Wir treffen uns in Dünkirchen

Alles in Allem war ich am folgenden Tage doch nicht so unglücklich, daß ich nicht auch hoffnungsfrohe und glückliche Minuten erlebte; ich warf mich mit ziemlichem Eifer auf meine Studien und beschloß, auszuharren, bis Alan käme oder bis ich durch James More Nachricht von Catriona erhielt. Ich empfing im ganzen drei Briefe in dieser Zeit unserer Trennung. Der eine kündete ihre Ankunft in der Stadt Dünkirchen in Frankreich an, von wo aus James More bald darauf in privater Mission allein weiterreiste. Sein Auftrag führte ihn nach England zu Lord Holderneß, und mir ist es von jeher ein bitterer Gedanke gewesen, daß mein gutes Geld mitwirkte, die Kosten hierfür zu bestreiten. Aber wer mit dem Teufel oder James More zur Nacht speiste, der bedurfte eines gar langen Löffels. In seine Abwesenheit fiel der Termin für einen zweiten Brief, und da diese Nachrichten eine Vorbedingung der Rente waren, hatte er sie sorgsam vorbereitet und Catriona zur Weiterbeförderung hinterlassen. Allein unsere Korrespondenz erregte ihren Argwohn; kaum war er fort, da erbrach sie das Siegel. Das Schreiben, das ich erhielt, begann daher in der Handschrift James Mores:

»Sehr geehrter Herr, Eure geschätzte Sendung traf pünktlich ein, und ich beeile mich, die Einlage laut Vereinbarung zu bestätigen. Es soll alles getreulich auf meine Tochter verwendet werden, die sich wohlauf befindet und ihrem teuren Freunde ihre Grüße schickt. Sie befindet sich zur Zeit in etwas melancholischer Verfassung, aber ich vertraue auf Gottes Gnade, sie bald wiederhergestellt zu sehen. Unser Leben ist sehr einsam; wir trösten uns indes mit den melancholischen Weisen unserer heimatlichen Berge sowie durch häufiges Wandeln an der Küste jener See, die Schottland zunächst gelegen ist. Das waren bessere Tage, als ich noch mit fünf Wunden am Leibe auf dem Feld von Gladsmuir lag. Beschäftigung habe ich gefunden in dem Gestüt eines französischen Edelmanns, wo meine Erfahrungen geschätzt werden. Aber, verehrter Sir, die Entlohnung ist so überaus unangemessen, daß ich mich schämen müßte, sie zu nennen, wodurch Eure Rimessen für meiner Tochter Bequemlichkeit um so notwendiger werden, obzwar der Anblick alter Freunde noch wohltuender wirken dürfte.

Ich verbleibe, mein teurer Sir, Euer anhänglicher, gehorsamer Diener, James MacGregor Drummond.«

Darunter stand in Catrionas Handschrift:

»Glaubt ihm nicht; es ist alles gelogen.

C. M. D.«

Ich glaube, sie fügte nicht nur dieses Postskriptum hinzu, sondern war nahe daran, den Brief zu unterschlagen, denn er traf, dem Datum nach, stark verspätet ein, und ihm folgte bald darauf der dritte Brief. Inzwischen war auch Alan gekommen; sein lustiges Geplauder schuf mir ein neues Leben; er hatte mich seinem Vetter von der Schottisch-holländischen Garde vorgestellt, einem Manne, der mehr trank als ich für möglich hielt, sonst aber uninteressant war. Ich wurde zu zahlreichen ausgelassenen Diners eingeladen und gab selbst einige lustige Essen – alles, ohne eine Milderung meines Kummers zu verspüren, und wir beide (will sagen Alan und ich und keineswegs der Vetter) erörterten lang und breit meine Beziehungen zu James More und seiner Tochter. Begreiflicherweise war ich nicht sehr bereit, Einzelheiten zu schildern, eine Abneigung, die durch die Art von Alans Kommentar nicht behoben wurde. »Ich kann nicht draus klug werden,« pflegte er zu sagen, »aber ich meine, du hast einen rechten Esel aus dir gemacht. Wenige Menschen besitzen mehr Erfahrung als Alan Breck, und ich kann mich nicht besinnen, je im Leben von einem Mädel gehört zu haben wie deines hier. Wie du die Sache erzählst, ist sie rein unmöglich. Du mußt die Angelegenheit hoffnungslos verpatzt haben. David.«

»Mitunter bin ich ganz deiner Meinung«, antwortete ich.

»Das Sonderbare ist, du scheinst an dem Mädchen eine Art Narren gefressen zu haben.«

»Den größten Narren von der Welt, Alan; ich glaube, ich werde ihn noch mit ins Grab nehmen.«

»Na, das geht über meinen Horizont!« waren seine Schlußworte.

Ich zeigte ihm den Brief mit Catrionas Postskriptum. »Da haben wir’s wieder!« rief er. »Unmöglich kann man dieser Catriona einen gewissen Anstand absprechen! Ja, und sie ist auch ganz gescheit! Was nun James More betrifft – der Mann ist so hohl wie eine Trommel – nichts als ein Bauch und leere Redensarten; obwohl ich nicht leugnen kann, daß er bei Gladsmuir tapfer gefochten hat, und was er von den fünf Wunden sagt, ist auch wahr. Aber das Schlimme an ihm ist – der Kerl ist hohl.«

»Du verstehst doch, Alan,« sagte ich, »es geht mir gegen den Strich, das Mädchen in solchen Händen zu lassen.«

»Schlechter könnten die Hände nicht sein«, gestand er. »Aber was willst du? Wenn sich’s um ’n Mannsbild und ’n Frauenzimmer handelt, liegt die Sache so, Davie: Verstand haben die Weiber überhaupt nicht. Entweder sie mögen den Mann, dann geht alles wie geschmiert; oder sie hassen ihn einfach, dann kannst du dir die Worte sparen – dann ist nichts zu machen. Es gibt nur diese zwei Arten – Weiber, die ihr letztes Hemd für einen verkaufen, und Weiber, die nicht einmal den Boden ansehen, auf dem man steht. Andere gibt’s nicht, und du scheinst ein solcher Esel zu sein, daß du sie nicht einmal unterscheiden kannst.«

»Ja, ich fürchte, da hast du recht.«

»Und doch ist nichts leichter als das!« rief Alan. »Ich könnte dich’s ohne weiteres lehren, aber du scheinst mir blind geboren; das ist eben der Haken!«

»Kannst du mir wirklich nicht helfen, Alan? Du bist doch so klug in allen diesen Dingen!«

»Ja, weißt du, Davie, ich hab das Mädel nicht kennengelernt. Ich bin wie ein Feldoffizier, der als Beobachter und Eclaireurs nur Blinde hat. »Was soll man da machen? Ich meine eben, du hast irgendeine Riesendummheit begangen, und wenn ich du wäre – ich würde die Sache noch einmal in die Hand nehmen.« »Glaubst du wirklich, Alan, mein Junge?«

»Wirklich und wahrhaftig.« Der dritte Brief erreichte mich, als wir gerade in ein derartiges Gespräch vertieft waren; man wird gleich sehen, wie sehr er uns gelegen kam. James behauptete, um seiner Tochter Gesundheit, die meines Glaubens nach niemals befriedigender gewesen war, sehr besorgt zu sein. Er floß über von freundschaftlichen Beteuerungen und schlug schließlich vor, ich solle ihn in Dünkirchen besuchen.

»Ihr werdet zur Zeit die Gesellschaft meines alten Kameraden, Mr. Stuarts, genießen«, schrieb er. »Weshalb ihn nicht auf seiner Rückkehr nach Frankreich hierher begleiten? Ich habe ganz private Neuigkeiten nur für Mr. Stuarts Ohr. Zum mindesten würde ich mich sehr freuen, einen so ritterlichen Waffenbruder wiederzusehen. Und was Euch selbst betrifft, mein teurer Sir, so werden meine Tochter und ich stolz sein, unseren Wohltäter zu begrüßen, den wir als einen Bruder und Sohn betrachten. Der französische Edelmann hat sich als eine Person von so filzig geizigem Charakter erwiesen, daß ich mich genötigt sah, das Gestüt zu verlassen. Ihr werdet uns daher ein wenig kümmerlich in der ›Auberge‹ eines gewissen Bazin untergebracht finden; aber die Situation ist neu, und ich zweifle nicht, daß wir einige recht angenehme Tage verbringen werden, in denen Mr. Stuart und ich Erinnerungen aus der Zeit unseres Waffenhandwerks austauschen können, während Ihr und meine Tochter Euch in einer Eurem Alter entsprechenden Weise unterhalten möget. Zum mindesten ersuche ich Mr. Stuart, hierherzukommen; die Angelegenheit, die ich ihm zu eröffnen habe, ist von weittragender Bedeutung.«

»Was will der Mann von mir?« rief Alan, als er zu Ende gelesen hatte. »Was er von dir will, ist klar genug – Geld. Aber was schert ihn Alan Breck?« »Ach, es wird nur so eine Art Vorwand sein«, sagte ich. »Er hat immer noch diese Heirat im Kopf und will sie, koste es, was es wolle, durchsetzen. Dich bittet er, zu kommen, weil er glaubt, daß ich ohne dich erst recht nicht erscheinen werde.«

»Nun, ich wollte, ich wüßte, woher der Wind pfeift«, meinte Alan. »Er und ich waren niemals sonderlich gut Freund; wir knurrten einander an, wie so ein paar Dudelsäcke. ›Etwas privatim für mein Ohr‹ schreibt er! Ich werde vielleicht etwas privatim für seinen Hintern haben, bevor wir miteinander fertig sind. Potzdonner, das wäre doch ein sehr netter Spaß, hinzureisen und zu sehen, was er im Schilde führt! Außerdem lernte ich dann das Mädel kennen. Was meinst du dazu, Davie? Willst du Alan begleiten?«

Wie man sich denken kann, war ich nicht abgeneigt, und da Alans Urlaub sich seinem Ende näherte, brachen wir kurz darauf zu diesem gemeinsamen Abenteuer auf.

Es war dicht vor Dunkelwerden an einem Tage im Januar, als wir endlich in die Stadt Dünkirchen einritten. Wir stellten unsere Pferde in der Post unter und fanden einen Führer nach Bazins Gasthof, der außerhalb der Tore lag. Mittlerweile war es ganz Nacht geworden, wir waren die letzten, die aus der Festung hinausgelassen wurden und hörten, als wir die Brücke passierten, hinter uns die Tore ins Schloß fallen. Jenseits der Wälle lag eine erleuchtete Vorstadt, durch die zuerst der Weg führte, dann bogen wir in ein dunkles Gäßchen ein und mußten nach einer kleinen Weile in der Finsternis durch tiefen Sand waten, während Meeresbrausen an unser Ohr drang. So strebten wir eine Zeitlang vorwärts, hauptsächlich unseres Führers Stimme folgend, und ich dachte bereits, er hätte den Weg verloren, als wir die Spitze eines kleinen Hügels erklommen und vor uns aus der Dunkelheit ein schwacherleuchtetes Fenster auftauchen sahen. »Voilà l’auberge à Bazin«, sagte der Führer.

Alan schnalzte mit der Zunge. »Eine unheimlich einsame Gegend«, meinte er, und ich glaubte seinem Tone zu entnehmen, daß er nicht ganz zufrieden war. Bald darauf standen wir im Untergeschoß eines Hauses, das ein einziger Raum ausfüllte; eine Treppe führte hinauf zu den seitlich gelegenen Zimmern, Bänke und Tische standen an den Wänden, der Kochherd nahm das eine Ende des Gemaches ein, und Bordbretter mit Flaschen und eine Kellerfalltür befanden sich an dem anderen Ende. Hier erklärte uns Bazin, ein großer Bursche von zweifelhaftem Aussehen, der schottische Gentleman sei ausgegangen, wohin, wüßte er nicht, aber die junge Dame wäre oben; er würde sie herunterrufen.

Ich zog aus meinem Busen das Tuch mit dem fehlenden Zipfel und knüpfte es um meinen Hals. Ich vernahm dabei das Pochen meines Herzens und konnte, da Alan mir mit ein paar lachenden Worten auf die Schulter klopfte, kaum eine scharfe Entgegnung unterdrücken. Aber ich hatte nicht lange zu warten. Ich erkannte zu unseren Häupten ihren Schritt und sah sie die Treppe herunterkommen. Sie kam sehr ruhig und begrüßte mich ein wenig bleich und mit einer gewissen Intensität oder Unruhe in ihrem Gebaren, die mich außerordentlich dämpfte. »Mein Vater, James More, wird bald zurück sein. Er wird sich sehr freuen, Euch zu sehen«, sagte sie. Dann flammte plötzlich ihr Gesicht auf, ihre Augen leuchteten und das Wort blieb ihr auf den Lippen haften; ich war überzeugt, sie hatte das Halstuch bemerkt. Ihre Erregung dauerte nur einen Atemzug, aber mich dünkte, sie wandte sich mit besonderer Lebhaftigkeit Alan zu. »Und das ist sicherlich Euer Freund, Alan Breck?« rief sie. »Viele Dutzend Male hab ich von Euch erzählen hören; ich liebe Euch bereits dank Eurer Tapferkeit und Güte.«

»Ja, ja,« sagte Alan und hielt, den Blick auf sie geheftet, ihre Hand in der seinen, »da haben wir also endlich die junge Dame! David, ein Tausendkünstler im Beschreiben bist du nicht.«

Ich glaube, so geradewegs zu Herzen hab ich ihn nie reden hören; der Klang seiner Stimme war Musik in meinen Ohren. »Wie, hat er mich Euch beschrieben?« rief sie.

»Er hat wenig anderes getan, seit ich aus Frankreich gekommen bin!« entgegnete er. »Dazu kommt noch eine gewisse Nacht in Schottland in einem kleinen Gehölz bei Silvermills. Aber laßt nur, mein Kind, Ihr seid viel hübscher als er sagt. Und das eine ist klar: Ihr und ich, wir werden Freunde werden. Ich bin so eine Art Schatten von Davie hier, ein alter Köter an seinen Fersen: was er liebt, das muß ich auch lieben – und bei der Heiligen Schrift! – mich lieben müssen seine Freunde auch! So, nun wißt Ihr, wie Ihr mit Alan Breck steht, und Ihr werdet finden, verlieren tut Ihr an dem Handel nicht. Er ist nicht gerade hübsch, mein Kind, aber er ist denen treu, die er liebt.«

»Ich danke Euch von Herzen für Eure guten Worte«, sagte sie. »Ich habe so große Achtung vor einem tapferen, aufrechten Mann, daß ich nicht weiß, was ich Euch sagen soll.« Wir machten Gebrauch von dem Recht der Reisenden und setzten uns zu dritt, ohne auf James More zu warten, zu Tisch. Alan ersuchte Catriona, sich neben ihn zu setzen und ihm beim Essen aufzuwarten: er ließ sich von ihr das Glas kredenzen und umgab sie von Anfang bis zu Ende mit freundschaftlichen, galanten Aufmerksamkeiten, ohne mir auch nur den leisesten Grund zur Eifersucht zu bieten. Ja, er beherrschte so vollkommen das Gespräch und lenkte es in so launiger Weise, daß sie wie ich unsere Verlegenheit vergaßen. Wäre jemand dagewesen, uns zu beobachten, er hätte glauben müssen, Alan sei der altvertraute Freund und ich der Fremde. Wahrhaftig, ich hatte oft schon Gelegenheit gehabt, ihn zu lieben und zu bewundern, niemals aber liebte und bewunderte ich ihn mehr als in jener Nacht. Mir selbst sagte ich dabei (was ich mitunter zu vergessen neigte), daß er nicht nur große Lebenserfahrung, nein, auf seine Weise auch ein hohes Maß natürlicher Begabung besäße. Was Catriona betraf, so schien sie gänzlich hingerissen; ihr Lachen klang hell wie ein Glockenspiel, ihr Antlitz war so heiter wie ein Maimorgen; und ich gestehe, obwohl ich mich darüber freute, war ich doch ein wenig traurig, denn ich kam mir neben meinem Freunde langweilig und hölzern vor, kurz, kaum geeignet, in eines jungen Mädchens Leben einzugreifen, um womöglich gar ihre Daseinsfreude zu betäuben.

Allein, obschon das meine Rolle zu sein schien, hatte ich doch den Trost, sie nicht als einziger spielen zu müssen. James More kehrte unerwartet zurück, und das Mädchen war von diesem Augenblick an zu Stein verwandelt. Den Rest des Abends, bis sie unter irgendeinem Vorwand zu Bette ging, beobachtete ich sie ohne Unterlaß und kann bezeugen, daß sie auch nicht einmal lächelte, kaum ein Wort sprach und fast ständig vor sich hinstarrte. Wahrhaftig, ich mußte staunen, so viel hingebende Liebe (wie sie sie früher empfunden hatte) förmlich in krankhaften Haß verwandelt zu sehen.

Es erübrigt sich, von James More sonderlich viel zu sagen; man kennt ihn bereits zur Genüge, weiß, was es von ihm zu melden gibt; und ich habe es satt, von seinen Lügen zu schreiben. Genug, daß er sehr viel trank und uns sehr wenig Positives erzählte. Was das Geschäft mit Alan anbelangte, so sollte es bis morgen und für Alans Ohr allein aufgespart werden. Es ließ sich um so leichter verschieben, als Alan und ich von unserem Ritt ermüdet waren und nach Catrionas Aufbruch nicht mehr lange aufsaßen. Bald befanden wir uns allein in unserem Zimmer, wo wir uns in ein Bett teilen mußten. Alan blickte mich mit sonderbarem Lächeln an. »Du hoffnungsloser Esel, du!« sagte er. »Was soll das heißen?« rief ich. »Heißen? Was das heißen soll? Es ist erstaunlich, David, Junge, wie grenzenlos dumm du bist.« Wieder bat ich ihn, sich deutlich auszudrücken. »Nun, ich will dir das eine verraten: ich sagte dir bereits, es gäbe zwei Arten von Frauen – Frauen, die ihr letztes Hemd für einen verkaufen und andere. Versuch jetzt mal selber dahinterzukommen, mein Junge! Aber was ist das für ein Tuch um deinen Hals?« Ich sagte es ihm. »Hatte ich mir doch was Ähnliches gedacht«, meinte er. Und mehr war nicht aus ihm herauszubekommen, obwohl ich ihn lange noch mit Bitten bestürmte.