Dreizehntes Kapitel


Gillane Sands

Ich lernte aus Alans Führung weniger als er aus General Cope’s Manöver, denn ich weiß kaum, welchen Weg wir nahmen. Meine Entschuldigung ist, daß wir sehr rasch reisten. Teils liefen, teils trabten wir, und die übrige Strecke marschierten wir in einem verteufelten Tempo drauflos. Zweimal prallten wir mitten im Lauf mit Landleuten zusammen, und obwohl der erste ganz unversehens an einer Ecke auftauchte, war Alan schlagfertiger als eine geladene Muskete. »Habt Ihr mein Pferd gesehen?« keuchte er. »Nee, nee, wir haben überhaupt kein Pferd gesehen,« antwortete der Bauer. Und Alan nahm sich die Zeit, ihm ausführlich auseinanderzusetzen, wir hätten höchste Eile; unser Rößlein hätte sich losgemacht, und wir fürchteten, es sei auf dem Wege in den Stall nach Linton. Damit nicht zufrieden, fing er an, unter Aufwand des geringen Atems, der ihm noch geblieben war, sein Pech und meine Dummheit, die an allem schuld wäre, zu verfluchen. »Wer nicht die Wahrheit sagen kann,« bemerkte er im Weitergehen zu mir, »sollte stets eine ehrliche, handfeste Lüge bei der Hand haben. Wenn die Leute nicht wissen, was du vor hast, Davie, sind sie verflixt neugierig; glauben sie aber Bescheid zu wissen, dann fragen sie so wenig danach, wie ich nach einem Linsengericht.«

Da wir zuerst landeinwärts marschiert waren, führte unsere Straße zuletzt fast unmittelbar nach Norden; die alte Kirche von Aberlady war unser Wegzeichen zur Linken, zur Rechten die Anhöhe von Berwick Law; so erreichten wir dicht bei Dirleton die Küste. Westlich von North Berwick bis Gillane Neß liegen in einer Reihe vier kleine Inseln: Craigleich, The Lamb, Fidra und Eyebrough, alle bemerkenswert durch die Verschiedenheit ihrer Größe und Gestalt. Fidra ist die eigenartigste: eine seltsame, graue Insel mit zwei Höckern, die obendrein noch eine Ruine trägt; und ich erinnere mich, die See spähte, als wir uns ihr näherten, fast wie ein menschliches Auge durch die Türen und Fenster dieser Trümmerstätte. Die Leeseite von Fidra bietet bei Westwind einen guten Ankerplatz; und dort sahen wir auch schon von weitem die ›Thristle‹ sich an ihren Tauen wiegen. Die Küste ist gegenüber diesen Inseln vollkommen verödet; nirgends eine menschliche Behausung und nur sehr selten ein menschliches Wesen; höchstens verirren sich gelegentlich ein paar strolchende Kinder beim Spielen dorthin. Gillane ist ein kleiner Ort jenseits der Neß – die Bewohner von Dirleton haben ihre Felder weiter nach dem Innern verlegt, und die von North Berwick betreiben unmittelbar von ihrem Hafen aus die Fischerei – so daß wenige Teile der Küste einsamer sind. Trotzdem erinnere ich mich, daß wir scharf nach allen Richtungen spähten, und daß unsere Herzen gegen die Rippen hämmerten, als wir platt auf dem Bauche durch dieses Labyrinth von Hügeln und Tälern krochen; und die Sonne schien so hell, der Wind pfiff so lustig durch das Dünengras, und es herrschte ein derartiger Lärm von auffliegenden Möwen und sich niederduckenden Kaninchen, daß die Wüste einem bevölkerten Orte glich. Zweifellos war der Platz für eine heimliche Einschiffung – falls sie wirklich geheim war – in jeder Hinsicht gut gewählt. Und selbst jetzt, da wir verraten waren und man den Ort beobachtete, vermochten wir uns unbemerkt bis nach der vordersten Dünenkette, die unmittelbar auf Strand und Meer niederschaute, heranzupirschen.

Dort aber hielt Alan plötzlich an.

»Davie,« sagte er, »das hier ist ein kitzliger Weg! Solange wir stillliegen, sind wir sicher; aber ich bin dann meinem Schiff und der französischen Küste nicht viel näher. Und das Aufstehen und Heranwinken der Brigg ist auch ’ne heikle Sache. Wo, meinst du, stecken deine Herrschaften?«

»Vielleicht sind sie noch gar nicht da«, entgegnete ich. »Und selbst wenn sie da sind, spricht ein Umstand klar zu unseren Gunsten: sie haben sich zwar versammelt, um sich auf uns zu stürzen, aber sie sind darauf vorbereitet, daß wir aus Osten kommen, und hier befinden wir uns westlich von ihnen.«

»Ja,« sagte Alan, »trotzdem wünschte ich, wir wären unserer mehr, und das hier wäre eine Schlucht, dann hätten wir sie fein überlistet! Aber es ist nun mal nicht der Fall, David, und so wie die Dinge liegen, wirken sie ein bißchen ernüchternd auf Alan Breck. Ich schwanke, Davie.«

»Die Zeit flieht, Alan«, drängte ich.

»Ich weiß«, sagte Alan. »Ich weiß nichts anderes, wie die Franzosen sagen. Aber es ist ein schreckliches Lotteriespiel. Ach, wüßte ich nur, wo deine Herrschaften stecken!«

»Alan«, entgegnete ich, »du bist gar nicht du selbst. Es gilt: jetzt oder nie.«

»Das bin ich nicht, sagt er,
Ich bin es nicht, du bist es nicht,
Nein, Johnnie, Mann! Wir beide nicht,«

sang Alan mit komischem Ausdruck, halb drollig, halb beschämt, und plötzlich hatte er sich kerzengerade aufgerichtet und marschierte, ein wehendes Taschentuch in der Rechten, auf den Strand zu. Auch ich stand auf, hielt mich aber etwas im Hintergrund und beobachtete im Osten die Dünenkette. Sein Auftauchen blieb anfänglich unbemerkt; Scougal erwartete ihn nicht zu so früher Stunde und ›meine Herrschaften‹ hielten nach der anderen Richtung Ausguck. Dann erwachten die Leute an Bord der ›Thristle‹ zum Leben; alles schien in Bereitschaft, denn nach einem sekundelangen Durcheinander auf Deck sahen wir sie am Heck ein Boot zu Wasser lassen, das eilig auf das Ufer zuhielt. Fast im gleichen Augenblick erschien auf einem Hügel etwa eine halbe Meile nach Gillane Neß zu blitzschnell die Gestalt eines Mannes, der mit den Armen gestikulierte, und obwohl er ebenso rasch wieder verschwand, fuhren die Möwen an jener Stelle fort, eine Weile unruhig hin und her zu flattern.

Alan hatte ihn nicht bemerkt, da er unentwegt meerwärts nach Schiff und Boot ausschaute.

»Es muß kommen, wie es will!« sagte er, als ich ihm berichtet hatte. »Wenn nur mein Boot sich eilt, sonst wird mein Schädel wohl einige Püffe aushalten müssen.« Der Strand dehnte sich an jenem Teil der Küste lang und eben und bot bei Ebbe ein bequemes Gehen; ein kleiner, kressereicher Bach ergoß sich an der einen Stelle ins Meer, und die Dünen zogen sich gleich einem Mauerwall an seiner Mündung hin. Keiner von uns konnte sehen, was sich in den Senken ereignete, keine noch so große Eile unsererseits vermochte die Fahrt des Bootes zu beschleunigen. Für uns schien die Zeit während dieses unheimlichen Harrens stillzustehen.

»Das eine möchte ich wissen.« meinte Alan, »jener Herren Befehle. Wir beide zusammen sind unsere vierhundert Pfund wert; wie wenn sie nun Gewehre gegen uns herangeschleppt hätten, Davie? Von jener langen Sandböschung aus könnten sie einen feinen Schuß gegen uns abgeben.«

»Logisch unmöglich«, entgegnete ich. »Das ist es ja gerade: Gewehre haben sie nicht. Sie sind allzu heimlich ans Werk gegangen; sie haben vielleicht Pistolen, aber keine Gewehre.«

»Ich glaube, du hast recht«, bestätigte Alan. »Trotzdem sehne ich mich ganz ungemein nach jenem Boot.« Und er schnippte mit den Fingern und versuchte, es wie einen Hund heranzupfeifen.

Die Jolle hatte jetzt vielleicht den dritten Teil der Strecke zurückgelegt, und wir selbst befanden uns fast am Meeresrande, so daß der weiche Sand in meine Schuhe drang. Wir konnten nichts anderes tun als warten und, so gut es ging, beobachten, wie das Boot näher kroch, und so wenig wie möglich nach der unerbittlichen Front der Dünen schauen, über der die Mövenflügel funkelten und hinter der zweifellos unsere Feinde sich sammelten.

»Ein schöner, prächtiger, passender Ort zum Erschießen«, sagte Alan plötzlich; »Mann, ich wollte, ich hätte deinen Mut.«

»Alan,« rief ich, »was sind das für Redensarten? In dir lebt nichts anderes als Mut; er ist die Wurzel deines Charakters; das kann ich allein schon beweisen, falls keine anderen Zeugen da sind.«

»Um so mehr würdest du dich irren«, widersprach er. »Den Unterschied machen lediglich mein großer Scharfblick und meine Kenntnisse der Lage aus. Aber was alten, kalten, forschen, tödlichen Mut betrifft, so bin ich nicht wert, dir die Schuhriemen zu lösen. Sieh uns beide an, wie wir hier am Strande stehen. Da bin ich und verzappele mich vor Ungeduld, wegzukommen, und da bist du und weißt (wenn ich mich nicht täusche) nicht einmal, ob du gehen oder bleiben sollst. Meinst du, ich könnte oder würde das tun? Ich nicht! Erstens hätte ich nicht den Mut und würde mich nicht getrauen, und dann bin ich ein Mann von großem Scharfsinn und würde dich eher zum Teufel gehen lassen.«

»Also darauf willst du hinaus!« rief ich. »Ach, Alan, Mann, deine alten Weiber magst du an der Nase herumführen, mich aber nicht.«

Erinnerung an meine Versuchung im Walde machte mich fest wie Eisen.

»Ich muß ein Stelldichein einhalten«, fuhr ich fort. »Ich habe mich mit deinem Vetter Charlie verabredet und habe mein Wort gegeben.«

»Ein schönes Stelldichein, und schön wirst du’s einhalten«, sagte Alan. »Den Herrschaften dort hinter den Dünen wirst du in die Arme laufen; dabei wird’s bleiben, ein für allemal. Und weshalb?« fügte er mit bedrohlichem Ernst hinzu. »Sag mir nur, weshalb, mein Jungchen! Will man dich verschwinden lassen wie Lady Grange? Oder wollen sie dir den kalten Stahl zu fressen geben, um dich dann in den Dünen zu verscharren? Oder haben sie sich das Gegenteil in den Kopf gesetzt, und wollen sie dich mit James zusammen vor Gericht schleppen? Sind das etwa Leute, denen man vertrauen kann? Willst du wirklich deinen Kopf Simon Fraser und den anderen Whigs direkt in den Rachen stecken?« schloß er mit auffallender Bitterkeit.

»Alan,« rief ich, »es sind alles Lügner und Schelme, das gebe ich zu. Um so wichtiger, daß unter solchem Gaunerpack wenigstens ein anständiger Mensch bleibt! Ich habe mein Wort gegeben und werde daran festhalten. Damals schon sagte ich zu deiner Base, ich würde vor keinem Risiko zurückschrecken. Erinnerst du dich noch jener Nacht, als Colin Campbell fiel? Hier bleibe ich. Prestongrange hat mir mein Leben versprochen, und wird er meineidig, so sterbe ich hier.«

»Schön, schön«, antwortete Alan.

Die ganze Zeit über hatten wir nichts mehr von unseren Verfolgern gesehen oder gehört. In Wahrheit hatten wir sie völlig überrumpelt. Wie ich später erfuhr, hatte die Bande sich noch nicht vollständig versammelt; die zur Stelle waren, lagen zwischen den Hängen nach Gillane zu verstreut. Es war keine leichte Sache, sie zu alarmieren und zusammenzutreiben, und inzwischen kam das Boot gut vorwärts. Außerdem hatten wir es mit feigem Pack zu tun: einer Rotte von Hochlandsräubern, die sich nur aufs Viehstehlen verstand, aus verschiedenen Clans zusammengestellt, ohne einen Gentleman-Anführer, und je länger sie Alan und mich dort stehen sahen, umso weniger (nehme ich an) gefiel ihnen unser Aussehen. Wer immer Alan verraten hatte, der Kapitän war es nicht. Der begleitete selbst das Boot und lenkte und feuerte seine Ruderer an gleich jemandem, der mit dem Herzen bei der Sache ist. Schon war er uns ganz nahe, schon wollte das Boot auf dem Sand auflaufen, und Alans Gesicht glühte vor Aufregung über seine Rettung – da stießen unsere Freunde in den Dünen, sei es aus Verzweiflung, ihr Opfer entrinnen zu sehen, sei es in der Hoffnung, Andie abzuschrecken, einen schrillen, mehrstimmigen Schrei aus.

Der Lärm hier an dieser gottverlassenen Küste war wirklich furchterregend, und sofort hielten die Männer in dem Boote an.

»Wer da? Was ist los?« schrie der Kapitän, der sich jetzt bequem in Rufweite befand.

»Freunde von mir«, entgegnete Alan und begann auf der Stelle durch das seichte Wasser zum Boot hinauszuwaten. »Davie,« sagte er, noch einmal innehaltend, »Davie, kommst du wirklich nicht mit? Ich kann dich nicht hier lassen.«

»Nicht einen Zoll weit«, sagte ich.

Eine Sekunde zögerte er immer noch, bis zu den Knien im Salzwasser.

»Wem nicht zu raten ist, dem ist nicht zu helfen«, sagte er und wurde, jetzt bis zu den Hüften naß, an Bord der Jolle gezogen, die sofort wieder auf das Schiff zuhielt. Ich stand, wo er mich verlassen hatte, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Alan saß mit dem Gesicht zu mir gekehrt und sah mich an, und das Boot glitt unbehindert weg. Plötzlich war ich so nahe daran, in Tränen auszubrechen, wie nur je in meinem Leben, und fühlte mich als den verlassensten, einsamsten Burschen in ganz Schottland. Da drehte ich mich mit dem Rücken dem Meere zu, den Dünen entgegen. Kein Mensch war zu sehen oder zu hören; die Sonne schien über nassem und trockenem Sand, der Wind wehte durch die Dünen, die Möwen schrieen traurig. Als ich den Strand hinaufschritt, hüpften die Sandflöhe munter durch den angeschwemmten Tang. Kein Laut oder sonstiges Merkmal von Leben an jenem unheimlichen Ort. Und doch wußte ich, Menschen waren da und belauerten mich zu irgendeinem verborgenen Zweck. – Es waren keine Soldaten, sonst hätten sie uns längst überfallen und gefangen genommen; zweifellos hatte ich es nur mit ganz gemeinen Halunken zu tun, gedungen zu meinem Schaden, vielleicht um mich zu verschleppen, vielleicht auch, um mich kaltblütig zu ermorden. Nach dem Range der Mietlinge hielt ich das erstere für wahrscheinlicher; was ich von ihrem Charakter und ihrer Liebe zu diesem Geschäft wußte, ließ das letztere als möglich erscheinen, und bei dieser Vorstellung fror mir das Herzblut. Mir kam der tolle Gedanke, mein Schwert in der Scheide zu lockern; denn war ich auch völlig außerstande, mich Klinge gegen Klinge mit einem Gentleman zu messen, so glaubte ich doch in einem Handgemenge ganz gehörigen Schaden anrichten zu können. Doch ich erkannte rechtzeitig die Torheit eines Widerstandes. Ohne Zweifel war dieser Überfall der ›bestimmte Weg‹, über den Prestongrange und Fraser sich geeinigt hatten. Der eine, des war ich sicher, hatte gesorgt, daß man mein Leben schonte; der andere aber hatte höchstwahrscheinlich Neil und seinen Gefährten gegenüber irgendeinen gegenteiligen Wink fallen lassen, und zog ich blank, so spielte ich meinem Todfeinde vielleicht einen Trumpf in die Hand und besiegelte eigenhändig meinen Untergang. Diese Gedanken hatten mich bis zu der Strandböschung begleitet. Ich sah mich um; das Boot näherte sich der Brigg. Alan ließ als Lebewohl sein Taschentuch flattern, und ich winkte ihm meine Antwort mit der Hand. Aber selbst Alan war für mich angesichts meiner schrecklichen Lage zu einer nebensächlichen Angelegenheit zusammengeschrumpft. Ich drückte den Hut fest ins Gesicht, biß die Zähne zusammen und schritt gerade auf den Dünenkranz los. Es war eine schwierige Kletterpartie, der Sand gab unter meinen Tritten nach wie Wasser. Aber schließlich packte ich oben an der Dünenkuppe ein Büschel des langen Seegrases und zog mich auf festeren Boden hinauf. Im nämlichen Augenblick rührte sich etwas, und sechs bis sieben Männer, sämtlich zerlumpt und jeder mit einem Dolch in der Hand, tauchten hier und dort wie aus dem Erdboden auf. Die Wahrheit ist, ich schloß die Augen und betete. Als ich sie wieder öffnete, waren die Halunken, schweigend und ohne jede Eile, einen Schatten näher gekrochen. Aller Augen waren auf mich gerichtet, und mit seltsam starken Empfinden spürte ich ihr Leuchten und die Furcht, mit der die Burschen sich auch weiterhin mir näherten. Ich streckte ihnen meine leeren Hände entgegen; da fragte mich einer mit starkem, hochländischen Akzent, ob ich mich ergäbe. »Unter Protest,« entgegnete ich, »falls Ihr das versteht, was ich bezweifle.« Nach diesen Worten stürzten sie alle über mich her, wie ein Schwarm Vögel über Aas, packten mich, nahmen mir meinen Degen ab und das Geld aus meinen Taschen, banden mich, Hand und Fuß, mit einem starken Strick und warfen mich auf einen Klumpen Seegras. Dort setzten sie sich im Halbkreis um ihren Gefangenen und starrten ihn schweigend an, wie reißende Tiere, Löwen oder Tiger auf dem Sprung. Nach einer Weile ließ ihre Aufmerksamkeit nach. Sie rückten näher aneinander heran, fingen an, sich auf gälisch zu unterhalten und verteilten mit größter Unverfrorenheit vor meinen Augen unter sich mein Eigentum. Währenddessen war es mein Trost, daß ich von meiner Lage aus meines Freundes Flucht verfolgen konnte. Ich sah, wie das Boot die Brigg erreichte, wie es hochgezogen wurde, wie die Segel sich blähten, und wie das Schiff hinter den Inseln an North Berwick vorbei das offene Meer gewann. Im Verlauf der nächsten zwei, drei Stunden stießen mehr und mehr zerlumpte Hochländer zu uns, darunter als einer der ersten Neil, bis die Gesellschaft an die zwanzig Mann zählte. Mit jedem Ankömmling wurde das Gespräch wieder lebhaft, und es klang, als folgten Beschwerden und Erklärungen einander. Das eine fiel mir auf: keiner der Nachzügler erhielt einen Anteil an der Beute. Die letzte Auseinandersetzung war äußerst heftig und bewegt, und einmal dachte ich, es käme zu einem Kampf. Das Ergebnis war, daß sie sich trennten; die Mehrzahl zog vereint in westlicher Richtung davon, während Neil mit zwei anderen als Bewachung zurückblieb.

»Ich kenne jemand, dem Eure Tagesarbeit sehr schlecht gefallen würde, Neil Duncanson«, sagte ich, als die anderen sich entfernt hatten. Als Antwort versicherte er mir, man würde mich schonend behandeln, da ich ›ein Bekannter des Fräul’ns‹ wäre. Das war unsere ganze Unterhaltung; sonst ließ kein Muttersohn sich an jenem Teil der Küste blicken, bis die Sonne hinter den Bergen des Hochlands versank und die Dämmerung sich zur Nacht vertiefte. Um diese Zeit bemerkte ich einen langen, hageren, knochigen Tiefländer von auffallend dunkler Gesichtsfarbe, der uns zwischen den Dünen auf einem Ackergaul entgegenritt. »Jungens, habt ihr einen Ausweis wie diesen hier?« rief er, ein Papier hoch haltend. Neil zog ein zweites hervor, das der Fremde durch eine Hornbrille studierte, worauf er erklärte, alles wäre in Ordnung; wir seien die Leute, die er suche. Dann saß er ab, und ich wurde statt seiner auf das Pferd gesetzt; man band meine Füße unter den Bauch des Tieres zusammen, und wir machten uns unter der Führung des Tiefländers auf den Weg. Er muß seine Route gut gewählt haben, denn die ganze Zeit über begegneten wir nur zwei Menschen, einem Liebespärchen, die uns vielleicht für Schmuggler hielten und bei unserem Kommen flohen. Einmal befanden wir uns hart am Fuße des Südhangs von Berwick Law; ein andermal, als wir einige offene Hügel passierten, gewahrte ich die Lichter eines Dorfes und in der Nähe, zwischen Bäumen, einen alten Kirchturm, alles aber noch so fern, daß jeder Hilferuf, selbst wenn ich daran gedacht hätte, umsonst gewesen wäre. Endlich hörten wir wieder das Meer. Der Mond schien, wenn auch nicht hell, und in seinem Licht konnte ich die drei mächtigen Türme und bröckelnden Bastionen von Tantallon, dem alten Stammsitz der Roten Douglas, erkennen. Das Pferd wurde in der Tiefe eines Grabens zum Grafen angekoppelt, und mich führte man hinein durch den Hof und von dort in einen verfallenen, steinernen Saal. Hier, mitten auf den Fliesen, bauten meine Wärter ein lustiges Feuer, denn die Nacht war kühl. Meine Hände wurden losgebunden, ich wurde an dem einen Ende der Halle gegen die Mauer gesetzt und erhielt (nachdem der Flachländer Mundvorrat hervorgeholt hatte) Haferbrot und eine Kanne französischen Schnapses. Danach ließ man mich wieder mit meinen drei Hochländern allein. Diese scharten sich eng ums Feuer und tranken und schwatzten; der Wind pfiff durch die Mauerlücken, wirbelte den Rauch und Flammenwolken umher und heulte durch die Turmspitzen. Ich konnte das Meer am Fuße der Klippen hören, und da ich in bezug auf mein Leben beruhigt und nach diesem Tage an Leib und Seele erschöpft war, drehte ich mich auf die Seite und schlief. Wie spät es war, als man mich weckte, vermochte ich durchaus nicht zu erraten, aber der Mond war untergegangen, und das Feuer brannte schwach. Man löste meine Fußfesseln und schleppte mich durch die Ruinen einen steilen Pfad den Klippen entlang an eine Stelle, wo ich in einem natürlichen Felshafen ein Fischerboot fand. Dieses mußte ich besteigen, und wir stießen bei leuchtendem Sternenlicht vom Ufer ab.

Vierzehntes Kapitel


Die Insel Baß

Ich dachte nicht nach, wohin sie mich führten; ich spähte nur hier und dort nach einem Schiff aus, und indessen ging ein Wort Ransomes – »die Zwanzigpfünder« – mir unaufhörlich im Kopfe herum. Sollte ich wiederum der Gefahr einer Verschleppung nach den Plantagen ausgesetzt werden, so würde es mir diesmal, meinte ich, schlecht ergehen; ein zweites Mal würden kein Alan, kein Schiffbruch und keine lose Rahe da sein, und ich sah mich bereits unter der Peitsche Tabak schneiden. Der Gedanke ließ mich frieren; die Luft auf dem Wasser war scharf, die Sitze im Boot waren von eisigem Tau durchnäßt, und ich zitterte vor Kälte auf meinem Platze neben dem Steuermann. Dieser war der Dunkelhäutige, den ich bisher als den Flachländer bezeichnet habe; er hieß Dale und wurde gewöhnlich der »Schwarze Andie« genannt. Als er mich zittern fühlte, reichte er mir freundlichst eine grobe Jacke voller Fischschuppen, und ich war froh, mich damit bedecken zu können. »Ich danke Euch für Eure Güte«, sagte ich, »und erlaube mir, sie durch eine Warnung zu vergelten. Ihr habt mit dieser Sache eine schwere Verantwortung auf Euch geladen. Ihr seid nicht wie diese unwissenden, barbarischen Hochländer, sondern kennt die Gesetze und das Risiko, das jene laufen, die sie übertreten.«

»Ich kann zwar nicht behaupten, daß ich’s mit den Gesetzen so besonders genau nehme, auch in der besten Zeit nicht«, entgegnete er; »aber in dieser Sache handle ich mit sicherer Vollmacht.« »Was wollt Ihr mit mir anfangen?« fragte ich.

»Nichts Schlimmes,« erwiderte er, »durchaus nichts Schlimmes. Ihr habt mächtige Freunde, mein‘ ich. Es wird noch alles gut werden.«

Ein grauer Schleier begann sich auf des Meeres Antlitz zu senken, kleine rosa und rote Flecken, glimmenden Kohlen gleich, tauchten im Osten auf; gleichzeitig erwachte das Wildgeflügel und umkreiste schreiend den Gipfel von Baß. Die Insel besteht, wie jeder weiß, aus einem einzigen Felsen, der jedoch so groß ist, daß man draus eine ganze Stadt hauen könnte. Die See war ungewöhnlich ruhig, aber am Fuß der Klippe tönte ein hohles Plätschern. Mit dem wachsenden Licht konnte ich sie immer deutlicher erkennen; die schiere Felswand war mit Exkrementen von Seegeflügel bemalt wie mit morgendlichem Rauhreif, den schrägen Gipfel deckte grünes Gras, ein Volk von weißen Lummen umschrie ihre Flanken, und die schwarzen, verfallenen Baulichkeiten des Gefängnisses hockten hart neben dem Uferrand. Bei diesem Anblick ging mir plötzlich die Wahrheit auf. »Dorthin schafft Ihr mich also!« rief ich. »Nach Baß, wohin sonst denn, Freundchen?« entgegnete er. »Wo vor Euch die alten Märtyrer waren; doch zweifle ich, ob Ihr Euer Gefängnis auf so redliche Weise verdient habt.«

»Aber jetzt haust niemand mehr hier«, rief ich; »der Ort ist ja längst verfallen.« »Um so angenehmer der Wechsel für die Lummen«, meinte Andie trocken. Als der Tag sich mählich klärte, bemerkte ich zwischen dem Seetang unter großen Steinen, wie die Fischer sie als Ballast wählen, eine Reihe von Fässern und Körben sowie einigen Brennvorrat. All das war auf den Klippen abgeladen worden. Andie, ich und meine drei Hochländer (ich nenne sie »mein«, obwohl es umgekehrt richtiger wäre) landeten neben ihnen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als das Boot sich wieder entfernte, während das Knirschen der Ruder in den Dollen von den Klippen widerhallte, und wir fünf blieben in unserer seltsamen Wüstenei allein. Andie Dale war der Präfekt von Baß (wie ich ihn im Scherz zu nennen pflegte) und gleichzeitig der Schäfer und Wildhüter jener kleinen, aber reichen Herrschaft. Er mußte etwa ein Dutzend Schafe hüten, die dort fett wurden und an den schrägen Hängen weideten gleich Tieren auf den Dächern einer Kathedrale. Außerdem pflegte er die weißen Tölpel – eine Lummenart – die in den Klippen nisteten, und die ein ansehnliches Vermögen repräsentierten. Die Jungen gelten als Delikatesse und werden gewöhnlich von Epikuräern bereitwilligst mit zwei Shilling das Stück bezahlt. Selbst die ausgewachsenen Vögel sind durch die Federn und das Öl, das sie liefern, wertvoll, sodaß ein Teil der Pfründe des Pfarrers von North Berwick bis auf den heutigen Tag in diesem Seegeflügel bezahlt wird, weshalb sie (in mancher Leute Augen) als ungemein begehrenswert gilt. Um diesen mannigfachen Pflichten nachzukommen, auch um die Vögel vor Wilderern zu schützen, mußte Andie häufig Tage und Nächte auf dem Felsen zubringen, und er war dort so vollkommen zu Hause wie ein Bauer auf seinem Hof. Mit der Aufforderung, einen Teil der Vorräte aufzuladen – ein Geheiß, das ich mich zu erfüllen beeilte – führte er uns durch ein verschließbares Tor, den einzigen Zugang zur Insel, und durch die Ruinen der Festung nach dem Gouvernementsgebäude. Dort hatte er, wie wir aus der Asche im Kamin und einem in der Ecke befindlichen Pfostenbett ersahen, seine ständige Wohnstatt aufgeschlagen. Das Bett bot er mir zur Benutzung an, mit der Bemerkung, ich beanspruche vermutlich, vom Adel zu sein. »Mein Adel hat nichts mit der Art meiner Unterkunft zu tun«, entgegnete ich. »Gottlob war ich auch früher schon harte Betten gewöhnt und kann sie mit Dankbarkeit von neuem hinnehmen. Solange ich hier bin, Mr. Andie – falls das Euer Name ist – werde ich genau wie Ihr anderen meine Arbeit tun und meinen Platz an Eurer Seite einnehmen; dagegen bitte ich Euch, mich mit Eurem Spott zu verschonen, der mir, das gebe ich zu, nicht behagt.« Er murrte ein wenig gegen diese Rede, schien sie jedoch nach einigem Nachdenken zu billigen. In Wahrheit war er ein schlauer, vernünftiger Mann, ein guter Whig und Presbyterianer. Täglich las er in seiner Taschenbibel und war sowohl imstande wie begierig, sich ernsthaft über Religion zu unterhalten; dabei zeigte er keine geringe Neigung zu cameronischen Extremen. Seine Moral jedoch war von zweifelhafter Farbe. Ich fand, daß er tief in das Schmugglergewerbe verstrickt war und die Ruinen von Tantallon als Stapelplatz für seine verbotenen Waren benutzte. Und was die Zollbeamten betraf, so war ihm deren Leben, glaube ich, keinen halben Farthing wert. Aber jener Teil von Lothian ist auch heute noch eine wilde Gegend und das Volk so rauh als nur irgendeins in Schottland. Ein Vorfall, der sich während meiner Gefangenschaft ereignete, ist mir dank seiner Folgen im Gedächtnis haften geblieben. Damals war im Firth ein Kriegsschiff stationiert, das »Seepferd«, Kapitän Palliser. Zufällig kreuzte es im Monat September zwischen Fife und Lothian, um die dortigen Untiefen zu loten. Eines schönen Morgens wurde es in aller Frühe etwa zwei Meilen östlich von uns gesichtet, wie es ein Boot zu Wasser ließ, um Wildfire Rocks und Satans Bush, zwei berüchtigt gefährliche Stellen jener Küste, zu sondieren. Nachdem es seine Jolle wieder aufgenommen hatte, hielt das Schiff vor dem Wind unmittelbar auf Baß zu. Das kam Andie und den Hochländern sehr in die Quere; meine Entführung war von Anfang bis zu Ende auf Geheimhaltung berechnet, und jetzt lief ihnen zur Unzeit dieser Kriegsschiffskapitän über den Weg, und es sah ganz so aus, als würde die Sache zum mindesten ruchbar werden, selbst wenn sie keine schlimmeren Folgen hätte. Ich stand allein vier Mann gegenüber; ich bin kein Alan, der über eine ganze Bande herfällt, und ich war durchaus nicht überzeugt, daß das Kriegsschiff meine Lage bessern würde. Alles in allem gab ich daher Andie mein Ehrenwort, verpflichtete mich zu Ruhe und Gehorsam und wurde in aller Eile nach der Felskuppe geschafft, wo wir uns an verschiedenen versteckten Beobachtungsposten hart am Rande der Klippe niederließen. Das »Seepferd« hielt scharf auf uns zu, bis ich dachte, sie würde auflaufen, und wir konnten von unserem schwindeligen Ausguck her die Mannschaft an ihren Plätzen beobachten und hörten den Mann mit dem Lot seine Befunde ausschreien. Dann drehte das Schiff plötzlich bei und gab aus – ich weiß nicht wie vielen – mächtigen Rohren eine Salve ab. Der Felsen bebte unter der Wucht der Detonation, der Rauch ergoß sich über unsere Köpfe, und die Lummen schwärmten in unfaßlicher Zahl auf. Ihr Schreien und das Funkeln ihrer Flügel gestalteten sich zu einem einzigartigen Erlebnis; und ich nehme an, Kapitän Palliser hatte sich nur diesem etwas kindlichen Vergnügen zuliebe der Insel genaht. Das kam ihm später teuer zu stehen. Während das Schiff auf uns zusteuerte, hatte ich Gelegenheit gehabt, mir die Takelung einzuprägen, weshalb ich es von nun an selbst aus meilenweiter Entfernung zu erkennen vermochte; und das sollte (mit Gottes Hilfe) das Mittel werden, um einen Freund vor großem Unglück zu bewahren, Kapitän Palliser dagegen eine empfindliche Enttäuschung zu bereiten.

Die ganze Zeit während meines Aufenthaltes auf dem Felsen lebten wir gut. Wir hatten Dünnbier und Schnaps, sowie Hafermehl, aus dem wir uns abends und morgens unsere Grütze bereiteten. Mitunter setzte von Castleton aus ein Boot zu uns über und brachte uns ein Hammelviertel, da wir die Schafe auf der Klippe, die besonders für den Markt gemästet wurden, nicht anrühren durften. Für die Vögel war es leider nicht die richtige Jahreszeit; so ließen wir sie in Ruhe. Aber wir fischten eigenhändig und ließen öfter noch die Lummen für uns fischen, indem wir ihnen, sobald sie einen Fisch gefangen hatten, die Beute wieder abjagten, ehe sie sie verschlingen konnten.

Die seltsame Natur des Ortes und die Merkwürdigkeiten, von denen es dort wimmelte, bildeten meine Beschäftigung und mein Vergnügen. Da eine Flucht unmöglich war, ließ man mir volle Freiheit, und ich fuhr fort, die Oberfläche der Insel zu erforschen, so weit ein Menschenfuß sich wagen konnte. Der alte Gefängnisgarten war noch klar zu erkennen; Blumen und Pflanzen wucherten dort wild, und eines der Bäumchen trug reife Kirschen. Etwas unterhalb des Gartens lag eine Kapelle oder Eremitenklause; wer sie erbaut oder bewohnt hatte, wußte niemand, und der Gedanke an ihr Alter versenkte mich oft in tiefes Sinnen. Auch das Gefängnis, in dem ich jetzt mit meinen hochländischen Viehräubern biwakierte, war in weltlichem wie religiösem Sinne eine historische Stätte. Mich berührte es seltsam, daß so viele Heilige und Märtyrer erst vor kurzem hier geweilt hatten, ohne auch nur ein Bibelblatt oder einen eingeschnitzten Namen als Andenken zu hinterlassen, während die rauhen Soldatenkerls, die auf den Bastionen Wache gehalten, die ganze Umgebung mit Spuren übersät hatten – zumeist mit einer erstaunlichen Menge zerbrochener Pfeifenköpfe, daneben aber auch mit Uniformknöpfen. Zeitweise glaubte ich aus den Gefängnissen der Märtyrer fromme Psalmen klingen zu hören und sah im Geiste die Soldaten, glimmende Pfeifen im Maul, auf der Bastei auf und ab marschieren, während ihnen im Rücken aus der Nordsee der Morgen aufstieg.

Zweifellos trug Andie mit seinen Erzählungen viel dazu bei, mein Hirn mit diesen Träumen zu bevölkern. Er war in der Geschichte des Felsens ungewöhnlich beschlagen und wußte alle Einzelheiten bis auf die Namen der gemeinen Soldaten, da sein Vater in dieser Eigenschaft dort gedient hatte. Außerdem besaß er ein natürliches Erzählertalent, so daß die Menschen zu reden und die Dinge sich direkt vor des Hörers Augen zu ereignen schienen. Diese Gabe und meine Freude am Zuhören brachten uns einander näher. Ich kann in Wahrheit nicht leugnen: er gefiel mir gut; bald erkannte ich, daß auch er mich gern hatte, und ich hatte mir ja von Anfang an vorgenommen, sein Wohlwollen zu erringen. Ein seltsamer Umstand (von dem später noch die Rede sein wird) verwirklichte dies über jede Erwartung hinaus; aber selbst in den ersten Tagen unserer Bekanntschaft standen wir für einen Wärter und seinen Gefangenen auf ungemein freundschaftlichem Fuß.

Ich könnte es vor meinem Gewissen nicht verantworten, wenn ich behaupten wollte, mein Aufenthalt auf Baß sei durchwegs unangenehm gewesen. Die Insel erschien mir im Gegenteil als eine Art Zufluchtsstätte, wo ich allen meinen Nöten entronnen war. Niemand durfte mir etwas zuleide tun; physische Hindernisse – der Felsen und die tiefe See – machten jede weitere Anstrengung unmöglich; ich fühlte, mein Leben und meine Ehre waren in sicherem Gewahrsam, und es gab Zeiten, in denen ich mich so weit gehen ließ, mich daran wie an gestohlenem Gut zu weiden. Aber ich hatte auch ganz andere Gedanken. Ich erwog, mit welcher Kraft ich vor Rankeillor und Stuart getreten war; ich überlegte, daß man meine Gefangenschaft auf Baß, hier im Angesicht eines großen Teiles der Küste von Fife und Lothian, als eine Sache ansehen würde, die ich eher gesucht als unfreiwillig über mich hatte ergehen lassen, und daß ich vor jenen beiden Herren als Prahler und Feigling dastehen mußte. Manchmal nahm ich das alles leicht genug und versicherte mir selbst, solang ich mit Catriona Drummond gut stünde, sei die übrige Welt für mich nur Mondschein und flüchtiges Wasser; dann fiel ich unmerklich in jene Betrachtungen, die einem Liebenden so teuer sind, dem Leser jedoch stets erstaunlich eitel dünken. Ein anderes Mal packte mich mit Gewalt die Furcht; dann schüttelte mich förmlich panische Angst um meine Selbstachtung, und jenes vermeintliche, harte Urteil erschien mir als eine Ungerechtigkeit, die ich unmöglich ertragen könnte. Das führte mich wieder zu anderen Gedanken; kaum hatte ich begonnen, mich um der Welt Meinung über mich selbst zu sorgen, da verfolgte mich schon die Erinnerung an James Stuart in seinem Gefängnis und an die Klagen seiner Frau. Dann erst begann sich echte Leidenschaft in mir zu rühren; ich konnte es mir niemals verzeihen, daß ich hier müßig saß; mir war, als müßte ich (wenn nur ein Funken Mannhaftigkeit in mir lebte) fliegend oder schwimmend meinem Asyl entfliehen. In solchen Stimmungen, wie um meiner Selbstquälerei zu fröhnen, machte ich mich daran, Andie Dale zu gewinnen.

Eines schönen Morgens endlich, als wir uns ganz allein auf dem Gipfel des Felsens befanden, ließ ich einen vorsichtigen Wink über eine Bestechung fallen. Er blickte mich an, warf den Kopf zurück und lachte mir ins Gesicht.

»Ah, Ihr lacht, Mr. Dale,« sagte ich, »wenn Ihr aber die Güte hättet, einen Blick auf dieses Papier zu werfen, würdet Ihr vielleicht einen andern Ton anschlagen.«

Die dummen Hochländer hatten mir bei meiner Gefangennahme lediglich mein Bargeld abgenommen, und das Papier, das ich Andie jetzt zeigte, war eine Quittung der British Linen Company über eine beträchtliche Summe.

Er las. »Bei Gott, Ihr seid gar nicht so ein Bettler«, meinte er.

»Dachte ich’s mir doch, daß Ihr Eure Meinung ändern würdet«, sagte ich.

»Pah!« rief er, »das zeigt nur, daß Ihr bestechen könnt; aber ich bin unbestechlich.«

»Das werden wir noch sehen«, entgegnete ich. »Erst will ich Euch beweisen, daß ich weiß, was ich sage. Ihr habt Befehl, mich bis nach Donnerstag, dem 21. September, hier festzuhalten.«

»Da habt Ihr auch nicht so ganz unrecht«, meinte Andie. »Ich soll Euch, falls nicht Gegenorder kommt, Samstag, den 23. September, freilassen.«

Ich konnte nicht anders, mir kam diese Verabredung ungemein raffiniert vor. Daß ich just dann wieder auftauchen sollte, wenn es zu spät war, würde meine Geschichte, falls ich wirklich eine erzählte, um so unglaubhafter machen; das brachte mich erst recht in Harnisch.

»Paßt auf, Andie; Ihr kennt die Welt, also hört mich an und bedenkt, was ich Euch sage«, hub ich an. »Ich weiß, große Herren sind in diese Sache verstrickt, und ich zweifle keinen Augenblick, daß Ihr Euch auf sie berufen könnt. Ich selbst habe auch mit ihnen zu tun gehabt, seit diese Affäre begann, und habe ihnen meine Meinung ins Gesicht gesagt. Was für ein Verbrechen soll ich denn begangen haben? Und nach welchem Verfahren bin ich abgeurteilt? Ich werde von ein paar lumpigen Hochländern am 30. August überfallen, nach diesem alten Steinhaufen geschleppt, der (einerlei was er früher war) weder eine Festung noch ein Gefängnis, sondern lediglich die Behausung des Wildhüters von Baß ist, und soll am 23. September genau so heimlich, wie ich gefangen genommen wurde, wieder freigelassen werden – klingt Euch das nach Gerechtigkeit? Oder klingt es nicht vielmehr nach niedriger, schmutziger Intrige, deren sich sogar die Leute, die sie ersonnen haben, schämen?«

»Ich kann Euch nicht widersprechen, Shaw. Es sieht verteufelt unsauber aus«, erklärte Andie. »Und wären die Leute nicht gute, handfeste Whigs und waschechte Presbyterianer – ich hätte sie eher nach dem Jordan und Jerusalem geschickt, als mich auf so was eingelassen.«

»Der Herr von Lovat ist ein rechter Whig«, entgegnete ich, »und ein großartiger Presbyterianer.«

»Ich weiß nichts von ihm,« beharrte er, »ich habe nichts mit den Lovats zu schaffen.«

»Nein, Ihr werdet mit Prestongrange zu tun haben«, sagte ich.

»A, das sollt Ihr nicht aus mir herauskriegen.«

»Als wenn ich das brauchte, nun ich schon alles weiß«, lautete meine Antwort.

»Auf das eine könnt Ihr Euch verlassen, Shaw«, beteuerte Andie. »Mit Euch habe ich nichts zu schaffen (und wenn Ihr Euch auf den Kopf stellt). Und ich werde auch nichts mit Euch zu schaffen haben«, fügte er hinzu.

»Nun, Andie, ich sehe, ich muß offen mit Euch reden«, erwiderte ich und erzählte ihm die Tatsachen, soweit ich das für nötig hielt.

Er hörte mich mit ernsthaftem Interesse an und schien, als ich geendet hatte, eine Weile zu überlegen.

»Shaw,« sagte er endlich, »ich will frei von der Leber weg reden. ’s ist eine merkwürdige Geschichte und keine sehr schöne, so wie Ihr sie erzählt, womit ich nicht behaupten will, sie hätte sich anders zugetragen, als Ihr glaubt. Was Euch selbst betrifft, so scheint Ihr mir ein recht anständiger junger Mann. Aber ich bin älter und verständiger als Ihr und sehe in dieser Sache vielleicht ein Endchen weiter. Und das hier ist meine ehrliche Meinung: Euch wird’s nicht schaden, wenn ich Euch hier behalte; im Gegenteil, ich glaube, Ihr seid hier ein gut Teil besser aufgehoben als draußen. Dem Lande wird’s auch nicht schaden – bloß ein Hochländer mehr wird aufgeknüpft, und dazu können wir uns, weiß Gott, nur gratulieren! Dagegen würde ich mir selber ziemlich viel schaden, wenn ich Euch laufen ließe. Und darum – als guter Whig und aufrichtiger Freund von Euch und eifriger Freund von mir selbst gesprochen – die nackte Tatsache ist: ich denke, Ihr werdet hier bei Andie und den Lummen bleiben müssen.«

»Andie,« sagte ich, meine Hand auf seine Knie legend, »dieser Hochländer ist unschuldig.«

»Ja, ja, in dem Punkt ist’s schon schade«, meinte er.

»Aber Ihr wißt ja, so wie der Herrgott diese Welt erschaffen hat, kann einer nicht alles haben, wie er sich’s wünscht.«

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Widmung

Catriona

Eine Fortsetzung zu »David Balfour v. Shaw«,

enthält: Die Memoiren und weiteren Abenteuer Davids sowohl in der Heimat wie in fremden Ländern und berichtet über die zahlreichen Mißgeschicke, die ihn anläßlich des Appiner Mordes trafen; seine Nöte mit dem Lord Staatsanwalt; seine Gefangenschaft auf der Felseninsel Baß; seine Reise nach Holland und Frankreich sowie seine höchstseltsamen Beziehungen zu James More Drummond oder MacGregor, Sohn des berüchtigten Rob Roy, und dessen Tochter Catriona, von ihm selbst erzählt und herausgegeben

von

Robert Louis Stevenson

Mein lieber Charles Baxter,

Es ist das Los aller Fortsetzungen, daß sie denen, die ihrer harrten, eine Enttäuschung bringen; und mein David muß sich darauf gefaßt machen, nachdem er länger als ein Lustrum vor den Toren der British Linen Company die Daumen gedreht hat, sich bei seinem verspäteten Wiederauftreten in der Welt mit Pfiffen, wenn nicht gar Schlimmerem, begrüßt zu sehen. Und doch bin ich nicht ganz ohne Hoffnung, gedenke ich der Tage unserer gemeinsamen Streifzüge. Irgendwo in unserer Heimatstadt dürfte es noch Nachkommen der paar Auserwählten geben; irgendein langbeiniger, heißblütiger Jüngling wird jetzt die Träume träumen und die Wanderungen unternehmen, die wir vor so vielen Jahren geträumt und zurückgelegt; sein wird die Freude sein, die sonst unser gewesen wäre, zwischen Straßenschildern und numerierten Häusern David Balfour auf seinen ländlichen Spaziergängen nachzugehen; er wird Dean und Silvermills und Broughton und Hope Park und das gute, alte Lochend – falls es noch steht – und Figgate Whins – wenn noch was von ihm übriggeblieben ist – aufspüren; vielleicht wird er gar (bei längerer Ferienzeit) über Land bis Gillane und der Insel Baß vordringen. So kann es geschehen, daß seine Augen geöffnet werden und er die Kette der Generationen überschaut und staunend das schwerwiegende und doch so eitle Geschenk des Lebens, das ihm zuteil geworden, wägen lernt.

Du weilst immer noch – wie zur Zeit, da ich Dich zuerst sah, da ich zuletzt das Wort an Dich richtete – in jener ehrwürdigen Stadt, die ich stets als meine Heimat betrachten werde. Und ich bin weit umhergezogen, und die Stätten und Gedanken meiner Jugend folgen mir nach; und traumbildgleich sehe ich die Jugend meines Vaters und die seines Vaters und den ganzen Strom des Lebens, der dort im fernen Norden fließt samt seinem Gelächter und seinen Tränen, den Strom, der mich an seiner Mündung, einem sprudelnden Rinnsal gleich, an diese entlegensten Inseln ausspie. Und ich neige bewundernd mein Haupt vor der Romantik des Geschicks.

R. L. S.
Vailima,
Upolu,
Samoa, 1892.

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Zusammenfassender Bericht über die früheren Abenteuer des Helden, wie sie in der Erzählung »David Balfour von Shaw« dargestellt sind

Die Brüder Alexander und Ebenezer Balfour aus dem Hause Shaw bei Crammond in dem Walde von Ettrick lieben die gleiche Dame und kommen miteinander überein, da sie den älteren Bruder, Alexander, vorzieht, daß Ebenezer als Entgelt für seine Enttäuschung das Gut Shaw erhalten soll. Alexander und seine Gattin ziehen nach Essendean, wo sie in der Abgeschiedenheit leben, Alexander in der Eigenschaft eines Dorfschulmeisters. Dort wird ihnen ein Sohn geboren, David Balfour, der Held dieser Erzählung. David, der in Unkenntnis der Familiengeschichte und seiner Ansprüche auf das Gut erzogen wird, verliert noch vor seinem achzehnten Lebensjahre beide Eltern und empfängt als einziges Erbe einen an seinen Oheim gerichteten, versiegelten Brief, der ihm von dem Pfarrer in Essendean, Mr. Campbell, ausgehändigt wird. Als David ihn abliefern will, entdeckt er, daß sein Oheim als kinderloser Geizhals zu Shaw haust; er wird von ihm unfreundlich aufgenommen und nach einem vergeblichen Anschlag auf sein Leben an Bord der nach den Karolinen bestimmten Brigg »Covenant«, Kapitän Hoseason, gelockt, um zur Zwangsarbeit auf die Plantagen verkauft zu werden. Allein, als die »Covenant« zu Beginn ihrer Reise die Meerenge von Minch durchfährt, überrennt sie ein offenes Boot und bringt es zum Kentern. Aus diesem Boot rettet sich und kommt an Bord ein hochländischer Gentleman, Alan Breck Stuart, der seit dem Jahre ’45 in der Verbannung lebt und jetzt unterwegs ist, um von seinen Clansleuten, den Appin-Stuarts, den Pachtzins für ihren Häuptling Ardshiel in dessen Exil nach Frankreich hinüberzuschmuggeln. Als Hoseason und seine Besatzung von dem Golde hören, das Alan mit sich trägt, verschwören sie sich, ihn auszurauben und zu ermorden; aber David, der in das Komplott eingeweiht wird, warnt Alan und verspricht, ihm beizustehen.

In der Enge der Kajüte gelingt es den beiden während des nun folgenden Handgemenges dank Alans Fechtkunst, ihrer Angreifer Herr zu werden, wobei sie über die Hälfte töten und verwunden. Dadurch sieht sich Kapitän Hoseason außerstande, seine Fahrt fortzusetzen, und einigt sich mit Alan dahin, ihn nach einem Teil der Küste zu bringen, von wo aus er sich am leichtesten nach seiner Heimat, der Landschaft Appin, durchschlagen kann. Aber bei diesem Versuche läuft die »Covenant« auf Grund und versinkt vor der Insel Mull. Die Schiffsinsassen retten sich, so gut sie können, und David wird von ihnen getrennt. Zuerst wird er auf die Insel Earraid verschlagen und zieht von dort aus quer durch Mull. Alan ist schon früher des gleichen Weges gezogen und hat David die Nachricht hinterlassen, daß er ihm folgen und in seiner Heimat, im Hause seines Verwandten James Stuart von der Schlucht, wieder zu ihm stoßen soll. David findet sich zu diesem Rendezvous am nämlichen Tage in Appin ein wie der Sachwalter des Königs, Colin Roy Campbell von Glenure, der mit einem Trupp Rotröcke dahergeritten kommt, um die Pächter von den beschlagnahmten Gütern Ardshiels zu vertreiben, und ist zugegen, als Glenure durch einen Schuß aus dem benachbarten Walde am Wegrande ermordet wird. Da gerade in dem Augenblick, als sich David an die Verfolgung des unbekannten Mörders macht, der Verdacht laut wird, daß er Mitschuldiger ist, entschließt er sich zur Flucht und stößt bald dabei auf Alan Breck, der ganz in der Nähe im Versteck liegt, obgleich er nicht den Schuß abgefeuert hat. Die beiden führen jetzt auf dem Moor das Leben von Flüchtlingen. Die Entrüstung über den Mord ist ungeheuer, und die Schuld wird öffentlich auf James Stuart von der Schlucht, den bereits geächteten Alan Breck und auf einen unbekannten jungen Burschen, der kein anderer als David Balfour ist, gewälzt. Für ihre Ergreifung wird ein Blutgeld ausgelobt und das Land von der Soldateska durchstöbert. Im Verlauf ihrer Irrfahrten besuchen David und Alan James Stuart in Aucharn, liegen verborgen in Cluny MacPhersons Käfig und sind gezwungen, im Hause von Duncan Dhu Maclaren in Balwhidder Obdach zu suchen, da David krank wird. Alan ficht einen Wettkampf auf dem Dudelsack mit Robin Oig, dem Sohne von Rob Roy, aus. Endlich, nach zahlreichen Gefahren und Leiden, gelangen sie bis zur Hochlandsgrenze und an den Forth. Aus Furcht vor Verhaftung wagen sie es aber nicht, den Forth zu überschreiten, bis es ihnen gelingt, eine Wirtstocher aus Limekilnes, Alison Hastie, zu bewegen, sie im Schutze der Nacht nach der Lothianküste überzusetzen. Alan verbirgt sich hier wieder, während David Mister Hope Rankeillor aufsucht, den Anwalt und früheren Verwalter der Shawschen Güter. Dieser nimmt sich sofort seiner Sache an und verwirklicht einen Plan, durch den mit Alans Hilfe Ebenezer Balfour gezwungen wird, seinen Neffen als berechtigten Erben der Güter anzuerkennen und ihm bis zu seinem, Ebenezers, Tode einen angemessenen Teil seines Einkommens zu überlassen.

Nachdem David Balfour auf diese Weise in seine Rechte eingesetzt ist, beschließt er, die Universität Leyden zu besuchen, um seine Erziehung zu vervollständigen. Erst jedoch muß er den Forderungen der Freundschaft und des Gewissens gerecht werden, indem er Alan hilft, aus Schottland zu fliehen und für die Unschuld James Stuarts von der Schlucht als Zeuge auftritt, der jetzt als Gefangener seiner Aburteilung wegen des Appiner Mordes entgegenbangt.

Neuntes Kapitel


Die Heide brennt

Als ich an jenem Vormittage Prestongrange verließ, war ich zum ersten Male ernstlich erzürnt. Der Staatsanwalt hatte mich zum Narren gehalten. Er hatte mir vorgeheuchelt, man würde mein Zeugnis entgegennehmen und meine Person respektieren, und nicht genug, daß Simon in gleicher Stunde durch die Hand eines Hochlandoffiziers einen Anschlag gegen mein Leben machte, nein, auch Prestongrange führte (wie aus seinen eigenen Worten hervorging) irgend etwas gegen mich im Schilde. Ich überzählte meine Feinde: Prestongrange, gestützt auf die volle Autorität des Königs; der Herzog und die gesamte Macht des weltlichen Hochlandes; ihnen zur Seite die Lovat-Interessen, die beiden das Schwergewicht des Nordens und den ganzen Clan alter jakobitischer Spione und Dunkelmänner zuführten. Als mir außerdem noch James More und der rothaarige Sohn Duncans, Neil vom Tom, einfielen, glaubte ich, daß vielleicht noch ein vierter in ihrem Bunde wäre und daß auch die Überbleibsel von Rob Roys alter Bande von Hochlanddesperados gegen mich verschworen wären. Das eine war jedenfalls klar: ich brauchte irgendeinen mächtigen Freund und weisen Ratgeber. Es mußte deren genug im Lande geben, willens und imstande, mich zu stützen, sonst hätten Lovat und der Herzog und Prestongrange nicht wie die Spürhunde nach einen Ausweg gesucht; und bei dem Gedanken, daß ich jederzeit auf der Straße an meinen Beschützern vorübergehen könnte, ohne sie zu kennen, hätte ich außer mir geraten mögen. Im nämlichen Augenblick, gleichsam als Antwort auf meine Grübeleien, streifte ich einen Gentleman, der mir im Vorübergehen einen bedeutsamen Blick zuwarf und in einen Hof einbog. Ich hatte ihn sofort erkannt – es war Stuart, der Anwalt; und meinem Glücksstern dankend, ging ich ihm nach. Kaum hatte ich den Hof betreten, als ich Stuart am Ende einer Treppe entdeckte, von wo aus er mir ein Zeichen machte und eilig verschwand. Da, im siebenten Stock, stand er wieder vor einer Wohnungstür, die er hinter uns abschloß. Die Wohnung war völlig ausgelöst und kein einziges Möbelstück vorhanden; in der Tat war es ein Logis, dessen Vermietung Stuart oblag. »Wir müssen auf dem Boden Platz nehmen«, sagte er; »aber hier sind wir wenigstens vorübergehend sicher, und ich hab’s nicht erwarten können, Euch wiederzusehen, Mr. Balfour.«

»Wie geht es Alan?« fragte ich.

»Ausgezeichnet«, lautete die Antwort. »Andie nimmt ihn morgen, Mittwoch, in Gillane Sands an Bord. Alan wollte Euch durchaus Lebewohl sagen, aber wie die Dinge liegen, meinte ich, Ihr wäret beide getrennt besser aufgehoben. Und das bringt mich auf die Hauptsache: wie steht’s mit Eurem Vorhaben?« »Ja,« sagte ich, »erst heute morgen wurde mir mitgeteilt, mein Zeugnis wäre angenommen und ich dürfte mit keinem Geringeren als dem Lord Staatsanwalt selbst nach Inverary reisen.«

»Pah, pah!« rief Stuart, »ich glaub’s im Leben nicht.« »Ich habe auch so allerhand Zweifel,« entgegnete ich, »doch zuvor würde ich recht gern Eure Gründe erfahren.«

»Na, ich sag’s Euch rund heraus, ich bin fuchsteufelswild«, rief Stuart. »Könnt ich mit dieser meiner Hand ihrer Regierung ein Ende machen – ich risse sie herunter, wie einen faulen Apfel. Ich bin der Sachwalter Appins und meines Vetters James von der Schlucht und natürlich ist es meine Pflicht, meines Verwandten Leben zu verteidigen. Hört also, wie die Sache steht und urteilt selbst. Vor allem ist ihnen darum zu tun, sich Alans zu entledigen. Sie können nicht den unschuldigen James packen, ehe sie nicht den Hauptdelinquenten, Alan, beim Wickel haben; das ist unantastbarer Rechtsgrundsatz; sie können nicht das Pferd beim Schwanz aufzäumen.« »Und wie wollen sie Alan beim Wickel kriegen, wenn sie ihn nicht fangen können?« fragte ich.

»Ah, es gibt eine Möglichkeit, die Verhaftung zu umgehen,« antwortete er, »die obendrein juristisch unanfechtbar ist! Das wäre eine schöne Sache, wenn der eine Übeltäter uns entränne und der andere dadurch auch ungestraft davonkäme. Der Ausweg besteht darin, daß man den Hauptschuldigen vorlädt und bei Nichterscheinen für vogelfrei erklärt. Nun kann eine Person an vier verschiedenen Stellen aufgerufen werden: an ihrem Wohnort; an einem Ort, wo sie sich vierzig Tage aufgehalten hat; in der Hauptstadt der Grafschaft, in der sie sich gewöhnlich aufhält und schließlich (falls Grund zur Vermutung besteht, daß sie sich außerhalb Schottlands befindet) am Kreuze von Edinburg und an der Mole sowie am Ufer des Leith, und zwar sechzig Tage hintereinander. Der Zweck dieser letzten Verordnung ist vollkommen eindeutig; man will den ausfahrenden Schiffern Zeit lassen, die Nachricht weiterzutragen und so verhindern, daß jener Schritt zu einer leeren Form wird. Nehmen wir nun den Fall Alans. Er besitzt meines Wissens nach überhaupt kein Domizil; ich möchte den Menschen sehen, der mir einen Ort nachweist, an dem Alan seit ’45 vierzig Tage hintereinander gewohnt hat; in keiner Grafschaft ist er dauernd oder auch nur vorübergehend seßhaft geworden; ist er überhaupt irgendwo zuständig, was ich bezweifle, dann nur bei seinem Regiment in Frankreich; und selbst wenn er zur Zeit noch in Schottland weilt (was, wie wir ja wissen und die andern erraten, der Fall ist) so vermutet doch selbst der Dümmste, was er vorhat. Ich frage Euch daher, wo und auf welche Weise soll er aufgerufen werden? Ich frage Euch, einen Laien!« »Ihr habt mir die Worte soeben in den Mund gelegt«, erwiderte ich. »Hier am Kreuze von Edinburg sowie an der Mole und am Ufer des Leith, und zwar sechzig Tage hintereinander.«

»Ihr seid ein besserer Jurist als Prestongrange!« rief der Anwalt. »Er hat Alan ein einziges Mal aufgerufen; das war am 25., am Tage, als wir uns kennenlernten. Einmal und nicht wieder! Und wo? Wo sonst als am Kreuze von Inverary, in der Hochburg der Campbells! Ein Wort in Euer Ohr, Mr. Balfour, – sie sind gar nicht hinter Alan her.«

»Was wollt Ihr damit sagen!« rief ich. »Sie sind nicht hinter ihm her?« »Soweit ich ersehen kann«, entgegnete er. »Sie wollen ihn gar nicht greifen, das ist meine bescheidene Meinung. Sie glauben vielleicht, er würde sich überzeugend verteidigen können, und James, hinter dem sie wirklich her sind, könnte das als Krücke benutzen, um ihnen durch die Lappen zu gehen. Das hier, müßt Ihr wissen, ist kein Rechtsfall, sondern eine Verschwörung.« »Und doch hat sich Prestongrange eingehend nach Alan erkundigt, glaubt mir«, antwortete ich, »obwohl es mir scheint, nun Ihr mich darauf aufmerksam macht, daß er sich recht leicht abweisen ließ.«

»Seht Ihr?« rief Stuart. »Da habt Ihr’s! Jedoch, Recht oder Unrecht, das sind nur Vermutungen. Kehren wir zu den Tatsachen zurück. Mir war zu Ohren gekommen, daß James und die Zeugen – die Zeugen, Mr. Balfour! – sicher im Gefängnis lägen, in Ketten obendrein, – und zwar im Militärgefängnis zu Fort William. Keiner hat zu ihnen Zutritt und sie dürfen auch niemandem schreiben. Die Zeugen, Mr. Balfour! Habt Ihr schon je dergleichen gehört? Ich versichere Euch, keiner der ehemalig so skrupellosen Stuart-Bande hat je derart dem Gesetz ins Gesicht geschlagen. Es steht in direktem Widerspruch zu dem Parlamentsakt von Anno 1700, ›betreffend unrechtmäßige Gefangensetzung‹. Kaum hatte ich das gehört, als ich bei dem Lord Oberrichter Beschwerde einlegte. Heute hab ich die Antwort erhalten. Da seht! Das ist nun unsere saubere Justiz und unsere Gerechtigkeit!«

Er drückte mir ein Papier in die Hand, den gleichen feigen, gleisnerischen Schriftsatz, der seither in einem Pamphlet, verfaßt »von einem Beobachter«, abgedruckt worden ist, »zugunsten von James Stuarts armer Witwe und seinen fünf Kindern«, wie es im Titel heißt.

»Seht her,« fuhr Stuart fort, »er durfte nicht wagen, mir den Zutritt zu meinem Klienten zu verweigern, daher empfiehlt er dem Kommandanten, mich einzulassen! Empfiehlt! Der Lord Oberrichter von Schottland empfiehlt! Ist der Zweck einer derartigen Sprache nicht klar? Sie hoffen, der Offizier könnte so dumm – oder so sehr das Gegenteil von dumm – sein, die Empfehlung nicht zu beherzigen. Ich würde alsdann vom Fort William nach Edinburg zurückkehren müssen. Das bedeutete wiederum einen Aufschub, bis ich mir neue Vollmacht beschafft hätte und sie den Offizier – ›ein Militär, in offenbarer Unkenntnis der Gesetzesvorschriften‹ – ich kenne schon ihre verlogenen Redensarten – desavouiert hätten. Dann eine dritte Reise und – die Verhandlung stünde unmittelbar vor der Tür, noch ehe ich meine ersten Instruktionen erhalten hätte. Habe ich nicht recht, wenn ich das Ganze eine Verschwörung nenne?«

»Es sieht in der Tat so aus«, bestätigte ich.

»Ich werde es Euch unwiderlegbar beweisen«, erklärte er. »Sie haben das Recht, James gefangenzuhalten, aber sie können mir den Zutritt zu ihm nicht verweigern. Sie haben kein Recht, die Zeugen einzusperren; und meint Ihr, ich erhielte die Möglichkeit, sie zu sehen – die Zeugen, die von Rechts wegen so frei sein müßten wie der Lord Oberrichter selbst? Schaut her – lest: ›weigert sich im übrigen, den Gefangenwärtern irgendwelche Befehle zu erteilen, sofern sie nicht beschuldigt sind, in irgendeinem Punkte wider ihre Amtspflicht verstoßen zu haben‹ – In irgendeinem Punkte –! Herrgott! Und der Akt von Anno 1700? Mr. Balfour, mir will das Herz zerspringen. Die Heide brennt in meinem Inneren!«

»Das heißt,« bemerkte ich, »die Zeugen sollen in Haft bleiben und Ihr sie nicht zu Gesichte bekommen?« »Ich soll sie vor dem Zusammentritt des Gerichtshofes in Inverary nicht zu Gesichte bekommen!« rief er aufgeregt, »und dann redet Prestongrange von der ›schweren Verantwortung seines Amts‹ und von den ›außerordentlichen Erleichterungen‹, die der Verteidigung gewährt sind. Aber ich werde ihnen ein Schnippchen schlagen, Mr. David. Ich habe einen Plan, wie ich die Zeugen unterwegs abfangen will; und wir wollen doch sehen, ob ich dem ›offenbar in Unkenntnis der Gesetze handelnden Militär‹, der die Gesellschaft befehligen wird, nicht im Namen der Gerechtigkeit beikommen kann.«

Und so geschah es – tatsächlich sprach Mr. Stuart die Zeugen in diesem Kriminalfall erst unterwegs auf der Landstraße, irgendwo in der Nähe von Tynedrum, und das lediglich dank der Nachsicht des sie begleitenden Offiziers.

»In dieser Sache wundere ich mich über nichts mehr«, bemerkte ich.

»Ich werde Euch schon das Wundern lehren, ehe wir damit zu Ende sind«, rief er. »Wißt Ihr, was das ist?« fragte er, ein noch feuchtes Druckblatt hervorziehend. »Das ist die Anklageschrift; seht, da steht Prestongranges Name auf der Zeugenliste, aber der Name Balfour fehlt. Doch darum handelt es sich im Augenblicke nicht. – Wer, meinet Ihr, hat hierfür die Druckkosten bezahlt?« »Höchstwahrscheinlich König Georg«, entgegnete ich.

» Ich war’s!« rief er. »Zwar haben sie’s persönlich drucken lassen, für sich selbst, für die Grants und die Erskines und für jenen Erzschurken und Räuber, Simon Fraser. Aber meint Ihr, ich hätte auch nur eine einzige Copie bekommen? Mitnichten! Ich sollte stockblind die Verteidigung übernehmen; ich sollte die verschiedenen Punkte der Anklage erst in der Verhandlung selbst erfahren, gleichzeitig mit den Geschworenen.«

»Aber verstößt das nicht gegen das Gesetz?« erkundigte ich mich.

»Nicht ausdrücklich«, war die Antwort. »Diese Gunst ist so natürlich und wird (außer bei dieser unerhörten Sache) so allgemein gewährt, daß das Gesetz sie nicht einmal vorschreibt. Jetzt bewundert aber einmal die Hand der Vorsehung! Ein Unbekannter ist zufällig in Flemings Druckerei, hebt einen Korrekturabzug vom Boden auf und bringt ihn mir. Und er entpuppt sich als die Klageschrift! Und ich lasse sie auf Kosten der Verteidigung – sumptibus moesti rei – noch einmal drucken. Ist Euch so etwas schon vorgekommen? Und jetzt kann jeder sie lesen! Das große Geheimnis ist entdeckt – jeder kann sich ein Bild davon machen. Aber wie, meint Ihr, muß mir dabei zumute sein, mir, der ich für meines Vetters Leben verantwortlich bin?«

»Zweifellos nicht sehr behaglich«, erwiderte ich.

»Jetzt seht Ihr, wie es steht,« schloß er, »und weshalb ich Euch laut ins Gesicht lache, wenn Ihr mir sagt, Ihr sollt vernommen werden.«

Jetzt war die Reihe zu erzählen an mir. Mit wenigen Worten berichtete ich ihm von Simons Drohungen und Vorschlägen, von dem ganzen Vorfall mit dem Bravo und von der anschließenden Szene bei Prestongrange. Von meiner ersten Unterredung dagegen sagte ich ihm, eingedenk meines Versprechens, nichts; das war ja in der Tat auch überflüssig. Die ganze Zeit über hörte Stuart mechanisch nickend zu, und kaum hatte ich aufgehört, als er auch schon den Mund auftat und mit zwei eindringlichen Worten sein Urteil abgab.

»Verschwindet selber«, sagte er.

»Ich verstehe Euch nicht«, entgegnete ich.

»Dann will ich’s Euch klarmachen«, sagte er. »Meine Ansicht ist, daß Ihr unter allen Umständen verschwinden müßt. Ach, darüber ist gar nicht zu streiten. Der Staatsanwalt, in dem noch ein Funken von Anstand schlummert, hat Simon und dem Herzog Euer Leben abgerungen. Er hat sich geweigert, Euch vor Gericht zu stellen; er lehnt es ab, Euch töten zu lassen. Das ist der Schlüssel zu ihrem Streit, denn Simon und der Herzog vermögen weder Freund noch Feind die Treue zu halten. Ihr sollt also weder angeklagt noch ermordet werden; aber ich müßte mich sehr irren, wenn man Euch nicht wie Lady Grange überfallen und verschleppen will. Wettet, was Ihr wollt – das ist ihr Ausweg!« »Ihr gebt mir zu denken«, sagte ich und erzählte ihm von dem Pfiff und von dem rothaarigen Gefolgsmann Neil.

»Wo immer James More seine Hand im Spiele hat, habt Ihr’s zum mindesten mit einem großen Lumpen zu tun«, sagte er. »Macht Euch das klar. Sein Vater war gar kein so übler Mann, stand aber stets mit den Gesetzen auf etwas gespanntem Fuß. Er war jedoch kein Freund meiner Sippe, und ich habe es daher nicht nötig, mich zu seinem Verteidiger aufzuwerfen. Aber der James – der ist ein Gauner und Erzhalunke. Mir gefallt dieser rothaarige Neil so wenig wie Euch. Sein Auftauchen scheint mir nicht ganz geheuer: es stinkt nach Verrat. Der alte Lovat hat seinerzeit die Lady-Grange-Affäre eingefädelt; nimmt der Sohn dafür die Eure in die Hand, bleibt sich die Familie ja nur treu. Weswegen sitzt James More im Gefängnis? Aus den nämlichen Gründen: Raub und Entführung. Seine Leute kennen sich in dergleichen Dingen aus. Er wird sie Simon als Werkzeuge leihen, und als Nächstes werden wir hören, James habe mit der Regierung seinen Frieden gemacht oder sei entflohen; Ihr aber werdet Euch in Benbecula oder Applecroß befinden.« »Eure Logik ist recht einleuchtend«, gab ich zu.

»Ich will nur, daß Ihr verschwindet, ehe sie Euch zu fassen kriegen«, fuhr er fort. »Haltet Euch bis kurz vor der Verhandlung verborgen und taucht dann plötzlich auf, wenn sie Euch am wenigsten erwarten. Natürlich vorausgesetzt, Eure Aussagen sind ein derartiges Risiko und so großer Mühe wert, Mr. Balfour.« »Ich will Euch nur das eine sagen«, entgegnete ich. »Ich habe den Mörder gesehen, und es war nicht Alan.« »Bei Gott, dann ist mein Verwandter gerettet!« rief Stuart. »Sein Leben ruht auf Eurer Zunge, und man darf weder Zeit, Risiko noch Geld scheuen, um Euch zur Verhandlung zu bringen.« Er leerte seine Taschen am Boden aus. »Das ist alles, was ich bei mir habe«, fuhr er fort. »Nehmt es – Ihr werdet’s brauchen können, ehe wir so weit sind. Geht quer durch diesen Hof; es gibt noch einen Ausgang nach den Lang Dykes; und folgt Ihr meinen Ratschlägen, so laßt Ihr Euch in Edinburg nicht wieder sehen, bis der große Kampf vorüber ist.« »Wo soll ich denn hin?« fragte ich.

»Ich wollte, ich könnte es Euch sagen«, erwiderte er; »aber alle Orte, nach denen ich Euch schicken könnte, sind justament die Orte, an denen sie Euch suchen würden. Nein, Ihr müßt Euch schon allein durchschlagen, und Gott steh Euch bei. Gebt mir am 16. September, fünf Tage vor Beginn der Verhandlung, in den ›Kings Arms‹ zu Stirling Nachricht, und habt Ihr bis dahin für Euch selbst gesorgt, so werd ich dafür sorgen, daß Ihr Inverary erreicht.« »Noch eins«, versetzte ich. »Kann ich Alan sehen?« Er schien unangenehm berührt. »Teufel, Teufel – lieber wär’s mir, Ihr tätet’s nicht«, meinte er. »Aber ich kann nicht leugnen, Alan ist scharf darauf erpicht, Euch wiederzusehen, und er wird lediglich zu diesem Zwecke heute in der Nähe von Silvermills übernachten. Achtet darauf, daß niemand Euch nachgeht, Mr. Balfour – sichert Euch dagegen – haltet Euch in einem sicheren Versteck auf und beobachtet eine ganze Stunde lang die Straße, eh Ihr’s riskiert. Es wäre schrecklich, wenn Ihr beide ertappt würdet!«

Zehntes Kapitel


Der Rothaarige

Es war halb vier Uhr, als ich auf die Lang Dykes hinaustrat. Dean war das Wanderziel, das ich mir gesetzt hatte. Da Catriona dort wohnte und es fast erwiesen war, daß ihre Sippe, die MacGregors von Glengyle, sich gegen mich verbündet hatte, gehörte dieses Dorf eigentlich zu den wenigen Ortschaften, die ich hätte vermeiden sollen; aber ich war noch sehr jung und auf dem besten Wege, mich bis über beide Ohren zu verlieben; so wandte ich mich, ohne einen Augenblick zu zögern, gen Dean. Um jedoch mein Gewissen und meine Vernunft zu beruhigen, nahm ich zu einer Vorsichtsmaßregel meine Zuflucht. Als ich den Gipfel einer kleinen Anhöhe erreichte, ließ ich mich zwischen der Gerste nieder und lag wartend da. Nach einer Weile ging ein Mann vorüber, der wie ein Hochländer aussah, den ich jedoch nicht kannte. Ihm folgte kurz darauf Neil, der Fuchsige. Der nächste Passant war ein Müller mit seinem Wagen, und dann kamen nur noch Leute, denen man auf den ersten Blick den Bauern ansah. Von Rechts wegen hätte das genügen müssen, um mich von meinem Vorhaben abzubringen, aber meine Wünsche trieben mich alle in die entgegengesetzte Richtung. Ich redete mir also ein, dieser Weg sei der richtige Weg, um Neil im Auge zu behalten, da er mich ja schnurstracks zu seines Häuptlings Tochter führe, und was den anderen Hochländer anbelange – nun, ich würde wohl nicht weit kommen, wenn ich mich durch jeden Hochländer, der mir in die Arme lief, abschrecken ließ. Vollkommen befriedigt von dieser recht zweifelhaften Logik schritt ich um so eiliger vorwärts und erreichte kurz nach vier Uhr die Besitzung von Mrs. Drummond-Ogilvy.

Beide Damen waren zu Hause. Als ich sie zusammen an der offenen Türe stehen sah, lüftete ich den Hut und sagte: »Ein junger Bursche bittet um einen Sixpence.« Ich glaubte, das würde der Matrone gefallen. Catriona lief mir entgegen und begrüßte mich herzlich, und die alte Dame war zu meiner Überraschung kaum weniger liebenswürdig. Viel später erfuhr ich, sie hätte bei Morgengrauen bereits einen berittenen Boten nach Queensferry zu Rankeillor geschickt, der, wie sie wußte, Sachwalter von Shaw war, und sie trug daher zur Zeit einen Brief von diesem, meinem sehr guten Freunde, in der Tasche, der meinen Charakter und meine Aussichten in günstigstem Lichte schilderte. Allein ich würde ihre Absichten auch nicht schärfer durchschaut haben, wenn ich den Brief gelesen hätte. Mochte ich ein ungeschlachter Bauer sein, ich war doch nicht so dumm, wie sie glaubte. Selbst meinem hausbackenen Verstande war es klar, daß sie beschlossen hatte, koste es, was es wolle, eine Ehe zwischen ihrer Base und diesem grünen Jungen, der in Lothian eine Art Grundbesitzer war, zustande zu bringen.

»Sixpence wird wohl seine Abendsuppe bei uns essen, Katrin,« sagte sie, »lauf und gib dem Mädchen Bescheid.«

Und in der kurzen Zeit, die wir allein blieben, gab sie sich rechte Mühe, mir zu schmeicheln. Zwar war sie stets geschickt und nannte mich, unter dem Vorwand, mich zu necken, nie anders als Sixpence; aber sie verstand, den Dingen eine Wendung zu geben, berechnet, unmerklich meine Selbstachtung zu steigern. Als Catriona zurückkehrte, wurde der Anschlag, wenn möglich, noch durchsichtiger: sie führte des Mädchens gute Eigenschaften vor, wie ein Roßkamm sein Pferd. Meine Wangen brannten bei dem Gedanken, daß man mich für so dickfellig hielt. Einmal wähnte ich, das Mädchen sei ahnungslos und ganz unschuldig an dieser Schaustellung, und ich hätte das tolle, alte Frauenzimmer prügeln können; ein andermal meinte ich, die beiden seien vielleicht doch miteinander im Bunde, um mich einzufangen – dann saß ich stocksteif zwischen ihnen da, die leibhaftige, finstere Verstocktheit. Endlich kam die Kupplerin auf das wirksamere Mittel, uns allein zu lassen. Wenn erst irgend etwas meinen Argwohn erregt hat, ist es mitunter alles andere als leicht, ihn zum Schweigen zu bringen. Aber obwohl ich Catrionas Sippe kannte und als Diebssippe erkannt hatte, war es mir unmöglich, dem Mädchen zu mißtrauen, wenn ich ihr Gesicht sah.

»Ich darf wohl keine Fragen stellen?« forschte sie eifrig, sobald wir allein waren.

»Doch, heute darf ich mit ruhigem Gewissen reden«, entgegnete ich. »Ich bin meines Versprechens entbunden. Ja, nach dem, was heute morgen vorgefallen ist, hätte ich es unter keinen Umständen erneuert.«

»Sprecht,« sagte sie, »meine Base wird bald wieder hier sein.«

Ich erzählte ihr also Schritt für Schritt die Geschichte des Leutnants, die ich ihr so heiter wie möglich darzustellen suchte, und in der Tat war an dieser lächerlichen Sache manches Ergötzliche.

»Ich glaube, Ihr taugt für rauhe Männer so wenig wie für schöne Damen!« meinte sie, als ich geendet hatte. »Doch wie konnte Euer Vater nur unterlassen, Euch im Gebrauch des Schwerts zu unterweisen! Das ist höchst unadelig; ich habe nie dergleichen gehört.«

»Zum mindesten ist es ungemein hinderlich,« erwiderte ich, »und ich glaube, mein Vater (Gott hab ihn selig) war nicht recht gescheit, als er mich statt dessen Latein lehrte. Doch tu ich, wie Ihr seht, mein möglichstes; ich stelle mich hin gleich Lots Weib, und lass sie auf mich loshauen.«

»Wißt Ihr, weshalb ich lächeln muß?« fragte sie. »Ich will’s Euch sagen. Ich bin so geschaffen, daß ich ein Bub hätte werden sollen. Ich selbst fühle mich stets als Bub und denke mir dies und jenes aus, das ich erleben möchte. Wenn es dann aber ans Fechten geht, fällt mir ein, daß ich ja doch nur ein Mädchen bin und weder ein Schwert tragen noch einen Hieb austeilen kann. Dann muß ich meine Geschichte drehen und wenden, daß es zu keinem Kampfe kommt, ich aber trotzdem Sieger bleibe, gerade wie Ihr mit Eurem Leutnant. Ich bin stets der Bursche, der sich mit schönen Reden durchschlägt, genau wie Mr. David Balfour.«

»Ihr seid mir ein blutdürstiges junges Fräulein«, bemerkte ich.

»Ja, ja, ich weiß, Spinnen und Nähen und Stickmustermachen ist eine recht gute Sache«, fuhr sie fort; »wenn Ihr aber nichts anderes auf der Welt zu tun hättet, ich glaube, Ihr würdet es auch langweilig finden. Nicht, daß ich Menschen töten möchte! Habt Ihr schon jemanden getötet?«

»Das habe ich, zufällig. Zwei sogar, obwohl ich von Rechts wegen noch auf der Hochschul sein sollte«, entgegnete ich. »Trotzdem schäme ich mich dessen nachträglich nicht.«

»Doch wie fühltet Ihr Euch damals – als es geschehen war?« forschte sie.

»Nun, ich setzte mich hin und flennte wie ein Kind«, antwortete ich.

»Das Gefühl kenne ich«, rief sie. »Ich ahne, woher diese Tränen stammen. Jedenfalls möchte ich nicht töten; ich möchte nur Katharina Douglas sein, die ihren Arm durch die Krampe schob und so die Tür hielt, bis der Arm brach. Sie ist meine Hauptheldin. Würdet Ihr nicht mit Freuden so sterben – für Euren König?«

»Meiner Treu,« entgegnete ich, »so warm ist meine Liebe zum König – Gott segne sein grobes Bulldoggengesicht – nun doch nicht; zudem glaubte ich mich heute dem Tode bereits so nahe, daß ich zur Zeit in das Leben recht verliebt bin.«

»Recht so,« sagte sie, »so schickt es sich für einen Mann! Aber das Fechten müßt Ihr noch lernen; ich möchte keinen Freund haben, der nicht einen Streich führen kann. Ihr habt jene zwei doch nicht mit dem Schwert getötet?« »Wahrhaftig nicht,« entgegnete ich, »mit einem paar Pistolen. Und ich danke meinem Schöpfer, daß die Männer nahe standen; denn ich weiß mit Pistolen etwa so gut umzugehen wie mit dem Schwert.« Auf diese Art entlockte sie mir die Geschichte unseres Kampfes auf der Brigg, die ich in meinem ersten Bericht weggelassen hatte. »Ja,« meinte sie, »Ihr seid wirklich tapfer. Und ich liebe und bewundere Euren Freund.«

»Ich glaube, das täte jeder«, entgegnete ich. »Er hat seine Fehler wie wir alle; aber er ist mutig, treu und gut. Gott segne ihn! Den Tag möchte ich sehen, an dem ich Alan vergessen werde.« Fast überwältigte mich der Gedanke, daß es in meiner Macht stünde, noch heute abend mit ihm zu sprechen.

»Wo habe ich nur meinen Kopf gelassen, daß ich Euch noch nicht meine Neuigkeiten berichtete!« rief sie lebhaft, und dann erzählte sie, sie hätte von ihrem Vater einen Brief erhalten, mit der Erlaubnis, ihn morgen im Schloß zu besuchen, wohin man ihn geschafft hätte, und seine Angelegenheiten wären im Aufblühen. »Das gefällt Euch nicht«, sagte sie. »Wollt Ihr meinen Vater richten, ohne ihn zu kennen?«

»Da sei Gott vor«, entgegnete ich. »Ich gebe Euch mein Wort, ich freue mich aufrichtig, daß Euch jetzt leichter ums Herz ist. Hab ich ein Gesicht gezogen, wie das wohl der Fall gewesen sein mag, so vergeßt nicht, daß mir Vergleiche heute gefährlich dünken, und daß mit den Leuten, die die Macht in Händen haben, schlecht Kirschen essen ist. Simon Fraser liegt mir noch ziemlich schwer im Magen.«

»A!« rief sie, »wie könnt Ihr die beiden in einem Atem nennen! Und Ihr vergeßt, daß Prestongrange und mein Vater, James More, ein und desselben Blutes sind.« »Das ist mir neu«, entgegnete ich. »Es ist eigentlich merkwürdig, wie wenig Ihr Bescheid wißt«, sagte sie. »Der eine Teil nennt sich Grant und der andere Macgregor, aber alle gehören dem gleichen Clan an. Alle sind Söhne von Appin, nach welchem, soviel ich weiß, unser Land benannt ist.«

»Welches Land meint Ihr?« fragte ich.

»Das meine und das Eurige«, entgegnete sie.

»Heute ist ein Tag der Überraschungen, glaube ich,« war meine Antwort, »ich dachte bisher, es hieße Schottland.« »Schottland ist der Name des Landes, das Ihr Irland nennt«, erwiderte sie. »Doch der alte, echte, eigentliche Name der Erde, auf der unsere Sohlen ruhen, und aus dem unser Gebein geschaffen ist, lautet Alban. Alban hieß das Land, als unsere Ahnen es gegen Rom und Alexander verteidigten, und so heißt es auch heute noch in Eurer Heimatsprache, die Ihr vergessen habt.« »Weiß Gott, das habe ich nicht gewußt!« sagte ich; mir fehlte es an Mut, ihr den Mazedonier vorzuwerfen. »Aber Eure Vorväter und -mütter redeten diese Sprache, Geschlecht für Geschlecht«, fuhr sie fort. »Und sie wurde an den Wiegen gesungen, bevor Ihr oder ich uns davon träumen ließen; und Euer Name hat sie sich noch bewahrt. Ach, könntet Ihr nur jene Sprache sprechen, Ihr würdet mich nicht wiedererkennen. Das Herz redet aus ihr.« Ich aß mit den beiden Damen zu Abend, ein vortreffliches Mahl, auf schönem alten Silber serviert und von vorzüglichem Wein gewürzt; denn Mrs. Ogilvy war, wie es schien, reich. Auch unser Gespräch verlief recht angenehm; sobald ich jedoch die Sonnenstrahlen sich schrägen und die Schatten wachsen sah, stand ich auf und verabschiedete mich. Ich war jetzt entschlossen, Alan Lebewohl zu sagen; dazu war erforderlich, daß ich noch bei Tageslicht das Gehölz, in dem wir uns treffen wollten, durchforschte. Catriona begleitete mich bis zur Gartenpforte. »Wird es lang dauern, bevor ich Euch wiedersehe?« fragte sie. »Wie soll ich das wissen?« entgegnete ich. »Es kann lange dauern, es kann auch nie sein.«

»Es kann auch nie sein«, wiederholte sie. »Tut es Euch leid?« Ich nickte und blickte sie an. »Mir auch, komme, was da kommen mag«, sagte sie.

»Ich kenne Euch erst kurze Zeit, aber ich schätze Euch sehr hoch. Ihr seid treu, Ihr seid tapfer; mit der Zeit, glaube ich, wird noch ein ganzer Mann aus Euch werden. Ich werde stolz sein, das zu hören. Und sollte es Euch schlecht gehen, sollte das eintreten, was wir befürchten – dann, ja dann denkt daran, daß Ihr eine wahre Freundin, Eure Freundin, habt. Und lange noch, wenn Ihr schon tot seid und ich eine alte Frau bin, werde ich den Kindern von David Balfour erzählen, und meine Tränen werden fließen. Ich werde ihnen erzählen, wie wir auseinandergingen, und was ich Euch sagte, und was ich Euch tat. Gott schütze und geleite Euch, betet Eure kleine Freundin: das, werde ich ihnen erzählen, sagte ich zu ihm – und jetzt seht, was ich Euch tue.« Sie nahm meine Hand und küßte sie. Ich war im Innersten so tief erschrocken, daß ich aufschrie wie jemand in Schmerz. Ein dunkles Rot überflog ihre Wangen, und sie blickte mich an und nickte. »Ja, ja, Mr. David,« sagte sie, »das ist’s, was ich von Euch denke. Das Herz hält mit der Zunge Schritt.« Ich konnte auf ihrem Antlitz hohen Mut und eine Ritterlichkeit lesen, gleich der eines tapferen Kindes, sonst stand nichts dort geschrieben. Sie küßte meine Hand, wie sie die Prinz Charlies geküßt hatte, mit einer edleren Leidenschaft als der gemeine, irdische Mensch sie empfinden kann. Nichts zuvor hatte mir so klar gezeigt, wie sehr sie meine Liebe besaß, und wie hoch ich noch streben mußte, um sie zu lehren, mich in diesem Lichte zu betrachten. Dennoch konnte ich mir selber zum Troste sagen, daß ich einige Fortschritte gemacht, und daß ihr Herz bei dem Gedanken an mich höher geschlagen und ihr Blut sich erwärmt hatte. Nach der Ehre, die sie mir angetan, konnte ich ihr keine leere Höflichkeit mehr bezeigen. Mir fiel sogar das Reden schwer; ein gewisser Klang in ihrer Stimme, klar und hell, hatte unmittelbar an meine Tränen gerührt. »Ich preise Gott für deine Güte, liebes Herz«, sagte ich. »Leb wohl, meine kleine Freundin!« So gab ich ihr den Namen, den sie sich selbst gegeben hatte. Dann verneigte ich mich und ging. Mein Weg führte mich hinunter in das Tal des Leith gen Stockbridge und Silvermills. Ein Pfad zog sich an der Sohle entlang: im Flußbette lärmten und sangen die Wasser; über mir fielen von Westen her zwischen wachsende Schatten die Sonnenstrahlen und schufen bei jeder Talbiegung eine neue Szenerie und eine neue Welt. In Erinnerung an Catriona und in der Vorfreude auf Alan ging ich wie auf Wolken. Außerdem entzückten mich der Ort, die Zeit und das Schwatzen des Flusses, und ich verlangsamte meinen Schritt und blickte im Gehen vorwärts und zurück. Das und die Gnade des Himmels bewirkten, daß ich plötzlich dicht hinter mir im Gebüsch einen roten Schopf auftauchen sah. Zorn schoß mir ins Herz. Ich kehrte sogleich um und marschierte eilig zurück, woher ich gekommen war. Der Weg führte dicht an der Stelle vorbei, an der ich den Kopf bemerkt hatte. Ich erreichte den Hinterhalt und schritt vorüber, scharf darauf gefaßt, mich eines Überfalls erwehren zu müssen. Doch nichts geschah; unbelästigt durfte ich passieren. Da wuchs meine Furcht. Zwar war es immer noch hell, aber der Ort war sehr einsam. Hatten meine Verfolger sich diese gute Gelegenheit entschlüpfen lassen, so mußten sie offenbar ein größeres Wild als David Balfour aufs Korn genommen haben. Alans und James‘ Leben lasteten auf mir mit dem Gewicht zweier starker Ochsen. Catriona ging immer noch allein im Garten auf und ab. »Catriona,« sagte ich, »wie Ihr seht, bin ich wieder hier.« »Doch Euer Gesicht ist anders geworden«, sagte sie.

»Ich trage das Leben zweier Männer mit mir herum,« entgegnete ich, »da wäre es Sünde und Schande, unvorsichtig zu sein. Ich zweifelte, ob ich das Recht hätte, hierherzukommen. Es wäre mir sehr arg, wenn uns dadurch ein Unglück träfe.«

»Ich kenne jemand, dem das noch ärger wäre, und dem es gar nicht gefällt, Euch jetzt so reden zu hören«, rief sie. »Was habe ich denn getan?« »Ihr? Gar nichts! Aber Ihr seid nicht allein«, erwiderte ich. »Seit ich fortgegangen bin, hat man mich wieder auf Schritt und Tritt verfolgt; ich kann Euch sogar den Namen des Mannes sagen. Es ist Neil, der Sohn Duncans, Euer oder Eures Vaters Knecht.« »Ihr müßt Euch irren, ganz gewiß«, sagte sie mit sehr weißem Gesicht. »Neil ist in Edinburg in Geschäften meines Vaters.« »Damit ist die Sache erwiesen«, sagte ich. »Doch was seinen Aufenthalt in Edinburg betrifft, so will ich Euch, wenn’s gut geht, gleich eines Besseren belehren. Sicherlich habt Ihr irgendein Zeichen verabredet, ein Notsignal, das ihn heranruft, falls er sich in Hör- und Reichweite befindet?«

»Wie habt Ihr das nur erraten?« fragte sie. »Mit Hilfe eines Talismans, den Gott mir verliehen; man nennt ihn Vernunft«, entgegnete ich. »Seid so gütig, das Zeichen zu geben, und ich werde Euch Neils roten Schopf zeigen.« Ohne Zweifel war mein Ton scharf und bitter. Bitter war auch mein Gefühl. Ich klagte mich selbst und das Mädchen an und haßte uns beide: sie des erbärmlichen Geschlechts wegen, dem sie entstammte; mich wegen meines sträflichen Leichtsinns, den Kopf in ein derartiges Wespennest gesteckt zu haben. Catriona hielt die Finger an die Lippen und pfiff ein einziges Mal: einen ungemein klaren, kräftigen, durchdringenden Ton, rund und voll wie bei einem Bauern. Eine Weile warteten wir schweigend, und ich wollte sie eben bitten, den Pfiff zu wiederholen, als ich ein Geräusch, wie von jemandem, der sich einen Weg durch das Unterholz bahnt, vom Fuße des Hügels her vernahm. Lächelnd deutete ich in jene Richtung, und sehr bald sprang Neil in den Garten. Seine Augen glühten, und in seiner Hand hielt er ein nacktes, schwarzes Messer (wie sie’s im Hochland nennen). Als er mich neben seiner Herrin stehen sah, wollte er erstarren.

»Er ist Eurem Rufe gefolgt«, sagte ich; »urteilt jetzt, wie nahe er Edinburg war, und welches die Art von Eures Vaters Geschäften ist. Fragt ihn selbst. Soll ich mein Leben oder das Leben derer, die von mir abhängen, durch Machenschaften Eures Clans verlieren, so will ich wenigstens mit offenen Augen gehen, wohin ich muß.« Zitternd redete sie ihn auf gälisch an. Eingedenk der fürsorglichen Höflichkeit Alans in diesem Punkte, hätte ich vor Bitterkeit laut lachen können; wahrlich, jetzt in der Stunde meines Argwohns, hätte sie am Englischen festhalten sollen. Zwei-, dreimal sprachen sie miteinander, und trotz seiner Unterwürfigkeit konnte ich erkennen: Neil war zornig. Dann wandte sie sich an mich. »Er schwört, es sei nicht der Fall«, sagte sie. »Catriona,« entgegnete ich, »glaubt Ihr dem Manne?«

Sie machte eine Geste, als ränge sie die Hände. »Wie soll ich das wissen?« »Aber ich muß ein Mittel finden, es zu erfahren«, erwiderte ich. »Ich kann nicht weiter hier in der Dunkelheit herumirren mit zwei Menschenleben auf meinem Buckel! Catriona, versucht Euch an meine Stelle zu setzen, so wie ich (das bezeuge ich vor Gott) nach Kräften mich in Eure Lage hineinzufinden suche. Reden, wie sie heute gehalten wurden, hätten zwischen Euch und mir niemals stattfinden sollen; niemals, niemals; das Herz dreht sich mir im Leibe um, denk ich daran. Hört mich an, haltet diesen Mann hier fest bis zwei Uhr morgens, und alles ist mir gleich. Schlagt ihm das vor.«

Wieder sprachen sie auf gälisch miteinander.

»Er sagt, er sei auf Geheiß von James More, meinem Vater hier«, dolmetschte sie. Sie war bleicher denn je, und ihre Stimme brach bei diesen Worten.

»Jetzt ist alles ziemlich klar«, meinte ich, »Gott verzeih den Übeltätern!«

Selbst hierauf antwortete sie nicht, sondern fuhr fort, mich mit dem nämlichen bleichen Gesicht anzustarren. »Eine schöne Sache«, hub ich von neuem an. »Soll ich also wirklich ins Verderben gehen und jene beiden mit mir reißen?« »Ach, was soll ich nur tun!« rief sie verzweifelt. »Kann ich denn gegen meines Vaters Befehl handeln, gerade jetzt, da er gefangen ist und vielleicht sein Leben davon abhängt?« »Vielleicht sind wir voreilig gewesen«, sagte ich. »Auch das Letzte kann eine Lüge sein. Vielleicht hat der Mann gar keine ausdrücklichen Befehle; alles kann das Werk Simon Frasers sein, ohne Wissen Eures Vaters.« Da brach sie, ohne auf uns beide zu achten, in Tränen aus, und mein Herz machte mir heftige Vorwürfe, denn dieses Mädchen dünkte mir in einer furchtbaren Lage. »Hört zu,« sagte ich, »haltet ihn nur eine einzige Stunde fest, und ich will versuchen durchzukommen und Euch segnen.« Sie reichte mir die Hand. »Ich habe ein gutes Wort nötig«, schluchzte sie. »Eine volle Stunde also?« fragte ich, ihre Hand festhaltend. »Drei Menschenleben hängen davon ab, mein Mädchen.« »Eine volle Stunde«, wiederholte sie und rief laut ihren Heiland um Vergebung an.

Ich meinte, hier wäre kein passender Ort für mich und floh.

Elftes Kapitel


Der Wald bei Silvermills

Ich verlor keine Zeit. Talabwärts, vorbei an Stockbridge und Silvermills, lief ich, so rasch meine Füße mich nur tragen wollten. Alan hatte versprochen, sich allnächtlich zwischen zwölf und zwei »in einem kleinen, verkrüppelten Gehölz östlich von Silvermills und hart südlich des Mühlgrabens« einzufinden. Ich fand das Wäldchen, das sich einen steilen Hügel hinanzog, an dessen Fuß ein tiefer, reißender Mühlbach strömte, ohne Schwierigkeit. Hier verlangsamte ich meinen Schritt und begann mit etwas mehr Ruhe mein Vorhaben zu überlegen. Ich erkannte, ich hatte mich Catriona gegenüber auf einen Narrenhandel eingelassen. Es war nicht anzunehmen, daß Neil in der Durchführung seines Auftrages ohne Mithelfer wäre, aber vielleicht war außer ihm keiner von James Mores Leuten daran beteiligt. In diesem Falle hatte ich mein möglichstes getan, Catrionas Vater henken zu lassen, ohne mir selbst wesentlich weiterzuhelfen. In Wahrheit wollte mir keine dieser Eventualitäten gefallen. Wenn nun das Mädchen durch Neils Abhaltung mitschuldig am Tode ihres Vaters wurde? Sie würde es sich, wie ich sie kannte, nie verzeihen. Wie aber, wenn noch andere mich in diesem Augenblick verfolgten? Welches Geschenk brachte ich da Alan mit? Was gab es hierauf zu erwidern?

Ich hatte bereits den westlichen Teil des Gehölzes erreicht, als beide Bedenken mich mit der Wucht eines Keulenschlages trafen. Meine Füße blieben wie angewurzelt stehen und auch mein Herzschlag stockte. »Was für ein tolles Spiel habe ich heut getrieben!« dachte ich und machte auf der Stelle kehrt, um mich anderswo hinzubegeben. Das brachte mich wieder in die Richtung nach Silvermills; der Weg führte in einer Schleife am Dorf vorbei, lag aber deutlich vor mir. Kein Mensch, weder Hoch- noch Tiefländer, war zu sehen. Hier hatte ich, was ich suchte, hier bot sich eine Gelegenheit, wie ich sie laut Stuarts Rat ausnutzen sollte; ich lief daher am Mühlbach entlang bis jenseits des östlichen Waldzipfels und zurück quer durch das Gehölz, bis zu seinem westlichen Ausläufer, von wo aus ich ungesehen wieder die ganze Straße überblicken konnte. Auch diesmal war sie leer, und mein Mut stieg von neuem.

So saß ich über eine Stunde eng an den Waldsaum gedrückt, und weder Hase noch Adler hätten schärferen Lugaus halten können. Zu Beginn dieser Stunde war die Sonne schon untergegangen, der Himmel aber noch in Gold getaucht und das Tageslicht klar; ehe jedoch die Stunde zerrann, hatte das Zwielicht eingesetzt. Gegenstände und Entfernungen wurden undeutlicher, und die Beobachtung war erschwert. Während dieser ganzen Zeit zeigte sich keine Menschenseele östlich von Silvermills, und die wenigen, die westlich davon gingen, waren ehrliche Bauern und deren Frauen auf dem Wege ins Bett.

Selbst wenn die schlausten Spione Europas mir auf den Fersen waren, hielt ich es doch für äußerst unwahrscheinlich, daß sie von meinem Verstecke wüßten; ich ging daher etwas tiefer in den Wald hinein und streckte mich aus, um Alan zu erwarten. Die Nervenanspannung war groß gewesen, denn ich hatte nicht nur den Weg, nein, auch jeden Strauch und jedes Feld in Sichtweite beobachtet. Das war nun vorbei. Der Mond, der im ersten Viertel stand, schien matt in den Wald hinein; ringsum schwieg das Land, und während ich die nächsten drei, vier Stunden dort flach auf dem Rücken lag, bot sich mir eine treffliche Gelegenheit, mein Verhalten kritisch zu betrachten. Zwei Dinge wurden mir zuerst klar: ich hatte kein Recht gehabt, heute nach Dean zu gehen, und war ich schon gegangen, so durfte ich jetzt nicht liegen, wo ich lag. Dieses Gehölz, in dem ich Alan erwartete, war im ganzen weiten Schottland der einzige Ort, der mir aus taufend triftigen Gründen verschlossen war. Ich gab das zu und – blieb, zu meiner eigenen Verwunderung. Ich dachte an die harten Worte, die ich eben erst Catriona gegeben, wie ich stolz von zwei Menschenleben gesprochen hatte, die ich mit mir herumtrüge, und wie ich sie jetzt, scheinbar gewissenlos, von neuem aufs Spiel setzte. Ein gutes Gewissen macht drei Viertel allen Heldentums. Kaum hatte ich mein Verhalten jeder Einbildung entkleidet, als ich mich auch schon waffenlos einem Heer von Schrecknissen gegenüber befand. Plötzlich setzte ich mich aufrecht. Wie, wenn ich jetzt zu Prestongrange ginge, ihn abfinge, noch ehe er sich zu Bett legte (was ich immer noch leicht tun konnte), und mich ihm vollständig unterwarf? Wer konnte mich deshalb tadeln? Stuart, der Anwalt, nicht; ich brauchte nur zu erklären, ich wäre verfolgt worden, hätte keine Möglichkeit zur Flucht gesehen und mich ergeben. Catriona auch nicht; auch ihr gegenüber hatte ich meine Antwort parat: ich hätte nicht ertragen können, daß sie ihres Vaters Leben gefährde. So wäre ich im Handumdrehen alle meine Nöte losgeworden, die mich, im Grunde genommen, ja gar nichts angingen: mit dieser einzigen Geste konnte ich mich aus der Appiner Mordaffäre herausziehen, konnte sämtliche Stuarts und Campbells, Whigs und Tories der Welt abschütteln, für mich allein mein Vermögen genießen und vermehren und einen Teil meiner Jugend der Werbung um Catriona weihen, was doch entschieden eine passendere Beschäftigung war, als gleich einem Dieb gejagt und gehetzt zu werden und die ganzen schrecklichen Entbehrungen einer Flucht mit Alan von neuem auf sich zu nehmen. Anfänglich schämte ich mich meiner Kapitulation nicht; ich war nur ungemein erstaunt, daß mir derartiges nicht schon früher eingefallen war. Dann begann ich den Gründen dieser Sinnesänderung nachzugehen. Ich führte sie auf meine gedrückte Stimmung, diese wieder auf meinen plötzlichen Leichtsinn und letzteren auf die uralte, allgemein menschliche und nur allzu leicht übersehene Sünde des Sichgehenlassens zurück. Sogleich fiel mir der Text ein: ›Willst du den Teufel mit Beelzebub vertreiben?‹ Wie, überlegte ich bei mir, durch Weichlichkeit und Wandeln auf dem breiten Pfad der Freude und durch die Reize eines jungen Weibes war ich meinem ganzen Ich untreu geworden und hatte James und Alans Leben aufs Spiel gesetzt. Und jetzt wollte ich als Ausweg den gleichen Pfad wählen? Nein, der Schaden war durch Laschheit geschehen; das Gegenmittel war die Selbstzucht; das verweichlichte Fleisch mußte gekreuzigt werden. Ich erwog, welchen Weg ich am widerwilligsten beschreiten würde; die Antwort lautete: jetzt, ohne Alan zu sehen, den Wald verlassen, um wiederum allein in der Dunkelheit meinem verworrenen und gefährlichen Geschick entgegenzueilen. Ich habe diesen Teil meiner Selbstbetrachtungen um so ausführlicher geschildert, als ich glaube, er könnte jungen Leuten nützlich sein und ihnen als Beispiel dienen. Aber selbst im Kohlbauen liegt (wie man sagt) Vernunft, und auch Ethik und Religion lassen Raum für den gesunden Menschenverstand. Es war dicht vor Alans Stunde, und der Mond war untergegangen. Brach ich jetzt auf, so würden die Spione (die ich doch nicht gut heranpfeifen konnte) mich vielleicht verfehlen und sich statt dessen Alan an die Fersen heften. Blieb ich, so konnte ich wenigstens meinen Freund warnen und dadurch noch sein Leben retten. Ich war bislang dank meiner Nachlässigkeit leichtsinnig genug mit anderer Leute Leben umgesprungen; sie jetzt wiederum durch Nachlässigkeit lediglich unter dem Vorwand der Buße, zu gefährden, war schwerlich vernünftig. Kaum hatte ich mich also erhoben, da sank ich auch schon an meinen Platz zurück; jetzt aber war ich in ganz anderer Verfassung, gleichermaßen erstaunt über meine frühere Schwäche wie froh über meine gegenwärtige Gefaßtheit. Bald danach vernahm ich ein Knacken des Unterholzes. Ich legte mich mit dem Ohr auf die Erde und pfiff ein, zwei Takte von Alans Melodie; eine Antwort kam, nicht minder vorsichtig, und bald rannten wir in der Dunkelheit gegeneinander.

»Bist du’s endlich, Davie?« flüsterte er.

»Ich und kein anderer.« »Gott im Himmel, hab ich mich nach dir gesehnt, Bub!« sagte er. »Ist mir die Zeit lang geworden! Den ganzen Tag über mußte ich im Heu hausen, wo ich nicht die Hand vor Augen sehen konnte, und dann erst die letzten zwei Stunden Wartezeit, als du nicht kamst! Herrgott, du bist auch keinen Augenblick zu früh gekommen, denn morgen vormittag stech ich in See! Was sag ich, morgen? Heute!«

»Ja, Alan, heute wahrhaftig. Es ist sicherlich schon nach zwölf,« entgegnete ich, »heute mußt du fahren. Und diesmal ist es eine lange Reise!«

»Vorher halten wir noch einen langen Schwatz«, sagte er. Ich erzählte ihm also, was er wissen mußte, wobei ich alles ziemlich durcheinander brachte; aber zuletzt wurde es doch leidlich klar. Er hörte mich bis zu Ende an, ohne viele Fragen zu stellen, und lachte nur von Zeit zu Zeit wie jemand, der sich freut, und der Klang seines Lachens drang mir (vor allem dort in der Dunkelheit, da keiner den anderen sehen konnte) seltsam innig ans Herz. »Ja, Davie, du bist schon ein komischer Kauz,« meinte er, als ich schwieg, »ein merkwürdiger Hund; ich glaube, deinesgleichen hab ich nie gesehen. Und was deine Geschichte anbetrifft – nun, Prestongrange ist auch nur so ein Whig wie du selbst, ich will daher nichts gegen ihn sagen. Bei Gott, ich glaube, er ist noch der beste Freund, den du hast; wenn du dich nur auf ihn verlassen könntest. Aber Simon Fraser und James More, die kommen aus demselben Stall wie ich, und ich will ihnen den Namen geben, den sie verdienen. Der Böse selbst hat die Frasers gezeugt, das weiß ein jeder; und die Gregaras – na, deren Geruch konnt ich schon nicht vertragen, als ich kaum auf den Beinen stand. Einem – fällt mir da ein – hab ich die Nase blutig geschlagen, als ich noch so unsicher auf den Füßen war, daß ich nachher über ihn hinpurzelte. Mein Vater war ein stolzer Mann an jenem Tage, Gott hab ihn selig. Ich glaube auch, er hatte Grund dazu. Ich leugne nicht, daß der Robin ein recht anständiger Pfeifer ist,« fügte er hinzu, »doch diesen James More, den soll meinetwegen der Teufel holen.«

»Eins gibt es noch zu bedenken«, sagte ich. »Hat Charles Stuart recht oder unrecht? Sind sie nur hinter mir oder hinter uns beiden her?« »Was hast du für eine Meinung? Du Mann der großen Erfahrung?« fragte er.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte ich.

»Ich auch nicht«, sagte Alan. »Glaubst du, das Mädel wird dir Wort halten?«

»Ganz gewiß.« »Hm,« meinte er, »man kann nie wissen. Na, das liegt jetzt hinter uns: der Rote ist längst zu den anderen gestoßen.« »Wie zahlreich, glaubst du, werden sie sein?« forschte ich. »Je nachdem. Handelt es sich nur um dich, so an die zwei, drei muntere Burschen; und glauben sie mich mit abzufangen, vermutlich zehn bis zwölf.«

Ich konnte nicht anders, ich mußte leise lachen.

»Ich dächte, du hättest mit eigenen Augen gesehen, wie ich diese Zahl oder ihrer doppelt so viel vor mir hergetrieben habe«, rief er. »Es ist ja ganz gleich,« entgegnete ich, »einstweilen bin ich sie gründlich los.« »Das ist so deine Meinung,« fuhr er fort, »aber ich würde mich nicht im geringsten wundern, wenn sie hier im Walde hockten. Es sind Hochländer, verstehst du, David, mein Junge? Teils Frasers, teils Gregaras, meiner Ansicht nach; und ich kann nicht leugnen, daß beide, besonders die Gregaras, schlaue, erfahrene Burschen sind. Ein Kerl, der nicht schon im Tiefland eine Herde fetten Rindviehs so (sagen wir) seine zehn Meilen durch eine dichtbevölkerte Gegend getrieben hat, womöglich mit dem verdammten Soldatenpack auf seinen Fersen, versteht nicht viel vom Handwerk. Bei der Sache hab ich ein gut Teil meines Scharfsinns gelernt. Du brauchst mir nicht dreinzureden; ’s ist besser als Krieg: der kommt gleich hinterher, obwohl er zumeist ein recht uneinträgliches Geschäft ist. Aber die Gregaras – die haben eine großartige Übung.«

»Zweifellos hat man diesen Teil der Bildung bei mir vernachlässigt«, sagte ich. »Ich merk es dir auf Schritt und Tritt an,« bestätigte Alan. »Aber das ist das Sonderbare an euch Studierten: ihr seid unwissend und wollt’s nicht einsehen. Mit meinem Griechisch und Hebräisch hapert’s; aber, Mensch, ich weiß auch, daß ich’s nicht kann – da liegt der Unterschied. Nehmen wir dich als Beispiel. Du liegst hier in diesem geschützten Walde ein Weilchen auf dem Bauch und bildest dir ein, du hättest die Frasers und MacGregors abgeschüttelt. Weshalb? Weil ich sie nicht sehe, gibst du mir zur Antwort. Du Dummkopf, das ist doch ihr Geschäft.«

»Nimm also das Schlimmste an«, entgegnete ich. »Was sollen wir dann tun?« »Daran denke ich gerade«, sagte er. »Wir könnten uns ja trennen. Das wäre aber wenig nach meinem Geschmack, außerdem spricht vieles dagegen. Erstens ist es unheimlich finster, und wenn wir großes Glück haben, können wir ihnen entwischen. Bleiben wir zusammen, so bilden wir nur eine Linie; trennen wir uns, dann zwei; um so größer die Wahrscheinlichkeit, daß wir einigen von deinen Herrschaften in die Arme laufen. Zweitens: wenn sie uns auf der Spur bleiben, kann es immerhin zum Gefecht kommen, Davie; und ich gestehe, in dem Fall wäre es mir ganz lieb, dich an meiner Seite zu wissen, und dir wird’s auch nicht schaden, wenn du mich hast. Meiner Meinung nach sollten wir uns also nicht einen Augenblick später als jetzt aus dem Staube machen und östlich auf Gillane zu halten, wo mein Schiff auf mich wartet. Uns wird sein, als wären die alten Zeiten wieder da, Davie, so kurz es auch dauert; und inzwischen können wir uns überlegen, was du anfangen sollst. Mir widerstrebt’s, dich hier allein zu lassen.« »Also los, meinetwegen!« sagte ich. »Kehrst du zurück, woher du gekommen bist?«

»Den Teufel werd ich das«, meinte Alan. »Die Leute waren gut zu mir, aber ich glaube, sie wären arg enttäuscht, mein hübsches Gesicht wiederzusehen. In diesen Zeiten bin ich nicht gerade ein willkommener Gast. Um so mehr gelüstet’s mich nach Eurer Gesellschaft, Mr. David Balfour von Shaw. Also marsch! Abgesehen von zwei kurzen Gesprächen hier im Walde mit Charlie Stuart, hab ich kaum ja und nein gesagt, seit wir uns in Chorstorphine trennten.« Mit diesen Worten stand er auf, und wir machten uns behutsam in östlicher Richtung auf den Weg durch das Gehölz.

Sigfrid und Kriemhild

Am Hofe zu Worms

Im Lande der Burgunden zu Worms am Rhein herrschte König Gunther mit seinen Brüdern Gernot und Giselher, sie hatten eine Schwester namens Kriemhild, die mit ihrer Mutter Ute am Hofe lebte. Viele Helden warben um die schöne Kriemhild; doch sie wies alle ab, weil sie durch Liebe niemals Leid erfahren wollte, wie ihr ein Traum verkündet hatte.

Damals lebte zu Xanten am Niederrhein Sigfrid, der Sohn des Königs Sigmund. Schon in früher Jugend hatte der junge Held sich durch Kühnheit und Kraft Tatenruhm erworben. Einen giftigen Drachen hatte er im Kampfe besiegt, und als er in dessen Blute badete, war seine Haut hörnern geworden, so daß nun keine Waffe ihn verwunden konnte. Dem Zwergenvolke der Nibelungen hatte er einen unermeßlichen Schatz an Gold und Edelsteinen abgewonnen, und in diesem Kampfe hatte er auch eine Tarnkappe erbeutet, die ihn unsichtbar machte, dazu das herrliche Schwert Balmung.

Als Sigfrid nun von der schönen Kriemhild hörte, hielt es ihn nicht länger mehr an des Vaters Hof. Mit zwölf seiner Kampfgefährten zog er nach Worms am Rhein, um die liebliche Jungfrau zum Weibe zu gewinnen.

Als sie vor die Königsburg kamen, erkannte niemand in Gunthers Gefolge weder die Mannen noch ihren Führer. Da ließ König Gunther den weitgereisten Hagen kommen, doch auch der wußte nicht, wer die Ankömmlinge seien. »Ich möchte wohl glauben, daß es Sigfrid ist«, meinte er schließlich, »der Held aus Niederland, der die Söhne des Zwergenkönigs Nibelung erschlagen hat und den Nibelungenhort besitzt. Ich rate, wir sollten ihn gut empfangen.«

In Ehren nahm man die Gäste auf, und Sigfrid blieb ein Jahr am Hofe zu Worms. Doch die Jungfrau, um deretwillen er gekommen war, bekam er nicht zu Gesicht. Kriemhild aber blickte oft heimlich aus dem Fenster ihres Gemachs, wenn die Recken auf dem Burghofe ihre Kampfspiele trieben, und lobte in vertrautem Kreise den herrlichen Helden.

Sigfrid war gern gesehen bei jedermann am Burgundenhofe, und die Gastfreundschaft, die man ihm erwies, entgalt er nach Reckenart, indem er dem König auf seinen Kriegszügen Beistand leistete. Als die Könige von Sachsen und Dänemark das Land der Burgunden bedrohten, verdankte Gunther seinen Sieg allein seinem starken Gast vom Niederrhein, der beide feindliche Könige nach heißem Zweikampf gefangennahm.

Als Gunther nach Sigfrids Rückkehr ein prächtiges Fest zur Feier des Sieges veranstaltete, war auch Kriemhild anwesend.

Zum erstenmal sah Sigfrid die schöne Jungfrau, der sein ganzes Sehnen galt. Als sie an der Hand ihrer Mutter, der Königin Ute, geleitet von ihren Jungfrauen und hundert Mannen, in den Festsaal trat, verneigte sich Sigfrid in tiefer Ehrerbietung vor den Frauen. Nie in seinem Leben hatte Sigfrid solche Freude empfunden wie in diesem Augenblick, da er Kriemhild an seiner Hand führen durfte und mit ihr durch den Palast schritt.

Die Fahrt nach Island

Fern über der grauen See, auf der Insel Island, wohnte die schöne Königin Brunhild. Viele begehrten ihre Liebe und freiten um sie, doch Brunhild stellte harte Bedingungen. Wer sich mit ihr vermählen wollte, mußte sie dreifach besiegen: im Speerwurf, im Steinschleudern und im Sprung. Wer auch nur in einem dieser Wettkämpfe unterlag, hatte sein Leben verwirkt.

König Gunther wünschte nichts sehnlicher, als die begehrenswerte Königin zum Weibe zu gewinnen. »Wenn du mir beistehst, sie zu erringen«, sagte er zu Sigfrid, »so werde auch ich Leben und Ehre für dich wagen.« Da antwortete Sigfrid: »Die Fahrt zur Königin Brunhild will ich mit dir wagen, so du mir deine Schwester Kriemhild zum Weibe gibst. Anderen Lohn begehre ich nicht!« Da gelobte ihm Gunther die schöne Kriemhild zur Frau, wenn Brunhild als Königin ins Burgundenland einzöge.

Nur der starke Hagen und sein Bruder Dankwart fuhren als Begleiter mit, als Gunther und Sigfrid das Schiff bestiegen, das sie von Worms den Rhein hinab zu Brunhilds Burg Isenstein führen sollte. Zwölf lange Tage und Nächte fuhren die Weggefährten über See. Als sie endlich an Land gingen, führte Sigfrid des Königs Roß am Zügel, damit man ihn für Gunthers Lehnsmann halte. Sie bestiegen ihre Rosse und ritten, in schwarzen Rüstungen und in prächtiger Wehr, zur Burg. Die Tore wurden ihnen weit aufgetan, und Brunhilds Mannen eilten ihnen entgegen, sie zu empfangen.

Brunhild hieß sie freundlich willkommen. Den kühnen Sigfrid, den sie bereits kannte, begrüßte sie vor König Gunther.

Am nächsten Tage begannen die Kampfspiele. Gunther war nicht stark genug, die schweren Waffen, die Brunhild ihm reichen ließ, zu führen; doch Sigfrid, unsichtbar durch seine Tarnkappe, übernahm den Wettkampf, während Gunther zum Schein die Gebärden ausführte. Mit übermenschlicher Kraft faßte Brunhild den Schild, den vier Männer in die Kampfhahn getragen hatten, nahm den schweren Wurfspeer und schleuderte ihn auf ihren Gegner. Die Waffe drang durch den Schild, so daß Gunther strauchelte und Sigfrid das Blut aus dem Munde brach. Trotzdem ermannte sich Sigfrid sogleich, er faßte den Speer und warf ihn mit solcher Wucht zurück, daß Brunhild zu Boden stürzte.

Doch schnell sprang Brunhild wieder auf die Füße, sie ergriff einen mächtigen Stein und schleuderte ihn an die zwölf Klafter weit, und in voller Waffenrüstung sprang sie über den Wurf hinaus. Doch wieder zeigte sich Sigfrid, unter der Tarnkappe verborgen, ihr überlegen. Er warf den Stein noch weiter als Brunhild und sprang über das Ziel hinaus. Durch die Tarnkappe hatte er die Kraft, König Gunther dabei mit sich zu tragen. Da mußte Brunhild sich besiegt bekennen. »Tretet herzu, ihr Mannen«, gebot sie ihren Recken, »und huldigt eurem neuen Herrn!«

So konnte Gunther die stolze Brunhild als seine Gemahlin heimführen, und mit großem Prunk wurde zu Worms die Doppelhochzeit gefeiert. Aber als Brunhild die liebliche Kriemhild beim festlichen Mahle an Sigfrids Seite sitzen sah, vergoß sie bittere Tränen.

»Es betrübt mich sehr«, versetzte sie auf Gunthers Frage, »daß du deine Schwester einem deiner Dienstmannen zur Frau gegeben hast!«

Vergeblich suchte der König sie zu beschwichtigen. Aber nicht eher wollte sie ihm als Gattin angehören, als bis sie genau wüßte, wie alles sich zugetragen habe. Als Gunther am Abend sein Weib umarmen wollte, wehrte sich Brunhild, fesselte ihm mit ihrem Gürtel Füße und Hände und hängte den Wehrlosen an einen starken Nagel hoch an der Wand. Dort mußte er bleiben bis in die Morgenstunden.

Tags darauf erfuhr Sigfrid von der unwürdigen Behandlung, die Gunther hatte auf sich nehmen müssen. »Ich werde dir helfen«, versprach er dem Freunde, und mit Hilfe seiner Tarnkappe stand er Gunther bei, die Widerstrebende zu bezwingen. Er nahm Brunhilds Gürtel und einen Ring, den er ihr heimlich vom Finger zog, mit sich, als er sie verließ.

Nicht lange danach zog Sigfrid mit Kriemhild, seinem jungen Weibe, in seine Heimat nach Xanten am Niederrhein und bestieg den Thron seines Vaters Sigmund.

Der Streit der Königinnen

Zehn Jahre gingen ins Land, Brunhild aber sann über vieles nach.

»Warum leistet Sigfrid, der doch dein Lehnsmann ist, dir keine Dienste?« fragte Brunhild ihren Gatten immer wieder. »Warum weilt er ständig in der Ferne und stellt sich niemals an deinem Hofe ein?« Vergeblich suchte Gunther Ausflüchte.

Um ihren Willen dennoch durchzusetzen, beredete sie den königlichen Gemahl, zur nächsten Sonnenwende ein großes Fest zu bereiten.

Auch Sigfrid und Kriemhild, begleitet von dem greisen Sigmund, folgten der Einladung König Gunthers, zusammen mit vielen Recken ihres Landes. Trotz der Festesfreude aber, die alle erfüllte, sah Brunhild voll Neid auf Sigfrids und Kriemhilds großes Gefolge, und sie wunderte sich, daß ein Lehnsmann König Gunthers zu so großem Ansehen gelangen könne. Unwillig hörte sie Kriemhilds Worte, als beide Königinnen am elften Tage vor dem Vespergottesdienst zusammensaßen.

»Sieh doch nur«, rief Kriemhild glücklich, »wie herrlich Sigfrid vor allen Helden einherschreitet und wie niemand ihm im Kampfe ebenbürtig ist!«

»Er ist doch nur meines Gatten Eigenmann«, unterbrach Brunhild sie, »und deshalb mußt du Gunther den Vorrang geben!«

Kriemhild wollte solchen Vorwurf nicht gelten lassen; immer heftiger wurde der Wortstreit, und die Frauen trennten sich im Zorn. Als die Stunde des Gottesdienstes gekommen war, ging jede der beiden Königinnen, die sonst stets einträchtig beisammen gesehen wurden, allein mit ihren Jungfrauen zum Münster.

»Bleib stehen, Kriemhild!« rief Brunhild scharf. »Ich habe den Vortritt! Die Frau eines Dienstmannes darf niemals vor ihres Königs Gattin gehen!«

Da entbrannte wilder Haß in Kriemhilds Herzen. Sie warf Brunhild vor, nicht Gunther, sondern Sigfrid habe sie bezwungen. In bitteren Tränen stand Brunhild da, während Kriemhild erhobenen Hauptes an ihr vorbei ins Münster schritt.

Nach dem Messedienst verlangte die tiefgekränkte Königin Beweise für Kriemhilds beleidigende Worte. Da zeigte diese ihr Gürtel und Ring, die Sigfrid ihr in der Nacht der Vermählung genommen hatte. Hagen von Tronje aber, der Brunhild weinen sah, suchte seine Herrin zu beruhigen und gelobte, die bittere Schmach, die ihr angetan war, an Sigfrid zu rächen, der das Geheimnis von Gunthers Brautwerbung an seine Gattin preisgegeben hatte.

Falsche Boten, die man bestellt hatte, erschienen in Worms, um neuen Krieg der Dänen und Sachsen anzusagen. Sigfrid erbot sich, mit den Burgunden in den Kampf zu ziehen.

Als das Heer zum Aufbruch bereitstand, begab sich Hagen zu Kriemhild, um Abschied von ihr zu nehmen.

»Laß Sigfrid nicht entgelten, was ich Brunhild angetan habe«, bat ihn die schöne Frau, »Iängst quält mich die Reue.«

Da versprach Hagen, über Sigfrids Leben zu wachen.

»An einer Stelle ist er verwundbar«, sagte Kriemhild in arglosem Vertrauen, und sie verriet Hagen, was sonst niemand wußte. Als Sigfrid sich im Blute des erschlagenen Drachen gebadet hatte, war ihm ein Lindenblatt zwischen die Schultern gefallen, so daß er an dieser Stelle verwundbar blieb, weil nur hier seine Haut nicht hörnern geworden war.

Da bat Hagen die Königin, die verwundbare Stelle durch ein auf das Gewand genähtes Kreuz zu bezeichnen, damit er ihren Gatten recht schützen könne.

Sigfrids Tod

Kaum war Sigfrid mit seinen Mannen zum Kampfe ausgezogen, da kamen neue Boten, die den Krieg widerriefen. Nach der Rückkehr an den Hof zu Worms beschloß man, in den Wasgenwald zu ziehen, um eine große Jagd abzuhalten. Unter Tränen nahm Kriemhild Abschied von dem geliebten Gatten. Sie hatte geträumt, wie zwei wilde Eber Sigfrid anfielen und das Gras sich vom Blute rötete. Sigfrid tröstete die schöne Kriemhild mit freundlichen Worten, umarmte und küßte sie und ritt unbekümmert mit dem Gefolge davon.

Auf der Jagd machte Sigfrid von allen die reichste Beute, er fing sogar mit eigener Hand einen Bären und brachte ihn, als das Horn das Ende der Jagd verkündete, lebend und gefesselt zum Sammelplatz.

Nach den Mühen der Jagd setzte man sich zum Mahle. Speisen in reicher Auswahl standen bereit, doch es fehlte der Trank. Irrtümlich, so sagte Hagen entschuldigend, sei der Wein in den Spessart geschickt worden. »Doch ich weiß hier ganz in der Nähe eine Quelle, die im Schatten einer Linde liegt«, fuhr er fort. »Wollen wir nicht dorthin um die Wette laufen?«

Gunther und Sigfrid waren einverstanden. Wie Panther liefen sie durch den Klee. Sigfrid trug Wehr und Waffen bei sich, und dennoch erreichte er den Brunnen als erster. Doch er trank nicht vor König Gunther. Dem König ließ er den Vortritt. Dann erst beugte er sich selbst über die Quelle, um seinen Durst zu löschen.

Da ergriff Hagen den Speer, den Sigfrid arglos an die Linde gelehnt hatte, und stieß ihn dem Helden in den Rücken.

Mit Bedacht traf er ihn genau an der Stelle, die Kriemhild durch das aufgenähte Kreuz kenntlich gemacht hatte.

Das Blut sprang sogleich so heftig aus der Wunde, daß auch Hagen befleckt wurde. Da ließ er den Speer im Rücken Sigfrids stecken und wandte sich zur Flucht.

Als Sigfrid die schwere Wunde fühlte, sprang er, rasend vor Wut, auf und stürzte dem Mörder nach. Hagen floh davon, wie er noch vor keinem Manne gelaufen war. Doch Sigfrid erreichte ihn, und mit dem Schilde – der Tronjer hatte mit Vorbedacht alle Waffen an der Linde entfernt- schlug Sigfrid auf Hagen ein, so daß dieser zu Boden stürzte. Doch dann entwich alle Farbe aus dem Antlitz des todwunden Helden. Seine Kraft verließ ihn, und sterbend sank er ins Gras.

Kriemhilds Trauer

In der Nacht brachte man den erschlagenen Recken über den Rhein nach Worms zurück. Hagen ließ den Leichnam vor Kriemhilds Kammer tragen und dort niederlegen. Als beim Messeläuten in früher Morgenstunde der Kämmerer kam, um Kriemhild auf ihrem Wege zum Münster zu leuchten, entdeckte er als erster den Toten.

»Herrin«, meldete er ihr entsetzt, »draußen liegt ein toter Recke!«

Kriemhild begann sogleich laut zu klagen; denn sie erkannte die grausige Wahrheit, noch ehe sie den erschlagenen Gatten gesehen hatte. Als man ihr den Toten wies, sank sie ohnmächtig zu Boden.

Voller Bestürzung eilte der greise König Sigmund herbei, und bald hallte die Burg wider von der Klage um den herrlichen Helden. Sigfrids Mannen verlangten Rache, und auch König Sigmund war bereit zu kämpfen. Doch Kriemhild bat, von diesem Vorhaben abzustehen und einen besseren Zeitpunkt abzuwarten. Sie wollte nicht, daß Sigfrids Mannen sich gegen die Übermacht der Burgunden nutzlos opferten.

Sigfrids Leichnam wurde im Münster aufgebahrt.

Als Gunther mit Hagen an die Bahre trat, erhob er laute Klage.

»Räuber haben den Helden im Walde erschlagen«, sagte er. »Wollt ihr eure Unschuld erweisen«, erwiderte Kriemhild, »so tretet nahe herzu!«

Gunther folgte der Aufforderung. Doch als Hagen an die Bahre trat, brach die Wunde des Toten auf und begann zu bluten. Jetzt hatte Kriemhild die Bestätigung, wer der Mörder war. Drei Tage und drei Nächte wachte sie an Sigfrids Leiche; aber vergebens hoffte sie, daß der Tod sie zu sich nehmen würde.

Mit großen Ehren wurde Sigfrid zu Grabe getragen. Bevor der Tote ins Grab gesenkt wurde, ließ Kriemhild den Sarg noch einmal öffnen, so schwer fiel ihr die Trennung von dem geliebten Gatten.

Nachdem alles vollbracht war, kehrte König Sigmund in sein verwaistes Königreich zurück. Kriemhild aber blieb in Worms; denn sie wollte täglich am Grabe des geliebten Gatten sein. Jahrelang sprach sie kein Wort mit König Gunther, ihrem Bruder, und Hagen, ihren Feind, sah sie niemals. Erst Gernots und Giselhers Zureden konnten sie bestimmen, mit Gunther Frieden zu schließen.

Auf Gunthers Bitte ließ die Königin später den Nibelungenhort, den Sigfrid einst dem Zwergenkönig abgewonnen und ihr als Morgengabe übereignet hatte, nach Worms bringen. Freigebig teilte Kriemhild nun aus ihrem unermeßlichen Schatz Gaben aus unter die Armen. Da Hagen fürchtete, sie könne dadurch einen zu großen Anhang im Volke gewinnen, erwirkte er es, daß man ihr die Schlüssel zur Schatzkammer wegnahm. Kriemhild zürnte sehr darüber und beklagte sich bitter bei ihrem Bruder über die Gewalt, die ihr angetan ward.

Hagen aber nahm entschlossen den Schatz an sich und versenkte ihn in den Rhein.

Kriemhilds Vermählung

Dreizehn Jahre hatte Kriemhild um Sigfrids Tod getrauert. Da erschien eines Tages am Hofe zu Worms der Markgraf Rüdeger von Bechelaren mit prächtigem Geleite und überbrachte eine Botschaft von König Etzel.

»Ich komme von König Etzel aus dem Hunnenlande«, sprach er zu Kriemhild. »Frau Helche ist gestorben, und nun wagt es der mächtige König, um dich, edle Herrin, zu werben. In seinem Namen bitte ich um deine Hand.«

Gunther und auch seinen Brüdern war dieser Antrag hoch willkommen; sie wünschten sehr, ihre schöne Schwester möchte sich dem Leben wieder zuwenden. Nur Hagen erhob Widerspruch und warnte, Kriemhild mit König Etzel zu vermählen; denn er fürchtete, Kriemhild werde ihre neue Macht ausnützen und für das ihr angetane Leid an den Burgunden Rache nehmen.

Lange widerstrebte die schöne Kriemhild der Werbung: »Mir geziemt nur zu weinen und weiter nichts«, sagte sie. Doch als Rüdeger ihr gelobte, jedes Leid, das ihr widerfahre, blutig zu rächen, gab sie nach langem Zögern ihr Jawort zum neuen Ehebund mit König Etzel.

Mit ihrem Gefolge und unter dem Schutze Markgraf Rüdegers zog Kriemhild ins Hunnenland. König Etzel kam ihr bei Tulln entgegen mit allen Rittern, Heiden und Christen, die an seinem Hofe dienten. An einem Pfingsttage wurde in Wien die prunkvolle Hochzeit, die siebzehn Tage währte, gefeiert, und dann fuhr das Paar die Donau hinab in Etzels Reich.

Kriemhild lebte in glücklicher Ehe mit dem mächtigen Hunnenkönig und schenkte ihm bald einen Sohn, der Ortlieb genannt wurde. Aber auch im Glück verließ sie nie der Gedanke an Sigfrids Tod und an die Rache, die sie geschworen hatte. Viele Jahre waren vergangen, da klagte Kriemhild eines Nachts in vertrautem Gespräch ihrem Gatten, daß sie nie ihre Brüder und Verwandten bei sich sehen könne. Gerne versprach König Etzel, ihren Wunsch zu erfüllen. So erschienen denn Etzels Sendboten am Königshofe zu Worms und luden Gunther und seine Mannen auf die nächste Sonnenwende zum Fest an Etzels Hof.

Die Burgunden am Hunnenhofe

Der Tronjer riet ab, der Einladung des Hunnenkönigs zu folgen, da er wußte, daß Kriemhild unversöhnlich war in ihrem Hasse. Doch als ihre Brüder Gernot und der junge Giselher ihm Furcht vorwarfen, erklärte er sich zur Mitfahrt bereit und versprach, ihnen den Weg zu weisen.

Durch Ostfranken ging die reisige Fahrt bis an die Donau, sodann durch Baiernland über Passau nach Bechelaren, wo der Markgraf Rüdeger lebte. Mit seiner Hausfrau Gotelind nahm er die Burgunden in herzlicher Gastfreundschaft auf und beschenkte sie reichlich. Giselher, der Junge, verlobte sich mit Dietlind, der lieblichen Tochter des Markgrafen. Rüdeger selbst geleitete mit fünfhundert Mannen die Burgunden zum Feste an den Hunnenhof.

Dietrich von Bern, der an Etzels Hofe lebte, ritt mit seinen Recken den Gästen entgegen. Als er Hagen die Hand zum Gruße bot, raunte er ihm zu: »Seid auf der Hut; denn Kriemhild, unsere Königin, weint noch jeden Morgen um Sigfrid!«

Da wußten auch die Brüder Kriemhilds, daß den Burgunden schwere Gefahr drohte.

Trotzig ritten die Burgunden an Etzels Hof ein. Kriemhild begrüßte zuerst den jungen Giselher, ihren Lieblingsbruder, der als einziger sie umarmte und küßte.

»Habt Ihr mir den Nibelungenhort mitgebracht?« fragte sie Hagen, ohne ihn willkommen zu heißen.

»Ich hatte an Schild und Brünne, an Helm und Schwert genug zu tragen«, versetzte der Held in bitterem Hohn. Und auch als sie ihre Gäste aufforderte, die Waffen abzulegen, gab Hagen ihr höhnische Antwort. Da erkannte sie, daß man die Burgunden gewarnt hatte.

»Wüßte ich, wer es getan hat, der sollte es mir mit dem Tode büßen!« rief sie voller Zorn. Doch ebenso zornig bekannte Dietrich von Bern sich als Warner. Da schämte die Königin sich und schwieg. Denn sie fürchtete Dietrich sehr.

Während die wegmüden burgundischen Recken sich ausruhten, übernahm Hagen von Tronje mit Volker, dem wehrhaften Sänger, die Schildwacht. Die beiden Recken setzten sich Kriemhilds Kemenate gegenüber auf eine Bank. Als die Königin die beiden vom Fenster aus sah, wurde sie durch Hagens Anblick an ihren Kummer gemahnt, und sie flehte Etzels Mannen mit dringenden Bitten an, sie an Hagen zu rächen. Sechzig von ihnen rüsteten sich. »Ihr seid zu wenige!« rief aber Kriemhild. »So leicht ist das Spiel nicht!« Da wappneten sich vierhundert.

Die Krone auf dem Haupte, schritt Kriemhild mit dieser Schar hinab in den Hof. Hagen legte, als er die Königin kommen sah, sein Schwert, an dessen Knauf ein Edelstein glänzte, über die Knie. Kriemhild wußte, es war Sigfrids Waffe.

Ohne Furcht saßen die beiden Recken da. Keiner erhob sich, als die Königin vor sie hintrat. Sie fragte Hagen, warum er ungeladen an den Hunnenhof gekommen sei. Doch der finstere Recke blieb ihr die Antwort nicht schuldig: »Drei Könige hat man hierher zu Gaste geladen, das sind meine Herren. Wenn meine Herren ausziehen, so fehle ich nie, und wer sie einlädt, der lädt auch mich ein!«

Da fuhr es aus Kriemhild heraus: »Sagt an, warum habt Ihr die Tat vollbracht, um die ich euch hasse? Ihr habt Sigfrid erschlagen, meinen geliebten, edlen Mann!«

»Genug des Geredes!« rief der grimme Tronjer. »Ich bin es, Hagen, der ihn erschlagen hat. Er mußte entgelten, daß Frau Kriemhild die schöne Brunhild schmähte.«

Furchtlos blickte er sich im Kreise um, als fordere er die Hunnen zum Kampfe auf. Doch diese sahen einander an und zogen sich zurück; so sehr fürchteten sie den gewaltigen Helden.

König Etzel wußte nichts von diesem Zusammenstoß und bewirtete die Gäste aus dem Burgundenland am nächsten Tage aufs beste. Zur Nachtruhe ließ er sie in einen weiten Saal führen, wo man ihnen bequeme Lager bereitgestellt hatte. Wieder hielten Hagen und Volker vor dem Hause Wacht. Der schwertgewaltige Sänger nahm seine Fidel und ließ die Saiten erklingen, daß die Recken im Saale trotz aller Sorgen in erquickenden Schlummer sanken.

Mitten in der Nacht sahen die Wächter vor dem Saal Helme und Waffen im Hofe blinken. Es waren Kriemhilds Mannen, die einen Überfall auf die Schlafenden planten. Doch als sie die Tür in sicherer Hut sahen, kehrten sie um; bittere Scheltworte gab Volker, der Sänger, ihnen mit auf den Weg.

Der Entscheidungskampf

In der Frühe, als die Glocken zur Messe läuteten, riet Hagen seinen Waffengefährten, statt der seidenen Gewänder den Harnisch anzulegen und sich zu wappnen; denn auf Kampf müsse man vorbereitet sein.

Etzel, der immer noch arglos war, fragte, als er die Gäste in Waffen sah, unwillig, ob man ihnen etwa ein Leid zugefügt habe. Da verschwieg Hagen seinen Argwohn. »Meine Herren haben die Sitte«, versetzte er, »bei allen Festen drei Tage gewappnet zu gehen.«

Vergeblich wandte sich Kriemhild, ehe man sich zu Tische setzte, an Dietrich um Hilfe; der edle Held wies es weit von sich, das Gastrecht zu verletzen. Mehr Gehör fand sie bei Etzels Bruder Blödelin, dem sie reichen Lohn versprach. Mit tausend Mann drang er in das Gästehaus ein, wo Hagens Bruder Dankwart, König Gunthers Marschalk, mit seinen Knechten bei Tische saß.

»Endlich können wir an den Burgunden Rache nehmen! Ihr müßt nun entgelten, daß Hagen Sigfrid erschlagen hat«, begann er unvermittelt und drang auf Dankwart ein. Da sprang dieser vom Tische auf und führte einen so schweren Schwertschlag, daß Blödelin,s Haupt ihm vor die Füße rollte. Ein furchtbarer Kampf hub an. Mehr als die Hälfte der Hunnen fanden den Tod. Als Etzels Ritter von Blödelins Tode hörten, wappneten sie sich ohne Wissen des Königs, und nicht eher endete das wütende Morden, als bis alle Knechte der Burgunden tot am Boden lagen. Dankwart allein bahnte sich eine Gasse durch die Hunnenkrieger und gelangte in den Saal, wo die Herren beim Festmahl saßen.

Das blutige Schwert in der Faust, trat er in den Saal: »Alle Ritter und Knechte liegen erschlagen in ihrer Herberge!« rief er laut. Entsetzt vernahmen die Burgunden seine Worte.

»Verwahret die Tür!« rief Hagen, als er den Hergang vernommen hatte, und nun erhob sich ein grausiges Gemetzel. Der Tronjer erschlug Ortlieb, Kriemhilds Sohn, daß sein Haupt in den Schoß der Königin sprang, dazu den Erzieher des Kindes.

Vergeblich mühte sich Gunther mit seinen Brüdern, den Streit zu schlichten; dann mußten sie jedoch Hagen zu Hilfe eilen. In ihrer Not bat Kriemhild den starken Dietrich um Beistand. Doch der wollte nichts als freien Abzug für sich und seine Mannen. Man gewährte ihm die Bitte. Da nahm der Berner die Königin und König Etzel bei der Hand und verließ mit seinen sechshundert Recken den Saal. Auch Markgraf Rüdeger bat, ihn mit seinen Mannen ziehen zu lassen. Das gestand ihm Giselher, der mit des Markgrafen Tochter verlobt war, mit freundlichen Worten zu. Wer dann noch von den Hunnen im Saal verblieb, fand erbarmungslos den Tod. Die Erschlagenen warf man über die Stiege hinab.

Vor dem Hause drängten sich viele bewaffnete Hunnen. Hagen und Volker spotteten verächtlich über ihre Feigheit. »Etzels Schild voll von rotem Golde biete ich dem als Preis, der mir Hagens Haupt bringt!« rief Kriemhild; doch ihre Worte fanden kein Gehör. Kein Hunne wagte den grimmen Helden im Kampfe zu bestehen.

Schließlich ließen sich drei Recken, die an Etzels Hofe dienten, erbitten. Es waren Hawart von Dänemark, sein Markgraf Iring und der Landgraf Irnfried von Thüringen. Aber alle drei erlagen nacheinander dem Schwert der Burgunden.

Dann wurde es still im Saale. Auf den Toten sitzend, suchten die Burgunden Ruhe nach dem furchtbaren Kampf. Doch noch vor Abend standen wiederum viele Hunnen zum Kampfe bereit und stürmten den Saal. Bis in die Nacht hinein dauerte die erbitterte Schlacht. Vergeblich versuchten die Könige, noch Sühne zu erlangen. Doch Kriemhild verlangte, daß Hagen ihr ausgeliefert werde. Dann wollte sie den Brüdern das Leben schenken. »Niemand wird solcher Untreue fähig sein«, antwortete Giselher. ,»Deshalb müssen wir sterben. Wer mit uns kämpfen will, der findet uns bereit!«

Da ließ Kriemhild den mächtigen Saalbau an allen vier Ecken anzünden. Vom Winde entfacht, ergriff das Feuer das ganze Haus, und glühende Asche fiel dicht auf die Helden nieder. Mit den Schilden schützten sie sich und versuchten, die Feuerbrände in dem Blut der Erschlagenen zu löschen. Unerträglich war die Qual, die Rauch und Hitze und Durst ihnen zufügten.

Noch sechshundert Burgunden sahen die Morgenröte und spürten den kühlen Morgenwind, der ihnen Linderung gab. Dann begann der Kampf von neuem. Kriemhild ließ Gold in Schilden herbeitragen, die Streiter zu entlohnen. Auf den Knien flehte das Königspaar den Markgrafen Rüdeger um Hilfe an. Kriemhild mahnte ihn an sein Wort, das er ihr bei der Werbung gegeben hatte.

Schwere Not war für den ehrlichen Recken der Zwiespalt im Herzen. Durfte er an den Gastfreunden, die er seinem Herrn zugeführt hatte, Untreue üben? Mußte er nicht den Schwur halten, den er einst Kriemhild bei seiner Werbung geleistet hatte?

Rüdeger erkannte, daß er seine Ehre nicht mehr retten könne, gleichviel, wie er sich entschied; da ließ er seine Mannen sich zum Kampfe rüsten.

Als Giselher den Markgrafen kommen sah, war er voller Freude; denn nicht anders dachte er, als daß Rüdeger den Frieden brächte. Dieser stellte jedoch den Schild vor die Füße und kündigte den Burgunden die Freundschaft auf. Vergeblich mahnte ihn Gunther, der alten Liebe und Treue zu gedenken. »Wollte Gott, ihr wäret am Rhein und ich wäre in Ehren tot!« antwortete Rüdeger. Noch nie hatten Helden von einem Freunde solche Not erfahren müssen!

Schon hoben sie die Schilde zu dem unausweichlichen Kampf, da gebot Hagen noch einmal Einhalt. Der Schild, den Frau Gotlind ihm als Gastgeschenk überreicht hatte, war zerhauen. Er bat Rüdeger daher um einen neuen, und der Markgraf gab ihm den eigenen. Das war der letzte Freundesdienst, den er leisten konnte. Hagen und Volker gelobten, Rüdeger im Streite nicht zu berühren, und wenn er alle Burgunden erschlüge.

Dann stürmte Rüdeger mit den Seinen in den Saal. Viele der Burgunden sanken von den Streichen des Markgrafen dahin. Das konnte Gernot nicht mehr länger mit ansehen. Er forderte Rüdeger zum Kampfe und empfing von dessen Hand die tödliche Wunde. Doch mit letzter Kraft streckte er den Gegner mit dem Schwerte, Rüdegers Gastgeschenk, nieder. So ereilte beide zugleich der Tod. In wilder Wut übten die Burgunden ihre Rache, und nicht einer von Rüdegers Mannen kam mit dem Leben davon.

Laute Klage erhob sich in Etzels Palast über Rüdegers Tod. Einer von Dietrichs Recken überbrachte seinem Herrn die traurige Kunde. Der gebot seinem Waffenmeister Hildebrand, die Burgunden nach dem Hergang zu befragen. Sogleich rüsteten sich ohne Dietrichs Wissen alle seine Recken, um Hildebrand zu begleiten.

Als Hagen ihnen den Ausgang des Kampfes bestätigte, beklagten Dietrichs Mannen laut den Tod des Freundes.

»Gebt uns seinen Leichnam heraus!« bat Hildebrand. »Wir wollen ihm nach seinem Tode die Treue entgelten, die er uns stets bezeugt hat.«

Gunther wollte zustimmen, doch die Burgunden gerieten darüber in einen Wortwechsel mit Dietrichs Mannen. »Holt ihn euch doch!« rief Volker voller Spott, »das wäre erst der richtige Dank, den ihr Rüdeger erweisen könnt!«

Da ließ sich Wolfhart, Hildebrands Neffe, nicht länger halten und drang in den Saal, ihm folgten Dietrichs Mannen.

Vergeblich suchte Meister Hildebrand den Streit zu schlichten. In dem Kampfe, der nun entbrannte, fanden die besten der burgundischen Recken den Tod. Volker, der Dietrichs Neffen erschlagen hatte, fiel von Hildebrands Schwert. Auch Dankwart fand den Tod. Der junge Giselher und Wolfhart töteten sich im Kampfe gegenseitig.

Nun lebte von den Burgunden niemand mehr als Gunther und Hagen. Von Dietrichs Mannen war nur noch der starke Waffenmeister Hildebrand, der sich vor Hagens Waffe retten konnte, am Leben geblieben.

Blutüberströmt trat er vor seinen Herrn. »Ich ganz allein bin übrig’«, sagte Hildebrand. Von Gram und Entsetzen wurde Dietrich ergriffen, als er vom Tode all seiner Mannen erfuhr. Noch niemals in seinem Leben war ihm so schlimme Kunde geworden.

Stumm nahm er Rüstung und Schwert, und Hildebrand half ihm, sich zu wappnen. So ging Dietrich vor den Saal, um von Gunther und Hagen Sühne zu verlangen. »Ergebt euch mir als Geiseln«, forderte er, »so werde ich euch selber heimgeleiten ins Burgundenland.«

Hagen lehnte solches Verlangen schroff ab und sprach: »Das wolle Gott im Himmel nicht, daß zwei gewappnete, freie Männer sich dir ergeben.«

Da griff der Berner mit dem Schwerte an. Der lange Kampf hatte Hagen ermattet, und so mußte er dem starken Dietrich erliegen. Der verwundete ihn schwer; aber den Todesstreich führte er nicht. Er umschlang den Tronjer mit den Armen, band ihn und führte ihn zu Kriemhild.

Wie freute sich die Königin, als sie Hagen gebunden vor sich sah, und sie versprach, Dietrich diesen Dienst nie zu vergessen. Der Berner aber verlangte, daß sie Hagen am Leben lasse. Die Königin sagte es zu und ließ ihren Gefangenen in den Kerker führen, während Dietrich in den Saal zurückeilte, um Gunther zum Kampfe zu stellen. Nach heißem Ringen bezwang er ihn und führte auch ihn, den König, gebunden zu Kriemhild.

»Handelt gut an den beiden und gewährt ihnen Eure Gnade« mahnte Dietrich die Königin, und sie versprach es wieder.

Aber kalt blieb ihr Herz. Sie trat in Hagens Kerker, mit stählernem Blick, und fragte den Helden nach dem Nibelungenhort. Sie gelobte ihm, wenn auch mit feindseligen Worten, sein Leben, wenn er den Schatz herausgebe.

Doch Hagen wehrte ab. Niemals werde er die Stelle im Rhein verraten und den Hort ausliefern, solange einer seiner Herren am Leben sei.

Da ließ Kriemhild ihrem Bruder das Haupt abschlagen und trug es an den Haaren zu Hagen.

Zum ersten Male in seinem Leben zeigte sich der grimme Held gebrochen: »Nun ist nach deinem Willen der edle König Gunther tot und ebenso Giselher und Gernot! Den Schatz, den weiß nun niemand als Gott und ich. Und dir soll er auf ewig, du Teufelin, verborgen bleiben!«

Da zog Kriemhild aus der Scheide das Schwert, das Hagen trug. Es war Sigfrids Schwert Balmung. Sie hob es hoch empor und schlug Hagen das Haupt ab.

Der alte Hildebrand, der Waffenmeister, sprang herzu. Als er sah, daß der beste Held, der je ein Schwert getragen hatte, von Weibes Hand erschlagen war, zog er in jähem Zorne sein Schwert und durchbohrte Kriemhild, daß sie entseelt zu Boden sank.

So endete das Fest am Hunnenhofe, und in einsamem Schmerze blieben Etzel und Dietrich unter allen zurück. Trauer breitete sich aus in Etzels Reich und pflanzte sich fort bis ins Land der Burgunden. Das stolze Königsgeschlecht zu Worms bezahlte den begangenen Frevel mit dem eigenen Untergang. Der wilde Brand, den der Mord an dem tapferen Sigfrid entflammte, hatte schonungslos Schuldige und Unschuldige zugleich hinweggerafft.

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Walther und Hildegund

Als Etzel, der König der Hunnen, mit seinen Heerscharen die Völker unter seine Macht zwang, stellten viele Könige ihm Geiseln, damit er ihr Land verschone. So gab Gibich, der Frankenkönig zu Worms am Rhein, den adeligen Knaben Hagen von Tronje zugleich mit vielen Schätzen als Unterpfand ins Land der Hunnen; in Châlons lieferte der Burgundenkönig Herrich sein Töchterchen Hildegund als Geisel an Etzel aus, und auch der König der Goten, Alpherr von Aquitanien, erkaufte sich den Frieden seines Landes, indem er seinen jungen Sohn Walther an den Hunnenhof sandte. Walther und Hildegund waren nach dem Willen der Eltern miteinander verlobt.

König Etzel und seine Frau Helche hielten die Geiseln in Ehren.

Die jungen Menschen führten in der Verbannung ein Dasein voller Lebensfreude, das nur durch die Trennung von der Heimat getrübt war. Hagen und Walther wuchsen zu kräftigen Männern heran, und die Erziehung, die Etzel ihnen angedeihen ließ, machte sie zu streitbaren Recken, bald übertrafen sie des Königs Mannen an Kraft und Kühnheit, und in den wilden Kriegen, die Etzel zu führen hatte, taten sie sich durch Tapferkeit und Klugheit hervor. Hildegund erblühte zu einer schönen Jungfrau, und in allen Frauenarbeiten zeigte sie sich so geschickt, daß Königin Helche ihr bald volles Vertrauen schenkte und ihr die Verwaltung der Schatzkammer übertrug.

In jener Zeit starb König Gibich in Worms. Auf dem Throne folgte ihm sein Sohn Gunther, der zur Zeit des Hunneneinfalls noch ein Kind gewesen war. Da wollte Hagen von Tronje nicht Iänger als Geisel bei König Etzel bleiben. Heimlich entwich er vom Hunnenhofe und erreichte glücklich den Rhein und die Heimat.

»Wir müssen verhindern, daß auch Walther flüchtet«, sagte Etzel zu seiner Gemahlin, und um ihn zu binden, versuchten sie ihn mit einer hunnischen Fürstentochter zu vermählen. Doch Walther wich diesem Anerbieten klug aus.

Als er bald darauf ruhmbedeckt von einem Kriegszuge heimkehrte, traf er Hildegund einmal allein in ihrem Gemach. Da gestanden sich beide ihre Liebe und gelobten sich die Treue. Und von nun an suchten auch sie die Gelegenheit zur Flucht.

Auf einem Festmahl, zu dem Walther das Königspaar und die hunnischen Fürsten eingeladen hatte, setzte er seinen Gästen so viel schweren Wein vor, daß bald alle Hunnen in tiefen Schlaf sanken. Währenddessen hatte Hildegund auf Walthers Geheiß zwei große Kästen mit goldenen Armringen und Edelsteinen aus der Schatzkammer gefüllt und sich zur Flucht aus Etzels Burg gerüstet.

Walther hängte beide Kästen seinem starken Roß, das Hildegund führte, über den Rücken. In der Hand trug sie Angel und Leimrute, die ihnen auf dem langen Wege die Nahrung liefern sollten. Heimlich verließen die beiden den Königspalast. Walther, der Etzels kostbare Rüstung angelegt hatte, schritt voraus. Und so gefürchtet war der junge Held unter den Hunnen, daß keiner von ihnen den Flüchtigen nachzureiten wagte.

Durch einsame Wälder führte der Weg das Paar dem fernen Ziel entgegen. Vom Wildbret, das der Recke erlegte, und von Fischen fristeten Walther und Hildegund das Leben. Nach vierzig Tagen gelangten sie auf ihrer Flucht endlich an den Rhein und in die Nähe von Worms. Dem Fährmann, der sie übersetzte, gab Walther zur Entlohnung zwei Fische, die er unterwegs gefangen hatte.

Andern Tags verkaufte der Mann seinen Fergensold am Königshofe zu Worms, und verwundert über die seltsame Speise fragte König Gunther beim Mahle nach der Herkunft der fremdartigen Fische. So erfuhr er von dem riesigen Recken und der schönen Jungfrau, die der Fährmann übergesetzt hatte. »Bei jedem Tritt des Rosses«, erzählte der Ferge, »erklang es in den Truhen wie von Gold und Edelsteinen!« »Das kann nur mein Blutsbruder Walther sein, der aus dem Hunnenlande mit Hildegund in die Heimat zurückkehrt«, rief Hagen froh, als er das hörte. König Gunther aber empfand eine Freude anderer Art. »Nun ist durch Schicksalsfügung der Schatz, den mein Vater einst ins Hunnenland gesandt hat, in mein Reich zurückgekehrt!« rief er, und sogleich wählte er zwölf seiner Recken aus, die ihm helfen sollten, dem Heimkehrer das Gold abzujagen. Vergeblich riet Hagen ab und warnte vor Walthers Reckenkraft; voller Betrübnis zog er mit aus zum Kampf gegen seinen alten Waffengefährten.

Unterdessen war Walther in den wilden Wasgenwald gelangt, der jenseits des Rheins liegt. Am Wasgenstein, in einer Schlucht, die so eng war, daß nicht zwei nebeneinander reiten konnten, gedachte er zu rasten. Auf der langen Flucht hatte Walther nie anders geschlafen als gewappnet und gestützt auf seinen Schild. Jetzt tat er die schwere Rüstung ab und legte sein Haupt in Hildegunds Schoß, und die Jungfrau wachte für ihn.

Doch schon nach kurzer Zeit mußte sie seinen Schlaf stören; denn in der Ferne bemerkte sie eine Staubwolke und den blinkenden Schein von Waffen. Schnell legte Walther seine Waffenrüstung wieder an und trat vor den Eingang der Schlucht.

Gunther folgte Hagens Rat und schickte zunächst einen Boten hinüber, ließ nach Namen und Weg fragen und an den jungen Recken die Forderung stellen, den Schatz freiwillig herauszugeben. Vergebens bot Walther hundert Goldringe und noch weitere hundert als Lösegeld, Gunther forderte den ganzen Schatz. Da ergrimmte Walther und tötete den Boten.

So kam es zum Kampf. In der engen Schlucht mußte einer nach dem andern gegen Walther anreiten; doch niemand war seiner Heldenkraft gewachsen. Alle elf Streiter, die König Gunther zur Verfolgung mitgenommen hatte, erschlug Walther mit dem Schwert.

Da wandte sich Gunther in seinem Zorn an Hagen, der sich vom Kampfe gegen seinen alten Waffenfreund ferngehalten hatte. Erst als der von Tronje vernahm, daß sein eigener Neffe von Walther erschlagen sei, war er zum Kampfe bereit.

»Wir müssen ihn aus der schützenden Schlucht hervorlocken«, sagte er, und so ritt er mit Gunther fort, um sich mit ihm auf die Lauer zu legen.

Unterdessen war es Abend geworden. »In Worms soll man mir nicht nachsagen, ich sei wie ein Dieb in der Nacht entwichen«, stieß Walther grimmig hervor, legte einen Zaun von Dornen vor den Eingang der Schlucht und halfterte die erbeuteten Rosse an. Todmüde nach dem schweren Kampfe warf sich der Recke auf seinen Schild, und Hildegund wachte über seinem Schlaf. Nachdem Walther sich ausgeruht hatte, übernahm er die Wache für den Rest der Nacht.

Als der Morgen dämmerte, belud er vier der erbeuteten Rosse mit den Waffenrüstungen der Erschlagenen, hob Hildegund auf das fünfte und ritt mit ihr davon. Aber sie waren noch nicht weit vom Wasgenstein entfernt, als sie Gunther und Hagen heranstürmen sahen. »Reite in den Wald«, gebot der Held der verängstigten Hildegund und gab ihr das Roß mit, das die Goldschreine aus dem Hunnenlande trug. Dann stellte er sich den beiden Angreifern zum Kampf.

Traurig sah Walther seinen alten Blutsbruder gegen sich anreiten, und auch Hagen ging schweren Herzens in diesen Streit; doch er mußte seinem König Folge leisten. Mehr als sieben Stunden währte nun der ungleiche Kampf, den Walther gegen die beiden Helden zu bestehen hatte. Schließlich schleuderte er seinen Speer mit unwiderstehlicher Gewalt auf Hagen, und gleich darauf stürzte er sich mit dem Schwert auf Gunther und schlug ihm das Bein von der Hüfte. Schon wollte er zum Todesstreich ausholen, da warf Hagen sich vor seinen König. In dem wütenden Schlagwechsel zersprang Walthers Schwert, und Hagen hieb ihm die rechte Hand ab. Mit der Linken griff Walther zu seinem krummen Hunnenschwert und schlug dem Tronjer ein Auge und sechs Zähne aus.

Da waren die drei grimmigen Recken kampfesmüde und ließen die Waffen ruhen, gemeinsam verbanden Hagen und Walther den schwerverwundeten Gunther. Hildegund, die herbeigeeilt war, reichte ihnen Wein zu Stärkung. Die Kämpfer schlossen Frieden miteinander, und Walther und Hagen erneuerten bei labendem Trunk und grimmigen Scherzen die alte Waffenbrüderschaft, bevor sie sich trennten. Gunther und Hagen kehrten in die Königsstadt am Rhein zurück, während Walther sich nach Süden wandte.

Bald nach der Rückkehr in die Heimat feierte Walther Hochzeit mit der schönen Hildegund, und nach seines Vaters Tode lenkte er sein Volk noch viele Jahre als König von Aquitanien mit Weisheit und Kraft.

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Wieland der Schmied

In Seeland am Ostmeer lebte einstmals der Riese Wate, der aus königlichem Geschlecht stammt, seine Mutter Waghilde aber war eine Meerfrau. Wate besaß drei starke Söhne. Die beiden älteren, Slagfider und Egil, wurden Krieger; Wieland, den jüngsten, aber tat der Vater in die Handwerkslehre, damit er ein tüchtiger Schmied werde. Mime, der berühmte Meister in Nordland, unterwies den geschickten Knaben drei Jahre, und nachdem Wieland lange bei kunstfertigen Zwergen gearbeitet hatte, galt er im Lande als ein unübertrefflicher Meister seines Handwerks.

Mit seinen beiden Brüdern zog Wieland in die Einsamkeit; sie hausten gemeinsam am Wolfsee in einem Tal, das ihnen bei Jagd und Fischfang alles Nötige zum Leben bot. Eines Tages gewahrten sie über dem See drei Schwäne, die sich herabsenkten. Als die Schwäne das Ufer des Sees erreicht hatten, warfen sie ihr Federkleid ab und standen da als drei wunderschöne Jungfrauen. Es waren Walküren.

In schnellem Entschluß schlichen die drei Brüder hinzu und nahmen die Schwanenhemden an sich. So hatten sie die Jungfrauen, die sich ohne Hemden nicht verwandeln konnten, in ihrer Gewalt; die Walküren mußten in Menschengestalt bei den Brüdern bleiben, und diese vermählten sich mit ihnen.

Sieben Jahre lebten die drei Paare in ungetrübtem Glück, und die Brüder ahnten nicht, wie sehr sich die Walküren nach ihrem früheren Leben zurücksehnten. Wielands Weib Herwör schenkte ihrem Gatten einen kostbaren Ring, der die Kraft haben sollte, ewige Liebe zu erhalten. Der kunstfertige Mann schmiedete nach diesem Muster andere und reihte sie alle auf eine Schnur.

Eines Tages aber, als die Brüder von der Jagd heimkehrten, war das Haus leer. Die drei Frauen hatten ihre Federhemden, die ihre Gatten vor ihnen versteckt gehalten hatten, gefunden und waren davongeflogen. Da zogen Wielands Brüder bekümmert in die Welt hinaus, um die verlorenen Geliebten zu suchen; Wieland aber blieb zurück, denn er vertraute auf die Kraft des Ringes.

Nidung, der König der Njaren, hörte von Wielands Kunstfertigkeit und sann darauf, ihn sich dienstbar zu machen und seinen Reichtum zu gewinnen. Heimlich ließ er Wieland in seinem einsamen Hause gefangennehmen.

Er raubte den Ring der Schwanenjungfrau samt den Kostbarkeiten und entführte Wieland in sein Reich.

Zornbebend fügte sich dieser der Gewalt.

»Hüte dich vor seiner Rache! Sieh nur, wie seine Augen glühen!,« raunte die Königin ihrem Gatten zu. »Zerschneide ihm die Sehnen, damit er nicht entfliehen kann.«

Da folgte König Nidung dem heimtückischen Rat seiner Frau und ließ den Unglücklichen auf eine nahe Insel bringen. Lange dauerte es, bis die schrecklichen Wunden heilten. »Nun wirst du deine Kunstfertigkeit zeigen«, sagte der König, »und für mich alles schmieden, was in deinen Kräften steht.«

Tagsüber stand der einst kraftvolle, nun verkrüppelte Mann am Amboß und mußte für den König arbeiten; doch im Schutze der Nacht schuf er ein Werk, das noch keinem Menschen gelungen war: ein Federkleid, das ihn befähigte, sich in die Luft zu erheben.

Eines Morgens kamen die beiden jungen Königssöhne, ohne daß es jemand wußte, auf Wielands Insel, um seine Werkstatt anzusehen. Nun fand der so schändlich Verstümmelte endlich die Gelegenheit zur Rache. Er erschlug die beiden Knaben und warf sie in die Grube unter der Esse. Mit den Schädeln aber vollbrachte er ein grausiges Werk. Er faßte sie in Silber und fertigte Trinkschalen daraus, die er König Nidung zum Geschenk machte.

Bald darauf geschah es, daß die Königstochter Bathild den Ring der Herwör, den sie als ihren schönsten Schmuck trug, aus Unachtsamkeit zerbrach. Niemand anders als Wieland konnte, wie sie wohl wußte, das Kleinod wiederherstellen, und so vertraute sie sich aus Furcht vor des Vaters Zorn dem kunstfertigen Schmiede an. Mit heuchlerischer Freundlichkeit empfing Wieland die schöne Bathild und beschwichtigte ihre Sorge. Dann betörte er die Königstochter mit einem Zaubertrank, daß sie zu heimlichem Ehebund mit ihm bereit war.

Damit sah Wieland seine Rache erfüllt. Während die verführte Königstochter weinend sein Haus verließ, schlüpfte er in sein Federkleid und flog auf König Nidungs Burg. Auf der höchsten Zinne ließ er sich nieder.

»Wie? Bist du ein Vogel geworden?« rief Nidung aus, als er den Schmied mit Entsetzen dort oben gewahrte. Er ahnte jetzt, wer ihn seiner Söhne beraubt hatte.

Aber bevor Wieland ihm auf seine Frage die letzte Gewißheit gab, ließ er den König schwören: »Bei Schildes Rand und Rosses Bug, bei Schwertes Schärfe und Schiffes Bord sollst du mir geloben, daß nicht Wielands Weib noch seinem Kind ein Leid geschieht!«

König Nidung leistete den Eid, und nun ließ Wieland ihn das Schicksal seiner Söhne wissen. »Verstehst du nun, was es mit den silbernen Trinkbechern auf sich hat?« rief er mit Hohnlachen. »Da du einen Eid geschworen hast«, fügte er hinzu, »sollst du auch wissen, daß deine Tochter heimlich mein Weib geworden ist und dir einen Enkel schenken wird!«

Diese Nachricht dünkte den stolzen König die schwerste Schmach. In ohnmächtigem Zorne richtete er die Waffe auf den Schmied, der sich so grausam an ihm gerächt hatte; doch kein Pfeil erreichte den flügelbewehrten Wieland, der sich in die Lüfte hob und in den Wolken entschwand.

Das ist die Sage von Wieland dem Schmied. Sein Sohn, den die Königstochter gebar, wurde Witege genannt. Als Witege groß und stark geworden war, sandte ihn seine Mutter Bathild in die Ferne zu seinem Vater, der ihn freundlich aufnahm und in allen Fertigkeiten unterwies, deren ein Held bedurfte, um in Ehren zu bestehen.

In einer prächtigen Rüstung, die sein Vater ihm geschmiedet hatte, zog Witege in die Welt hinaus und wurde später Kampfgefährte des Helden Dietrich von Bern, dessen Tatenruhm schon damals die Lande erfüllte.

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