während meiner Gefangenschaft ereignete, ist mir dank seiner Folgen im Gedächtnis haften geblieben. Damals war im Firth ein Kriegsschiff stationiert, das »Seepferd«, Kapitän Palliser. Zufällig kreuzte es im Monat September zwischen Fife und Lothian, um die dortigen Untiefen zu loten. Eines schönen Morgens wurde es in aller Frühe etwa zwei Meilen östlich von uns gesichtet, wie es ein Boot zu Wasser ließ, um Wildfire Rocks und Satans Bush, zwei berüchtigt gefährliche Stellen jener Küste, zu sondieren. Nachdem es seine Jolle wieder aufgenommen hatte, hielt das Schiff vor dem Wind unmittelbar auf Baß zu. Das kam Andie und den Hochländern sehr in die Quere; meine Entführung war von Anfang bis zu Ende auf Geheimhaltung berechnet, und jetzt lief ihnen zur Unzeit dieser Kriegsschiffskapitän über den Weg, und es sah ganz so aus, als würde die Sache zum mindesten ruchbar werden, selbst wenn sie keine schlimmeren Folgen hätte. Ich stand allein vier Mann gegenüber; ich bin kein Alan, der über eine ganze Bande herfällt, und ich war durchaus nicht überzeugt, daß das Kriegsschiff meine Lage bessern würde. Alles in allem gab ich daher Andie mein Ehrenwort, verpflichtete mich zu Ruhe und Gehorsam und wurde in aller Eile nach der Felskuppe geschafft, wo wir uns an verschiedenen versteckten Beobachtungsposten hart am Rande der Klippe niederließen. Das »Seepferd« hielt scharf auf uns zu, bis ich dachte, sie würde auflaufen, und wir konnten von unserem schwindeligen Ausguck her die Mannschaft an ihren Plätzen beobachten und hörten den Mann mit dem Lot seine Befunde ausschreien. Dann drehte das Schiff plötzlich bei und gab aus – ich weiß nicht wie vielen – mächtigen Rohren eine Salve ab. Der Felsen bebte unter der Wucht der Detonation, der Rauch ergoß sich über unsere Köpfe, und die Lummen schwärmten in unfaßlicher Zahl auf. Ihr Schreien und das Funkeln ihrer Flügel gestalteten sich zu einem einzigartigen Erlebnis; und ich nehme an, Kapitän Palliser hatte sich nur diesem etwas kindlichen Vergnügen zuliebe der Insel genaht. Das kam ihm später teuer zu stehen. Während das Schiff auf uns zusteuerte, hatte ich Gelegenheit gehabt, mir die Takelung einzuprägen, weshalb ich es von nun an selbst aus meilenweiter Entfernung zu erkennen vermochte; und das sollte (mit Gottes Hilfe) das Mittel werden, um einen Freund vor großem Unglück zu bewahren, Kapitän Palliser dagegen eine empfindliche Enttäuschung zu bereiten.

Die ganze Zeit während meines Aufenthaltes auf dem Felsen lebten wir gut. Wir hatten Dünnbier und Schnaps, sowie Hafermehl, aus dem wir uns abends und morgens unsere Grütze bereiteten. Mitunter setzte von Castleton aus ein Boot zu uns über und brachte uns ein Hammelviertel, da wir die Schafe auf der Klippe, die besonders für den Markt gemästet wurden, nicht anrühren durften. Für die Vögel war es leider nicht die richtige Jahreszeit; so ließen wir sie in Ruhe. Aber wir fischten eigenhändig und ließen öfter noch die Lummen für uns fischen, indem wir ihnen, sobald sie einen Fisch gefangen hatten, die Beute wieder abjagten, ehe sie sie verschlingen konnten.

Die seltsame Natur des Ortes und die Merkwürdigkeiten, von denen es dort wimmelte, bildeten meine Beschäftigung und mein Vergnügen. Da eine Flucht unmöglich war, ließ man mir volle Freiheit, und ich fuhr fort, die Oberfläche der Insel zu erforschen, so weit ein Menschenfuß sich wagen konnte. Der alte Gefängnisgarten war noch klar zu erkennen; Blumen und Pflanzen wucherten dort wild, und eines der Bäumchen trug reife Kirschen. Etwas unterhalb des Gartens lag eine Kapelle oder Eremitenklause; wer sie erbaut oder bewohnt hatte, wußte niemand, und der Gedanke an ihr Alter versenkte mich oft in tiefes Sinnen. Auch das Gefängnis, in dem ich jetzt mit meinen hochländischen Viehräubern biwakierte, war in weltlichem wie religiösem Sinne eine historische Stätte. Mich berührte es seltsam, daß so viele Heilige und Märtyrer erst vor kurzem hier geweilt hatten, ohne auch nur ein Bibelblatt oder einen eingeschnitzten Namen als Andenken zu hinterlassen, während die rauhen Soldatenkerls, die auf den Bastionen Wache gehalten, die ganze Umgebung mit Spuren übersät hatten – zumeist mit einer erstaunlichen Menge zerbrochener Pfeifenköpfe, daneben aber auch mit Uniformknöpfen. Zeitweise glaubte ich aus den Gefängnissen der Märtyrer fromme Psalmen klingen zu hören und sah im Geiste die Soldaten, glimmende Pfeifen im Maul, auf der Bastei auf und ab marschieren, während ihnen im Rücken aus der Nordsee der Morgen aufstieg.

Zweifellos trug Andie mit seinen Erzählungen viel dazu bei, mein Hirn mit diesen Träumen zu bevölkern. Er war in der Geschichte des Felsens ungewöhnlich beschlagen und wußte alle Einzelheiten bis auf die Namen der gemeinen Soldaten, da sein Vater in dieser Eigenschaft dort gedient hatte. Außerdem besaß er ein natürliches Erzählertalent, so daß die Menschen zu reden und die Dinge sich direkt vor des Hörers Augen zu ereignen schienen. Diese Gabe und meine Freude am Zuhören brachten uns einander näher. Ich kann in Wahrheit nicht leugnen: er gefiel mir gut; bald erkannte ich, daß auch er mich gern hatte, und ich hatte mir ja von Anfang an vorgenommen, sein Wohlwollen zu erringen. Ein seltsamer Umstand (von dem später noch die Rede sein wird) verwirklichte dies über jede Erwartung hinaus; aber selbst in den ersten Tagen unserer Bekanntschaft standen wir für einen Wärter und seinen Gefangenen auf ungemein freundschaftlichem Fuß.

Ich könnte es vor meinem Gewissen nicht verantworten, wenn ich behaupten wollte, mein Aufenthalt auf Baß sei durchwegs unangenehm gewesen. Die Insel erschien mir im Gegenteil als eine Art Zufluchtsstätte, wo ich allen meinen Nöten entronnen war. Niemand durfte mir etwas zuleide tun; physische Hindernisse – der Felsen und die tiefe See – machten jede weitere Anstrengung unmöglich; ich fühlte, mein Leben und meine Ehre waren in sicherem Gewahrsam, und es gab Zeiten, in denen ich mich so weit gehen ließ, mich daran wie an gestohlenem Gut zu weiden. Aber ich hatte auch ganz andere Gedanken. Ich erwog, mit welcher Kraft ich vor Rankeillor und Stuart getreten war; ich überlegte, daß man meine Gefangenschaft auf Baß, hier im Angesicht eines großen Teiles der Küste von Fife und Lothian, als eine Sache ansehen würde, die ich eher gesucht als unfreiwillig über mich hatte ergehen lassen, und daß ich vor jenen beiden Herren als Prahler und Feigling dastehen mußte. Manchmal nahm ich das alles leicht genug und versicherte mir selbst, solang ich mit Catriona Drummond gut stünde, sei die übrige Welt für mich nur Mondschein und flüchtiges Wasser; dann fiel ich unmerklich in jene Betrachtungen, die einem Liebenden so teuer sind, dem Leser jedoch stets erstaunlich eitel dünken. Ein anderes Mal packte mich mit Gewalt die Furcht; dann schüttelte mich förmlich panische Angst um meine Selbstachtung, und jenes vermeintliche, harte Urteil erschien mir als eine Ungerechtigkeit, die ich unmöglich ertragen könnte. Das führte mich wieder zu anderen Gedanken; kaum hatte ich begonnen, mich um der Welt Meinung über mich selbst zu sorgen, da verfolgte mich schon die Erinnerung an James Stuart in seinem Gefängnis und an die Klagen seiner Frau. Dann erst begann sich echte Leidenschaft in mir zu rühren; ich konnte es mir niemals verzeihen, daß ich hier müßig saß; mir war, als müßte ich (wenn nur ein Funken Mannhaftigkeit in mir lebte) fliegend oder schwimmend meinem Asyl entfliehen. In solchen Stimmungen, wie um meiner Selbstquälerei zu fröhnen, machte ich mich daran, Andie Dale zu gewinnen.

Eines schönen Morgens endlich, als wir uns ganz allein auf dem Gipfel des Felsens befanden, ließ ich einen vorsichtigen Wink über eine Bestechung fallen. Er blickte mich an, warf den Kopf zurück und lachte mir ins Gesicht.

»Ah, Ihr lacht, Mr. Dale,« sagte ich, »wenn Ihr aber die Güte hättet, einen Blick auf dieses Papier zu werfen, würdet Ihr vielleicht einen andern Ton anschlagen.«

Die dummen Hochländer hatten mir bei meiner Gefangennahme lediglich mein Bargeld abgenommen, und das Papier, das ich Andie jetzt zeigte, war eine Quittung der British Linen Company über eine beträchtliche Summe.

Er las. »Bei Gott, Ihr seid gar nicht so ein Bettler«, meinte er.

»Dachte ich’s mir doch, daß Ihr Eure Meinung ändern würdet«, sagte ich.

»Pah!« rief er, »das zeigt nur, daß Ihr bestechen könnt; aber ich bin unbestechlich.«

»Das werden wir noch sehen«, entgegnete ich. »Erst will ich Euch beweisen, daß ich weiß, was ich sage. Ihr habt Befehl, mich bis nach Donnerstag, dem 21. September, hier festzuhalten.«

»Da habt Ihr auch nicht so ganz unrecht«, meinte Andie. »Ich soll Euch, falls nicht Gegenorder kommt, Samstag, den 23. September, freilassen.«

Ich konnte nicht anders, mir kam diese Verabredung ungemein raffiniert vor. Daß ich just dann wieder auftauchen sollte, wenn es zu spät war, würde meine Geschichte, falls ich wirklich eine erzählte, um so unglaubhafter machen; das brachte mich erst recht in Harnisch.

»Paßt auf, Andie; Ihr kennt die Welt, also hört mich an und bedenkt, was ich Euch sage«, hub ich an. »Ich weiß, große Herren sind in diese Sache verstrickt, und ich zweifle keinen Augenblick, daß Ihr Euch auf sie berufen könnt. Ich selbst habe auch mit ihnen zu tun gehabt, seit diese Affäre begann, und habe ihnen meine Meinung ins Gesicht gesagt. Was für ein Verbrechen soll ich denn begangen haben? Und nach welchem Verfahren bin ich abgeurteilt? Ich werde von ein paar lumpigen Hochländern am 30. August überfallen, nach diesem alten Steinhaufen geschleppt, der (einerlei was er früher war) weder eine Festung noch ein Gefängnis, sondern lediglich die Behausung des Wildhüters von Baß ist, und soll am 23. September genau so heimlich, wie ich gefangen genommen wurde, wieder freigelassen werden – klingt Euch das nach Gerechtigkeit? Oder klingt es nicht vielmehr nach niedriger, schmutziger Intrige, deren sich sogar die Leute, die sie ersonnen haben, schämen?«

»Ich kann Euch nicht widersprechen, Shaw. Es sieht verteufelt unsauber aus«, erklärte Andie. »Und wären die Leute nicht gute, handfeste Whigs und waschechte Presbyterianer – ich hätte sie eher nach dem Jordan und Jerusalem geschickt, als mich auf so was eingelassen.«

»Der Herr von Lovat ist ein rechter Whig«, entgegnete ich, »und ein großartiger Presbyterianer.«

»Ich weiß nichts von ihm,« beharrte er, »ich habe nichts mit den Lovats zu schaffen.«

»Nein, Ihr werdet mit Prestongrange zu tun haben«, sagte ich.

»A, das sollt Ihr nicht aus mir herauskriegen.«

»Als wenn ich das brauchte, nun ich schon alles weiß«, lautete meine Antwort.

»Auf das eine könnt Ihr Euch verlassen, Shaw«, beteuerte Andie. »Mit Euch habe ich nichts zu schaffen (und wenn Ihr Euch auf den Kopf stellt). Und ich werde auch nichts mit Euch zu schaffen haben«, fügte er hinzu.

»Nun, Andie, ich sehe, ich muß offen mit Euch reden«, erwiderte ich und erzählte ihm die Tatsachen, soweit ich das für nötig hielt.

Er hörte mich mit ernsthaftem Interesse an und schien, als ich geendet hatte, eine Weile zu überlegen.

»Shaw,« sagte er endlich, »ich will frei von der Leber weg reden. ’s ist eine merkwürdige Geschichte und keine sehr schöne, so wie Ihr sie erzählt, womit ich nicht behaupten will, sie hätte sich anders zugetragen, als Ihr glaubt. Was Euch selbst betrifft, so scheint Ihr mir ein recht anständiger junger Mann. Aber ich bin älter und verständiger als Ihr und sehe in dieser Sache vielleicht ein Endchen weiter. Und das hier ist meine ehrliche Meinung: Euch wird’s nicht schaden, wenn ich Euch hier behalte; im Gegenteil, ich glaube, Ihr seid hier ein gut Teil besser aufgehoben als draußen. Dem Lande wird’s auch nicht schaden – bloß ein Hochländer mehr wird aufgeknüpft, und dazu können wir uns, weiß Gott, nur gratulieren! Dagegen würde ich mir selber ziemlich viel schaden, wenn ich Euch laufen ließe. Und darum – als guter Whig und aufrichtiger Freund von Euch und eifriger Freund von mir selbst gesprochen – die nackte Tatsache ist: ich denke, Ihr werdet hier bei Andie und den Lummen bleiben müssen.«

»Andie,« sagte ich, meine Hand auf seine Knie legend, »dieser Hochländer ist unschuldig.«

»Ja, ja, in dem Punkt ist’s schon schade«, meinte er.

»Aber Ihr wißt ja, so wie der Herrgott diese Welt erschaffen hat, kann einer nicht alles haben, wie er sich’s wünscht.«

Fünfzehntes Kapitel


Was der Schwarze Andie von Tod Lapraik erzählte

Ich habe bisher wenig von den Hochländern gesprochen. Alle drei waren Gefolgsleute von James More; das band ihrem Herrn die Schuld sehr fest um den Hals. Alle konnten ein oder zwei Worte Englisch, aber Neil war der einzige, der genug für eine allgemeine Unterhaltung zu verstehen glaubte, obwohl seine Gefährten (war erst ein Gespräch im Gange) sich oft zur gegenteiligen Ansicht gezwungen fühlten. Alle waren einfache, willige Geschöpfe, die mehr Höflichkeit zeigten, als man nach ihrem verwahrlosten, wüsten Aussehen hätte annehmen mögen, und fielen Andie und mir gegenüber von selbst in die Rolle von Dienern.

Hier an diesem einsamen Ort inmitten der bröckelnden Ruinen eines Gefängnisses, umgeben von den endlosen, fremdartigen Geräuschen des Meeres und der Vögel, glaubte ich schon früh an ihnen die Wirkungen abergläubischer Furcht zu bemerken. Wenn es nichts zu tun gab, schliefen oder ruhten sie, eine Beschäftigung, die sie nie satt bekamen, oder Neil unterhielt die anderen mit Geschichten, die indes alle grausig waren. War keines dieser beiden Vergnügen erreichbar – schliefen, zum Beispiel, zwei und sah der dritte sich außerstande, es auch zu tun –, so pflegte er ängstlich lauschend dazusitzen; seine Unruhe wuchs, er schrak zusammen, erbleichte und verkrampfte die Hände – kurz, glich in seiner Spannung einem gestrafften Bogen. Die Art seiner Befürchtungen vermochte ich nie zu erraten, aber ihr Anblick wirkte ansteckend, und die Natur des Ortes, an dem wir uns befanden, begünstigte diese Angst. Andie hatte dafür einen volkstümlichen Ausdruck, den er immer wieder brauchte.

»Ja,« pflegte er zu sagen, »hier auf Baß ist es nicht geheuer.«

So scheint es mir auch heute noch. »Nicht geheuer« war es dort, Tag und Nacht, ›nicht geheuer‹ waren die Geräusche – das Geschrei der Lummen, das Branden des Meeres und das Echo der Felsen – die ständig an unsere Ohren tönten, am stärksten aber bei verhältnismäßig ruhigem Wetter. Sogar bei geringem Wellengang umbrüllten die Wogen den Felsen wie der Donner selbst oder wie das Trommeln ganzer Armeen: ein furchtbarer, aber ausgelassener Lärm. Und an den stillen Tagen gar konnte es jeden, der lauschte, – nicht nur die Hochländer, wie ich aus Erfahrung weiß – ganz entnerven, so zahlreich waren die leisen, hohlen Stimmen, die in den Felsennischen widerhallten und uns unablässig verfolgten.

Das bringt mich auf eine Geschichte und eine Szene, an der ich teilnahm, die unsere Lebensweise von Grund auf veränderten und für mein Entkommen von größter Bedeutung waren. Ich saß eines Nachts neben dem Feuer, in tiefes Nachdenken versunken, und begann in Erinnerung an Alan sein Lied zu pfeifen. Da legte sich eine Hand auf meinen Arm, und die Stimme Neils bat mich, aufzuhören, denn die Musik sei ›nicht geheuer‹.

»Nicht geheuer?« fragte ich. »Wieso denn?«

»Ja,« meinte er, »die hat ein Geist gemacht, die auf sein Leib kein Kopf nicht hatte.«

»Nun,« sagte ich, »hier kann es keine Geister geben, Neil; es ist nicht anzunehmen, daß sie so weit vom Wege abirren, um ein paar Lummen vorzuspuken.«

»Was sagt Ihr da?« fuhr Andie dazwischen. »Ist das Eure Meinung? Ich sage Euch, hier hat schon Schlimmeres als Geister gespukt.«

»Was gibt es denn Schlimmeres, Andie?« fragte ich.

»Zauberer«, erwiderte er. »Und’n Zauberer war es zum mindesten. Aber das ist ’ne merkwürdige Geschichte«, fügte er hinzu. »Wenn Ihr wollt, erzähl ich sie Euch.«

Darüber gab es freilich nur eine Meinung, und selbst der Hochländer, der von den dreien am wenigsten Englisch konnte, setzte sich zurecht, um mit aller Macht zu lauschen.

Die Geschichte von Tod Lapraik

Mein Vater, Tom Dale – Friede seiner Asche! – war in seinen jungen Jahren ein wilder, toller Bursch mit wenig Vernunft und noch weniger Tugend. Er liebte den Wein und die Weiber und lustige Unterhaltung; doch daß er ehrliche Arbeit liebte, hab ich nie gehört. Eins ergab das andere; bald hatte er sich als Soldat anwerben lassen und stand in Garnison in dieser Festung, und so kam es, daß die Dales auf Baß Fuß faßten. War das ein elender Dienst! Der Gouverneur braute sein eigenes Bier; wie’s scheint, das schlechteste, das man sich nur denken konnte. Der Felsen wurde von der Küste aus verproviantiert, das Ganze war falsch geleitet, und mitunter waren sie im Essen nur auf die Fische und die Lummen angewiesen. Um allem die Krone aufzusetzen, herrschten damals die Religionsverfolgungen. Die eisig kalten Zellen waren alle mit Heiligen und Märtyrern besetzt, dem Salz der Erde, die ihrer gar nicht würdig ist. Und obzwar Tom Dale, ein einzelner Soldat, wacker sein Feuerschloßgewehr spazieren trug, und, wie gesagt, den Wein und die Weiber liebte, verrichtete er mehr aus Pflicht denn aus Freude seinen Dienst. Zu Zeiten hatte er kurze Offenbarungen von den Herrlichkeiten der Kirche – dann stieg ihm der Zorn hoch, des Herrn Heilige so mißhandelt zu sehen, und Scham packte ihn bei dem Gedanken, daß er bei einem so sündhaften Geschäft das Licht hielt (oder eine Muskete führte). Mitunter, wenn er des Nachts auf Posten stand und alles so unheimlich still war, während der Winterfrost in den Mauern knackte, hörte er einen der Gefangenen einen Psalm anstimmen, und die andern fielen ein, und die heiligen Klänge stiegen aus den verschiedenen Räumen – ich meine: Gefängnissen – so mächtig auf, daß dieser alte Fels mitten im Meer ein Zipfel vom Himmelreich schien. Schwarze Schande erfüllte seine Seele, und seine Sünden ragten vor ihm auf, groß wie der Felsen von Baß, alle überragend die Todsünde, daß er mit Hand anlege, die Kirche Christi zu verfolgen und bedrängen. Aber die Wahrheit ist, er widerstand der Stimme des Geistes. Der Morgen kam, die Kameraden erwachten, und seine guten Vorsätze waren verschwunden. Damals hauste ein Erwählter des Herrn auf Baß, Peden, der Prophet genannt. Ihr werdet von dem Propheten Peden gehört haben. Niemals mehr hat es seinesgleichen gegeben, und manche bezweifeln, ob es das früher gab. Er war wild wie eine Moorhexe, furchtbar zu sehen und zu hören, und sein Antlitz war wie das Jüngste Gericht. Seine Stimme war die der Lummen und donnerte den Leuten in die Ohren, und seine Worte glichen glühenden Kohlen. Nun lebte damals auf dem Felsen ein Mädchen, die dort, glaube ich, wenig zu suchen hatte, denn es war kein Ort für ehrbare Weiber; aber sie war, wie es scheint, hübsch, und sie und Tom Dale verstanden sich gut. Der Zufall wollte, daß Peden ganz allein in seinem Garten betete, als Tom und das Mädchen vorbeigingen; und was fällt der Dirne ein? Mit Lachen und Spott überhäufte sie des Heiligen Andacht. Da stand er auf und schaute die beiden an, und Toms Knie wankten bei seinem Anblick. Doch als der andere sprach, geschah es mehr in Trauer denn im Zorne. »Armes Ding, armes Ding!« sagte er und blickte dabei das Mädchen an. »Ich höre dich schreien und lachen,« sagte er, »aber der Herr hält einen tödlichen Schuß für dich bereit, und bei jenem erstaunlichen Gottesgericht wirst du nur einen Schrei ausstoßen!« Kurz danach schlenderte sie mit zwei, drei Soldatenkerls auf den Klippen umher, und es war ein stürmischer Tag. Da kam ein Windstoß, packte ihre Röcke und wirbelte sie, so wie sie ging und stand, ins Meer. Und die Soldaten bemerkten, daß sie dabei nur den einen Schrei ausstieß. Ohne Zweifel, dieses Gottesgericht machte ziemlichen Eindruck auf Tom; aber der verging, und Tom blieb der alte. Eines Tages zankte er sich mit einem Kameraden. »Der Teufel hol mich!« schimpfte Tom, denn er fluchte stets gotteslästerlich. Und schon stand Peden da und starrte ihn an, schlau und finster, Peden mit seinem langen Gesicht und seinen brennenden Augen, sein Plaid fest um die Brust gewickelt und die eine Hand mit den schwarzen Krallen weit ausgestreckt – denn der Leibespflege achtete er nicht. – »Pfui, pfui, armer Mann!« schrie er, »armer, törichter Mann! Der Teufel hol mich, sagt er? Ich sehe den Teufel an seiner Seite!« Da brach die Erkenntnis seiner Schuld und der Gnade des Himmels über Tom herein wie der Ozean selbst; er warf die Pike weg, die er trug, und rief: »Nie mehr erhebe ich meine Hand gegen die Sache Christi!« Und er hielt sein Wort. Anfänglich gab’s viele Scherereien, aber als der Gouverneur ihn so entschlossen sah, erteilte er ihm doch den Abschied, und Tom ließ sich in North Berwick nieder und heiratete und stand von dem Tage an bei allen ehrlichen Leuten in gutem Ruf. Es war im Jahre 1706, als die Insel Baß in die Hände derer von Dalrymple überging, und zwei Männer bewarben sich um den Verwalterposten. Beide eigneten sich trefflich dafür, denn beide hatten als Soldaten dort in Garnison gelegen und wußten die Lummen zu behandeln und kannten die Zeiten, in denen sie was wert waren. Außerdem waren – oder schienen doch – beide andächtige Bekenner und in erbaulichen Reden beschlagen. Der erste war kein anderer als Tom Dale, mein Vater; der zweite war ein gewisser Lapraik, den die Leute meist Tod4 Lapraik nannten, ob aber wegen seines Namens oder seiner Natur, konnte ich niemals erfahren. Nun, Tom ging zu Lapraik, um die Sache mit ihm zu bereden, und führte mich, der ich damals ein kleines Kerlchen und noch unsicher auf den Beinen war, an der Hand. Tods Haus stand an der langen Gasse nördlich des Friedhofs. Es ist eine finstere, unheimliche Gasse; außerdem ist die Kirche seit Jakobs VI. Zeiten und dem Teufelsspuk, der sich während der Königin Fahrt übers Meer dort zutrug, verschrien. Und Tods Haus lag am dunkelsten Ende und war denen, die am besten Bescheid wußten, nie recht geheuer. Die Tür stand an jenem Tage offen, und mein Vater und ich traten, ohne zu klopfen, ein. Tod war von Beruf aus Weber; sein Webstuhl stand auf der Diele. Dort saß er, ein dicker, feister Klumpen von Mann, weiß und ölig wie Schmalz, mit so ’ner Art heiligem Lächeln auf dem Gesicht, das mir den hellen Ekel wachrief. Mit der einen Hand führte er das Schiffchen, aber seine Augen waren verglast. Wir riefen ihn beim Namen, schrien ihm in die tauben Ohren und rüttelten ihn an der Schulter. Da saß er und führte das Schiffchen und lächelte ölig.

»Gott steh uns bei«, sagte Tom Dale, »das geht nicht mit rechten Dingen zu!« Kaum hatte er gesprochen, als Tod Lapraik wieder zu sich kam. »Bist du’s, Tom?« fragte er. »Grüß dich Gott, Mann! Bin froh, dich zu sehen. Von Zeit zu Zeit fall ich in so ’ne Art Ohnmacht, weißt du; – es kommt vom Magen.« Na, sie fingen also an, von dem Posten auf Baß zu sprechen, und wer von beiden ihn wohl kriegen würde, und allmählich kam es zu bitteren Worten zwischen den beiden, und sie gingen im Zorn auseinander. Ich weiß noch genau, wie mein Vater auf dem Rückwege immer wieder auf das eine zu sprechen kam: ihm gefielen Tod und seine Ohnmachten nicht. »Ohnmachten!« rief er. »Wegen dergleichen Ohnmachten sind Leute schon verbrannt worden, mein‘ ich!« Na, wie dem auch sei, mein Vater kriegte den Posten auf Baß, und Tod mußte leer ausgehen. »Tom,« sagte er, »diesmal bist du mir wieder über, und hoffentlich«, sagte er, »find’st du auf Baß alles so, wie du dir’s gewünscht hast.« Und das hat man später für ’ne recht merkwürdige Redensart gehalten. Endlich war die Zeit gekommen, in der Tom die jungen Lummen aus den Nestern holen mußte. Das war ein Geschäft, das er gewohnt war, denn er war von klein auf auf den Klippen zu Hause und vertraute dergleichen Arbeit niemandem als sich selber an. Eines Tages baumelt er also an einem Tau an der Klippenfront, wo sie am höchsten und steilsten ist. Vier kräftige Burschen hielten oben auf der Kuppe den Strick und warteten auf Toms Zeichen. Aber wo Tom hing, war nichts als die schiere Klippe und weit in der Tiefe das Meer und die schreienden, fliegenden Lummen. Es war ein schöner Frühlingsmorgen, und Tom pfiff vor sich hin, während er die jungen Vögel fing. Oft hab‘ ich ihn davon erzählen hören, und jedesmal brach ihm der Schweiß aus. Zufällig, müßt Ihr wissen, blickte Tom auf und bemerkte eine große Lumme, und die Lumme hackte nach dem Tau. Er fand das merkwürdig und gar nicht nach der Kreatur Gewohnheit. Er erinnerte sich, Stricke seien unheimlich mürbes Zeug und der Lummen Schnabel sowie der Felsen unheimlich hart, und ein Sturz von zweihundert Fuß war etwas mehr, als ihm zu fallen behagte. »Husch!« sagte Tom. »Fort mit dir, Vieh! Husch! Mach, daß du fortkommst!« Die Lumme starrte Tom so von oben ins Gesicht, und an des Tieres Auge war etwas nicht ganz geheuer. Es starrte ihn nur das einzige Mal an und fiel dann wieder über das Seil her. Und jetzt riß und zerrte es daran wie nicht recht gescheit. Niemals hat es eine Lumme gegeben, die wie jene Lumme sich mühte, und sie schien auch ihr Geschäft vortrefflich zu verstehen, denn sie rieb das weiche Tau immer zwischen ihrem Schnabel und dem spitzen Fels. Kalte Furcht schoß Tom ins Herz. »Das Ding da ist kein Vogel«, dachte er. Da drehten sich ihm die Augen im Kopfe herum und um ihn wurde es finster. »Wenn ich hier ohnmächtig werde,« dachte er, »ist es aus mit Tom Dale!« Und er gab den Burschen ein Zeichen, daß sie ihn hoch ziehen möchten.

Aber die Lumme schien das Zeichen zu verstehen. Kaum hatte Tom es gegeben, da ließ sie den Strick los, krächzte laut auf, flatterte hin und her und schoß schnurstracks auf Tom Dales Augen los. Tom hatte ein Messer, und er ließ den kalten Stahl funkeln. Doch die Lumme schien auch über Messer Bescheid zu wissen; denn als die Klinge in der Sonne glitzerte, stieß sie einen einzigen Schrei aus, aber leiser, wie jemand, der enttäuscht ist, und verschwand um die Klippe herum, und Tom sah sie nie wieder. Und sowie das Ding fort war, sank Toms Kopf auf seine Schulter, und sie zogen ihn wie einen Toten herauf, und da lag er, wie ’n Toter, der Länge nach auf dem Felsen. Ein Gläschen Schnaps, den er stets bei sich hatte, brachte ihn wieder zur Vernunft, wenigstens zu dem, was noch davon übrig war. Er setzte sich aufrecht. »Lauf, Geordie, lauf nach dem Boot und bewache es, Mann – lauf!« schrie er. »Sonst geht die Lumme mit ihm durch.« Die vier Burschen starrten einander an und versuchten, ihm gut zuzureden und ihn zu beruhigen. Aber Tom Dale gab sich nicht zufrieden, bis einer von ihnen vorangegangen war, um neben dem Boot Posten zu stehen. Die anderen fragten Tom, ob sie ihn wieder ‚runterlassen sollten. »Nein,« sagte er, »weder ich noch einer von Euch geht mir da ‚runter, und sowie ich wieder auf meinen Beinen stehen kann, wollen wir sehen, daß wir von diesem Teufelsfelsen fortkommen.«

Tatsächlich verloren sie keine Zeit, und auch so blieben sie zu lange dort, denn bevor sie North Berwick erreichten, lag Tom in schwerem Fieber. Den ganzen Sommer lag er zu Bett; und wer war so freundlich, ihn immer wieder zu besuchen? Wer anders als Tod Lapraik! Die Leute meinten später, jedesmal, wenn Tod in die Nähe des Hauses kam, wäre das Fieber schlimmer geworden. Ich weiß nicht, ob das stimmt; aber ich weiß, daß es damit bald ein Ende hatte. Es war etwa um diese Jahreszeit; mein Großvater war draußen beim Schellfischfang, und Bub, der ich war, hatte ich ihn begleitet. Ich erinnere mich, wir hatten einen großartigen Fang, und so, wie die Fische lagen, mußten wir bis hart an den Felsen von Baß heran, wo wir einem zweiten Boote begegneten, das einem gewissen Sandie Fletcher aus Castleton gehörte. Er ist noch gar nicht lang gestorben, sonst könntet Ihr Euch bei ihm selber erkundigen. Nun, Sandie rief uns an. »Was ist das für ein Ding da auf dem Felsen?« fragte er. »Auf dem Felsen?« wiederholte mein Großvater. »Ja,« sagte Sandie, »auf dem grünen Abhang.«

»Was für ein Ding meinst du?« fragte Großvater. »Auf dem Felsen können nur Schafe sein.«

»’S sieht ganz wie ein Mensch aus«, meinte Sandie, der der Insel näher war als wir. »Ein Mensch«, wiederholten wir, und die Sache gefiel uns allen nicht. Denn nirgendwo war ein Boot zu sehen, um einen Menschen dorthin zu bringen, und der Schlüssel des Gefängnisses hing immer noch daheim am Kopfende von meines Vaters Wandbett. Wir blieben dicht beisammen, um nicht allein zu sein, und krochen langsam näher. Großvater hatte ein Glas, denn er war ein Seemann und Kapitän eines Fischerboots gewesen, ehe er das Schiff auf den Sandbänken des Tay verloren hatte. Und als wir durch das Glas schauten, sahen wir tatsächlich einen Mann. Da stand er in einer grünen Hügelfalte, dicht unterhalb der Kapelle, ganz mutterseelenallein, und hüpfte und sprang und tanzte herum wie so ’n tolles Frauenzimmer bei ’ner Hochzeit. »Es ist Tod«, sagte Großvater und reichte das Glas Sandie. »Ja, er ist’s«, sagte Sandie. »Oder jemand anders in seiner Gestalt«, meinte der Großvater. »Das ist ungefähr dasselbe«, entgegnete Sandie. »Ob Teufel oder Hexenmeister, ich will ihm mal ’ne Probe aus meiner Büchse zu kosten geben«, sagte er und zog eine Vogelflinte heraus, die er immer bei sich hatte, denn Sandie war als Schütze in der ganzen Gegend berühmt. »Halt ein, Sandie,« warnte der Großvater, »wir müssen erst klarer sehen, sonst kann es uns beiden teuer zu stehen kommen.« »Unsinn!« meinte Sandie. »Das ist wahrhaftig die Strafe des Herrn, Himmelherrgottnocheinmal!« »Kann sein, kann aber auch nicht sein«, sagte mein Großvater, – Gott hab ihn selig! – »Hüte dich vor dem Staatsanwalt; ich denke, ’s war‘ nicht das erstemal, daß du ihm in die Quere liefest.« Das war nur allzu wahr. Sandie schien ein bißchen abgekühlt. »Na, schön, Edie,« sagte er, »was schlägst du vor, zu tun?« »Nur das eine«, sagte mein Großvater. »Ich habe das schnellere Boot und fahre zurück nach North Berwick, und du bleibst hier und behältst das Ding da im Auge. Kann ich Lapraik nicht finden, dann bin ich gleich wieder da, und wir beide wollen mit ihm eins schwatzen. Wenn aber Lapraik zu Hause ist, dann zieh ich die Flagge im Hafen hoch, und dann kannst du das Ding dort mit deiner Büchse traktieren.« Na, so wurde es zwischen ihnen ausgemacht. Ich war nur ein Bub und kletterte in Sandies Boot, von wo es, wie ich meinte, das meiste zu sehen gäbe. Mein Großvater reichte Sandie ein silbernes Sixpencestück, daß er ’s mit den Bleikugeln abschösse, da es gegen Teufelsspuk viel wirksamer ist. Und dann machte sich das eine Boot auf den Weg nach North Berwick, während das andere das unselige Ding dort auf dem Hügel bewachte. Die ganze Zeit, während wir da lagen, hüpfte und wirbelte das Geschöpf herum wie ein Kreisel, und wir konnten die Schreie hören, die es im Tanzen ausstieß. Ich habe Dirnen, tolle, wilde Frauenzimmer, eine ganze Winternacht durchtanzen sehen und erlebt, daß sie bei Morgengrauen immer noch tanzten. Aber dann waren Leute da, um ihnen Gesellschaft zu leisten und Burschen, die sie antrieben, und das hier war ganz allein. Und sonsten ist ein Fiedler da, der in der Ofenecke den Ellbogen tanzen läßt, während dieses Wesen als Musik nur die Schreie der Lummen hatte. Und die Dirnen waren junge Dinger, denen das rote Blut in den Adern brannte und sang, aber das hier war ein dicker, plumper, feister Mann, hoch in den Jahren. Sagt, was Ihr wollt, ich muß aussprechen, was meine Meinung ist. Freude war’s, die in des Unwesens Herzen lebte: die Freude der Hölle vielleicht; aber doch Freude. Wie oft hab ich mich gefragt, weshalb Hexen und Zauberer ihre Seelen (als da sind ihr kostbarstes Gut) verkaufen und alte, gebrechliche, runzlige Weiber oder greise, bresthafte, saft- und kraftlose Männer bleiben, und jedesmal mußte ich dabei an Tod Lapraik denken, der ganz allein in dem Jubel seines schwarzen Herzens die Stunden vertanzte. Ohne Zweifel, sie müssen dafür in der tiefsten Hölle braten, aber hier oben freuen sie sich ihres Lebens – solange es dauert – Gott verzeih mir’s! Na, endlich sehen wir die winzige Flagge draußen auf den Felsen im Hafen am Maste hochgehen. Auf das hatte Sandie gewartet. Im Handumdrehen hatte er die Flinte heraus, zielte sehr sorgfältig und drückte ab. Der Schuß krachte, und von der Insel kam ein jämmerlicher Schrei. Und wir saßen da und rieben uns die Augen und starrten uns an wie Menschen, die den Verstand verloren haben. Denn mit dem Krach und dem Schrei war das Ding vom Erdboden verschwunden. Die Sonne schien, und der Wind blies, aber da war der leere Platz, wo das Wunder noch vor einer Sekunde gehüpft und gesprungen war. Den ganzen Rückweg schrie und brüllte ich vor Schreck über diesen Richtspruch des Himmels. Den Erwachsenen ging es auch nicht viel besser; in Sandies Boot kam wenig über unsere Lippen, außer dem Namen Gottes, und als wir die Mole erreichten, war der ganze Landungsplatz schwarz von Menschen, die auf uns warteten. Es scheint, sie hatten Lapraik in einer seiner Ohnmachten gefunden, wie er das Schiffchen führte und vor sich hinlächelte, und hatten einen Burschen geschickt, um die Flagge zu hissen, während sie alle in des Webers Haus blieben. Ihr könnt Euch denken, daß ihnen dabei nicht wohl zumute war, aber manchen von denen, die dort leise beteten (denn keiner hatte Lust, es laut zu tun) und dabei das schreckliche Etwas, das das Schiffchen führte, vor Augen hatten, wurde es ein Mittel zur Bekehrung. Da, plötzlich, sprang Tod mit einem fürchterlichen Schrei von seinem Sitz auf und fiel als blutige Leiche auf das Gewirk. Als die Leiche untersucht wurde, sah man, die Bleikugeln waren von des Zauberers Körper abgeprallt; man fand auch nicht einen Tropfen Blei, aber meines Großvaters silbernes Sixpencestück stak tief in seinem falschen Herzen.« Andie hatte kaum geendet, da ereignete sich ein äußerst törichter Vorfall, der seine Folgen hatte. Neil war, wie gesagt, selbst ein großer Geschichtenerzähler. Später erfuhr ich, er wisse sämtliche Sagen des Hochlandes, und er selbst und auch andere seien nicht wenig stolz darauf. Jetzt erinnerte ihn Andies Geschichte an eine, die er kannte. »Ich haben die Geschichte schon mal gehört«, sagte er »Sie war die Geschichte von Uistean More M’Gillie Phadrig und dem Gavar Vore.« »Den Teufel war es das«, rief Andie. »Es ist die Geschichte meines Vaters (Gott hab ihn selig) und Tod Lapraiks. Das behaupte ich Euch glatt ins Gesicht,« setzte er hinzu, »und haltet in Zukunft Euer loses Hochlandsmaul.« Der Umgang mit Hochländern ist, wie man ersehen wird, und wie auch die Geschichte beweist, für Tiefländer von Rang sehr leicht, für die Plebs aus dem Flachland dagegen fast unmöglich. Es war mir längst aufgefallen, daß Andie mit unseren drei McGregors ständig auf Kriegsfuß lebte, und jetzt kam es tatsächlich zu einem offenen Streit. »Das sind keine Worte nicht zu Shentlemans«, brach Neil los. »Shentlemans!« schrie Andie. »Shentlemans, du hochländischer Ochs! Wenn Gott dir die Gnade schenkte, dich einmal selbst zu sehen, wie andere dich sehen – du kämst herunter von deinem Roß!«

Neil entfuhr eine Art gälischer Fluch; im selben Augenblick blitzte das schwarze Messer in seiner Hand. Zeit zum Denken gab es nicht; ich packte den Hochländer am Bein und hatte ihn hingeworfen und die ausgestreckte Hand mit der Waffe am Boden festgenagelt, ehe ich noch wußte, was ich tat. Seine Kameraden sprangen ihm zu Hilfe, Andie und ich waren ohne Waffen und zwei Mann gegen drei. Wir schienen rettungslos verloren, als Neil in seiner Muttersprache aufschrie und den anderen befahl, abzulassen, worauf er in der demütigsten, hündischsten Art mir seine Unterwerfung anbot und mir sogar sein Messer aushändigte, das ich ihm jedoch nach einer Wiederholung seines Versprechens am nächsten Tage zurückgab. Zwei Dinge gingen aus alledem klar hervor: erstens, daß ich nicht allzu fest auf Andie bauen durfte, der sich, bleich wie der Tod, gegen die Wand gekauert hatte, bis der Handel vorüber war; zweitens, daß ich mich den Hochländern gegenüber, die strenge Weisung haben mußten, mein Leben zu schonen, in einer sehr starken Position befand. Allein obwohl ich nicht viel von Andies Mut zu halten vermochte, konnte ich mich über Mangel an Dankbarkeit nicht beklagen. Er verfolgte mich weniger mit Dankesbezeigungen, als daß seine ganze Stellungnahme zu mir, innerlich wie äußerlich, anders schien, und da er von nun an große Scheu vor seinen Gefährten hatte, waren er und ich mehr denn je aufeinander angewiesen.

  1. Schottisch für Fuchs.

Sechzehntes Kapitel


Der fehlende Zeuge

Am 16., dem Tage meines Stelldicheins mit dem Anwalt, haderte ich heftig mit dem Schicksal. Der Gedanke, wie er in den »King’s Arms« vergeblich auf mich wartete, und was er wohl von mir dächte, und was er sagen würde, wenn wir uns wiedersahen, quälte und drückte mich. Die Wahrheit war unglaubhaft, das mußte ich zugeben, und es schien grausam hart, als Lügner und Feigling dastehen zu müssen, ohne daß ich es je bewußt an dem, was in meiner Macht stand, hatte fehlen lassen. Diese Formel wiederholte ich mir immer wieder mit einer Art bitterem Gusto und prüfte noch einmal in jenem Licht die einzelnen Schritte meines Verhaltens. Mir schien, ich hatte mich James Stuart gegenüber wie ein Bruder benommen; die ganze Vergangenheit bot ein Bild, auf das ich stolz sein konnte; also galt es nur noch, mich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen. Ich konnte zwar weder das Meer durchschwimmen noch die Luft durchfliegen, aber da war ja noch Andie. Ich hatte ihm einen Dienst erwiesen, er hatte mich gern; hier war ein Hebel, den ich ansetzen konnte; der schiere Anstand gebot, daß ich es noch einmal mit Andie versuchte. Es war spät am Nachmittag. Totenstille herrschte auf Baß, unterbrochen nur von dem Plätschern und Gurgeln einer sehr ruhigen See, und meine vier Gefährten hatten sich alle zurückgezogen, die drei McGregors den Abhang hinauf, Andie mit seiner Bibel an einen sonnigen Platz unter den Ruinen. Dort fand ich ihn fest eingeschlafen und brachte meine Bitte, sowie er wach war, mit ziemlicher Inbrunst und eindringlicher Logik vor.

»Wüßte ich nur, ob es für Euch gut ist, Shaw!« bemerkte er und starrte mich über seine Brillengläser an. »Es geschieht, um einen anderen zu retten,« entgegnete ich, »und um mein Wort einzulösen. Gibt es etwas Besseres? Habt Ihr die Heilige Schrift vergessen, Andie, und haltet doch die Bibel auf dem Schoß? Was hülfe es ihm, wenn er die ganze Welt gewönne!« »Ja,« sagte er, »für Euch ist das recht schön und gut. Aber wo bleibe ich derweil? Ich hab genau wie Ihr mein Wort einzulösen. Und was verlangt Ihr anders, als daß ich’s Euch gegen Geld verkaufe?«

»Andie! Habe ich das Wort Geld gebraucht?« rief ich. »Bah! Das Wort hat nichts zu sagen,« erwiderte er, »das Zeugs steckt doch dahinter. Ich will Euch sagen, worauf es hinauskommt: erweis ich Euch den Dienst, den Ihr verlangt, so verlier ich meine Stellung. ‚S ist klar, daß Ihr in dem Fall für mich aufkommen müßt und mir, so um der Ehre willen, noch was draufzahlen werdet. Und ist das etwa keine Bestechung? Und wenn mir die wenigstens sicher wäre! Aber soviel ich weiß, ist sie das durchaus nicht. Wenn Ihr nun hängen müßt, was wird dann aus mir? Nein! die Sache ist unmöglich. Also seid ein guter Junge und laßt Andie in Ruhe sein Kapitel lesen.«

Ich weiß, im Grunde meines Herzens war ich von diesem Ergebnis sehr befriedigt; die Folge war, daß ich in eine Stimmung – fast hätte ich gesagt – von Dankbarkeit verfiel, Dankbarkeit gegen Prestongrange, der mich auf diese gewaltsame, ungesetzliche Art aus all meinen Gefahren, Versuchungen und Verwicklungen herausgerissen hatte. Aber diese Selbstlüge war allzu feige und fadenscheinig, um zu dauern, und die Erinnerung an James begann von neuem von mir Besitz zu ergreifen. Den 21., den Tag, der für die Verhandlung angesetzt war, verbrachte ich in solcher Seelenqual, wie ich sie, meines Wissens nach nur noch auf der Insel Earraid erduldet habe. Die meiste Zeit lag ich in einem Zustand zwischen Schlaf und Wachen irgendwo auf einem Hügel ausgestreckt, äußerlich regungslos, innerlich von aufrührerischen Gedanken zerrissen. Mitunter schlief ich tatsächlich ein; aber der Gerichtssaal von Inverary und der Gefangene, der sich in allen Winkeln nach seinem fehlenden Zeugen umschaute, verfolgten mich bis in meine Träume; und ich fuhr aus dem Schlafe auf, mein Körper wie zerschlagen, meine Seele von Verzweiflung umnachtet. Ich glaubte zu bemerken, daß Andie mich beobachtete, aber ich achtete wenig darauf. Wahrlich, mein Brot schmeckte bitter und meine Tage wurden mir zur Last. Früh am folgenden Morgen, Freitag, den 22., kam ein Boot mit Proviant zu uns herüber, und Andie legte ein versiegeltes Päckchen in meine Hände. Der Umschlag war ohne Adresse, aber mit einem amtlichen Siegel verschlossen. Er enthielt zwei Billette. »Mr. Balfour wird jetzt von sich aus erkannt haben, daß es zu spät ist, sich einzumischen. Sein Betragen wird beachtet und seine Diskretion belohnt werden.« Das war der Inhalt des ersten Zettels, der mühsam mit der linken Hand geschrieben war. Ganz entschieden besagten seine Worte nichts, das den Schreiber kompromittieren konnte, selbst wenn man diese Persönlichkeit ausfindig machte; das imponierende Siegel, das als Unterschrift diente, war einem zweiten, völlig leeren Blatt Papier angeheftet; und ich mußte zugeben, so weit wußten meine Gegner genau, was sie taten; ich suchte daher nach Möglichkeit die Drohung zu verdauen, die unter der Verheißung hervorlugte. Doch die zweite Einlage war bei weitem überraschender. Sie war von einer Dame im breitesten Dialekt geschrieben. »Dem Junker Dauvit Balfour wird hierdurch mitgeteilt, daß eine Freundin sich nach ihm erkundigt hat, und ihre Augen waren grau«, so lauteten die Worte, – ein so seltsames Schriftstück und unter so seltsamen Umständen – der Augenblick und das amtlich versiegelte Dokument – in meine Hand gespielt, daß ich wie betäubt dastand. Catrionas graue Augen leuchteten in meiner Erinnerung auf. Ein Glücksgefühl durchschauerte mich: sie mußte die Freundin sein. Doch wer war die Schreiberin, die ihr Billett mit Prestongranges einschloß? Und – Wunder über Wunder – weshalb hielt man es für notwendig, mir diese angenehme, doch belanglose Botschaft nach der Insel Baß zu senden? Als Schreiberin kam für mich niemand anders als Miß Grant in Betracht. Ich erinnerte mich: ihrer Familie waren Catrionas Augen aufgefallen, ja man hatte das Mädchen nach ihren Augen benannt, und Miß Grant selbst hatte die Gewohnheit gehabt, wahrscheinlich um mein bäuerisches Wesen zu verspotten, mich in breitem Dialekt anzureden. Außerdem wohnte sie ja zweifellos in dem Hause, aus dem der Brief stammte. Also gab es nur noch einen Umstand zu erklären: wie kam Prestongrange dazu, sie in ein derartiges Geheimnis einzuweihen und ihr tolles Billett mit seinem zu befördern? Aber auch hier vermutete ich mancherlei. Einmal schien mir die junge Dame selbst eine etwas gefährliche Person, und ihr Papa konnte mehr unter ihrem Pantoffel stehen, als ich wissen durfte. Und dann gab es noch des Mannes konsequente Politik zu bedenken, sein Benehmen mir gegenüber, ständig mit Schmeichelei untermischt, und die Tatsache, daß er selbst in einem solchen Zwist niemals die Maske der Freundschaft hatte fallen lassen. Er mußte annehmen, daß meine Gefangennahme mich wütend machte. Vielleicht sollte diese scherzhafte, freundschaftliche kleine Botschaft meinen Zorn entwaffnen. Ich will ehrlich sein – ich glaube, es glückte ihm. Ich spürte plötzlich eine warme Zuneigung für die schöne Miß Grant, die sich herabgelassen hatte, ein so lebhaftes Interesse für meine Angelegenheiten zu bezeugen. Allein die Erwähnung Catrionas genügte, um mildere und feigere Gedanken in mir wachzurufen. Wußte der Lord Staatsanwalt von ihr und unserer Bekanntschaft – erregte ich durch jene ›Diskretion‹ von der in seinem Briefe die Rede war, sein Wohlwollen – wozu konnte das nicht alles führen? ›Vergeblich stellet er im Angesicht der Vögel seine Netze!‹ heißt es in der Bibel. Nun, Vögel müssen weiser als Menschen sein, denn ob ich auch ihre Absichten durchschaute, fügte ich mich doch darein.

So dachte ich klopfenden Herzens und sah vor mir, deutlich wie zwei Sterne, die grauen Augen, als Andie mein Sinnen unterbrach. »Ihr habt gute Nachrichten erhalten«, bemerkte er.

Ich fand, daß er mich neugierig musterte; da tauchten visionär James Stuart und der Gerichtssaal von Inverary vor mir auf, meine Seele drehte sich gleich einer Tür in ihren Angeln, und das erste Bild versank. Verhandlungen, überlegte ich mir, ziehen sich mitunter mehr in die Länge, als man glaubt. Selbst wenn ich einen Augenblick zu spät nach Inverary kam, konnte ich vielleicht noch etwas in James‘ Interesse unternehmen – und mein eigener Ruf wurde auf diese Art am besten gewahrt. Im Handumdrehen, gleichsam ohne jedes Besinnen, stand mein Plan fest.

»Andie«, forschte ich, »bleibt es bei morgen?«

Er sagte mir, nichts hätte sich darin geändert.

»Ist irgend eine Stunde angegeben?«

»Zwei Uhr nachmittags«, antwortete er.

»Und wie steht’s mit dem Ort?« fuhr ich fort.

»Welchem Ort?« fragte Andie.

»Dem Ort, an dem ich abgesetzt werden soll?«

Er gestand, darüber wäre nichts vereinbart worden.

»Nun gut,« sagte ich, »dann werde ich ihn bestimmen.

Der Wind kommt von Osten, mein Weg führt nach Westen; behaltet Euer Boot, ich miete es; wir wollen heute den ganzen Tag den Forth hinaufsegeln, und morgen um zwei Uhr sollt Ihr mich am westlichsten Punkt, den wir erreichen können, landen.«

»Ihr seid ein toller Bursche!« rief er. »Ihr wollt also doch versuchen, Inverary zu erreichen?«

»Ihr habt es erraten, Andie«, sagte ich.

»Na, Ihr gebt Euch nicht schnell geschlagen!« meinte er. »Und gestern tatet Ihr mir beinahe leid«, fügte er hinzu. »Wißt Ihr, bis dahin war ich mir nie so ganz klar, was Ihr eigentlich wirklich wolltet.«

Hier war ein Sporn für einen lahmen Gaul!

»Ein Wort in Euer Ohr, Andie«, sagte ich. »Mein Plan hat noch einen anderen Vorteil. Wir können diese Hochländer hier auf dem Felsen zurücklassen, und eines Eurer Boote aus Castleton kann sie morgen abholen. Jener Kerl Neil hat einen merkwürdigen Ausdruck, wenn er Euch ansieht; kann sein, es kommt, wenn ich erst zum Tore hinaus bin, doch zu einer Messerstecherei; diese Kittelröcke sind verteufelt rachsüchtig. Und werden irgendwelche Fragen gestellt, so habt Ihr ja eine Entschuldigung bei der Hand. Unser Leben war von diesen Wilden bedroht; da Ihr für meine Sicherheit verantwortlich waret, wähltet Ihr den Ausweg, mich aus ihrer Nachbarschaft zu entfernen und den Rest der Zeit in Eurem Boot gefangenzuhalten; und wißt Ihr was, Andie?« schloß ich lächelnd. »Ich glaube, Eure Wahl war sehr vernünftig.« »Die Wahrheit ist, ich habe nichts übrig für Neil«, sagte Andie, »und er für mich auch nichts; und ich möchte nicht mit dem Mann handgemein werden. Tam Anster wird jedenfalls besser mit dem Pack auskommen.« (Dieser Mann Anster stammte aus Fife, wo noch Gälisch gesprochen wird.) »Ja, ja,« beteuerte Andie, »Tam versteht mit ihnen auszukommen. Bei Gott, je mehr ich mir’s überlege, um so weniger seh ich, wozu sie uns brauchen. Den Ort – Potz Blitz! – ja, den Ort haben sie ganz vergessen. Verdammt, Shaw, Ihr seid schon ein Schlaukopf, wenn Ihr wollt! Außerdem schulde ich Euch mein Leben«, fügte er ernsthafter hinzu und bot mir seine Hand, um das Abkommen zu besiegeln.

Darauf gingen wir unvermittelt, fast ohne weitere Worte, an Bord, stießen vom Lande ab und setzten das Luggersegel. Die Gregaras waren inzwischen mit der Bereitung des Frühstücks beschäftigt, denn die Kocherei war gewöhnlich ihre Arbeit; einer jedoch trat auf die Bastei hinaus und entdeckte unsere Flucht, ehe wir noch zwanzig Faden von dem Fels entfernt waren, worauf alle drei zwischen den Ruinen und dem Landungssteg hin und her liefen, ganz wie Ameisen um einen zerstörten Bau, und uns zuriefen und -schrien, umzukehren. Wir befanden uns immer noch im Schutze des Felsens, der einen breiten Schatten über das Wasser warf; aber wir erreichten fast im nämlichen Augenblick den Wind und den Sonnenschein; das Segel blähte sich, das Schiff folgte dem Ruder, und wir schossen pfeilschnell außer Reichweite ihrer Stimmen. Welche Schrecknisse diese drei erduldeten, die wir ohne die stärkende Gegenwart eines zivilisierten Menschen, ja selbst ohne den Schutz einer Bibel sich selbst überließen, kann niemand ermessen; sie hatten als Trost nicht einmal Schnaps, denn trotz der Hast und Heimlichkeit unseres Aufbruchs hatte Andie es fertiggebracht, den mitzunehmen.

Unsere erste Sorge war, Anster in einer Bucht bei Glenteithy Rocks an Land zu bringen, damit er am folgenden Tag planmäßig unsere Ausgesetzten erlösen könnte. Dann hielten wir firthaufwärts. Die Brise, die bis dahin so munter geweht hatte, flaute rasch ab, ohne jedoch völlig abzusterben. Den ganzen Tag rückten wir vorwärts, obwohl es oft nicht mehr als ein Schleichen war; und es war schon dunkel geworden, als wir Queensferry erreichten. Um den Buchstaben von Andies Verpflichtung (soweit davon noch die Rede sein konnte) zu erfüllen, mußte ich an Bord bleiben, aber ich sah nicht ein, weshalb ich mich nicht schriftlich mit dem Lande in Verbindung setzen sollte. Auf Prestongranges Umschlag, dessen amtliches Siegel den Empfänger ziemlich überrascht haben muß, schrieb ich beim Licht der Bootslaterne die notwendigen Worte, und Andie übermittelte sie Rankeillor. Nach rund einer Stunde war er wieder an Bord und brachte eine gefüllte Börse und die Versicherung mit: morgen um zwei Uhr nachmittags würde ein gutes Pferd für mich bei Clackmannan Pool bereitstehen. Danach legten wir uns, bedeckt von dem Segel, schlafen, während das Boot an seinem Anker ruhte. Den nächsten Tag waren wir lange vor zwei Uhr an Ort und Stelle, und es blieb uns nichts übrig, als ruhig zu warten. Ich spürte keine große Lust zu meinem Vorhaben. Jeden einleuchtenden Vorwand, es fallen zu lassen, hätte ich mit Freuden begrüßt; da sich aber keiner fand, war meine Ungeduld so groß, als ginge es zu einem ersehnten Vergnügen. Kurz nach eins wurde das Pferd an das Ufer gebracht, und ich konnte sehen, wie ein Mann es bis zu meiner Landung auf und ab führte, was meine Ungeduld noch gehörig steigerte. Andie berechnete den Augenblick meiner Freilassung mit Finesse; er zeigte sich als Mann von Wort, ohne jedoch seiner Kundschaft Maß zu häufen, und rund fünfzig Sekunden nach zwei saß ich im Sattel und jagte mit verhängten Zügeln auf Stirling zu. In weniger als einer Stunde hatte ich jene Stadt hinter mir und arbeitete mich bereits den Hang von Alan Water hinan, als das Wetter sich zu einem kleinen Orkan verdichtete. Der Regen blendete mich, und die hereinbrechende Nacht überraschte mich in einer Wildnis, immer noch einige Meilen östlich von Balwhidder, ohne daß ich die genaue Richtung wußte, während mein Gaul bereits zu ermatten begann. Um rascher vorwärts zu kommen und nicht durch einen Führer aufgehalten und belästigt zu werden, hatte ich (soweit das für einen Reiter möglich war) den Weg eingeschlagen, den ich früher mit Alan zurückgelegt hatte. Das tat ich, obwohl ich die große Gefahr, die damit verbunden war, klar voraussah; jetzt hatte das Unwetter sie herangerückt. Das Letzte, was ich von meiner Lage wußte, war, daß ich mich irgendwo in der Nähe von Uam Var befand; die Zeit muß etwa sechs Uhr abends gewesen sein. Trotzdem erachte ich es als ein großes Glück, daß ich ungefähr um elf Uhr nachts mein Ziel, das Haus von Duncan Dhu, erreichte. Wo ich inzwischen herumgeirrt bin, weiß wohl nur das Pferd. Wie ich mich erinnere, stürzten wir zweimal, wobei ich einmal kopfüber aus dem Sattel flog; und eine Sekunde lang wurden wir von einem brüllenden Gießbach mitgerissen. Roß und Reiter waren beide beschmutzt bis über die Ohren. Von Duncan erfuhr ich einiges über den Prozeß. Dieser wurde in jenem Teile des Hochlandes mit atemloser Spannung verfolgt; Nachrichten darüber verbreiteten sich von Inverary aus, so rasch Menschen nur reisen konnten, und zu meiner Freude hörte ich, er wäre heute, Samstag, zu vorgerückter Stunde noch nicht abgeschlossen gewesen; jeder glaubte, er würde sich bis Montag hinziehen. Diese Neuigkeit spornte mich so an, daß ich weder rasten noch essen wollte; da aber Duncan sich bereit erklärte, mein Führer zu sein, legte ich den Rest des Weges zu Fuß zurück, den Bissen Nahrung in der Hand, und kaute im Gehen weiter. Duncan hatte für unterwegs eine Flasche Usquebaugh sowie eine Handlaterne mitgenommen, die uns leuchtete, solange wir Häuser fanden, wo wir sie füllen konnten, denn das Ding leckte ganz ungebührlich und erlosch bei jedem Windstoß. Den größeren Teil der Nacht jedoch wanderten wir blind zwischen tönenden Mauern von Regen, und der Tag fand uns immer noch in den Bergen ohne Weg noch Ziel. Aber ganz in der Nähe stießen wir neben einem Quellenhang auf eine Hütte, wo wir ein wenig Nahrung und eine Beschreibung des Weges erhielten, und kurz vor Beendigung der Predigt standen wir vor der Tür der Kirche von Inverary. Der Regen hatte zwar die obere Hälfte meines Habits so ziemlich gewaschen, aber bis zu den Knien war ich eine einzige Kotmasse; ich triefte vor Nässe und war so müde, daß ich mich kaum schleppen konnte, und mein Gesicht glich dem eines Gespenstes. Zweifellos waren ein Kleiderwechsel und ein Bett mir nötiger als alle Wohltaten der Christenheit. Trotzdem stieß ich (in der Überzeugung, nichts sei so wichtig wie sofortige Publizität) die Tür auf und betrat, den nicht minder schmutzigen Duncan auf den Fersen, die Kirche, wo ich mich auf einen leeren Platz in der Nähe niederließ. »Dreizehntens und in Parenthese, meine Brüder, ist aber auch das Gesetz selbst als ein Mittel der Gnade anzusehen«, verkündete der Pastor mit der Stimme eines Menschen, der voller Genuß ein Argument verfolgt. Die Predigt wurde dank den Assisen englisch gehalten. Die Richter nahmen samt ihrem bewaffneten Gefolge daran teil; in der Ecke neben der Tür funkelten die Hellebarden, und auf den Bänken drängte sich eine ungewohnte Schar von Juristen. Der Text war den Römerbriefen entnommen, der Prediger ein geschickter Redner, und die gesamte, illustre Zuhörerschaft in jener Kirche – angefangen bei Argyle selbst und den Lords Elchies und Kilkerran bis zu den Hellebardisten ihres Gefolges – saß mit gerunzelter Stirn, in gespannte kritische Aufmerksamkeit versunken. Der Prediger selbst sowie ein kleiner Teil der Leute in der Nähe des Einganges hatten unseren Eintritt bemerkt und dann gleich wieder vergessen; die anderen konnten oder wollten ihn nicht hören, und so saß ich unbeachtet zwischen Freund und Feind. Den ersten, den ich erkannte, war Prestongrange. Er saß vornüber gebeugt, wie ein hitziger Reiter im Sattel; seine Lippen bewegten sich mit Behagen, seine Augen waren fest auf den Prediger geheftet; was dort gelehrt wurde, war sichtlich nach seinem Herzen. Charles Stuart dagegen war halb eingeschlafen und sah bleich und sorgenvoll aus. Und was Simon Fraser betrifft, so erschien er inmitten dieser aufmerksamen Gemeinde fast als ein Schandfleck oder Skandal; er vergrub die Hände in den Taschen, rutschte auf seinem Sitz umher, räusperte sich, zog die kahlen Brauen hoch und blickte, jetzt gähnend, dann wieder verstohlen lächelnd, nach rechts und nach links. Mitunter nahm er auch die Bibel, die vor ihm lag, blätterte darin, schien ein Stückchen zu lesen, blätterte weiter und hielt inne, um unverhohlen zu gähnen: das Ganze, wie um sich wach zu halten. Dank dieser Ruhelosigkeit fiel sein Blick auf mich. Eine Sekunde lang saß er da, wie erstarrt, dann riß er eine halbe Seite aus der Bibel, kritzelte etwas mit Bleistift darauf und reichte sie flüsternd seinem nächsten Nachbarn. Der Zettel gelangte schließlich in Prestongranges Hände, der einen einzigen Blick darauf warf; von dort wanderte er zu Mr. Erskine weiter, von ihm zu Argyle, der zwischen zwei Richtern saß, und Seine Gnaden drehten sich um und starrten mich hochmütig an. Der Letzte der Parteien, meine Gegenwart zu bemerken, war Charlie Stuart, und auch er begann Notizen zu schreiben und zirkulieren zu lassen, deren Weg durch die Menge ich jedoch nicht zu verfolgen vermochte. Doch das Kreisen dieser Zettel hatte Aufsehen erregt; alle Eingeweihten (und solche, die sich dafür hielten) gaben flüsternd Informationen weiter – die anderen Fragen – und der Pastor selbst schien durch die Bewegung in der Kirche, die plötzliche Unruhe und das Flüstern völlig aus dem Konzept gebracht. Seine Stimme änderte sich, er stockte offenbar und gewann auch nicht einen Augenblick seine Beweiskraft und seinen sonoren Vortrag wieder. Bis an sein Lebensende wird es ihm wohl ein Rätsel geblieben sein, weshalb eine Predigt, deren erste vier Teile er mit Triumph abwickelte, im fünften Abschnitt elend scheiterte. Was mich anbelangt, so blieb ich auch fernerhin auf meinem Platze sitzen, sehr naß und müde und ziemlich besorgt, was sich wohl als nächstes ereignen würde, aber immerhin über meinen Erfolg frohlockend.