Han der Isländer saß in Ketten, von Wachen umgeben, im Kerker des Löwen von Schleswig. Schuhmacher ging mit finsterer Miene langsam im Zimmer auf und ab. Die beiden Gefangenen beobachteten sich lange stillschweigend; man hätte glauben können, daß sie instinktartig sich gegenseitig als Menschenfeinde erkannten.
»Wer bist Du?« fragte endlich der Exkanzler den Räuber.
»Wenn Du meinen Namen hörst, wirst Du davon fliehen. Ich bin Han der Isländer.«
Schuhmacher trat auf ihn zu: »Hier ist meine Hand!«
»Soll ich sie fressen?«
»Han von Island, ich liebe Dich, weil Du die Menschen hassest.«
»Darum hasse ich auch Dich.«
»Höre, ich hasse die Menschen, wie Du, weil ich ihnen Gutes gethan habe, und sie mir dafür Böses thaten.«
»Du hassest sie nicht wie ich; ich hasse sie, weil sie mir Gutes thaten, und ich ihnen mit Bösem vergalt.«
Schuhmacher schauderte zurück vor dem Blicke des Unthiers. Wohl mochte er seiner Natur Gewalt anthun, aber mit dieser Seele konnte die seinige sich nicht befreunden.
»Ja,« rief er aus, »ich verwünsche die Menschen, weil sie heuchlerisch, undankbar, grausam sind. Menschen sind an allem Unglück meines Lebens Schuld.«
»Desto besser! Ich danke ihnen alles Glück meines Lebens.«
»Welches Glück?«
»Das Glück, noch zuckendes Fleisch zwischen meinen Zähnen zu fühlen und das noch rauchende Blut in meine Kehle zu schütten; die Wollust, lebende Wesen an Felsen zu zerschmettern, zu hören, wie das Geschrei der Schlachtopfer sich mit dem Krachen ihrer brechenden Glieder mischt. Solche Vergnügungen haben mir die Menschen verschafft.«
Schuhmacher wich mit Entsetzen vor dem Ungeheuer zurück, dem er sich fast mit dem Stolz, ihm zu gleichen, genähert hatte. Von Scham durchdrungen, bedeckte er sein ehrwürdiges Gesicht mit beiden Händen, denn seine Augen waren voll Thränen des Unwillens, nicht gegen das menschliche Geschlecht, sondern gegen sich selbst. Sein edelmüthiges Herz begann zurückzuschaudern vor dem Hasse, den er so lange gegen die Menschen genährt hatte, als er diesen Haß, wie in einem Spiegel, aus dem Herzen dieses Ungeheuers wiederstrahlen sah.
»Nun,« sagte das Unthier lachend, »Du Feind der Menschen, wagst Du Dich zu rühmen, daß Du mir gleichest?«
Der Greis schauderte zurück: »O Gott! Ehe ich die Menschen hassen sollte wie Du, wollte ich sie eher lieben.«
Eine Wache holte das Ungeheuer ab, um es in einen festern Kerker zu bringen. Schuhmacher blieb sinnend allein im Zimmer zurück, aber er war kein Feind der Menschen mehr.