Kapitel 6


Kapitel 6 Über die Einwohner von Lilliput. Ihre Wissenschaften, Gesetze und Gewohnheiten. Ihre Erziehungsmethode. Des Verfassers Lebensart in diesem Lande. Seine Rechtfertigung einer hohen Dame.

Obgleich ich die Beschreibung des Reiches Lilliput in einer besondern Abhandlung mir vorbehalte, will ich indessen der Neugier des Lesers in soweit nachgeben, daß ich ihm einige allgemeine Bemerkungen über dasselbe hier mittheile. Sowie die gewöhnliche Größe der Eingeborenen etwas weniger als sechs Zoll beträgt, ebenso herrscht dasselbe Verhältniß auch bei den übrigen Thieren, Pflanzen und Bäumen.

Die größten Pferde und Ochsen sind z.B. vier bis fünf Zoll hoch, die Schaafe ungefähr anderthalb Zoll, die Gänse so groß wie ein Sperling, und in solcher Reihenfolge geht es abwärts bis ich die Gegenstände nicht mehr erkennen konnte. Die Natur hat jedoch die Augen der Lilliputer so geschaffen, daß sie alles dies genau, wenn auch nur in geringer Entfernung, erblicken können. Um die Schärfe ihres Gesichts in der Nähe zu zeigen, führe ich hier nur an, daß ich einen Koch gesehen habe, welcher eine Lerche, die nicht größer wie eine Fliege war, rupfte, und ein junges Mädchen, welches einen unsichtbaren Seidenfaden in eine unsichtbare Nadel einfädelte.

Ihre größten Bäume sind ungefähr sieben Fuß hoch; ich meine einige im königlichen Park, deren Gipfel ich mit der Hand ergreifen und den ich alsdann mit meinen Fingern umbiegen konnte. Die andern Pflanzen zeigen dasselbe Verhältniß. Dieses überlasse ich jedoch der Einbildungskraft des Lesers.

Von ihrer Gelehrsamkeit, welche viele Menschenalter bei ihnen geblüht hat, will ich hier nichts reden. Ihre Art der Schrift ist aber sehr sonderbar; sie schreiben weder wie die Europäer, von der Linken zur Rechten, noch von der Rechten zur Linken, wie die Araber, noch von oben nach unten, wie die Chinesen, sondern quer über das Papier, von einer Ecke des Bogens zur andern, wie die englischen Damen.

Die Todten begraben sie in der Art, daß sie dieselben mit dem Kopfe in’s Grab senken. Sie sind nämlich der Meinung, nach elfhundert Monaten würden sie sämmtlich wieder auferstehen; zu dieser Zeit werde die Erde, die sie sich als flach vorstellen, sich kopfüber, kopfunter kehren, und somit würden sie bei ihrer Auferstehung wieder auf die Füße zu stehen kommen. Die Gelehrten unter ihnen haben schon längst die Abgeschmacktheit dieser Meinung dargethan, allein die Sitte bleibt, um der Meinung des Volkes sich zu fügen.

Einige Gewohnheiten und Gesetze dieses Reiches sind von sehr besonderer Art; wären sie nicht denen meines eigenen theuersten Vaterlandes durchaus entgegengesetzt, so würde ich es versuchen, Etwas zu ihrer Rechtfertigung zu sagen. Nur wäre zu wünschen, daß man sie sämmtlich ausführte. Das erste, welches ich anführen will, betrifft Denunzianten und Spione. Alle Verbrechen gegen den Staat werden hier mit der größten Strenge bestraft. Ergibt sich aber die Unschuld des Beklagten aus dem Proceß, so wird der Denunziant sogleich auf schmachvolle Weise hingerichtet. Der Unschuldige erhält aber Entschädigung aus den Gütern und Ländereien seines Angebers für den Verlust seiner Zeit, für die Gefahr, in der er schwebte, für die Leiden seiner Gefangenschaft, für alle Kosten, die ihm durch seine Vertheidigung veranlaßt wurden. Ist das Vermögen des Denunzianten nicht genügend, so zahlt die Krone genügende Entschädigung. Der Kaiser erweist ihm auch eine öffentliche Gnadenbezeugung, und in der ganzen Hauptstadt wird seine Unschuld durch Proklamation verkündet.

Betrug wird als ein größeres Verbrechen wie Diebstahl behandelt, und deßhalb in der Regel mit dem Tode bestraft. Die Lilliputer sind nämlich der Meinung, gehörige Sorgfalt und sehr gewöhnlicher Menschenverstand könne das Eigenthum vor Dieben verwahren, dagegen besäßen ehrliche Leute keinen Schutz gegen die überlegene List der Betrüger; da ein fortwährender Verkehr des Kaufens und Verkaufens, sowie des Handels auf Credit einmal nothwendig sey, werde der ehrliche Mann betrogen und der Schurke sey im Vortheil, sobald Betrügerei erlaubt oder befördert werde, oder wo sich keine Gesetze zur Bestrafung derselben vorfinden. Wie ich mich erinnere, legte ich einst bei dem Kaiser Fürbitte für einen Verbrecher ein, welcher seinen Herrn um eine große Geldsumme betrogen hatte, die er im Auftrage desselben erhalten, allein für sich behielt und damit entfloh. Als ich nun dem Kaiser zufällig sagte, dies sey nur ein Mißbrauch des Vertrauens, erwiderte er tadelnd, es sey schändlich, den höchsten Grad des Verbrechens vertheidigen zu wollen. Hierauf konnte ich auch wirklich keine andere Antwort geben, als das gemeine Sprüchwort: ländlich, sittlich. Ich muß gestehen, daß ich mich herzlich schämte.

Obgleich wir Belohnung und Strafe die zwei Angeln zu nennen pflegen, auf denen sich jede Regierung bewegt, so habe ich doch diesen Grundsatz bei keiner Nation, mit Ausnahme der Lilliput’schen, ausüben sehen. Jeder, welcher den Beweis vorbringen kann, daß er die Landesgesetze dreiundsiebenzig Monate lang mit größter Strenge befolgt hat, erhält einen Anspruch auf gewisse Privilegien, je nach seinem Stande und Lebensverhältniß, zugleich eine besondere Geldsumme, die aus einem besondern Fond genommen wird. Ferner erhält er den Titel Frillnall, oder der Gesetzliche, der seinem Namen vorgesetzt, jedoch auf seine Descendenzen nicht vererbt wird. Die Lilliputer hielten es auch für einen außerordentlichen Mangel unserer Staatsverfassung, als ich ihnen sagte, die Befolgung unserer Gesetze werde allein durch Strafen erzwungen, ohne daß von irgend einer Belohnung die Rede sey. Mit Rücksicht auf die erwähnte Sitte wird die Gerechtigkeit in ihrenGerichtshöfen mit sechs Augen abgebildet, zwei vorne und hinten, und einem an jeder Seite, um die Vorsicht anzudeuten; sie hält ferner einen Beutel voll Gold mit der rechten, und ein Schwert in der Scheide mit der linken Hand, um anzudeuten, sie sey mehr zur Belohnung wie zur Strafe geneigt.

Bei der Besetzung der Aemter nehmen sie mehr Rücksicht auf gute Sitten, als auf Fähigkeiten. Sie glauben, da eine Regierung für die Menschen einmal nothwendig sey, eigne sich auch das gewöhnliche Maaß des Verstandes für eine oder die andere Stellung im Leben; die Vorsehung habe die Behandlung der Staatsangelegenheiten zu keinem Geheimniß gemacht, welches nur von wenigen Personen mit höheren Geistesgaben verstanden werden könne; von solchen Menschen werden außerdem immer nur wenige in jedem Menschenalter geboren. Dagegen hegen sie die Meinung, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Mäßigung und andere Tugenden könnten von jedem Menschen ausgeübt werden. Sey Erfahrung und gute Absicht damit verbunden, so eigne sich ein Jeder für den Dienst seines Vaterlandes, mit Ausnahme derjenigen Geschäfte, wo eine gewisse Uebung erforderlich ist. Dagegen könne der Mangel moralischer Tugenden durch überlegene Geistesgaben so wenig ersetzt werden, daß kein Amt so gefährlichen Händen anvertraut werden dürfe; die durch Unwissenheit bewirkten Versehen würden bei tugendhaftem Charakter im Allgemeinen nie so gefährlich werden, wie die Schliche derjenigen, welche durch böse Neigungen zur Verderbniß geführt werden, und Geisteskräfte besitzen, dieselben zu vervielfachen, zu benutzen und zu beschönigen.

In gleicher Art wird durch den Unglauben an eine göttliche Vorsehung Unfähigkeit bewirkt, ein öffentliches Amt zu verwalten. Die Lilliputer glauben nämlich, Nichts könne abgeschmackter seyn, als daß Fürsten, welche sich für die Repräsentanten der Gottheit halten, Leute zu ihrem Dienst verwenden, welche die Macht in Zweifel ziehen, worauf ihre eigene beruht.

Indem ich diese und die folgenden Gesetze anführe, habe ich nur die ursprünglichen Einrichtungen im Auge, nicht aber die schmählichste Verdorbenheit, in welche dieses Volk wegen der so leicht entarteten Natur der Menschen versunken ist. Denn was jene schmachvolle Sitte betrifft, die höchsten Staatsämter durch Seiltanzen oder Gunstbezeugungen und Auszeichnungen durch das Springen über den Stock und das Untendurchkriechen zu erwerben, so muß der Leser im Auge haben, daß sie zuerst von dem Großvater des jetzt regierenden Kaisers eingeführt wurden, und durch das allmählige Steigen des Faktionsgeistes zur jetzigen Höhe gediehen sind.

Undankbarkeit wird für ein Verbrechen gehalten, welches den Tod verdient. Die Lilliputer begründen dieses Verfahren durch folgende Schlußfolge: »Wer gegen seinen Wohlthäter sich undankbar beweist, muß ein allgemeiner Feind der übrigen Menschen seyn, von denen er keine Wohlthaten erlangt hat, deßhalb ist es nicht zweckmäßig, ihn am Leben zu lassen.«

Die Begriffe von den gegenseitigen Pflichten der Eltern und Kinder sind gänzlich von den unsrigen verschieden. Da nämlich die Verbindung der Männer und Weiber, wie bei allen Thiergeschlechtern, auf Naturgesetzen beruht, behaupten sie durchaus, daß Männer und Frauen nur deßhalb sich vereinigen; die Zärtlichkeit gegen die Jungen folge aus demselben Grundsatz; deßhalb wollen sie nicht zugestehen, ein Kind sey für sein Daseyn den Eltern verpflichtet, welches ohnedies wegen des menschlichen Elends keine Wohlthat sey; auch bezweckten die Eltern keine Wohlthat, sondern dächten an ganz andere Dinge bei ihren verliebten Zusammenkünften. Wegen dieser und anderer Schlußfolgen sind sie der Meinung, Eltern dürfe man am wenigsten unter allen Menschen die Erziehung der Kinder anvertrauen. Deßhalb befinden sich in jeder Stadt öffentliche Pensionsanstalten, wohin alle Eltern, mit Ausnahme der ärmern Bauern und Taglöhner, ihre Kinder senden müssen, damit diese dort nach dem Alter von zwanzig Monaten erzogen werden, denn es wird angenommen, daß sie um diese Zeit bereits Anlagen zum Lernen besitzen. Die Schulen sind verschiedener Art und nach den Eigenschaften und Geschlechtern der Zöglinge geschieden. Geschickte Lehrer erziehen die Kinder zu dem Lebensverhältniß, wozu sie durch den Stand ihrer Eltern, durch ihre Fähigkeiten und Neigungen sich eignen. Zuerst werde ich hier einiges über die männlichen und dann über die weiblichen Erziehungs-Anstalten berichten.

Die Unterrichts-Anstalten für Knaben von hoher und ausgezeichneter Geburt sind mit berühmten und gelehrten Professoren und Unterlehrern versehen. Kleidung, so wie Nahrung der Kinder, sind höchst einfach. Sie werden in den Grundsätzen der Ehre und Gerechtigkeit, des Muthes, der Keuschheit, Milde, Religion und Vaterlandsliebe erzogen. Sie sind stets beschäftigt, nur nicht während des Essens und Schlafens, wofür jedoch nur eine knappe Zeit bestimmt ist, und während zwei Erholungsstunden, die zu körperlichen Uebungen verwendet werden. Bis sie das vierte Jahr erreicht haben, werden sie von Männern angekleidet, müssen aber nach dieser Zeit ihre Kleider selbst anlegen, wie hohen Standes sie auch seyn mögen. Das weibliche Gesinde, welches in einem Alter ist, das dem unsrigen von fünfzig Jahren entspricht, verrichtet allein die niedersten Dienste. Die Knaben dürfen sich mit den Dienern nicht unterhalten; sie dürfen ferner nur in kleinerer oder größerer Anzahl unter der Aufsicht eines Lehrers zu ihren Vergnügungen ausgehen, welche in körperlichen Uebungen bestehen. Deßhalb erhalten sie nie die frühen schlimmen Eindrücke der Thorheit und des Lasters, denen unsere Kinder ausgesetzt sind. Die Eltern dürfen ihre Söhne nur zweimal im Jahre sehen; der Besuch dauert dann nur eine Stunde; es ist ihnen erlaubt, ihre Kinder beim Ankommen und Scheiden zu küssen; allein ein Lehrer, der immer bei diesen Gelegenheiten gegenwärtig ist, leidet nicht, daß sie flüstern oder zärtliche Ausdrücke gebrauchen, und Geschenke an Spielzeug, Zuckerwerk und dergleichen überbringen. Die für Erziehung und Ernährung eines jeden Kindes schuldige Summe wird, sobald die Zahlung ausbleibt, von den Beamten des Kaisers erhoben.

Die Erziehungs-Anstalten für Kinder aus den mittleren Ständen, von Kaufleuten, Kleinhändlern, Handwerkern, sind verhältnißmäßig in derselben Art eingerichtet. Nur werden diejenigen, welche jenen Geschäften sich widmen wollen, schon mit elf Jahren in die Lehre gegeben, während die Kinder aus höheren Ständen ihre Studien bis zum fünfzehnten Jahre fortsetzen, welches nach unseren Verhältnissen dem einundzwanzigsten entspricht. In den letzten drei Jahren wird jedoch die Abgeschlossenheit allmählig vermindert.

In den weiblichen Erziehungs-Anstalten werden die jungen Mädchen von Stande in ähnlicher Weise, wie die Knaben, erzogen; nur haben sie zur Ankleidung weibliche Dienerschaft; die jedoch stets in Beiseyn eines Lehrers ihr Geschäft verrichtet. Mit dem fünften Jahre müssen sie sich selbst ankleiden. Bemerkt man, daß diese Mägde es jemals wagen, die Mädchen mit furchtbaren oder albernen Geschichten, oder mit den bei uns gewöhnlichen Thorheiten der Kammermädchen zu unterhalten, so werden sie öffentlich dreimal durch die Stadt gepeitscht, ein Jahr in’s Gefängniß gesperrt und alsdann in den entferntesten und ödesten Theil des Landes verbannt. Aus diesem Grunde verachten die jungen Damen, ebenso wie die Männer, feig und albern zu erscheinen; sie verschmähen persönlichen Schmuck, der über Anstand und Reinlichkeit hinausgeht. Auch habe ich keinen großen Unterschied der Erziehung, in Betreff der Geschlechtsverschiedenheit, bemerkt, als daß bei den körperlichen Uebungen der Mädchen nicht auf dieselbe Körperkraft gerechnet wird, daß ihnen besondere Lehren hinsichtlich des häuslichen Lebens ertheilt werden, und daß man auf sie gewisse Ansprüche in Betreff der Gelehrsamkeit macht. Die Lilliputer verfahren nämlich nach dem Grundsatze, bei Leuten von Stande müsse die Gemahlin eine vernünftige und angenehme Gesellschafterin seyn, weil sie nicht immer jung bleiben könne. Haben die Mädchen das zwölfte Jahr erreicht, welches in Lilliput als das zur Heirath fähige Alter gilt, so werden sie von Eltern oder Vormündern nach Hause gebracht, wobei die größte Dankbarkeit gegen die Lehrer ausgesprochen wird. Diese Trennung geschieht selten ohne die Thränen der jungen Dame oder ihrer Gesellschafterinnen.

In den weiblichen Erziehungs-Anstalten für geringere Stände werden die Kinder in jeder Arbeit, die sich für ihr Geschlecht und ihre verschiedene Lage eignet, unterrichtet; diejenigen, welche in die Lehre gegeben werden, entläßt man mit dem siebenten Jahre, die andern im elften.

Die ärmeren Familien, deren Kinder sich in diesen Erziehungs-Anstalten befinden, müssen ausser dem jährlichen Kostgelde, welches sehr unbedeutend ist, einen kleinen Theil ihrer monatlichen Einkünfte, welcher zu ihrer späteren Ausstattung bestimmt ist, dem Verwalter einhändigen. Deßhalb sind auch die Ausgaben aller Eltern durch das Gesetz beschränkt. Die Lilliputer glauben nämlich, keine Handlung sey ungerechter, als die Erzeugung von Kindern, wenn die Eltern die Last der Erziehung auf das Publikum wälzen wollen. Leute von Stande geben Bürgschaft für eine bestimmte und ihrem Verhältniß angemessene Summe als Eigenthum des Kindes, und das Kapital wird stets mit Sparsamkeit und der genauesten Gerechtigkeit verwaltet.

Die ärmeren Bauern und Taglöhner behalten ihre Kinder zu Hause; da ihr einziges Geschäft im Pflügen und andern Theilen des Landbaues besteht, so ist ihre Erziehung von keiner großen Wichtigkeit für das Publikum.

Dem neugierigen Leser werde ich vielleicht Unterhaltung gewähren, wenn ich ihm einen Bericht von meinen häuslichen Angelegenheiten und von der Lebensart gebe, die ich in diesem Lande während meines Aufenthalts von neun Monaten und dreizehn Tagen führte. Da ich Anlagen zu mechanischen Arbeiten besitze, und auch zugleich durch die Noth dazu gezwungen wurde, machte ich mir aus den größten Bäumen des Parks einen ziemlich bequemen Stuhl und einen Tisch. Zweihundert Näherinnen waren damit beschäftigt, mir Hemden, sowie Bett- und Taschentücher zu verfertigen, und zwar von der rauhesten und stärksten Leinwand, die sie sich verschaffen konnten. Dennoch waren sie genöthigt, dieselbe in mehreren Falten zu steppen, denn die dickste Leinwand war bedeutend feiner wie Gaze. Die lilliput’sche Leinwand ist gewöhnlich drei Zoll breit, und drei Fuß bilden ein Stück. Die Näherinnen nahmen mir das Maaß, als ich auf dem Boden lag; die eine stand an meinem Halse, die andere an meinen Knien, beide hielten eine lange Schnur straff angespannt, während eine dritte mit einem Maaßstab, von einem Zoll Länge, die Ausdehnung des Stückes ergründete; alsdann nahmen sie das Maaß meines rechten Daumens auf und verlangten dann nichts weiter, denn durch eine mathematische Berechnung ward erwiesen, das zweifache Maaß des Daumens sey das der Faust, und dasselbe Verhältniß gelte in Betreff des Halses und des Bauches; ferner nahmen sie auch durch den Vergleich ihrer Berechnung mit meinem alten Hemde, das ich als Muster auf den Boden hin ausbreitete, mir selbst ganz genau das Maaß. Dreihundert Schneider wurden in derselben Art beschäftigt. Diese verfuhren aber auf andere Art, als sie mir das Maaß nahmen. Ich kniete nieder und sie setzten eine Leiter vom Boden an meinen Hals. Einer stieg hinauf und ließ von meinem Halskragen eine mit Blei versehene Schnur auf den Boden hängen, welche gerade der Länge meines Rockes entsprach; alsdann nahm ich selbst das Maaß der Arme und meiner Breite. Als meine Kleider in meiner Wohnung verfertigt waren (denn das größte Haus der Lilliputer hätte sie nicht fassen können), glichen sie den aus Stückwerk zusammengesetzten Teppichen, welche die Damen in England verfertigen.

Dreihundert Köche bereiteten meine Nahrung in kleinen, bei meinem Hause erbauten und bequemen Hütten, wo sie mit ihren Familien wohnten. Jeder Koch lieferte mir zwei Gerichte, zwanzig Bediente hob ich mit meiner Hand auf den Tisch; hundert andere standen auf dem Boden, einige mit Fleischgerichten, andere mit Fässern voll Wein und Likören. Alles dies wanden die Bedienten nach meinem Bedürfniß auf sehr sinnreiche Weise mit Stricken, wie wir in Europa die Wassereimer, hinauf. Jedes Fleischgericht gab einen Mund voll und ein Weinfaß einen guten Schluck. Das lilliputische Hammelfleisch ist nicht so gut wie das unsrige, allein ihr Rindfleisch ist ausgezeichnet. Ich habe einst eine so große Rindskeule gegessen, daß ich sie nur in drei Bissen verzehren konnte. Meine Bedienten erschracken, als sie sahen, wie ich sie mit Knochen und Allem, etwa wie man bei uns einen Lerchenflügel ißt, mit einemmale zerkaute. Gänse und Truthühner steckte ich auf einmal in den Mund, und ich muß gestehen, sie sind vorzüglicher, wie die unsrigen. Von ihrem kleinen Geflügel konnte ich zwanzig bis dreißig auf einmal mit meinem Messer spießen. Seine kaiserliche Majestät, die von meiner Art zu essen gehört hatte, erwies mir eines Tages mit Seiner königlichen Gemahlin und den Kindern von Geblüt beider Geschlechter, die hohe Gnade, daß Höchstdieselbe ihren Wunsch mir verkünden ließ, wie sie sich herablassend ausdrückte, mit mir zu Mittag zu speisen. Sie erschienen und ich setzte sie in den Staatsstühlen mit ihren Garden auf den Tisch, und zwar mir gerade gegenüber.Flimnap, der Finanzminister, war auch mit seinem weißen Stabe gegenwärtig, und ich bemerkte, daß er mich oft mit einem verdrießlichen Gesichte ansah; ich stellte mich jedoch, als ob ich dies nicht bemerkte, sondern aß nun, meinem theuren Vaterlande Ehre zu machen, zugleich auch um den Hof in Erstaunen zu versetzen, sogar noch mehr als gewöhnlich. Ich habe besondere Gründe zu der Vermuthung, daß dieser Besuch Ihrer Majestäten Flimnap Gelegenheit gab, mir schlimme Dienste bei seinem Herrn zu erweisen. Dieser Minister war stets mein Feind gewesen, obgleich er mir äußerlich mehr Liebkosungen erwies, als bei seiner mürrischen Gemüthsart sonst gewöhnlich war. Er machte dem Kaiser Vorstellungen über den schlimmen Zustand seiner Finanzen; er werde gezwungen seyn, Geld mit bedeutendem Diskonto aufzunehmen; Staats-Schuldscheine würden nur zu neun Procent unter der Nominalsumme circuliren können; ich habe Seine Majestät bereits anderthalb Millionen Sprugs gekostet (dieses ist die größte lilliputt’sche Goldmünze, ungefähr von der Dicke einer Goldflitter); kurz, es sey anzurathen, daß Seine Majestät die erste passende Gelegenheit benutze, sich meiner zu entledigen.

Hier muß ich den Ruf einer ausgezeichneten Dame rechtfertigen, die wegen meiner viel Leid hat erdulden müssen. Der Finanzminister kam auf den Einfall, eifersüchtig zu werden, und zwar wegen der Bosheit giftiger Zungen, welche ihm hinterbrachten, Ihre Gnaden leide an heftiger Liebe zu meiner geringfügigen Person. Bei Hofe circulirte ferner eine Klatscherei, sie sey allein in meine Wohnung gekommen. Dieses erkläre ich für eine schändliche, gänzlich unbegründete Lüge; Ihre Gnaden hatte allein die Güte, mir unschuldige Beweise der Freundschaft zu erzeigen. Ich muß eingestehen, daß sie öfter in mein Haus kam, allein stets öffentlich und mit der Gesellschaft von drei anderen Damen in ihrer Kutsche, nämlich mit ihrer Schwester, Tochter und einer besonderen Freundin. Dies Verfahren war auch ganz gewöhnlich bei anderen Damen des Hofes. Auch berufe ich mich auf alle meine Diener, welche sämmtlich bestätigen müssen, daß sie nie vor meiner Thüre eine Kutsche sahen, ohne zugleich die Namen der Personen zu erfahren, welche sich darin befanden. Bei diesen Gelegenheiten pflegte ich mich sogleich zur Thüre zu begeben, sobald mein Bedienter mich davon benachrichtigt hatte. Nach einer höflichen Begrüßung nahm ich alsdann die Kutsche mit den zwei Pferden auf meine Hand (war nämlich die Kutsche sechsspännig vorgefahren, so wurden vier Pferde vom Postillion ausgespannt) und stellte dieselbe auf den Tisch, den ich mit einem fünf Zoll hohen Rahmen, um Unglück zu verhüten, umringt hatte. So standen oftmals vier Kutschen auf einmal mit ihren Pferden auf dem Tische. Ich saß auf meinem Stuhle und lehnte mein Gesicht zu den Kutschen hin. Während ich mich mit einer Gesellschaft unterhielt, pflegten die Kutscher die andern Carrossen auf meinem Tische herumzufahren. Manchen Nachmittag habe ich sehr angenehm in solchem Gespräche zugebracht. Allein ich fordere den Finanzminister oder seine zwei Spione (ich will sie zu ihrer Schande nur nennen), Clustril und Drunlo, zu dem Beweise auf, ob irgend Jemand incognito zu mir gekommen ist, mit Ausnahme des Sekretärs Redresal, welcher auf besondern Befehl Seiner kaiserlichen Majestät abgesandt wurde, wie ich zuvor erzählt habe. Ich würde bei diesem Umstande nicht so lange verweilen, wäre dergute Ruf einer hohen Dame, von meinem eigenen abgesehen, nicht dadurch in Frage gestellt worden.

Ferner hatte ich die Ehre, im Range höher als der Finanzminister zu stehen, denn ich war Nardac, und die Welt weiß, daß er nur ein Glumglum ist, ein Titel, der, um einen Grad niedriger, sich zu ersterem so verhält, wie der Marquis zum Herzoge in England. Doch muß ich eingestehen, daß er vermöge seines Amtes über mir stand; jene falschen Angebereien, die ich nachher durch einen Umstand erfuhr, den ich schicklicher Weise nicht erwähnen darf, hatten zur Folge, daß der Finanzminister einige Zeit lang seiner Gemahlin verdrießliche und mir dagegen grimmige Gesichter schnitt. Obgleich es nun auch der erlauchten Dame gelang, ihm seinen Verdacht zu benehmen und sich mit ihm auszusöhnen, so verlor ich dennoch all sein Zutrauen, und fand auch bald, daß mein Einfluß beim Kaiser sich verminderte, welcher wirklich von diesem Günstling zu sehr sich leiten ließ.

Kapitel 7


Kapitel 7 Der Verfasser erfährt den Plan, ihn wegen Hochverraths in Anklagezustand zu versetzen und flieht nach Blefuscu. Seine dortige Aufnahme.

Auch halte ich es nicht für unpassend, bevor ich dem Leser meine Abreise berichte, einer besondern Cabale zu erwähnen, womit man schon seit zwei Monaten umging. Dieselbe war gegen mein Leben gerichtet. Bis dahin war ich wegen der Niedrigkeit meines Standes dem Hofleben gänzlich fremd geblieben. Zwar hatte ich von den Charakteren großer Fürsten und Minister genug gelesen und gehört, erwartete jedoch nie so furchtbare Erfahrungen von den Wirkungen derselben in einem so fernen Lande zu machen, welches nach Grundsätzen regiert wird, die von denen der europäischen Staaten gänzlich abweichen.

Als ich gerade Vorbereitungen traf, dem Kaiser von Blefuscu meine Aufwartung zu machen, kam ein bei Hofe einflußreicher Herr (dem ich früher in einem Zeitpunkte Dienste erwiesen hatte, wo derselbe sich in höchster Ungnade des Kaisers befand) auf verstecktem Wege, zur Nachtzeit und in einer Sänfte in meine Wohnung, und bat um eine augenblickliche Unterredung, ohne mir seinen Namen ankündigen zu lassen. Die Sänfteträger wurden entlassen; ich steckte die Sänfte, worin sich Seine Lordschaft befand, in meine Rocktasche, befahl einem vertrauten Diener, den übrigen zu sagen, ich sey krank und habe mich schlafen gelegt, verschloß meine Hausthüre, stellte die Sänfte nach meiner Gewohnheit auf den Tisch und setzte mich vor dieselbe hin. Nach den gewöhnlichen Begrüßungen bemerkte ich in dem Antlitz Seiner Lordschaft eine heftige Unruhe. Als ich nach der Ursache fragte, sprach der Lord den Wunsch aus, ich möchte ihn in einer Angelegenheit, die mein Leben und meine Ehre im höchsten Grade bedrohe, geduldig anhören. Seine Rede kann ich ziemlich genau wiederholen, denn sobald er fort war, schrieb ich die Hauptpunkte derselben nieder. Er begann:

Erfahren Sie von mir, daß seit Kurzem der Ausschuß des Geheimenraths zu besondern Versammlungen ihrethalben berufen wurde; schon seit zwei Tagen hat Seine Majestät einen bestimmten Entschluß gefaßt.

Es ist Ihnen nicht unbekannt, daß Skyresh Bolgolam (Galbet oder Großadmiral) seit Ihrer Ankunft Ihr tödtlichster Feind gewesen ist. Die ursprünglichen Gründe kann ich Ihnen nicht berichten, sein Haß hat sich aber durch Ihr Glück im Kriege gegen Blefuscu vermehrt, wodurch sein eigener Ruhm, als Admiral, sehr geschmälert wurde. Dieser Würdenträger des Reichs, so wie auch Flimnap, der Finanzminister und Großschatzmeister, dessen Feindschaft gegen Sie, wegen seiner Gemahlin, bekannt ist, der General Limtock, der Kammerherr Lalcon und Balmaff, der Großkanzler und Justizminister, haben die Artikel einer Anklage auf Hochverrath und andere Kapitalverbrechen gegen Sie aufgesetzt. Diese Vorrede machte mich so heftig, daß ich den Redner unterbrechen wollte, denn ich war mir meiner Verdienste und meiner Unschuld zu sehr bewußt. Er bat mich jedoch zu schweigen und setzte seine Rede in folgender Weise fort:

Aus Dankbarkeit für die Gefälligkeiten, die Sie mir erwiesen, habe ich mir genaue Nachricht vom ganzen Verfahren und eine Abschrift der Artikel verschafft; um Ihnen zu dienen, wage ich jetzt meinen Kopf.

Artikel der Anklage gegen Quinbus Flestrin den Bergmenschen.

Obgleich es durch ein Reichsgesetz aus der Regierung Seiner kaiserlichen Majestät Calin Deffar Plunebestimmt und beschlossen ist, daß jeglicher, welcher seine Blase innerhalb der Ringmauern des kaiserlichen Palastes erleichtert, den Strafen und Folgen des Hochverraths anheimfällt, so hat besagter Quinbus Flestrinnichts destoweniger besagtes Gesetz öfter gebrochen, und unter dem Vorwand, eine Feuersbrunst in den Gemächern der theuersten, geliebtesten Gemahlin Seiner Majestät zu löschen, höchst boshaft, teuflisch und verrätherisch durch das Entladen seines Urins besagte Feuersbrunst in besagten Gemächern wirklich gelöscht, welche in den Ringmauern des kaiserlichen Palastes liegen und sich befinden, gegen das in besagtem Statut erlassene Verbot u. s. w., gegen die Pflichten u. s. w.« [Fußnote]

Als besagter Quinbus Flestrin die kaiserliche Flotte von Blefuscu in den kaiserlichen Hafen von Lilliput gebracht hatte, und ihm von Seiner kaiserlichen Majestät geboten ward, alle übrigen Schiffe des besagten Kaisers von Blefuscu, mit Segeln, Mastbäumen u. s. w. zu erobern, genanntes Reich in eine unterworfene Provinz zu verwandeln, welche in Zukunft durch einen Vicekönig unserer Nation regiert werden solle, ferner, nicht allein diebreitendigen Verbannten, sondern gleicherweise alle Einwohner jenes Reiches, welche die breitendige Ketzerei nicht sogleich aufgeben, zu vernichten, zu zerstören und zu tödten; hat Er, besagter Quinbus Flestrin, wie ein falscher Verräther gegen seine Allergnädigste, Durchlauchtigste, Kaiserliche Majestät eine Bittschrift eingereicht, jenes Dienstes entbunden zu werden, unter Vorwand, den Gewissenszwang zu vermeiden, sowie die Freiheit und das Leben eines unthätigen Volkes nicht zu vernichten.

Als ferner gewisse Gesandte des Hofes von Blefuscu am Hofe seiner Majestät, um Frieden bittend, anlangten, hat Er, besagter Quinbus Flestrin, als Falscher und Verräther, denselben Hülfe angeboten, sie aufgereizt und Mittel und Wege verschafft, obgleich er wußte, der Fürst, ihr Herr, sey kürzlich offener Feind Seiner Majestät gewesen und habe offenen Krieg gegen Seine Majestät geführt.

Besagter Quinbus Flestrin trifft ferner gegenwärtig Vorbereitungen, zu einer Reise nach Blefuscu und dem Hofe dieses Reichs, und verletzt dadurch die Pflichten eines treuen Unterthanen, da er nur eine mündliche Erlaubniß von Seiner Majestät dazu erhalten hat. Unter Vorwand besagter Erlaubniß will er auf falsche und verräterische Weise jene Reise unternehmen, und dadurch den Kaiser von Blefuscu, mit dem sich Seine kaiserliche Majestät noch vor Kurzem als Feind in offenem Kriege befand, unterstützen, ermuthigen und aufreizen.

Es folgen noch einige andere Artikel, allein diejenigen welche ich Ihnen im Auszuge vorlas, sind die wichtigsten.

Jedoch muß ich eingestehen, daß Seine kaiserliche Majestät bei den Debatten über diese Anklage viele Beweise großer Milde gab, sich auf die bedeutenden Dienste berief, die Sie dem Staate erwiesen haben, und zugleich auch Ihre Schuld zu mildern suchte. Der Finanzminister und der Admiral bestanden darauf, man solle Sie eines schmerzhaften und schmachvollen Todes sterben lassen, indem man ihr Haus anzünde; der General solle mit zwanzigtausend Mann, welche mit vergifteten Pfeilen bewaffnet seyn würden, in der Nähe bereit stehen, um Ihre Hände und Ihr Gesicht zu beschießen. Ihre Diener sollten besondern Befehl erhalten, ihre Betttücher und Hemden mit Gift zu bestreuen, welches Ihr Fleisch zerrissen und Sie selbst unter den schmerzvollsten Martern würde getödtet haben. Der General trat zu derselben Meinung über; da aber Seine Majestät beschloß, wo möglich Ihr Leben zu retten, gab der Kammerherr seine Stimme in diesem Sinne.

Hierauf befahl der Kaiser dem ersten Sekretär für seine Privatangelegenheiten, Ihrem Freunde Redresal, seine Meinung ebenfalls auszusprechen. Dieser gehorchte und zeigte dabei den trefflichen Charakter, den ich immer an ihm vermuthete. Er gestand, Ihre Verbrechen seyen zwar groß, Gnade könne jedoch stattfinden, jene bei einem Fürsten so erhabene Tugend, welche bei Seiner Majestät mit so großem Rechte gepriesen werde. Die Freundschaft zwischen ihm und Ihnen sey der Welt bekannt, so daß vielleicht der höchst ehrenwerthe Rath ihn für parteiisch halte; jedoch in Folge des Befehls, den er erhalten, wolle er frei seine Gedanken aussprechen. Wenn der Kaiser in Betracht Ihrer Dienste und in Folge seiner eigenen Neigung zur Gnade, Ihr Leben verschonen und Sie bloß wolle blenden lassen, so hege er die demüthige Meinung, daß der Gerechtigkeit hiedurch genügt werde, daß ferner die ganze Welt sowohl die Milde des Kaisers, als auch das treffliche und edelmüthige Verfahren der Männer, welche die Ehre hätten, seine Rathgeber zu seyn, loben und billigen müsse. Der Verlust Ihrer Augen werde Ihre körperliche Stärke nicht vermindern, so daß Sie dem Throne dadurch noch bedeutende Dienste würden erweisen können; Blindheit sey ein Haupterforderniß des Muthes, denn es verhehle uns die Gefahren; die Furcht, Ihre Augen zu verlieren, habe Ihnen die größte Schwierigkeit bei der Wegnahme der feindlichen Flotte geboten; für Sie sey es genügend, mit den Augen der Minister zu sehen, da doch die größten Fürsten in keiner andern Weise zu sehen pflegen.

Dieser Vorschlag ward mit der größten Mißbilligung von dem ganzen Rathe vernommen. Bolgolam, der Großadmiral, konnte seinen Zorn nicht unterdrücken; er erhob sich voll Wuth und äußerte: Er könne nicht begreifen, wie der Sekretär es wage, seine Stimme dahin abzugeben, daß eines Verräthers Leben erhalten würde. Eben die von Ihnen erwiesenen Dienste, seyen aus Staatsgründen eine Erschwerung Ihrer Verbrechen; ein Mann, der, wie Sie, im Stande gewesen sey, das Feuer in den Gemächern der Kaiserin durch Urin zu löschen (eine Missethat, die er nur mit Schauder erwähne), könne zu einer andern Zeit, auf dieselbe Weise, eine Überschwemmung bewirken, und den ganzen Palast durch eine Fluth zerstören; dieselbe Körperkraft, die Sie in Stand gesetzt habe, des Feindes Flotte zu nehmen, könne Sie befähigen, im Fall der Unzufriedenheit, dieselbe wieder zurückzubringen; er habe guten Grund zu glauben, Sie seyen in ganzen ein Breitendiger, und der Verrath beginne im Herzen stets, bevor er sich in offenen Thaten äußere, und somit klage er Sie deßhalb als Verräther an, und bestehe auf Ihrer Hinrichtung.

Der Finanzminister war derselben Meinung; er erwies, in welche Verlegenheit die Verwaltung des Staatsschatzes durch die Kosten Ihrer Ernährung gekommen sey, welche in Kurzem unerträglich werden müßte; der Vorschlag des Sekretärs, Sie zu blenden, könne unmöglich diesem Uebel abhelfen. Dieses werde im Gegentheil sich noch vermehren, einen Schluß, den man aus dem Umstände ziehen könne, daß gewisse Arten von Geflügel nach der Operation des Blendens desto schneller gemästet und fett würden. Seine Majestät und der Rath, gegenwärtig Ihre Richter, seyen im Gewissen vollkommen von Ihrer Schuld überzeugt; dies sey ein genügender Grund, Sie zum Tode zu verurtheilen, obgleich es an Beweisen fehle, welche der strenge Buchstabe des Gesetzes erfordere.

Der Kaiser jedoch war bereits entschlossen, die Todesstrafe nicht stattfinden zu lassen, und hatte die Gnade, zu bemerken: da der Rath den Verlust der Augen für eine zu leichte Strafe halte, so könne man ja später auf andere Weise verfahren. Darauf bat der Sekretär, Ihr Freund, noch einmal demüthig um Gehör, um auf die Behauptung des Finanzministers, hinsichtlich der unerträglichen Kosten Ihrer Ernährung, zu antworten. Er bemerkte: Seine Excellenz, welche über das Einkommen Seiner Majestät ausschließlich zu verfügen habe, könne ja allmählig Ihre Nahrung vermindern; aus Mangel an genügenden Speisen würden Sie dadurch allmählig schwach und hinfällig werden, Ihren Appetit verlieren und in wenigen Monaten sterben können; alsdann werde auch der Gestank Ihres Leichnams nicht mehr so gefährlich seyn, denn derselbe müsse sich in dem Falle um die Hälfte vermindert haben. Sogleich nach Ihrem Tode könnten dann fünf bis sechstausend Unterthanen Ihrer Majestät das Fleisch von den Knochen schneiden, dasselbe auf Karren wegführen und in entfernteren Gegenden begraben, um ansteckende Krankheiten zu verhüten. Das Skelett würde aber der Nachwelt ein Denkmal der Bewunderung bleiben.

So wurde die ganze Sache durch die Freundschaft des Sekretärs ausgeglichen. Es ward beschlossen, der Plan, Sie zu verhungern, solle geheim bleiben, indeß das Urtheil, Sie zu blenden, wurde in das Gesetzbuch eingetragen, wobei Niemand widersprach, als Bolgolam, der Admiral; dieser ist nämlich eine Kreatur der Kaiserin, und wurde fortwährend von derselben aufgereizt, Ihren Tod zu bewirken, weil sie einen immerwährenden Groll gegen Sie, wegen des ungesetzlichen und schmählichen Verfahrens, womit Sie das Feuer in den Gemächern löschten, zu hegen beschlossen hat.

Nach drei Tagen wird Ihr Freund, der Sekretär, in Ihre Wohnung kommen und Ihnen die Artikel der Anklage vorlesen. Hierauf wird er Ihnen die große Milde und Gnade Seiner Majestät und des Rathes auseinandersetzen, wodurch Sie allein zum Verlust Ihrer Augen verurtheilt werden. Auch hegt Seine Majestät keinen Zweifel, daß Sie sich demüthig und dankbar dieser Strafe unterziehen werden; zwanzig Wundärzte Seiner Majestät werden gegenwärtig seyn, um darauf zu achten, daß die Operation nach den Regeln der Kunst geschieht. Man wird nämlich sehr scharfe Pfeile in Ihre Augäpfel abschießen, während Sie selbst auf dem Boden liegen müssen.

Ich überlasse es Ihrer Klugheit, welche Maßregeln Sie treffen werden. Um Verdacht zu vermeiden, muß ich sogleich eben so heimlich zurückkehren, wie ich gekommen bin.

Seine Lordschaft entfernte sich und ich blieb in höchst unruhiger Stimmung allein.

Der jetzt regierende Kaiser und sein Minister hatte eine Sitte eingeführt, welche von den Gewohnheiten früherer Zeiten, wie ich gehört habe, sehr verschieden war. Sobald der Hof eine grausame Hinrichtung beschlossen hatte, entweder um der Rache des Kaisers, oder der Bosheit einiger Günstlinge zu fröhnen, hielt der Kaiser jedesmal eine Rede im versammelten Rathe, worin er von seiner großen Sanftmuth und Zärtlichkeit, als von Eigenschaften sprach, die bereits aller Welt bekannt seyen. Diese Rede ward sogleich im ganzen Königreiche bekannt gemacht, das Volk war aber durch dieses Lobpreisen der Gnade des Kaisers immer sehr erschreckt, denn man hatte jedesmal bemerkt, je nachdrücklicher die Lobsprüche gegeben wurden, desto unmenschlicher sey die Strafe und desto unschuldiger der Verurtheilte.

Was mich betrifft, so muß ich eingestehen, daß ich in diesem Punkte ein schlechter Richter bin, denn weder durch Geburt noch durch Erziehung bin ich zum Höflinge bestimmt. Somit konnte ich die Milde und Gnade dieses Urtheils nicht recht begreifen, sondern ich hielt dasselbe (vielleicht aus Irrthum) für streng und nicht für gnädig. Einigemal faßte ich den Entschluß, mich vor Gericht zu stellen; da ich aber während meines früheren Lebens mehrere Hochverrathsprocesse gelesen, und immer bemerkt hatte, das Urtheil falle nur nach Gutdünken der Richter aus, wagte ich nicht, mich unter so kritischen Umständen und bei so mächtigen Feinden einer so gefährlichen Entscheidung zu unterziehen. Einmal war ich auch entschlossen, Widerstand zu leisten; so lange ich nämlich in Freiheit war, konnte mich die ganze Kriegsmacht jenes Reiches nicht unterwerfen, und ich hätte mit geschleuderten Steinen die ganze Hauptstadt in einen Trümmerhaufen verwandeln können; allein diesen Entwurf ließ ich mit Abscheu fallen, denn ich dachte an meinen Eid, den ich dem Kaiser geleistet, an die Gunstbezeugungen, die ich von ihm empfangen, und an den hohen Titel, Nardac, den er mir ertheilt hatte. Auch war ich noch nicht genug mit Höfen bekannt, um meinem Gewissen einreden zu können, die jetzige Strenge des Kaisers entbinde mich aller frühern Verpflichtungen.

Zuletzt faßte ich einen Entschluß, durch den ich mir mancherlei Tadel, und auch nicht ganz mit Unrecht, zuziehen werde; denn ich gestehe, daß ich die Erhaltung meiner Augen und also auch meiner Freiheit, meiner Raschheit im Handeln und meinem Mangel an Erfahrung verdanke; hätte ich nämlich den Charakter der Fürsten und Minister, den ich nachher an vielen andern Höfen beobachtete, und ihre Behandlungsweise von Verbrechern, die noch geringere Missethaten, wie ich, begangen hatten, zur Genüge bekannt, so würde ich mich bereitwillig einer so leichten Strafe unterzogen haben. Allein voll Jugendfeuer, und ohnedies im Besitz einer Erlaubniß Seiner Majestät, dem Kaiser von Blefuscu meine Aufwartung zu machen, benutzte ich diese Gelegenheit, bevor drei Tage vergingen, um meinem Freunde, dem Sekretär, einen Brief zu übersenden, worin ich ihm den Entschluß erklärte, noch heute Morgen nach Blefuscu, zufolge der erhaltenen Erlaubniß, abzureisen. Ich erwartete keine Antwort und ging auf den Punkt des Ufers zu, wo unsere Flotte lag.

Ich ergriff ein großes Kriegsschiff, band ein Tau an das Vordertheil, lichtete die Anker, zog meine Kleider aus und legte dieselben zugleich mit meiner Bettdecke, die ich unter dem Arme getragen hatte, auf das Schiff, zog es hinter mir her und kam watend und schwimmend an den königlichen Hafen von Blefuscu, wo das Volk mich schon lange erwartet hatte. Man gab mir zwei Führer, die mich zur gleichnamigen Hauptstadt brachten. Ich hielt sie in meiner Hand bis ich 200 Ellen vom Thore entfernt war, und bat sie dann, meine Ankunft einem der Minister anzuzeigen und zugleich zu bemerken, ich würde dort die Befehle Seiner Majestät erwarten. Nach ungefähr einer Stunde erhielt ich die Nachricht: Seine Majestät, von der königlichen Familie und den Großbeamten des Reiches begleitet, habe die Stadt verlassen, um mich zu empfangen. Hierauf ging ich hundert Ellen vorwärts; der Kaiser mit seinem Gefolge stieg vom Pferde, die Kaiserin verließ mit ihren Damen die Kutschen, und ich bemerkte nirgends Besorgniß oder Schrecken, dann legte ich mich auf den Boden nieder, um die Hände des kaiserlichen Paares zu küssen. Ich sagte Seiner Majestät, ich sey meinem Versprechen gemäß und mit Erlaubniß meines Herrn, des Kaisers gekommen, um einen so mächtigen Monarchen zu sehen, und ihm alle mir mögliche Dienste für den Fall anzubieten, daß sie der Pflicht gegen meinen eigenen Fürsten nicht widerstrebten. Von meiner Ungnade erwähnte ich kein Wort, weil ich bis dahin noch nicht auf regelmäßigem Wege davon in Kenntniß gesetzt worden war, und mich deßhalb stellen konnte, als wisse ich durchaus nichts von dem ganzen Vorfall. Auch konnte ich vernünftigerweise nicht vermuthen, der Kaiser werde das Geheimniß entdecken, so lange ich aus dem Bereiche seiner Macht war. Es ergab sich jedoch bald, daß ich mich in diesem Punkte getäuscht hatte.

Ich will den Leser mit einer besondern Beschreibung meiner Aufnahme an diesem Hofe nicht belästigen, welche dem Edelmuth eines so großen Fürsten vollkommen angemessen war, auch nicht die Unbequemlichkeiten schildern, welche sich mir dadurch boten, daß ich weder Haus noch Bett besaß, so daß ich, in meine Decke gehüllt, auf dem Erdboden schlafen mußte.

Kapitel 8


Kapitel 8 Der Verfasser findet durch glücklichen Zufall ein Mittel, Blefuscu zu verlassen und kehrt nach einigen Schwierigkeiten gesund in sein Vaterland zurück.

Teils aus Neugier, theils aus Langweile, ging ich drei Tage nachher auf der Ostküste der Insel spazieren, und erblickte, wie in der Entfernung von ungefähr einer Viertelstunde, Etwas auf dem Meere schwimmen, welches das Ansehen eines umgeschlagenen Bootes hatte. Ich zog Schuhe und Strümpfe aus, watete zwei- bis dreihundert Ellen, und fand, daß jener Gegenstand durch die Gewalt der Fluth näher getrieben ward. Da sah ich deutlich, es sey ein wirkliches Boot, welches irgend ein Sturm, wie ich vermuthe, vom Schiffe mußte losgerissen haben. Alsdann kehrte ich sogleich zur Stadt zurück und bat den Kaiser, mir zwanzig seiner größten Schiffe zu leihen, die ihm noch nach dem Verluste seiner Flotte übrig waren, sowie auch dreihundert Seeleute, unter dem Befehle seines Viceadmirals. Diese Flotte segelte über die Höhe des Hafens, während ich auf dem kürzesten Wege zu dem Orte zurückkehrte, wo ich das Boot zuerst entdeckt hatte. Wie ich fand, hatte die Fluth dasselbe noch näher an die Küste getrieben. Die Matrosen waren sämmtlich mit Tauwerk versehen, das ich zuvor bis zur genügenden Stärke zusammengedreht hatte. Als die Schiffe herankamen zog ich mich aus und watete, bis ich auf hundert Ellen in die Nähe des Bootes kam. Alsdann war ich genöthigt zu schwimmen, bis ich es erreichte; die Matrosen warfen mir das Ende eines Stricks zu, das ich in dem Loche am Vordertheile des Bootes befestigte, worauf ich das andere Ende an ein Kriegsschiff heftete. Allein alle meine Arbeit war umsonst, denn da ich keinen Grund fühlte, konnte ich auch nicht arbeiten. In dieser Noth war ich gezwungen hinter das Boot zu schwimmen, und es mit einer Hand, so oft ich konnte, vorwärts zu stoßen; da mir die Fluth hiebei behülflich war, vermochte ich dasselbe so weit vorwärts zu bringen, daß ich Grund fühlte, wobei mir das Wasser aber noch bis an das Kinn reichte. Ich verschnaufte zwei bis drei Minuten und fing dann wieder an zu schieben, bis die See mir nur an die Schultern reichte, und damit war der schwierigste Theil der Arbeit vollendet. Hierauf nahm ich die andern Taue, die in einem Kriegsschiffe aufgehäuft waren, befestigte sie zuerst an das Boot und dann an neun Schiffe, die zu meiner Verfügung standen. Der Wind war günstig, das Boot wurde ins Schlepptau genommen und ich schob, bis wir vierzig Ellen vom Ufer entfernt waren. Alsdann wartete ich, bis die Fluth vorüber war. Als nun das Boot auf dem Trockenen lag, bemühte ich mich, es umzukehren, wobei mir zweitausend Menschen mit Tauen und Maschinen halfen, und fand, daß es nur wenig Schaden gelitten hatte.

Den Leser will ich nicht mit den Schwierigkeiten langweilen, die sich mir durch den Umstand boten, daß ich durch Schaufeln, woran ich zehn Tage lang gearbeitet hatte, mein Boot in den königlichen Hafen von Blefuscu bringen mußte. Dort fand ein ungeheurer Zusammenlauf des Volkes bei meiner Ankunft statt, das ein so wunderbares Schiff im höchsten Grade anstaunte. Ich sagte dem Kaiser, mein gutes Glück habe mir dies Boot verschafft, um mich an irgend einen Ort zu bringen, von wo ich mit Sicherheit in mein Vaterland zurückkehren könne. Alsdann bat ich den Kaiser um einen Befehl, die zur Einrichtung nothwendigen Materialien herbeischaffen und abreisen zu dürfen; eine Gnade, die er mir nach einigen höflichen Hin- und Herreden gewährte.

Während dieser Zeit wunderte ich mich sehr, von einer Botschaft nichts zu vernehmen, welche unser Kaiser an den Hof von Blefuscu, hinsichtlich meiner, hätte senden können. Nachher hat man mich aber im Geheimen benachrichtigt, Seine kaiserliche Majestät habe geglaubt, mir sey durchaus keine Kunde von ihren Absichten zugekommen; ich sey nur nach Blefuscu in Folge des von mir gegeben Versprechens und der ertheilten Erlaubnis abgereist, die bei Hof allgemein bekannt war; auch würde ich in wenigen Tagen nach Beendigung der Hofceremonien wieder zurückkehren. Zuletzt aber gerieth der Kaiser wegen meiner längeren Abwesenheit doch in Unruhe; er hielt eine Berathung mit seinem Schatzmeister und den übrigen gegen mich cabalirenden Ministern; endlich ward ein Mann von hohem Stande mit einer Abschrift meiner Anklage nach Blefuscu gesandt. Dieser Gesandte hatte Instruktionen, dem Monarchen von Blefuscu Vorstellungen über die große Milde seines Herrn zu machen, welcher sich begnüge, mich nur mit dem Verlust meiner Augen zu bestrafen; ich habe mich seiner Gerechtigkeit entzogen; wenn ich nicht innerhalb zweier Stunden zurückkehre, würde ich meinen Titel als Nardac verlieren, und für einen Verräther erklärt werden. Der Gesandte fügte ferner hinzu: Sein Herr erwarte, daß sein kaiserlicher Bruder in Blefuscu, um den Frieden und die Freundschaft beider Reiche zu erhalten, Befehl ertheilen würde, mich an Händen und Füßen gefesselt nach Lilliput zurückzusenden, damit ich dort die Strafe der Verräther erleide.

Der Kaiser von Blefuscu berieth drei Tage lang diesen Antrag, und gab alsdann eine aus vielen Höflichkeiten und Entschuldigungen bestehende Antwort. Er erwiderte: In Betreff des Verlangens, mich gefesselt nach Lilliput hinüberzusenden, so wisse sein kaiserlicher Bruder sehr wohl, dies Verfahren sey unmöglich; ferner sey er mir in mannigfacher Hinsicht wegen der Dienste verpflichtet, die ich ihm beim Friedensschluß erwiesen, obgleich ich ihn seiner Flotte beraubt habe. Beide Majestäten würden indeß bald zufrieden gestellt werden. Ich habe am Ufer ein wunderbares Schiff gefunden, welches mich auf dem Meere tragen könne; er habe Befehl gegeben, es mit meiner Hülfe und unter meiner Leitung auszubessern, und hoffe, in wenigen Wochen würden beide Reiche von einer so unerträglichen Last befreit seyn.

Mit dieser Antwort kehrte der Gesandte nach Lilliput zurück; der Kaiser von Blefuscu aber erzählte mir den ganzen Vorgang und bot mir, unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit, seinen gnädigsten Schutz an, im Falle ich in seinen Diensten bleiben wolle. Ich hielt seine Anerbietungen für aufrichtig, beschloß aber dennoch, gegen Fürsten und Minister kein Vertrauen mehr zu hegen, so lange ich das möglicherweise vermeiden könne. Deßhalb bat ich ihn demüthig, mit aller schuldigen Anerkennung seiner günstigen Absicht, mich gnädigst zu entschuldigen. Ich fügte hinzu: da ein gutes oder böses Schicksal mir einmal ein Schiff verschafft habe, wolle ich mich lieber dem Ocean anvertrauen, als Veranlassung zu einem Streite von zwei so mächtigen Monarchen geben. Auch bemerkte ich wohl, daß der Kaiser über meine Antwort gar nicht unzufrieden war; bald darauf habe ich sogar zufällig entdeckt, daß er und seine Minister viele Freude über meinen Entschluß empfanden.

Diese Umstände bewogen mich, meine Abreise noch mehr zu beschleunigen, wie ich anfangs beabsichtigte. Der Hof trug auch dazu bei, denn er wünschte, ich möchte mich so schnell wie möglich entfernen. Fünfhundert Arbeiter wurden angewiesen, zwei Segel für mein Boot nach meiner Anleitung zu verfertigen, indem sie dreizehn Falten ihrer stärksten Leinwand übereinander steppten. Ich verfertigte Segel- und Ankertaue, indem ich zehn, zwanzig, dreißig der Taue von Blefuscu zusammendrehte. Ein großer Stein, den ich nach langem Suchen am Strande fand, diente mir als Anker. Das Fett von dreihundert Kühen wurde mir geboten, um mein Boot einzuschmieren, oder um es zu andern Zwecken zu benutzen. Es kostete mich unendlich Mühe, einige der größten, zu Bauholz geeigneten Bäume abzuschneiden, wobei mir jedoch die Zimmermeister von der kaiserlichen Flotte halfen, welche dieselben glätteten, nachdem ich die gröbere Arbeit selbst vollendet hatte.

Nach ungefähr einem Monat, als Alles vollendet war, ließ ich dem Kaiser sagen, ich erwarte seine Befehle und sey zur Abreise bereit. Der Kaiser und die kaiserliche Familie verließ hierauf den Palast, ich legte mich nieder um seine Hand zu küssen, die er mir sehr gnädig reichte; die Kaiserin und die jungen Prinzen von Geblüt erwiesen mir dieselbe Ehre. Seine Majestät schenkte mir fünfzig Börsen, jede mit zweihundert Sprugs, so wie auch sein Gemälde in Lebensgröße, das ich sogleich in meinen Handschuh steckte, um es vor Schaden zu bewahren. Die Ceremonien bei meiner Abreise waren zu zahlreich, um den Leser hier damit zu langweilen.

Ich versah das Boot mit dem Fleische von hundert Ochsen, dreihundert Schaafen, mit einer verhältnißmäßigen Menge Brod und Wasser und mit so viel zubereiteten Speisen, wie vierhundert Köche zurichten konnten; ferner mit sechs Kühen und zwei Stieren, eben so vielen Mutterschaafen und Böcken, die ich in mein Vaterland zu verpflanzen beabsichtigte, um diese Race auch dort einheimisch zu machen. Um diese Thiere an Bord zu füttern, hatte ich eine ziemliche Masse Heu und einen Sack voll Korn ebenfalls mitgenommen. Ich hätte auch sehr gern ein Dutzend Eingeborner mit hinüber gebracht, allein der Kaiser wollte dies in keiner Weise zulassen; meine Taschen wurden zu dem Zwecke genau durchsucht, und der Kaiser nahm mir außerdem mein Ehrenwort ab, keinen seiner Unterthanen, ohne dessen ausdrückliche Zustimmung und besondern Wunsch, mit mir fortzuführen.

Nachdem ich alle Vorbereitungen, so gut es ging, getroffen hatte, ging ich am 24. September 1701, 6 Uhr Morgens, unter Segel. Als ich ungefähr vier Meilen nordwärts gesteuert war, bemerkte ich, indem der Wind um 6 Uhr Abends aus Südost blies, in der Entfernung einer halben Meile, nordwestlich eine kleine Insel. Ich steuerte darauf zu und warf an der Seite unter dem Winde Anker. Die Insel schien unbewohnt. Hierauf nahm ich einige Erfrischung, legte mich zur Ruhe und schlief, wie ich glaube, sechs Stunden, denn ich erwachte noch zwei Stunden vor Sonnenaufgang. Die Nacht war hell; ich frühstückte bevor die Sonne am Himmel erschien, lichtete den Anker und steuerte in derselben Richtung wie am gestrigen Tage, welche mir mein Taschen-Compaß angab. Es war meine Absicht, eine jener Inseln zu erreichen, die, wie ich Grund hatte zu glauben, nordöstlich von Van Diemens Land liegen. An diesem Tage entdeckte ich Nichts, jedoch am nächsten bemerkte ich gegen 3 Uhr Nachmittags, als ich nach meiner Berechnung vierundzwanzig Meilen von Blefuscu entfernt war, ein südöstlich fahrendes Segel, indem meine Richtung östlich war. Ich gab Zeichen, ward aber nicht bemerkt; da jedoch der Wind nachließ, gewann ich ihm Raum ab. Ich segelte so schnell als möglich und ward nach einer halben Stunde auf dem Schiffe bemerkt, welches die große Flagge aufhißte und eine Kanone abfeuerte. Ich kann meine Freude nicht ausdrücken, die ich bei dem Gedanken empfing, mein theures Vaterland und die dort zurückgelassenen Lieben noch einmal wiedersehen zu können. Das Schiff zog die Segel ein, und ich erreichte dasselbe am 26. September. Mein Herz schlug vor Freude, als ich die englische Flagge erblickte. Ich steckte mein Rindvieh und meine Schaafe in die Rocktasche und stieg mit meiner ganzen kleinen Ladung von Vorräthen an Bord. Das Schiff war ein englischer Kauffahrer, der von Japan durch den nördlichen Theil der Südsee nach England zurückkehrte. Der Kapitän, Herr Biddel von Deptforth, war ein höflicher Herr und ein ausgezeichneter Seemann. Wir befanden uns im dreißigsten Grad südlicher Breite; im Schiff waren ungefähr fünfzig Mann, und unter diesen fand ich einen alten Freund, Peter Williams, der den Kapitän durch günstige Berichte vollkommen für mich einnahm. Dieser Herr erwies mir viele Gnade und bat mich, ihm zu sagen, woher ich gekommen und wohin ich wollte. Als ich ihm nun in wenig Worten dies berichtete, hielt er mich für verrückt und glaubte, die von mir bestandenen Gefahren hätten mir das Gehirn verwirrt. Ich aber zog mein schwarzes Rindvieh und meine Schaafe aus der Tasche und gab ihm so die vollkommenste Ueberzeugung von meiner Wahrhaftigkeit. Alsdann zeigte ich ihm das Gold, das mir der Kaiser von Blefuscu gegeben, sowie das Bildniß Seiner Majestät in Lebensgröße und einige andere Seltenheiten des Landes. Auch gab ich ihm zwei Börsen, jede mit zweihundert Sprugs, und versprach, nach unserer Ankunft in England ihm eine trächtige Kuh und ein trächtiges Mutterschaaf zu schenken.

Ich will den Leser mit einer besondern Beschreibung dieser Reise nicht langweilen, welche im Ganzen sehr glücklich war. Wir langten am 2. April 1702 in den Dünen an. Ich erlitt nur ein einziges Unglück. Die Ratten des Schiffs fraßen mir nämlich einen meiner Schaafböcke.

Die Knochen desselben fand ich in einem Rattenloch und zwar gänzlich von allem Fleische entblößt. Das übrige Vieh brachte ich wohlbehalten an’s Land, und setzte es in einem Rasenplatz bei Greenwich auf die Weide, wo die Trefflichkeit des Grases dasselbe sehr gut mästete, ob ich gleich stets das Gegentheil befürchtet hatte. Auf einer so langen Reise würde ich meine Thiere nicht am Leben erhalten haben, wenn der Kapitän nicht einen Theil seines besten Zwiebacks zu meiner Verfügung gestellt hätte, der zu Staub gerieben und mit Wasser vermischt als Futter benutzt wurde. So lange ich in England blieb, erwarb ich mir viel Geld, indem ich das Vieh vielen Personen von Stande und Anderen zeigte, und bevor ich meine zweite Reise begann, verkaufte ich dasselbe zu sechshundert Pfund. Wie ich bemerkte, hat sich die Race seit meiner letzten Rückkehr nach England beträchtlich vermehrt, vorzüglich aber die Schaafe, die, wie ich hoffe, zur Beförderung unserer Wollenfabriken, wegen der Feinheit ihrer Vließe, sich auch in Zukunft immer mehr vervielfachen werden.

Ich blieb nur zwei Monate bei meiner Frau und meiner Familie, denn mein unersättliches Verlangen, fremde Länder zu sehen, trieb mich wieder in die Ferne. Ich ließ meiner Frau fünfzehnhundert Pfund zurück, und verschaffte ihr eine schöne Wohnung in Redriff. Meine übrigen Kapitalien nahm ich mit mir, theils in Gütern, theils in baarem Gelde, denn ich hoffte, mein Vermögen zu vermehren. Mein ältester Onkel John hatte mir ein Landgut bei Epping, von ungefähr dreißig Pfund jährlichem Ertrag, hinterlassen; ferner hatte ich den »schwarzen Ochsen« in Fetterlane gepachtet, der mir eben so viel eintrug, so daß mich durchaus keine Gefahr bedrohte, das Kirchspiel werde meine Familie als Arme unterhalten müssen. Mein Sohn John, ein gelehriger Knabe, besuchte eine Elementarschule. Meine Tochter Betty, die gegenwärtig vortheilhaft verheirathet ist und Kinder hat, lernte Nähen und Stricken. Ich nahm Abschied von Frau und Kindern, wobei Thränen auf beiden Seiten vergossen wurden, und ging an Bord des »Abenteurers,« eines Kauffahrers von dreihundert Tonnen, der nach Surate bestimmt war, unter dem Befehl des Commanders John Nicholas aus Liverpool. Den Bericht dieser Fahrt muß ich jedoch auf den zweiten Theil meiner Reisebeschreibung verschieben.

Teil 2

Teil 2
Reise nach Brobdingnag

Kapitel 1


Kapitel 1 Beschreibung eines großen Sturms; das lange Boot wird ausgesetzt, um Wasser einzunehmen. Der Verfasser besteigt dasselbe, um das Land zu untersuchen. Er wird am Ufer zurückgelassen, von einem Eingeborenen ergriffen und in das Haus eines Pachters gebracht. Seine Aufnahme mit andern Vorfällen die sich daselbst zutrugen.

Ach, Natur und Schicksal haben mich zu thätigem und ruhelosem Leben verurtheilt! – Zwei Monate nach meiner Rückkehr verließ ich wieder mein Vaterland und bestieg den »Abenteurer,« ein Schiff aus Cornwallis, Kapitän John Nicholas, welches nach Surate in Ostindien bestimmt war. Wir hattengünstigen Wind bis zum Kap der guten Hoffnung, wo wir, um Wasser aufzunehmen, landeten. Da wir aber ein Leck entdeckten, schifften wir unsere Güter aus und blieben den Winter dort. Alsdann gingen wir unter Segel und hatten günstigen Wind bis zur Meerenge von Madagaskar.

Als wir uns nördlich von dieser Insel, im fünften Grade südlicher Breite befanden, wo der Wind vom Dezember bis Mai stets die Richtung von Nordwest zu haben pflegt, wurde derselbe am 19. April stärker und westlicher wie gewöhnlich. In diesem Wetter schifften wir zwanzig Tage und wurden dadurch ein wenig östlich über die Molukken hinausgetrieben, um drei Grad nordwärts vom Aequator, wie der Kapitän durch Beobachtungen am 2. Mai erklärte, als der Wind aufgehört hatte. Eine vollkommene Windstille war eingetreten, worüber ich mich nicht wenig freute. Der Kapitän jedoch, welcher in der Schifffahrt dieser Meere wohl erfahren war, befahl Vorbereitungen gegen einen Sturm zu treffen, und dieser begann auch wirklich am folgenden Tage, denn der Südwind, welcher der südliche Monsun genannt wird, begann zu wehen.

Da der Sturm heftig zu werden drohte, zogen wir das Bugsprietsegel ein und standen bereit, das Foksegel zu handhaben; da das Wetter immer schlechter wurde, sahen wir nach, ob die Kanonen gehörig befestigt waren und spannten die Segel am Besan auf. Das Schiff aber legte sich auf die Seite, deßhalb hielten wir es für besser mit den Wogen zu treiben, als eine Richtung behaupten zu wollen. Das Foksegel ward eingerafft und nur zum Theil ausgespannt; das Steuer hatte hartes Wetter zu bekämpfen; das Schiff aber hielt trefflich aus. Wir spannten das vordere Zugseil aus, allein das Segel platzte. Wir zogen deßhalb die Raaen an, nahmen das Segel in’s Schiff und lösten seinen ganzen Zubehör. Der Sturm war heftig, die Wogen brachen sich mit Macht und drohender Gefahr. Wir nahmen das Taljereep vom Wippstaab und halfen dem Steuermann. Unsern Toppmast kappten wir jedoch nicht und ließen an ihm Alles wie es war, weil er trefflich leenste, und weil wir wußten, das Schiff sey durch ihn gesünder und werde die See besser aushalten. Wir befanden uns nämlich auf hohem Meer und hatten von Klippen Nichts zu befürchten. Als der Sturm vorüber war, spannten wir Fok- und Boomsegel wieder auf und gaben dem Schiff eine Richtung; alsdann zogen wir das Marsboomsegel und das Fokmarssegel auf. Unsere Richtung war Ost-Nord-Ost und der Wind Südwest. Hierauf hefteten wir die Steuerbordstiften wieder ein und nahmen die Hebeseile fort, kurz wir setzten das Schiff wieder in den früheren Stand.

Während dieses Sturmes, dem ein starker Wind aus West-Süd-West folgte, wurden wir, nach meiner Berechnung, ungefähr zweihundert und fünfzig Stunden nach Osten verschlagen, so daß der älteste Matrose an Bord nicht sagen konnte, in welchem Theile der Welt wir uns befänden. Unsere Vorräthe hielten aus, das Schiff war trefflich und fest und unsere Mannschaft vollkommen gesund; wir litten aber bedeutenden Mangel an Trinkwasser. Somit hielten wir es für das Zweckmäßigste, dieselbe Richtung beizubehalten, und uns nicht nach Norden zu wenden, da wir in letzterer Richtung nordwestlich von der großen Tartarei in das Eismeer hätten gelangen können.

Am 16. Juni 1703 entdeckte ein Schiffsjunge auf dem Hauptmast Land. Am 17. sahen wir deutlich eine große Insel oder ein Festland (wir waren hierüber in Ungewißheit); an der südlichen Seite des Landes entdeckten wir eine kleine in die See hervorspringende Landzunge und eine Bucht, die aber zu flach war, um ein Schiff von mehr als hundert Tonnen zu tragen. Wir warfen deßhalb in einiger Entfernung von der Landzunge Anker und unser Kapitän ließ ungefähr ein Dutzend seiner Leute, bewaffnet und mit Wassergeschirren versehen, in dem langen Boote aussetzen, um Wasser aufzusuchen, wenn dasselbe gefunden werden könne. Ich erwirkte mir die Erlaubniß, an dieser Ausschiffung Theil zu nehmen, damit ich das Land untersuche und Entdeckungen mache. Als wir das Ufer betraten, erblickten wir weder Flüsse noch Quellen, noch auch irgend eine Spur von Einwohnern.

Unsere Leute gingen deßhalb am Ufer entlang, um frisches Wasser in der Nähe des Meeres aufzusuchen; ich aber schlug ungefähr eine halbe Stunde lang die entgegengesetzte Richtung ein; da ich aber nur felsiges und unfruchtbares Land erblickte, ward ich des Nachforschens müde und kehrte zur Landzunge zurück. Als sich nun die See vor meinen Augen ausdehnte, sah ich, wie unsere Leute bereits im Boote waren und so schnell als müßten sie ihr Leben retten, zum Schiffe ruderten. Ich wollte ihnen zurufen, obgleich dies mir wenig helfen konnte, als ich ein ungeheures Geschöpf hinter sie herlaufen sah; die See reichte ihm nur bis an die Knie und es machte ungeheure Schritte. Allein unsere Leute hatten eine Viertelstunde Vorsprung, die See war dort voll scharfer Klippen, und somit konnte das Ungeheuer unser Boot nicht erreichen. Dies wurde mir nachher gesagt, denn ich legte im schnellsten Laufe den Weg, den ich bereits gemacht hatte, wieder zurück und erstieg alsdann einen steilen Hügel, der mir eine Aussicht in das Land gewährte. Es war vollkommen bebaut. Zuerst erstaunte ich über die Länge des Grases, welches dort zum Heu bestimmt war, denn seine Höhe betrug an die zwanzig Fuß.

Alsdann gerieth ich auf einen Weg, den ich für eine Heerstraße hielt, der jedoch den Einwohnern nur als Fußpfad durch ein Gerstenfeld diente. Hier ging ich einige Zeit lang weiter, konnte aber an beiden Seiten nichts erblicken, denn die Erndte war nah und das Korn wenigstens vierzig Fuß hoch. Nach einer Stunde hatte ich das Ende des Feldes erreicht, welches durch eine Hecke von wenigstens hundertundzwanzig Fuß Höhe umzäunt war, deren Bäume eine solche Größe hatten, daß ich dieselbe nicht berechnen konnte. Dort befand sich eine Treppe, die in das nächste Feld führte. Sie bestand aus vier Stufen und auf der Spitze war ein Stein zu überschreiten. Es war mir unmöglich diese Treppe zu ersteigen, denn jede Stufe betrug sechs Fuß Höhe und der Stein wenigstens zwanzig. Ich suchte deßhalb eine Oeffnung in der Hecke zu erspähen, als ich auf dem nächsten Felde einen Einwohner auf die Treppe zugehen sah, und zwar von der Größe desjenigen, welcher unser Boot verfolgt hatte. Er hatte die Höhe eines gewöhnlichen Kirchthurms, und legte, so weit ich errathen konnte, wenigstens zehn Ellen mit jedem Schritte zurück. Ich gerieth in Furcht und Erstaunen und lief fort, um mich im Korne zu verbergen. Von dort sah ich, wie er auf der Spitze jener Treppe in das Feld zurückschaute, und hörte, wie er mit einer Stimme rief, die um mehrere Grade lauter wie der Schall eines Sprachrohrs war; der Ton hallte jedoch so hoch in der Luft, daß ich ihn zuerst für Donner hielt. Hierauf kamen sechs Ungeheuer, an Gestalt ihm ähnlich, mit Sicheln in den Händen, herbei, die ungefähr so groß wie sechs Sensen waren.

Diese Leute waren nicht so gut gekleidet, wie der Erstere, dessen Diener sie zu seyn schienen, denn nach einigen von ihm ausgesprochenen Worten begannen sie das Korn des Feldes, wo ich mich verborgen hatte, abzuschneiden. Ich hielt mich in so großer Entfernung von ihnen, als es mir möglich war, allein ich konnte mich nur mit Schwierigkeit bewegen, denn die Stengel des Korns waren oft nur einen Fuß von einander entfernt, so daß ich nur mit Mühe meinen Leib hindurchquetschen konnte. Meinen Anstrengungen gelang es dennoch vorwärts zu kommen, bis ich an einen Theil des Feldes gelangte, wo das Korn durch Regen und Wind zu Boden gelegt war. Hier war es mir unmöglich weiter zu gehen; die Stengel lagen so dicht übereinander, daß ich nicht hindurchkriechen konnte, und die Spitzen der abgefallenen Aehren waren so dick und scharf, daß sie durch meine Kleider in das Fleisch drangen. Zugleich hörte ich, daß die Schnitter nur noch hundert Ellen von mir entfernt waren. Da ich gänzlich erschöpft und von Gram sowie von Verzweiflung überwältigt war, legte ich mich zwischen zwei Furchen auf den Boden nieder, und wünschte von ganzem Herzen dort zu sterben. Ich beklagte meine einsame Wittwe und meine verwaisten Kinder, meine eigene Thorheit und Bereitwilligkeit, noch weitere Reisen zu unternehmen, und den Rath aller meiner Freunde und Verwandten in dieser Hinsicht verschmäht zu haben. In dieser furchtbaren Gemüthsstimmung konnte ich es nicht unterlassen, an Lilliput zu denken, wo die Einwohner mich als das größte Naturwunder anstaunten, das jemals in der Welt erschienen sey; wo ich es vermochte, eine kaiserliche Flotte mit meinen Händen fortzuführen und viele andere Thaten zu vollbringen, die in den Annalen jenes Reiches auf ewig prangen werden, während die Nachwelt kaum im Stande ist, ihre Größe zu begreifen, obgleich Millionen der Gegenwart sie bezeugen. Ich dachte, wie drückend es für mich seyn müsse, diesem Volke so unbedeutend zu erscheinen, wie ein Lilliputer den Engländern. Doch dies hielt ich noch für das geringste Unglück; man hat beobachtet, daß Menschen, im Verhältniß ihrer Körpergröße, stets wilder und grausamer werden; somit konnte ich nur erwarten, dem Munde des ersten jener riesenhaften Barbaren, der mich ergreifen würde, als ein guter Bissen zu dienen. Sicherlich ist die Behauptung der Philosophen, groß und klein seyen nur Begriffe, die sich durch Vergleichung ergeben, vollkommen wahr. Das Schicksal kann vielleicht die Lilliputer irgend ein Land auffinden lassen, wo die Menschen, hinsichtlich ihrer, eben solche Diminutivgestalten sind, wie sie im Vergleich mit mir. Wer weiß, ob sogar dies wunderbare Geschlecht der Sterblichen, in irgend einem entfernten Theile der Welt, der bis jetzt unentdeckt geblieben ist, nicht irgendwie übertroffen wird?

Erschreckt und verwirrt konnte ich ein solches Sinnen nicht unterdrücken, als ein Schnitter auf zehn Ellen der Furche, wo ich lag, sich näherte, und mir Besorgniß erweckte, durch seinen nächsten Schritt würde ich zerquetscht oder von seiner Sichel durchschnitten werden. Als er sich wieder bewegen wollte, schrie ich deßhalb so laut wie möglich, worauf das Geschöpf still stand, einige Zeit den Boden ansah und mich zuletzt erblickte. Es betrachtete mich mit der Vorsicht, die man anzuwenden pflegt, wenn man ein kleines gefährliches Thier ergreifen will, indem man befürchtet, gebissen oder gekratzt zu werden, wie ich ebenfalls in England, wann ich Wiesel fing, zu verfahren pflegte. Zuletzt war der Riese so keck, mich von hinten mit seinem Daumen und Mittelfinger zu ergreifen.

So hielt er mich drei Ellen von seinem Auge entfernt, damit er mich desto genauer betrachten konnte. Ich ahnte seine Absicht, und mein gutes Glück gewährte mir so viel Geistesgegenwart, daß ich den Entschluß faßte, mich durchaus nicht zu bewegen, so lange er mich, ungefähr in der Höhe von sechzig Fuß, über dem Boden hielt, obgleich er mir, aus Besorgniß, ich möchte seinen Fingern entschlüpfen, die Seiten furchtbar zerquetschte. Ich wagte allein die Augen zur Sonne zu erheben und meine Hände, wie beim Gebete, zu falten; alsdann sprach ich einige Worte in so wehmüthigem Tone, wie er meiner damaligen Lage angemessen war, denn ich befürchtete jeden Augenblick, er werde mich auf den Boden schleudern, wie wir es bei einem kleinen und verhaßten Thiere, das wir tödten wollen, zu thun pflegen. Allein mein guter Stern wollte diesmal, daß der Riese an meiner Stimme und meiner Bewegung Gefallen fand; er betrachtete mich mit Aufmerksamkeit und schien erstaunt daß ich in artikulirten Tönen sprach, obgleich er kein Wort von dem, was ich sagte, verstehen konnte. Mittlerweile konnte ich es nicht unterlassen, zu seufzen und zu weinen, und meinen Kopf, so gut wie möglich, nach beiden Seiten hinzuwenden. Dadurch wollte ich ihm nämlich andeuten, der Druck seiner Finger mache mir furchtbare Schmerzen. Er schien meine Andeutung zu verstehen, und steckte mich sanft in seine Tasche. Hierauf lief er sogleich zu seinem Herrn, der ein wohlgenährter Pächter war, und dieselbe Person, die ich zuerst auf dem Felde gesehen hatte.

Der Pächter empfing, wie ich glaube, hinsichtlich meiner den Bericht, welchen ihm sein Diener geben konnte. Alsdann nahm er das Ende eines Strohhalms, von der Größe eines Spazierstocks, und hob damit meine Rockschöße in die Höhe; er schien nämlich zu glauben, mein Rock sey eine Art Haut, welche mir die Natur verliehen habe. Hierauf blies er meine Haare seitwärts, um mein Gesicht desto besser betrachten zu können. Alsdann rief er seine übrigen Leute herbei und fragte dieselben, wie ich nachher erfuhr, ob sie sonst noch ein so kleines Geschöpf, wie ich sey, auf dem Boden hätten laufen sehen. Hierauf legte er mich auf den Boden, und zwar mit allen Vieren; ich stand jedoch sogleich auf und ging langsam vorwärts und rückwärts, um jenen Riesen anzudeuten, ich wolle durchaus nicht davon laufen. Alle setzten sich nieder, indem sie mich in einem Kreise umringten, um meine Bewegungen besser beobachten zu können; ich nahm meinen Hut ab und machte dem Pächter eine sehr tiefe Verbeugung. Ich fiel auf die Knie, erhob Hände und Augen und sprach mehrere Worteso laut wie möglich; dann nahm ich eine Geldbörse aus der Tasche und reichte sie ihm demüthig dar. Er nahm sie auf seine Handfläche, hielt sie dicht vor die Augen, um zu sehen was es sey, und drehte sie alsdann mehreremale mit der Spitze einer Nadel um, die er aus seinem Aermel nahm, konnte aber die Bedeutung meiner Börse nicht begreifen. Darauf gab ich ihm durch ein Zeichen zu verstehen, er möge seine Hand auf den Boden legen; ich nahm alsdann meine Börse und schüttete mein Geld auf seine Hand. Es bestand aus vier spanischen Quadrupeln und zwanzig bis dreißig kleineren Münzen. Ich sah, wie er die Spitze seines kleinen Fingers auf der Zunge naß machte, um eines meiner größten Geldstücke aufzunehmen; er schien jedoch nicht zu wissen, was dieselben seyn könnten. Dann gab ich ihm ein Zeichen, sie wieder in meine Börse und die Börse in meine Tasche zu stecken; ich hielt es nämlich für das Beste mein Geld zu behalten, nachdem ich es ihm mehreremale angeboten hatte.

Mittlerweile hatte der Pächter sich überzeugt, ich müsse ein vernünftiges Geschöpf seyn. Er redete mich mehreremale an, allein der Schall seiner Stimme durchdrang meine Ohren wie das Klappern einer Wassermühle, obgleich die Töne artikulirt waren. Ich antwortete so laut als möglich in mehreren Sprachen, und er hielt sein Ohr oft nur zwei Ellen von meinem Munde entfernt; Alles war jedoch vergeblich; wir konnten einander in keiner Weise verstehen. Hierauf sandte er seine Knechte an die Arbeit, zog sein Schnupftuch aus der Tasche, breitete es doppelt auf seiner linken Hand aus, legte dieselbe auf den Boden, die Fläche nach oben gekehrt, und gab mir ein Zeichen hinaufzusteigen. Dies war mir nicht schwer, denn die Dicke der Hand betrug nicht mehr als einen Fuß. Ich hielt es für meine Pflicht zu gehorchen und legte mich, aus Furcht zu fallen, der Länge nach auf sein Schnupftuch hin, dessen Zipfel er über meinem Haupte, der größeren Sicherheit wegen, zusammen band, worauf er mich so nach seinem Hause trug. Dort rief er seine Frau herbei und zeigte mich; sie aber schrie auf und lief in derselben Art fort, wie es die Weiber in England beim Anblick einer Spinne oder Kröte zu thun pflegen. Als sie jedoch mein Benehmen einige Zeit beobachtet hatte, und wie genau ich die Zeichen ihres Gatten beobachtete, wurde sie bald wieder ausgesöhnt, und sogar gegen mich außerordentlich zärtlich.

Es war ungefähr 12 Uhr Mittags und ein Diener trug das Essen auf. Es bestand ausschließlich aus einem nahrhaften Fleischgericht, wie es sich für den einfachen Stand und die Beschäftigung eines Bauern ziemt; die Schüssel aber hatte vierundzwanzig Fuß im Durchmesser. Die Gesellschaft bestand aus dem Pächter, seiner Frau, drei Kindern und einer alten Großmutter. Als diese sämmtlich sich um den Tisch gesetzt hatten, welcher ungefähr dreißig Fuß Höhe betrug, stellte mich der Pächter in einiger Entfernung von sich selbst auf denselben hin. Ich zitterte aus Furcht und hielt mich, aus Besorgniß herabzufallen, so weit wie möglich von dem Rande entfernt. Die Frau des Pächters zerschnitt ein kleines Stück Fleisch, zerkrümmelte etwas Brod auf einen hölzernen Teller und stellte denselben vor mir hin. Ich machte ihr eine tiefe Verbeugung, zog Messer und Gabel aus der Tasche und begann zu essen, worüber sich Alle außerordentlich freuten. Die Herrin ließ ein kleines Likörglas, welches ungefähr vier Maas enthalten konnte, durch eine Magd holen und füllte dasselbe mit Getränk. Mit einiger Schwierigkeit erhob ich das Glas mit beiden Händen, trank auf die Gesundheit Ihrer Gnaden mit der höflichsten Verbeugung, indem ich, so laut es mir möglich war, die Worte im Englischen ausrief; hierüber aber lachte die Gesellschaft so herzlich, daß ich durch den Lärm beinahe taub geworden wäre. Das Getränk schmeckte wie dünner Cyder, aber durchaus nicht unangenehm. Hierauf gab mir der Herr ein Zeichen, ich möchte an seinen Teller hintreten; als ich nun auf dem Tisch ging (und die ganze Zeit hindurch war ich, wie der nachsichtige Leser wohl vermuthen und entschuldigen wird, in höchster Ueberraschung), stolperte ich zufällig über eine Brodkruste und fiel flach auf mein Gesicht, jedoch ohne mich zu beschädigen.

Sogleich stand ich wieder auf; da ich nun bemerkte, die guten Leute seyen hinsichtlich meiner sehr besorgt, schwenkte ich meinen Hut, den ich der Höflichkeit gemäß unter dem Arme hielt, mehreremale über meinem Kopfe und gab dreimaliges Hurrah, um zu zeigen, ich habe keinen Schaden durch meinen Fall erlitten. Als ich jedoch auf meinen Herrn zuging (so werde ich ihn in Zukunft immer nennen), ergriff sein jüngster Sohn, ein muthwilliger Knabe von ungefähr zehn Jahren, mich bei den Beinen, und hielt mich so hoch in der Luft empor, daß ich an allen Gliedern zitterte; sein Vater aber riß mich aus seiner Hand und gab ihm zugleich einen so heftigen Schlag auf das linke Ohr, daß derselbe in Europa eine Schwadron Kavallerie würde zu Boden geworfen haben. Zugleich befahl er, den Knaben von dem Tische fortzujagen. Ich aber besorgte, der Knabe werde Groll gegen mich hegen, und erinnerte mich, wie ungezogen Kinder bei uns sich gegen Sperlinge, Kaninchen, junge Hunde und Katzen benehmen. Deßhalb fiel ich auf die Knie, zeigte auf den Knaben und gab meinem Herrn so gut wie möglich zu verstehen, ich wünsche, er möge seinem Sohne verzeihen. Der Vater erfüllte meinen Wunsch; der Knabe setzte sich wieder an den Tisch, worauf ich auf ihn zuging und ihm die Hand küßte, die mein Herr ergriff und mich sanft damit streichelte.

Während des Essens sprang die Lieblingskatze meiner Herrin ihr auf den Schooß. Ich hörte hinter mir ein solches Schnurren, wie es bei uns einige Dutzend Strumpfwirker zu erregen pflegen, und bemerkte bald, daß dies vom Spinnen jenes Thieres entstand, das dreimal größer als ein Ochs zu seyn schien, wie ich nach der Ansicht seines Kopfes und einer Pfote berechnete, während die Herrin es fütterte und streichelte. Die Wildheit, die im Gesicht der Katze lag, brachte mich außer Fassung, ob ich gleich am andern Ende des Tisches, fünfzig Fuß von ihr entfernt, stand, und obgleich meine Herrin sie in der Besorgniß festhielt, das Thier würde plötzlich hervorspringen und mich mit seinen Klauen schlagen. Es war jedoch durchaus keine Gefahr vorhanden; denn die Katze nahm auf mich nicht die geringste Rücksicht, als mich mein Herr in der Entfernung von drei Ellen vor ihr niedersetzte. Da ich nun immer gehört und auf meinen Reisen auch bemerkt hatte, daß Flucht oder Furcht vor einem wilden Thiere dasselbe stets zur Verfolgung oder zum Angriff aufreizt, so beschloß ich, in dieser Gefahr vollkommene Gleichgültigkeit zu zeigen. Unerschrocken ging ich fünf- bis sechsmal vor dem Kopfe der Katze auf und nieder und kam bis auf eine halbe Elle in ihre Nähe, worauf sie zurückging, als sey sie vor mir erschrocken. Vor den Hunden fürchtete ich mich weniger, als drei oder vier in das Zimmer kamen, wie dies in Pächterhäusern gewöhnlich ist; einer derselben war eine Dogge, so groß wie vier Elephanten, und ein anderer war ein Windhund, etwas größer wie die Dogge, allein nicht von derselben Dicke.

Als das Mittagessen beinahe vorüber war, trat eine Amme mit einem einjährigen Kinde herein, welches mich sogleich bemerkte, und dann so stark zu schreien begann, daß man dies von der London-Brücke bis nach Chelsea, also mehr als eine halbe Stunde weit, hätte hören können. Es wollte mich nämlich nach gewöhnlicher Kinderart als Spielzeug haben. Die Mutter war zu nachsichtig, griff mich auf und reichte mich dem Kinde, welches mich sogleich in den Mund steckte. Ich aber brüllte so laut, daß der kleine Kobold erschrack und mich fallen ließ, so daß ich unfehlbar den Hals hätte brechen müssen, wenn mich die Mutter mit ihrer Schürze nicht aufgefangen hätte. Die Amme lärmte, um das Kind zu beruhigen, mit einer Klapper, die aus einem hohlen, mit großen Steinen gefüllten Gefäße bestand, und durch ein Tau um den Leib des Kindes festgebunden war; da dies jedoch vergeblich blieb, mußte sie das äußerste Mittel anwenden und das Kind an die Brust legen. Ich gestehe, nie hat mir ein Gegenstand solchen Ekel erregt, wie der Anblick dieser ungeheuern Brüste, die ich mit nichts vergleichen kann, um dem neugierigen Leser einen Begriff von ihrer Größe, Form und Farbe zu geben. Sie ragten sechs Fuß hervor, und mußten wenigstens sechzehn an Umfang haben. Die Warze war halb so dick wie mein Kopf, und die Farbe derselben, so wie auch die der Brust, so sehr mit Flecken, Finnen und Sommersprossen besät, daß kein Gegenstand ekelhafter in die Augen fallen kann; ich sah sie nämlich ganz in der Nähe, da sie sich gesetzt hatte, um das Kind desto bequemer säugen zu können, während ich auf dem Tische stand. Ich dachte dabei an die schöne Haut der englischen Damen, die uns allein deßhalb als so schön erscheinen, weil sie von unserer Größe sind, und weil ihre Mängel durch kein Vergrößerungsglas betrachtet werden; gebrauchen wir dasselbe, so erscheint die zarteste und schönste Haut rauh und von häßlicher Farbe.

Wie ich mich erinnere, schien es mir, als ich in Lilliput war, die Züge jener Diminutiv-Menschen seyen die schönsten in der Welt. Als ich mich einst mit einem dortigen Gelehrten, einem genauen Freunde, darüber unterhielt, sagte mir dieser, mein Gesicht erscheine ihm bei Weitem schöner und sanfter, wenn er mich vom Boden aus betrachte, als wenn er mich in größerer Nähe, sobald ich ihn auf meine Hand genommen habe, erblicke; er müsse gestehen, im Anfang sey dies ein sehr unangenehmer Anblick gewesen. In meiner Haut könne er große Löcher entdecken; die Stumpfe meiner Barthaare seyen zehnmal dicker als die Borsten eines Ebers; meine Haut im Gesicht spiele auf unangenehme Weise in mancherlei Farben hinüber. Dennoch erlaube ich mir, hinsichtlich meiner, die Bemerkung, daß ich zu den schönsten Männern meines Vaterlandes gehöre, und daß mich die Sonne auf allen meinen Reisen nur wenig verbrannt hat. Andererseits, als ich mich über die Damen am Hofe des Kaisers mit ihm unterhielt, sagte er mir gewöhnlich, die Eine habe Finnen, die andere einen zu breiten Mund, die Dritte eine zu große Nase. Ich aber konnte nichts von Allem bemerken. Die Erinnerung an diese Dinge liegt, wie ich gestehen muß, auf der Hand; ich konnte es nicht unterlassen, die Bemerkung hier einzufügen, sonst würde der Leser glauben, jene Riesen seyen wirklich häßlich; ich muß hierauf erwidern, daß sie durchaus keinen häßlichen Menschenschlag bilden; auch schienen mir die Züge meines Herrn, der doch nur ein Pächter war, verhältnißmäßig und schön gebaut, sobald ich ihn in der Höhe von sechzig Fuß betrachtete.

Nach dem Essen ging mein Herr wieder zu seinen Arbeitern hinaus, und ich konnte aus seiner Stimme, so wie aus seinen Bewegungen schließen, daß er seiner Frau strengen Befehl gab, mich mit Sorgfalt zu behandeln. Ich aber war sehr müde und zum Schlafe geneigt; da nun meine Herrin dies bemerkte, legte sie mich auf ihr eigenes Bett und bedeckte mich mit einem reinen weißen Schnupftuch, welches aber größer und dicker als das Hauptsegel eines Kriegsschiffes war.

Ich schlief ungefähr zwei Stunden und träumte, ich sey zu Hause bei Frau und Kindern. Dies natürlich vermehrte meinen Kummer, als ich erwachte und mich allein in einem ungeheuern Zimmer befand, welches an zwei- bis dreihundert Fuß breit, aber noch bei weitem höher war. Das Bett aber, worin ich lag, war an die fünf Ellen breit. Meine Herrin war mit ihren häuslichen Angelegenheiten beschäftigt und hatte mich eingeschlossen. Das Bett war acht Ellen über dem Boden erhaben. Natürliche Bedürfnisse drängten mich nun herunterzuspringen; auch wagte ich nicht laut zu rufen. Hätte ich jedoch dies auch gethan, so würde es mir bei meiner Stimme zu nichts geholfen haben, denn die Entfernung zwischen dem Zimmer, wo ich lag und der Küche, wo die Familie sich befand, war zu bedeutend. Unter diesen Umständen kletterten zwei Ratten die Bettvorhänge hinauf und liefen schnuppernd auf dem Bette umher. Eine kam beinahe dicht an mein Gesicht, worauf ich voll Schrecken aufstand und den Degen zu meiner Vertheidigung zog. Diese furchtbaren Thiere hatten die Keckheit mich auf beiden Seiten anzugreifen, und eines derselben legte die Vordertatzen auf meinen Rockkragen. Glücklicherweise ritzte ich ihm aber den Bauch auf, bevor es mir Schaden zufügen konnte, und es stürzte zu meinen Füßen nieder. Das andere entfloh, als es das Schicksal seines Gefährten sah, erhielt aber noch im Fliehen von mir eine starke Wunde auf den Rücken, so daß sein Blut auf den Fußboden hinabtröpfelte. Nach dieser Heldenthat ging ich auf dem Bette langsam auf und nieder, um mich von dem Schrecken wieder zu erholen. Diese Thiere waren von der Größe eines starken Bullenbeißers, aber bei weitem behender und wilder; hätte ich meinen Degen, bevor ich schlafen ging, abgeschnallt, so wäre ich unfehlbar von ihnen zerrissen und verschlungen worden. Ich maaß hierauf den Schwanz der todten Ratte und fand, daß er zwei Ellen, weniger einen Zoll, an Länge betrug. Es war mir widerwärtig, den Körper aus dem Bette zu ziehen, wo er noch blutend lag; auch bemerkte ich an ihm noch einiges Leben, deßhalb tödtete ich das Thier vollends durch einen starken Einschnitt in den Hals.

Bald darauf kam meine Herrin in’s Zimmer; als sie mich voll Blut sah, lief sie herbei und nahm mich auf die Hand. Ich zeigte lächelnd auf die todte Ratte und gab durch andere Zeichen zu verstehen, ich sey nicht verwundet, worüber sie sich außerordentlich freute. Alsdann rief sie die Magd herbei, damit diese die todte Ratte mit einer Zange aufnehme und aus dem Fenster werfe. Nachdem sie mich auf den Tisch gesetzt hatte, zeigte ich ihr meinen blutigen Degen, wischte ihn ab und steckte ihn wieder in die Scheide. In dem Augenblicke fühlte ich eine heftige Bedrängniß Etwas zu verrichten, was einAnderer statt meiner nicht thun konnte; deßhalb gab ich meiner Herrin zu verstehen, ich wünschte auf den Fußboden gesetzt zu werden. Nachdem sie dies gethan, erlaubte mir meine Schamhaftigkeit nicht, mich weiter auszudrücken, als daß ich auf die Thüre zeigte und mich mehreremale verbeugte. Die gute Frau verstand endlich, mit vieler Schwierigkeit, meinen Wunsch; sie nahm mich auf ihre Hand und brachte mich in den Garten, wo sie mich wieder auf den Boden setzte. Ich ging ungefähr zweihundert Ellen seitwärts, winkte ihr, mir nicht zu folgen oder auf mich hinzusehen, versteckte mich zwischen zwei Sauerrampferblättern und entledigte mich dort des natürlichen Bedürfnisses. Ich hoffe, der gütige Leser wird mich entschuldigen, daß ich bei diesen und ähnlichen Umständen so lange verweile, dieselben mögen kriechenden und gemeinen Seelen als unbedeutend erscheinen, werden aber gewiß manchem Philosophen zur Erweiterung seiner Gedanken und seiner Einbildungskraft verhelfen, damit er sie zum Frommen des öffentlichen und Privatlebens benutze. Dies war nämlich mein einziger Zweck bei der Herausgabe dieser und anderer Reisebeschreibungen, worin ich hauptsächlich die Wahrheit als Ziel vor Augen hatte, ohne irgend eine Ausschmückung durch Gelehrsamkeit oder Styl zu erstreben. Der ganze Eindruck dieser Reise wirkte aber so tief auf meine Seele, und ist so genau mir im Gedächtniß geblieben, daß ich keinen einzigen wesentlichen Umstand übergangen habe, als ich die Beschreibung entwarf. Nach einer genaueren Ansicht habe ich jedoch einige Stellen von geringerer Wichtigkeit ausgestrichen, die sich in meinem Manuskript befanden, weil ich den Tadel befürchtete, ich sey ein langweiliger Kleinigkeitskrämer, ein Vorwurf, welcher Reisenden, und vielleicht nicht mit Unrecht, oft gemacht wird.

Kapitel 2


Kapitel 2 Die Beschreibung der Tochter des Pächters. Der Verfasser wird auf einen Jahrmarkt und von dort in die Hauptstadt gebracht. Die Begebenheiten auf dieser Reise.

Meine Herrin hatte eine neunjährige Tochter, ein Kind mit ziemlichen Anlagen für ihr Alter, denn sie wußte bereits mit der Nadel sehr geschickt umzugehen und ihre Puppe zierlich anzukleiden. Die Mutter aber und die Tochter bereiteten mir sehr geschickt ein Nachtlager in der Puppenwiege; diese ward in eine kleine Schublade und die Schublade auf ein frei hängendes Brett gestellt, um mich so gegen die Ratten zu schützen. Jene Puppenwiege war mein Bett so lange ich bei dem Pächter blieb, wo mir der Aufenthalt allmählich bequemer wurde, da ich die Sprache zu lernen begann und somit im Stande war, meine Bedürfnisse auszusprechen.

Das kleine Mädchen war so geschickt, daß sie mich an- und auskleiden konnte, nachdem ich ein- oder zweimal vor ihren Augen meine Kleider abgelegt hatte, ob ich ihr gleich nie diese Mühe machte, wenn sie zugab, daß ich selbst dies Geschäft verrichtete. Sie verfertigte mir sieben Hemden und einige andere Wäsche von so feiner Leinwand, als man bekommen konnte, die aber doch noch rauher wie Sacktuch war; diese Wäsche hat sie mir fortwährend mit eigener Hand gewaschen. Ebenfalls war sie meine Lehrerin in Betreff der Sprache; wenn ich auf etwas zeigte, nannte sie mir den Namen, so daß ich in wenigen Tagen zu fordern vermochte, was ich wünschte. Sie war sehr gutmüthig und nicht größer als vierzig Fuß, denn für ihr Alter war sie noch sehr klein. Sie gab mir den Namen Grildrig, den die Familie und später sogar das ganze Königreich annahm. Das Wort hat ungefähr die Bedeutung des lateinischen Homunculus und des italienischen Uomicciuolo, das wir durch Diminutivmensch übersetzen können; Ihr verdanke ich hauptsächlich meine Lebensrettung in diesem Lande. Wir trennten uns nie, so lange ich dort war. Ich nannte sie meine Glumdalclitch, oder kleine Wärterin, und würde der größten Undankbarkeit schuldig seyn, wenn ich diese ehrenvolle Erwähnung ihrer Sorgfalt und Liebe überginge. Auch wünsche ich von Herzen, es möge in meiner Macht liegen, ihre Wohlthaten so zu vergelten, wie sie es verdient, statt daß ich die unschuldige, aber unglückliche Ursache ihres Unglücks geworden bin, wie ich leider viel Grund zu befürchten habe.

Um diese Zeit begann man auch in der Nachbarschaft davon zu sprechen, mein Herr habe auf dem Felde ein sonderbares Geschöpf, von der Größe eines Splacknuck, gefunden; welches jedoch die Gestalt des Menschen in jeder Hinsicht besitze, dessen Handlungen nachahme, seine besondere kleine Sprache zu sprechen scheine, mehrere Worte des ihrigen bereits erlernt habe, aufrecht umherginge, zahm und artig sey, auf den Ruf herbeikomme, alle Befehle vollführe, mit den schönsten Gliedern und einem Gesicht begabt sey, wie es kaum bei dreijährigen Mädchen vom höchsten Adel angetroffen werde.

Ein anderer Pächter, der in der Nähe wohnte und ein genauer Freund meines Herrn war, stattete ihm deßhalb einen Besuch ab, um sich nach der Wahrheit der erwähnten Geschichte zu erkundigen. Ich ward sogleich herbeigeholt und auf den Tisch gestellt, wo ich nach Befehl umherging, meinen Degen zog, ihn wieder einsteckte, dem Gaste meines Herrn eine Verbeugung machte, nach seinem Befinden mich erkundigte und ihm sagte: Er sey vollkommen – eine Phrase, welche meine kleine Wärterin mich gelehrt hatte. Dieser Mann, welcher alt und kurzsichtig war, setzte seine Brille auf, um mich besser betrachten zu können, worüber ich herzlich lachen mußte, denn seine Augen erschienen mir wie der Vollmond, der durch zwei Fenster in ein Zimmer scheint. Unsere Leute, welche die Ursache meiner lustigen Stimmung bald erkannten, leisteten mir im Lachen Gesellschaft; der alte Mann war aber thöricht genug, hierüber sich zu ärgern und ausser Fassung zu kommen. Er war als großer Geizhals berüchtigt und verdiente, zu meinem Unglück, vollkommen seinen schlechten Ruf. Er gab nämlich meinem Herrn den fluchwürdigen Rath, mich als Merkwürdigkeit auf dem Jahrmarkte der nächsten Stadt zu zeigen, die ungefähr zweiundzwanzig Meilen, d. h. eine halbe Stunde für Reiter, von unserem Hause entfernt lag. Ich errieth, daß mein Herr irgend ein Unheil im Sinne hatte, denn er flüsterte lange Zeit mit seinem Freunde und wies dabei auf mich hin; meine Furcht hatte zur Folge, daß ich mir einbildete, einige ihrer Worte verstanden und gehört zu haben. Am nächsten Morgen sagte mir Glumdalclitch, meine kleine Wärterin, die ganze Sache, die sie durch List ihrer Mutter abgefragt hatte, das arme Mädchen legte mich an ihren Busen, und weinte aus Scham und Traurigkeit. Sie besorgte irgend ein Unheil von Seiten der rohen und gemeinen Leute, die mich vielleicht zu Tode drücken oder die mir ein Glied zerquetschen könnten, wenn sie mich auf die Hand nehmen. Sie hatte auch meine Schamhaftigkeit und mein Ehrgefühl bereits bemerkt und konnte somit auch meinen Unwillen begreifen, dem niedrigsten Pöbel für Geld öffentlich als Schau gezeigt zu werden. Sie sagte, Vater und Mutter hätten ihr versprochen, Grildrig solle ihr gehören; wie sie jedoch sähe, werde sie jetzt eben so behandelt, wie vergangenes Jahr, wo die Eltern ihr ein Lamm versprochen, aber sobald dasselbe fett geworden sey, an den Schlächter verkauft hätten. Was mich betrifft, so kann ich ehrlich behaupten, daß ich weniger Kummer, wie meine Wärterin empfand. Die Hoffnung, ich werde eines Tages meine Freiheit wieder erlangen, verließ mich nie, und in Betreff der Schmach, als Ungeheuer behandelt zu werden, überlegte ich, im Lande sey ich ja vollkommen fremd; auch könne mir dies Unglück nie zum Vorwurfe gemacht werden, sollte ich jemals nach England zurückkehren, denn der König von Großbritannien müsse sich ja selbst dieser Unannehmlichkeit unterziehen.

Mein Herr brachte mich nun, dem Rathe seines Freundes gemäß, in einer Schachtel zum Jahrmarkt der nächsten Stadt, und nahm seine Tochter, meine kleine Wärterin, hinter sich auf’s Pferd; die Schachtel war an allen Seiten geschlossen; in der Wand befand sich nur eine kleine Thüre, damit ich hinein und hinaus gehen könne, nebst einigen gebohrten Löchern, um Luft hereinzulassen. Das Mädchen war so sorgfältig gewesen, die Matrazze aus ihrem Puppenbett hineinzulegen, damit ich weich liegen könne, dennoch ward ich auf dieser Reise furchtbar geschüttelt und zugerichtet, obgleich dieselbe nur eine halbe Stunde währte; denn das Pferd legte in jedem Schritt wenigstens vierzig Fuß zurück, und trottirte so hoch, daß die dadurch bewirkte Erschütterung dem Steigen und Fallen eines Schiffes bei großem Sturme glich, aber bei weitem häufiger war. Unsere Reise dauerte etwas länger als ein Ausflug von London nach St. Albans. Mein Herr stieg in einem Wirthshause ab, das er gewöhnlich besuchte; nachdem er sich einige Zeit mit dem Wirth berathen und die genügenden Vorbereitungen getroffen hatte, miethete er den Gultrud oder Ausrufer, damit dieser der Stadt bekannt mache: es sey im grünen Adler ein sonderbares Geschöpf von der Größe eines Splacknuck zu sehen (das ist ein sehr feingebautes sechs Fuß langes Thier des Landes); dasselbe gleiche in jedem Theile des Körpers der Menschengestalt, könne mehrere Worte aussprechen und an hundert ergötzliche Possen vollbringen.

Ich ward auf einen Tisch im größten Zimmer des Gasthofes gestellt, das an dreihundert Quadratfuß im Umfange betragen mochte. Meine kleine Wärterin stand auf einem Schemel dicht am Tische, um auf mich Acht zu geben und zu befehlen, was ich thun solle. Mein Herr litt nicht, um ein Gedränge zu vermeiden, daß mehr als dreißig Personen mich auf einmal sehen. Ich ging nach dem Befehl des Mädchens auf dem Tische umher, sie legte mir, so weit es mein Verständniß der Sprache erlaubte, mehrere Fragen vor, und ich beantwortete dieselben so gut wie möglich. Alsdann wandte ich mich einigemale zur Gesellschaft, verbeugte mich demüthig, sagte »sie sey willkommen« und sprach einige andere Phrasen aus, die ich erlernt hatte, ferner nahm ich einen mit Getränk gefüllten Fingerhut, den mir Glumdalclitch als Becher gegeben, und trank die Gesundheit der Anwesenden. Ich zog den Degen und schwang ihn nach Art der Fechter in England. Meine Wärterin gab mir ein Stück von einem Strohhalm, womit ich, wie mit einer Pike, exerzierte, denn diese Kunst hatte ich in meiner Jugend gelernt.

An dem Tage ward ich zwölf verschiedenen Gesellschaften gezeigt, und mußte stets dieselben Albernheiten wiederholen, bis ich durch Müdigkeit und Ueberdruß halb todt war, denn Alle, die mich gesehen hatten, gaben von mir und von dem Verhältnisse meines Wuchses zu dem ihrigen so wunderbare Berichte, daß die Leute bereit standen, die Thüre zu erbrechen um nur hineinzugelangen.

Mein Herr litt, aus eigenem Interesse, in keiner Weise, daß mich Andere, wie meine Wärterin, berührten; um jede Gefahr zu vermeiden, wurde der Tisch mit Bänken in solcher Entfernung umgeben, daß mich Niemand erreichen konnte.

Ein schändlicher Schulknabe schleuderte aber eine Haselnuß auf meinen Kopf zu, die mich beinahe getroffen hätte; sie flog mit solcher Heftigkeit herbei, daß sie sicherlich mein Gehirn hätte zerschmettern müssen, denn sie war beinahe so groß wie ein kleiner Kürbiß; ich hatte jedoch die Genugthuung, daß der junge Schelm gehörig geprügelt und dann aus dem Zimmer geworfen wurde. Mein Herr ließ bekannt machen, er werde mich am nächsten Markttage wieder öffentlich zeigen; indessen ließ er für mich ein bequemeres Transportmittel verfertigen, und dazu hatte er genügenden Grund, denn meine erste Reise und der Umstand, daß ich verschiedene Gesellschaften acht Stunden lang unterhalten mußte, hatten mich so sehr angegriffen, daß ich kaum auf den Beinen stehen oder auch kein Wort sprechen konnte. Erst nach drei Tagen kam ich wieder etwas zu Kräften, aber damit ich auch keine Ruhe zu Hause hätte, begaben sich alle Herrn von Stande, auf dreihundert Meilen in der Runde, nachdem sie von meinem Ruhme gehört hatten, in die Wohnung meines Herrn, um mich zu sehen. Wenigstens dreißig Personen kamen mit Frau und Kindern (das Land ist sehr bevölkert). Mein Herr verlangte alsdann die Zahlung eines gefüllten Zimmers, selbst wenn nur ein Mann mit seiner Frau kam. Einige Zeit lang hatte ich keinen Tag Ruhe (nur am Mittwoch, der in Brobdingnag als Sonntag gilt), ob ich gleich nicht in die Stadt gebracht wurde.

Als nun mein Herr einsah, ich würde ihm wahrscheinlich viel Geld einbringen, beschloß er, mich in allen berühmten Städten des Königreichs zu zeigen. Er versah sich deßhalb mit allen Dingen, die zu einer größeren Reise erfordert werden, ordnete seine Angelegenheiten zu Hause, nahm Abschied von seiner Frau, und am 17. August 1703, ungefähr zwei Monate nach meiner Ankunft, reisten wir zur Hauptstadt, welche ungefähr in der Mitte des Landes und dreitausend Meilen von unserem Hause entfernt liegt. Mein Herr nahm seine Tochter Glumdalclitch hinter sich auf’s Pferd. Sie trug mich auf dem Schooß in einer um ihren Leib befestigten Schachtel. Das Mädchen hatte die Wände derselben mit dem weichsten Tuch das sie bekommen konnte, besetzt, dasselbe noch ausserdem gepolstert, das Bett ihrer Puppenwiege in die Schachtel gelegt, und letztere mit Wäsche und anderen Bedürfnissen gehörig versehen; kurz, sie hatte Alles so bequem wie möglich eingerichtet. Wir reisten allein, mit Ausnahme eines Knaben vom Hause, der mit dem Gepäck hinter uns herritt.

Mein Herr beabsichtigte, mich in allen Städten am Wege zu zeigen, und in der Entfernung von fünfzig bis hundert Meilen vom Wege in jedes Dorf oder nach jedem Landsitze hinzureiten, wo er auf Einnahme hoffen könnte. Wir machten kurze und bequeme Tagereisen, nur von ungefähr zwölf bis fünfundzwanzig Dutzend Meilen; Glumdalclitch, um mich nicht zu sehr anzugreifen, beklagte sich nämlich häufig, sie könne das Trottiren des Pferdes nicht ertragen. Sie nahm mich auch oft, sobald ich es wünschte, aus der Schachtel, damit ich frische Luft schöpfen und das Land mir ansehen konnte; dabei wurde ich aber stets an einer Schnur geleitet. Wir setzten über fünf bis sechs Flüsse, die sämmtlich tiefer und breiter wie der Nil und Ganges waren; auch war kein Bach so klein wie die Themse bei der London-Brücke. Zehn Wochen dauerte die Reise, und ich wurde in achtzehn großen Städten gezeigt, der Dörfer und Privatbesitzungen nicht zu gedenken.

Am 26. Oktober langten wir in der Hauptstadt an, die in der Sprache von Brobdingnag Lorbgrulgrud, oder Stolz des Weltalls genannt wird. Mein Herr miethete sich eine Wohnung in der Hauptstraße, nahe beim königlichen Palaste. Alsdann ließ er Ankündigungen in der gewöhnlichen Form anschlagen, welche die genaue Beschreibung meiner Person und meiner Eigenschaften enthielten.

Das Zimmer, das er miethete, war an drei- bis vierhundert Fuß breit. Er sorgte für einen Tisch von sechzig Fuß im Durchmesser, worauf ich meine Künste zeigen sollte, und verpallisadirte denselben zur Höhe von drei Fuß, und in gleicher Entfernung vom Rande, damit ich nicht hinunterfiele. Zehnmal des Tages wurde ich zum Erstaunen und zur Zufriedenheit aller Leute öffentlich gezeigt. Ich kannte jetzt die Sprache so ziemlich und verstand Alles, was man mir sagte. Außerdem hatte ich Lesen gelernt, und konnte mitunter schon einen ganzen Satz nothdürftig erklären, denn Glumdalclitch war sowohl zu Hause als auch in den Mußestunden auf unserer Reise meine Lehrerin gewesen. Sie hatte ein kleines Buch in ihrer Tasche mitgenommen, was nicht viel größer war, als bei uns ein Atlas; dasselbe war ein kurzer Katechismus für junge Mädchen, um ihnen die Religionsbegriffe beizubringen. Aus diesem Buche lehrte sie mich das Lesen und erklärte mir die Worte.

II


II.

Während Swift seiner Liebe zur Literatur nachhing und diese hohe Freundschaft ihm eine angenehme Zukunft zu versprechen schien, bereitete er sich, ohne es zu merken, eine Reihe von Unglücksfällen für den Rest seiner Tage. Es geschah, während seines zweiten Aufenthalts in Moorpark, daß er die Bekanntschaft von Esther Johnson machte, die unter dem poetischen Namen Stella bekannter ist.

Swift, im Vertrauen auf sein kaltes Temperament und seine wandelbare Laune, die kein unkluges Verhältniß gestatten würde, faßte den Entschluß, nicht eher an eine Heirath zu denken, als bis seine Existenz gesichert wäre. Auch dann noch, meinte er, werde er so schwer zufrieden zu stellen seyn, daß er die Hochzeit wohl bis zu seinem Tode werde aufschieben können; die Anzeichen einer Neigung, in welchen sein Freund die Symptome einer Leidenschaft zu erkennen glaubt, sind nur die Wirkung einer beweglichen, unruhigen Laune, die der Nahrung bedarf. Er ergreift die erste Gelegenheit, sich zu unterhalten, die sich darbietet, und sucht sie oft in einer nichtssagenden Galanterie; dies ist auch sein Zweck bei dem genannten Mädchen; »es ist eine Gewohnheit,« sagte er, »die ich ohne Mühe werde ablegen können, wenn ich einmal den Entschluß werde fassen wollen, und die ich gewiß ohne Schmerz an der Schwelle des Heiligthums zurücklasse.«

Auf diese Neigung folgte eine noch ernsthaftere; Jane Waryng, die Schwester seines Schulfreundes Waryng, die er mit ziemlich kalter poetischer Affektation Varina nannte, zog während seines Aufenthalts in Irland, als er William Templeverlassen hatte, seine Aufmerksamkeit auf sich.

Ein Brief, der vier Jahre später an dieselbe Person gerichtet wurde, ist in einem ganz andern Tone geschrieben. Varina ist verschwunden; unser Autor schreibt an Jane Waryng: Innerhalb vier Jahren konnten viele Ereignisse vorfallen, die wir nicht wissen; und es wäre nicht gerecht, das Betragen Swifts hart zu beurtheilen, den der hartnäckige Widerstand Varina’s nicht auf das plötzliche Anerbieten einer Capitulation hatte vorbereiten können.

Der Tod des Sir William Temple setzte dem friedlichen und glücklichen Leben, dessen sich Swift vier Jahre lang in Moorpark erfreute, ein Ziel. Sir William hatte die edle Freundschaft Swifts zu schätzen gewußt: er machte ihm ein Vermächtniß an Geld und hinterließ ihm seine Manuscripte, die er ohne Zweifel weit höher schätzte.

Kurze Zeit nachher begab sich Swift nach Irland mit Lord Berkeley. Nach einigen Uneinigkeiten mit diesem Edelmann erhielt er die Pfründe Saracor; aber nun warf er sich unverzüglich auf die Politik.

Im Jahr 1710 begab er sich nach England. Damals begannen seine Feindseligkeiten mit den Whigs und sein Bündniß mit Harley und der Verwaltung.

Seine Ernennung zum Dechant zu St. Patrik wurde den 23. Februar 1713 unterzeichnet und Swift reiste in den ersten Tagen des Junius ab, um eine Pfründe in Besitz zu nehmen, die er, wie er oft sagte, im höchsten Falle für nichts Anderes ansah, als für eine ehrenvolle Verbannung. Man konnte sich in der That nicht darauf gefaßt machen, daß die beispiellose Gunst, in der er bei der Regierung gestanden hatte, ihn zu nichts weiter, als zu einer Pfründe in Irland führen und ihn von denselben Ministern entfernen würde, von denen er um Rath gefragt worden war, die seine Talente zur Verteidigung ihrer Sache benützten und mit eben so viel Entzücken seine Gesellschaft genoßen als sie zuvor seine Dienste für die Verwaltung so wesentlich gehalten hatten. Er mochte sich allerdings eben so getäuscht als überrascht fühlen, daß sie ihn nicht zum Bischof in Irland ernennen wollten. Mistreß Johnson hatte ihr Vaterland verlassen, ihren Ruf auf’s Spiel gesetzt, um sein Schicksal zu theilen, zu einer Zeit, als durchaus kein Anschein war, es könnte später glänzender mit ihm werden, und die Bande, die Swift verpflichteten, sie für diese Opfer schadlos zu halten, wären eben so heilig als ein feierliches Versprechen gewesen, wenn nicht wirklich ein förmliches Heirathsversprechen von seiner Seite gegeben ward. Swift beauftragte den ehrwürdigen Sr. Georg Ashe, Bischof von Clogher, seinen alten Lehrer und Freund, sich nach der Ursache der SchwermuthStella’s zu erkundigen, und die Antwort war eine solche, wie sie ihm sein Gewissen zum Voraus hätte geben können. Es war nur ein Mittel, sie von seiner fortdauernden Liebe zu überzeugen und gegen die Verläumdung zu schützen. Swifts Antwort war, daß er zwei Entschlüsse in Beziehung auf den Ehestand gefaßt habe, einmal nicht eher zu heirathen, als wenn er ein hinlängliches Auskommen habe, und dann nur in einem solchen Alter daran zu denken, wo er vernünftiger Weise noch hoffen könnte, seine Kinder so versorgt zu sehen, wie sie es zu werden wünschen dürften. Seine Unabhängigkeit sey noch nicht gesichert, er habe Schulden und die Lebensstufe überschritten, über welche hinaus er entschlossen sey, nicht mehr zu heirathen. Indessen wolle er Stella seine Hand geben, wenn ihre Heirath geheim gehalten, und unter der Bedingung, daß sie fortfahren würden, getrennt, und mit derselben Zurückhaltung wie zuvor zu leben. Stella unterschrieb diese harten Bedingungen. Sie hoben ihre Zweifel und beschwichtigten ihre Eifersucht, indem sie die Verbindung mit ihrer Nebenbuhlerin unmöglich machten. Swift und Stella wurden im Jahre 1716 im Garten der Dekanei vermählt. Unmittelbar nach der Ceremonie war Swift, wie es scheint, in einer schrecklichen geistigen Aufregung. So viel ich von einem Freunde seiner Wittwe erfahren habe, erzählte Delany, als man in ihn drang, seine Meinung über diese seltsame Heirath auszusprechen, er habe um die Zeit, als sie zu Stande kam, bemerkt, daß Swift sehr finster und außerordentlich aufgeregt war, so sehr, daß er zum Erzbischof King gegangen sey, um ihm seine Besorgnisse mitzutheilen. Als er in das Bibliothekzimmer gegangen, seySwift eilig mit verstörten Zügen herausgekommen und an ihm vorbeigeeilt, ohne mit ihm zu sprechen. Er habe den Erzbischof in Thränen gefunden, und auf seine Frage nach dem Grunde die Antwort erhalten: »Sie sind so eben dem unglücklichsten Menschen auf der Welt begegnet, aber fragen Sie mich niemals über die Ursache seines Unglücks.« Bei dieser Gelegenheit ist zu bemerken, daß Delany aus diesem Umstande schloß, Swift habe nach seiner Heirath mit Stella entdeckt, daß sie in einem verbotenen Grade mit einander verwandt seyen und dies dem Erzbischof anvertraut. Aber die Ausdrücke des Prälaten lassen auf nichts Näheres schließen, und es gibt sichere Beweise dafür, daß diese Verwandtschaft gar nicht bestanden haben kann.

Swift sah mehrere Tage Niemand. Als er aus seiner Zurückgezogenheit hervorkam, dauerten seine Beziehungen zu Mistreß Dingley und Stella mit derselben Vorsicht fort, um jeden Verdacht eines vertrauten Verhältnisses abzuwehren, wie wenn dieses jetzt nicht rechtmäßig und tugendhaft gewesen wäre. Stella war also fortwährend die Geliebte und vertraute Freundin Swifts; sie hielt ihm Haus, machte die Honneurs seines Tisches, obgleich sie nur sein Gast zu seyn schien; sie war seine treue Gefährtin, pflegte ihn, wenn er krank war, aber sie war nie seine Frau, und selbst diese Heirath war ein Geheimniß für die Welt.

Die Angelegenheiten seiner Kirche, die durch den Widerstand seines Capitels und durch die Dazwischenkunft des Erzbischofs King in Verwirrung gebracht worden waren, hoben sich unmerklich durch die Ueberzeugung, die man von der Redlichkeit der Absichten des Dechanten und von seinem uneigennützigen Eifer für die Rechte und Interessen der Kirche gewann. Er erlangte einen solchen Einfluß auf das Capitel, daß man seinen Vorschlägen selten widersprach. Die Angelegenheit der Gefälle und der Erneuerung derselben verschlang in der Folge viel von seiner Zeit. Man darf annehmen, daß Swift wahrend dieser fünf bis sechs Jahre das Studium nicht vernachläßigte. Man fand seine Ansichten über Herodot, Philostrat und Aulus Gellius, was zu der Annahme veranlaßt, daß er sich mit diesen Schriftstellern hauptsächlich beschäftigte: er hatte seine Ausgaben mit weißen Blättern durchschießen lassen, auf die er Bemerkungen schrieb. Man dürfte wohl voraussetzen, daß er die klassischen Autoren nicht vergessen habe, wenn wir nicht wüßten, daß Lucrez seine Lieblingslektüre während seines Aufenthalts zu Gaulstown war. Das Verzeichniß der Bücher, aus denen seine Bibliothek bestand, mit seinen eigenhändigen Bemerkungen ist der sicherste Beweis für seinen Geschmack.

Diese Studien genügten indeß einem Manne nicht, der während seines Aufenthalts in England einen so thätigen Antheil an der Politik genommen hatte. Man hat daran gedacht, und es ist sehr wahrscheinlich, daß Swift zu jener Zeit den Plan zu denReisen Gullivers entwarf. Man findet den Keim dieses berühmten Werkes in den Reisen des Martinus Scriblerus, die wahrscheinlich zuvor entworfen worden waren, ehe die Verbannungen den literarischen Clubb zerstreut hatten. Der Zustand, in welchem der Dechant die öffentlichen Angelegenheiten nach dem Tode der Königin Anna erblickte, paßt zu einem großen Theile der satyrischen Züge in den Reisen. Außerdem spielt ein Brief von Vanessa auf das Abenteuer Gullivers mit dem Affen von Brobdingnag an, und man findet in derselben Correspondenz, daß Swift im Jahr 1722 mehre Reisebeschreibungen las. Er sagte zu Mißtreß Whitway, was er nachher wiederholt hat, daß er aus den Reisen, die er gelesen, alle Seeausdrücke in Gulliver entlehnt habe. Es ist also wohl anzunehmen, daß die Reisen Gullivers zu der Zeit, von der wir sprechen, skizzirt wurden, obgleich sie von der Politik einer spätern Periode handeln.

Swift verließ im Jahre 1720 seine Beschäftigungen und Unterhaltungen, um wieder auf der politischen Bühne zu erscheinen, zwar nicht mehr als Sachwalter und Lobredner eines Ministeriums, aber als der unerschrockene und beharrliche Vertheidiger eines unterdrückten Volkes. Keine Nation hat jemals so sehr eines solchen Vertheidigers bedurft. Der Wohlstand, dessen sich Irland unter den Königen aus dem Hause Stuart erfreut hatte, war durch einen Bürgerkrieg unterbrochen worden, dessen Ausgang den Kern seines Adels und seines Heeres genöthigt hatte, sich aus dem Lande zu entfernen. Die katholische Bevölkerung dieses Königreichs erweckte nur Mißtrauen, und wurde dadurch zur Führung ihrer eigenen Sache untüchtig.

Das englische Parlament hatte sich die Gewalt angemaßt, Irland Gesetze zu geben; und es benutzte diese Gewalt dazu, den Handel dieses Königreichs so sehr als möglich in Fesseln zu legen, dem Handel Englands unterzuordnen und ihn in dieser Abhängigkeit zu erhalten. Die Gesetze des zehnten und elften Jahres der Regierung Wilhelm III. verboten die Ausfuhr der Wollwaaren, außer nach England und in das Fürstenthum Wales. Die irländischen Fabriken wurden dadurch eines Einkommens beraubt, das man auf eine Million Pfund Sterling schätzte.

Nicht eine Stimme erhob sich in der Kammer der Gemeinen gegen diese eben so unpolitischen, als tyrannischen Maßregeln, die eher eine Korporation kleinstädtischer Krämer, als des aufgeklärten Senats eines freien Volkes würdig waren. Nach diesen Grundsätzen handelnd, häufte man Ungerechtigkeit auf Ungerechtigkeit und man fügte den Hohn hinzu, mit dem Vortheil für die Angreifenden, daß sie das unterdrückte Volk Irlands einschüchtern und zum Schweigen bringen konnten, indem sie es als Rebellen und Jakobiren verschrieen! Swift sah diese Uebelstände mit dem ganzen Unwillen eines Charakters an, der von Natur zum Widerstand gegen die Tyrannei geneigt ist. Er veröffentlichte die »Briefe des Tuchhändlers« voll gewichtiger Gründe, blitzend von Geist und besonders durch die Gewandtheit ausgezeichnet, mit welcher die Beweisgründe dargestellt und die Pfeile gerichtet wurden.

Swifts Popularität war die aller jener Männer, welche in einer entscheidenden kritischen Periode das Glück gehabt haben, ihrem Vaterlande einen großen Dienst zu leisten. So lange er sein Haus noch verlassen konnte, begleiteten ihn die Segenswünsche des Volkes; wenn er in eine Stadt kam, erfreute er sich einer Aufnahme, wie sie sonst nur einem Fürsten zu Theil wird. Bei der ersten Nachricht von einer Gefahr, die dem Dechant (so nannte man ihn gewöhnlich) drohte, lief das ganze Land zu seiner Vertheidigung herbei. Walpole hatte dann gedroht, Swift festnehmen zu lassen; ein kluger Freund fragte ihn, ob er zehntausend Soldaten habe, um den Beamten begleiten zu lassen, der damit beauftragt sey, diesen Befehl zu vollziehen.

Swifts Schwächen, obgleich von der Art, die Böswilligkeit des Pöbels zu reizen, wurden mit der frommen Achtung kindlicher Liebe beurtheilt. Alle Vicekönige von Irland, von dem leutseligen Cartenet an bis zu dem hochmüthigen Dorset, die weder seine Politik noch auch seine Person liebten, sahen sich genöthigt, seinen Einfluß zu achten und mit seinem Eifer zu kapituliren. Ueber die Abnahme seiner geistigen Fähigkeiten trauerte Irland; der Schmerz eines Volkes begleitete ihn in’s Grab, und beinahe alle irische Schriftsteller haben dem Andenken Swifts jenen Tribut der Dankbarkeit abgetragen, der ihm mit so vollem Rechte gebührt.

Kapitel 3


Kapitel 3 Der Verfasser kommt an den Hof. Die Königin kauft ihn von, seinem bisherigen Herrn. Er disputirt mit den größten Gelehrten Seiner Majestät. Bei Hofe wird ein Zimmer für den Verfasser eingerichtet. Er erwirbt sich die Gunst der Königin. Er vertritt die Ehre seines Vaterlandes. Er zankt sich mit dem Zwerge der Königin.

Leid und Mühseligkeiten, die ich jeden Tag ertragen mußte, bewirkten eine beträchtliche Veränderung in meiner Gesundheit. Je mehr Geld mein Herr durch mich erlangte, desto größer wurde seine Habsucht. Ich hatte bereits die Rundung meines Bauches verloren und war beinahe zum Skelett geworden. Der Pächter bemerkte dies, und vermuthete, ich würde in Kurzem sterben; er beschloß deßhalb, noch so viel Geld wie möglich durch mich zu erwerben. Während er dies überlegte, kam ein Sardral oder ein Kammerherr des Hofes auf Befehl desselben und gebot, mich sogleich zur Unterhaltung der Königin und ihrer Hofdamen in den Palast zu tragen.

Einige derselben hatten mich schon gesehen und merkwürdige Dinge von meiner Schönheit, meinem feinen Betragen und meinem gesunden Verstande erzählt. Ihre Majestät war nebst ihrer Umgebung über mein Benehmen entzückt. Ich fiel auf die Knie und wollte den erhabenen Fuß küssen, allein die gnädige Fürstin reichte mir nur ihren kleinen Finger als ich auf dem Tische stand. Ich umarme diesen Finger nun mit beiden Armen und legte in höchster Demuth die Spitze desselben an meine Lippen. Sie richtete an mich mehrere allgemeine Fragen über mein Vaterland und meine Reisen, die ich sehr deutlich und so kurz wie möglich beantwortete. Sie fragte: ob es zu meiner Zufriedenheit gereiche, wenn ich am Hofe lebe; ich verbeugte mich bis auf das Brett des Tisches und erwiderte demüthig: ich sey der Sklave meines Herrn. Stände ich jedoch zu meiner eigenen Verfügung, so würde es mir zum Stolze gereichen, wenn ich mein Leben dem Dienste ihrer Majestät widmete. Sie fragte alsdann meinen Herrn, ob er Willens sey, mich zu einem guten Preise zu verkaufen. Da er nun besorgte, ich würde keinen Monat mehr leben, so verlangte er tausend Goldstücke, die sogleich auf Befehl herbeigeschafft wurden, und wovon jedes Stück ungefähr die Dicke von achthundert portugiesischen Dukaten betrug. Berechnet man die Verhältnisse dieses Welttheils zu dem europäischen, und den damit zusammenhängenden Werth des Goldes, so betrug die Summe kaum so viel wie tausend Guineen in England. Hierauf sagte ich der Königin: da ich jetzt Ihrer Majestät demüthiger Sklave und Vasall sey, müsse ich um die Gnade bitten, daß Glumdalclitch, die mich stets mit so viel Sorgfalt und Güte gepflegt habe, und dies auch so trefflich verstände, ebenfalls in den königlichen Dienst treten und auch ferner meine Wärterin und Lehrerin bleiben dürfe.

Ihre Majestät gewährte meine Bitte und erlangte ohne Mühe die Einstimmung des Pächters, welcher sich nicht wenig freute, seiner Tochter eine Stelle bei Hofe verschaffen zu können. Das arme Mädchen konnte aber ihr Entzücken nicht verbergen. Mein Herr entfernte sich hierauf, indem er von mir Abschied nahm und sagte, er habe mir einen sehr guten Dienst verschafft; worauf ich kein Wort erwiderte, sondern nur eine leichte Verbeugung machte.

Die Königin bemerkte diese Kälte und fragte nach dem Grunde, sobald der Pächter das Zimmer verlassen hatte. Ich war so kühn Ihrer Majestät zu sagen, meinem bisherigen Herrn sey ich Dank nur deßhalb schuldig, weil er einem armen, durch Zufall auf dem Felde gefundenen Geschöpfe das Hirn nicht eingeschlagen habe; diese Verpflichtung werde aber durch den Gewinn, den er durch mich im halben Königreiche erlangt habe, und durch den hohen Ankaufspreis genugsam aufgewogen. Das Leben, welches ich seitdem geführt, sey so mühsam gewesen, daß sogar ein Thier von zehnfacher Kraft hätte unterliegen müssen. Meine Gesundheit sey durch die ewige Plackerei zur Unterhaltung des Pöbels untergraben worden; hätte mein Herr nicht geglaubt, mein Leben sey in Gefahr, so würde Ihre Majestät mich nicht zu so wohlfeilem Preise erhalten haben. Da ich aber gegenwärtig unter dem Schutze einer so großen und guten Monarchin, dem Schmuck der Natur, dem Liebling der Welt, dem Entzücken ihrer Unterthanen, dem Phönix der Schöpfung, keine schlechte Behandlung mehr befürchte, so hoffe ich auch, die Besorgniß meines vorigen Herrn werde sich als grundlos erweisen; ich finde bereits, wie meine Lebenskraft durch den Einfluß Ihrer hocherhabenen Gegenwart wieder erwache.

Dies war der Hauptinhalt meiner Rede, die ich nur mit Schwierigkeit, und öfterem Stocken hersagte. Der letztere Theil war in dem Style abgefaßt, welcher diesem Volke eigenthümlich ist. Ich hatte nämlich vom Glumdalclitch, als sie mich an den Hof brachte, mehrere Phrasen erlernt.

Die Königin war nachsichtig hinsichtlich meiner Mängel im Ausdrucke, erstaunte jedoch über so vielen Witz und gesunden Verstand in einem solchen Diminutivthiere. Sie nahm mich auf ihre Hand und trug mich zum Könige, der sich gerade in seinem Kabinete befand. Seine Majestät, ein Fürst von ernstem Charakter mit strengen Gesichtszügen, konnte beim ersten Anblick meine Gestalt nicht wohl erkennen, und fragte die Königin in kalter Weise, seit wie lange sie an einem Splacknuck so viel Vergnügen finde. Wie es scheint, hielt er mich nämlich für ein solches kleines Thier, als ich in der rechten Hand Ihrer Majestät auf meiner Brust lag. Allein diese Fürstin, welche außerordentlich viel Verstand und gute Laune besaß, stellte mich sanft auf den Schreibtisch und befahl mir, ich solle selbst dem Könige über mich Bericht erstatten, was ich dann auch in wenigen Worten that. Hierauf erhielt auch Glumdalclitch, die vor der Thüre des Kabinets wartete und meine Abwesenheit nicht ertragen konnte, sogleich Zutritt, und bestätigte Alles, was sich seit meiner Ankunft in ihres Vaters Hause mit mir zugetragen hatte.

Der König, ob er gleich eben so gelehrt ist, wie irgend einer seiner Unterthanen, war besonders in Philosophie und Mathematik unterrichtet worden; als er jedoch meine Gestalt genau bemerkte, und erblickte, wie ich aufrecht einherging, hielt er mich, bevor ich zu sprechen begann, für eine Art Automaten (in Verfertigung dieser Maschinen ist nämlich das Volk von Brobdingnag zur größten Vollkommenheit gelangt), welche von irgend einem großen Künstler erfunden sey. Als er aber meine Stimme vernahm und bemerkte, was ich sage, bestehe aus regelmäßig gebauten Sätzen mit vernünftigem Sinn, da konnte er sein Erstaunen nicht verhehlen. Er war keineswegs mit dem Berichte zufrieden, den ich ihm über meine Ankunft im Königreiche gab, und glaubte, diese Geschichte sey nur zwischen Glumdalclitch und ihrem Vater verabredet, die mir eine Anzahl Wörter beigebracht hätten, um mich zu desto höherem Preise verkaufen zu können. In dieser vorgefaßten Meinung legte er mir mehrere Fragen vor und erhielt stets vernünftige Antworten, die in keiner andern Hinsicht mangelhaft waren, als daß ich in fremdem Accent sprach, bis jetzt noch eine unvollkommene Kenntniß der Sprache besaß und mehrere bäuerische Ausdrücke gebrauchte, die ich im Hause des Pächters gelernt hatte, die sich aber für den zierlichen Styl eines Hofes nicht eigneten.

Seine Majestät ließ drei große Gelehrte kommen, die gerade nach Landessitte den Wochendienst hatten. Diese Herren untersuchten einige Zeit lang meine Gestalt mit großer Genauigkeit und waren alsdann, hinsichtlich meiner, verschiedener Meinung. Alle drei stimmten darin überein, daß ich nicht nach den regelmäßigen Naturgesetzen geschaffen seyn könne, weil ich nicht zur Erhaltung meines Lebens, durch Erklettern der Bäume oder durch Eingraben in die Erde, gebildet sey. Sie sahen ferner aus meinen Zähnen, die sie sehr genau in Augenschein nahmen, ich sey ein fleischfressendes Thier; da jedoch die meisten Vierfüßler mich an Kraft bei weitem überträfen, und Feldmäuse, so wie einige Andere viel zu behende seyen, konnten sie sich nicht vorstellen, wovon ich lebte, wenn ich mich nicht von Schnecken und Insekten ernähre; zugleich aber erboten sich alle drei, durch sehr gelehrte Gründe zu beweisen, auch dies sey nicht wohl möglich. Einer dieser hochgelehrten Herren behauptete, ich könne ein Embryo oder eine frühzeitige Geburt seyn. Diese Meinung war aber von den andern Beiden verworfen, welche meine Glieder als vollkommen ausgebildet erkannten. Sie bemerkten ferner, ich habe schon mehrere Jahre gelebt, wie man aus meinen Bartstumpfen schließen könne, die ganz deutlich durch ein Vergrößerungsglas erkannt würden. Die drei Herren wollten mir auch nicht zugestehen, ich sey ein Zwerg, denn meine Kleinheit lasse sich mit Nichts vergleichen. Der Königin Lieblingszwerg, der kleinste, den es jemals im ganzen Reiche gegeben habe, sey doch wenigstens dreißig Fuß hoch. Nach langen Verhandlungen beschlossen sie einmüthig, ich sey nur Replum Scalcath, ein Wort, das der Ausdruck Lusus naturae (Naturspiel) wiedergeben kann. Dieser Beschluß war auch gewiß der neuern europäischen Philosophie vollkommen angemessen, deren Professoren diese wunderbare Auflösung aller Schwierigkeiten zum sicheren Fortschritt der menschlichen Kenntnisse erfunden haben, indem sie den alten Schlich der verborgenen Ursachen vermeiden, womit die Anhänger des Aristoteles vergeblich ihre Unwissenheit zu verdecken suchten. Nach diesem entscheidenden Schluß wagte ich die Bitte, man möge zwei bis drei Worte von mir anhören. Ich wandte mich an den König und gab Seiner Majestät die Versicherung, ich komme von einem Lande, welches mehrere Millionen beider Geschlechter von meiner Gestalt und Größe enthalte, wo Thiere, Bäume, Häuser in demselben Verhältnisse gebaut seyen, und wo ich mich deßhalb eben so gut vertheidigen und ernähren könne, wie irgend ein Unterthan Seiner Majestät in Ihren Staaten, und dieses halte ich für eine genügende Antwort auf die Beweisführung der gelehrten Herren. Diese aber antworteten mir allein mit einem verächtlichen Lächeln und fügten dann noch hinzu: der Pächter habe mir in meiner Geschichte gehörigen Unterricht gegeben. Der König jedoch, ein verständiger Mann, entließ die Gelehrten und befahl den Pächter herbeizurufen, der glücklicherweise die Stadt noch nicht verlassen hatte. Als dieser nun zuerst im Geheimen befragt, und alsdann mit seiner Tochter confrontirt worden war, begann Seine Majestät unserem Berichte Glauben zu schenken. Er bat die Königin Befehle zu geben, daß man mich mit besonderer Sorgfalt behandeln, und war der Meinung, Glumdalclitch solle ihr Amt, mich zu warten, auch noch ferner behalten, weil er bemerkt habe, daß wir beide große Zuneigung zu einander hegten. Ein passendes Zimmer ward dann bei Hofe für sie eingerichtet, sie erhielt eine Art Gouvernante, ein Kammermädchen zum Ankleiden, und zwei Mägde zu geringeren Diensten; meine Wartung ward ihr aber ausschließlich übertragen. Die Königin befahl ferner ihrem Hoftischler eine Schachtel zu verfertigen, die mir zum Schlafzimmer dienen solle und über deren Modell ich mitGlumdalclitch übereinkommen müsse. Dieser Tischler war ein trefflicher Handwerksmann, und vollendete, unter meiner Anleitung, in drei Wochen eine hölzerne Schachtel von sechzehn Quadratfuß Umfang und zwölf Fuß Höhe, Ziehfenstern, einer Thüre und zwei kleineren Nebengemächern, wie dies bei den Schlafzimmern in London der Fall zu seyn pflegt.

Das Brett, welches das Deckengetäfel bildete, konnte durch zwei Haspen auf- und niedergezogen werden, um ein fertiges und von den Tapezierern Ihrer Majestät mit Matrazzen und Kissen versehenes Bett einzulassen, welches Glumdalclitch, um es zu lüften, täglich herausnahm, und nachdem sie es mit eigener Hand mir gemacht hatte, wieder hinein legte, worauf sie dann das Dach über meinem Haupte zuschloß. Ein geschickter Tischler, welcher wegen seines künstlichen Spielzeugs berühmt war, unternahm die Verfertigung zweier Stühle mit Seiten- und Hinterlehnen aus einem dem Elfenbein ähnlichen Stoffe, so wie auch von zwei Tischen und einem Schrank, in welchen ich meine Sachen hineinlegen könne. Das Zimmer war an allen Seiten, so wie auf dem Fußboden und an der Decke gepolstert, um irgend ein Unglück zu vermeiden, welches durch die Sorglosigkeit derer entstehen könne, die mit meinem Transport beauftragt waren, so wie auch um die Stärke der Erschütterung zu vermeiden, wenn ich in einer Kutsche fuhr. Auch bat ich um ein Schloß vor meiner Thüre, um zu verhindern, daß Ratten und Mäuse hineinkämen. Der Schmid verfertigte nach mehreren Versuchen das kleinste Schloß, was jemals in Brobdingnag gesehen wurde, und ich selbst habe kein größeres an einem Hausthore in England erblickt. Ich versuchte es, den Schlüssel in meiner eigenen Tasche zu verwahren, denn ich befürchtete, Glumdalclitch möchte denselben verlieren. Die Königin befahl ebenfalls das dünnste Seidenzeug herbeizuschaffen, um mir Kleider verfertigen zu lassen, die viel dicker als eine englische Bettdecke und im Anfange mir sehr lästig waren, bis ich mich daran gewöhnt hatte. Die Kleider waren nach der Mode des Königreichs zugeschnitten, und glichen theilweise der chinesischen und theilweise der persischen, waren aber ein sehr ernstes und würdevolles Costüm.

Die Königin fand so viel Behagen an meiner Gesellschaft, daß sie ohne mich ihr Mittagsmahl nicht halten konnte. Ein Tisch für mich nebst einem Stuhl wurde auf die Tafel gesetzt, wo Ihre Majestät speiste, Glumdalclitch stand auf einem Schemel nahe bei meinem Tische um mir zu helfen und aufzuwarten. Ich hatte ein vollständiges Silberservice von Schüsseln und Tellern, so wie andere Geräthschaften, welches im Verhältniß zu dem Service der Königin nicht größer war, als Spielzeug der Art, das ich im Laden bei einem Kaufmann, zur Möblirung eines Puppenhauses bestimmt, gesehen habe. Meine liebeWärterin verwahrte dieselben in ihrer Tasche, und zwar in einer kleinen silbernen Schachtel, und reichte sie mir beim Essen sobald ich ihrer bedurfte, nachdem sie von ihr selbst zuvor gereinigt worden waren.

Niemand speiste mit der Königin, als die zwei königlichen Prinzessinnen, wovon die eine sechzehn und die andere dreizehn Jahre und einen Monat alt war. Ihre Majestät legte gewöhnlich ein Stück Fleisch auf meine Schüssel, das ich mir selbst zerschnitt, und sie fand Vergnügen daran, mich so in Miniature essen zu sehen; sie selbst (und sie hatte wirklich nur einen schwachen Magen) nahm auf einen Bissen so viel in den Mund, wie zwölf englische Pächter in einer Mahlzeit nicht essen können, ein Umstand, der mir Anfangs sehr ekelhaft war. Sie pflegte den Flügel einer Lerche, Knochen und Fleisch, mit den Zähnen zu zerreißen, obgleich er neunmal größer war als der eines gemästeten welschen Hahnes; ihre Bissen Brod waren sogar so groß als ein Dreigroschenlaib. Sie trank aus einem goldenen Becher, und bei jedem Schluck eine Masse, die dem Umfang eines Schweinkopfes gleichkam. Ihr Messer war so lang wie eine auf dem Stiel gerade gebogene Sense. Löffel, Gabel und anderes Geräth zeigte dasselbe Verhältniß. Wie ich mich erinnere, war ich einst neugierig, eine Tafel bei Hof zu sehen, und Glumdalclitch trug mich deßhalb zu einer derselben hin, wo ein Dutzend dieser ungeheuern Messer und Gabeln in Bewegung gesetzt waren. Ich muß aber gestehen, daß ich zuvor nie einen so furchtbaren Anblick geschaut habe.

Es ist Hofsitte, daß der König, die Königin und die königlichen Prinzen beider Geschlechter an jedem Mittwoch, der, wie gesagt, in Brobdingnag als Sonntag gilt, in den Zimmern des Königs zusammen speisen, dessen Gunst ich in hohem Grade erlangt hatte; alsdann ward mein kleiner Stuhl und Tisch ihm zur Linken bei einem Salzfaß hingestellt. Dieser Fürst fand viel Vergnügen an meiner Unterhaltung und erkundigte sich nach den Sitten, der Religion, den Gesetzen, der Regierung und derGelehrsamkeit in Europa, worüber ich ihm dann einen so vollständigen Bericht abstattete, wie es mir möglich war. Sein Verstand war so klar und seine Urteilskraft so ausgezeichnet, daß er mehrere sehr verständige Bemerkungen über Alles, was ich sagte, äußerte. Ich gestehe jedoch, daß ich einmal über mein geliebtes Vaterland, unsere See- und Landkriege, unsere Religionsspaltungen und politische Parteien sehr weitläufig sprach; da aber wirkten die Vorurtheile seiner Erziehung so stark auf ihn ein, daß er mich auf seine rechte Hand nahm, herzlich auflachte, mit der andern Hand mir einen sanften Schlag gab und mir die Frage vorlegte, ob ich Whig oder Tory sey. Dann wandte er sich zu seinem Premierminister, der mit einem weißen Stabe ehrerbietig hinter seinem Stuhle stand (dieser Stab war so lang wie der Hauptmast des englischen Linienschiffes Royal Sovereign) und sagte: Wie verächtlich doch jene Menschengröße seyn müsse, da solche Diminutiv-Insekten, wie ich, sie nachahmen könnten. Ja, ja, sagte er, diese Geschöpfe haben gewiß ihre besondere Titel und Rangunterschiede; sie bringen kleine Nester und Kaninchenbaue zu Stande, die sie Häuser und Städte nennen; sie paradiren mit Kleidern und Equipagen; sie lieben, kämpfen, zanken, betrügen und verrathen. In dieser Weise sprach er längere Zeit, während ich voll Unwillen die Farbe wechselte, als ich mein edles Vaterland, so ausgezeichnet durch Künste und Waffen, die Geißel Frankreichs und die Gebieterin Europas, den Sitz der Tugend, Frömmigkeit, Ehre, Wahrheit, den Stolz und den Neid der Welt, so verächtlich behandeln und verlästern hörte. Da ich mich nun aber in keiner Lage, Beleidigungen zu rächen, befand, so begann ich nach reiflicher Ueberlegung zu begreifen, daß ich überhaupt nicht beleidigt sey. Da ich nämlich schon mehrere Monate an den Anblick und das Gespräch mit diesen Leuten gewöhnt war, und jeden Gegenstand, worauf mein Blick fiel, nach seiner verhältnißmäßigen Größe betrachtete, so war der Schauder, den ich zuerst wegen ihrer Größe empfand, in so weit verschwunden, daß ich eine Gesellschaft von englischen Lords und Damen in vollem Putz zu sehen glaubte, welche auf die feinste Weise ihre Rollen im Sichbrüsten, Verbeugen und Schwatzen spielten. Um die Wahrheit zu reden, ich kam mehreremale in Versuchung, über sie eben so zu lachen, wie der König nebst seine Großen, über mich spottete. Auch konnte ich es nicht unterlassen, über mich selbst zu lächeln, wenn die Königin mich auf ihrer Hand vor einen Spiegel hielt, so daß unsere beide Gestalten in voller Größe von demselben wiedergegeben wurden; Nichts hatte alsdann so albern seyn können, als ein Vergleich zwischen uns, und es schien mir wirklich, meine Gestalt sey um mehrere Grade zusammengeschrumpft.

Niemand ärgerte und kränkte mich jemals so sehr wie der Zwerg der Königin. Da dieser nämlich eine solche Körperkleinheit besaß, die man bisher noch nie im Lande gesehen hatte (ich glaube wirklich, daß er nicht höher als dreißig Fuß war), ward er so unverschämt, als er ein noch unter ihm stehendes Geschöpf erblickte, daß er sich stets zu blähen und großzuthun pflegte, so oft er im Vorzimmer an mir vorüberging, während ich auf dem Tische stand und mich mit den Herrn und Damen unterhielt. Alsdann unterdrückte er selten einige spitze Worte über meine » Kleinheit.« Ich rächte mich an ihm dadurch, daß ich ihn Bruder nannte, zum Ringen aufforderte und Erwiderungen gab, wie sie im Munde der Hofpagen gewöhnlich sind. Eines Tages war diese boshafte, junge Katze über etwas, das ich ihm sagte, so verdrießlich, daß er auf die Seitenlehne des Armstuhls Seiner Majestät kletterte, mich um die Mitte meines Leibes packte, da ich ohne an Arges zu denken, ruhig da saß, in eine silberne Schaale voll Milch hineinwarf und dann so schnell wie möglich fortlief. Ich mußte zuerst mit dem Kopfe untertauchen, und wäre ich kein guter Schwimmer gewesen, so hätte es mir schlimm ergehen können.Glumdalclitch befand sich damals gerade am andern Ende des Zimmers, und die Königin war so erschrocken, daß es ihr an Geistesgegenwart fehlte, mir zu helfen. Allein meine kleine Wärterin lief herbei um mich zu retten und zog mich heraus, nachdem ich ungefähr ein Quart Milch verschluckt hatte. Ich wurde zu Bett gebracht, erlitt jedoch keinen besondern Schaden, als daß mein Anzug vollkommen verdorben war. Der Zwerg ward tüchtig gepeitscht und mußte noch außerdem zur Strafe die Milch, in welche er mich geworfen, austrinken; auch erhielt er nie wieder die Gunst der Königin, und Seine Majestät verschenkten ihn bald darauf, zu meiner großen Freude, an eine Frau von hohem Stande, sonst würde der boshafte Kobold seine Rache sicherlich bis zum Aeußersten getrieben haben.

Auch schon früher spielte er mir einen Streich, worüber die Königen lachen mußte, obgleich sie sich zugleich herzlich darüber ärgerte, und ihn auf der Stelle kassirt haben würde, wenn ich nicht so großmüthig gewesen wäre, Fürsprache für ihn einzulegen. Seine Majestät hatte einen Markknochen auf ihren Teller genommen und stellte denselben, nachdem sie ihn vom Marke geleert, wieder aufrecht in die Schüssel, wie er zuerst gestanden hatte. Der Zwerg nun benutzte einen Augenblick, woGlumdalclitch an den Kredenztisch gegangen war, stieg auf den Schemel, worauf meine Wärterin, um beim Essen zu bedienen, vorher gestanden, packte mich mit beiden Händen, drückte meine Beine zusammen, quetschte sie in den Markknochen bis über meinen Leib hinein, wo ich dann einige Zeit stecken blieb und eine sehr lächerliche Figur machte. Wie ich glaube, wußte man eine ganze Minute lang durchaus nicht, was aus mir geworden wäre, denn ich glaubte, es sey unter meiner Würde, laut aufzuschreien. Da aber alle Gerichte nur selten warm auf eine fürstliche Tafel gebracht werden, wurde die Haut meiner Schenkel nicht verbrüht, und nur die Strümpfe und Beinkleider geriethen in schlimme Beschaffenheit. Der Zwerg erhielt auf meine Bitte keine andere Strafe, als eine genügende Anzahl derber Peitschenhiebe.

Die Königin spottete häufig über meine Furchtsamkeit, und fragte mich gewöhnlich, ob alle Leute in meinem Vaterlande dieselbe Feigheit, wie ich, besäßen. Die Veranlassung war folgende: Das Königreich wird im Sommer sehr durch Fliegen überschwemmt und diese verhaßten Insekten, von der Größe einer Lerche, gönnten mir, durch ihr ewiges Summen an meinen Ohren keinen Augenblick Ruhe; oft setzten sie sich auf meine Nahrung und ließen dort ihren eckelhaften Unrath und ihre Eier zurück, die mir, aber nicht den Eingeborenen des Landes, sichtbar waren, weil Letztere, in Hinsicht kleinerer Gegenstände, kein scharfes Gesicht besitzen. Bisweilen setzten sie sich mir auf Nase und Stirne und beängstigten mich dadurch bis zum Aeußersten, denn zugleich stanken sie auch auf höchst ekelhafte Weise, ich konnte sogar jene klebrige Materie genau sehen, welche diese Geschöpfe, nach Behauptung unserer Naturforscher, in Stand setzt, mit aufwärts gekehrten Beinen, an den Zimmerdecken einherzuspazieren. Die Abwehrung dieser verabscheuungswürdigen Thiere, kostete mich viel Mühe, und es war mir unmöglich, nicht zurückzufahren, sobald sie auf mein Gesicht zuflogen. Der Zwerg spielte mir gewöhnlich den Streich, daß er eine Anzahl Insekten, wie Schulknaben bei uns, mit der Hand fing und sie dann plötzlich unter meiner Nase fliegen ließ, um mich zu erschrecken und die Königin zu amüsiren. Mein Gegenmittel bestand aber darin, daß ich sie mit meinem Messer, während sie in der Luft flogen, zerschnitt, und da ich mir viel Gewandtheit in diesem Verfahren erwarb, habe ich auch zugleich viele Bewunderung damit erregt.

Wie ich mich erinnere, hatte Glumdalclitch mich einst in der Schachtel vor ein offenes Fenster hingesetzt, ein Verfahren, das an schönen Tagen, damit ich frische Luft schöpfte, bei ihr gewöhnlich war. Ich wagte es nämlich nie, meine Schachtel an einem Nagel ausserhalb des Fensters hinhängen zu lassen, wie dies bei uns in England mit Käfigen zu geschehen pflegt. Ich schob eines meiner Fenster in die Höhe und setzte mich an meinen Tisch, um ein Stück süßen Kuchen zum Frühstück zu verzehren. Da aber drangen zwanzig Wespen, durch den Geruch herbeigelockt, in das Zimmer und brummten dabei lauter, wie eben so viele Maultrommeln oder Dudelsäcke. Einige derselben ergriffen meinen Kuchen und trugen ihn stückweise fort, andere flogen mir um Kopf und Gesicht, betäubten mich mit ihrem Geräusch und versetzten mich in die äußerste Furcht vor ihren Stacheln. Ich hatte jedoch den Muth aufzustehen, mich mit dem Messer zu vertheidigen und sie in der Luft anzugreifen. Viele derselben wurden von mir getödtet die übrigen flogen fort und ich schloß mein Zimmer.

Diese Insekten waren so groß wie Rebhühner; ich zog die Stacheln aus den Leichen und fand, daß erstere anderthalb Zoll lang und so scharf wie Nadeln waren. Ich habe sie sämmtlich mit Sorgfalt aufbewahrt, zeigte sie nach meiner Rückkehr, nebst andern Merkwürdigkeiten, in mehreren Theilen von Europa, schenkte drei Stacheln der Schule von Gresham, und behielt den vierten für mich selbst.

Biographie von Jonathan Swift


Biographie von Jonathan Swift.

Das Leben Swifts ist ein Gegenstand voll Interesse und Belehrung für alle diejenigen, die über die Wechselfälle nachdenken mögen, aus denen das Geschick der Männer zusammengesetzt ist, die durch ihren Ruf und ihre Talente berühmt sind. Bei seiner Geburt von allen Hülfsmitteln entblößt, erzogen durch das kalte sorglose Mitleid zweier Oheime, von academischen Ehren ausgeschlossen, während mehrerer Jahre auf den unzulänglichen Schutz Sir William Temples beschränkt, bieten die ersten Blätter der Geschichte Swifts nur das Gemälde eines erniedrigten, in seinen Hoffnungen betrogenen Genius. Trotz aller dieser Nachtheile brachte er es dahin, der Rathgeber eines britischen Ministeriums, der geschickteste Vertheidiger seines Verwaltungssystems und der vertraute Freund aller der Männer zu werden, die unter der klassischen Regierung der Königin Anna durch ihren Adel oder ihre Talente merkwürdig waren.

Die Ereignisse seiner letzten Jahre bieten einen nicht weniger auffallenden Contrast dar. In die Ungnade seiner Beschützer verwickelt wurde er verfolgt, verließ England, lebte von seinen Freunden getrennt, und erreichte dann auf einmal einen Grad von Popularität, der ihn zum Abgott Irlands und zum Schrecken derer machte, welche dieses Königreich regierten. Nicht weniger außerordentlich ist sein Privatleben. Er liebte zwei der schönsten und anziehendsten Frauen seiner Zeit und wurde von ihnen ebenfalls zärtlich geliebt; aber sein Schicksal wollte, daß er mit keiner derselben jemals eine glückliche und friedliche Verbindung eingehen sollte, und er sah sie nach einander in das Grab steigen mit der Ueberzeugung, daß ihre tödtliche Krankheit durch den Schmerz über ihre betrogenen Hoffnungen und eine schlecht erwiderte Liebe verursacht worden sey.

Swifts Talente, die Quelle seiner Berühmtheit und seines Stolzes, deren Glanz so lange die Welt geblendet und bezaubert hatte, wurden, je mehr er sich dem Ende seines Lebens näherte, durch Krankheit verdunkelt, durch Leidenschaften verkehrt, und ehe er dasselbe erreichte, standen sie denen der gewöhnlichsten Menschen weit nach.

Swifts Leben ist also eine wichtige Lehre für alle berühmte Männer; es wird zeigen, daß, wenn das Genie auf der einen Seite vom Unglück sich nicht niederdrücken lassen soll, die Berühmtheit andererseits, so groß sie auch seyn möge, den Eigendünkel nicht ermuthigen müsse. Wenn diejenigen, denen das Schicksal die glänzenden Fähigkeiten versagt hat, mit denen er begabt war, oder diejenigen, denen die Gelegenheit fehlte, sie zu entwickeln, die Geschichte dieses berühmten Mannes lesen, so werden sie die Ueberzeugung gewinnen, daß das Glück weder von einem politischen Einfluß, noch von einem großen Ruhme abhängig ist.

I


I.

Jonathan Swift, Doktor der Theologie und Dechant zu St. Patrick in Dublin, stammte von dem jüngeren Zweige der FamilieSwift in der Grafschaft York ab, die seit vielen Jahren in dieser Provinz ansäßig war.

Sein Vater war der sechste oder siebente Sohn des ehrwürdigen Thomas Swift, Pfarrers zu Goodrich. Die Zahl der Kinder dieses Geistlichen und die Bescheidenheit ihres Vermögens gestatten es nicht, die Aufeinanderfolge derselben genauer anzugeben. Der Dechant selbst benachrichtigt uns, daß sein Vater einige Agentschaften und Aemter in Irland bekleidete.

Jonathan wurde zu Dublin in einem kleinen Hause im Court of Hoeys geboren, das die Bewohner dieses Stadtviertels noch zeigen. Seine Kindheit war, wie die seines Vaters, durch einen sonderbaren Umstand bezeichnet. Es war nicht die Wiege, die diesmal von Soldaten geraubt wurde, wie es bei Thomas Swift geschehen war, sondern diesmal wurde das Kind selbst entführt.

Die Amme, die von Whitehaven war, wurde von einem sterbenden Verwandten, von dem sie ein Vermächtniß erwartete, in ihre Heimath zurückgerufen. Sie war dem Kinde, das ihrer Sorgfalt anvertraut war, so zugethan, daß sie es mit sich nahm, ohne Frau Swift davon zu benachrichtigen. Es blieb drei Jahre in Whitehaven; seine Gesundheit war so zart, daß seine Mutter es keine zweite Reise wollte wagen lassen, und es daher der Frau überließ, die ihm diese Probe ihrer Anhänglichkeit gegeben hatte. Die gute Amme trug so viel Sorge für die Erziehung des Kindes, daß es, als es nach Dublin zurückkam, buchstabiren konnte; mit fünf Jahren las es bereits in der Bibel.

Swift theilte die Dürftigkeit einer Mutter, die er zärtlich liebte, und lebte von den Wohlthaten seines Oheims Godivin. Diese Abhängigkeit scheint von seiner Kindheit an einen tiefen Eindruck auf seinen stolzen Charakter gemacht zu haben, und von dieser Zeit an begann sich bei ihm jener menschenfeindliche Geist zu zeigen, den er nur zugleich mit dem Gebrauch seiner intellektuellen Fähigkeiten verlor. Als nachgeborenes Kind, vom Mitleid erzogen, gewöhnte er sich frühe, den Tag seiner Geburt als einen Tag des Unglücks zu betrachten, und er versäumte nie bei der alljährigen Wiederkehr dieses Tages die Stelle in der Schrift zu lesen, in welcher Hiob den Tag beweint und verflucht, an welchem man im Hause seines Vaters anzeigte, »daß ein Männlein geboren sey.«

In einem Alter von sechs Jahren schickte man ihn in die Schule von Kilkenny, die von der Familie Ormond gegründet und ausgestattet worden war. Hier zeigt man den Fremden noch Swifts Pult, auf welchem er seinen Namen mit einem Messer eingegraben habe.

Von Kilkenny aus wurde Swift im vierzehnten Jahre in das Dreifaltigkeits-Kollegium nach Dublin gesandt. Es scheint nach den Registern, daß er daselbst als Kostgänger am 24. April 1682 aufgenommen wurde und St. Georg Ashe zum Lehrer gehabt habe. Sein Vetter, Thomas Swift, wurde um dieselbe Zeit aufgenommen und die zwei Familiennamen, die ohne die Taufnamen in den Registern aufgeführt wurden, haben über einige geringfügige Umstände im Leben des Dechanten Ungewißheit verbreitet. Als Swift an die Universität aufgenommen wurde, forderte man von ihm, sich mit den gewöhnlichen Studien jener Zeit abzugeben. Aber darunter gab es einige, die seinem Geiste nicht sehr zusagten. Vergebens empfahl man ihm die Logik, die man damals als die Wissenschaft par excellence betrachtete. Er hatte einen natürlichen Widerwillen gegen die Sophismen des Smiglecius, Keckermannus, Burgersdicius und anderer ernsthafter Doktoren, die wir heut zu Tage kaum mehr kennen. Sein Lehrer konnte es nicht dahin bringen, daß er auch nur drei Seiten von diesen Gelehrten in uslas, obgleich es unerläßlich war, einen Begriff von den Erklärern des Aristoteles zu haben, um durch das Examen zu kommen. Ebenso vernachläßigte er alle Studien, die ihm nicht gefielen. Er las weniger, um sich zu belehren, als um sich zu unterhalten, oder um traurige Gedanken von sich abzuhalten. Aber seine Lektüre war jedenfalls mannigfaltig; und er mußte viel gelesen haben, denn er hatte bereits eine Skizze des »Mährchens von der Tonne« auf’s Papier geworfen, die er Hrn.Waryng gezeigt hatte. Was muß man daraus schließen? Daß ein träger Student des siebenzehnten Jahrhunderts durch Lektüre, die er zum Zeitvertreib in seinen Mußestunden vornahm, Kenntnisse erwerben konnte, die einen fleißigen Studenten unserer Zeit in Staunen setzen würden.

Wir haben keine sichern Angaben,, um über den Umfang der Kenntnisse Swifts urtheilen zu können; man kann nicht sagen, daß er ein tiefes Wissen besaß, aber gewiß ein mannigfaltiges. Seine Schriften bezeugen, daß die Geschichte der alten und neuen Poesie ihm vertraut war; er ist nie in Verlegenheit, zur Bestätigung des Gegenstandes, den er gerade vor sich hat, die klassischen Stellen anzuführen, die für seinen Zweck die geeignetsten sind. Obgleich er keine hohe Vorstellungen von seinen Kenntnissen hat und sich den Vorwurf machte, durch seine Trägheit und Unwissenheit einen akademischen Grad verscherzt zu haben; obgleich er diejenigen heftig tadelte, die einem Manne den Titel eines Gelehrten gaben, der nicht den größten Theil seines Lebens den Studien gewidmet hatte, machte er doch nicht viel aus einem Studenten, der nichts als Fleiß besaß.

Während so Swift seine Studien ohne Beharrlichkeit, nach seinen Launen betrieb, hätte er sie beim Tode seines OheimsGodwin, bei dessen Gelegenheit die Zerrüttung seines Vermögens an den Tag kam, beinahe unterbrechen müssen, wenn er nicht in seinem Oheim Dryden William Swift einen Gönner gefunden hätte. Herr Dryden kam seinem Neffen zu Hülfe; er behandelte ihn, wie es scheint, mit mehr Gewogenheit und Wohlwollen, als sein Bruder Godwin; aber sein nicht sehr beträchtliches Vermögen erlaubte ihm nicht, freigebiger zu seyn, als sein Bruder. Swift hat sein Andenken stets werth gehalten, und spricht oft von ihm als von dem besten seiner Verwandten. Er erzählte oft einen Vorfall, der, während er im Collegium war, sich ereignete, und dessen Held sein Vetter Willoughby Swift, der Sohn Dryden Williams, war. Swift, der ohne einen Pfennig in der Tasche in seinem Zimmer saß, bemerkte im Hofe einen Matrosen, der nach dem Zimmer eines Studenten zu fragen schien. Es kam ihm der Gedanke, dieser Mensch könne mit irgend einer Botschaft von seinem VetterWilloughby beauftragt seyn, der damals Kaufmann in Lissabon war. Kaum war ihm diese Idee durch den Kopf gefahren, als die Thüre seines Zimmers sich öffnete, und der Fremde, sich ihm nähernd, eine große lederne Börse voll Geld aus der Tasche zieht, die er als ein Geschenk seines Vetters Willoughby vor Swift hinlegt. Swift hoch erfreut, reicht dem Boten einen Theil seines Schatzes, den der ehrliche Matrose nicht annehmen will.

Von diesem Augenblick an beschloß Swift, der das Unglück der Dürftigkeit kennen gelernt hatte, sein bescheidenes Einkommen so zu verwalten, daß er nie mehr in die äußerste Noth käme. Er führte eine solche Ordnung in seiner Lebensart ein, daß es aus seinen Tagebüchern, die man aufbewahrt hat, hervorgeht, wie er sich jedes Jahr bis auf einen Sou hinaus von seinen Ausgaben Rechenschaft geben konnte von seiner Universitätszeit an, bis zu dem Augenblick, wo er den Gebrauch seiner Geisteskräfte verlor.

Im Jahre 1688 brach der Krieg in Irland aus; Swift war damals 21 Jahre alt. Ohne viel Geld; wenn auch nicht ohne Kenntnisse, doch mit dem Rufe, keine zu besitzen, mit dem Makel eines unruhigen und störrischen Charakters, und ohne einen einzigen Freund, der ihn hätte aufnehmen und unterhalten können, verließ er das Collegium in Dublin. Mehr von der Liebe, als von der Hoffnung geleitet, schlug er den Weg nach England ein und begab sich zu seiner Mutter, welche damals in der Grafschaft Leicester wohnte. Frau Swift, die sich selbst in einer abhängigen und ärmlichen Lage befand, empfahl ihrem Sohne, den Sir William Temple um Schutz anzugehen, dessen Gattin mit ihr verwandt war und die Familie Swift gekannt hatte. Thomas Swift, der Vetter unsers Autors, war Caplan des Sir William gewesen.

Man bat, und die Bitte wurde gewährt; aber längere Zeit hindurch bemerkte man von Seiten Sir William Temples kein Zeichen der Liebe oder des Vertrauens. Der vollendete Staatsmann, der fein gebildete Gelehrte fand wahrscheinlich keinen besonderen Geschmack an dem reizbaren Charakter und den unvollständigen Kenntnissen seines neuen Tischgenossen. Aber die Vorurtheile Sir Williams zerstreuten sich nach und nach: der Beobachtungsgeist Swifts gab ihm die Mittel, zu gefallen und er vermehrte seine Kenntnisse durch ein anhaltendes Studium, dem er acht Stunden täglich widmete. Diese Zeit, wohl angewendet, machte einen Mann mit den Fähigkeiten Swifts zu einem unschätzbaren Schatze für einen Gönner, wie Temple, bei welchem er zwei Jahre blieb. Das üble Befinden Swifts nöthigte ihn, seine Studien zu unterbrechen; eine Unverdaulichkeit hatte seinen Magen erkältet und ihm apoplectische Zufälle zugezogen, die ihn an den Rand des Grabes brachten; die Wirkungen derselben begleiteten ihn durch das ganze Leben. Einmal war er so krank, daß er nach Irland ging, in der Hoffnung, die Luft seines Geburtslandes könne ihm wohlthätig werden; aber als er keine Erleichterung fühlte, kehrte er nach Moorpark zurück, wo er die ruhigen Zwischenzeiten, die ihm sein Unwohlseyn gestatteten, zum Studium anwendete.

Damals geschah es, daß Sir William Temple ihm einen großen Beweis seines Vertrauens gab, indem er ihm gestattete, bei seinen vertraulichen Zusammenkünften mit dem König Wilhelm, wenn dieser nach Moorpark kam, gegenwärtig zu seyn, eine Auszeichnung, welche Temple dem vertrauten Verhältnisse verdankte, das zwischen ihnen in Holland bestanden hatte, die er mit ehrerbietiger Ungezwungenheit aufnahm und durch weise konstitutionelle Rathschläge belohnte. Während SirWilliam durch die Gicht im Bette zurückgehalten war, hatte Swift den Auftrag, den König zu begleiten; und alle Biographen des Dichters haben wiederholt, daß Wilhelm ihm eine Kompagnie Reiterei anbot und ihn die Spargel nach holländischer Weise schneiden lehrte. Es wäre nicht recht, wollte man den hier gewonnenen Vortheil verschweigen, daß er dieses Gericht durch das Beispiel des Königs auf holländische Weise, das heißt ganz mit Stumpf und Stiel essen lernte. Noch solidere Vortheile wurden seinem Ehrgeiz geboten. Man machte ihm Hoffnung auf Beförderung im geistlichen Stande, dem er sich aus Neigung und durch die Aussicht, die sich vor ihm öffnete, bestimmte. Das große Vertrauen, das man auf ihn setzte, rechtfertigte diese Hoffnung. Sir William Temple beauftragte ihn, dem König die Gründe vorzustellen, die ihn bestimmen mußten, zu dem Antrage auf die dreijährige Dauer des Parlaments seine Zustimmung zu geben; und er führte für die AnsichtTemples mehrere weitere Beweisgründe an, die er aus der Geschichte Englands hernahm. Aber der König beharrte auf seiner Opposition, und der Antrag wurde durch den Einfluß der Krone auf das Haus der Gemeinen verworfen. Dies war die erste Beziehung, in welche Swift mit dem Hofe kam; und er sagte oft seinen Freunden, dies habe dazu gedient, ihn von seiner Eitelkeit zu heilen. Er hatte wahrscheinlich auf den Erfolg seiner Unterhandlungen gerechnet, und war tief gekränkt, als er sie scheitern sah.

Als Swift nach Irland zurückkehrte, und zu einer Stelle von hundert Pfund Sterling Einkünfte ernannt war, forderten die Bischöfe, an die er sich wandte, um ordinirt zu werden, ein Zeugniß seines guten Betragens während seines Aufenthalts bei Sir William Temple. Diese Bedingung war unangenehm: um das Zeugniß zu erhalten, mußte man sich fügen, mußte man bitten. Swift brauchte fünf Monate, um sich dazu zu entschließen. Er sandte einen Entschuldigungsbrief und die Bitte wurde gewährt; der Brief Swift’s war wahrscheinlich der erste Schritt zur Versöhnung mit seinem Gönner. In weniger als zwölf Tagen erhielt er das verlangte Zeugniß, denn sein Ordinationsschein als Diakonus ist vom 18. Oktober 1694 datirt, und der als Priester vom 13. Januar 1695. Sir William Temple hatte, wie man glauben muß, den gewünschten Zeugnissen noch eine Empfehlung an den Lord Capel beigelegt, der damals Vicekönig von Irland war; denn beinahe unmittelbar, nachdem Swiftzum Priester ordinirt war, wurde er auf die Pfründe von Kilroot, in der Diöcese Connor, ernannt, die ungefähr hundert Pfund Sterling jährlich trug. Er zog sich auf diese bescheidene Stelle zurück und lebte hier als Dorfpfarrer.

Das Leben, das er in Kilroot führte, und das so verschieden war von dem in Moorpark, wo er die Gesellschaft aller durch Geburt oder Genie ausgezeichneten Männer genossen hatte, wurde ihm bald verleidet. Inzwischen fühlte Temple, seit erSwift entbehrte, diesen Verlust schmerzlich und drückte ihm den Wunsch aus, er möchte wieder nach Moorpark kommen. Während Swift zögerte, ehe er auf eine selbst gewählte Lebensweise verzichtete, um seine früher verlassene wieder aufzunehmen, scheint ein Umstand, der die ganze Milde seines Charakters beurkundet, seinen Entschluß entschieden zu haben. Auf einem seiner Ausflüge war er einem Geistlichen begegnet, mit dem er sich verband, weil er ihn sehr unterrichtet, bescheiden und sittlich fand. Dieser gute Pfarrverweser war Vater von acht Kindern und seine Stelle trug ihm vierzig Pfund Sterling ein. Swift, der keine Pferde hatte, entlehnte von ihm seine schwarze Stute, ohne ihm von seiner Absicht etwas zu sagen, begab sich nach Dublin, verzichtete auf seine Stelle in Kilroot und setzte es durch, daß sie auf seinen neuen Freund übertragen wurde. Das Gesicht des guten Greises drückte im ersten Augenblick nur das Vergnügen aus, das er empfand, sich auf eine Pfründe ernannt zu sehen; aber als er erfuhr, daß es die seines Wohlthäters sey, der zu seinen Gunsten darauf verzichtet hatte, da nahm seine Freude einen so rührenden Ausdruck der Ueberraschung und der Dankbarkeit an, daß Swift, selbst tiefbewegt, sagte: er habe niemals in seinem Leben so viel Vergnügen genossen, als an diesem Tage. Als Swiftabreiste, drang der gute Geistliche in ihn, die schwarze Stute anzunehmen, die er nicht ausschlug, um ihn nicht zu kränken. Beritten, zum erstenmale auf einem Pferde, das ihm gehörte, mit achtzig Pfund Sterling in der Börse, schlug Swift den Weg nach England ein, und bekleidete in Moorpark wieder die Stelle eines Sekretärs Sir William Temples.