20. Kapitel
Ein neuer Mieter
Die langen Gerichtsferien treiben ihrem Ende zu, wie ein fauler Strom bequem und langsam durch flaches Land dem Meere zufließt. Mr. Guppy treibt in ähnlicher Weise den Strom der Zeit hinab. Er hat sein Federmesser stumpf gemacht und die Spitze abgebrochen, so oft hat er es in sein Pult gestoßen. Nicht etwa, daß er auf das Pult irgend einen Groll hätte, aber er muß irgend etwas zu tun haben, etwas, was ihn nicht aufregt, was weder seine physische noch seine geistige Energie allzu sehr in Anspruch nimmt. Er hat bald herausgefunden, daß ihm nichts besser bekommt, als auf einem Bein seines Sessels zu balancieren, mit dem Federmesser in das Pult zu stechen und zu gähnen.
Kenge & Carboy sind verreist. Der Substitut hat einen Jagdschein genommen und weilt auf seines Vaters Gut. Und Mr. Guppys beide Stipendiarkollegen sind auf Urlaub.
Mr. Guppy und Mr. Richard Carstone teilen sich in die Kanzlei. Aber Mr. Carstone ist für die Ferien in Kenges Zimmer einquartiert, und Mr. Guppy ärgert sich darüber. So übermäßig ärgert er sich darüber, daß er zu seiner Mutter in vertraulichen Stunden, wo er mit ihr in Oldstreet-Road Hummer und Salat zu Abend ißt, mit beißendem Sarkasmus äußert, er fürchte sehr, die Kanzlei sei nicht fein genug für Gigerln, und wenn er gewußt hätte, daß ein Gigerl komme, hätte er frisch tünchen lassen.
Mr. Guppy hat jeden, der einen Stuhl in Kenge & Carboys Kanzlei besetzt, im Verdacht, daß er gegen ihn heimtückische Pläne schmiede. Es ist klar, daß jeder ihn stürzen will. Wenn man ihn fragt, wieso, warum und zu welchem Zweck, schließt er nur das eine Auge und schüttelt den Kopf. Auf Grund dieser tiefsinnigen Erkenntnis gibt er sich unendliche Mühe, das Komplott zu vereiteln, und ersinnt die geistreichsten Schachzüge auf einem Brett ohne Gegner.
Es ist daher kein geringer Trost für Mr. Guppy, daß der neue Ankömmling beständig über den Akten in Sachen Jarndyce kontra Jarndyce brütet, denn er weiß ganz gut, daß daraus nur Mißlingen und Enttäuschung kommen kann. Seine Zufriedenheit teilt auch der dritte Genosse während der Gerichtsferien in Kenge & Carboys Kanzlei, nämlich der junge Smallweed.
Ob der kleine Smallweed, mit seinem Spitznamen auch Small oder Hühnchen genannt, jemals ein Kind gewesen ist, wird in Lincoln’s-Inn stark bezweifelt. Er ist nicht ganz fünfzehn Jahre und schon ein alter Rechtswissenschaftler. Man neckt ihn damit, er habe eine leidenschaftliche Neigung für eine Dame in einem Zigarrenladen in der Nähe von Chancery-Lane gefaßt und ihretwegen einer andern, mit der er seit einigen Jahren verlobt gewesen, die Treue gebrochen. Er ist eine Stadtpflanze, von kleiner Statur und welken Gesichtszügen, fällt aber schon von weitem durch einen sehr hohen Zylinder auf. Ein Guppy zu werden, ist sein Ehrgeiz. Er wird von diesem Herrn begönnert, kleidet sich wie er, spricht und geht wie er und ahmt ihn in allem und jedem nach. Er genießt Mr. Guppys besonderes Vertrauen und erteilt ihm gelegentlich aus dem Brunnen seiner Erfahrung Rat über gewisse schwierige Punkte im Privatleben.
Mr. Guppy hat den ganzen Morgen im Fenster gelegen und alle Sessel der Reihe nach probiert und keinen bequem gefunden. Auch hat er verschiedne Male den Kopf in den eisernen Dokumentenschrank gesteckt, um sich abzukühlen. Mr. Smallweed ist zwei Mal nach Brausegetränken geschickt worden und hat sie zwei Mal in den zwei Kanzleigläsern gemischt und mit dem Lineal umgerührt. Mr. Guppy stellt zu Mr. Smallweeds Erbauung das Paradoxon auf, daß man durstiger wird, je mehr man trinke, und läßt sein Haupt in einem Zustand hoffnungsloser Langweile auf dem Fensterbrett ruhen.
Während er so auf den Schatten von Oldsquare Lincoln’s-Inn hinausblickt und die unerträgliche Ziegelmauer betrachtet, dämmert ein männlicher Backenbart in die Sphäre seines Bewußtseins, tritt aus dem gewölbten Gang unten hervor und wendet sich ihm zu. Zugleich ertönt ein lautes Pfeifen durch das Inn, und eine gedämpfte Stimme ruft: »He, Guppy!«
»Ist es denn möglich«, fährt Mr. Guppy aus seinem Halbschlummer auf. »Hühnchen! Jobling ist unten.«
Small guckt ebenfalls zum Fenster hinaus und ruft Jobling an.
»Wo bist du denn entsprungen?« fragt Mr. Guppy.
»Aus den Gemüsegärten unten bei Deptford. Ich kann es nicht länger dort aushalten. Ich lasse mich anwerben. Ja, ja! – Könntest du mir nicht eine halbe Krone pumpen? Meiner Seel, ich habe Hunger.«
Jobling sieht auch ganz danach aus und scheint unten in den Gemüsegärten von Deptford ein wenig herabgekommen zu sein.
»Ja, ja. Wirf mir eine halbe Krone herunter, wenn du eine übrig hast. Ich muß unbedingt etwas essen.«
»Willst du mit mir essen kommen?« fragt Mr. Guppy, wirft das Geldstück hinunter, und Mr. Jobling fängt es geschickt auf.
»Wie lang muß ich da noch warten?« fragt Jobling.
»Höchstens eine halbe Stunde. Ich warte hier nur, bis der Feind weggeht.« Guppy winkt mit dem Kopf nach dem Zimmer daneben.
»Was für ein Feind?«
»Ein Neuer. Will sich hier einschreiben lassen. Willst du warten?«
»Kann man unterdessen was zu lesen haben?« fragt Mr. Jobling.
Smallweed schlägt das Advokatenverzeichnis vor, aber Mr. Jobling erklärt mit größtem Ernst, daß er das nicht aushalten würde.
»Du kannst auch die Zeitung haben«, meint Mr. Guppy. »Er soll sie dir herunterbringen. Es ist nämlich besser, wenn man dich hier nicht sieht. Lies sie auf der Treppe. Es ist ein ruhiger Platz.«
Jobling nickt eingeweiht. Der findige Smallweed bringt ihm die Zeitung und wirft noch ein Mal vom Treppenabsatz aus einen forschenden Blick auf ihn, ob er sich nicht am Ende vor der Zeit davonmachen werde.
Endlich entfernt sich der Feind, und Small holt Mr. Jobling herauf.
»Nun, wie geht’s dir?« fragt Mr. Guppy und schüttelt ihm die Hand.
»So, so. Und dir?«
Da Mr. Guppy erwidert: Nicht besonders, wagt Mr. Jobling die Frage: »Na, und wie geht’s ihr«? Das weist Mr. Guppy als unziemlich zurück und sagt: »Jobling, es gibt Saiten im menschlichen Herzen…«
Jobling bittet um Verzeihung.
»Jedes Thema, nur das nicht«, sagt Mr. Guppy, in seinem Grame wühlend.
»Es gibt Saiten, Jobling…«
Mr. Jobling bittet abermals um Verzeihung.
Während dieses kurzen Zwiegesprächs hat der rührige Smallweed, der mit von der Partie ist, in Kanzleischrift auf einen Zettel geschrieben: »Kommen gleich zurück.« Diese Nachricht für jeden, den es angehen mag, heftet er an den Briefkasten. Dann setzt er seinen Hut in demselben Neigungswinkel auf wie Mr. Guppy und meldet seinem Gönner, daß sie sich jetzt »drücken könnten«.
Alle drei begeben sich in ein Speisehaus in der Nähe, das von den Gästen »das Hundsfutter« genannt wird und wo eine Kellnerin, ein strammes Mädchen von vierzig Jahren, einen gewissen Eindruck auf den empfänglichen Smallweed gemacht hat, wie die Sage geht.
Er ist nämlich ein niederträchtiger Wetterhahn, dem Jahre nichts gelten. In seiner Frühreife repräsentiert er Jahrhunderte eulenhafter Klugheit. Wenn er jemals in einer Wiege gelegen hat, muß er bereits damals einen Taillenrock angehabt haben.
Ein uraltes Auge hat Smallweed; er trinkt und raucht in einer merkwürdig affenhaften Weise, sein Hals steckt tief in seinem Kragen, und er läßt sich prinzipiell nie leimen. Er durchschaut immer alles, was es auch sei. Kurz, die Jurisprudenz hat ihn von Kindesbeinen an so gehegt und gepflegt, daß er eine Art fossiler Kobold geworden ist, dessen irdisches Dasein man in den Gerichtskanzleien dadurch erklärt, daß sein Vater der Herr Pappdeckel und seine Mutter das einzige weibliche Mitglied der Familie Fließpapier gewesen sei und daß man ihm seinen ersten Rock aus einem blauen Aktenbeutel geschnitten habe.
Ungerührt von dem verführerischen Anblick im Fenster, wo künstlich weiß gemachter Blumenkohl und Geflügel, Körbe mit grünen Schoten und kühle saftige Gurken und Keulen, fertig für den Bratspieß, ausgestellt sind, tritt Mr. Smallweed in das Speisehaus. Sie kennen ihn und fürchten ihn dort. Er hat seine Lieblingsbox, bestellt alle Zeitungen und ist grob gegen kahlköpfige Patriarchen, wenn sie sie länger als zehn Minuten lesen. Es ist vergeblich, ihn mit einem zu dünnen Brote täuschen zu wollen oder ihm mit einem Aufschnitt zu kommen, der nicht von allerbester Sorte ist. Was die Sauce betrifft, ist er unerbittlich wie Stein.
In Erkenntnis seiner geradezu magischen Gewalt und sich seine gefürchtete Erfahrung zunutze machend, zieht ihn Mr. Guppy in der Wahl der Speisen für heute zu Rate, wirft ihm einen fragenden Blick zu, während die Kellnerin die Speisekarte herunterleiert, und erkundigt sich: »Was ißt du, Hühnchen?«
Das Hühnchen wählt in seiner unendlichen Schlauheit Kalbsbraten und Schinken und französische Bohnen. »Die Fülle gefälligst nicht vergessen, Polly«, setzt er mit einem koboldartigen Zwinkern seines Auges hinzu, worauf Mr. Guppy und Mr. Jobling dasselbe bestellen. »Und drei Krüge Porter mit Ale!«
Die Kellnerin kommt bald wieder zurück und trägt ein Ding, das wie ein Modell des babylonischen Turms aussieht, aber in Wirklichkeit aus aufgeschichteten Tellern und flachen zinnernen Schüsseln besteht.
Mr. Smallweed befindet für gut, was serviert wird, und zwinkert, Wohlwollen des Eingeweihten in seinem uralten Auge, der Kellnerin zu. Dann stillt das juristische Triumvirat seinen Appetit inmitten beständigen Kommens und Gehens, Herumrennens, Geklappers von Steingut und eines Auf- und Abrollens des Speiseaufzugs aus der Küche. Rufe nach immer mehr Portionen schrillen das Sprachrohr hinunter. Überall herrscht der Geruch und Dampf von Braten vor, und in der heißen Atmosphäre scheinen die unsaubern Messer und Tischtücher von selbst Fett- und Bierflecken auszuschwitzen.
Mr. Jobling ist höher zugeknöpft, als die Mode erfordert. Sein Hut glänzt an den Rändern merkwürdig, als ob dort die Schnecken eine Lieblingspromenade gehalten hätten. Dasselbe Phänomen zeigt sich an mehreren Stellen seines Rockes und besonders an den Nähten. Er hat das fadenscheinige Aussehen eines Gentlemans in bedrängter Lage, und selbst sein blonder Backenbart macht den Eindruck von Schäbigkeit.
Sein Appetit ist so groß, daß man daraus auf eine karge Kost von längerer Dauer schließen kann. Er räumt mit seiner Portion Kalbsbraten und Schinken so schnell auf, noch ehe die beiden andern halb fertig sind, daß Mr. Guppy ihm noch eine Portion vorschlägt.
»Ich danke dir, Guppy«, sagt Mr. Jobling. »Ich glaube wirklich, ich könnte noch eine vertragen.«
Es wird also noch eine gebracht, und er macht sich mit großem Eifer darüber her.
Mr. Guppy sieht ihn zuweilen schweigend an, bis er auch mit diesem zweiten Gericht halb fertig ist und inne hält, um einen wonnigen Zug aus seinem Krug Porter mit Ale zu tun, die Beine ausstreckt und sich die Hände reibt.
Als ihn Mr. Guppy so behaglich zufrieden sieht, sagt er:
»So. Jetzt bist du wieder ein lebendiger Mensch, Tony.«
»Nun, noch nicht ganz«, meint Mr. Jobling. »Aber sagen wir: Eben auf die Welt gekommen.«
»Willst du vielleicht noch Gemüse, Spargel, Schoten, Sommerkohl?«
»Ich danke dir, Guppy. Ich glaube wirklich, ich könnte noch ein bißchen Sommerkohl vertragen.«
Er wird bestellt, und Mr. Smallweed setzt sarkastisch hinzu: »Ohne Schnecken!« Der Sommerkohl wird gebracht.
»Ich wachse in die Höhe, Guppy«, berichtet Mr. Jobling und handhabt Messer und Gabel mit Genuß und Ausdauer.
»Freut mich zu hören.«
»Komme schon in die Flegeljahre«, berichtet Mr. Jobling.
Er spricht weiter nichts, bis er sich seiner Aufgabe entledigt hat, was genau mit dem Fertigwerden der Herren Guppy und Smallweed zusammentrifft. Er hat seine Strecke im besten Stil zurückgelegt und die beiden mit Leichtigkeit um eine Portion Braten und Kohl geschlagen.
»Nun, Hühnchen«, fragt Mr. Guppy, »was würdest du als Mehlspeise empfehlen?«
»Markpudding«, antwortet Mr. Smallweed ohne Zögern.
»Jawohl, jawohl«, bestätigt Mr. Jobling mit schlauem Blick. »Das ist das Wahre. Danke dir, Guppy. Ich glaube wirklich, ich könnte noch einen Markpudding vertragen.«
Drei Markpuddings erscheinen, und Mr. Jobling äußert frohgelaunt, daß er jetzt bald mündig werde. Auf die Puddings folgen auf Mr. Smallweeds Befehl drei Cheshire-Käse und darauf drei Rum. Als dieser Gipfelpunkt des Glücks erreicht ist, legt Mr. Jobling die Beine auf den teppichüberzognen Sitz – er hat eine Seite der Box ganz für sich allein –, lehnt sich gegen die Wand und sagt: »Jetzt bin ich erwachsen, Guppy. Ich habe das Alter der Reife erlangt.«
»Was hältst du nun vom… Du genierst dich doch nicht vor Smallweed?«
»Nicht im mindesten. Ich erlaube mir, auf seine Gesundheit zu trinken.«
»Sir. Die Ihre!« dankt Mr. Smallweed.
»Ich wollte sagen, was hältst du jetzt vom Anwerbenlassen, Jobling?«
»Mein lieber Guppy, was ich nach dem Essen denke und was ich vor dem Essen denke, ist zweierlei. Aber selbst nach dem Essen lege ich mir die Frage vor: Was soll ich anders anfangen? Wovon soll ich leben? Ill foh manscheh, ihr wißt«, sagt Mr. Jobling und spricht die Worte mit sorgfältiger Vermeidung jeglicher französischer Betonung aus. »Ill foh manscheh, sagt der Franzose, und das hat der Engländer gerade so notwendig wie der Franzose. Sogar noch notwendiger.«
Mr. Smallweed ist ebenfalls der Ansicht: Noch notwendiger.
»Wenn mir jemand gesagt hätte«, fährt Jobling fort, »selbst damals noch, als wir beide die Partie nach Lincolnshire machten, Guppy, und hinüber nach Castle-Wold fuhren…«
»Chesney-Wold«, berichtigt Mr. Smallweed.
»Chesney-Wold. Ich danke Ihnen… Wenn mir damals jemand gesagt hätte, daß es mir einmal so schlecht gehen würde wie jetzt, würde ich ihm eine… Ja, ich würde ihm eine heruntergehauen haben«, sagt Mr. Jobling und nimmt mit einer Miene verzweifelter Resignation einen Schluck Rum mit Wasser. »Ich hätte ihm eine heruntergehauen.«
»Aber Tony, es stand schon damals schlimm mit dir«, wirft Mr. Guppy ein. »Du hast im Gig von nichts anderm gesprochen.«
»Guppy«, sagt Mr. Jobling, »ich will das nicht leugnen. Es stand schon damals recht schlecht mit mir. Aber ich dachte, es würde schon irgend etwas Günstiges kommen. Ich hatte das sichere Gefühl, daß sich alles noch machen werde, aber ich habe mich geirrt. Es macht sich nie etwas von selbst, und als die Gläubiger Lärm in den Kanzleien schlugen und schmutzig genug waren, sich wegen ein paar Pfennigen, die ich bei ihnen geborgt hatte, zu beklagen, war es mit meiner Stellung vorbei. Und mit jeder neuen Stelle ebenfalls, denn wenn ich mich auf meine ehemaligen Chefs beziehen wollte, käme alles heraus und die Sache wäre wieder rum. Was soll man nun tun? Ich habe mich verborgen gehalten und unten in den Gemüsegärten billig gelebt, aber was hilft das Billigleben, wenn man kein Geld hat. Da könnte man ebensogut teuer leben.«
»Besser«, berichtigt Mr. Smallweed.
»Gewiß, das wäre wenigstens vornehm. Und Vornehmheit und Backenbart waren von jeher meine Schwächen, und mir ist’s gleich, ob’s jemand weiß oder nicht. Es sind große Schwächen… Verdamm mich, Sir, es sind große Schwächen. Gut«, fährt Mr. Jobling fort und greift herausfordernd wieder nach dem Rum mit Wasser. »Was bleibt einem da andres übrig, als sich anwerben lassen?«
Mr. Guppy nimmt jetzt größeren Anteil am Gespräch, um zu zeigen, was seiner Meinung nach übrig bleibt. Er spricht mit der ernsten eindringlichen Miene eines Mannes, der noch keinen dummen Streich gemacht hat, außer, daß er das Opfer der Liebe geworden ist.
»Jobling, ich und unser beider Freund Smallweed –«
Mr. Smallweed bemerkt bescheiden: »Auf das Wohl der Herren!« und trinkt.
»– haben mehr als einmal die Sache besprochen, seitdem du –«
»– einen Tritt gekriegt hast«, ergänzt Mr. Jobling mit Bitterkeit. »Sprich es nur aus, Guppy!«
»N-nein. Seitdem Sie die Inn verlassen haben«, verbessert Mr. Smallweed zartfühlend.
»– seitdem du die Inn verlassen hast, Jobling«, sagt Mr. Guppy. »Und ich habe neulich mit unserm Freund Smallweed einen Plan besprochen, der mir eingefallen ist. Du kennst doch Snagsby, den Papierhändler?«
»Ich weiß nur, daß es einen Papierhändler dieses Namens gibt«, entgegnet Mr. Jobling. »Er war nicht unser Lieferant, und ich kenne ihn nicht weiter.«
»Aber unsrer ist er, Jobling, und ich kenne ihn. Also höre. Ich bin in letzter Zeit durch gewisse Umstände mit ihm und seiner Familie besser bekannt geworden. Die Umstände tun hier nichts zur Sache. Sie können – oder können auch nicht – in Beziehung zu einem Thema stehen, das vielleicht – oder vielleicht auch nicht – einen Schatten auf mein Dasein geworfen hat.«
Da es Mr. Guppys Art ist, seine vertrauten Freunde mit seinem Schmerz anzurenommieren, sie aber in dem Augenblick, wo sie auf das Thema eingehen, mit schneidender Härte wegen »gewisser Saiten des menschlichen Herzens« schroff in ihre Schranken zu weisen, weichen sowohl Mr. Jobling wie Mr. Smallweed der gelegten Falle aus und bleiben stumm.
»Es kann so sein«, wiederholt Mr. Guppy. »Oder es kann auch nicht so sein. Das gehört nicht hierher. Es genügt, das sowohl Mr. wie Mrs. Snagsby gern bereit sind, mir gefällig zu sein, und während der Gerichtssession von uns viel beschäftigt werden. Er bekommt auch viel Arbeit von Tulkinghorn und hat überdies ein glänzendes Geschäft. Ich glaube, wenn unser gemeinsamer Freund Smallweed auf der Zeugenbank säße, könnte er das beeiden?!«
Mr. Smallweed nickt und scheint vor Begier zu brennen, beeidigt zu werden.
»Nun, meine Herren Geschworenen«, fährt Mr. Guppy fort. »Ich meine dich, Jobling… Du wirst sagen, daß das eine sehr armselige Perspektive ist. Zugegeben. Aber es ist besser als nichts und besser, als sich anwerben zu lassen. Du brauchst vor allem Zeit. Es muß einige Zeit verstreichen, bis Gras über die Geschichte gewachsen ist. Du könntest noch viel Schlimmeres erleben, als für Snagsby abschreiben zu müssen.«
Mr. Jobling will ihn unterbrechen, aber der weise Smallweed hält ihn mit einem trocknen Husten und den Worten: »Hm! Shakespeare!« davon ab.
»Die Sache hat zwei Seiten, Jobling. Das ist die erste. Ich komme zur zweiten. Du kennst Krook, den Kanzler drüben. Was, Jobling?« sagt Mr. Guppy in ermutigendem Kreuzverhör. »Du kennst doch Krook, den Kanzler drüben in der Gasse?«
»Vom Sehen.«
»Vom Sehen. Gut. Und du kennst doch die kleine Flite?«
»Die kennt jeder Mensch.«
»Die kennt jeder Mensch. Sehr gut. Nun gehört es seit einiger Zeit zu meinen Obliegenheiten, Flite eine gewisse Summe wöchentlich auszubezahlen. Außerdem habe ich meinen Instruktionen gemäß ihren Wochenzins vor ihren Augen Krook selbst zu übergeben. Dadurch kam ich in Verbindung mit Krook und lernte sein Haus und seine Gewohnheiten kennen. Ich weiß, daß er noch ein Zimmer zu vermieten hat. Dort kannst du unter einem beliebigen Namen sehr billig wohnen… So ungestört, als ob du hundert Meilen weit weg wärst. Er stellt keine unnötigen Fragen und würde dich auf ein Wort von mir als Mieter annehmen, ehe noch die Glocke zu Ende schlägt. Und ich will dir noch etwas sagen, Jobling«, Mr. Guppy spricht plötzlich leiser und wird vertraulicher. »Er ist ein sonderbarer alter Knabe, wühlt immer in einem Haufen Papieren herum und plagt sich ab, um allein lesen und schreiben zu lernen, ohne damit vorwärts zu kommen, wie mir scheint. Er ist ein sonderbarer alter Kauz. Ich weiß nicht, ob es nicht der Mühe wert wäre, sich den Burschen ein wenig genauer anzusehen.«
»Du willst doch nicht sagen?…« fängt Mr. Jobling an.
»Ich will nur sagen«, Mr. Guppy zuckt bescheiden die Achseln, »daß ich mir nicht recht klar über ihn werden kann. Unser gemeinsamer Freund Smallweed soll selbst erklären, ob er mich nicht hat bemerken hören, daß ich mir nicht über ihn klar werden kann.«
»Allerdings«, bestätigt Mr. Smallweed lakonisch.
»Ich kenne ein wenig das Geschäft und auch ein wenig das Leben, Tony, und es kommt mir selten vor, daß ich mir nicht über irgend jemand mehr oder weniger klar werden kann, aber ein solch alter Fuchs, so schlau und geheimnisvoll, wenn er auch, glaube ich, nie nüchtern ist, ist mir noch nie vorgekommen. Er muß wunderbar alt sein und hat keine Seele um sich. Er soll unermeßlich reich sein, und ob er nun ein Schmuggler, ein Hehler ist oder insgeheim auf Pfänder borgt oder wuchert – was ich mir manchmal schon gedacht habe –, jedenfalls wäre es für dich der Mühe wert, ihm ein wenig in die Karten zu gucken. Ich sehe nicht ein, weshalb du nicht darauf eingehen solltest, wenn dir alles übrige soweit paßt.«
Mr. Jobling, Mr. Guppy, Mr. Smallweed stützen ihre Ellbogen auf den Tisch, legen das Kinn auf die Hand und blicken zur Decke empor. Nach einer Weile trinken sie jeder einen Schluck, lehnen sich langsam zurück, stecken die Hände in die Taschen und sehen einander an.
»Ja, wenn ich meine alte Energie noch hätte, Tony«, seufzt Mr. Guppy. »Aber es gibt Saiten im menschlichen Herzen…«
Mr. Guppy ertränkt den Rest des schmerzlichen Gedankens in Rum mit Wasser, schließt damit, daß er es Tony Jobling überläßt, sich zu dem Abenteuer zu entschließen, und sagt ihm, daß ihm während der Gerichtsferien und solange das Geschäft stocke seine Börse zur Verfügung stehe. Auf drei, vier oder sogar fünf Pfund käme es ihm nicht an. »Denn man soll niemals sagen«, setzt Mr. Guppy mit Emphase hinzu, »daß William Guppy einen Freund im Stiche gelassen habe.«
Der Vorschlag ist so annehmbar, daß Mr. Jobling mit Rührung ausruft: »Guppy, alter Kamerad, deine Hand.« Mr. Guppy reicht sie ihm: »Jobling, mein Junge, hier ist sie.« Mr. Jobling entgegnet: »Guppy, wir sind jetzt schon einige Jahre Duzfreunde.« »So ist es, Jobling«, bestätigt Mr. Guppy.
Sie schütteln einander die Hände, und Mr. Jobling fügt in gerührtem Ton hinzu: »Ich danke dir, Guppy, aber ich glaube, ich könnte noch ein Glas vertragen. Alter Bekanntschaft wegen.«
»Krooks letzter Mieter ist in seinem Zimmer gestorben«, bemerkt Guppy so gelegentlich nach einer Pause.
»So, ist er das?«
»Es war Totenschau. Ursache des Todes: Zufall. Das macht dir doch nichts aus?«
»Nein«, sagt Mr. Jobling, »macht mir nichts aus. Aber er hätte ebensogut anderswo sterben können. Es ist verdammt kurios, daß er gerade in meiner Wohnung sterben mußte.«
Mr. Jobling nimmt den Übergriff sehr übel und kommt einige Mal darauf zurück mit Bemerkungen wie: »Es gibt doch wahrhaftig Orte genug zum Sterben. Ob es ihm wohl gefallen hätte, wenn ich in seiner Wohnung gestorben wäre!«
Da der Vertrag so gut wie abgeschlossen ist, schlägt Mr. Guppy vor, den getreuen Smallweed hinzuschicken und fragen zu lassen, ob Mr. Krook zu Hause sei, um in diesem Fall das Geschäft ohne Verzug abschließen zu gehen. Mr. Jobling erteilt seine Zustimmung, und Smallweed begibt sich unter seinen großen Zylinder und balanciert ihn à la Guppy aus dem Speisehaus hinaus. Bald darauf kehrt er mit der Nachricht zurück, Mr. Krook sei zu Hause und er habe ihn durchs Fenster hinten im Laden schlafen sehen, so fest wie ein Murmeltier.
»Also, zahlen«, ruft Mr. Guppy. »Wir wollen hingehen. Small, wieviel wird’s machen?«
Mr. Smallweed winkt die Kellnerin mit dem Augenlid herbei und diktiert: »Vier Mal Kalbsbraten und Schinken ist drei, vier Mal Kartoffeln macht drei und vier, ein Sommerkohl macht drei und sechs, drei Mal Pudding ist vier und sechs, und sechs Brote sind fünf, und drei Cheshire sind fünf und drei, vier Bier sechs und drei, vier kleine Rum acht und drei, und drei Mal für Polly ist acht und sechs. Acht Schilling sechs Pence, Polly, und achtzehn Pence heraus, ist ein halber Sovereign!«
Nicht im geringsten von dieser fürchterlichen Rechenarbeit angegriffen, entläßt Smallweed seine Freunde mit einem kaltblütigen Nicken und bleibt zurück, um bei Gelegenheit Polly ein wenig zu bewundern und die Zeitung zu lesen, die, außer wenn er seinen Zylinder aufhat, so groß für ihn ist, daß er hinter ihr wie unter einem Bettuch verschwindet.
Mr. Guppy und Mr. Jobling begeben sich nach dem Hadern- und Flaschen-Laden, wo sie Mr. Krook immer noch fest wie ein Murmeltier schlafen finden. Er schnarcht laut, das Kinn auf der Brust, und läßt sich weder durch Geräusche draußen noch durch leises Schütteln wecken. Auf dem Tisch neben ihm stehen unter dem gewöhnlichen Allerlei eine leere Ginflasche und ein Glas. Die stickige Luft ist so von dem Geruch des Getränks gesättigt, daß selbst die grünen Augen der Katze oben auf dem Sims, sich öffnend und schließend und den Besuch anglimmernd, betrunken aussehen.
»Heda!« ruft Mr. Guppy und rüttelt die zusammengesunkene Gestalt des Alten von neuem. »Mr. Krook! Hallo, Sir!«
– Ebenso leicht könnte man ein Bündel alter Kleider, in dessen Innerem Spiritus glüht, wecken. –
»Ist dir jemals eine solche Betäubung zwischen Betrunkenheit und Schlaf vorgekommen?« fragt Mr. Guppy.
»Wenn das sein regelmäßiger Schlummer ist«, bemerkt Jobling, ein wenig beunruhigt, »wird er eines Tages überhaupt nicht mehr aufwachen.«
»Es ist bei ihm immer mehr ein Schlaganfall als ein Schlaf«, sagt Mr. Guppy und schüttelt ihn abermals. »Hallo, Euer Lordschaft! Sie können schon fünfzig Mal beraubt sein! Machen Sie doch die Augen auf!«
Nach vielem Lärm tut es Krook, aber anscheinend, ohne den Besuch oder irgend etwas andres zu sehen. Er legt zwar ein Bein über das andre, faltet die Hände, öffnet und schließt ein paar Mal die pergamentnen Lippen, scheint jedoch gefühllos zu sein wie vorher.
»Jedenfalls lebt er noch«, sagt Mr. Guppy. »Wie geht’s, Mylord Kanzler? Ich habe einen Freund mitgebracht, Sir. Wegen eines kleinen Geschäftes.«
Der Alte sitzt immer noch da, schmatzt mit seinen trockenen Lippen und hat nicht das mindeste Bewußtsein. Nach einigen Minuten macht er einen Versuch, aufzustehen. Sie helfen ihm dabei, und er taumelt an die Wand und starrt sie an.
»Wie geht’s, Mr. Krook?« fragt Mr. Guppy, ein wenig außer Fassung. »Wie geht’s, Sir. Sie sehen entzückend aus, Mr. Krook. Ich hoffe, Sie sind doch ganz wohl?«
Der Alte will nach Mr. Guppy oder in die leere Luft schlagen, dreht sich dabei willenlos um und kommt mit dem Gesicht gegen die Wand zu stehen. So bleibt er ein oder zwei Minuten angelehnt und taumelt dann durch den Laden zur Eingangstür. Die Luft, die Bewegung im Hof, die Zeit oder alle drei zusammen bringen ihn wieder zum Bewußtsein. Er kommt ziemlich festen Schrittes wieder, schiebt sich seine Pelzmütze auf dem Kopf zurecht und sieht die beiden lauernd an.
»Ihr Diener, meine Herren. Ich habe ein wenig genickt. Hi! Ich bin manchmal schwer zu wecken.«
»Ziemlich schwer, das stimmt«, bestätigt Mr. Guppy.
»Was? Sie haben es wohl versucht?« fragt Krook argwöhnisch.
»Nur ein wenig.«
Das Auge des Alten ruht auf der leeren Flasche. Er nimmt sie, untersucht sie und dreht sie langsam um.
»So, so!« sagt er und sieht dabei aus wie der Kobold im Märchen. »Da ist jemand drüber gewesen!«
»Ich versichere Ihnen, wir fanden sie so«, sagt Mr. Guppy. »Aber wenn Sie mir erlauben, lasse ich sie Ihnen wieder füllen?«
»O natürlich!« ruft Krook freudig erregt. »Gewiß! Machen Sie keine Umstände! Lassen Sie sie nebenan füllen – in der ‚Sonne‘. Mit des Lordkanzlers Vierzehnpence. Hihi! Sie wissen’s schon drüben.«
Er drängt die leere Flasche Mr. Guppy so angelegentlich auf, daß dieser seinem Freund zunickt, hinauseilt und mit der gefüllten Flasche wieder hereinkommt. Der Alte nimmt sie wie ein geliebtes Enkelkind in die Arme und streichelt sie zärtlich.
»Aber«, flüstert er mit halbgeschlossenen Augen, nachdem er sie gekostet hat, »das ist ja nicht des Lordkanzlers Vierzehnpence. Das ist Achtzehnpence.«
»Ich dachte, er würde Ihnen besser schmecken«, meint Mr. Guppy.
»Sie sind ein Edelmann, Sir«, Krook kostet abermals, und sein heißer Atem haucht sie an wie eine Flamme. »Sie sind ein Reichsbaron.«
Rasch benützt Mr. Guppy den günstigen Augenblick, stellt seinen Freund unter dem Namen Mr. Weevle vor und erklärt, warum sie gekommen seien. Mit der Flasche unter dem Arm – seine Betrunkenheit überschreitet nie einen gewissen Grad – mustert Krook mit aller Muße den neuen Mieter und scheint Gefallen an ihm zu finden.
»Sie wünschen sich das Zimmer anzusehen, junger Mann? O, es ist ein schönes Zimmer. Habe es weißen lassen. Hi! Es ist jetzt die doppelte Miete wert. Ganz abgesehen von meiner Gesellschaft, wenn Sie Wert darauf legen, und einer so ausgezeichneten Katze für die Mäuse.«
Mit diesen Worten führt der Alte die beiden die Treppe hinauf in das Zimmer, das allerdings viel reinlicher aussieht und einige alte Möbelstücke enthält, die er aus seinen unerschöpflichen Schätzen herausgegraben hat.
Über die Bedingungen sind sie bald einig, denn der Lordkanzler kann es mit Mr. Guppy, der mit Kenge & Carboy, »Jarndyce kontra Jarndyce« und so weiter in Verbindung steht, nicht genau nehmen, und man kommt überein, daß Mr. Weevle am nächsten Tag einziehen soll.
Mr. Weevle begibt sich sodann mit Mr. Guppy nach Cook’s Court, Cursitor Street, um sich Mr. Snagsby vorstellen zu lassen, und, was noch wichtiger ist, sich Stimme und Fürsprache Mrs. Snagsbys zu sichern. Dann erstatten sie dem ausgezeichneten Smallweed, der zu diesem Zweck mit seinem großen Zylinder auf dem Kopf in der Kanzlei wartet, Bericht und scheiden voneinander, nachdem Mr. Guppy erklärt hat, er möchte am liebsten dem kleinen Fest damit die Krone aufsetzen, daß er sie ins Theater führte, wenn es nicht Saiten im menschlichen Herzen berührte, die das wie Hohn erscheinen ließen.
Am nächsten Tag in der Abenddämmerung findet sich Mr. Weevle bescheiden bei Krook ein, durchaus nicht übermäßig mit Gepäck beschwert, und nimmt Besitz von seiner neuen Wohnung, wo die beiden großen Augen in den Fensterläden ihn im Schlaf verwundert anstarren. Am folgenden Tag borgt sich Mr. Weevle, der ein findiger, anstelliger Nichtsnutz von einem Burschen ist, von Miß Flite Nadel und Zwirn und einen Hammer von seinem Wirt und geht ans Werk, sich bescheidne Ersatzfenstervorhänge zu verfertigen, und hängt seine beiden Teetassen, seine Milchkanne und andre Steingutsachen an kleine Haken wie ein schiffbrüchiger Matrose, der es sich so gut wie möglich einrichtet.
Was Mr. Weevle von all seinem bißchen Besitz am höchsten schätzt – außer seinem blonden Backenbart –, ist eine auserlesene Sammlung von Kupferdrucken des echt nationalen Werkes »Die Göttinnen Albions oder Pracht-Galerie britischer Schönheiten«, die Damen der Modewelt oder vornehmer Abkunft in jeder albernen Geziertheit, die Kunst verbunden mit Kapital hervorbringen kann, darstellend. Mit diesen prachtvollen Porträts, die während seines Exils in den Gemüsegärten in einer unwürdigen Bandschachtel ruhten, dekoriert er sein Zimmer. Die Wirkung ist imponierend, da die »Prachtgalerie britischer Schönheiten« in jeder Art Phantasietracht jedes mögliche Instrument spielt, jede Art von Hund streichelt und alle möglichen Sorten Blumentöpfe und Balustraden als Hintergrund gewählt hat.
Die Modewelt ist nun einmal Mr. Weevles Schwäche, wie sie schon Tony Joblings Schwäche war. Sich abends die gestrige Zeitung aus der »Sonne« zu borgen und zu lesen, was für glänzende und ausgezeichnete Meteore in jeder Richtung über den Modehimmel schießen, gewährt ihm unsägliche Befriedigung. Zu wissen, welches Mitglied der Haute volée geruhte, sich dem oder jenem Feste anzuschließen, oder die nicht weniger glänzende und bedeutungsvolle Tat plant, morgen wieder abzureisen, durchbebt ihn mit wonnevollem Entzücken. Unterrichtet zu sein, was die Prachtgalerie britischer Schönheiten augenblicklich tut oder vorhat und was für Heiraten in dieser Galerie auf dem Tapet sind und »was man spricht«, heißt die glorreichsten Ziele des Menschengeschlechts kennen lernen. Mr. Weevle wendet sein Auge von diesen Nachrichten auf die darin besprochenen fashionablen Porträts, und es ist ihm, als kenne er die Originale und sie kennten ihn.
Sonst ist er ein ruhiger Mieter, anstellig und erfinderisch. Er versteht ebensogut für sich zu kochen und zu waschen, wie für sich zu zimmern, und zeigt gesellige Neigungen, sobald die abendlichen Schatten sich über den Hof senken. Zu solchen Zeiten, wenn ihn nicht Mr. Guppy besucht oder dessen Ebenbild, ein kleinerer Stern mit Zylinder, verläßt er sein düsteres Zimmer, dessen großes tintenberegnetes Holzpult er geerbt hat, und plaudert mit Krook oder ist sehr »aufgeknöpft«, wie sie es in Cook’s Court nennen, gegen jeden, der Lust zur Unterhaltung hat.
Deshalb sieht sich Mrs. Piper, die im Hof tonangebend ist, veranlaßt, Mrs. Perkins gegenüber zweierlei Bemerkungen zu machen:
Erstens, daß, wenn ihr Johnny einen Backenbart bekommen sollte, sie wünsche, er ganz dem des jungen Mannes gleiche, und zweitens: »Merken Sie sich meine Worte, Mrs. Perkins… Wundern Sie sich nicht, wenn der junge Mann einmal des alten Krook ganzes Geld erbt.«