Sechstes Kapitel


Weiland Herr von Lovat

Ein Mann erwartete uns in Prestongranges Studierzimmer, den ich schon auf den ersten Blick nicht ausstehen konnte, so wie man ein Frettchen oder einen Ohrwurm verabscheut. Er war bitter häßlich, schien jedoch ein vollkommener Gentleman und hatte ein stilles Wesen, das indes plötzlicher Attacken und heftiger Zornausbrüche fällig war, und eine leise Stimme, die, wenn es ihm paßte, schrill und drohend werden konnte. Der Staatsanwalt stellte uns auf zwanglos liebenswürdige Art vor. »Das hier, Fraser,« meinte er, »ist Mr. Balfour, von dem ich Euch erzählt habe. Mr. David, Mr. Simon Fraser, den wir früher unter einem anderen Namen kannten – aber das ist eine alte Geschichte. Mr. Fraser hat etwas mit Euch zu besprechen.« Mit diesen Worten trat er zu seinen Bücherschränken und machte sich am andern Ende des Zimmers mit einem Quartbande zu schaffen. So blieb ich allein mit dem Menschen, den ich von allen auf der Welt am wenigsten erwartet hätte. Die Art der Vorstellung ließ keinen Zweifel zu; dieser Mann konnte niemand anders sein als der verfehmte Herr von Lovat, das Haupt des großen Clans Fraser. Ich wußte, daß er sich während der Rebellion an die Spitze seiner Leute gestellt hatte; ich wußte, seines Vaters Kopf – der Kopf des alten Lords, des »grauen Fuchses vom Berge« – war jenes Verbrechens wegen auf dem Block gefallen, und das Vermögen der Familie war sequestiert und ihr Adel gelöscht. Ich konnte mir nicht denken, was er in Grants Haus zu schaffen hatte; ich kam nicht auf den Gedanken, daß man ihn an das Gericht berufen hätte, daß er seine ganze Überzeugung abgeschworen und jetzt so weit um die Gunst der Regierung buhlte, daß er sich nicht scheute, in der Appiner Mordsache als stellvertretender Staatsanwalt zu erscheinen. »Nun, Mr. Balfour,« hub er an, »was sind das für Dinge, die ich von Euch hören muß.« »Es kommt mir nicht zu, voreilig zu urteilen,« erwiderte ich, »wenn jedoch der Herr Staatsanwalt Euer Gewährsmann ist, betone ich, daß er über alles Bescheid weiß.« »Ich will Euch nur gleich sagen, daß man mich mit der Appiner Mordsache betraut hat,« fuhr er fort, »und daß ich unter Prestongrange auftreten werde; nach meinem Studium der Aussagen bei dem Vorverhör kann ich Euch versichern, Ihr seid gänzlich im Irrtum. Die Schuld Alan Brecks ist offenbar; und Eure Zeugenaussage, in der Ihr zugebt, ihn im entscheidenden Moment auf dem Hügel gesehen zu haben, wird genügen, ihn zu hängen.« »Es dürfte ziemlich schwer sein, ihn zu hängen, so lange man ihn nicht hat,« bemerkte«ich. »Und was die andern Dinge betrifft, so möchte ich Euch durchaus nicht dreinreden.«

»Der Herzog ist von allem unterrichtet«, fuhr er fort. »Ich komme soeben von Seiner Gnaden und er hat sich mir gegenüber mit dem Freimut geäußert, der einem so großen Edelmanne ziemt. Er nannte Euch bei Namen, Mr. Balfour, und erklärte im voraus seine Dankbarkeit, falls Ihr Euch von denen leiten ließet, die Euer eigenes Interesse und die Interessen Eures Vaterlandes so viel besser verstehen als Ihr selbst. Dankbarkeit ist im Munde eines solchen Mannes keine leere Phrase: experto crede. Ich nehme an, Ihr wißt einiges über meinen Namen und meinen Clan und von dem verdammenswerten Beispiel und beklagenswerten Ende meines seligen Vaters, von meinen eigenen Mißgriffen ganz zu schweigen. Nun, ich habe mit dem guten Herzog meinen Frieden gemacht; er hat sich für mich bei unserem Freunde Prestongrange verwendet, und hier sitze ich wieder fest im Sattel und trage sogar einen Teil der Verantwortung in diesem Prozeß gegen die Feinde König Georgs, der die schamlos-dreiste Kränkung seiner Majestät rächen soll.« »Ohne Zweifel eine stolze Stellung für Eures Vaters Sohn«, bemerkte ich. Er runzelte die kahlen Brauen. »Es beliebt Euch, Euch in der Ironie zu versuchen, wie ich sehe«, versetzte er. »Aber ich stehe hier auf dem mir angewiesenen Posten und tue in gutem Glauben meine Pflicht; Ihr werdet mich nicht davon abbringen. Und laßt Euch noch sagen, für einen jungen Burschen von Eurem Feuer und Eurem Ehrgeiz bedeutet ein gutes Sprungbrett mehr als zehn Jahre schwere Arbeit. Das Sprungbrett wird Euch jetzt geboten; wählt, worin Ihr gefördert werden wollt; der Herzog wird über Euch wachen wie ein zärtlicher Vater.« »Ich fürchte, mir mangelt ein wenig die Fügsamkeit eines guten Sohnes«, entgegnete ich.

»Und glaubt Ihr wirklich, junger Mann, man wird die ganze Politik eines Landes an dem Widerstand eines Tölpels von grünen Jungen scheitern lassen?« schrie er. »Man hat diesen Fall zu einem Probefall gemacht; jeder, der vorwärtskommen will, muß seine Schultern gegen das Rad stemmen. Seht mich an! Meint Ihr, ich hätte mich zum Vergnügen in die überaus verhaßte Position begeben, einen Mann gerichtlich verfolgen zu müssen, an dessen Seite ich gekämpft habe? Mir bleibt gar keine Wahl.« »Ich meine, Sir, Ihr hättet Euch der Wahl begeben, als Ihr Euch an jener höchst unnatürlichen Rebellion beteiligtet«, bemerkte ich. »Zum Glück liegt der Fall bei mir ganz anders. Ich bin ein treuer Untertan und kann dem Herzog wie auch König Georg gerade in die Augen schauen.« »Pfeift der Wind aus dem Loch!« versetzte er. »Ich versichere Euch, Ihr befindet Euch in einem verhängnisvollen Irrtum. Prestongrange war, wie er mir sagt, bisher so höflich, Eure Aussagen stillschweigend zu akzeptieren; glaubt aber deswegen nur ja nicht, daß man sie ohne jeden Verdacht hinnimmt. Ihr behauptet, unschuldig zu sein. Mein teurer junger Herr, die Tatsachen erklären Euch für das Gegenteil.« »Auf diesen Hieb war ich gefaßt«, lautete meine Antwort.

»Da ist Mungo Campbells Aussage; Eure Flucht unmittelbar nach der Tat; Euer langes Verborgensein und die nachfolgenden Heimlichkeiten – mein teurer junger Mann,« erklärte Mr. Simon, »das genügt, um einen Ochs zu hängen, geschweige denn David Balfour! Ich werde bei jenen Verhandlungen dabei sein; ich werde meine Stimme erheben, ich werde dann ganz anders reden als heute, und zwar weniger nach Eurem Geschmack, so wenig Ihr auch jetzt Gefallen daran findet! Ah, Ihr erblaßt!« rief er. »Jetzt hab ich den Schlüssel zu Eurem unverschämten Herzen. Ihr seid bleich, Euer Blick schwankt. Mr. David, Ihr seht das Grab und den Galgen aus größerer Nähe, als Ihr es Euch gedacht hattet.« »Ich gestehe, daß ich eine natürliche Schwäche spüre,« entgegnete ich. »Darin erblicke ich keine Unehre. Unehre –« wollte ich fortfahren … » Unehre harrt Euer auf dem Schafott«, unterbrach er.

»Dann würde es mir nicht anders gehen als Mylord, Eurem Vater«, erwiderte ich. »Im Gegenteil!« rief er, »Ihr habt den vollen Umfang dieser Affäre nicht erfaßt. Mein Vater litt für eine große Sache, weil er sich in die Angelegenheiten der Könige mischte, Ihr aber werdet baumeln wegen eines schmutzigen Mords an einem armen Schlucker. Eure persönliche Rolle bei dieser Affäre – die hinterlistige Rolle, den armen Teufel in ein Gespräch zu verwickeln – und Eure Komplicen, eine Rotte bettelhafter Hochländer, gereichen Euch nicht zur Ehre. Und es kann und es wird bewiesen werden, das dürft Ihr mir, der ich mich dieser Sache angenommen habe, schon glauben – es kann bewiesen werden, und es soll bewiesen werden, daß Ihr dafür bezahlt wurdet. Ich sehe schon die Bewegung, die durch den Gerichtssaal gehen wird, wenn ich erst meine Beweise beibringe. Aus diesen wird hervorgehen, daß ein junger Mann von Eurer Erziehung sich zu jener scheußlichen Tat hat verleiten lassen für einen abgetragenen alten Anzug, eine Flasche Hochlandschnaps und dreieinhalb Shilling in Kupfermünzen.« An diesen Worten war etwas Wahres, das mich traf wie ein Keulenschlag. Kleider, eine Flasche ›Usquebaugh‹ und dreieinhalb Shilling Kleingeld waren in Wahrheit alles, was Alan und ich aus Aucharn mitgenommen hatten. Ich schloß daraus, daß ein Teil von James Leuten in ihren Gefängnissen geplaudert hatte. »Ihr seht, ich weiß mehr als Ihr ahnt«, fuhr er triumphierend fort. »Und was diese Wendung der Dinge anbetrifft, mein erhabener Mr. David, so werdet Ihr doch nicht glauben, der Regierung von Großbritannien und Irland könnte es an Beweisen fehlen? Wir haben in unseren Gefängnissen Männer, die sich die Seele aus dem Leib schwören, um das zu bekräftigen, was wir ihnen in den Mund legen, oder was ich ihnen in den Mund lege, falls Euch das besser paßt. Und nun wißt Ihr, welch glorreiches Schicksal Eurer harrt, wenn Ihr den Tod wählt! Auf der einen Seite: Leben, Wein, Weiber und einen Herzog als Gönner; auf der anderen einen Strick um den Hals und einen Galgen als Wippe für Euer Gebein samt der lausigsten, dreckigsten Geschichte, die je von einem gedungenen Meuchelmörder erzählt wurde, als Erbe für Euresgleichen. Seht einmal her!« rief er mit fürchterlicher, schriller Stimme, »seht diese Papiere in meiner Tasche! Seht Euch einmal den Namen an: es ist der Name des tugendhaften David, wenn ich mich nicht irre, und die Tinte ist noch nicht einmal trocken! Erratet Ihr, was das zu bedeuten hat? Es ist Euer Haftbefehl, und es kostet mich nur ein einziges Zeichen auf dieser Glocke, um ihn auf der Stelle vollstrecken zu lassen. Und Gott sei Eurer Seele gnädig, seid Ihr erst einmal an dem Ort, der auf diesem Papiere verzeichnet steht, denn dann ist der Würfel gefallen!« Ich kann nicht leugnen, der Einblick in so viel Gemeinheit entsetzte mich und die Nähe und Schrecklichkeit der Gefahr erschütterten mich schwer. Schon einmal hatte Mr. Simon sich an meiner wechselnden Gesichtsfarbe geweidet; sicherlich war ich im Augenblick nicht röter als mein Hemd, und meine Stimme zitterte, als ich rief: »In diesem Zimmer befindet sich ein Gentleman! Ich appelliere an ihn und lege mein Leben und meinen Ruf in seine Hände!« Prestongrange schloß mit hörbarem Rucke sein Buch. »Ich sagte es Euch ja, Simon«, bemerkte er. »Ihr habt Eure Trümpfe gründlich ausgenutzt und habt das Spiel verloren. Mr. David,« fuhr er fort, »ich bitte Euch, mir zu glauben, daß die Probe, der Ihr soeben unterzogen wurdet, nicht auf meine Initiative zurückzuführen ist. Ich wollte, Ihr wüßtet, wie froh ich bin, daß Ihr sie so mit Ehren bestanden habt. Ihr habt mir ebenfalls einen Dienst damit erwiesen, wenn Ihr das im Augenblick auch nicht einzusehen vermögt. Denn, hätte unser Freund hier einen besseren Erfolg gehabt als ich vorgestern abend, man hätte ihn vielleicht für einen besseren Menschenkenner gehalten als mich; ja, es hätte den Anschein haben können, als stünden Mr. Simon und ich jeder auf dem falschen Posten. Unser Freund Simon, müßt Ihr wissen, ist ehrgeizig«, setzte er hinzu, Fraser auf die Schulter klopfend. »Aber dies Komödiespielen hat jetzt ein Ende. Mein Gefühl steht stark auf Eurer Seite, und was immer auch der Ausgang dieser unglückseligen Angelegenheit sein mag, ich werde dafür sorgen, daß Ihr mit Nachsicht behandelt werdet.« Das waren tröstende Worte, und ich sah überdies, daß zwischen den beiden Männern wenig Zuneigung, wenn nicht gar ein Funken echten Hasses bestand. Trotzdem war ganz klar: diese Szene war mit beider Zustimmung erdacht und vielleicht sogar einstudiert worden. Es war auch klar, daß meine Gegner an ihrem Entschluß, mich mit allen Mitteln auf die Probe zu stellen, festhielten, und nun, da Überredung, Schmeichelei und Drohungen versagt hatten, fragte ich mich, womit sie es wohl als Nächstes versuchen würden. Meine Augen waren noch immer feucht und meine Knie schwach von dieser letzten Quälerei; ich vermochte daher nur stammelnd meine Worte zu wiederholen: »Ich lege mein Leben und meinen Ruf in Eure Hände.« »Schon gut, schon gut,« entgegnete er, »wir müssen versuchen, sie zu retten. Inzwischen aber wollen wir zu sanfteren Methoden zurückkehren. Ihr dürft meinem Freunde hier, Mr. Simon, nichts nachtragen; er hat auch nur seine Amtspflicht erfüllt. Und selbst wenn Ihr mir, der ich sozusagen daneben stand und das Licht hielt, noch böse seid, darf ich doch nicht dulden, daß sich das bis zu den unschuldigen Mitgliedern meiner Familie erstreckt. Diesen liegt viel daran, Euch näher kennenzulernen, und ich kann nicht zugeben, daß meine Weibsen eine Enttäuschung erleben. Morgen vormittag wollen sie nach Hope Park hinaus spazieren, und ich würde es sehr passend finden, wenn Ihr ihnen dort Eure Reverenz machtet. Kommt jedoch vorher noch zu mir, für den Fall, daß ich Euch privatim etwas zu sagen habe; dann sollt Ihr unter der Obhut meiner jungen Fräulein wieder freigelassen werden; und bis dahin wiederholt mir Euer Versprechen, nicht zu schwatzen.« Ich hätte besser getan, sofort abzulehnen, doch die Wahrheit ist, ich war keines logischen Gedankens mehr fähig. Ich tat also, wie mir geheißen wurde und verabschiedete mich, ich weiß nicht wie; und als ich mich wieder auf dem Hofe befand und die Tür hinter mir geschlossen hatte, war ich froh, mich gegen die Mauer lehnen zu können, um mir den Schweiß von der Stirn zu wischen. Jenes furchtbare Nachtgespenst (wie es mich dünkte), Mr. Simon, wollte mir nicht aus dem Sinn, so wie einem mitunter eine Melodie, die man gehört hat, ständig im Kopfe herum geht. Geschichten von seinem Vater, von dessen Falschheit und wiederholten Verrätereien tauchten aus Büchern und Erzählungen vor mir auf und gesellten sich zu dem, was ich soeben am eigenen Leibe durch den Sohn erfahren hatte. Und sobald ich daran dachte, schrak ich von neuem vor der raffiniert schmutzigen Verleumdung zurück, mit der er meinen Ruf hatte kreuzigen wollen. Der Fall des Mannes am Galgen neben Leiths Walk schien sich jetzt von dem Los, das meiner wartete, kaum noch zu unterscheiden. Ein Kind um eine weniger als geringe Summe zu berauben war entschieden erbärmlich und zweier erwachsener Männer unwürdig; jedoch meine eigene Geschichte, so wie Mr. Simon sie vor Gericht darstellen wollte, schien, was schiere Gemeinheit und Feigheit anbetraf, in jeder Hinsicht eine exakte Parallele bilden zu sollen.

Die Stimmen zweier Lakaien von Prestongrange, die sich auf der Türschwelle unterhielten, brachten mich wieder zu mir selbst.

»Heda«, sagte der eine, »der Zettel hier ist sofort dem Kapitän zu überbringen.«

»Ist der Hochlandsbandit etwa wieder herbefohlen?« fragte der andere.

»Es scheint so«, entgegnete der erste. »Der Alte und Simon wollen ihn sprechen.«

»Ich glaube, Prestongrange ist verrückt geworden«, meinte der andere. »Er wird James More nächstens noch ins Bett nehmen.«

»Na, es ist weder deine noch meine Sache«, erklärte der erste.

Und sie trennten sich, der eine, um seinen Auftrag zu erledigen, der andere, um ins Haus zu gehen.

Das sah so schlimm wie nur möglich aus. Kaum war ich fort, da schickten sie schon nach James More, auf den, wie ich von vorneherein vermutet hatte, Mr. Simons Bemerkung, sie hätten Männer im Gefängnis, die zu jeder Schandtat bereit wären, um ihr Leben zu retten, abzielte. Mich überlief es kalt, und im nächsten Moment schoß mir in Erinnerung an Catriona das Blut zu Kopf. Armes Mädchen! Ihr Vater sollte einer üblen Sache wegen gehenkt werden. Was aber unverzeihlich war: er schien seine Haut durch die schändlichste, feigste und gemeinste Art des Mordes, durch einen Meineid, retten zu wollen, und um das Unglück voll zu machen: ich selbst war zu seinem Opfer ausersehen. Da begann ich rasch und ziellos drauflos zu marschieren, ohne jeden anderen Gedanken als den Wunsch nach Bewegung, Luft und freiem Himmel.

Siebentes Kapitel


Ich verstoße gegen mein Ehrenwort

Mein Weg mündete auf den »Lang Dykes«, einer ländlichen Straße, die sich längs der Höhen an der Nordseite der Stadt hinzieht. Von dort konnte ich die ganze düstere Häusermasse überblicken: die Burg auf dem steilen Felsen mit dem See zu ihren Füßen, und die weit auslaufende, sanft abfallende Linie der Türme, Giebel und rauchenden Schornsteine. Bei diesem Anblick schwoll mir das Herz in der Brust. Wie gesagt, trotz meiner Jugend war ich an Gefahr gewöhnt, jedoch Gefahren, wie sie mir heute morgen in der angeblich so sicheren Stadt gedroht hatten, erschütterten mich in ungeahnter Weise. Gefahren der Sklaverei, Gefahren des Schiffbruchs, Gefahren durch Pulver und Schwert: allen hatte ich in Ehren getrotzt; aber die Gefahr, die in der scharfen Stimme und dem feisten Gesicht Simons, des eigentlichen Herrn von Lovat, lag, brachte mich völlig außer Fassung. Ich ließ mich am Ufer des Sees an einer Stelle nieder, an der das Schilf weit in das Wasser ragte, tauchte meine Hände in das Naß und badete meine Schläfen. Hätte ich fliehen können, ohne auch den letzten Rest meiner Selbstachtung zu verlieren, ich wäre vor meinem tollkühnen Unternehmen davongelaufen. Aber (war es nun Mut oder Feigheit oder vielleicht etwas von beiden) ich entschied: die Sache ist zu weit gediehen, um einen Rückzug zu gestatten. Bisher hatte ich mich beiden Männern gegenüber behauptet; ich würde mich auch weiter behaupten, und, komme was da wolle, an meinem Wort festhalten.

Das Bewußtsein meiner eigenen Standhaftigkeit tröstete mich ein wenig, aber nicht viel. Trotz allem und allem konnte ich ein eisiges Gefühl im Herzen nicht loswerden, und das ganze Leben schien mir ein finsteres, gefährliches Geschäft. Für zwei Seelen insbesondere floß ich vor Mitleid über. Die eine war ich selbst in meiner freundlosen, bedrohlichen Lage. Die andere war das Mädchen, die Tochter James Mores. Ich kannte sie kaum, aber ich hatte sie gesehen, und mein Urteil stand fest. Ich hielt sie für ein Mädchen von reinstem Ehrgefühl, empfindlich in diesen Dingen wie ein Mann; Schande, dachte ich, würde sie töten; und im nämlichen Augenblick glaubte ich von ihrem Vater, daß er am Werke sei, sein eigenes, entehrtes Leben gegen das meinige einzuhandeln. Das schaffte eine Art Gedankenverbindung zwischen dem Mädchen und mir. Bisher war sie nur wie ein Wanderer am Wege neben mir aufgetaucht, eine flüchtige Erscheinung, die mich jedoch seltsam fesselte; jetzt entdeckte ich plötzlich nahe Bande zwischen mir und ihr als Tochter meines Blutsfeindes, ja Mörders, wie ich ihn mit Recht bezeichnen konnte. Ich überlegte, daß es doch ein recht hartes Schicksal sei, mein Lebtag um anderer Leute willen gejagt und verfolgt zu werden, ohne ein bißchen eigene Freude am Leben. Zwar hatte ich satt zu essen und ein Bett zum Schlafen, wenn meine Angelegenheiten es mir gestatteten; allein darüber hinaus wollte mein Reichtum mir nichts nützen. Sollte ich gehenkt werden, so waren meine Tage gezählt; kam es nicht dazu, und entrann ich mit heiler Haut allen diesen Gefahren, so würde ich das Leben vielleicht noch satt bekommen, ehe ich mit ihm fertig war. Plötzlich tauchte Catrionas Gesicht vor mir auf, mit leise geöffneten Lippen, wie ich es das erstemal erblickt hatte; gleichzeitig spürte ich eine Schwäche in meinem Herzen und Kraft in meinen Beinen und machte mich entschlossen auf den Weg nach Dean. Sollte ich morgen gehenkt werden – und die Möglichkeit, daß ich bereits heute nacht im Gefängnis schlafen müßte, lag auf der Hand – so wollte ich vorher wenigstens noch einmal Catriona sehen und sprechen.

Die körperliche Bewegung und der Gedanke an mein Ziel gaben mir frischen Mut, so daß ich fast heiter wurde. Im Dorfe Dean, das im Grunde eines Tales neben dem Flusse lag, erkundigte ich mich bei einem Müllerknecht nach dem Wege, und er wies mich auf einen breiten Pfad, der mich am jenseitigen Ufer bergauf nach einem sauberen Häuschen führte in einem Garten mit Apfelbäumen und weiten Rasenflächen. Mein Herz schlug heftig, als ich die Öffnung in der Gartenhecke durchschritt und fiel mir gleich darauf in die Hosen, denn plötzlich stand ich einer grimmigen, finster blickenden alten Dame gegenüber, die dort spazierenging, und die als Kopfbedeckung eine weiße Haube trug, über die ein Männerhut geschnallt war.

»Was sucht Ihr hier?« herrschte sie mich an.

Ich sagte, ich wünsche Miß Drummond zu sprechen.

»Und was habt Ihr mit Miß Drummond zu schaffen?« forschte sie. Ich erklärte, ich hätte sie vergangenen Samstag getroffen und wäre so glücklich gewesen, ihr einen kleinen Dienst zu erweisen und sei heute auf der jungen Dame persönliche Einladung hier. »Aha, der Musjö Sixpence!« rief sie mit schärfstem Hohn. »Ein schönes Geschenk, ein feiner Gentleman! Habt Ihr noch einen anderen Namen oder Titel, oder wurdet Ihr Sixpence getauft?«

Ich nannte ihr meinen Namen.

»Gott im Himmel!« rief sie. »Hat Ebenezer einen Sohn gezeugt?« »Nein, gnädige Frau«, entgegnete ich. »Ich bin der Sohn von Alexander und der Erbherr von Shaw.« »Wenn Ihr das durchfechten wollt, habt Ihr Euch ein saures Stück Arbeit vorgenommen«, bemerkte sie. »Ich sehe, Ihr kennt meinen Onkel,« entgegnete ich, »Ihr werdet Euch daher vielleicht freuen zu hören, daß die Angelegenheit bereits geregelt ist.« »Und was wollt Ihr von Miß Drummond?« fuhr sie fort. »Ich bin wegen meines halben Shillings gekommen, Madame,« sagte ich. »Ihr dürft Euch nicht wundern, wenn ich als meines Onkels Neffe ein wenig haushälterisch bin.« »So, so, Ihr habt also einen Funken von Witz«, bemerkte die alte Dame mit einigem Wohlwollen. »Ich dachte, Ihr wäret nur so ein windiger Junge – Ihr mit Eurem Sixpence und Eurem ›Glückstag‹ und Eurem ›Balwhidder zuliebe‹« – (Ich erkannte mit Befriedigung, daß Catriona sich wenigstens eines Teiles unseres Gespräches erinnert hatte.) »Aber so kommen wir nicht weiter«, fuhr sie fort. »Habe ich zu verstehen, daß Ihr auf Freiersfüßen geht?« »Die Frage ist bestimmt etwas verfrüht«, sagte ich. »Das Fräulein ist noch sehr jung, und ich leider auch. Ich habe sie erst einmal gesehen. Ich leugne nicht,« fügte ich in der Absicht hinzu, es einmal mit vollkommener Offenheit zu versuchen, »ich leugne nicht, daß sie mir, seit ich sie kennenlernte, ziemlich viel im Kopfe herumgeht. Das ist eine Sache für sich, aber es ist eine ganz andere Sache, sich festzulegen, und ich glaube, ich wäre ein Narr, wenn ich’s täte.« »Na, Ihr nehmt, wie ich sehe, kein Blatt vor den Mund«, entgegnete die alte Dame. »Das tue ich, gottlob, auch nicht! Ich war dumm genug, dieses Gauners Tochter unter meinen Schutz zu nehmen; eine schöne Sache habe ich mir da aufgehalst, aber geschehen ist geschehen, und durchführen werd ich sie, wie’s mir gefällt. Wollt Ihr mir weismachen, Mr. Balfour von Shaw, Ihr wäret bereit, James Mores Tochter zu heiraten, selbst wenn er gehenkt wird? Na also, und wo aus dem Heiraten nichts wird, wird auch nichts aus dem Hofieren und Karessieren, könnt Euch drauf verlassen. Mädchen sind schwache Geschöpfe«, setzte sie mit einem Kopfnicken hinzu, »und wenn Ihr’s mir mit meinen Runzeln auch nicht anseht, war ich selbst doch auch mal ein Mädchen, und ein hübsches obendrein.«

»Lady Allardyce«, entgegnete ich, – »ich nehme an, das ist Euer Name – Ihr scheint mir hier für beide Teile das Reden zu besorgen, und das ist kaum die rechte Art, zu einer Verständigung zu gelangen. Ihr habt da eine ziemlich empfindliche Stelle getroffen, als Ihr mich fragtet, ob ich vom Fuße des Galgens weg eine junge Dame heiraten möchte, die ich ein einziges Mal gesehen habe. Ich sagte Euch bereits, ich würde niemals so unvorsichtig sein, mich zu binden. Und doch will ich Euch gegenüber ziemlich weit gehen. Wenn ich das Mädchen weiterhin so gerne habe, wie ich es eigentlich erwarte, wird es stärkeren Mächten als ihrem Vater und dem Galgen nicht gelingen, uns auseinander zu halten. Und was meine Familie anbetrifft, so habe ich sie quasi auf der Landstraße aufgelesen, wie einen verlorenen Kupfergroschen. Ich schulde meinem Onkel weniger als nichts, und sollte ich jemals heiraten, so geschieht’s einem einzigen Menschen zu Gefallen: mir selbst.« »Dergleichen Reden habe ich gehört, noch ehe Ihr auf der Welt waret«, versetzte Mrs. Ogilvy, »und das ist vielleicht der Grund, weswegen ich so wenig davon halte. Es gibt da viele Bedenken. Dieser James More ist ein Verwandter von mir, zu meiner Schande sei’s gesagt. Aber – je besser die Familie, um so zahlreicher die Gehenkten – so war es ja von jeher in unserem armen Schottland. Und wenn es mit dem Hängen abgetan wäre! Ich für meinen Teil wäre ganz zufrieden, den James am Galgen zu sehen, dann wären wir ihn endlich los. Die Katrin ist ein recht braves Mädchen und gutherzig obendrein, die sich den lieben langen Tag von so einem abgetakelten alten Frauenzimmer wie mir die Ohren vollposaunen läßt. Aber jetzt kommt der wunde Punkt. Sie ist reinweg vernarrt in den langbeinigen, falschen, gleisnerischen Lumpen, ihren Vater, und dreidoppelt vernarrt in alles, was Gregara heißt und geächtet ist und was mit König James und derartigen Windbeuteleien zu tun hat. Und wenn Ihr glaubt, sie würde sich von Euch leiten lassen, so seid Ihr gründlich auf dem Holzwege. Ihr habt sie nur einmal gesehen –« »Einmal gesprochen, wäre richtiger«, unterbrach ich sie. »Ich sah sie heute morgen aus Prestongranges Fenster.« Ich erwähnte das so nebenbei, vermutlich, weil ich glaubte, damit Eindruck zu machen, und wurde sogleich für meine Eitelkeit bestraft. »Was soll das heißen?« rief die alte Dame mit einer plötzlichen Grimasse. »Ich glaube, des Lord Staatsanwalts Tür war der Ort, an dem Ihr einander kennenlerntet?« Ich mußte das bestätigen. »Hm«, sagte sie, und fuhr dann plötzlich scheltend fort, »ich muß Euch ja auf Euer bloßes Wort glauben, wer und was Ihr seid. Ihr behauptet, Ihr wäret Balfour von Shaw; aber was weiß ich, ob Ihr nicht des Teufels Handlanger seid. Vielleicht seid Ihr wirklich aus den angegebenen Gründen hierher gekommen, aber es ist ebenso gut möglich, daß Ihr Gott weiß was bezweckt. Ich bin Whig genug, um mich hübsch still zu verhalten und zu sorgen, daß meinen Mannsleuten nicht der Kopf auf den Schultern wackelt. Aber ich bin kein so guter Whig, daß ich mich an der Nase herumführen lasse. Und ich sage Euch deshalb rund heraus, mir ist zuviel von des Staatsanwalts Tür und von des Staatsanwalts Fenster die Rede, als daß es mir an einem Manne, der einer MacGregor nachrennt, gefallen möchte. Das könnt Ihr dem Herrn Staatsanwalt, der Euch hierherschickt, ausrichten, und meine zärtlichsten Grüße obendrein. Und ein Kußhändchen für Euch selbst, Mr. Balfour«, schloß sie und paßte die Handlung ihren Worten an; »recht gute Reise dorthin, woher Ihr kommt.« »Wenn Ihr mich für einen Spion haltet – «, begehrte ich auf, aber die Worte blieben mir im Hälse stecken. Da stand ich und blickte Mord und Tod auf die alte Dame; dann machte ich ihr eine Verbeugung und wollte mich entfernen. »Heda! Sachte! Das Bürschchen hat den Verstand verloren!« rief sie. »Euch für einen Spion halten? Für was sonst soll ich Euch denn halten – ich kenne Euch ja gar nicht. Aber ich sehe, ich habe mich geirrt, und da ich mich nicht schlagen kann, muß ich mich schon entschuldigen. Eine feine Figur würd ich mit ’nem Pallasch abgeben! Ja, ja,« fuhr sie fort, »Ihr seid in Eurer Art ein recht guter Junge und habt, scheint’s, einige ganz sympathische Laster. Aber mein teurer David Balfour, Ihr seid verdammt tölpelhaft. Das müßt Ihr noch überwinden, mein Junge; Ihr müßt ein wenig Geschmeidigkeit annehmen und lernen, etwas weniger an Euer eigenes liebes Ich zu denken. Und allmählich müßt Ihr auch dahinterkommen, daß wir Weibsleute keine Grenadiere sind. Aber so weit werdet Ihr’s niemals bringen. Ihr werdet noch auf Eurem Sterbebett so wenig von den Frauenzimmern wissen, wie ich vom Sauschneiden.« Derartige Ausdrücke war ich an einer Dame durchaus nicht gewöhnt; die einzigen beiden Damen, die ich gekannt hatte, waren Mrs. Campbell und meine Mutter gewesen, beide höchst fromme und gesittete Frauen; und mein Entsetzen muß sich wohl deutlich in meinem Gesicht gespiegelt haben, denn Mrs. Ogilvy brach plötzlich in Lachen aus. »O Gott, o Gott!« schrie sie und versuchte vergeblich, ihre Heiterkeit zu meistern, »das Schafsgesicht, das Schafsgesicht, das Ihr macht! Und Ihr wollt die Tochter eines Hochlandsräubers heiraten? Davie, mein Herzchen, ich glaube, wir müssen Euch doch verkuppeln – und wär’s nur, um die Bälger zu sehen, die dabei herauskommen. Aber es hat keinen Zweck, daß Ihr noch weiter hier herumlungert,« fuhr sie fort, »denn das junge Frauenzimmer ist nicht zu Hause und das alte Frauenzimmer dürfte für Eures Vaters Sohn nicht die passende Gesellschaft sein; abgesehen davon, daß ich außer mir selbst niemanden habe, um meinen Ruf zu hüten und mich vor den Reizen eines verführerischen Jünglings zu schützen. Kommt also ein andermal wieder, um Euren Sixpence zu holen!« rief sie mir nach, als ich schon im Gehen war. Mein Scharmützel mit dieser überraschenden und etwas erschütternden Dame hatte meinen Gedanken eine bisher fremde und gewagte Richtung gegeben. Zwei Tage lang hatte Catriona sich in all mein Denken eingedrängt; ja, sie war gleichsam dessen Hintergrund gewesen, so daß ich kaum mit mir allein zu sein vermochte, ohne in irgendeinem Winkel meines Gehirns ihr Bild zu erspähen. Jetzt jedoch war sie mir mit einem Schlage ganz nahe gerückt: ich schien sie zu berühren, sie, deren Hand ich nur ein einziges Mal berührt hatte, und mein ganzes Sein strömte ihr in einer Art glückseliger Schwäche entgegen. Wenn ich im Geiste Zukunft und Vergangenheit überblickte, erschien das Leben mir wie eine häßliche Wüste, in die die Menschen hineinmarschieren, wie Soldaten zu ihrer Pflicht; Catriona allein vermochte mir Freude zubieten. Ich wunderte mich über mich selbst, daß es mir möglich wäre, in dieser Zeit der drohenden Gefahr und Schande bei derartigen Gedanken zu verweilen, und als mir meine Jugend einfiel, schämte ich mich geradezu. Ich mußte erst meine Studien vollenden, ich mußte irgendeinen nützlichen Beruf ergreifen, ich mußte in dieser Welt, wo jeder dienen und arbeiten muß, erst meine Arbeit verrichten, ich mußte vor allem ein Mann werden und mich als Mann fühlen und erproben. Zum Glück hatte ich noch so viel Vernunft, über die Versuchung zu erröten, die jene späteren und heiligeren Pflichten für mich bedeuteten. Meine ganze Erziehung fiel hier schwer ins Gewicht; man hatte mich nicht mit Zuckerbrot gefüttert, sondern mit dem harten Brot der Wahrheit. Ich wußte, wer nicht gleichzeitig die Pflichten des Vaters erfüllen kann, taugt auch zum Gatten nicht, und für einen Jungen wie mich den Vater spielen zu wollen, war rein lächerlich.

Als ich, völlig in diese Gedanken vertieft, etwa die Hälfte des Weges zur Stadt zurückgelegt hatte, sah ich eine Gestalt auf mich zukommen, bei deren Anblick sich meine Herzensnöte noch verschärften. Mir war, als hätte ich ihr eine Welt zu sagen, ohne jedoch den Anfang finden zu können, und bei dem Gedanken an meine Verlegenheit heute morgen im Hause des Staatsanwalts, war ich überzeugt, ich würde kein Wort über die Lippen bringen. Aber in dem Moment, da sie mich erreichte, flohen auch alle meine Befürchtungen; selbst das Bewußtsein meiner geheimen Gedanken brachte mich nicht im geringsten außer Fassung, und ich fand, daß ich mich so leicht und vernünftig mit ihr unterhalten konnte wie mit Alan selbst. »O,« rief sie, »Ihr wolltet Euren Sixpence holen, habt Ihr ihn bekommen?« Ich sagte ihr, nein, aber mein Spaziergang wäre nun, da ich sie getroffen hätte, nicht umsonst gewesen. »Obwohl ich Euch heute schon einmal gesehen habe«, fügte ich hinzu und erzählte ihr, wo und wie. »Ich habe Euch nicht bemerkt«, antwortete sie. »Ich habe zwar große Augen, aber was Sehen anbelangt, gibt es deren bessere. Ich hörte nur jemanden im Hause singen.« »Das war Miß Grant,« sagte ich, »die älteste und schönste von den Töchtern.« »Sie sollen alle wunderschön sein«, meinte sie.

»Das gleiche denken sie von Euch, Miß Drummond,« entgegnete ich, »und alle stürzten ans Fenster, Euch zu sehen.«

»Wie schade, daß ich so kurzsichtig bin,« bemerkte sie, »sonst hätte ich sie auch sehen können. Und Ihr wart im Hause selber? Ihr müßt Euch bei der schönen Musik und den hübschen Damen gut unterhalten haben.« »Da irrt Ihr Euch gründlich«, erwiderte ich; »ich war so unbeholfen wie ein Seefisch auf der Berghalde. In Wahrheit tauge ich besser dazu, mit rauhen Männern als mit hübschen Damen umzugehen.« »Ich glaube wirklich, ja!« sagte sie, und wir mußten beide lachen. »Es ist doch eine seltsame Sache«, hub ich von neuem an. »Vor Euch habe ich nicht die geringste Angst, und doch wäre ich vor den Miß Grants am liebsten davongelaufen. Vor Eurer Base habe ich mich auch gefürchtet.« »O, ich glaube, vor der hat jeder Mann Angst«, rief sie. »Selbst mein Vater fürchtet sich vor ihr.« Der Name ihres Vaters ließ mich innehalten. Ich sah sie an, wie sie da an meiner Seite ging; ich stellte mir den Mann vor und das wenige, was ich von ihm wußte, sowie all das, was ich vermutete; dann verglich ich die beiden und kam mir bei meinem Schweigen wie ein Verräter vor. »Übrigens habe ich Euren Vater erst heute morgen getroffen«, sagte ich. »Wirklich?« rief sie mit so freudiger Stimme, daß sie meiner zu spotten schien. »Ihr sahet James More? Ihr habt doch nicht etwa mit ihm gesprochen?« »Auch das«, antwortete ich.

Und nun, glaube ich, nahmen die Dinge den denkbar schlechtesten Verlauf für mich – sie schenkte mir einen Blick voll tiefster Dankbarkeit. »Ich danke Euch«, sagte sie. »Ihr habt mir sehr wenig zu danken«, entgegnete ich und verstummte von neuem. Aber es schien, daß ich mich wenigstens von einem Teil der Last, die mich drückte, befreien müßte. »Ich habe sehr häßlich zu ihm gesprochen,« sagte ich, »ich konnte ihn nicht recht leiden; ich war nicht freundlich zu ihm, und er war böse auf mich.« »Ich meine, dazu hattet Ihr sehr wenig Recht, und noch viel weniger Recht, es seiner Tochter zu erzählen!« rief sie laut. »Aber wer ihn nicht liebt und ehrt, den will auch ich nicht kennen.« »Ich möchte Euch noch ein Wort sagen«, fuhr ich zitternd fort. »Vielleicht sind weder Euer Vater noch ich in der besten Laune, wenn wir uns bei Prestongrange befinden. Ich nehme an, wir haben beide gefährliche Dinge dort zu erledigen, denn es ist ein gefährliches Haus. Er tat mir außerdem leid, und ich war der erste, mich in ein Gespräch einzulassen, und ich hätte Gescheiteres tun können. Im übrigen bin ich der Ansicht, daß seine Aussichten sich bald bessern werden; Ihr sollt sehen!«

»Durch Eure Freundschaft jedenfalls nicht, das sehe ich«, entgegnete sie. »Und für Euer Mitleid läßt er Euch herzlich danken.« »Miß Drummond,« rief ich, »ich stehe ganz allein auf der Welt …« »Das wundert mich nicht«, sagte sie.

»O laßt mich reden«, flehte ich. »Ich will nur dies eine Mal reden und Euch dann, wenn Ihr’s wünscht, auf immer verlassen. Ich bin heute in der Hoffnung auf ein gutes Wort zu Euch gekommen; ich brauche es so nötig. Ich weiß, das, was ich sagte, muß Euch verletzen; ich wußte es, als ich es aussprach. Es wäre so leicht gewesen, zu heucheln und Euch zu belügen; könnt Ihr Euch nicht denken, wie groß die Versuchung war? Könnt Ihr nicht in meinem Herzen die Wahrheit leuchten sehen?« »Ich glaube, Mr. Balfour, hier ist viel Lärm um nichts«, entgegnete sie. »Ich meine, wir wollen es mit dieser Begegnung bewenden lassen und wie gesittete Menschen auseinandergehen.« »O, macht, daß wenigstens ein Mensch an mich glaubt,« bettelte ich, »ich kann es sonst nicht ertragen. Die ganze Welt hat sich gegen mich verschworen. Wie soll ich sonst mein furchtbares Los ertragen? Wenn gar keiner an mich glaubt, kann ich es nicht tun. Dann muß der Mann eben sterben, dann kann ich es nicht.« Sie hatte bisher hocherhobenen Hauptes vor sich hingestarrt; bei meinen Worten und dem Ton meiner Stimme jedoch blieb sie unvermittelt stehen. »Was sagt Ihr da?« fragte sie. »Wovon redet Ihr?« »Mein Zeugnis kann einen Unschuldigen retten,« fuhr ich aufgeregt fort, »und sie wollen nicht dulden, daß ich es ablege. Was würdet Ihr an meiner Stelle tun? Ihr, deren Vater in Gefahr schwebt, könnt Euch in meine Lage versetzen. Würdet Ihr die arme Seele im Stich lassen? Sie haben alle Mittel an mir versucht. Sie haben mich bestechen wollen; sie haben mir Geld und Güter angeboten. Und heute erst hat der Bluthund mir klar gemacht, wo ich in Wahrheit stehe, und was er alles tun würde, um mich zu morden und mit Schande zu überhäufen. Man will mich als des Mordes mitschuldig bezichtigen; ich soll Glenure gegen Geld und alte Kleider in ein Gespräch gelockt haben. Ich soll getötet und entehrt werden. Soll ich auf diese Weise umkommen, ich, der ich kaum noch ein Mann bin – soll es wirklich dazu kommen, daß ganz Schottland dies von mir glaubt – solltet auch Ihr das von mir glauben und mein Name nur als ewiger Fluch weiterleben – Catriona, wie kann ich es dann durchführen! Das ist unmöglich, das geht über Menschenkraft!« – Meine Worte brachen in wilder Erregung aus mir hervor, einander überstürzend; als ich innehielt, sah ich, daß sie mich erschrocken anblickte. »Glenure? Es ist der Appiner Mord!« sagte sie leise, aber auf das höchste erstaunt. Ich war vorhin umgekehrt, um sie zu begleiten, und wir befanden uns jetzt dicht vor der Höhe über dem Dorfe Dean. Bei diesen Worten versperrte ich ihr plötzlich mit der Miene eines Mannes, der den Verstand verloren hat, den Weg. »Um Gottes willen!« schrie ich, »um Gottes willen, was habe ich getan! Ich muß behext sein, so zu reden!« »Gott im Himmel, was fehlt Euch jetzt?« rief sie.

»Ich habe mein Ehrenwort gegeben«, stöhnte ich. »Ich habe mein Ehrenwort gegeben, und jetzt habe ich es gebrochen! O Catriona!« »Ich frage Euch, worum es sich handelt«, sagte sie. »Waren das die Dinge, von denen Ihr nicht sprechen durftet? Und glaubt Ihr etwa, ich hätte kein Ehrgefühl? Oder daß ich ein Mensch sei, der einen Freund verrät? Hier hebe ich meine rechte Hand hoch und schwöre Euch –«

»O, ich wußte, daß ich mich auf Euch verlassen konnte«, rief ich. »Ich dagegen – seht Ihr, das ist’s! Ich, der ich erst heute morgen ihnen trotzte und lieber einen schimpflichen Tod am Galgen erleiden wollte als Unrecht tun – ich werfe wenige Stunden später in einem ganz gewöhnlichen Gespräch auf der Landstraße meine Ehre weg! ›Das eine geht klar aus unserer Unterredung hervor,‹ sagte er, ›ich kann mich auf Euer Wort verlassen.‹ Und wo ist mein Wort jetzt? Wer würde mir jetzt noch glauben? Ihr könnt mir doch nicht mehr trauen. Ich bin ganz tief gesunken; das beste wäre, ich stürbe!« Das alles sagte ich mit weinender Stimme, doch blieben mir Tränen versagt.

»Mir tut das Herz weh um Euretwillen,« entgegnete sie, »aber Ihr seid zu gewissenhaft, glaubt mir. Ihr meint, ich könnte Euch nicht mehr trauen? Es gibt nichts auf der Welt, in welchem ich mich nicht auf Euch verlassen würde. Und diese Männer? Ich würde mir ihretwegen nicht das Herz schwer machen! Männer, die nur auf Mittel und Wege sinnen, um Euch Fallen zu stellen und Euch zu verderben! Pfui, jetzt ist nicht die Zeit, sich selbst zu erniedrigen. Blickt auf! Wißt Ihr denn nicht, daß ich Euch bewundere, wie die großen Helden aus alter Zeit? Und nur weil Ihr ein Wort zuviel einem Freunde gegenüber habt fallen lassen, macht Ihr davon so viel Aufhebens! Wir müssen es beide vergessen!«

»Catriona«, sagte ich, und blickte sie beschämt und zerknirscht an, »ist das wirklich wahr? Habt Ihr immer noch zu mir Vertrauen?«

»Wollt Ihr selbst meinen Tränen nicht glauben?« rief sie. »Ich halte mehr als die ganze Welt von Euch, David Balfour. Mögen sie Euch hängen, ich werde Euch niemals vergessen; ich will alt werden und Eurer gedenken. Ich finde es groß, so zu sterben; ich werde Euch um Euren Galgen beneiden.«

»Dabei bin ich vielleicht nur ein dummes Kind, das sich vor Gespenstern fürchtet!« sagte ich. »Vielleicht führen sie mich doch nur an der Nase herum.«

»Das muß ich jetzt erfahren«, sagte sie. »Ich muß alles hören. Der Schaden ist nun schon geschehen, und ich muß das Ganze hören.«

Ich hatte mich am Wegrand niedergelassen, und sie setzte sich jetzt neben mich. Dann erzählte ich ihr alles, was ich hier geschrieben habe, und ließ lediglich meine Gedanken über ihres Vaters Verhalten aus.

»Nun,« meinte sie, als ich geendet hatte, »Ihr seid ein Held, das ist klar; ich hätte es niemals von Euch gedacht! Und ich glaube auch, daß Ihr Euch in Gefahr befindet. Oh, Simon Fraser! Was für ein Mensch! Sich um seines Lebens willen und für schmutziges Geld in einen derartigen Handel einzulassen.« Dann gebrauchte sie eine merkwürdige Redensart, die sie liebte und die wohl ihrer Muttersprache entstammte: »Du meine Qual! Seht nur die Sonne!«

Tatsächlich ging die Sonne bereits hinter den Bergen unter.

Sie forderte mich auf, bald wiederzukommen, reichte mir die Hand und ließ mich in einem Wirbel froher Gedanken zurück. Ich zögerte noch, mich in meine Wohnung zu begeben, denn ich hatte große Angst, sofort verhaftet zu werden. Daher aß ich in einem Wirtshause zu Abend und wanderte den größeren Teil der Nacht in den Gerstenfeldern umher und fühlte mich Catriona ganz nahe, fast als trüge ich sie auf den Armen.

Achtes Kapitel


Der Bravo

Am folgenden Tage, dem 29. August, begab ich mich, wie verabredet, zum Lord Staatsanwalt, ausstaffiert mit einem neuen Rock, den ich mir nach Maß hatte anfertigen lassen.

»Aha,« sagte Prestongrange, »Ihr seht heute nobel aus; meine jungen Fräulein sollen einen eleganten Kavalier bekommen. Das rechne ich Euch hoch an, Mr. David. Ich rechne es Euch hoch an. O, wir werden uns schon noch trefflich verstehen, und Eure Nöte haben, glaube ich, auch bald ein Ende.«

»Habt Ihr Nachrichten für mich?« rief ich.

»Bessere, als Ihr erwarten dürft«, entgegnete er. »Euer Zeugnis soll nun doch entgegengenommen werden, und Ihr könnt Euch, wenn Ihr wollt, in meiner Gesellschaft nach Inverary zur Verhandlung begeben, die für den 21. proximo anberaumt ist.«

Ich war so erstaunt, daß es mir die Rede verschlug. »Inzwischen«, fuhr er fort, »muß ich Euch noch einmal dringend ans Herz legen, diskret zu sein, wenn ich Euch auch nicht direkt auffordern will, Euer Versprechen zu erneuern. Morgen soll Euer Vorverhör stattfinden; und wißt Ihr, ich meine, je weniger Ihr sonst über die Sache sprecht, desto besser für alle Teile.«

»Ich will versuchen, möglichst vorsichtig zu sein,« sagte ich. »Ich glaube, ich habe Eurer Lordschaft für diese beispiellose Gnade zu danken, und ich danke Euch auch von Herzen. Nach dem, was gestern geschah, ist dies wie der Himmel selbst. Ich kann es in Wahrheit noch nicht glauben.«

»Ah, aber Ihr müßt versuchen, es zu glauben, Ihr müßt es versuchen,« sagte er gleichsam beschwichtigend, »und ich freue mich aufrichtig, daß Ihr eine Verpflichtung Eurerseits anerkennt, denn ich glaube, Ihr werdet Euch sehr bald revanchieren können,« – er hüstelte – »ja, vielleicht sogar sofort. Die Angelegenheit hat eine ganz neue Wendung genommen. Eure Aussagen, um die wir Euch heute nicht bemühen wollen, werden zweifellos den Fall für alle, die daran interessiert sind, ändern, und das macht es für mich leichter und weniger heikel, eine Nebenfrage mit Euch zu erörtern.«

»Mylord,« unterbrach ich ihn, »verzeiht, wenn ich Euch ins Wort falle, aber wie ist das alles zustande gekommen? Die Hindernisse, die Ihr mir am Sonnabend zeigtet, schienen mir ganz unüberwindlich; wie ist dies nur möglich gewesen?«

»Mein lieber Mr. David«, entgegnete er, »es geht durchaus nicht (selbst Euch gegenüber nicht), daß ich über die Vorgänge im Rat der Regierung schwatze. Ihr müßt Euch also wohl oder übel mit der nackten Tatsache abfinden.« Dabei blickte er mich väterlich lächelnd an, während er mit einer neuen Feder spielte. Ich dachte: unmöglich lebt auch nur ein Schatten von Arglist in diesem Manne; als er jedoch ein Stück Papier hervorholte, seine Feder eintauchte und sich von neuem an mich wandte, fühlte ich mich plötzlich nicht mehr ganz so sicher und fiel instinktiv in eine Abwehrstellung.

»Es gibt da einen Punkt, auf den ich zurückkommen möchte«, begann er. »Ich habe ihn bisher absichtlich nicht berührt, aber diese Rücksicht ist jetzt überflüssig geworden. Unser Gespräch hat selbstverständlich nichts mit Eurem Verhör zu tun; das wird durch jemand anders vorgenommen werden. Es handelt sich hier lediglich um eine Sache, die mich privatim interessiert. Ihr sagt, Ihr wäret Alan Breck auf dem Hügel begegnet?«

»Jawohl, Mylord«, antwortete ich.

»Das war unmittelbar nach dem Morde?«

»Jawohl.«

»Habt Ihr mit ihm gesprochen?«

»Jawohl.«

»Ihr kanntet ihn schon früher, glaube ich?« fragte er nachlässig.

»Ich weiß nicht, weshalb Ihr das annehmt, Mylord,« erwiderte ich, »aber es ist der Fall.«

»Und wo trenntet Ihr Euch?« fragte er.

»Ich behalte mir die Antwort darauf vor,« sagte ich. »Diese Frage wird mir auch in der Verhandlung vorgelegt werden.«

»Mr. Balfour,« begann er, »wollt Ihr denn nicht begreifen, daß alles, was hier gesagt wird, ohne Präjudiz für Euch selbst ist? Ich habe Euch Leben und Ehre zugesichert, und glaubt mir, ich bin in der Lage, mein Wort zu halten. Ihr braucht daher nicht die geringste Sorge zu haben. Ihr glaubt, wie es scheint, Alan schützen zu können; dabei sprecht Ihr mir von Dankbarkeit, und Ihr schuldet sie mir (wenn Ihr es denn wissen wollt) auch wirklich. Die verschiedenartigsten Erwägungen führen alle zum gleichen Ziel; nie und nimmer werdet Ihr mir einreden, Ihr könntet uns nicht helfen, Alan Salz auf den Schwanz zu streuen, (falls Ihr das ernstlich wollt).« »Mylord,« entgegnete ich, »ich gebe Euch mein Wort, ich ahne nicht einmal, wo Alan sich befindet.« Er schwieg einen Augenblick. »Auch nicht, wie er aufzufinden ist?« forschte er. Ich saß da, wie ein Holzklotz. »Das ist also Eure Dankbarkeit, Mr. David«, bemerkte er. Wieder entstand eine Pause. »Nun,« sagte er sich erhebend, »ich habe eben kein Glück, und wir zwei spielen gegeneinander. Wir wollen nicht weiter davon reden; Ihr werdet Nachricht erhalten, wo, wann und durch wen Euer Vorverhör stattfindet. Inzwischen warten meine jungen Damen auf Euch. Sie werden es mir niemals verzeihen, wenn ich ihnen ihren Kavalier entziehe.« Den Händen dieser Grazien wurde ich also überantwortet. Ich fand sie prächtiger herausgeputzt, als ich es für möglich gehalten hätte und so schön wie einen Blumenstrauß. Als wir zur Tür hinaustraten, ereignete sich ein unbedeutender Vorfall, der mir später jedoch überaus bedeutsam erschien. Ich hörte einen Pfiff, laut und schrill wie ein Signal, und erblickte, als ich mich umschaute, den roten Schopf Neils vom Tom, des Sohnes von Duncan. Im nächsten Augenblick war er verschwunden, und auch von Catriona, die er, wie ich vermutete, begleitete, vermochte ich nicht einmal einen Schürzenzipfel zu entdecken. Meine drei Gefangenwärterinnen führten mich über Bristo nach den Brunsfield Links, von wo aus ein Pfad uns nach Hope Park brachte, einem wunderschönen Lustgarten mit Kieswegen, Bänken und Sommerhäuschen, der unter Aufsicht eines Parkwärters stand. Der Weg war ziemlich lang, und die beiden jüngeren Fräulein nahmen eine Miene vornehmer Blasiertheit an, die meine Stimmung grausam dämpfte, während die Älteste mich mitunter halb belustigt beobachtete; und obwohl ich mich heute, meiner Ansicht nach, von liebenswürdigerer Seite als gestern zeigte, kostete mich dies doch keine geringe Anstrengung. Als wir den Park erreichten, wurde ich einer Schar Gentlemen (Offizieren in Uniform und Juristen zumeist) überliefert, acht bis zehn an der Zahl, die sich um meine Schönen drängten; und ob man mich ihnen auch mit den schmeichelhaftesten Reden vorstellte, hatten sie mich im nächsten Augenblick doch scheinbar gänzlich vergessen. Junge Leute gleichen in Gesellschaft wilden Tieren: sie fallen über jeden Fremden her und bezeugen ihm ohne alle Rücksicht, ja man kann wohl sagen Menschlichkeit, ihre Verachtung. Ich bin überzeugt, unter den Affen hätte ich beide Tugenden stärker vertreten gefunden. Von den Juristen gaben einige sich die größte Mühe, als Schöngeister zu erscheinen, während etliche Militärs die reinsten Klappern waren; welches von diesen beiden Extremen mich mehr ennuyierte, vermochte ich nicht zu sagen. Alle hatten eine gewisse Art, ihre Degen und Rockschöße zu adjustieren, derentwegen ich sie (aus schierem Neid) am liebsten aus dem Park hinausgeworfen hätte. Wahrscheinlich mißgönnten sie mir dafür gründlichst die reizende Begleitung, in der ich hierhergekommen war; und, alles in allem, zog ich mich sehr bald steifbeinig von all der Lustbarkeit in die Gesellschaft meiner Gedanken zurück. Diesen wurde ich durch einen der Offiziere, Leutnant Hektor Duncansby, einem ungeschlachten, schielenden Hochlandslümmel, entrissen, der mich fragte, ob mein Name nicht »Palfour« sei.

Ich bestätigte das nicht allzu liebenswürdig, denn sein Benehmen war kaum höflich zu nennen. »Ha, Palfour,« sagte er, und wiederholte: »Palfour, Palfour!« »Ich fürchte, Sir, mein Name mißfällt Euch,« sagte ich, und ärgerte mich über mich selbst, daß ich mich über diesen Bauern ärgern konnte.

»Nein,« sagte er, »Ich tachte nur kerate nach.«

»Ich möchte Euch nicht raten, das zu einer Gewohnheit zu machen«, bemerkte ich. »Ich bin überzeugt, es würde Euch schlecht bekommen.« »Hapt Ihr schon gehört, wo Alan Krigor tie Feuerzange fand?« erkundigte er sich.

Ich fragte ihn, was in aller Welt er meine, und er antwortete mit herausforderndem Lachen, er dächte, ich müßte an der gleichen Stelle den Schürhaken gefunden und verschluckt haben. Die Bedeutung dieser Bemerkung war klar, und meine Wange fing an zu brennen.

»Ehe ich herumginge, um Gentlemen zu beleidigen,« entgegnete ich, »würde ich an Eurer Stelle erst mal Englisch lernen.« Kopfnickend und zwinkernd faßte er mich am Ärmel und führte mich in aller Stille aus Hope Park hinaus. Kaum befanden wir uns außer Sichtweite der Promenaden, als sein Antlitz sich verfinsterte. »Tu vertammter Schurke von Flachländer!« schrie er und versetzte mir mit geballter Faust einen Hieb ins Gesicht.

Ich quittierte ihm mit gleicher, wenn nicht gar größerer Münze, worauf er einen Schritt zurücktrat und zeremoniell den Hut lüftete. »Kenug ter Hiepe, mein‘ ich«, sagte er. »Ich bin ter Peleitigte, tenn wer hätte je tie Unverschämtheit besessen, einen Schentleman im Tienste Seiner Majestät tes Königs zu beschuldigen, taß er nicht Kottes Englisch sprechen könnte. Wir tragen peide Tegen und tort liegt King’s Park. Wollt Ihr vorankehen oter soll ich Euch ten Weg zeigen?« Ich erwiderte seine Verbeugung, hieß ihn mich führen und folgte hinterdrein. Unterwegs hörte ich ihn etwas über des ›Königs Englisch‹ und des ›Königs Rock‹ in seinen Bart murmeln, woraus ich hätte schließen können, daß er ernstlich beleidigt wäre. Doch sein Verhalten zu Beginn unserer Auseinandersetzung strafte ihn Lügen. Es war klar, er war hierhergekommen, um mich mit Recht oder Unrecht in Händel zu verwickeln; es war klar, dies war eine neue Falle meiner Feinde, und nicht minder klar war es mir (der ich mir meiner Mängel bewußt war), daß ich in diesem Waffengange unterliegen mußte. Während wir uns der sandigen Einöde von King’s Park näherten, war ich wohl ein dutzendmal nahe daran, Fersengeld zu zahlen, so stark scheute ich mich, meine völlige Unkenntnis des Fechtens zu bekunden, und so gering war meine Lust, zu sterben oder auch nur verwundet zu werden. Doch ich überlegte mir, daß meine Widersacher, nun sie sich so weit hatten hinreißen lassen, in ihrer Bosheit vor nichts zurückschrecken würden und daß der Tod durch das Schwert, mochte er auch mit einem völligen Mangel an Grazie erfolgen, doch dem Galgen vorzuziehen wäre. Ich erwog außerdem, daß ich mich durch die unbedachte Dreistigkeit meiner Zunge und die Promptheit meiner Hiebe strafbar gemacht hätte, und daß mein Gegner mich, wenn ich ausriß, wahrscheinlich verfolgen und einholen würde, wodurch zu allem Unglück noch Schande über mich kommen mußte. So fuhr ich denn fort, hinter ihm dreinzumarschieren, nicht viel anders, als ein Verurteilter hinter seinem Henker und entschieden mit genau so wenig Hoffnung. Wir umschritten den weitläufigen Felsen und erreichten Hunters Bog. Hier, auf einer leidlich ebenen Heidefläche, zog mein Gegner vom Leder. Zeugen hatten wir keine, ausgenommen ein paar Vögel; mir blieb daher nichts übrig, als seinem Beispiel zu folgen und mit möglichst guter Miene in der Auslage zu stehen. Das schien aber Mr. Duncansby nicht zu genügen; er entdeckte irgendeinen Fehler in meinen Bewegungen, hielt inne, warf mir einen scharfen Blick zu und avancierte und retirierte, immer mit drohend geschwungenem Degen. Da ich derartige Manöver bei Alan nie gesehen hatte und außerdem durch die Nähe des Todes ziemlich erschüttert war, geriet ich jetzt in völlige Verwirrung und stand hilflos da, beseelt von dem Wunsch, davonzulaufen.

»Was zum Teixel fehlt Euch!« schrie der Leutnant. Im nächsten Augenblick ging er zum Angriff über, schlug mir den Degen aus der Hand und ließ ihn im Bogen durch die Luft sausen, so daß er weit drinnen im Ried zur Erde fiel. Zweimal wiederholte sich dieser Vorgang; als ich das drittemal beschämt und gedemütigt meine Waffe auflas, entdeckte ich, daß er die seinige in die Scheide gesteckt hatte und, die Hände in den Rockschößen vergraben, mit zornigem Gesicht dastand. »Ter Teixel hol Euch, wenn ich Euch anrühre!« schrie er und fragte mich erbittert, welches Recht ich eigentlich hätte, mich mit ›Schentlemen‹ zu messen, wenn ich die Schneide eines Schwerts nicht vom Rücken unterscheiden könnte.

Ich antwortete, das sei die Schuld meiner Erziehung, und ob er mir die Gerechtigkeit wolle widerfahren lassen, zu bezeugen, daß ich mich loyal benommen und ihm die geringe Satisfaktion gewährt hätte, deren ich – leider – nur fähig sei. »Tas ist tie nackte Wahrheit«, meinte er. »Ich pin selbst sehr tapfer und traufgängerisch wie ein Löwe. Aber mich so einfach vor tie Klinge zu stellen, ohne fechten zu können – mein Wort, ich prächt’s nicht fertig. Ich möchte mich auch wegen des Hieps entschultigen, obkleich ich, auf mein Wort, pehaupte, ter Eurige war ter ältere Bruter von peiten: mir prummt noch ter Schädel. Mein Wort, hätt ich gewußt, wie’s auskehen würte, ich hätte mich nicht in tie Affäre einkelassen.« »Eine großzügige Erklärung,« entgegnete ich, »auch ich bin überzeugt, Ihr werdet Euch ein zweites Mal nicht dazu hergeben, für meine persönlichen Feinde die Kastanien aus dem Feuer zu holen.«

»Wahrhaftig nicht, Palfour«, beteuerte er. »Hol mich ter Teixel, wenn ich nicht ter Meinung pin, taß man auch mir vertammt schlecht mitkespielt hat! Mich einem alten Weipe – parton – einem Unmüntigen kegenüber zu stellen! Ich wert’s tem Paron aper eintränken! Pei Kott, ich wert ihn selbst vor die Klinge zwingen!« »Wüßtet Ihr erst die Art von Monsieur Simons Handel mit mir,« bemerkte ich, »Ihr fühltet Euch um so mehr beleidigt, in derartige Affären hineingezogen zu werden.« Er schwor, er glaube es mir gern; alle Lovats wären aus dem nämlichen Teig geknetet und der Teufel müsse das Mehl dazu gemahlen haben. Dann griff er plötzlich meine Hand und beteuerte, ich wäre doch ein recht wackerer Kerl, und es sei ein Jammer, daß man meine Erziehung vernachlässigt hätte; er würde selber dafür sorgen, daß dies nachgeholt würde, falls er Zeit dazu fände. »Ihr könnt mir einen noch größeren Dienst erweisen«, sagte ich, und fügte hinzu, als er mich nach dessen Natur gefragt hatte: »Kommt mit mir nach dem Hause eines meiner Feinde und erzählt, wie ich mich heute benommen habe. Das würde mir sehr nützen. Denn obwohl mir Mr. Simon als ersten einen ritterlichen Feind gesandt hat, plant er doch nichts als Mord und wird mir einen zweiten und einen dritten auf den Hals hetzen. Ihr habt aber selbst gesehen, wie es um meine Geschicklichkeit bestellt ist, wenn es sich um das kalte Eisen handelt, und könnt Euch das wahrscheinliche Resultat schon denken.«

»Mir würte es auch nicht kefallen, war ich so wenig Manns mit ter Klinge wie Ihr!« rief er. »Toch ich will sehen, taß Ihr zu Eurem Rechte kommt, Palfour. Geht voran!« War ich auf dem Hinweg nach dem verdammten Park geschlichen, so flog ich jetzt auf dem Rückwege. Mein Schritt fiel in den Rhythmus einer berühmten alten Weise, ehrwürdig wie die Bibel selbst, deren Worte lauten: »Tod, wo bleibt dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg?« Ich erinnere mich, sehr durstig gewesen zu sein und unterwegs aus dem Margaretenbrunnen getrunken zu haben, und die Süße des Wassers überstieg alle Begriffe. Wir durchquerten die heilige Stätte, passierten Canongate und betraten durch das Netherbow-Tor die innere Stadt, wo wir uns direkt nach Prestongranges Tür begaben, nachdem wir zuvor besprochen hatten, wie wir uns im einzelnen verhalten wollten. Der Lakai gab zu, daß sein Herr zu Hause sei, erklärte aber, er sei mit anderen Herren in einer streng privaten Angelegenheit beschäftigt und wünsche nicht, gestört zu werden. »Mein Geschäft dauert nur drei Minuten und duldet keinen Aufschub«, erklärte ich. »Meldet, daß es durchaus nicht privat sei; im Gegenteil, ich freue mich, einige Zeugen zu haben.«

Als der Mann sich widerwillig genug entfernte, waren wir so kühn, ihm bis in den Vorraum zu folgen, von wo aus ich einige Minuten lang das Gemurmel mehrerer Stimmen unterscheiden konnte. In Wahrheit befanden sich drei Männer nebenan am Tisch: Prestongrange, Simon Fraser und Mr. Erskine, der Sheriff von Perth, und da sie justament über die Appiner Mordaffäre berieten, waren sie über mein Erscheinen etwas beunruhigt und beschlossen, mich zu empfangen.

»Schau, schau, Mr. Balfour, was verschafft uns von neuem die Ehre, und wen bringt Ihr da mit?« fragte Prestongrange.

Fraser starrte indessen vor sich auf den Tisch.

»Der Herr hier ist gekommen, um etwas zu meinen Gunsten auszusagen, Mylord; und es liegt mir sehr am Herzen, daß Euer Lordschaft ihn persönlich anhört«, antwortete ich, mich an Duncansby wendend. »Ich möchte nur erklären,« sagte der Leutnant, »tas ich mich heute in Hunters Pog mit Palfour keschlaken hape, was ich unkemein betaure, und taß er sich so wacker verhielt, wie man es von einem Schentleman nur erwarten kann. Und ich hape kroße Hochachtung vor Palfour.«

»Ich danke Euch für Eure ehrlichen Worte«, sagte ich.

»Was geht mich das an?« fragte Prestongrange.

»Ich will es Eurer Lordschaft mit zwei Worten sagen,« erklärte ich. »Ich habe diesen Herrn, einen Offizier Seiner Majestät des Königs, mitgebracht, damit mir wenigstens in dieser Hinsicht Gerechtigkeit zuteil werde. Jetzt, glaube ich, ist meine Reputation gesichert; und bis zu einem gewissen Datum – Euer Lordschaft werden schon wissen, welches ich meine – wird es völlig vergeblich sein, weitere Offiziere gegen mich antreten zu lassen. Ich weigere mich, mir meinen Weg durch die gesamte Schloßgarnison zu erkämpfen.« Auf Prestongranges Stirn schwollen die Zornesadern, und er starrte mich wütend an. »Ich glaube, der Teufel hat mir diesen Hund von einem Jungen zwischen die Beine gehetzt!« schrie er und wandte sich dann zornentbrannt an seinen Nachbarn. »Das ist Euer Werk, Simon; ich erkenne Eure Hand in dieser Angelegenheit; und ich sage Euch, ich verdamme sie. Es ist illoyal, nachdem wir uns über einen bestimmten Weg geeinigt haben, hintenherum einen anderen einzuschlagen. Ihr handelt verräterisch an mir. Was? Ihr erlaubt, daß ich diesen Jungen mit meinen eigenen Töchtern dorthin schicke! Und nur, weil ich Euch gegenüber durchblicken lasse – Pfui, Monsieur, macht Eure schmutzigen Geschäfte alleine!« Simon war totenblaß geworden. »Ich habe es satt, zwischen Euch und dem Herzog den Puffer abzugeben«, rief er. »Einigt oder veruneinigt Euch, wie Ihr wollt, aber laßt mich aus dem Spiel. Ich will nicht mehr der Zwischenträger sein und Eure Gegenbefehle empfangen und von beiden Teilen beschimpft werden. Euch würden die Ohren klingen, wüßtet Ihr, was ich von dieser ganzen Hannöverschen Affäre halte!«

Aber Sheriff Erskine hatte seine Ruhe bewahrt und griff jetzt beschwichtigend ein. »Inzwischen, glaube ich, können wir Mr. Balfour versichern, daß er seine Reputation als unerschrockener Kavalier hinreichend begründet hat. Er mag sich in Ruhe schlafen legen. Bis zu dem Tage, den er vorhin freundlichst erwähnte, wird sein Mut auf keine weitere Probe gestellt werden.« Seine kühle Sicherheit brachte die anderen zur Besinnung, und alle beeilten sich, mich höflich aufgeregt aus dem Hause zu entfernen.

Sechsundzwanzigstes Kapitel


Zu Dritt

Ob ich nun wirklich so sehr zu tadeln war und nicht vielmehr Mitleid verdiente, das zu beurteilen, überlasse ich anderen. Mein gesunder Menschenverstand (von dem ich eine gute Portion mitbekommen habe) scheint den Damen gegenüber so ziemlich zu versagen. Kein Zweifel, als ich Catriona weckte, dachte ich in der Hauptsache an die Wirkung auf James More; aus dem nämlichen Grunde benahm ich mich bei meiner Rückkehr, als wir uns alle zum Frühstück niedersetzten, der jungen Dame gegenüber mit ehrerbietiger Zurückhaltung, was, auch heute noch, in meinen Augen das Klügste war. Ihr Vater hatte die Unschuld meiner Freundschaft angezweifelt; diese Zweifel zum Schweigen zu bringen, war meine vornehmste Pflicht. Aber auch zu Catrionas Entschuldigung läßt sich manches anführen. Die Szene zwischen uns war nicht ohne Leidenschaft und Zärtlichkeit gewesen; wir hatten allerlei Liebkosungen getauscht; ich hatte sie mit Gewalt aus dem Zimmer gedrängt, hatte in der Nacht vom Nachbarraume her zu ihr gesprochen; sie hatte stundenlang wach gelegen und geweint, und es ist kaum anzunehmen, daß ich ihren nächtlichen Gedanken ferngeblieben war. Nach allen diesen Dingen wurde sie jetzt mit ungewohnter Förmlichkeit unter der Anrede Miß Drummond geweckt und von da an mit kühler Ehrerbietung behandelt; kein Wunder, daß sie sich in bezug auf meine wahren Gefühle zu gänzlich falschen Schlüssen gedrängt sah und dem schier unfaßlichen Irrtum verfiel, ich bereue mein Verhalten und suche mich jetzt zurückzuziehen. Zwischen uns bestand folgender verhängnisvoller Gegensatz: ich dachte (seitdem mein Blick zum erstenmal auf seinen großen Hut gefallen war) einzig an James More, an seine Rückkehr und an seinen Argwohn, während sie diesen Dingen so völlig gleichgültig gegenüberstand, daß sie sie kaum bemerkte; ihr ganzes Sorgen und Handeln galten dem, was in der verflossenen Nacht zwischen uns vorgefallen war. Das läßt sich teils durch die Unschuld und Kühnheit ihres Charakters, teils durch die Tatsache erklären, daß James More, nachdem er in seiner Unterredung mit mir so schlecht abgeschnitten hatte und seinen Mund durch meine Einladung verschlossen wähnte, kein Wort ihr gegenüber über das Thema fallen ließ. So wurde es schon beim Frühstück klar, daß sie und ich gegeneinander spielten. Ich hatte erwartet, sie in ihren eigenen Kleidern zu finden; ich fand sie (als hätte sie ihren Vater ganz vergessen) in einer der schönsten Toiletten, die ich ihr gekauft hatte, von der sie wußte (oder glaubte), daß ich sie an ihr bewunderte. Ich glaubte und erwartete, sie würde meine Zurückhaltung nachahmen und ungemein kurz und förmlich sein; statt dessen saß sie da mit hochroten Wangen und wilden Blicken; ihre Augen brannten ungewöhnlich hell, der Ausdruck ihres Gesichtes war schmerzlich und unstet, und sie nannte mich in einer Art bittender Zärtlichkeit mit dem Vornamen, kurz, benahm sich in rücksichtsvoller Unterordnung unter all meine Gedanken und Wünsche wie eine besorgte und in ihrer Ehre angezweifelte Gattin. Das dauerte jedoch nicht lange. Als ich sie so achtlos ihren Interessen zuwiderhandeln sah, die ich gefährdet hatte und jetzt zu wahren mich bemühte, verdoppelte ich meine Kälte, wie um dem Mädchen eine Lehre zu geben. Je entgegenkommender sie war, um so zurückhaltender wurde ich; je mehr sie die Intimität unseres Zusammenlebens verriet, um so pointierter wurde meine Höflichkeit, bis selbst ihr Vater (wäre er nicht so vollkommen mit Essen beschäftigt gewesen) diese Abwehr hätte bemerken müssen. Worauf sie ganz plötzlich ihr Benehmen ins Gegenteil verkehrte, und ich mir erheblich erleichtert sagte, daß sie endlich, endlich den Wink begriffen hätte. Den ganzen Tag verbrachte ich im Kolleg und auf der Wohnungssuche; und obwohl die Stunde unseres Spaziergangs elend langsam dahinschlich, muß ich doch gestehen, daß ich im großen und ganzen glücklich war, nun klaren Weg vor mir zu sehen, das Mädchen in den richtigen Händen und den Vater befriedigt oder zum mindesten gefügig zu wissen, während ich selbst in Ehren meine Werbung fortsetzen konnte. Beim Abendessen wie bei allen anderen Mahlzeiten führte James More das Wort. Kein Zweifel, er war ein guter Redner, hätte man nur glauben können. Doch von ihm noch ausführlicher später. Als das Mahl beendet war, erhob er sich, holte seinen Überrock herunter und bemerkte, wobei er mich ansah (wie mich dünkte), er hätte geschäftlich auswärts zu tun. Ich faßte dies als einen Wink auf, gleichfalls zu gehen, und erhob mich auch; worauf das Mädchen, die mich bei meinem Eintritt kaum begrüßt hatte, mich groß ansah, bittend, daß ich bleiben möchte. Da war ich nun zwischen beiden wie ein Fisch auf dem Trockenen; keiner schien mich weiter zu beachten; sie starrte den Fußboden an, er knöpfte seinen Mantel zu; meine Verlegenheit wuchs ins Unermeßliche. Diese scheinbare Gleichgültigkeit deutete ihrerseits auf heftigen, fast unkontrollierbaren Zorn. Von ihm aus schien sie mir entsetzlich beunruhigend; ich war überzeugt, daß sich bei ihm ein Ungewitter zusammenbraute und lieferte mich, da ich diese Gefahr für die größere hielt, sozusagen in seine Hand. »Kann ich irgend etwas für Euch tun, Mr. Drummond?« fragte ich Er unterdrückte ein Gähnen – auch das hielt ich für Schein. »Nun, Mr. David, da Ihr so gütig seid, es vorzuschlagen, könnt Ihr mir den Weg nach einem gewissen Wirtshaus zeigen (er nannte einen Namen), wo ich einige meiner alten Waffenbrüder zu treffen hoffe.« Darauf war nichts zu sagen; ich griff nach Hut und Mantel, um ihn zu begleiten. »Und was dich betrifft,« meinte er, zu seiner Tochter gewandt, »so ist es das Gescheiteste, du legst dich zu Bett. Ich werde spät nach Hause kommen.«

Dann küßte er sie mit ziemlichem Aufwand an Zärtlichkeit und ließ mich vor sich zur Tür hinaus. In meinen Augen geschah das mit Absicht, da auf diese Weise ein Abschiednehmen meinerseits so gut wie unmöglich war; ich bemerkte indes, daß sie mich nicht ansah, und schrieb das ihrer Furcht vor James More zu. Das Wirtshaus lag eine beträchtliche Strecke von unserer Wohnung entfernt. Unterwegs sprach er die ganze Zeit von Dingen, die mich nicht im geringsten interessierten, und entließ mich vor der Tür mit einer leeren Redensart. Von dort ging ich nach meinem neuen Quartier, wo ich nicht einmal einen Kamin, mich zu wärmen, hatte, und keine andere Gesellschaft als meine Gedanken. Diese waren immer noch freundlich genug; ich ahnte auch nicht im Traume, daß Catriona sich gegen mich gewendet hatte; in meinen Augen waren wir verlobt; ich meinte, wir standen zu nahe, hatten zu innig miteinander gesprochen, um durch irgend etwas, am wenigsten aber durch Schritte einer höchst notwendigen Politik, getrennt zu werden. Meine größte Sorge war, welche Art Schwiegervater ich bekommen würde – durchaus nicht die Art, die ich mir gewünscht hatte; dann, wie bald ich wohl mit ihm reden müßte, was in mancher Hinsicht eine delikate Frage war. Erstens einmal errötete ich kopfüber bei dem Gedanken an meine Jugend, fast hätte ich überhaupt nicht fragen mögen; wenn ich die beiden aber ohne Erklärung aus Leyden fortließ, ging mir Catriona vielleicht ganz verloren. Zweitens galt es unsere äußerst irreguläre Lage zu berücksichtigen sowie die etwas magere Genugtuung, die ich James More diesen Morgen geboten hatte. Alles in allem gelangte ich zu dem Schluß, daß ein kleiner Aufschub nichts schaden könnte, obwohl ich nicht zu lange zögern durfte, und kroch übervollen Herzens in mein kaltes Bett.

Den nächsten Tag schien James More mit meinem Zimmer ein wenig unzufrieden, und ich bot ihm an, noch einige Möbel kommen zu lassen; als ich am Nachmittag wieder vorsprach, fand ich Möbelräumer dort, die Tische und Stühle heranschleppten; sonst war Catriona allein. Bei meinem Eintritt grüßte sie mich höflich, zog sich aber sogleich in ihr eigenes Zimmer zurück und schloß hinter sich die Tür. Ich traf meine Dispositionen, bezahlte und entließ die Leute so laut, daß sie es hören konnte, und glaubte, sie würde nun sofort wiederkommen, um mit mir zu sprechen. Ich wartete eine Weile und klopfte dann an ihre Tür.

»Catriona!« rief ich. Die Tür wurde rasch geöffnet, fast noch ehe das Wort heraus war; ich glaube, sie hatte gelauscht. Inzwischen stand sie ganz regungslos mit einem Ausdruck, den ich nicht beschreiben kann, wie ein Mensch in bitterer Seelennot. »Wollen wir auch heute nicht spazierengehen?« stammelte ich. »Ich danke Euch,« entgegnete sie, »mir liegt nicht mehr viel am Spazierengehen, jetzt, da mein Vater zurückgekehrt ist.«

»Aber er ist doch ausgegangen und hat dich allein gelassen«, widersprach ich. »Nennt Ihr das freundlich, so zu sprechen?« forschte sie. »Es war nicht unfreundlich gemeint«, erwiderte ich. »Was fehlt dir überhaupt, Catriona? Was habe ich getan, daß du dich so von mir wendest?«

»Ich wende mich durchaus nicht von Euch ab«, antwortete sie mit sorgfältigster Überlegung. »Ich werde meinem Freunde, der so gut zu mir war, stets dankbar sein; ich werde stets in allem, was mir möglich ist, seine Freundin sein. Aber jetzt, da mein Vater, James More, zurückgekehrt ist, muß wohl ein gewisser Unterschied gemacht werden, und ich glaube, Dinge sind gesagt und getan worden, die man am besten vergißt. Aber ich werde stets, soweit ich kann, Eure Freundin sein, und wenn das nicht genügt … wenn das nicht so viel ist … Aber Euch ist das sicherlich ganz gleich! Ich möchte nur nicht, daß Ihr zu hart von mir denkt. Ihr hattet recht, als Ihr sagtet, ich sei zu jung, um beraten zu werden, und ich hoffe, Ihr werdet nicht vergessen, daß ich ja nur ein Kind war. Ich möchte unter keinen Umständen Eure Freundschaft verlieren.« Sie war sehr bleich zu Beginn dieser Rede; aber noch bevor sie endete, flammte das Blut in ihrem Antlitz scharlachrot, daß nicht nur ihre Worte, nein, auch ihr Gesicht und ihre bebenden Hände um Schonung flehten. Da erkannte ich zum erstenmal, wie groß mein Unrecht war, dieses Kind in eine Lage gebracht zu haben, in der sie sich zu momentanen Schwäche hatte hinreißen lassen, derer sie sich jetzt schämte. »Miß Drummond«, sagte ich und stockte und begann noch einmal mit der gleichen Anrede. Dann rief ich: »O ich wollte, Ihr könntet in mein Herz sehen! Ihr würdet dort lesen, daß meine Achtung ungeschmälert ist. Ja, wenn es möglich wäre, würde ich Euch sagen, daß sie noch gewachsen ist. Das hier ist nur die Folge des Irrtums, dem wir verfielen; es mußte so kommen, und je weniger wir davon reden, um so besser. Von unserem ganzen Leben hier soll nicht eine Silbe über meine Lippen kommen, das verspreche ich Euch; ich wollte, ich könnte Euch auch versprechen, daß ich mit keinem Gedanken mehr daran denken werde, aber die Erinnerung wird mir ewig teuer sein. Und was Euern Freund betrifft, so habt Ihr einen hier, der für Euch sterben würde.«

»Ich danke Euch«, sagte sie. Eine Weile standen wir schweigend, und in meinem Herzen begann das Mitleid mit mir selbst die Oberhand zu gewinnen; waren nicht alle meine Träume hier jämmerlich gescheitert? Hatte ich nicht meine Liebe verloren, und stand ich nicht wieder wie zu Anfang allein in der Welt? »Nun,« sagte ich, »wir werden immer Freunde bleiben, das ist sicher. Aber das hier ist auch eine Art Abschied, es ist wirklich eine Art Abschied; Miß Drummond werde ich immer kennen, aber dies ist der Abschied von meiner Catriona.«

Ich blickte sie an, ich konnte sie kaum sehen, aber sie schien in meinen Augen größer und strahlender zu werden, und damit verlor ich, glaube ich, den Kopf, denn wieder rief ich sie mit Namen und trat mit ausgestreckten Händen einen Schritt auf sie zu. Wie ein Mensch, der einen Schlag empfängt, wich sie vor mir zurück; ihr Gesicht flammte auf, aber das Blut schoß ihr nicht eiliger in die Wangen, als es mir bei ihrem Anblick vor Reue und Kummer aus dem eigenen Herzen wich. Ich fand keine Worte zu meiner Entschuldigung, verneigte mich nur ungemein tief und ging meiner Wege aus dem Hause, den Tod im Busen. Ich glaube, es folgten fünf Tage ohne jede Veränderung. Ich sah sie kaum außerhalb der Mahlzeiten und selbst dann natürlich nur in Gegenwart von James More. Waren wir auch nur einen Augenblick allein, so machte ich es mir zur Pflicht, mich gleichzeitig zurückhaltender denn je zu zeigen und meine höfliche Aufmerksamkeit zu vertausendfachen. Dabei stand mir ständig das Bild des scheu zurückweichenden, schamübergossenen Mädchens vor Augen, und ich empfand in meinem Herzen mehr Mitleid, als ich in Worten ausdrücken kann. Ich selber tat mir auch leid genug, das brauche ich kaum zu sagen – in wenigen Sekunden war ich kopfüber aus allen Himmeln gestürzt; aber wahrhaftig, das Mädchen tat mir fast ebenso leid, zum mindesten leid genug, um zu verhindern, daß ich, außer in wenigen heftigen Momenten, auf sie böse war. Ihre Entschuldigung war wirklich stichhaltig: sie war ja nur ein Kind; man hatte sie in eine schiefe Stellung gebracht; hatte sie sich wirklich in mir und in sich selbst getäuscht, so war das nicht mehr, als man hätte erwarten können. Außerdem war sie jetzt fast ständig allein. Ihr Vater zeigte sich, solange er in ihrer Nähe war, als zärtlicher Vater; aber Geschäfte und Vergnügungen vermochten ihn leicht abzulenken; dann vernachlässigte er das Mädchen ohne weitere Worte oder Zeichen von Reue, verbrachte die Nächte im Wirtshaus – vorausgesetzt, daß er Geld hatte, und das trat häufiger ein, als ich es zu erklären vermochte – und versäumte es in diesen Tagen sogar das eine Mal zum Essen zu erscheinen, so daß Catriona und ich schließlich gezwungen waren, ohne ihn zu speisen. Es war eine Abendmahlzeit, und ich verabschiedete mich, sobald ich gegessen hatte, mit der Bemerkung, sie zöge es vermutlich vor, allein zu sein. Sie stimmte zu, und – sonderbar – ich glaubte es ihr. Ja, ich glaubte, mein Anblick müsse dem Mädchen schmerzlich sein, da er sie an eine momentane Schwäche erinnerte, die sie jetzt verabscheute. So mußte sie ganz allein in dem Zimmer sitzen, wo sie und ich so fröhlich gewesen waren, im Schein jenes Kamins, der so manchen schwierigen und zärtlichen Augenblick bestrahlt hatte. Dort saß sie allein und hielt sich für ein Mädchen, das auf unmädchenhafte Art ihre Liebe angeboten und zurückgewiesen gesehen hätte. Inzwischen saß ich allein an einem andern Ort und hielt mir selbst Strafpredigten (wann immer ich den Zorn in mir aufwallen fühlte) über menschliche Schwäche und weibliche Empfindlichkeit. Und im Großen und Ganzen glaube ich: niemals haben zwei arme Narren sich aus einem größeren Mißverständnis unglücklich gemacht.

Was nun James anbetraf, so schenkte er uns geringere Aufmerksamkeit als seinen eigenen prahlerischen Reden und allen Fragen seines Beutels und seines Magens. Noch vor Ablauf von zwölf Stunden hatte er sich von mir eine kleine Summe Geldes geliehen, noch vor Ablauf von dreißig um eine zweite gebeten und eine Weigerung erhalten. Geld wie Korb nahm er mit der gleichen liebenswürdigen Gutmütigkeit entgegen. Ja, nach außen hin trug er eine Noblesse zur Schau, durchaus geeignet, eine Tochter zu blenden; das Licht, in das er sich durch seine Reden zu stellen pflegte, sowie des Mannes schönes Äußere und Grandseigneurmanieren paßten vortrefflich zueinander. Wer also nichts mit ihm zu tun hatte und entweder geringen Scharfblick oder ein Übermaß von Voreingenommenheit besaß, hätte sich fast düpieren lassen können. Für mich war er nach unseren ersten beiden Unterredungen so klar wie die Lettern eines Buches; ich durchschaute ihn als einen durch und durch egoistischen Menschen, ohne die leiseste Erkenntnis seiner Selbstsucht, und lauschte seinen Aufschneidereien (über seine »Waffen«, über die Tatsache, daß er »ein alter Soldat« und »ein armer Hochlands-Gentleman« sei, und über die »Macht« seines »Vaterlandes« und seiner »Freunde«), wie man dem leeren Geplapper eines Papageien lauscht.

Das Seltsame an der Sache war, daß er, glaube ich, jedesmal, oder doch mitunter, einen Teil dieser Dinge selbst glaubte; ich vermute, er war so bis in die Wurzeln falsch, daß er kaum wußte, wann er log; aufrichtig war er nur in seinen Momenten der Depression. Zuzeiten konnte er das schweigsamste, liebevollste, anschmiegsamste Geschöpf von der Welt sein; dann hielt er wie ein großes Kind Catrionas Hand in der seinen und bettelte, ich solle ihn doch nicht verlassen, wenn ich überhaupt irgendwelche Zuneigung für ihn empfände. Das tat ich nun freilich nicht, hatte dafür aber eine um so stärkere Zuneigung zu seiner Tochter. Er bat, ja flehte, wir möchten ihn doch mit Gesprächen unterhalten, was bei den zwischen uns herrschenden Beziehungen sehr schwierig war, und zuletzt brach er in jämmerliche Klagen um sein Land und seine Freunde oder in irgendein gälisches Lied aus. »Das hier ist eine der melancholischen Weisen meiner Heimat«, pflegte er zu sagen. »Ihr findet es vielleicht seltsam, einen Soldaten weinen zu sehen, und es heißt auch wirklich, Euch eng in mein Vertrauen ziehen. Aber die Musik dieses Liedes ist mir ins Blut übergegangen, und die Worte kommen aus meinem Herzen. Wenn ich an meine roten Berge und an die Wildvögel denke, die dort rufen, und an die stolzen Flüsse, die die Hänge hinuntereilen, so kann ich mich nicht einmal vor meinen Feinden dieser Tränen schämen«. Dann hub er von neuem zu singen an und übersetzte mir Bruchstücke aus dem betreffenden Liede, stotternd und stolpernd und die nachdrücklichste Verachtung für die englische Sprache bezeugend. »An dieser Stelle heißt es, daß die Sonne untergegangen und die Schlacht vorüber ist, und daß die tapferen Häuptlinge alle besiegt sind. Und dann heißt es, daß die Sterne sie in fremde Länder fliehen sehen oder auf sie niederblicken, wie sie tot auf dem roten Berge liegen; und niemals wieder werden sie den Kriegsruf erschallen lassen und ihre Füße in den Flüssen des Tales waschen. Ach, verstündet Ihr nur etwas von jener Sprache, Ihr würdet gleich mir weinen, weil die Worte über jede Wiedergabe erhaben sind und es der reinste Hohn ist, sie Euch auf englisch zu sagen.« Nun, mich dünkte, die ganze Sache entbehrte nicht des Hohnes, so oder so; und doch war einiges echt daran, aus welchem Grunde ich ihn, glaube ich, am meisten haßte. Es schnitt mir ins Herz, Catrionas große Sorge um den alten Gauner zu sehen und zu wissen, daß sie sich um seiner Tränen willen in den Schlaf weinte, da ich überzeugt war, daß die Hälfte seines Kummers vornächtlichen Zechereien in irgendeiner Kneipe entsprang. Manchmal fühlte ich mich versucht, ihm eine runde Summe auszuhändigen und ihn ein für alle mal los zu sein; aber das hätte bedeutet, daß ich auch Catriona losgeworden wäre, wozu ich schwerlich so bereit war. Außerdem ging es gegen mein Gewissen, mein gutes Geld an jemanden zu verschwenden, der so wenig damit umzugehen wußte.

Siebenundzwanzigstes Kapitel


Zu zweit

Ich glaube, es war am fünften Tage – genau weiß ich, daß James an einer seiner Depressionen litt – als ich drei Briefe erhielt. Der erste war von Alan und enthielt die Frage, ob er mich in Leyden besuchen dürfe; die beiden anderen kamen aus Schottland, beide aus dem gleichen Anlaß. Diesen Anlaß bildeten der Tod meines Onkels und mein endgültiger Eintritt in alle meine Rechte. Rankeillors Schreiben bezog sich natürlich ausschließlich auf geschäftliche Dinge; das von Miß Grant war ganz sie selbst, mehr witzig denn weise, voller Vorwürfe wegen meines Schweigens (was hätte ich ihr nur schreiben sollen, bei den Nachrichten, die es zu vermelden gab?) und voller Neckereien über Catriona, die mich, zumal ich den Brief in ihrer Gegenwart las, bis ins Herz trafen. Denn selbstverständlich hatte ich die Briefe in meiner eigentlichen Wohnung vorgefunden, als ich zum Essen dorthin kam; so entfuhren mir meine Neuigkeiten im nämlichen Augenblick, da ich sie las. Sie boten uns alle drei eine willkommene Ablenkung, ohne daß einer von uns die daraus entstehenden schlimmen Folgen geahnt hätte. Der Zufall hatte es so gefügt, daß alle drei Briefe am gleichen Tage eintrafen, und daß sie mir überreicht wurden, als James More im Zimmer war. Von all den Ereignissen, die diesem Zufall entsprangen und die ich hätte verhüten können, hätte ich nur meinen Mund gehalten, kann man daher mit Recht sagen, daß sie vorherbestimmt waren, noch ehe Agricola nach Schottland kam oder Abraham seine Reise antrat. Selbstverständlich öffnete ich als ersten Alans Brief; was war da natürlicher, als daß ich ein Wort über seine Absicht, mich zu besuchen, fallen ließ? Sogleich bemerkte ich, daß James sich gespannt und aufmerksam aufrichtete. »Ist das nicht der Alan Breck, dem man die Schuld an dem Appiner Unglücksfall in die Schuhe schiebt?«

Ich sagte »ja«, es wäre der nämliche, und eine Zeitlang hielt er mich von meinen anderen Briefen ab durch allerlei Fragen über die Art unserer Bekanntschaft, über Alans Leben in Frankreich, von dem ich ja nur sehr wenig wußte, und über den Besuch, den er mir vorgeschlagen. »Wir Verbannten hängen alle ein wenig zusammen,« erklärte er, »außerdem kenne ich den Gentleman; und obwohl seine Abstammung etwas zweifelhaft ist und er in Wahrheit gar nicht das Recht hat, sich den Namen Stuart beizulegen, wurde er bei Drummossie doch sehr bewundert. Er hat sich dort als echter Soldat gezeigt; hätten andere, deren Namen nicht genannt zu werden brauchen, sich ebenso benommen, der Ausgang würde jetzt nicht als so traurig in unserer Erinnerung haften. Zwei Männer haben an jenem Tage ihr Bestes hergegeben; das kittet uns zusammen.« Es fehlte wenig, und ich hätte ihm die Zunge gezeigt; fast hätte ich wünschen mögen, Alan wäre da gewesen, um ihn über die Bemerkung betreffs seiner Abstammung etwas genauer zur Rede zu stellen (obschon man mir sagt, daß sie wirklich nicht ganz einwandfrei ist). Inzwischen hatte ich Miß Grants Brief geöffnet und konnte mich eines Ausrufs nicht enthalten.

»Catriona,« rief ich – zum erstenmal seit ihres Vaters Rückkehr vergaß ich einen Schnörkel hinzuzufügen – »ich bin endlich zu meinem Eigentum gekommen, jetzt bin ich wirklich Gutsherr von Shaw – mein Onkel ist gestorben.« Sie klatschte in die Hände und sprang von ihrem Sitz auf. Im nächsten Augenblick muß es uns beiden wohl klar geworden sein, wie wenig Grund zur Freude wir noch hatten, und wir starrten einander traurig an. Aber James zeigte sich als vollendeter Heuchler. »Meine Tochter,« sagte er, »ist das ein Benehmen, wie meine Base es dich gelehrt hat? Mr. David hat einen nahen Freund verloren; wir sollten ihm vor allem zu seinem Verlust unser Beileid aussprechen.« »Bei Gott, Sir,« erwiderte ich, mich in einer Art Zorn gegen ihn wendend, »ich bring’s nicht fertig, Fratzen zu schneiden. Sein Tod bedeutet für mich eine so freudige Nachricht, als ich nur je empfangen werde.« »Eine wackere Soldatenphilosophie«, meinte James. »’S ist der Weg allen Fleisches; wir müssen alle, alle sterben. Und wenn der betreffende Gentleman wirklich so wenig Eure Gunst genoß – nun, dann habt Ihr recht! Aber wir dürfen Euch doch wenigstens zum Antritt Eures Erbes beglückwünschen?«

»Das will ich auch nicht sagen«, entgegnete ich nicht minder eifrig. »Es ist zwar ein stattlicher Besitz; aber was hat das für einen Junggesellen, der bereits sein Auskommen hat, zu bedeuten? Da ich sparsam bin, genügte mir meine Rente bisher vollauf; außer durch den Tod dieses Mannes – der mich freut, zu meiner Schande sei’s gesagt! – kann ich nicht finden, daß irgend jemand durch diese neuen Verhältnisse gewinnt.« »Pah, pah,« sagte er, »Ihr seid tiefer gerührt, als Ihr zugeben wollt, sonst würdet Ihr Euch nicht für so einsam erklären. Hier sind drei Briefe; das bedeutet, daß Euch drei Menschen wohlwollen, und ich kann allein in diesem Zimmer noch zwei weitere nennen. Ich kenne Euch erst kurze Zeit, aber Catriona wird, wenn wir allein sind, nicht müde, Euer Lob zu singen.« Der Blick, den sie ihm bei diesen Worten zuwarf, war ein wenig wild, und er glitt sofort in ein anderes Thema hinüber: den Umfang meiner Besitzungen. Dieser Gegenstand beschäftigte ihn den größten Teil des Mahles lebhaft. Aber seine Heuchelei war ganz umsonst; er hatte allzu plump an der Angelegenheit gerührt, ich wußte, was mir bevorstand. Das Essen war kaum vorüber, als er ganz offen seine Karten aufdeckte. Er erinnerte Catriona an einen Auftrag, den sie zu erledigen hatte, und hieß sie gehen. »Ich glaube nicht, daß du länger als eine Stunde fort sein wirst, und Freund David wird die Güte haben, mir bis zu deiner Rückkehr Gesellschaft zu leisten.« Sie beeilte sich, ihm schweigend zu gehorchen. Ich weiß nicht, ob sie ihn verstand, glaube es aber nicht; ich war mir dagegen vollständig im Klaren und stählte mich innerlich gegen das, was nun folgen mußte.

Kaum war die Tür hinter ihr ins Schloß gefallen, als er sich in seinen Stuhl zurücklehnte und sich mit affektierter Leichtigkeit an mich wandte. Eines nur verriet ihn: sein Gesicht, das plötzlich über und über von kleinen Schweißperlen glänzte.

»Ich bin recht froh, ein Wort mit Euch allein zu sprechen, weil in unserer ersten Unterredung einige Ausdrücke fielen, die Ihr mißverstanden habt und die ich lang schon aufzuklären beabsichtigte. Meiner Tochter Ehre ist über jeden Zweifel erhaben. Die Eure auch; ich bin bereit, das mit meinem Degen gegen alle Widersacher zu bezeugen. Aber, mein lieber David, diese Welt ist eine tadelsüchtige Welt – wer wüßte das besser als ich, der ich seit dem Tode meines seligen Vaters – Gott schenk ihm die ewige Ruh! – geradezu in einem Meer von Verleumdungen gewatet habe? Wir müssen dem entgegentreten; Ihr und ich müssen das berücksichtigen; wir müssen das berücksichtigen.« Hier schüttelte er sein Haupt mit der Miene eines Geistlichen auf der Kanzel. »Inwiefern, Mr. Drummond?« fragte ich. »Ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr zur Sache sprechen wolltet.« »Ha, ha,« meinte er lachend, »das sieht Euch wahrhaftig ähnlich! Das ist gerade der Charakterzug, den ich am meisten an Euch bewundere. Aber die Sache, mein guter Junge, ist ein wenig heikel.« Er schenkte sich ein Glas Wein ein. » Obwohl es natürlich zwischen guten Freunden, wie wir es sind, gar nicht vieler Worte bedarf. Die Sache betrifft, wie ich Euch wohl kaum erst zu sagen brauche, meine Tochter. Vorausschicken möchte ich, daß ich Euch keineswegs tadele. Unter den damaligen unglücklichen Verhältnissen konntet Ihr wirklich kaum anders handeln. Ich wüßte wahrhaftig nicht, wie Ihr sonst hättet handeln sollen.« »Ich danke Euch für dieses Wort«, sagte ich, scharf auf dem Quivive. »Ich habe außerdem Euren Charakter studiert«, fuhr er fort. »Eure Talente sind recht anständig; Ihr scheint ein mäßiges Auskommen zu besitzen, was nie schaden kann; kurz, alles in allem bin ich sehr froh, Euch mitteilen zu können, daß ich mich für den zweiten der beiden mir offenstehenden Wege entschieden habe.« »Ich fürchte, ich bin ein wenig schwer von Begriff«, sagte ich. »Von welchen Wegen redet Ihr?«

Er runzelte ungemein drohend die Stirn und schlug die Beine übereinander. »Sir,« sagte er, »ich glaube, ich brauche sie einem Gentleman Eures Standes nicht erst zu beschreiben: entweder ich schneide Euch den Hals durch oder Ihr heiratet meine Tochter.«

»Endlich habt Ihr die Gewogenheit, Euch deutlich auszudrücken«, bemerkte ich. »Ich glaube, ich war von Anfang an recht deutlich«, rief er polternd. »Ich bin ein fürsorglicher Vater, Mr. Balfour, aber, Gott sei Dank, ein geduldiger, bedachtsamer Mann. Manch ein Vater, Sir, hätte Euch auf der Stelle entweder zum Altar oder auf den Kampfplatz geschleppt. Meine Achtung vor Eurem Charakter …« »Mr. Drummond,« unterbrach ich ihn, »wenn Ihr überhaupt irgendwelche Achtung vor mir habt, bitte ich Euch, Eure Stimme zu dämpfen. Es ist vollkommen überflüssig, einen Gentleman, der im selben Zimmer mit Euch sitzt und der Euch seine volle Aufmerksamkeit schenkt, derart anzufahren.«

»Wahr, wahr«, sagte er, sofort in einen anderen Ton verfallend. »Ihr müßt die Aufregung eines Vaters entschuldigen.« »Ich habe also zu verstehen,« fuhr ich fort – »ich ignoriere die zweite Alternative, die zu erwähnen vielleicht bedauerlich war – ich habe zu verstehen, Ihr würdet mich, für den Fall, daß ich Euch um Eurer Tochter Hand bitte, unterstützen?«

»Unmöglich könnte man meine Absicht besser ausdrücken«, sagte er. »Ich sehe, wir werden uns noch trefflich verstehen.« »Das bleibt abzuwarten«, entgegnete ich. »Aber ich brauche kein Geheimnis draus zu machen, daß ich der betreffenden Dame die zärtlichsten Gefühle entgegenbringe; selbst im Traume vermöchte ich mir kein größeres Glück vorzustellen, als ihr Gatte zu werden.« »Ich wußte es ja, ich war Eurer sicher, David«, rief er und streckte mir die Hand entgegen.

Ich übersah sie. »Ihr geht zu schnell, Mr. Drummond«, sagte ich. »Es sind da noch einige Bedingungen zu erfüllen; auf meinem Wege liegt ein Hindernis, von dem ich augenblicklich nicht sehe, wie wir es überwinden wollen. Ich habe Euch gesagt, daß meinerseits kein Bedenken gegen die Heirat vorliegt, aber ich habe guten Grund zu glauben, daß auf Seiten der jungen Dame um so größere bestehen.«

»Das steht nicht zur Diskussion,« sagte er, »ich verbürge mich für ihr Jawort.« »Ich glaube, Ihr vergeßt, Mr. Drummond,« warf ich ein, »daß Ihr Euch bereits in den Verhandlungen mit mir zu zwei, drei unschmackhaften Ausdrücken habt hinreißen lassen. Ich dulde es nicht, daß Ihr ähnliche der jungen Dame gegenüber gebraucht. Ich stehe hier, um für uns beide zu sprechen und zu denken, und gebe Euch hiermit zu verstehen, daß ich ebensowenig gestatten würde, mir ein Weib aufzuzwingen, wie ich erlaube, daß man mich als Gatte einer jungen Dame aufoktroyiert.«

Er saß und starrte mich finster an, wie jemand, der mit Zweifel und heftigem Zorne kämpft.

»So stehen also die Dinge«, schloß ich. »Ich will Miß Drummond heiraten, und zwar mit größter Freude, vorausgesetzt, sie ist aus freien Stücken dazu bereit. Falls aber auch nur der geringste Widerstand von ihrer Seite besteht, wie ich Grund zu befürchten habe – werde ich sie um keinen Preis der Welt heiraten.« »Pah, pah,« meinte er, »die Sache ist eine Lappalie. Sobald sie zurückkehrt, werde ich sie ein wenig sondieren und hoffe, Euch dann versichern zu können –« Ich unterbrach ihn abermals. »Ihr rührt keinen Finger, Mr. Drummond, sonst ziehe ich mich zurück und Ihr könnt Eurer Tochter einen Gatten suchen, wo es Euch beliebt. Ich bin in diesem Falle der einzige Handelnde und Richtende. Ich werde mich peinlichst von dem Tatbestand überzeugen; kein anderer darf sich einmischen – Ihr selbst am allerwenigsten.«

»Auf mein Wort, Sir,« rief er laut, »wer seid Ihr denn, darüber zu urteilen?« »Der Bräutigam, wie ich glaube«, antwortete ich.

»Das ist Wortfechterei«, rief er von neuem. »Ihr kehrt den Tatsachen den Rücken. Dem Mädchen, meiner Tochter, bleibt keine Wahl. Ihre Reputation ist hin.« »Vergebung,« sagte ich, »solange die Angelegenheit zwischen ihr und Euch und mir ein Geheimnis bleibt, ist das keineswegs der Fall.« »Und welche Sicherheit habe ich?« meinte er heftig. »Soll ich meiner Tochter Ruf von einem Zufall abhängig machen?« »Ihr hättet früher daran denken sollen,« erwiderte ich, »bevor Ihr so irregeleitet ward, sie zu verlieren, nicht jetzt, da alles viel zu spät ist. Ich lehne es ab, in irgendeiner Weise die Verantwortung für Eure Nachlässigkeit zu tragen und lasse mich von keinem Menschen auf der Welt schuriegeln. Mein Beschluß steht unerschütterlich fest; komme was da wolle, ich weiche auch nicht um Haaresbreite von ihm ab. Ihr und ich werden bis zu Eurer Tochter Rückkehr hier zusammen auf sie warten; dann werden sie und ich, ohne Wort oder Blick von Euch, zusammen fortgehen, um uns auszusprechen. Wenn sie mich von ihrer Bereitwilligkeit zu einem derartigen Schritt überzeugt, werde ich ihn tun; andernfalls tue ich ihn nicht.« Er sprang, wie von einer Hornisse gestochen, von seinem Sitz auf. »Ich durchschaue Euer Manöver,« schrie er, »Ihr wollt sie dazu bewegen, nein zu sagen!« »Vielleicht ja, vielleicht nein«, antwortete ich. »Es bleibt aber bei dem, was ich sage.« »Und wenn ich mich weigere?« schrie er. »Dann, Mr. Drummond, wird es wohl zum Halsdurchschneiden kommen müssen.« Angesichts der Größe des Mannes, seiner gewaltigen Armlänge, in der er seinem Vater kaum nachstand, und seines Ruhmes als Fechter, sprach ich diese Worte nicht ohne geheime Angst. Dazu kam noch, daß er Catrionas Vater war. Aber ich hätte mir meine Befürchtungen ersparen können. Aus der Armseligkeit meiner Behausung – seiner Tochter Kleider, die ihm ja alle gleich neu waren, schien er überhaupt nicht bemerkt zu haben – und aus meiner Abneigung, ihm Geld zu borgen, hatte er eindeutig auf meine Armut geschlossen. Die unerwartete Nachricht von meinem Erbe überzeugte ihn von seinem Irrtum, und er hatte bei allen seinen neuen Versuchen nur das eine Ziel im Auge, an das er sich jetzt so fest klammerte, daß ich glaube, er hätte alles in der Welt eher getan, als mit mir gefochten. Eine kleine Weile fuhr er noch fort, mit mir zu disputieren, bis es mir endlich gelang, ihn durch ein Wort zum Schweigen zu bringen.

»Wenn Ihr so abgeneigt seid, mich mit der Dame allein sprechen zu lassen, muß ich annehmen, Ihr habt guten Grund zu glauben, ich hätte mit meinen Befürchtungen recht.«

Er murmelte irgendeine Ausflucht.

»Aber all das stellt unser beider Geduld auf eine harte Probe«, fügte ich hinzu; »ich denke daher, es ist vernünftiger, wir bewahren jetzt ein taktvolles Schweigen.« Das taten wir auch, bis das Mädchen zurückkehrte, und nahmen uns dabei vermutlich recht lächerlich aus; nur war niemand da, uns zu beachten.

Achtundzwanzigstes Kapitel


In welchem ich allein gelassen werde

Ich öffnete Catriona die Tür und hielt sie auf der Schwelle an. »Euer Vater wünscht, daß wir unseren Spaziergang machen.« Sie blickte zu James More hinüber, er nickte, und wie ein gut disziplinierter Soldat wandte sie sich, um mit mir zu gehen. Wir wählten einen unserer alten Wege, den wir schon so oft gegangen waren in einem Glück, wie ich es gar nicht beschreiben kann. Ich ging einen halben Schritt hinterdrein, so daß ich sie ungestört beobachten konnte. Das Poch, Poch, Poch ihrer kleinen Schuhe auf dem Pflaster klang ungemein hübsch und traurig zugleich; und mich dünkte er seltsam, dieser Augenblick, da ich sowohl dem Anfang wie dem Ende so nahe war und gleichsam zwischen zwei Schicksalen wandelte, ohne zu wissen, ob ich diese Schritte zum letztenmal hörte, oder ob ihr Klang mit und neben mir eilen würde mein Leben lang, bis der Tod uns schied. Sie vermied es, mich anzusehen und ging nur vor mir her wie jemand, der weiß, was kommt. Ich erkannte, daß ich zu ihr sprechen müßte, bevor mich mein Mut ganz verließ, aber ich wußte nicht, wo anfangen. In dieser peinlichen Lage, da das Mädchen mir gleichsam mit Gewalt in die Arme gezwungen wurde, und in Anbetracht ihrer Bitte um Schonung schien jeder übermäßige Druck unehrenhaft; und doch mußte es allzu kalt anmuten, wenn ich jeglichen Druck vermied. Zwischen diesen beiden Extremen schwankte ich hilflos hin und her; ich hätte mir vor Verzweiflung die Finger zerbeißen mögen, und als ich endlich doch ein Wort über die Lippen brachte, sprach ich sozusagen ohne Überlegung, auf gut Glück. »Catriona,« sagte ich, »ich bin in einer sehr peinlichen Lage; wir beide sind es. Ich wäre Euch zu sehr großem Danke verpflichtet, wenn Ihr mir versprechen wolltet, mich ausreden zu lassen und mich nicht zu unterbrechen.« Sie gab mir schlicht das Versprechen.

»Ja,« sagte ich, »was ich sagen muß, fällt mir sehr schwer; ich weiß auch ganz genau, daß ich eigentlich gar kein Recht zu reden habe. Nach allem, was vorigen Freitag zwischen uns vorgefallen ist, habe ich kein Recht mehr dazu. Wir sind in einen solchen Wirrwarr hineingeraten (einzig durch meine Schuld), daß Schweigen das Mindeste ist, was man von mir verlangen kann, und ich hatte auch die redliche Absicht zu schweigen; nichts lag mir ferner, als Euch noch einmal zu beunruhigen. Aber, Liebe, das Reden ist nun zur Notwendigkeit geworden – es gibt keine andere Möglichkeit. Seht Ihr, inzwischen ist mir auch mein Erbe zugefallen, wodurch ich eine bessere Partie geworden bin und, – und die ganze Sache sieht überhaupt nicht mehr so lächerlich aus wie früher. Außerdem behauptet man, unsere ganze Angelegenheit sei so verwickelt (wie ich vorhin schon sagte), daß es besser wäre, wenn wir es dabei bewenden ließen. Meiner Ansicht nach hat man diesen Teil der Sache ungeheuer übertrieben, und ich würde, wenn ich an Eurer Stelle wäre, keine zwei Gedanken mehr daran verschwenden. Es ist aber nur recht, wenn ich es Euch gegenüber erwähne, da es James More zweifellos beeinflußt. Dann meine ich auch, wir wären gar nicht so unglücklich gewesen, als wir noch zusammen lebten. Ich meine, wir sind doch recht gut miteinander ausgekommen. Wenn Ihr nur einen Blick in die Vergangenheit werfen wolltet, Liebe, – «

»Ich will weder in die Vergangenheit noch in die Zukunft blicken,« unterbrach sie mich. »Sagt mir nur das eine: ist dies meines Vaters Werk?«

»Er billigt es,« sagte ich, »er billigt es, daß ich um Eure Hand anhalte.« Gleichzeitig wollte ich mit einem stärkeren Appell an ihr Gefühl fortfahren, als sie mir, ohne darauf zu achten, das Wort abschnitt.

»Er hat es Euch befohlen!« rief sie, »es nützt nichts, daß Ihr leugnet; Ihr sagtet selbst, nichts hätte Euch ferner gelegen. Er hat es Euch befohlen!«

» Er hat als erster davon geredet, wenn Ihr das meint,« hub ich an. Sie ging jetzt ein wenig rascher und starrte gerade vor sich hin; bei meinen Worten stieß sie einen leisen, unartikulierten Laut aus, und ich glaubte zuerst, sie würde davonlaufen. »Ohne das hätte ich nach dem, was Ihr mir letzten Freitag sagtet, gar nicht erst lange gefragt,« fuhr ich fort; »aber als er mich darum ersuchte – was konnte ich wohl anders tun?«

Sie hielt inne und drehte sich nach mir um. »Jedenfalls ist die Frage mit ›Nein‹ beantwortet, und damit hat’s ein Ende.« Und sie begann von neuem vorwärts zu eilen.

»Ich hätte mir ja denken können, daß es nicht anders möglich sei«, sagte ich, »aber ich finde, Ihr könntet, nun alles wirklich endgültig aus ist, ein wenig freundlicher sein. Ich verstehe nicht, weshalb Ihr so hart seid. Ich habe Euch sehr lieb gehabt, Catriona – was schadet es, wenn ich Euch zum letztenmal so nenne. Ich habe getan, was in meinen Kräften stand, ich versuche immer noch das Gleiche zu tun, und bedauere nur, daß ich nicht mehr zu tun vermag. Ich wundere mich, daß es Euch Freude macht, hart gegen mich zu sein.« »Ich denke nicht an Euch«, sagte sie, »ich denke nur an jenen Mann, meinen Vater.«

»Nun, auch in dieser Richtung kann ich Euch helfen; ich muß Euch sogar helfen. Es ist durchaus notwendig, Liebe, daß wir uns über Euern Vater beraten; so, wie unsere Unterredung geendet hat, wird James More sehr zornig werden.« Sie hielt noch einmal inne. »Ist es, weil ich meine Ehre verloren habe?« fragte sie.

»Das ist seine Art, die Sache zu sehen,« entgegnete ich, »aber ich sagte Euch ja bereits, Ihr solltet Euch nicht dran kehren.« »Mir ist es ganz gleich«, rief sie. »Ich freue mich, daß ich entehrt bin.« Ich wußte nicht recht, was ich darauf sagen sollte und schwieg.

Nach diesem letzten Ausruf schien sie heftig mit sich zu ringen, dann brach es aus ihr hervor: »Was soll das überhaupt heißen? Wie kommt es, daß solche Schande auf mein Haupt gehäuft wird? Wie konntet Ihr es nur wagen, David Balfour?«

»Liebe«, sagte ich, »was sollte ich denn tun?«

»Ich bin nicht Eure Liebe«, protestierte sie. »Ich verbiete Euch, mir derartige Namen zu geben.«

»Ich dachte im Augenblick nicht an meine Worte«, sagte ich. »Mir blutet das Herz, Miß Drummond. Was immer ich auch sage, seid überzeugt, ich habe volles Mitgefühl mit Eurer schwierigen Lage. Aber ich möchte, daß Ihr wenigstens eine Sache im Auge behaltet, wenn auch nur so lange, bis wir sie in Ruhe besprochen haben: es wird zu Hause einen heftigen Zusammenstoß geben. Nehmt mein Wort dafür: wir beide müssen zusammenhalten, wenn wir diese Affäre in Frieden beilegen wollen.« »Ja«, sagte sie. Auf ihre beiden Wangen trat ein roter Fleck. »Wollte er sich mit Euch duellieren?«

»Ja, das wollte er,« antwortete ich.

Das Lachen, das sie hervorstieß, war furchtbar. »Das hat nur noch gefehlt!« rief sie. Und dann zu mir gewandt: »Mein Vater und ich sind ein sauberes Paar, aber ich danke dem lieben Gott, daß einige noch schlimmer sind als wir. Ich danke dem lieben Gott, daß er mich Euch hat so sehen lassen. Auf der ganzen Welt lebt kein Mädchen, das Euch nicht verachten müßte.« Ich hatte ziemlich viel in Geduld über mich ergehen lassen, aber das schoß über das Ziel.

»Ihr habt kein Recht, so zu mir zu sprechen. Was habe ich Euch anderes als Gutes getan – oder doch zu tun versucht? Ist das hier der Dank? Oh, das ist wirklich zu viel.«

Sie sah mich immer noch mit bösem Lächeln an. »Feigling!« sagte sie.

»Das Wort in Eure und Eures Vaters Kehle!« schrie ich. »Ich habe ihm heute schon einmal getrotzt, um Euretwillen; ich werde ihm auch ein zweites Mal trotzen, dem stinkenden alten Iltis; komme, was da mag! Zurück mit Euch ins Haus; ich habe genug von Euch allen, genug von Eurer ganzen sauberen Hochlandsbande! Paßt auf, wie Euch zumute sein wird, wenn ich erst tot bin.«

Sie schüttelte den Kopf und sah mich immer noch mit dem gleichen Lächeln an; ich hätte sie schlagen mögen. »So ist’s recht; lächelt nur immer weiter! Ich habe Euren sauberen Vater heute schon einmal lächeln sehen, aber nachher hat er’s bereut. Nicht, daß er etwa Angst hatte,« fügte ich hastig hinzu; »aber er zog den anderen Weg vor.«

»Was soll das heißen?« fragte sie.

»Ich habe ihn gefordert.«

»Ihr habt James More gefordert?«

»Jawohl, und er hatte höchst wenig Lust zu kämpfen; wäre ich sonst hier?«

»Dahinter steckt etwas«, beharrte sie. »Was wollt Ihr damit sagen?«

»Er wollte Euch zwingen, mich zu heiraten,« erwiderte ich, »und ich wollte es nicht dulden. Ich sagte, Ihr solltet frei sein, und ich müßte Euch allein sprechen; freilich, daß es so kommen würde, ahnte ich nicht! ›Und wenn ich mich nun weigere?‹ sagte er. – ›Dann muß es wohl zum Halsabschneiden kommen‹, sagte ich. ›Ich dulde ebensowenig, daß man jener jungen Dame einen Gatten aufoktroyiert, wie ich mir ein Weib aufzwingen lasse.‹ Das waren meine Worte, die Worte eines Freundes; teuer habe ich dafür bezahlen müssen. Nun Ihr mich aus freien Stücken ausgeschlagen habt, lebt in den ganzen Hochlanden, ja in der weiten Welt kein Vater, der diese Heirat erzwingen könnte. Ich werde sorgen, daß Eure Wünsche respektiert werden; ich werde das zu meiner Aufgabe machen, wie ich es die ganze Zeit über getan habe. Aber ich finde, Ihr hättet den Anstand haben können, ein wenig Dankbarkeit zu zeigen. Wahrhaftig, ich glaubte, Ihr kenntet mich besser. Ich habe nicht immer richtig an Euch gehandelt, aber das war nur Schwäche. Und jetzt haltet Ihr mich für einen Feigling – für einen solchen Feigling, daß – nein, Mädel, das ist das Letzte!«

»Davie,« rief sie, »wie konnte ich das ahnen? Oh, dies ist eine schreckliche Geschichte! Ich und meine Sippe –« sie stieß bei dieser Bezeichnung einen leisen, verzweifelten Schrei aus – »ich und meine Sippe sind nicht wert, das Wort an Euch zu richten. Oh, ich möchte hier auf der Straße niederknien und Euch die Hände küssen und um Vergebung flehen!« »Lieber behalte ich die Küsse, die ich schon habe«, rief ich. »Lieber behalte ich die, die ich selber begehrte und die mir etwas wert schienen; ich will nicht aus Reue geküßt werden.«

»Was denkt Ihr nur von mir unglücklichem Mädchen!«

»Das gerade versuche ich ja, Euch die ganze Zeit über klarzumachen! Das beste ist, Ihr laßt mich allein – Ihr habt mich schon so unglücklich gemacht, daß Ihr mich nicht unglücklicher machen könnt – und wendet Eure Aufmerksamkeit James More, Eurem Vater, zu, mit dem Ihr noch ein nettes Hühnchen zu rupfen haben werdet.«

»Oh, daß ich allein mit einem solchen Manne in die Welt ziehen muß!« schrie sie – dann schien sie sich mit aller Macht zusammenzuraffen. »Aber gebt Euch meinetwegen keine weitere Mühe. Er weiß nicht, welch eine Natur in meinem Herzen lebt. Er soll mir diesen Tag noch teuer bezahlen. Teuer, teuer soll er ihn bezahlen!«

Sie wandte sich, um nach Hause zu gehen, und ich begleitete sie. Da hielt sie inne.

»Ich will alleine gehen. Ich muß ihn allein sprechen.«

Eine Weile noch rannte ich zornwütig durch die Straßen; ich sagte mir immer wieder, in der ganzen Christenheit gäbe es keinen Burschen, dem man wie mir derartiges Unrecht getan. Zorn würgte mich; vergeblich holte ich tief Atem; mir schien, in ganz Leyden gäbe es nicht genug Luft, um mich zu befriedigen; ich glaubte, ich müßte bersten, gleich einem Menschen auf dem Grunde der See. Dann blieb ich wohl eine Minute lang an irgendeiner Straßenecke stehen und lachte so laut vor mich hin, daß einer der Vorübergehenden mir einen Blick zuwarf und mich wieder zur Besinnung brachte.

»Nun,« dachte ich, »ich bin lange genug der Pinsel und der Gimpel und der blöde Hans gewesen. Hohe Zeit, daß das vorüber ist. Das war eine gute Lehre, in Zukunft das verfluchte Weibergeschlecht zu meiden, das schon von Anbeginn des Mannes Verderb war und bis an das Ende der Welt sein Verderb sein wird. Gott weiß es, eh ich sie sah, war ich glücklich genug; Gott weiß es, ich kann mich glücklich preisen, daß ich sie losgeworden bin.«

Das schien mir jetzt die Hauptsache: sie mußten fort. Leidenschaftlich klammerte ich mich an diese Idee und glitt bald darauf mit einer gewissen boshaften Genugtuung zu dem Gedanken über, wie erbärmlich es ihnen gehen würde, wenn sie nicht länger Davie Balfour als Milchkuh hätten, worauf – zu meiner größten Überraschung – mein ganzes Empfinden sich plötzlich auf den Kopf stellte. Ich war immer noch zornig; ich haßte sie – aber – ich schuldete es mir selbst, daß Catriona keinen Mangel litt.

Das führte mich auf dem geradesten Wege nach Hause zurück, wo ich die Koffer bereits fertig verschnürt vor der Tür stehen fand. Das Verhalten von Vater und Tochter verriet deutlich einen erst kürzlich stattgefundenen Streit. Catriona glich einer hölzernen Puppe; James More atmete schwer, sein Gesicht zeigte ein fleckiges Weiß, und er blickte schielend zur Seite. Bei meinem Eintritt sah ihn das Mädchen finster, klar und fest an; es war ein Blick, wie er einem Schlag hätte vorausgehen können, ein Wink, verächtlicher als ein Befehl, und zu meiner Überraschung gehorchte James More. Es war klar, er hatte in der Unterredung seinen Meister gefunden; ich erkannte, in dem Mädchen steckte ein stärkerer Teufel als ich geahnt hatte, und in ihm mehr Gutmütigkeit, als ich ihm zuzusprechen willens gewesen war.

Er machte wenigstens den Versuch, zu reden, offenbar nach einem fertig eingetrichterten Konzept, wobei er mich Mr. Balfour nannte, aber er kam nicht sehr weit; bei dem ersten sonoren Anschwellen seiner Stimme schnitt ihm Catriona das Wort ab.

»Ich will Euch sagen, was James More meint. Er meint, wir sind als Bettler zu Euch gekommen und haben uns Euch gegenüber nicht gut benommen, und wir schämen uns unserer Undankbarkeit und unseres schlechten Verhaltens. Jetzt wollen wir weggehen und wollen, daß Ihr uns vergeßt; und mein Vater hat sein Hab und Gut so schlecht verwaltet, daß wir nicht einmal dies tun können, wenn Ihr uns nicht weitere Almosen gebt. Denn das und nichts anderes sind wir: Bettler und Schnorrer.«

»Mit Eurer Erlaubnis, Miß Drummond,« sagte ich, »ich möchte Euren Vater allein sprechen.«

Sie ging in ihr eigenes Zimmer und schloß ohne ein Wort oder einen Blick die Tür.

»Ihr müßt sie entschuldigen, Mr. Balfour«, sagte James More. »Sie besitzt kein Zartgefühl.«

»Ich bin nicht hier, um das mit Euch zu erörtern,« sagte ich, »sondern um Euch loszuwerden. Zu diesem Zwecke muß ich von Eurer Lage reden. Mr. Drummond, ich habe den Stand Eurer Geschäfte genauer im Auge behalten, als es in Eurer Absicht lag. Ich weiß, Ihr besaßet eigenes Geld, als Ihr von mir Geld borgtet. Ich weiß, Ihr habt seit Eurem Aufenthalt hier in Leyden noch mehr Geld in die Hand bekommen, obwohl Ihr es vor Eurer Tochter verheimlichtet.«

»Ich warne Euch, nehmt Euch in acht! Ich lasse mir eine derartige Behandlung nicht mehr gefallen«, brach er los. »Ich habe Euch beide satt. Was ist das für ein verdammter Beruf, Vater zu sein! Man hat mir gegenüber Ausdrücke gebraucht –« er verstummte. »Sir, das hier ist das Herz eines Soldaten und eines Vaters,« fuhr er fort, die Hand auf den Busen legend, »man hat es in dieser doppelten Eigenschaft geschändet – ich warne Euch, seid auf der Hut.«

»Hättet Ihr mich ausreden lassen,« erwiderte ich, »Ihr würdet bald gemerkt haben, daß es Euer Schaden nicht gewesen wäre.«

»Mein teurer Freund,« rief er, »ich weiß, ich weiß, ich hätte mich auf Eure Großmut verlassen sollen.«

»Mann, wollt Ihr mich endlich ausreden lassen? Tatsache ist, ich kann nicht dahinter kommen, ob Ihr reich oder arm seid. Aber ich habe so die Vermutung, daß Eure Mittel, da sie aus geheimer Quelle stammen, nicht gerade sehr reichlich sind, und ich will nicht, daß Eurer Tochter irgend etwas mangelt. Wenn ich es wagen würde, mit ihr selbst zu reden, Ihr könntet sicher sein, ich würde Euch nie und nimmer etwas anvertrauen, denn ich kenne Euch wie meine eigene Hand, und Euer prahlerisches Geschwätz ist wie Wind in meinen Ohren. Ich glaube aber, daß Ihr auf Eure Weise trotz allem noch an Eurer Tochter hängt; und ich muß mich mit dem zufrieden geben.«

Dann vereinbarte ich mit ihm, daß er mich regelmäßig von Catrionas Adresse und Befinden unterrichten solle und setzte ihm als Entgelt ein kleines Stipendium aus.

Er verfolgte die ganze Sache mit großem Eifer bis zum Abschluß und rief, als wir uns geeinigt hatten: »Mein teurer Freund, mein lieber Sohn, das sieht Euch ähnlicher als alles andere! Ich werde Euch mit soldatischer Treue –«

»Kein Wort mehr!« sagte ich. »Ihr habt es so weit gebracht, daß mich bei der Bezeichnung Soldat bereits der Ekel würgt. Unser Handel ist erledigt; ich gehe jetzt fort und komme in einer halben Stunde wieder; bis dahin erwarte ich, daß Ihr meine Räume von Eurer Gegenwart gesäubert haben werdet.« Ich ließ ihnen gehörige Zeit; ich hatte nur die einzige Furcht, Catriona von neuem zu begegnen, denn Tränen und Schwäche lauerten in meinem Herzen, und ich hegte und pflegte meinen Zorn wie eine große Auszeichnung. Rund eine Stunde verstrich; die Sonne war untergegangen und eine schmale, junge Mondsichel reiste ihr über einen Hintergrund scharlachfarbener Abendröte nach; im Osten begannen bereits einige Sterne aufzusteigen, und Nacht blaute in meinen Räumen, als ich sie endlich von neuem betrat. Ich zündete eine Kerze an und musterte die Zimmer. Im ersten war nichts geblieben, das auch nur eine Erinnerung an die Entschwundenen hätte wachrufen können; aber in dem zweiten entdeckte ich in einem Winkel am Fußboden einen kleinen Haufen Sachen, bei dessen Anblick mir der Herzschlag stockte. Sie hatte alles, was ich ihr je geschenkt, bei ihrer Abreise zurückgelassen. Das war der Schlag, der mich am stärksten traf, vielleicht, weil es der letzte war. Ich warf mich über diesen Haufen Kleider zu Boden und benahm mich törichter, als ich hier eingestehen möchte.

Spät in der Nacht, bei eisigem Frost und mit klappernden Zähnen, gewann ich genügend Selbstbeherrschung zurück, um ein wenig nachdenken zu können. Der Anblick dieser armen Kleider und Bänder, ihrer Hemden und geflickten Strümpfe war unerträglich. Und doch – wollte ich nur einen Teil meines Seelenfriedens zurückgewinnen, dann mußte ich mich noch vor Morgengrauen ihrer entledigen. Mein erster Gedanke war, Feuer zu machen und sie zu verbrennen; aber einmal war mir Verschwendung von jeher verhaßt, und dann schien es mir fast grausam, diese Sachen, die sie so dicht an ihrem Körper getragen, zu vernichten. In jenem Zimmer befand sich noch ein Eckschrank; dort beschloß ich, die Kleider aufzubewahren. Das tat ich denn auch mit gebührender Langsamkeit; mit gar geringem Geschick, aber mit um so größerer Sorgfalt faltete ich die einzelnen Gegenstände zusammen; ja, mitunter entglitten sie mir wieder samt meinen Tränen. All mein Mut hatte mich verlassen, ich war müde, wie nach einem zehn Meilen langen Lauf, und an allen Gliedern wund, als hätte man mich geschlagen. Da bemerkte ich, als ich ein Halstuch, das sie viel getragen, zusammenlegen wollte, daß die eine Ecke säuberlich abgeschnitten war. Das Tuch war von wunderschöner Farbe, und ich hatte es oft an ihr bewundert; ich erinnerte mich: einmal, als es sie schmückte, hatte ich im Scherz gesagt, jetzt trüge sie meine Farben. Eine warme Welle von Hoffnung durchströmte gleich einer süßen Flut mein Herz; im nächsten Augenblick versank ich von neuem in Verzweiflung. Dort für sich in einer anderen Ecke des Zimmers lag zusammengeknüllt der fehlende Zipfel.

Als ich noch innerlich mit mir stritt, wurde ich wieder hoffnungsfroher. Sie hatte jenen Zipfel in kindischer, aber zärtlicher Laune abgeschnitten; daß sie ihn wieder weggeworfen, war nicht so sehr verwunderlich; ich war daher eher geneigt, bei der ersten denn bei der zweiten Tatsache zu verweilen und freute mich mehr, daß ihr wenigstens der Gedanke, ein Andenken zu bewahren, gekommen war, als daß ich mich sorgte, weil sie es in einem Augenblick begreiflichen Zorns fortgeworfen hatte.

Zweites Kapitel


Der Hochlandsadvokat

Mr. Charles Stuart, der Anwalt, wohnte am Ende der längsten Treppenflucht, die Maurer je gebaut; fünfzehn verschiedene Stiegen, nicht eine weniger; und als ich seine Tür erreichte, die ein Schreiber mir öffnete, um mir zu sagen, daß sein Herr zu Hause sei, besaß ich kaum noch Atem genug, meinen Dienstmann zum Teufel zu schicken.

»Fort mit Euch nach Ost und West!« sagte ich, nahm ihm den Geldsack ab und folgte dem Schreiber.

Der äußere Raum war ein Bureau mit einem Tisch voller Papiere, vor dem des Schreibers Stuhl stand. Im inneren Zimmer, das in das äußere mündete, saß ein energischer kleiner Mann brütend über einem Schriftsatz, von dem er bei meinem Eintritt kaum aufsah: ja, sein Finger blieb an der richtigen Stelle liegen, als habe der Mann die Absicht, mich sofort wieder hinauszuwerfen und zu seinen Studien zurückzukehren. Das behagte mir schon wenig genug; aber schlimmer noch war, daß der Schreiber, meiner Ansicht nach, alles, was zwischen uns vorging, deutlich hören konnte. Ich fragte den kleinen Mann, ob er Mr. Charles Stuart, der Anwalt, sei. »Der nämliche,« sagte er, »und wer seid Ihr, falls die Frage ebenso angebracht erscheint?«

»Ihr werdet weder meinen Namen kennen von mir selber gehört haben,« sagte ich, »aber ich bringe Euch einen Ausweis von einem Freunde, der Euch wohl bekannt ist. Der Euch wohl bekannt ist,« wiederholte ich und senkte die Stimme, »von dem zu hören Ihr aber gegenwärtig vielleicht nicht gerade erbaut sein werdet. Das kleine Geschäft, das ich Euch heute vorzuschlagen habe, ist mehr privater Natur. Kurz, mir wäre lieb, zu wissen, daß wir ganz unter uns sind.« Er erhob sich ohne weitere Worte, warf seine Papiere mit der Miene eines Mannes hin, der sehr schlechter Laune ist, und schickte den Schreiber auf einen Botengang, indem er hinter ihm die Tür schloß.

»Jetzt, Sir,« sagte er zurückkehrend, »sprecht frei von der Leber weg und fürchtet nichts mehr«; und plötzlich fuhr er fort – »obwohl mir Schlimmes schwant, noch ehe Ihr angefangen habt! Ich erkläre Euch von vorneherein, Ihr seid entweder ein Stuart oder von einem Stuart geschickt. ‚S ist ein guter Name und obendrein einer, den zu schmähen meines Vaters Sohn schlecht ansteht. Doch mich gruselt’s schon, wenn ich ihn nennen höre.«

»Mein Name ist Balfour,« sagte ich, »David Balfour von Shaw. Und was den, der mich sandte, betrifft, so will ich seinen Ausweis für mich reden lassen.« Und ich zeigte ihm den silbernen Knopf.

»Steckt ihn in die Tasche, Sir!« rief er. »Ihr braucht keinen Namen zu nennen. Der Satanskerl von einem Querkopf, ich kenne seinen Knopf! Der Teufel hol ihn! Wo steckt er jetzt?«

Ich sagte ihm, ich wüßte nicht, wo Alan sich aufhielte, aber er hätte irgendwo am Nordufer ein Versteck, in dem er sicher wäre (oder sicher zu sein glaube), und wo er bleiben wolle, bis man ihm ein Schiff ausfindig gemacht hätte. Und dann wiederholte ich seine Anweisungen, wo und wie man mit ihm sprechen könnte. »Ich war immer schon überzeugt, daß ich für meine Familie einmal baumeln würde,« rief Mr. Stuart, »und bei Gott, ich glaube, jetzt sind wir so weit! Ihm ein Schiff ausfindig machen, sagt er? Und wer soll dafür bezahlen? Der Bursche ist toll!«

»Das ist meine Sache, Mr. Stuart«, antwortete ich. »Hier ist ein Beutel Geld, und wenn mehr gebraucht wird, ist dort, wo dieses herkommt, mehr zu haben.«

»Nach Eurer Partei brauche ich nicht erst zu fragen«, meinte er. »Das braucht Ihr nicht,« sagte ich lächelnd, »denn ich bin ein so guter Whig, wie Ihr nur einen finden könnt.«

»Sachte, sachte«, versetzte Mr. Stuart. »Was soll das heißen? Ein Whig? Weshalb seid Ihr dann mit Alans Knopf zu mir gekommen? Und was für einen Teufelshandel treibt Ihr hier, Mr. Whig? Da ist ein landflüchtiger Rebell und angeklagter Mörder mit einem Preis von 200 Pfund auf seinen Kopf, und Ihr verlangt von mir, daß ich mich in seine Angelegenheiten mische, und erzählt mir dann, Ihr wäret ein Whig? Ich will nichts wissen von solchen Whigs, obwohl mir schon genug dergleichen über den Weg gelaufen sind.« »Der Mann ist zwar ein landflüchtiger Rebell, – leider –,« sagte ich, »aber er ist mein Freund. Ich wünsche nur, daß er besser beraten wäre. Und auch des Mordes ist er zu seinem Unglück angeklagt; aber zu Unrecht angeklagt.« »Ihr behauptet es wenigstens«, war Stuarts Entgegnung.

»Ihr werdet mich gleich noch mehr behaupten hören«, rief ich. »Alan Breck ist unschuldig und James gleichfalls.« »Ah!« sagte er, »die beiden Fälle hängen zusammen. Steckt Alan drin, kann James nicht draußen sein.« Hierauf erzählte ich ihm in aller Kürze von meiner Bekanntschaft mit Alan und von dem unglücklichen Zufall, der mich zum Zeugen des Appiner Mordes machte, von den verschiedenen Stationen unserer Flucht durch die Heide und von der Rückgewinnung meines Vermögens. »Und nun, Sir, wißt Ihr die ganze Folge der Ereignisse«, schloß ich, »und könnt selber sehen, wie es kommt, daß ich so tief in Eurer Verwandten und Freunde Angelegenheiten verstrickt bin, von denen ich (zu unser aller Wohl) wünschte, sie wären einfacher und weniger blutig. Ihr seht selbst, daß ich gewisse Dinge zu erledigen habe, die ich kaum dem ersten besten Anwalt vorlegen konnte. Nun bleibt nur noch übrig, Euch zu fragen, ob Ihr Euch meiner Sache annehmen wollt?« »Ich habe nicht sonderlich viel Luft dazu; da Ihr aber mit Alans Knopf zu mir kommt, bleibt mir wohl keine Wahl«, sagte er. »Welches sind Eure Instruktionen?« fügte er, nach der Feder greifend, hinzu. »Das Wichtigste ist, Alan aus dem Lande zu schmuggeln,« sagte ich, »aber das brauche ich wohl nicht zu wiederholen.«

»Ich werde es schwerlich vergessen«, meinte Stuart. »Das Nächste betrifft das bißchen Geld, das ich Cluny schulde«, fuhr ich fort. »Es würde mir schwerfallen, Mittel und Wege zu finden, es ihm zu übermitteln, doch Euch müßte es ein leichtes sein. Es waren zwei Pfund, fünf Shilling und anderthalb Pence Sterling.« Er notierte sich die Summe. »Dann«, sagte ich, »ist da ein Mr. Henderland, ein konzessionierter Prediger und Missionar in Ardgour, dem ich recht gerne ein wenig Schnupftabak zuwenden würde; und da ich vermute, daß Ihr mit Euren Freunden in Appin in Verbindung steht und Appin doch dicht dabei liegt, ist das ein Geschäft, das Ihr zweifellos mit dem anderen übernehmen könnt.« »Wieviel Tabak soll es sein?« fragte er.

»So an die zwei Pfund, dachte ich.«

»Zwei«, wiederholte er. »Dann ist da noch ein Mädel, Alison Hastie zu Limekilnes,« sagte ich, »dieselbe, die mir und Alan den Übergang über den Forth ermöglichte. Ich hatte gedacht, ihr ein gutes Sonntagsgewand zu kaufen, wie sie es in ihrem Stande in Ehren tragen könnte. Das würde mein Gewissen erleichtern, denn, um die Wahrheit zu sagen, schulden wir ihr unser Leben.« »Ich freue mich, zu sehen, daß Ihr sparsam seid, Mr. Balfour«, sagte er, es sich notierend.

»Ich würde mich schämen, es am ersten Tage meines Wohlstandes nicht zu sein«, entgegnete ich. »Und wenn Ihr mir jetzt die Auslagen samt Euren eigenen Gebühren zusammenrechnen wolltet, würde ich mich freuen, zu erfahren, ob ich noch ein wenig Geld zum Leben zurückerhalte. Nicht daß ich ungern das Ganze dransetzen würde, um Alan frei zu bekommen, oder daß es mir etwa an mehr gebricht; aber nun ich an einem Tage so viel abgehoben habe, möchte es meines Erachtens einen recht mißlichen Eindruck machen, wenn ich mich am drauffolgenden gleich wieder meldete. Aber seht ja zu, daß es reicht,« setzte ich hinzu, »denn ich habe wenig Lust, Euch wiederzutreffen.« »Nun, es freut mich, daß Ihr auch vorsichtig seid«, sagte der Anwalt. »Aber ich meine, es ist doch ein wenig riskant, mir eine so große Summe anzuvertrauen.« Dies wurde mit verschleiertem Hohn gesagt. »Ich muß das Risiko tragen«, antwortete ich. »Ja, da ist doch noch ein weiterer Dienst, den ich von Euch erbitten möchte, und zwar, daß Ihr mir den Weg zu einem Logis weist, denn ich habe kein Dach über meinem Kopf. Aber es muß ein Logis sein, auf das ich auch zufällig gestoßen sein könnte; denn es geht ganz und gar nicht, daß der Lord Staatsanwalt von unserer Bekanntschaft erfährt.«

»Darüber könnt Ihr völlig beruhigt sein«, erklärte er. »Ich werde ihm Euren Namen niemals nennen, Sir; und meine Meinung ist, man kann dem Lord Staatsanwalt immerhin noch gratulieren, daß er von Eurer Existenz nichts weiß.«

Ich sah, ich hatte den Mann falsch angefaßt.

»Dann steht ihm noch ein guter Tag bevor,« sagte ich, »denn nicht später als morgen, wenn ich ihn besuchen werde, muß er davon erfahren, und wäre er taub.« »Wenn Ihr ihn besucht!« wiederholte Mr. Stuart. »Bin ich toll oder seid Ihr’s? Was wollt Ihr beim Staatsanwalt?« »Oh, nichts Besonderes, nur mich ihm stellen«, lautete meine Antwort. »Mr. Balfour,« rief er, »haltet Ihr mich zum Narren?«

»Nein, Sir,« erwiderte ich, »obwohl ich der Ansicht bin, daß Ihr Euch mir gegenüber einige Freiheiten erlaubt habt. Aber ich gebe Euch ein für allemal zu verstehen, daß ich nicht zum Scherzen aufgelegt bin.« »Ich auch nicht«, erwiderte Stuart. »Und ich gebe Euch zu verstehen (wenn es wirklich in diesem Tone weitergehen soll), daß mir Euer Benehmen immer weniger gefällt. Ihr kommt hierher mit den verschiedensten Ansinnen, die mich zu höchst zweifelhaften Handlungen veranlassen und mich auf lange Zeit hinaus mit einigen sehr wenig wünschenswerten Personen zusammenführen werden. Und dann erklärt Ihr mir, Ihr ginget von meinem Bureau aus schnurstracks zum Staatsanwalt, um mit ihm Euren Frieden zu machen. Alans Knopf hin und her, Alans Haxen und Hände werden mich nicht dazu bringen, mich weiter mit Euch einzulassen.« »Ich würde an Eurer Stelle die Sache mit etwas mehr Gleichmut hinnehmen«, sagte ich; »vielleicht können wir das vermeiden, wogegen Ihr Euch sträubt, obwohl ich keinen anderen Ausweg sehe, als mich freiwillig zu stellen. Vielleicht wißt Ihr indes einen besseren. Wenn Ihr’s könntet, will ich gar nicht bestreiten, daß mir viel wohler zumute wäre. Denn ich vermute, mein Handel mit Seiner Lordschaft dürfte meiner Gesundheit wenig zuträglich sein. Das eine ist klar: ich muß mein Zeugnis ablegen, denn ich hoffe, es wird Alans Ruf (wenigstens was davon übriggeblieben ist), und was wichtiger ist, James‘ Hals retten.«

Er schwieg eine kleine Weile, dann: »Mein guter Bursche, man wird Euch niemals gestatten, derartiges auszusagen.«

»Das werden wir noch sehen«, entgegnete ich, »ich bin ziemlich steifnackig, wenn’s mir drauf ankommt.«

»Esel, Riesenesel!« rief Stuart. »’S ist doch der James, den sie wollen; James muß hängen – Alan auch, wenn sie ihn erwischen können – doch James unter allen Umständen. Kommt dem Staatsanwalt nur mit irgendwelchen derartigen Sachen, und Ihr werdet sehen, er findet einen Weg, Euch einen Maulkorb anzulegen.«

»Ich habe eine bessere Meinung von dem Staatsanwalt als Ihr«, antwortete ich.

»Zum Henker mit dem Staatsanwalt!« rief er. »Es sind die Campbells, Mann! Ihr werdet die ganze Meute auf den Fersen haben, und der Staatsanwalt auch, armer Teufel! Es ist erstaunlich, daß Ihr nicht begreift, wo Ihr steht! Finden sie keinen geraden Weg, Euch das Maul zu stopfen, so haben sie einen krummen bei der Hand. Sie können Euch auf die Anklagebank bringen, seht Ihr denn das nicht ein?« rief er und bohrte mir seinen Finger ins Bein.

»Freilich,« erwiderte ich, »das Gleiche wurde mir erst heute morgen von einem anderen Anwalt gesagt.«

»Und wer war das?« forschte Stuart. »Zum mindesten hat er vernünftig gesprochen.«

Ich sagte ihm, er müsse es mir schon erlassen, einen Namen zu nennen, denn es wäre ein angesehener, überzeugter, alter Whig, der wenig Lust hätte, in derartige Angelegenheiten hineingezerrt zu werden. »Ich glaube, die ganze Welt ist darin verwickelt!« rief Stuart. »Und was habt Ihr darauf erwidert?«

Ich erzählte ihm, was sich vor dem Hause Shaw zwischen Rankeillor und mir zugetragen hatte.

»Nun, dann werdet Ihr hängen«, meinte er. »Ihr werdet neben James Stuart hängen. Da habt Ihr Euer Schicksal vorausgesagt!«

»Ich hoffe immer noch, daß es besser abgehen wird,« entgegnete ich, »doch habe ich niemals bestritten, daß ein Risiko damit verknüpft ist.«

»Ein Risiko!« wiederholte er und saß dann wieder schweigend da. »Ich müßte Euch von Rechts wegen für Eure Treue gegen meine Freunde, denen gegenüber Ihr eine so feste Gesinnung zeigt, danken,« sagte er. »Wenn Ihr nur die Kraft habt, bei der Stange zu bleiben. Aber ich warne Euch, Ihr watet in tiefem Wasser. Ich (ein geborener Stuart) würde mich für alle Stuarts seit Noah nicht an Eure Stelle setzen. Risiko? Ich laufe deren mehr als genug: doch vor einem Gerichtshof, zusammengesetzt aus Campbell-Geschworenen und Campbell-Richtern und obendrein in einer Campbell-Gegend und in einem Campbell-Streit – denkt von mir, was Ihr wollt, Balfour, es geht über meine Kraft.« »’S ist wohl ein Unterschied in der Denkungsart«, antwortete ich. »Ich wurde von klein auf in der meinigen von meinem Vater erzogen.«

»Ehre seiner Asche! Er hat seinen Namen einem braven Sohn hinterlassen«, erklärte er. »Und doch möchte ich nicht, daß Ihr allzu schlecht von mir denkt. Mein Fall ist verdammt verzwickt. Seht, Sir, Ihr sagt, Ihr seid ein Whig; ich frage mich, was ich eigentlich bin. Sicherlich kein Whig, das ist klar; justament ein Whig könnte ich nicht sein. Jedoch – lacht nur über mich – ich stehe vielleicht auch nicht ganz so scharf auf der anderen Seite.«

»Ist das wirklich wahr?« rief ich. »Genau das hätte ich bei einem Mann von Eurem Verstande angenommen.«

»Bah! Nichts von Euren Schmeicheleien!« rief er. »Verstand ist auf beiden Seiten. Aber ich privatim trage kein sonderliches Verlangen, König Georg eins auszuwischen; und was König Jakob – Gott segne ihn! – betrifft, so finde ich ihn für meinen Teil jenseits des Kanals ganz gut aufgehoben. Seht Ihr, ich bin ein Anwalt und liebe meine Bücher und einen guten Tropfen, ein rechtschaffenes Plädoyer, einen säuberlich aufgesetzten Schriftsatz, einen gelegentlichen Strauß mit den Herren Kollegen im Parlamentshaus und dann und wann an Samstagabenden ein Spielchen Golf. Nun frag ich Euch: Wo ist da Platz für Eure Hochlandsplaids und Schwerter?«

»Ja,« entgegnete ich, »’s ist wirklich wahr, Ihr habt wenig von einem wilden Hochländer an Euch.«

»Wenig?« echote er. »Gar nichts, Mann! Und doch bin ich dort geboren, und wenn der Clan pfeift – was hilft’s – da muß ich tanzen. ‚S ist, wie Ihr selber sagt: mein Vater hat’s mich so gelehrt, und ’ne nette Tätigkeit hat er mir zugeschanzt! Hochverrat und das Herein- und Herausschmuggeln von Hochverrätern; und die französischen Werbungen – hol sie der Henker! – Und das Durchschmuggeln der Rekruten; und erst die Prozesse! Der Teufel hole sie! Gerade hab ich wieder einen anhängig gemacht, für meinen Vetter, den jungen Ardshiel: Klage auf Rückgabe seiner Ländereien auf Grund eines Ehekontraktes – verpfändeter Ländereien! Ich sagte ihnen, es wäre ein Unsinn; was fragten sie schon danach! Und dann mußt ich mich hinter einen Gerichtsadvokaten stecken, dem die Sache genau so wenig gefiel wie mir, denn sie hat uns beide glatt ruiniert – gleich steht man auf der schwarzen Liste und bekommt einen Stempel ›Mißvergnügt‹ aufgebrannt, wie das liebe Vieh den Namen des Besitzers! Was soll ich dagegen tun? Ich bin ein Stuart, seht Ihr, und muß für meinen Clan und meine Familie einstehen! Erst gestern wurde wieder einer von unseren Burschen nach der Burg gebracht. Weswegen? Ich weiß es genau: Gesetz von 1736 – Rekrutierung für König Louis. Und Ihr werdet sehen – er wird nach mir pfeifen, damit ich seine Sache übernehme, und meine Reputation hat einen neuen schwarzen Fleck! Ich sag es Euch rundheraus: könnt ich den Kopf eines hebräischen Worts vom Schwanz unterscheiden, der Teufel soll mich holen, wenn ich nicht die ganze Sache an den Nagel hinge, um Geistlicher zu werden!«

»Es ist wirklich eine ziemlich schwierige Lage«, bemerkte ich.

»Verdammt schwierig!« rief er. »Und gerade deshalb denk ich so hoch von Euch – der Ihr kein Stuart seid, – daß Ihr Euren Kopf so tief in eine Stuartsache steckt. Weshalb, weiß ich nicht: es sei denn, Ihr tätet’s aus Pflichtgefühl.«

»Ich hoffe, das ist der Grund«, sagte ich.

»Nun,« meinte er, »’s ist eine großartige Eigenschaft. Doch da kehrt mein Schreiber zurück, und wir wollen, mit Eurer Erlaubnis, alle drei einen Bissen essen gehen. Danach werde ich Euch die Adresse eines sehr ordentlichen Mannes geben, der Euch recht gern als Mieter aufnehmen wird. Und Eure Taschen werd ich Euch auch füllen, und zwar aus Eurem eigenen Beutel. Denn dies Geschäft hier wird lange nicht so kostspielig sein, als Ihr es Euch denkt – nicht einmal die Schiffsangelegenheit.«

Ich bedeutete ihm, daß der Schreiber in Hörweite wäre.

»Bah, Ihr braucht auf Robbie keine Rücksicht zu nehmen«, rief er. »Er ist auch ein Stuart, armer Teufel! und hat mehr französische Rekruten und rührige Papisten ‚rübergeschmuggelt, als er Haare im Gesicht hat. Robin selbst ist derjenige, der diesen Teil meiner Geschäfte besorgt. Wen haben wir zur Zeit bei der Hand, Robbie, um jemanden überzusetzen?« »Nun, da wäre Andie Scougal auf der ›Thristle‹«, entgegnete Robin. »Hoseason sprach ich erst vor kurzem, aber er scheint noch immer kein Schiff zu haben. Dann ist da auch noch Tam Stobo; aber ich bin mir Tams nicht so ganz sicher. Ich hab gesehen, wie er sich mit einigen recht zweifelhaften Bekanntschaften anbiederte; und wenn sich’s um jemand von Bedeutung handelt, würde ich den Tam übergehen.« »Der Kopf ist zweihundert Pfund wert, Robin«, sagte Stuart. »Potz Donner, ’s ist doch nicht etwa Alan Breck?« rief der Schreiber. »Niemand anders«, versetzte sein Herr. »Liebe Zeit! Das ist ’n ernster Fall«, rief Robin. »Ich will’s dann mal mit Andie versuchen; Andie ist schon der Richtige.« »Das scheint ja eine ganz schwierige Sache zu sein«, bemerkte ich. »Überhaupt nicht abzusehen, Mr. Balfour«, sagte Stuart. »Euer Schreiber nannte da vorhin einen Namen,« fuhr ich fort, »Hoseason, von der Brigg ›Covenant‹. Würdet Ihr dem vertrauen?« »Er hat nicht gut gegen Euch und Alan gehandelt,« meinte Mr. Stuart, »aber ich bin über den Mann im allgemeinen anderer Ansicht. Hätte er Alan auf einen Vertrag hin an Bord genommen, er hätte sich meiner Meinung nach als zuverlässiger Kontrahent gezeigt. Was meinst du, Robbie?« »Es gibt keinen Ehrlicheren im ganzen Schiffergewerbe«, erwiderte der Schreiber. »Ich würde auf Elis Wort schwören, und handelte es sich um den Chevalier2 und um Appin selbst«, fügte er hinzu.

»Er war’s doch auch, der den Doktor3 ‚rüberbrachte?« fragte sein Herr.

»Der nämliche«, war des Schreibers Antwort.

»Und ich glaube, er brachte ihn auch wieder zurück?« forschte Stuart.

»Jawohl, und zwar mit vollen Taschen«, rief Robin.

»Und Eli wußte davon.«

»Nun, es scheint, daß man sich in den Leuten nur schwer auskennt«, sagte ich.

»Das gerade hatte ich vergessen, als Ihr bei mir eintratet, Mr. Balfour«, schloß der Anwalt.

  1. Name für Prinz Charlie, den letzten Stuart.
  2. Dr. Cameron, der die Sekte der Cameronier gründete.

Neunundzwanzigstes Kapitel


Wir treffen uns in Dünkirchen

Alles in Allem war ich am folgenden Tage doch nicht so unglücklich, daß ich nicht auch hoffnungsfrohe und glückliche Minuten erlebte; ich warf mich mit ziemlichem Eifer auf meine Studien und beschloß, auszuharren, bis Alan käme oder bis ich durch James More Nachricht von Catriona erhielt. Ich empfing im ganzen drei Briefe in dieser Zeit unserer Trennung. Der eine kündete ihre Ankunft in der Stadt Dünkirchen in Frankreich an, von wo aus James More bald darauf in privater Mission allein weiterreiste. Sein Auftrag führte ihn nach England zu Lord Holderneß, und mir ist es von jeher ein bitterer Gedanke gewesen, daß mein gutes Geld mitwirkte, die Kosten hierfür zu bestreiten. Aber wer mit dem Teufel oder James More zur Nacht speiste, der bedurfte eines gar langen Löffels. In seine Abwesenheit fiel der Termin für einen zweiten Brief, und da diese Nachrichten eine Vorbedingung der Rente waren, hatte er sie sorgsam vorbereitet und Catriona zur Weiterbeförderung hinterlassen. Allein unsere Korrespondenz erregte ihren Argwohn; kaum war er fort, da erbrach sie das Siegel. Das Schreiben, das ich erhielt, begann daher in der Handschrift James Mores:

»Sehr geehrter Herr, Eure geschätzte Sendung traf pünktlich ein, und ich beeile mich, die Einlage laut Vereinbarung zu bestätigen. Es soll alles getreulich auf meine Tochter verwendet werden, die sich wohlauf befindet und ihrem teuren Freunde ihre Grüße schickt. Sie befindet sich zur Zeit in etwas melancholischer Verfassung, aber ich vertraue auf Gottes Gnade, sie bald wiederhergestellt zu sehen. Unser Leben ist sehr einsam; wir trösten uns indes mit den melancholischen Weisen unserer heimatlichen Berge sowie durch häufiges Wandeln an der Küste jener See, die Schottland zunächst gelegen ist. Das waren bessere Tage, als ich noch mit fünf Wunden am Leibe auf dem Feld von Gladsmuir lag. Beschäftigung habe ich gefunden in dem Gestüt eines französischen Edelmanns, wo meine Erfahrungen geschätzt werden. Aber, verehrter Sir, die Entlohnung ist so überaus unangemessen, daß ich mich schämen müßte, sie zu nennen, wodurch Eure Rimessen für meiner Tochter Bequemlichkeit um so notwendiger werden, obzwar der Anblick alter Freunde noch wohltuender wirken dürfte.

Ich verbleibe, mein teurer Sir, Euer anhänglicher, gehorsamer Diener, James MacGregor Drummond.«

Darunter stand in Catrionas Handschrift:

»Glaubt ihm nicht; es ist alles gelogen.

C. M. D.«

Ich glaube, sie fügte nicht nur dieses Postskriptum hinzu, sondern war nahe daran, den Brief zu unterschlagen, denn er traf, dem Datum nach, stark verspätet ein, und ihm folgte bald darauf der dritte Brief. Inzwischen war auch Alan gekommen; sein lustiges Geplauder schuf mir ein neues Leben; er hatte mich seinem Vetter von der Schottisch-holländischen Garde vorgestellt, einem Manne, der mehr trank als ich für möglich hielt, sonst aber uninteressant war. Ich wurde zu zahlreichen ausgelassenen Diners eingeladen und gab selbst einige lustige Essen – alles, ohne eine Milderung meines Kummers zu verspüren, und wir beide (will sagen Alan und ich und keineswegs der Vetter) erörterten lang und breit meine Beziehungen zu James More und seiner Tochter. Begreiflicherweise war ich nicht sehr bereit, Einzelheiten zu schildern, eine Abneigung, die durch die Art von Alans Kommentar nicht behoben wurde. »Ich kann nicht draus klug werden,« pflegte er zu sagen, »aber ich meine, du hast einen rechten Esel aus dir gemacht. Wenige Menschen besitzen mehr Erfahrung als Alan Breck, und ich kann mich nicht besinnen, je im Leben von einem Mädel gehört zu haben wie deines hier. Wie du die Sache erzählst, ist sie rein unmöglich. Du mußt die Angelegenheit hoffnungslos verpatzt haben. David.«

»Mitunter bin ich ganz deiner Meinung«, antwortete ich.

»Das Sonderbare ist, du scheinst an dem Mädchen eine Art Narren gefressen zu haben.«

»Den größten Narren von der Welt, Alan; ich glaube, ich werde ihn noch mit ins Grab nehmen.«

»Na, das geht über meinen Horizont!« waren seine Schlußworte.

Ich zeigte ihm den Brief mit Catrionas Postskriptum. »Da haben wir’s wieder!« rief er. »Unmöglich kann man dieser Catriona einen gewissen Anstand absprechen! Ja, und sie ist auch ganz gescheit! Was nun James More betrifft – der Mann ist so hohl wie eine Trommel – nichts als ein Bauch und leere Redensarten; obwohl ich nicht leugnen kann, daß er bei Gladsmuir tapfer gefochten hat, und was er von den fünf Wunden sagt, ist auch wahr. Aber das Schlimme an ihm ist – der Kerl ist hohl.«

»Du verstehst doch, Alan,« sagte ich, »es geht mir gegen den Strich, das Mädchen in solchen Händen zu lassen.«

»Schlechter könnten die Hände nicht sein«, gestand er. »Aber was willst du? Wenn sich’s um ’n Mannsbild und ’n Frauenzimmer handelt, liegt die Sache so, Davie: Verstand haben die Weiber überhaupt nicht. Entweder sie mögen den Mann, dann geht alles wie geschmiert; oder sie hassen ihn einfach, dann kannst du dir die Worte sparen – dann ist nichts zu machen. Es gibt nur diese zwei Arten – Weiber, die ihr letztes Hemd für einen verkaufen, und Weiber, die nicht einmal den Boden ansehen, auf dem man steht. Andere gibt’s nicht, und du scheinst ein solcher Esel zu sein, daß du sie nicht einmal unterscheiden kannst.«

»Ja, ich fürchte, da hast du recht.«

»Und doch ist nichts leichter als das!« rief Alan. »Ich könnte dich’s ohne weiteres lehren, aber du scheinst mir blind geboren; das ist eben der Haken!«

»Kannst du mir wirklich nicht helfen, Alan? Du bist doch so klug in allen diesen Dingen!«

»Ja, weißt du, Davie, ich hab das Mädel nicht kennengelernt. Ich bin wie ein Feldoffizier, der als Beobachter und Eclaireurs nur Blinde hat. »Was soll man da machen? Ich meine eben, du hast irgendeine Riesendummheit begangen, und wenn ich du wäre – ich würde die Sache noch einmal in die Hand nehmen.« »Glaubst du wirklich, Alan, mein Junge?«

»Wirklich und wahrhaftig.« Der dritte Brief erreichte mich, als wir gerade in ein derartiges Gespräch vertieft waren; man wird gleich sehen, wie sehr er uns gelegen kam. James behauptete, um seiner Tochter Gesundheit, die meines Glaubens nach niemals befriedigender gewesen war, sehr besorgt zu sein. Er floß über von freundschaftlichen Beteuerungen und schlug schließlich vor, ich solle ihn in Dünkirchen besuchen.

»Ihr werdet zur Zeit die Gesellschaft meines alten Kameraden, Mr. Stuarts, genießen«, schrieb er. »Weshalb ihn nicht auf seiner Rückkehr nach Frankreich hierher begleiten? Ich habe ganz private Neuigkeiten nur für Mr. Stuarts Ohr. Zum mindesten würde ich mich sehr freuen, einen so ritterlichen Waffenbruder wiederzusehen. Und was Euch selbst betrifft, mein teurer Sir, so werden meine Tochter und ich stolz sein, unseren Wohltäter zu begrüßen, den wir als einen Bruder und Sohn betrachten. Der französische Edelmann hat sich als eine Person von so filzig geizigem Charakter erwiesen, daß ich mich genötigt sah, das Gestüt zu verlassen. Ihr werdet uns daher ein wenig kümmerlich in der ›Auberge‹ eines gewissen Bazin untergebracht finden; aber die Situation ist neu, und ich zweifle nicht, daß wir einige recht angenehme Tage verbringen werden, in denen Mr. Stuart und ich Erinnerungen aus der Zeit unseres Waffenhandwerks austauschen können, während Ihr und meine Tochter Euch in einer Eurem Alter entsprechenden Weise unterhalten möget. Zum mindesten ersuche ich Mr. Stuart, hierherzukommen; die Angelegenheit, die ich ihm zu eröffnen habe, ist von weittragender Bedeutung.«

»Was will der Mann von mir?« rief Alan, als er zu Ende gelesen hatte. »Was er von dir will, ist klar genug – Geld. Aber was schert ihn Alan Breck?« »Ach, es wird nur so eine Art Vorwand sein«, sagte ich. »Er hat immer noch diese Heirat im Kopf und will sie, koste es, was es wolle, durchsetzen. Dich bittet er, zu kommen, weil er glaubt, daß ich ohne dich erst recht nicht erscheinen werde.«

»Nun, ich wollte, ich wüßte, woher der Wind pfeift«, meinte Alan. »Er und ich waren niemals sonderlich gut Freund; wir knurrten einander an, wie so ein paar Dudelsäcke. ›Etwas privatim für mein Ohr‹ schreibt er! Ich werde vielleicht etwas privatim für seinen Hintern haben, bevor wir miteinander fertig sind. Potzdonner, das wäre doch ein sehr netter Spaß, hinzureisen und zu sehen, was er im Schilde führt! Außerdem lernte ich dann das Mädel kennen. Was meinst du dazu, Davie? Willst du Alan begleiten?«

Wie man sich denken kann, war ich nicht abgeneigt, und da Alans Urlaub sich seinem Ende näherte, brachen wir kurz darauf zu diesem gemeinsamen Abenteuer auf.

Es war dicht vor Dunkelwerden an einem Tage im Januar, als wir endlich in die Stadt Dünkirchen einritten. Wir stellten unsere Pferde in der Post unter und fanden einen Führer nach Bazins Gasthof, der außerhalb der Tore lag. Mittlerweile war es ganz Nacht geworden, wir waren die letzten, die aus der Festung hinausgelassen wurden und hörten, als wir die Brücke passierten, hinter uns die Tore ins Schloß fallen. Jenseits der Wälle lag eine erleuchtete Vorstadt, durch die zuerst der Weg führte, dann bogen wir in ein dunkles Gäßchen ein und mußten nach einer kleinen Weile in der Finsternis durch tiefen Sand waten, während Meeresbrausen an unser Ohr drang. So strebten wir eine Zeitlang vorwärts, hauptsächlich unseres Führers Stimme folgend, und ich dachte bereits, er hätte den Weg verloren, als wir die Spitze eines kleinen Hügels erklommen und vor uns aus der Dunkelheit ein schwacherleuchtetes Fenster auftauchen sahen. »Voilà l’auberge à Bazin«, sagte der Führer.

Alan schnalzte mit der Zunge. »Eine unheimlich einsame Gegend«, meinte er, und ich glaubte seinem Tone zu entnehmen, daß er nicht ganz zufrieden war. Bald darauf standen wir im Untergeschoß eines Hauses, das ein einziger Raum ausfüllte; eine Treppe führte hinauf zu den seitlich gelegenen Zimmern, Bänke und Tische standen an den Wänden, der Kochherd nahm das eine Ende des Gemaches ein, und Bordbretter mit Flaschen und eine Kellerfalltür befanden sich an dem anderen Ende. Hier erklärte uns Bazin, ein großer Bursche von zweifelhaftem Aussehen, der schottische Gentleman sei ausgegangen, wohin, wüßte er nicht, aber die junge Dame wäre oben; er würde sie herunterrufen.

Ich zog aus meinem Busen das Tuch mit dem fehlenden Zipfel und knüpfte es um meinen Hals. Ich vernahm dabei das Pochen meines Herzens und konnte, da Alan mir mit ein paar lachenden Worten auf die Schulter klopfte, kaum eine scharfe Entgegnung unterdrücken. Aber ich hatte nicht lange zu warten. Ich erkannte zu unseren Häupten ihren Schritt und sah sie die Treppe herunterkommen. Sie kam sehr ruhig und begrüßte mich ein wenig bleich und mit einer gewissen Intensität oder Unruhe in ihrem Gebaren, die mich außerordentlich dämpfte. »Mein Vater, James More, wird bald zurück sein. Er wird sich sehr freuen, Euch zu sehen«, sagte sie. Dann flammte plötzlich ihr Gesicht auf, ihre Augen leuchteten und das Wort blieb ihr auf den Lippen haften; ich war überzeugt, sie hatte das Halstuch bemerkt. Ihre Erregung dauerte nur einen Atemzug, aber mich dünkte, sie wandte sich mit besonderer Lebhaftigkeit Alan zu. »Und das ist sicherlich Euer Freund, Alan Breck?« rief sie. »Viele Dutzend Male hab ich von Euch erzählen hören; ich liebe Euch bereits dank Eurer Tapferkeit und Güte.«

»Ja, ja,« sagte Alan und hielt, den Blick auf sie geheftet, ihre Hand in der seinen, »da haben wir also endlich die junge Dame! David, ein Tausendkünstler im Beschreiben bist du nicht.«

Ich glaube, so geradewegs zu Herzen hab ich ihn nie reden hören; der Klang seiner Stimme war Musik in meinen Ohren. »Wie, hat er mich Euch beschrieben?« rief sie.

»Er hat wenig anderes getan, seit ich aus Frankreich gekommen bin!« entgegnete er. »Dazu kommt noch eine gewisse Nacht in Schottland in einem kleinen Gehölz bei Silvermills. Aber laßt nur, mein Kind, Ihr seid viel hübscher als er sagt. Und das eine ist klar: Ihr und ich, wir werden Freunde werden. Ich bin so eine Art Schatten von Davie hier, ein alter Köter an seinen Fersen: was er liebt, das muß ich auch lieben – und bei der Heiligen Schrift! – mich lieben müssen seine Freunde auch! So, nun wißt Ihr, wie Ihr mit Alan Breck steht, und Ihr werdet finden, verlieren tut Ihr an dem Handel nicht. Er ist nicht gerade hübsch, mein Kind, aber er ist denen treu, die er liebt.«

»Ich danke Euch von Herzen für Eure guten Worte«, sagte sie. »Ich habe so große Achtung vor einem tapferen, aufrechten Mann, daß ich nicht weiß, was ich Euch sagen soll.« Wir machten Gebrauch von dem Recht der Reisenden und setzten uns zu dritt, ohne auf James More zu warten, zu Tisch. Alan ersuchte Catriona, sich neben ihn zu setzen und ihm beim Essen aufzuwarten: er ließ sich von ihr das Glas kredenzen und umgab sie von Anfang bis zu Ende mit freundschaftlichen, galanten Aufmerksamkeiten, ohne mir auch nur den leisesten Grund zur Eifersucht zu bieten. Ja, er beherrschte so vollkommen das Gespräch und lenkte es in so launiger Weise, daß sie wie ich unsere Verlegenheit vergaßen. Wäre jemand dagewesen, uns zu beobachten, er hätte glauben müssen, Alan sei der altvertraute Freund und ich der Fremde. Wahrhaftig, ich hatte oft schon Gelegenheit gehabt, ihn zu lieben und zu bewundern, niemals aber liebte und bewunderte ich ihn mehr als in jener Nacht. Mir selbst sagte ich dabei (was ich mitunter zu vergessen neigte), daß er nicht nur große Lebenserfahrung, nein, auf seine Weise auch ein hohes Maß natürlicher Begabung besäße. Was Catriona betraf, so schien sie gänzlich hingerissen; ihr Lachen klang hell wie ein Glockenspiel, ihr Antlitz war so heiter wie ein Maimorgen; und ich gestehe, obwohl ich mich darüber freute, war ich doch ein wenig traurig, denn ich kam mir neben meinem Freunde langweilig und hölzern vor, kurz, kaum geeignet, in eines jungen Mädchens Leben einzugreifen, um womöglich gar ihre Daseinsfreude zu betäuben.

Allein, obschon das meine Rolle zu sein schien, hatte ich doch den Trost, sie nicht als einziger spielen zu müssen. James More kehrte unerwartet zurück, und das Mädchen war von diesem Augenblick an zu Stein verwandelt. Den Rest des Abends, bis sie unter irgendeinem Vorwand zu Bette ging, beobachtete ich sie ohne Unterlaß und kann bezeugen, daß sie auch nicht einmal lächelte, kaum ein Wort sprach und fast ständig vor sich hinstarrte. Wahrhaftig, ich mußte staunen, so viel hingebende Liebe (wie sie sie früher empfunden hatte) förmlich in krankhaften Haß verwandelt zu sehen.

Es erübrigt sich, von James More sonderlich viel zu sagen; man kennt ihn bereits zur Genüge, weiß, was es von ihm zu melden gibt; und ich habe es satt, von seinen Lügen zu schreiben. Genug, daß er sehr viel trank und uns sehr wenig Positives erzählte. Was das Geschäft mit Alan anbelangte, so sollte es bis morgen und für Alans Ohr allein aufgespart werden. Es ließ sich um so leichter verschieben, als Alan und ich von unserem Ritt ermüdet waren und nach Catrionas Aufbruch nicht mehr lange aufsaßen. Bald befanden wir uns allein in unserem Zimmer, wo wir uns in ein Bett teilen mußten. Alan blickte mich mit sonderbarem Lächeln an. »Du hoffnungsloser Esel, du!« sagte er. »Was soll das heißen?« rief ich. »Heißen? Was das heißen soll? Es ist erstaunlich, David, Junge, wie grenzenlos dumm du bist.« Wieder bat ich ihn, sich deutlich auszudrücken. »Nun, ich will dir das eine verraten: ich sagte dir bereits, es gäbe zwei Arten von Frauen – Frauen, die ihr letztes Hemd für einen verkaufen und andere. Versuch jetzt mal selber dahinterzukommen, mein Junge! Aber was ist das für ein Tuch um deinen Hals?« Ich sagte es ihm. »Hatte ich mir doch was Ähnliches gedacht«, meinte er. Und mehr war nicht aus ihm herauszubekommen, obwohl ich ihn lange noch mit Bitten bestürmte.

Dreißigstes Kapitel


Der Brief von dem Schiffe

Das Tageslicht zeigte uns die einsame Lage des Gasthofes, offenbar hart am Meere, aber von dort aus völlig unsichtbar, allseitig von räudigen Sandhügeln umgeben. Das einzige, was sich an Aussicht bot, waren über dem Rande einer Düne emporragend zwei Flügel einer Windmühle, die den Ohren eines verborgenen Esels glichen. Als ein Wind aufsprang (zuerst war die Luft totenstill gewesen), war es seltsam, die beiden großen Flügel über der Erderhöhung sich drehen und jagen zu sehen. Ein regelrechter Weg lief hier kaum vorbei; dagegen führten nach allen Richtungen zwischen den Dünen Fußpfade zu M. Bazins Tür. In Wahrheit betrieb der Mann zahlreiche Gewerbe, darunter jedoch kein einziges ehrliches, und die Lage seines Wirtshauses war für ihn die denkbar beste. Schmuggler gingen dort aus und ein; politische Agenten und Flüchtlinge vor dem Gesetze, die über das Meer setzen wollten, warteten hier auf die Überfahrt; und wahrscheinlich lauerte noch Düstereres hinter diesen Mauern, wo ganze Familien hätten ermordet werden können, ohne daß jemand Wind davon bekommen haben würde.

Ich schlief wenig und unruhig. Lange vor Morgengrauen hatte ich mich von meinem Bettgenossen fortgestohlen und wärmte mich bereits vor dem Feuer oder durch Aufundabgehen vor der Tür. Der Tag kam mürrisch und grau; bald jedoch sprang aus Westen ein Wind auf, der die Wolken zerteilte, der Sonne einen Weg bahnte und die Mühle antrieb. Etwas Frühlingshaftes lag in dem Sonnenschein, vielleicht lebte es auch in meinem Herzen, und der Anblick der mächtigen Flügel, die einer nach dem anderen hinter der Anhöhe auftauchten, erheiterte mich ungemein. Von Zeit zu Zeit hörte ich das Gehwerk knarren, und etwa um halb neun Uhr morgens begann Catriona im Hause zu singen. Da hätte ich vor Freude meinen Hut in die Luft schleudern mögen, und dieser traurige, öde Ort schien mir ein Paradies.

Trotzdem spürte ich, als der Tag älter wurde und keine Menschenseele dem Hause sich näherte, eine gewisse, mir selbst kaum erklärliche Unruhe. Ich witterte irgend etwas Böses; die Flügel der Windmühle glichen im Aufundniedertauchen Spionen, und abgesehen von aller Phantasie – Nachbarschaft wie Haus waren ein recht merkwürdiger Aufenthalt für eine junge Dame. Beim Frühstück, zu dem wir erst spät kamen, wurde es klar, daß James More sich in irgendeiner Gefahr oder Verlegenheit befand; ebenso klar war es, daß Alan es bemerkte und ihn scharf beobachtete. Zwischen dieser offenbaren Verstellung des einen und der Wachsamkeit des anderen saß ich wie auf glühenden Kohlen. Kaum war die Mahlzeit beendet, da schien James einen Entschluß zu fassen; er brachte allerlei Entschuldigungen vor von privaten Verabredungen in der Stadt (mit dem französischen Edelmann, wie er behauptete), und bat uns, ihn bis Mittag zu beurlauben. Inzwischen zog er seine Tochter in den fernsten Winkel des Zimmers, wo er anscheinend nachdrücklich auf sie einredete, während sie ohne sonderliche Bereitwilligkeit lauschte.

»Dieser Mann James gefällt mir immer weniger«, sagte Alan. »Etwas ist an diesem Manne James nicht ganz geheuer, und ich würde mich gar nicht wundern, wenn Alan Breck ihn heute ein wenig im Auge behielte. Ich gäbe viel darum, diesen französischen Edelmann kennenzulernen, David; und ich meine, du selbst wirst auch wissen, was du zu tun hast, nämlich, dich bei dem Mädel nach dem Stand deiner Angelegenheit zu erkundigen. Rede mit ihr ganz offen, sag ihr, du wärest von Anfang bis zu Ende ein großer Esel gewesen; und dann, wenn ich du wäre und du brächtest es fertig, recht natürlich zu sein, würde ich ihr ein wenig vorschwindeln, ich befände mich in irgendeiner Gefahr; das wirkt immer auf die Weiber.« »Ich kann nicht lügen, Alan, ich bring’s nicht fertig, so was natürlich zu sagen«, spottete ich.

»Dummkopf«, erklärte er. »Dann kannst du ihr ja sagen, ich hätte es dir geraten; das wird sie zum Lachen bringen und ist wahrscheinlich das Nächstbeste. Aber behalte die beiden im Auge! Wenn ich mich des Mädels nicht so sicher fühlte und wüßte, daß sie von Alan sehr entzückt und mit ihm dick Freund ist – ich würde glauben, jene beiden hätten irgendeinen Hokuspokus vor.« »Ist sie wirklich so sehr von dir entzückt, Alan?« forschte ich.

»Sie schätzt mich ungemein«, sagte er. »Ich bin darin anders als du; ich weiß genau Bescheid. Das tut sie wirklich – schätzt Alan ungemein. Und meiner Treu – ich halte selbst ziemlich viel von mir, und mit deiner Erlaubnis, Shaw, werde ich einmal einen kleinen Spaziergang zwischen den Dünen machen, um zu sehen, in welche Richtung James gegangen ist.« Einer nach dem anderen verabschiedete sich, bis ich allein am Frühstückstische saß; James ging nach Dünkirchen, Alan heftete sich ihm auf die Fersen und Catriona begab sich nach oben auf ihr eigenes Zimmer. Ich verstand sehr gut, daß sie es vermied, mit mir allein zu sein; deswegen war ich aber nicht weniger unzufrieden und beschloß, sie mit List noch vor Rückkehr der beiden Männer zu einer Unterredung zu bewegen. Alles in allem erschien es mir das Gescheiteste, Alans Verhalten nachzuahmen. War ich erst zwischen den Sandhügeln verschwunden, so würde der schöne Morgen sie schon hervorlocken, und im Freien hatte ich meinen Willen.

Gesagt, getan; ich hatte noch gar nicht lange im Schutze einer Düne gewartet, als sie an der Haustür erschien und sich nach allen Richtungen umschaute. Da niemand zu sehen war, schritt sie auf geradestem Wege dem Meere zu, und ich folgte ihr. Ich hatte keine Eile, meine Gegenwart zu verraten; je weiter sie ging, um so länger mußte sie meiner Werbung lauschen, und bei dem sandigen Boden war es leicht, ihr geräuschlos zu folgen. Der Weg wurde steiler und mündete zuletzt auf einem Hügel. Von dort aus entrollte sich zum ersten Male vor mir in vollem Umfange die trostlose Öde, darin das Wirtshaus sich verbarg; nirgends ein Mensch oder Anwesen mit Ausnahme von Bazins Gasthaus und der Windmühle. Dicht hinter dem Hügel dehnte sich das Meer mit einigen Schiffen drauf, das Ganze hübsch wie eine Zeichnung. Eines dieser Fahrzeuge war für ein so großes Schiff ungewöhnlich nahe an Land gekommen, und mit argwöhnischem Schreck erkannte ich in ihm das »Seepferd«. Was hatte ein englisches Kriegsschiff so dicht an der französischen Küste zu suchen? Weshalb hatte man Alan in diese Gegend gelockt, an einen Ort weitab von jeder Hilfe? Und war es Zufall oder Absicht, daß die Tochter James Mores heute am Strande spazierenging?

Bald darauf trat ich, ihr immer noch im Rücken, hinter den Dünen auf den Strand hinaus. Es war ein langer öder Streifen, und etwa in dessen Mitte war eine Kriegsschiffjolle auf den Sand gezogen, während ein Offizier zur Bewachung und wie in Erwartung auf und ab patrouillierte. Sogleich ließ ich mich an einer Stelle, wo es mich fast bedeckte, in dem rauhen Grase nieder und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Catriona schritt gerade auf das Boot zu; der Offizier begrüßte sie höflich; sie sprachen vielleicht zehn Worte miteinander, ich sah, wie ein Brief von Hand zu Hand ging, und Catriona befand sich bereits auf dem Rückwege. Gleichzeitig stach das Boot von neuem in See, den Schnabel auf das »Seepferd« gerichtet, als wäre damit seine Mission auf dem Kontinent erledigt. Ich bemerkte jedoch, daß der Offizier zurückblieb und zwischen den Hügeln verschwand.

Die Angelegenheit wollte mir wenig gefallen, um so weniger, je mehr ich darüber nachdachte. War es Alan oder Catriona, die der Offizier gesucht hatte? Jetzt näherte sie sich mir, den Blick gesenkt und den Sand betrachtend, ein so reizendes Bild, daß ich es nicht ertrug, länger an ihrer Unschuld zu zweifeln. Im nächsten Augenblick blickte sie auf und erkannte mich; sie schien zu zögern, dann schritt sie, wenn auch langsamer, näher, mit veränderter Farbe, wie mich dünkte. Bei diesem Gedanken schmolz alles, was mich bedrückte – Furcht, Argwohn und Sorge um meines Freundes Leben – dahin, und ich sprang auf und erwartete sie, trunken vor Hoffnung.

Im Näherkommen erwiderte ich ihr »Guten Morgen«, das sie mir ziemlich gefaßt bot.

»Könnt Ihr mir verzeihen, daß ich Euch gefolgt bin?« bat ich. »Ich weiß, alles was Ihr tut, geschieht in guter Absicht,« entgegnete sie und fügte ein wenig heftig hinzu: »Aber weshalb schickt Ihr jenem Manne Geld? Das darf nicht sein.« »Es war nicht für ihn bestimmt,« sagte ich, »sondern für Euch, Ihr wißt es ganz genau.«

»Aber Ihr habt auch kein Recht, es mir zu schicken,« antwortete sie. »David, das ist nicht recht.« »Es ist nicht recht, es ist von Anfang bis zu Ende unrecht,« sagte ich, »und ich bitte zu Gott, daß er diesem dummen Kerl (wenn möglich) helfen möge, es besser zu machen. Catriona, das ist kein Leben hier für Euch; verzeiht das Wort, das ich jetzt sage, aber Euer Vater ist nicht würdig, Euch zu hüten.« »Oh, nicht einmal seinen Namen sollt Ihr erwähnen!« war ihr Aufschrei. »Ich brauche auch nicht mehr von ihm zu reden; er ist es ja gar nicht, an den ich denke, oh, glaubt mir das! Ich bin jetzt die ganze lange Zeit in Leyden allein gewesen, und selbst während meiner Studien habe ich stets nur an das eine denken müssen. Dann kam Alan, und ich ging mit Offizieren zu ihren langen Zechereien, und immer noch dachte ich nur an das eine. Und so war es auch vordem, als ich Euch noch an meiner Seite hatte. Catriona, seht Ihr dieses Tuch an meinem Halse? Ihr habt den einen Zipfel abgeschnitten und ihn dann weggeworfen. Es sind jetzt Eure Farben; ich trage sie auf meinem Herzen. Oh, Liebe, ich kann nicht ohne Euch sein. Oh, versucht doch, mich ein wenig gern zu haben!«

Ich trat vor sie hin, ihr den Weg zu versperren.

»Versucht, mich ein wenig gern zu haben,« bat ich von neuem, »versucht es doch und habt mich ein wenig gern.« Noch immer sprach sie kein Wort, und eine Furcht stieg in mir auf wie die Furcht des Todes.

»Catriona,« schrie ich, sie fest anblickend, »habe ich mich wieder geirrt? Bin ich ganz verloren?«

Atemlos sah sie zu mir auf. »Willst du mich wirklich, David?« Kaum vermochte ich die Worte zu verstehen. »Das will ich. Oh, du weißt es ja – das will ich wirklich.« »Ich habe nichts mehr zu geben oder zu versagen«, sagte sie. »Es war alles dein, bereits am ersten Tage, wenn du mich als Geschenk hättest nehmen wollen!« Wir standen auf dem Gipfel des Hügels; die Stätte war windig und weithin sichtbar, selbst von dem englischen Kriegsschiff aus konnte man uns sehen, aber ich kniete vor ihr auf den Sand hin und umschlang ihre Knie und brach in einen solchen Sturm von Tränen aus, daß ich wähnte, er müsse mich zerbrechen. Alles Denken ward von der Wucht dieses Ausbruchs aus meinem Hirn verschlagen. Ich wußte nicht länger, wo ich war, ich hatte vergessen, weshalb ich mich so glücklich fühlte; ich wußte nur, daß sie sich zu mir neigte und mich an ihr Gesicht und ihre Brust zog und hörte ihre Worte wie durch einen Wirbelwind. »Davie,« sagte sie, »o Davie, das ist’s also, was du von mir denkst? So lieb hast du mich armes Mädchen? O Davie, Davie!« Damit begann sie selbst zu weinen, und unsere Tränen vermischten sich in vollkommener Freude. Es mag zehn Uhr morgens gewesen sein, als mir aufdämmernd das Bewußtsein der Gnade kam, die mir zuteil geworden und ich mich ihr gegenüber setzte, ihre beiden Hände in den meinen, und ihr ins Gesicht starrte und vor Freude wie ein Kind laut auflachte, und ihr alle möglichen törichten und lieben Namen gab. Nie hab ich einen Ort gesehen, so schön in meinen Augen wie jene Dünen bei Dünkirchen, und die Windmühlenflügel klangen, als sie über den Gipfel tauchten, wie Musik in meinen Ohren.

Ich weiß nicht, wie lange wir noch alles außer uns selbst hätten vergessen können, hätte ich nicht zufällig ihren Vater erwähnt und uns dadurch mit einem Schlage in die Wirklichkeit zurückversetzt.

»Meine kleine Freundin« nannte ich sie wieder und immer wieder und frohlockte, in diesem Worte die Vergangenheit heraufbeschwören zu können und ihr ins Gesicht zu sehen und mich ein wenig von ihr zu entfernen: »Meine kleine Freundin, jetzt bist du ganz mein; mein für immer, meine kleine Freundin; und jener Mann da existiert überhaupt nicht mehr.« Plötzliche Blässe überflog ihr Gesicht und sie entzog mir ihre Hände. »Davie, bring mich von ihm fort!« rief sie. »Etwas ist da nicht in Ordnung; er ist kein ehrenhafter Mann. Etwas ist nicht in Ordnung; in meinem Herzen lebt eine furchtbare Angst. Was will er nur mit jenem Kriegsschiff? Was steht in diesem Schreiben?« Sie hielt mir den Brief hin. »Ich fürchte, daß es Alan Böses bringt. Öffne es, Davie – öffne es und sieh nach.« Ich nahm es ihr ab, betrachtete es und schüttelte den Kopf. »Nein,« sagte ich, »mir widerstrebt es; ich kann eines anderen Brief nicht öffnen.«

»Auch nicht, um deinen Freund zu retten?«

»Ich weiß es nicht, ich glaube, nein. Wenn ich nur Gewißheit hätte.« »Du brauchst ja nur das Siegel zu erbrechen!«

»Ich weiß, aber die Sache geht mir wider den Strich.«

»Gib ihn mir,« sagte sie, »ich werde ihn selbst öffnen.«

»Nein, du auch nicht«, erwiderte ich. »Du am allerwenigsten. Der Brief betrifft deinen Vater und seine Ehre, Liebste, die wir beide anzweifeln. Ohne Frage ist der Ort hier nicht geheuer, zumal das englische Kriegsschiff sich hier befindet, und dein Vater davon weiß und jener Offizier hier an Land blieb. Er wird auch nicht allein geblieben sein; andere werden ihn begleiten; wahrscheinlich wird man uns im Augenblick sogar beobachten. Ja, kein Zweifel, der Brief muß geöffnet werden; aber ich meine, weder von dir noch von mir.« So weit war ich gekommen, im Geiste recht niedergedrückt durch das Bewußtsein der Gefahr und verborgener Feinde, als ich Alan von seiner Verfolgung James Mores allein zwischen den Dünen zurückkehren sah. Er trug selbstverständlich Uniform und sah vorzüglich aus; aber ich konnte einen Schauder nicht unterdrücken, als ich mir überlegte, wie wenig jener Rock ihn schützen würde, wenn sie ihn fingen, auf eine Jolle brachten und an Bord des »Seepferds« schleppten, ihn, den Deserteur und Rebellen und erst kürzlich verurteilten Mörder.

»Da,« sagte ich, »da ist der Mann, der das beste Recht hat, ihn zu öffnen oder nicht – wie er es für richtig hält.« Dann begann ich, ihn mit Namen zu rufen, und wir beide erhoben uns, um ihm den Weg zu zeigen.

»Wenn es so ist – wenn neue Schande über mich kommt – kannst du es ertragen?« forschte sie und sah mich mit brennenden Augen an.

»Eine ähnliche Frage ward mir vorgelegt, als ich dich erst einmal gesehen hatte«, entgegnete ich.

»Weißt du, was ich da antwortete? Wenn ich dich wirklich so möchte, wie ich glaubte – und oh! ich mag dich jetzt noch viel, viel mehr! – dann würde ich dich auch vom Fuße des Galgens weg heiraten.« Das Blut schoß ihr ins Gesicht; sie trat dicht zu mir und schmiegte sich an mich, meine Hand fest in der ihren: so erwarteten wir Alan. Er kam mit einem seiner seltsamen Lächeln. »Was hab ich dir gesagt, David?« fragte er.

»Alles zu seiner Zeit, Alan«, antwortete ich, »und die Zeit hier drängt. Wie ist es dir ergangen? Du kannst vor unserer Freundin offen reden.«

»Der Weg war umsonst«, erwiderte er.

»Ich glaube, dann haben wir mehr Glück gehabt, zum mindesten liegt hier allerlei vor, über das du richten magst. Hast du das gesehen?« fuhr ich fort, auf das Schiff deutend. »Das ist das ›Seepferd‹, Kapitän Palliser.« »Ich sollte es auch kennen«, meinte Alan. »Das Schiff hat mir damals, als es im Forth stationiert war, genug zu schaffen gemacht. Aber was fehlt dem Mann, daß er so dicht an die Küste herankommt?«

»Ich will dir’s sagen, weshalb er ursprünglich kam«, entgegnete ich. »Er kam, um James More diesen Brief zu bringen. Weshalb er noch hier weilt, nun da er ihn abgegeben hat, worum es sich handelt, weswegen ein Offizier dort in den Dünen versteckt ist und ob er sich wohl allein oder nicht allein befindet – das überlasse ich dir zu beurteilen.«

»Einen Brief an James More?«

»Jawohl.«

»Nun, ich kann dir noch mehr verraten,« sagte Alan. »Gestern nacht, als du fest eingeschlafen warst, hörte ich den Mann mit jemanden auf französisch verhandeln; dann wurde die Tür des Gasthofes geöffnet und wieder geschlossen.« »Alan,« rief ich, »du hast die ganze Nacht geschlafen. Das kann ich hier bezeugen.« »Ja, aber ich würde Alan selbst im Schlafe nicht trauen!« meinte er. »Doch die Sache sieht bös aus. Laß mich den Brief sehen.«

Ich gab ihn ihm. »Catriona,« sagte er, »Ihr müßt mich entschuldigen, mein Kind; aber hier stehen nicht mehr und nicht weniger als meine edlen Knochen auf dem Spiel; ich werde das Siegel erbrechen müssen.«

»Es ist mein Wunsch«, sagte Catriona.

Er öffnete das Schreiben, durchflog es und fuhr mit der Hand durch die Luft. »Der stinkende Lump«, sagte er und stopfte das Papier in die Tasche. »Kommt, wir wollen unsere Sachen packen. Der Ort hier ist für mich der Tod.« Und er begann nach dem Gasthaus auszuschreiten. Catriona war die erste, zu sprechen. »Er hat Euch verkauft?« fragte sie. »Verkauft, mein Kind. Aber dank Eurer und Davies Hilfe mache ich ihm noch einen Strich durch die Rechnung. Säße ich nur erst auf meinem Gaul!« fügte er hinzu. »Catriona muß uns begleiten«, sagte ich. »Sie darf mit diesem Manne nichts mehr zu schaffen haben. Sie und ich wollen uns heiraten.« Bei diesen Worten preßte sie meine Hand an ihre Seite.

»Seid ihr endlich so weit?« fragte Alan, über die Schulter blickend. »Die beste Tagesarbeit, die Ihr beide im Leben bisher geleistet habt. Und das muß ich sagen, meine Lieben, Ihr macht wirklich ein hübsches Paar.« Der Weg, dem er folgte, führte uns dicht an der Windmühle vorbei, wo ich einen Mann in Matrosenkleidung bemerkte, der dort auf Posten zu stehen schien. Wir näherten uns ihm natürlich von rückwärts. »Sieh nur, Alan«, sagte ich.

»Pst!« machte er, »das hier ist meine Sache.«

Ohne Zweifel war der Kerl ein wenig betäubt durch das Klappern der Mühle; so kamen wir unbemerkt an ihn heran. Da drehte er sich um, und wir gewahrten einen großen, kräftigen Burschen mit mahagonibraunem Gesicht. »Ich glaube, Sir, Ihr sprecht Englisch«, erkundigte sich Alan. »Non, monsieur«, erklärte der andere mit unglaublich schlechtem Akzent. »Non, monsieur!« wiederholte Alan spöttisch. »Lehrt man an Bord des ›Seepferds‹ so Französisch? Du dummer, gefräßiger Esel, hier hast du einen schottischen Stiefel in dein englisches Hinterteil!«

Er stürzte sich auf ihn, noch ehe der Mann entwischen konnte, und versetzte ihm einen Tritt, daß er der Länge nach zu Boden flog. Dann stand er da, ein wildes Lächeln auf den Lippen, und sah zu, wie der andere eilig auf die Füße kletterte und sich zwischen den Dünen aus dem Staube machte.

»Es ist hohe Zeit, daß ich aus diesen öden Hügeln herauskomme!« meinte Alan und setzte seinen Weg im Laufschritt fort, wir immer hinterdrein, bis wir vor der Hintertür zu Bazins Wirtshaus standen.

Zufällig betrat, als wir zu der einen Tür hereinkamen, James More gleichzeitig durch die andere Tür das Haus. »Hier!« sagte ich zu Catriona, »rasch! Mach, daß du nach oben kommst und deine Sachen packst! Das hier ist keine passende Szene für dich!«

Jetzt standen sich James und Alan in der Mitte des langgestreckten Raumes gegenüber. Catriona huschte dicht an ihnen vorbei, um die Treppe zu erreichen; ich sah, wie sie sich auf halber Höhe nach ihnen umblickte, ohne jedoch im Laufen innezuhalten. Der Anblick war auch wahrhaftig sehenswert. Alan trug, als sie zusammentrafen, die denkbar liebenswürdigste, freundschaftlichste Miene zur Schau, darunter aber schwelte eine so aggressive Feindschaft, daß James sofort Gefahr witterte, wie Menschen, die den Brand im Hause riechen und auf jedes Unglück gefaßt sind. Die Zeit drängte. Alans Lage an diesem einsamen, von Feinden umstellten Ort, hätte selbst einen Cäsar entmutigen können. Auf ihn machte sie keinen Eindruck, und er eröffnete das Treffen in dem alten Geist der Spottsucht und des Spiels.

»Schön guten Tag, Mr. Drummond«, sagte er. » Worum handelt es sich eigentlich bei dem Geschäft, das Ihr betreibt?« »Ja, das ist eine private und ziemlich langwierige Sache,« erwiderte James, »ich meine daher, wir sparen sie bis nach dem Essen auf.«

»Da bin ich nicht so ganz Eurer Ansicht«, entgegnete Alan. »Ich meine, es heißt nun, jetzt oder nie; Tatsache ist, Mr. Balfour und ich haben einen Brief erhalten und wollen sogleich wieder weiter.«

Ich sah eine gewisse Überraschung in James Auge aufleuchten; aber er hielt sich tapfer.

»Ich brauche Euch nur ein Wort zu verraten, und Ihr gebt diese Absicht auf: ich nenne Euch den Namen des Geschäfts.« »Also heraus mit der Sprache! Pah, Ihr braucht Euch um Davie nicht zu scheren!« »Es handelt sich um eine Sache, die uns beide reich machen kann.«

»Wahrhaftig?« rief Alan. »In der Tat, Sir. Die nackte Tatsache ist, es handelt sich um Clunys Schatz.« »Nein!« rief Alan. »Wißt Ihr, wo er sich befindet?«

»Ich kenne den Ort, Mr. Stuart, und kann Euch zu ihm hinführen.« »Das setzt doch allem die Krone auf!« rief Alan. »Ich bin aber wirklich froh, daß ich nach Dünkirchen gekommen bin. Das war also Euer Geschäft? Halbpart, natürlich?«

»Das, Sir, war das Geschäft.« »Ja, ja,« meinte Alan, immer noch in dem gleichen Ton kindlichen Interesses, »es hat also nichts mit dem ›Seepferd‹ zu tun?«

»Mit was?« fragte James.

»Oder mit dem Burschen, den ich soeben hinter der Windmühle zum Teufel jagte?« fuhr Alan fort. »Pfui, Mann, jetzt aber Schluß mit Euren Lügen! Ich habe Pallisers Brief hier in der Tasche. Mit Euch ist es aus, James More. Ihr könnt Euch vor anständigen Menschen nie wieder blicken lassen.«

James war wie betäubt. Eine Sekunde lang stand er bleich und regungslos, dann schwollen ihm die Adern vor lebendigem Zorn. »Wagst du so mir mit zu reden, du Bastard?,« brüllte er. »Du verräterisches Schwein!« schrie Alan und schlug ihn heftig auf den Mund; in der nächsten Sekunde klirrten ihre Klingen gegeneinander.

Bei dem ersten Anprall des nackten Stahls war ich instinktiv zurückgefahren; das Nächste, was ich sah, war James, der so haarscharf einen Stoß parierte, daß ich glaubte, er wäre getötet; dann schoß es mir durch den Sinn, daß er ja der Vater des Mädchens und in gewissem Sinne auch mein eigener Vater wäre und ich zog gleichfalls blank und fuhr dazwischen, um sie zu trennen. »Zurück, Davie! Bist du toll? Verdammt noch einmal, zurück!« brüllte Alan. »Dein Blut komme über dein eigenes Haupt!« Zweimal schlug ich ihre Klingen nieder. Taumelnd flog ich gegen die Wand und stand im nächsten Augenblick wieder zwischen ihnen. Sie achteten meiner nicht und hieben gleich zwei Furien aufeinander ein. Ich weiß auch heute nicht, wie ich es vermied, von diesen beiden Rodomonten erstochen zu werden; die ganze Szene wirbelte um mich herum wie eine Szene aus einem Traum. Da erscholl mitten in dem Aufruhr von der Treppe her ein lauter Schrei und Catriona warf sich vor ihren Vater. Gleichzeitig traf mein Degen auf etwas Weiches. Er blieb gerötet in meiner Hand zurück. Ich sah Blut von des Mädchens Halstuch fließen und Übelkeit bemächtigte sich meiner. »Wollt Ihr ihn vor meinen Augen töten, vor mir, die ich trotz allem seine Tochter bin?« schrie sie.

»Kind, ich bin mit ihm fertig«, sagte Alan, ging fort und setzte sich mit gekreuzten Armen, den bloßen Degen in der Hand, auf einen der Tische.

Eine Weile stand sie keuchend mit weit aufgerissenen Augen vor ihm, dann wandte sie sich plötzlich gegen den anderen. »Fort!« redete sie ihn an, »trag deine Schande aus meinem Angesicht; laß mich bei reinen Menschen. Ich bin eine Tochter Alpins! Du Schmach der Söhne Alpins, aus meinen Augen!« Das wurde mit solcher Leidenschaft gesprochen, daß es mich aus dem Grauen vor meinem eigenen blutigen Schwert aufrüttelte. Die beiden standen einander gegenüber, sie mit dem roten Fleck auf ihrem Brusttuch, er weiß wie ein Laken. Ich kannte ihn gut – ich wußte, es mußte ihn bis ans Herz getroffen haben, aber er rettete sich in eine Bravolaune. »Gut,« sagte er, das Rapier einsteckend, aber immer noch scharf zu Alan hinüberäugend, »wenn also dieser kleine Zank vorbei ist, werde ich meinen Mantelsack holen –«

»Hier kommt mir, außer durch meine Person, kein Mantelsack aus dem Haus«, erklärte Alan.

»Sir!« rief James.

»James More,« sagte Alan, »diese Dame, Eure Tochter, wird meinen Freund Davie heiraten, aus welchem Grund ich Euch gestatte, Euren Kadaver unversehrt zu entfernen. Aber ich rate Euch gut, sorgt, daß dieser Kadaver in Sicherheit gebracht wird, ehe es zu spät ist. Ihr werdet es kaum glauben, aber selbst meine Geduld hat ihre Grenzen.«

»Verdammt, Sir, aber mein Geld befindet sich in jenem Mantelsack!«

»Auch das tut mir sehr leid,« sagte Alan mit drolligem Gesichtsausdruck, »aber seht ihr, es gehört jetzt mir.« Dann fügte er mit größerem Ernst hinzu: »Laßt Euch raten, James More, verlaßt dieses Haus.« Einen Augenblick schien James im Stillen zu überlegen, aber es ist anzunehmen, daß er von Alans Fechtkunst eine hinreichende Probe gekostet hatte; denn plötzlich (mit dem Ausdruck eines Verdammten) zog er seinen Hut und verabschiedete sich von uns in corpore. Im nächsten Augenblick war er gegangen. Gleichzeitig schien der Bann von mir zu weichen.

»Catriona!« rief ich, »ich war es – mein Degen! Oh, bist du schwer verletzt?«

»Ich weiß es, Davie, und liebe dich ob des Schmerzes um so mehr, weil es geschah, um jenen schlechten Menschen, meinen Vater, zu verteidigen. Sieh!« sagte sie und zeigte mir eine blutende Schramme, »du hast jetzt einen Mann aus mir gemacht. Ich will die Wunde tragen wie ein alter Soldat.«

Freude über die Geringfügigkeit ihrer Verletzung und Liebe zu ihrem tapferen Wesen rissen mich fort. Ich umarmte sie und küßte die Wunde.

»Ja, soll denn ich, der ich mir keinen Kuß entgehen lasse, ganz leer ausgehen?« fragte Alan, und mich beiseite schiebend, faßte er Catriona an beiden Schultern. »Kind,« sagte er, »du bist eine echte Tochter Alpins. Nach allem, was wir wissen, war er ein Prachtkerl, und er kann stolz auf dich sein. Sollte ich mich je verheiraten, werde ich Bein von deinem Bein zur Mutter meiner Söhne wählen. Und ich trage eines Königs Namen und rede die Wahrheit.« Das sagte er mit heißer und ernster Bewunderung, die für das Mädchen und indirekt auch für mich reinster Honig war. Alle Schmach von James More schien dadurch von uns abgewaschen. Im nächsten Augenblick war er wieder ganz er selbst.

»Mit Verlaub, meine Lieben –das ist ja alles recht schön und gut, aber Alan Breck befindet sich dem Galgen ein klein wenig näher, als ihm gerade lieb ist. Bei Gott, ich meine, dieser Ort ist ein herrlicher Ort – zum Davonlaufen.« Seine Worte brachten uns zur Vernunft. Alan rannte eilig nach oben und kehrte mit unseren Satteltaschen und mit James Mores Mantelsack zurück; ich raffte Catrionas Bündel von der Treppe auf, wo sie es hatte fallen lassen, und wir waren eben im Begriff, von jenem gefährlichen Hause aufzubrechen, als Bazin uns schreiend und gestikulierend zurückhielt. Er hatte sich, als blank gezogen wurde, schleunigst unter den Tisch verkrochen, war jetzt aber kühn wie ein Löwe. Es sei noch eine Zeche zu begleichen, wir hätten einen Stuhl zerschlagen, Alan hätte sich zwischen das Geschirr gesetzt und James More wäre geflohen. »Hier,« rief ich, »macht Euch selbst bezahlt« und warf ihm einen Louisdor zu; es war jetzt nicht an der Zeit, zu rechnen. Er stürzte sich auf das Geld, und wir stürmten an ihm vorbei ins Freie. Von drei Seiten drangen Seeleute eilig und den Kreis unablässig verengend gegen das Haus vor; in geringer Entfernung schwenkte James More den Hut, wie um sie anzufeuern, und unmittelbar hinter ihm bewegten sich, gleich einem Narren, der hilflos gestikuliert, die Flügel der Windmühle.

Alan warf nur einen einzigen Blick um sich und fiel in Laufschritt. Er hatte schwer an James‘ Mantelsack zu schleppen, aber ich glaube, er hätte lieber sein Leben gelassen, als die Beute aufgegeben, die seine Rache war; er lief so schnell, daß ich Mühe hatte, ihm zu folgen und staunte und stolz war, das Mädchen an meiner Seite dahinstürmen zu sehen.

Als sie unser gewahr wurden, ließen sie allen Schein fahren; die Matrosen nahmen unter lauten Rufen und Hurrageschrei die Verfolgung auf. Wir hatten einen Vorsprung von zweihundert Metern, und sie waren alles in allem doch nur krummbeinige Teerjacken, mit nur geringer Hoffnung, uns in diesem Sport zu überholen. Wie ich vermute, waren sie auch bewaffnet, wagten es aber wahrscheinlich nicht, auf französischem Boden ihre Pistolen zu gebrauchen. Sobald ich erkannte, daß wir die Entfernung zwischen ihnen und uns nicht nur einhielten, sondern sogar vergrößerten, war ich über den Ausgang ganz beruhigt. Trotzdem war es harte, heiße Arbeit, so lange sie währte; Dünkirchen lag immer noch eine gehörige Strecke entfernt, und als wir endlich jenseits der Kuppe eines Hügels eine Kompanie Garnisonsoldaten bei irgendeinem Marschmanöver überraschten, vermochte ich Alans Bemerkung recht gut zu verstehen. Er hielt augenblicklich in seinem Lauf inne und wischte sich die Stirn. »Sie sind doch wirklich eine sympathische Nation, die Franzosen«, meinte er.

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Schluß

Kaum befanden wir uns innerhalb der Mauern von Dünkirchen in Sicherheit, da hielten wir den so nötigen Kriegsrat über unsere Lage. Wir hatten mit Waffengewalt einem Vater seine Tochter geraubt; jeder Richter hätte sie ihm ohne weiteres wieder zugeführt und aller Wahrscheinlichkeit nach Alan und mich ins Gefängnis geworfen, und obwohl wir in Gestalt von Kapitän Pallisers Brief ein Argument zu unseren Gunsten besaßen, lag doch weder Catriona noch mir sonderlich daran, es in der Öffentlichkeit zu gebrauchen. Alles in allem schien es uns das Klügste, das Mädchen nach Paris zu bringen in die Obhut ihres eigenen Häuptlings, Macgregor von Bohaldie, der nicht nur bestimmt bereit sein würde, seiner Verwandten zu helfen, sondern auch durchaus abgeneigt, James Mores Schande aufzudecken.

Wir kamen nur recht langsam vorwärts, da Catriona nicht so gewandt im Reiten wie im Rennen war und seit ’45 kaum im Sattel gesessen hatte. Aber endlich, an einem Sonntagsmorgen, waren wir in Paris und begaben uns unter Alans Führung auf dem schnellsten Wege zu Bohaldie. Er wohnte recht prächtig und lebte auf gutem Fuß, da er eine Pension aus dem Schottenfond bezog und auch über Privatmittel verfügte; Catriona begrüßte er wie eine Angehörige seines eigenen Hauses und benahm sich im ganzen sehr höflich und diskret, wenn auch nicht besonders offenherzig. Wir fragten ihn nach Nachrichten über James More. »Der arme James!« sagte er und schüttelte den Kopf und lächelte, und ich gewann die Überzeugung, daß er mehr wußte, als er sagen wollte. Dann zeigten wir ihm Pallisers Brief, und sein Gesicht wurde ellenlang. »Der arme James!« sagte er von neuem. »Nun, es gibt schlechtere Menschen als James More. Aber das hier ist wirklich sehr schlimm. Ja, ja, er muß reinweg den Kopf verloren haben! Ein höchst unerfreulicher Brief. Trotzdem, meine Herren, sehe ich nicht ein, weshalb wir ihn der Öffentlichkeit übergeben sollten. Es ist ein schlechter Vogel, der sein eigen Nest beschmutzt, und wir sind alle Schotten und Hochländer.« Darin waren wir mit ihm einig, alle, ausgenommen vielleicht Alan, und noch einiger waren wir betreffs unserer Heirat, die Bohaldie selbst in die Hand nahm, als gäbe es überhaupt keinen James More. Auf die reizendste Manier, und mit zierlich gedrechselten französischen Komplimenten gab er Catriona eigenhändig in die Ehe, und erst, als alles vorbei war und man auf unser Wohl getrunken hatte, verriet er uns, daß James sich in der Stadt befände, wo er einige Tage vor uns eingetroffen war und jetzt auf den Tod krank darniederlag. Ich glaubte auf meiner Frau Gesicht zu lesen, wohin ihr Herz sie trieb.

»Wir wollen ihn besuchen«, sagte ich.

»Wenn du es wirklich wünschst«, meinte Catriona. Das war noch in den Flitterwochen.

Er war in dem gleichen Stadtviertel wie sein Häuptling in einem großen Eckhaus untergebracht; und der Klang eines hochländischen Dudelsacks zeigte uns den Weg nach seiner Dachkammer. Es scheint, daß er sich von Bohaldie ein paar Querpfeifen geborgt hatte, um sich während seiner Krankheit die Zeit zu vertreiben, und obgleich er kein solcher Künstler wie sein Bruder Rob war, machte er doch recht gute Musik. Es war ein kurioser Anblick, die französischen Zuhörer lachend sich auf der Treppe drängen zu sehen. Er lag auf einer Strohmatratze, von Kissen gestützt. Bereits auf den ersten Blick erkannte ich, daß es mit ihm zu Ende ging, und zweifellos war der Ort als Sterbezimmer für ihn ein merkwürdiger Ort. Aber selbst jetzt vermag ich kaum mit Nachsicht bei seinem Ende zu verweilen. Sicherlich hatte Bohaldie ihn auf unser Kommen vorbereitet; er wußte anscheinend, daß wir verheiratet waren, beglückwünschte uns zu dem Ereignis und erteilte uns wie ein Patriarch seinen Segen.

»Man hat mich niemals verstanden«, sagte er. »Ich verzeihe Euch beiden ohne Bitterkeit,« und so redete er fort, ganz wie früher; ja, er war so gefällig, uns auf den Querpfeifen ein paar Lieder vorzuspielen und ging mich zum Schluß um ein kleines Darlehen an. Ich vermochte auch nicht die Spur von Scham an ihm zu entdecken, dagegen war er ein Meister im Vergeben; das schien für ihn niemals den Reiz zu verlieren. Ich glaube, er vergab mir jedesmal, wenn wir zusammen waren, und als er rund vier Tage später in einer Art Heiligenschein liebevoller Frömmigkeit verschied, hätte ich mir vor Ekel die Haare ausraufen können. Ich ließ ihn begraben, aber was ich auf seinen Grabstein setzen sollte, ging über meinen Horizont; bis es mich endlich das beste dünkte, es bei dem schlichten Datum zu belassen.

Ich hielt es für ratsamer, jeden Gedanken an Leyden, wo wir als Bruder und Schwester aufgetreten waren, aufzugeben; ohne Frage sah es sehr sonderbar aus, jetzt in einer neuen Rolle dort zu erscheinen. Schottland war für uns das Richtige, und nach Schottland fuhren wir auf einem niederländischen Schiff, nachdem ich mein zurückgelassenes Hab und Gut wieder in meinen Besitz gebracht hatte.

Und jetzt, Fräulein Barbara Balfour (um den Damen den Vortritt zu geben) und Mr. Alan Balfour, Junker von Shaw, habe ich Euch die Geschichte fein säuberlich zu Ende erzählt. Ihr werdet finden (wenn Ihr’s Euch recht überlegt), daß Ihr einen großen Teil der darin handelnden Personen kennt und gesprochen habt. Alison Hastie aus Limekilnes ist das Mädchen, das Eure Wiege schaukelte, als Ihr noch zu klein wart, um etwas davon zu verstehen, und Euch in späteren Jahren auf dem Gute spazierenführte. Die sehr schöne, große Dame, Barbaras Patin, ist niemand anders als Miß Grant, die David Balfour im Hause des Lord Staatsanwalts so arg zum Narren hielt. Und ich frage mich, ob Ihr Euch wohl noch des kleinen, hageren, lebhaften Herrn in Stutzperrücke und schwerem Mantel erinnert, der sehr spät in einer dunklen Nacht nach Shaw kam und den zu begrüßen Ihr aus Euren Betten geholt wurdet, um ihm in dem Speisesaal unter dem Namen Mr. Jamieson vorgestellt zu werden? Oder hat Alan etwa vergessen, was er auf Mr. Jamiesons Verlangen tat – eine äußerst unpatriotische Handlung, deretwegen er, dem Buchstaben des Gesetzes nach, sogar hätte gehenkt werden können – nämlich auf das Wohl des Königs »jenseits des Meeres« zu trinken? Schöne Dinge, merkwürdige Dinge für ein gut whigsches Haus! Aber Mr. Jamieson ist eine privilegierte Persönlichkeit und kann, wenn er will, selbst meinen Kornspeicher in Brand setzen; und der Name, unter dem man ihn heute in Frankreich kennt, lautet ›der Chevalier Stuart‹. Und was Davie und Catriona betrifft, so werde ich sie in diesen Tagen recht scharf im Auge behalten, ob sie auch nicht so naseweis sind, Papa und Mama auszulachen. Wahr, wir benahmen uns nicht immer so gescheit, wie wir uns hätten benehmen können und schafften uns aus dem Nichts ein gut Teil Herzeleid; aber Ihr werdet finden, wenn Ihr erst erwachsen seid, daß selbst die kluge Miß Barbara und der tapfere Mr. Alan nicht so sehr viel gescheiter als ihre Eltern sind. Das Leben des Menschen auf dieser Erde ist eine recht kurzweilige Sache. Es heißt zwar, daß es die Engel zum Weinen bringt, aber ich meine, weit öfter müssen sie sich die Seiten halten vor Lachen, wenn sie auf uns hier unten herniederschauen; und das eine stand nun mal bei mir fest, als ich diese lange Geschichte begann: alles so zu erzählen, wie es sich wirklich ereignet hat.