Kapitel 1


Kapitel 1 Der Verfasser gibt Nachricht von seiner Person und seiner Familie. Seine erste Veranlassung zu reisen. Er leidet Schiffbruch, sucht sich durch Schwimmen zu retten, erreicht wohlbehalten den Strand von Lilliput, wird gefangen genommen und in das Innere des Landes gebracht.

Mein Vater besaß ein kleines Gut in Nottinghamshire; ich war der Dritte seiner fünf Söhne. Mit dem vierzehnten Jahre ward ich auf die Universität Cambridge geschickt, wo ich drei Jahre lang blieb und fleißig studirte. Jedoch die damit verbundenen Kosten waren zu groß für das kleine Vermögen meines Vaters, obgleich ich nur einen unbedeutenden Wechsel erhielt; somit wurde ich bei HerrnJames Bates, einem ausgezeichneten Wundarzte der Hauptstadt London, in die Lehre gegeben, bei welchem ich drei Jahre blieb. Von Zeit zu Zeit schickte mir mein Vater kleine Geldsummen, die ich auf die Erlernung der Schifffahrtkunde und auf das Studium anderer mathematischen Wissenschaften verwandte, deren Kenntniß für diejenigen durchaus nothwendig ist, welche große Reisen unternehmen wollen; ich hegte nämlich immer ein gewisses Vorgefühl, dies werde früher oder später mein Schicksal seyn. Als ich Herrn Bates verließ, kehrte ich zu meinem Vater zurück, und erlangte von ihm, meinem Onkel James und einigen andern Verwandten die Summe von 43 Pfund. Zugleich wurden mir 30 Pfund jährlich versprochen, so daß ich die Universität Leyden beziehen konnte. Dort studierte ich zwei Jahre und sieben Monate die Medicin. Ich wußte, daß sie mir auf großen Reisen von Nutzen seyn würde.

Bald nach meiner Rückkehr von Leyden erhielt ich durch die Empfehlung meines guten Lehrers Bates die Stelle eines Wundarztes auf der Schwalbe, deren Capitän der Commander Abraham Pannel war. Mit diesem Schiffe machte ich einige Reisen nach der Levante und andern Gegenden. Nach meiner Rückkehr beschloß ich, mich in London niederzulassen, wozu mich auch Hr. Bates ermuthigte, nachdem er mich mehreren seiner Patienten empfohlen hatte. Ich miethete mir ein Stockwerk eines kleinen Hauses in Old Jewry, und da man mir rieth den Stand des Hagestolzen aufzugeben, verheirathete ich mich mit Marie Burton, der zweiten Tochter des Strumpfhändlers Edmund Burton in Newgatestreet, von der ich 60 Pfund Mitgift erhielt.

Nach zwei Jahren starb aber mein guter Lehrer Bates. Ich hatte nur wenig Freunde und somit verschlimmerte sich auch mein Geschäft, denn mein Gewissen erlaubte mir nicht auf tadelnswerthe Art in meiner Praxis mitunter zu verfahren, wie dies bei so vielen meiner Collegen gewöhnlich ist. Nachdem ich deßhalb eine lange Berathung mit meiner Frau und mehreren meiner Bekannten gehalten hatte, beschloß ich wieder in See zu gehen. Ich wurde Wundarzt auf zwei Schiffen und machte sechs Jahre lang verschiedene Reisen nach Ostindien und Amerika, wodurch ich mein Vermögen etwas vermehrte. In meinen Mußestunden las ich die besten älteren und neueren Schriftsteller, denn ich hatte stets eine nicht unbedeutende Anzahl Bücher mitgenommen; war ich an’s Land gegangen, so beobachtete ich die Sitten und Charaktere der verschiedenen Nationen und erlernte ihre Sprachen. Durch die Stärke meines Gedächtnisses war ich zu letzterem befähigt.

Da die letzte dieser Reisen nicht sehr glücklich ausfiel, ward ich des Seefahrens müde, und beschloß, bei meiner Frau und meiner Familie zu bleiben. Ich zog aus Old Jewry nach Fetterlane und von da nach Wapping, denn ich hoffte, unter den dortigen Matrosen mir eine ärztliche Praxis zu verschaffen; allein diese Veränderung schlug nicht zu meinem Vortheil aus. Nachdem ich drei Jahre auf eine Verbesserung meiner Lage gewartet hatte, erhielt ich vom Capitän William Prichard, dem Eigenthümer der Antilope, welche im Begriff war, nach der Südsee abzusegeln, ein vortheilhaftes Anerbieten. Wir fuhren am 4. Mai 1699 von Bristol ab und unsre Reise war anfangs glücklich.

Einige Gründe bestimmen mich, den Leser mit den Einzelnheiten unsrer Reise in jenen Meeren nicht zu langweilen; es genüge die Bemerkung, daß wir auf unserer Fahrt von Bristol nach Ostindien durch einen heftigen Sturm nordwestlich von Van Diemen’s Land getrieben wurden. Durch nautische Beobachtungen bemerkten wir, daß wir uns in der 2ten Minute des 30sten Grades südlicher Breite befanden. Zwölf Mann hatten wir durch übermäßige Arbeit bei schlechter Nahrung bereits verloren; die Uebrigen waren gänzlich erschöpft. Am 5. November, dem Anfang des Sommers unter diesen Breitengraden, war das Wetter trübe; die Matrosen gewahrten ein Felsenriff in der Entfernung von einer halben Kabel-Länge; der Wind war stark. Wir wurden darauf hingetrieben und scheiterten. Sechs von der Mannschaft, worunter ich mich befand, setzten das Boot aus und suchten vom Schiff und dem Felsenriff loszukommen. Wir ruderten nach meiner Berechnung drei Seemeilen, bis es unmöglich ward, die Ruder länger zu führen, da unsere Kräfte durch fortwährende Anstrengung im Schiffe bereits aufgerieben waren. Wir gaben uns deßhalb den Wogen preis und nach ungefähr einer halben Stunde ward das Boot durch einen plötzlichen Windstoß von Norden her umgeworfen. Ich kann nicht berichten, was aus meinen Gefährten im Boot und der Schiffsmannschaft geworden ist, vermuthe jedoch, daß sie ertranken. Was mich betrifft, so schwamm ich auf gut Glück, wohin Wogen und Fluth mich trieben.

Oft ließ ich die Füße herabhängen, konnte aber keinen Grund fassen; als ich beinah verloren war, denn ich konnte nicht länger mit den Wellen ringen, fand ich endlich festen Boden; zugleich ließ auch der Sturm nach. Der Strand war so flach, daß ich beinah eine Meile gehen mußte, bevor ich auf das trockene Ufer, um 8 Uhr Abends wie ich glaube, gelangte. Alsdann ging ich noch eine halbe Meile, konnte aber keine Spur von Einwohnern und Wohnungen entdecken. Zuletzt ward ich so schwach, daß ich gar nichts mehr bemerkte. Da ich sehr müde und das Wetter heiß war, ich auch, als ich das Schiff verließ, eine halbe Pinte Branntwein getrunken hatte, fühlte ich Neigung zum Schlaf. Ich legte mich auf das Gras, welches mir kurz und weich zu seyn schien und schlief dann fester, wie jemals in meinem Leben, so viel ich weiß, und wie ich glaube an die neun Stunden. Als ich erwachte, war der Tag angebrochen. Ich versuchte aufzustehn, konnte mich aber nicht bewegen; während ich auf dem Rücken lag, bemerkte ich, daß meine Arme und Beine fest gebunden an dem Boden hafteten. Dasselbe war mit meinen sehr langen und dicken Haaren der Fall. Auch fühlte ich mehrere kleine Binden am ganzen Leibe von den Schulterhöhlen bis zu den Schenkeln. Ich konnte nur aufwärts blicken; die Sonne ward heiß und ihr Licht blendete meine Augen. Ich vernahm ein verwirrtes Geräusch in meiner Nähe; in der Stellung jedoch, die ich einnahm, konnte ich nur den Himmel sehen. Mittlerweile fühlte ich, wie sich etwas auf meinem linken Schenkel bewegte; irgend ein Geschöpf rückte leise vorwärts, und kam über meine Brust bis fast an mein Kinn; ich erkannte in demselben eine Menschengestalt von etwa sechs Zoll Höhe, mit Bogen und Pfeilen in der Hand und mit einem Köcher auf dem Rücken. Zugleich fühlte ich, daß wenigstens noch vierzig derselben Menschengattung dem Ersteren folgten. Ich war äußerst erstaunt und brüllte so laut, daß sie sämmtlich erschrocken fortliefen; Einige, wie ich nachher hörte, beschädigten sich durch den Fall, als sie von meiner Seite herabspringen wollten. Sie kamen aber bald wieder; Einer von ihnen wagte sich so weit, daß er vollkommen in mein Gesicht blicken konnte, erhob voll Bewunderung seine Hände und Augen und rief mit schallender und deutlicher Stimme:Hekinah Degul. Die Uebrigen wiederholten dieselben Worte mehrere Male; ich konnte damals aber den Sinn derselben noch nicht verstehen.

Der Leser wird wohl vermuthen, daß ich mich in keiner bequemen Lage befand; ich suchte los zu kommen und hatte zuletzt das Glück, die Stricke zu zerreissen oder die Pfähle abzubrechen, woran mein rechter Arm befestigt war. Als ich ihn nun zum Gesicht erhob, bemerkte ich die Art, wie man mich gebunden hatte. Durch einen heftigen Ruck, der mir viel Schmerz verursachte, machte ich die Bande, welche mein Haar auf der rechten Seite hielten, etwas lockerer, so daß ich im Stande war, meinen Kopf zwei Zoll umzuwenden; allein die Geschöpfe liefen noch einmal fort, ehe ich eines derselben ergreifen konnte, worauf ein sehr lauter Ruf von mehreren Stimmen entstand, der aber schnell wieder verhallte. Hierauf hörte ich, wie Einer Tolgo Phonac rief. Sogleich trafen mehr als hundert Pfeile meine linke Hand und prickelten mich wie Nadeln. Außerdem wurde eine andere Salve in die Luft, so wie wir die Bomben in Europa schleudern, geschossen. Ich glaube, eine Menge Pfeile fiel auf meinen Körper, ich habe sie aber nicht gefühlt. Einige richteten ihre Geschosse auf mein Gesicht, das ich sogleich mit der rechten Hand bedeckte. Als dieser Pfeilschauer vorüber war, begann ich aus Gram und wegen meiner Schmerzen zu seufzen; ich suchte mich wieder loszumachen, und erhielt noch eine zweite und größere Salve; Einige suchten mit Speeren in meine Seite zu stechen; zum Glück aber trug ich ein Wamms von Büffelleder, das sie nicht durchbohren konnten. Ich hielt es deßhalb für das Klügste regungslos liegen zu bleiben, bis die Nacht einbräche.

Da meine linke Hand bereits von den Banden gelöst war, konnte ich mich sehr leicht gänzlich befreien, und was die Einwohner betraf, so hegte ich die Ueberzeugung, ihrem größten Heere vollkommen gewachsen zu seyn, wenn alle Soldaten von derselben Größe wären, wie jenes Geschöpf, das ich gesehen. Allein das Glück hatte mir ein andres Loos beschieden. Als die Volksmasse meine Ruhe sah, gab sie mir keine weitere Salve von Pfeilen; aus dem Lärm, den ich vernahm, konnte ich jedoch den Schluß ziehen, daß ihre Anzahl sich vermehrte. Auch vernahm ich, wie man in Entfernung von vier Ellen, meinem rechten Ohre gegenüber, ungefähr eine Stunde lang in der Art polterte, wie es bei beschäftigten Arbeitern der Fall zu seyn pflegt. Deßhalb drehte ich den Kopf nach der Seite hin, so gut es die Stricke und Pfähle erlaubten, und erblickte ein ungefähr anderthalb Fuß hohes Gerüst, welches mit einer oder drei Leitern, um es zu besteigen, versehen, vier jener Eingebornen tragen konnte.

Von dort aus hielt eines der Geschöpfe, wie es schien ein Mann von Stande, eine lange an mich gerichtete Rede, wovon ich aber keine Sylbe verstand. Jedoch ich muß noch erwähnen, daß jene Hauptperson, bevor, sie ihre Rede begann, dreimal ausrief: Langro dehul san (diese, so wie auch die früheren Worte wurden mir nachher wiederholt und erklärt). Hierauf traten ungefähr fünfzig Einwohner näher, welche die Stricke an der linken Seite meines Kopfes abschnitten, so daß ich denselben rechts hin drehen und die Gestalt so wie die Handlung des Diminutiv-Menschen, welcher reden wollte, beobachten konnte. Er war ein Mann von mittlerer Größe, und schlanker als die andern drei, welche ihn begleiteten. Einer derselben war ein Page, der ihm die Schleppe hielt, und etwas länger als mein Mittelfinger zu seyn schien. Die andern Beiden standen an den Seiten der hohen Person, um sie zu halten. Diese spielte vollkommen die Rolle eines Redners, und ich konnte manche Perioden der Drohung, eine andere der Versprechung, des Mitleids und der Höflichkeit unterscheiden. Ich antwortete in wenig Worten, jedoch in der unterthänigsten Weise. Die linke Hand und die Augen erhob ich zur Sonne, als wollte ich sie zum Zeugen anrufen. Da ich nun aber mehrere Stunden, bevor ich das Schiff verließ, nur einige sehr schmale Bissen gegessen hatte, war ich jetzt beinahe verhungert; die Ansprüche der Natur wirkten deßhalb mit solcher Stärke, daß ich es nicht unterlassen konnte, meine Ungeduld, vielleicht gegen die strengen Regeln des Anstandes, dadurch zu zeigen, daß ich meinen Finger mehrere Male in den Mund steckte, um anzudeuten, ich müsse durchaus Nahrung zu mir nehmen.

Der Hurgo (so nannten die Andern den erwähnten vornehmen Herrn, wie ich nachher erfuhr) verstand mich vollkommen. Er stieg von dem Gerüste herab und gab Befehl, mehrere Leitern an meine Seite zu stellen; ungefähr hundert Einwohner stiegen hinauf und gingen mit Körben voll Fleisch, welches auf des Königs Befehl nach der ersten Nachricht von meiner Ankunft hieher gesandt war, auf meinen Mund zu. Ich erkannte dasselbe als das Fleisch verschiedener Thiere, konnte es aber nach dem Geschmack nicht unterscheiden. Mir wurden Keulen- und Rippenstücke, von der Gestalt der Hammel-Keulen und Rippen, gebracht; sie waren sehr schmackhaft gekocht, aber nur von der Größe eines Lerchenflügels. Zwei oder drei steckte ich auf einmal mit drei runden Broden, so dick wie Musketenkugeln, in den Mund. Jene versahen mich nun so schnell als möglich mit Nahrung, und äußerten dabei mehr als tausendmal ihr Erstaunen über meine Größe und meinen Hunger. Darauf gab ich ein anderes Zeichen, daß ich zu trinken wünsche. Sie hatten durch meinen Appetit bereits erkannt, eine kleine Quantität werde mir nicht genügen und da sie nun sehr verständig waren, zogen sie mit vieler Geschicklichkeit eines ihrer größten Fässer zu mir hinauf, rollten es auf meine Hand und stießen den Boden ein; ich trank es mit einem Zuge aus, und dies war ganz natürlich, denn es enthielt keine halbe Pinte und schmeckte beinah wie der sogenannte Petit Bourgogne,aber köstlicher. Alsdann brachte man mir ein zweites Faß, das ich auf dieselbe Weise leerte; ich gab durch Zeichen zu verstehen, man möge mir noch mehr bringen, aber leider war nichts mehr vorhanden. Als ich diese Wunder vollbrachte, stießen die erwähnten Geschöpfe ein lautes Geschrei aus, tanzten auf meiner Brust und wiederholten mehrere Male, wie früher, Hekinah Degul. Dann gaben sie mir durch Zeichen zu verstehen, ich solle die leeren Fässer fortwerfen. Zuerst aber hatten sie den Umstehenden erklärt, auf ihrer Hut zu seyn. Als die Fässer nun durch die Luft flogen, ertönte ein abermaliges Freudengeschrei.

Ich muß gestehen, daß ich wohl in Versuchung kam, dreißig oder vierzig von jenen Herren, welche auf meiner Brust herum spazirten, die ich packen konnte, mit kurzem Proceß auf den Boden zu werfen. Allein die Erinnerung meiner so eben überstandenen Plage, wahrscheinlich noch nicht die schlimmste Peinigung, die in ihrer Macht lag, und dann auch mein Ehrenwort ruhig zu bleiben, (denn so deutete ich mir meine unterthänigen Bewegungen) brachte mich bald auf andere Gedanken. Außerdem hielt ich mich durch die Gesetze der Gastfreundschaft jenen Leuten für moralisch verpflichtet. Sie bewirtheten mich ja mit so viel Kostenaufwand und Freigebigkeit. Dennoch mußte ich über die Unerschrockenheit dieser Diminutiv-Menschen erstaunen, welche keck genug auf meinem Leibe spazieren gingen, während meine linke Hand durchaus zu meiner Verfügung stand, und die dennoch nicht vor einem so wunderbaren Geschöpf, wie ich ihnen erscheinen mußte, erzitterten. Als meine neuen Bekannten darauf bemerkten, daß ich nicht weiter zu essen verlangte, erschien eine Person hohen Ranges von Seiten Seiner Kaiserlichen Majestät. Seine Excellenz stieg auf mein rechtes Knie, unter meinen Waden hinauf; marschirte mit einem Dutzend Trabanten an mein Gesicht, präsentirte mir sein Creditiv mit dem königlichen Siegel, hielt es mir dicht vor die Augen, und sprach ungefähr zehn Minuten ohne Zeichen von Zorn, jedoch mit dem Ausdruck der Entschlossenheit; oftmals wies die Excellenz nach einer bestimmten Richtung, wo, wie ich bald bemerkte, die Hauptstadt in der Entfernung einiger Meilen lag. Seine Majestät hatte nämlich im geheimen Rathe beschlossen, mich dorthin transportiren zu lassen. Ich antwortete in wenig Worten. Allein, was half mir das? Deßhalb machte ich ein Zeichen mit meiner noch freien Hand. Ich legte sie auf die andre (beiläufig gesagt, ich mußte mich sehr in Acht nehmen, den Kopf seiner Excellenz nicht zu berühren, und ihn oder sein Gefolge zu beschädigen) und dann auf meinen Kopf und meinen Leib. Dies sollte nämlich bedeuten, ich wünsche meine Freiheit. Wie es schien, verstand Se. Excellenz mich vollkommen, schüttelte jedoch mißbilligend ihr Haupt und hielt ihre Hand in solcher Art, daß sie mir zu verstehen gab, ich müsse als Gefangener fortgeführt werden. Zugleich aber eröffnete sie mir durch andere Zeichen, ich würde Getränk und Speise zur Genüge erhalten und sehr gut behandelt werden. Hierauf versuchte ich noch einmal meine Fesseln zu zerreißen, allein zum zweiten Mal empfand ich das Prickeln der Pfeile auf Gesicht und Händen, die bereits beide mit Blasen bedeckt waren; auch fühlte ich, daß noch einige Pfeile in der Haut steckten, und sah zugleich, wie die Zahl meiner Feinde sich vermehrte. Somit gab ich Zeichen, sie mögten mit mir thun, was sie wollten. Alsdann entfernte sich der Hurgo nebst seinem Gefolge mit vieler Höflichkeit und vergnügtem Gesicht. Bald darauf vernahm ich einen allgemeinen Schrei, worin die Worte Peplom selanhäufig wiederholt wurden; ich fühlte zugleich wie eine Menge von Leuten die Stricke an meiner linken Seite in der Art lösten, daß ich mich auf die rechte umdrehen konnte, um endlich meine Blase zu erleichtern.

Dies that ich in vollem Maße, zum großen Erstaunen meiner neuen Bekannten, die aus meinen Bewegungen auf mein Vorhaben schlossen und sogleich rechts und links eine Gasse öffneten, den Strom zu vermeiden, der mit solchem Getöse und solcher Heftigkeit aus mir hervorbrauste. Zuvor jedoch hatten sie mir Gesicht und Hände mit einer angenehm duftenden Salbe eingerieben, welche in wenigen Minuten den durch die Pfeile verursachten Schmerz entfernte; dieser Umstand, so wie auch die Erfrischung, die ich durch Getränk und Speise erhalten hatte, welche wirklich sehr nahrhaft war, machte mich zum Schlaf geneigt. Wie man mir nachher gesagt hat, schlief ich acht Stunden, und dies war sehr natürlich, denn die Aerzte hatten auf Befehl des Kaisers einen Schlaftrunk mit dem Weine gemischt. Wie es scheint, war der Kaiser, sobald man mich nach meiner Landung auf dem Strande schlafend gefunden hatte, sogleich durch Couriere davon benachrichtigt worden und hatte im Staatsrath beschlossen, man solle mich in der von mir berichteten Weise fesseln und verhaften, wie es wahrend meines Schlafes geschah; ferner solle mir Speise und Trank zur Genüge gereicht, und eine Maschine zu meinem Transport in die Hauptstadt in Stand gerichtet werden.

Dieser Entschluß konnte vielleicht kühn und gefährlich erscheinen; auch würde ein europäischer Fürst bei ähnlicher Gelegenheit schwerlich eine solche Maßregel treffen. Nach meiner Meinung war er aber sowohl klug als edelmüthig. Hätten nämlich jene Leute es versucht, mich mit ihren Pfeilen und Speeren zu tödten, während ich schlief, so wäre mein erstes Gefühl beim Erwachen sicherlich ein heftiger Schmerz gewesen; dadurch wäre meine Wuth und alle meine Kraft aufgeregt worden, so daß ich meine Bande sehr leicht würde zersprengt haben. Da sie in dem Fall mir keinen Widerstand hätten leisten können, durften sie auch keine Gnade erwarten.

Das Volk zeichnet sich durch mathematisches Wissen aus und hat es zu einer großen Vollkommenheit in mechanischen Arbeiten gebracht, weil der Kaiser, der überhaupt als berühmter Beschützer der Gelehrten gilt, jene Bestrebungen unterstützt und ermuthigt. Dieser Fürst besitzt mehrere auf Rädern ruhende Maschinen zum Transport der Bäume und anderer Dinge von großem Gewicht. Er läßt oft seine größten Kriegsschiffe, wovon einige an neun Fuß lang sind, an Ort und Stelle, wo das Zimmerholz wächst, verfertigen, und dann in der Entfernung von drei bis vierhundert Ellen zur See fahren. Fünfhundert Zimmerleute und Ingenieure wurden sogleich in Thätigkeit gesetzt, um die größte Maschine der Art, welche vorhanden war, in der Schnelle zuzurichten. Es war ein hölzerner und drei Zoll über den Boden erhabener Bau, sieben Fuß lang, vier Fuß breit, und mit zweiundzwanzig Rädern versehen. Der Freudenruf, den ich vernahm, erscholl wegen der Ankunft der Maschine, die, wie es schien, schon vier Stunden nach meiner Landung in Bewegung gesetzt wurde. Sie ward mit meiner Lage parallel gestellt; aber nun kam die größte Schwierigkeit. Wie sollte ich auf das Fuhrwerk gehoben werden? Achtzig Pfähle von ein Fuß Höhe wurden zu dem Zweck eingerammt. Sehr starke Stricke, von der Dicke eines Bindfadens, wurden mit Haken an eine gleiche Zahl von Banden geheftet, welche die Arbeiter mir um Hände, Hals, Leib und Arme geschlungen hatten. An den Pfählen hingen diese Stricke auf Rollen; neunhundert der stärksten Männer wanden dieselben auf. Somit wurde ich in ungefähr drei Stunden emporgehoben, in die Maschine geworfen und dort festgebunden. Alles dies ist mir nachher erzählt worden, denn während der Operation lag ich, wegen des Schlaftrunkes in dem von mir genossenen Weine, im tiefsten Schlaf. Fünfzehnhundert Pferde, die größten, welche der Kaiser besaß, die an Länge zwei Zoll und an Höhe einen halben Zoll betrugen, wurden vorgespannt, um mich zur Hauptstadt zu ziehen, welche, wie ich hörte, eine halbe Meile entfernt war.

Nachdem wir ungefähr vier Stunden unterweges gewesen waren, erwachte ich durch einen sehr lächerlichen Umstand. Als nämlich das Fuhrwerk anhielt, damit irgend einer plötzlichen Verwirrung abgeholfen werde, konnten zwei oder drei junge Eingeborne ihre Neugier, mich schlafen zu sehen, nicht unterdrücken. Sie kletterten auf das Fuhrwerk, und schlichen sich auf den Zehen an mein Gesicht. Einer von ihnen, ein junger Gardeoffizier, steckte aber in mein linkes Nasenloch die Spitze seines Spontons, welche mich wie ein Strohhalm kitzelte, so daß ich mehrere Male niesen mußte. Dann schlichen sie sich unbemerkt davon und erst nach drei Wochen erfuhr ich die Ursache meines plötzlichen Erwachens. Während der übrigen Zeit machten wir einen langen Marsch; in der Nacht ward Halt gemacht. Fünfhundert Gardisten waren an jeder Seite aufgestellt; die eine Hälfte derselben trug Fackeln; die andere, mit Bogen und Pfeilen ausgerüstet, stand bereit auf mich zu schießen, sobald ich mich rühren würde. Am nächsten Morgen setzten wir bei Sonnenaufgang uns wieder in Bewegung und waren gegen Mittag nur noch zweihundert Ellen von den Stadthoren entfernt. Der Kaiser kam uns mit seinem ganzen Hofe entgegen; die Großoffiziere wollten aber durchaus nicht leiden, daß Seine Majestät durch das Besteigen meines Körpers sein Leben in Gefahr setze.

Der Wagen hielt bei einem alten Tempel an, welcher, wie es hieß, der größte im ganzen Königreiche war. Einige Jahre vorher war er durch einen unnatürlichen Mord befleckt worden. Das Volk hielt ihn deshalb für entweiht und man hatte ihn nunmehr zum gewöhnlichen Gebrauch bestimmt und alle heiligen Geräthe und Verzierungen daraus hinweggeschafft. Das Gebäude ward mir als Wohnung angewiesen. Das große nach Norden hin gerichtete Thor war vier Fuß hoch und zwei Fuß breit, so daß ich bequem hindurchkriechen konnte. Auf jeder Seite dieses Thores befand sich ein kleines Fenster, kaum sechs Fuß über dem Boden erhaben; auf dem, welches sich links befand, spannte der Hofschmied des Königs einundneunzig Ketten aus, von der Größe derjenigen, woran die Damen ihre Uhren tragen; diese wurden mit einundsechszig Schlössern an meinem linken Schenkel befestigt. Dem Tempel gegenüber, auf der anderen Seite der Heerstraße, stand in der Entfernung von zwanzig Fuß ein wenigstens fünf Fuß hoher Thurm. Diesen bestieg der Kaiser mit dem ersten Adel seines Hofes, um mich zu sehen. Ich selbst konnte sie nicht erblicken, habe es aber nachher erfahren. Zu demselben Zweck sollen wenigstens hunderttausend Menschen aus der Stadt gekommen seyn, und ich glaube, daß nicht weniger wie zehntausend meinen Leib mit Leitern erstiegen, und den Verboten meiner Wachen trotzten. Bald aber erschien eine Proklamation, welche diese Neugier bei Todesstrafe untere sagte. Als die Arbeiter sahen, es sey mir unmöglich meine Ketten zu brechen, durchschnitten sie alle Stricke, womit ich gefesselt war. Hierauf erhob ich mich in so melancholischer Gemüthsverfassung, wie ich noch nie bisher empfunden hatte. Allein der Lärm und das Staunen des Volkes, als man mich aufstehen und herumgehen sah, ist nicht zu beschreiben. Die Ketten an meinem linken Schenkel waren ungefähr zwei Ellen lang und gestatteten mir nicht allein im Halbkreise vorwärts und rückwärts zu gehen, sondern erlaubten mir auch in das Thor zu kriechen und mich der Länge nach im Tempel auszustrecken, da sie vier Zoll vom Thore befestigt waren.

Kapitel 8

Kapitel 8 Der Verfasser gibt Bericht von mehreren Eigenschaften der Yaehus. Die großen Tugenden der Hauyhnhnms. Ihre Erziehung und ihre Uebungen während der Jugend. Ihre allgemeine Versammlung.

Ich mußte natürlich mit der menschlichen Natur genauer wie mein Herr bekannt seyn, und somit wurde es mir leicht, den Charakter der Yähus, wie er ihn darstellte, auf mich und meine Landsleute anzuwenden. Auch glaubte ich, vielleicht würde ich durch eigene Beobachtung fernere Entdeckungen machen können. Deßhalb bat ich oft meinen Herrn, mir die Erlaubniß zu ertheilen, daß ich unter die benachbarten Heerden der Yähus gehen dürfe; er hatte auch die Güte, seine Einwilligung zu geben, denn er hegte die vollkommene Ueberzeugung, der Haß, den ich gegen dieses Vieh hege, werde verhindern, daß ich durch dasselbe verdorben würde. Alsdann befahl er auch einem Diener, dem fuchsrothen Klepper, welcher sehr stark, ehrlich und gutmüthig war, mich zu bewachen. Ohne diesen Schutz hätte ich niemals die Abenteuer, die ich beschreiben will, gewagt.

Ich habe ja dem Leser schon erzählt, wie ich bei meiner Ankunft von jenen Thieren belästigt wurde. Später wäre ich ein- oder zweimal beinahe in ihre Klauen gefallen, als ich ohne meinen Hirschfänger zufällig in einiger Entfernung von meiner Wohnung spazieren ging. Auch habe ich Grund zu dem Glauben, daß sie einigen Begriff hegten, ich gehöre zu ihrer Gattung. Daran war ich aber selbst Schuld, denn ich hatte oft meine Rockärmel aufgekrämpt, und Arme so wie Füße, wenn mein Beschützer bei mir war, ihnen nackt gezeigt. Alsdann kamen sie mir so nahe, wie sie dies wagten, und pflegten meine Bewegungen wie Affen nachzuahmen, wobei sie jedoch immerwährend Zeichen des Hasses offenbarten, so wie ein zahmer Affe mit Mütze und Strümpfen, wenn er in die Gesellschaft der wilden gelangt, stets verfolgt wird.

Von Kindheit auf sind die Yähus ausserordentlich behende; einst fing ich einen dreijährigen Jungen und suchte durch alle Arten von Liebkosungen denselben ruhig zu machen, allein der kleine Kobold begann zu kreischen und mich mit solcher Heftigkeit zu beißen und zu kratzen, daß ich ihn aufgeben mußte; auch war es Zeit, daß ich ihn los ließ, denn eine ganze Heerde von alten Yähus lief bei dem Geräusch herbei; als sie aber fand, der Junge sey unverletzt (denn er lief mit größter Schnelligkeit), und da der fuchsbraune Klepper in der Nähe stand, wagte kein Yähu mir nahe zu kommen.

Ich bemerkte, das Fleisch des jungen Thieres sey sehr stinkend; er hatte einen Geruch, der aus dem eines Wiesels und eines Fuchses zusammengesetzt, aber bei Weitem unangenehmer war. Ich vergaß noch einen Umstand (und wahrscheinlich würde ich die Verzeihung des Lesers erlangen, hätte ich denselben gänzlich ausgelassen); während ich das verhaßte Geschöpf mit den Händen hielt, entleerte es seinen Koth über meine Kleider; glücklicherweise war ein kleiner Bach in der Nähe, wo ich mich so rein wie möglich abwusch. Ich wagte es jedoch nicht, vor meinem Herrn zu erscheinen, bevor ich mich gehörig gelüftet hatte.

Nach Allem, was ich entdecken konnte, scheinen die Yähus die ungelehrigsten Thiere zu seyn. Ihre Fähigkeiten gelangen nie weiter, als daß sie Lasten weiterziehen und tragen können. Ich glaube jedoch, dieser Mangel entsteht nur aus ihrem verkehrten und störrigen Charakter. Sie sind listig, verrätherisch, boshaft und rachsüchtig. Sie sind stark und kräftig, aber zugleich auch feig, und folglich unverschämt, niederträchtig und grausam. Man hat bemerkt, die Rothharigen beider Geschlechter seyen gieriger und boshafter wie die Uebrigen, die sie jedoch in Stärke und Thätigkeit übertreffen.

Die Hauyhnhnms verwahren die Yähus, die sie gewöhnlich gebrauchen, in Hütten, welche von ihren Wohnungen nicht sehr entfernt liegen. Die übrigen werden auf bestimmte Felder gesandt, wo sie Wurzeln ausgraben, jede Kräuterart essen, Aeser aufsuchen und bisweilen Wiesel oder Luhimuhs (eine Art wilder Ratten) fangen, die sie mit Gier verschlingen. Die Natur hat sie gelehrt, mit den Nägeln tiefe Löcher in die abhängige Seite eines Hügels zu graben, wohin sie sich einzeln niederlegen; die Lagerstätten für die Weibchen sind jedoch größer, so daß sie auch zwei oder drei Junge fassen können.

Von ihrer Kindheit auf können sie wie Frösche schwimmen und auch lange unter Wasser bleiben, wo sie häufig Fische fangen, welche die Weibchen nach Hause zu ihren Jungen tragen. Ich hoffe, der Leser wird mir verzeihen, wenn ich bei dieser Gelegenheit ein sonderbares Abenteuer erzähle. Als ich eines Tages bei sehr heißem Wetter mit meinem Beschützer, dem fuchsbraunen Klepper spazieren ging, bat ich ihn um die Erlaubniß, mich in einem nahen Flusse baden zu dürfen. Er gab seine Einwilligung; ich zog mich sogleich nakt aus und ging langsam in den Fluß hinein. Zufällig stand aber eine junge weibliche Yähu hinter einer Anhöhe und sah das ganze Verfahren; sie kam sogleich, von Begierde, wie ich und der Klepper vermuthete, entzündet, mit aller Eile herbeigelaufen und sprang in der Entfernung von fünf Ellen, wo ich badete, in’s Wasser hinein. Nie in meinem Leben habe ich einen solchen Schreck empfunden. Der Klepper graste in einiger Entfernung, da er nichts Böses vermuthete. Die Yähu umarmte mich in der ekelhaftesten Weise. Ich brüllte so laut wie möglich, worauf der Klepper zu mir galoppirte; sie ließ mich mit dem größten Widerstreben los und sprang auf das entgegengesetzte Ufer, wo sie während der ganzen Zeit, da ich meine Kleider anlegte, zusah und heulte.

Dies gab meinem Herrn und seiner ganzen Familie viel Stoff zur Belustigung, sowie mir zur Kränkung. Ich konnte nämlich jetzt nicht mehr läugnen, ich sey ein wirklicher Yähu, in jedem Gliede und nach meinen Gesichtszügen, da die Weibchen eine natürliche Neigung, als zu einem Geschöpf ihrer eigenen Species, hegten. Auch war das Haar dieses Thieres nicht von rother Farbe, die einige Entschuldigung für unregelmäßige Begierden hätte gewähren können, sondern schwarz wie eine Schlehe, und ihr Gesicht war auch nicht ganz so scheußlich wie bei den Uebrigen, so daß ich glaube, sie konnte nicht über elf Jahre alt seyn.

Da ich drei Jahre in diesem Lande gelebt habe, so erwartet der Leser, wie ich glaube, daß ich, wie andere Reisende, ihm einen Bericht von den Sitten und Gewohnheiten der Einwohner gebe, deren Kenntniß wirklich mein Hauptstudium bildete.

Da diese edlen Hauyhnhnms von der Natur mit einer allgemeinen Anlage zu allen Tugenden begabt sind, und keine Begriffe und Ideen von dem Bösen bei vernünftigen Geschöpfen besitzen, so besteht ihr Hauptgrundsatz in Ausbildung der Vernunft, um durchaus von derselben geleitet zu werden. Auch gilt die Vernunft bei ihnen nicht als problematischer Punkt, wie dies bei uns der Fall ist, wo man plausible Gründe für und gegen deren Existenz angeben kann, sondern sie erweckt bei ihnen augenblickliche Ueberzeugung, wie dies überall nothwendig ist, wo sie durch Leidenschaft und Interesse nicht vermischt, verdunkelt oder entfärbt wird.

Ich erinnere mich noch, wie ich meinem Herrn einen Begriff von der Bedeutung des Wortes Meinung, oder über die Möglichkeit des Disputirens, nur mit größter Schwierigkeit beibringen konnte. Er meinte nämlich, die Vernunft lehre uns ja nur da zu läugnen oder zu behaupten, wo wir unserer Sache gewiß seyen; läge irgend etwas jenseits unserer Kenntnisse, sey beides für uns unmöglich. Somit sind Controverse, Zänkereien und Disputationen über falsche und zweifelhafte Sätze bei den Hauyhnhnms durchaus unbekannte Uebel. In derselben Art pflegte er mich auszulachen, als ich ihm unsere verschiedenen Systeme der Naturphilosophie auseinandersetzte, weil ein Geschöpf, welches auf Vernunft Anspruch mache, sich auf die Vermuthungen anderer Leute so viel einbilde, und besonders auch in Dingen, wo diese Kenntniß, selbst wenn sie gewiß wäre, zu Nichts helfen könne. Hierin stimmte er vollkommen mit den Gedanken des Socrates überein, wie siePlato uns darlegt, und ich glaube, durch diese Bemerkung jenem Fürsten der Philosophen die größte Ehre zu erweisen. Oft habe ich überlegt, wie ungeheure Verluste die europäischen Buchhandlungen durch eine solche Lehre erleiden müßten und wie viele Wege zum Ruhm der gelehrten Welt dadurch verschlossen würden. Freundschaft und Wohlwollen sind die zwei hauptsächlichsten Tugenden der Hauyhnhnms, und diese werden nicht auf einzelne Individuen beschränkt, sondern über das ganze Geschlecht hin ausgedehnt. Ein Fremder, aus dem entferntesten Theile des Landes, wird eben so wie der nächste Nachbar behandelt; wohin er auch kömmt, benimmt er sich sogleich als sey er zu Hause.

Die Hauyhnhnms beobachten Anstand und Höflichkeit im höchsten Grade, sind aber mit Komplimenten gänzlich unbekannt. Sie hegen keine Zärtlichkeit zu ihren Füllen; die Sorgfalt, die sie jedoch auf die Erziehung verwenden, entspringt ausschließlich aus den Vorschriften der Vernunft. Ich bemerkte auch, daß mein Herr dieselbe Neigung zu den Kindern seines Nachbars hegte, wie für seine eigenen. Sie glauben, die Natur erfordere, daß man die ganze Gattung liebe; es sey ferner vernünftig, daß man blos diejenigen Individuen auszeichne, welche einen höheren Grad der Tugend besitzen.

Wenn eine Matrone der Hauyhnhnms mit einem Füllen niedergekommen ist, so kommt sie mit ihrem Gatten nur dann noch zusammen, wenn durch irgend einen Zufall ein Füllen ihrer Nachkommenschaft verloren geht; ein Umstand, der sich jedoch nur sehr selten ereignet. Betrifft ein solches Unglück ein Individuum, dessen Gattin schon sehr alt ist, so erhält dasselbe ein Füllen von einem andern Paare, das dann wieder zusammen lebt. Diese Vorsicht ist nothwendig, damit das Land nicht zu sehr bevölkert werde. Die Race der niederen Hauyhnhnms muß sich jedoch nicht so genau auf diese Zahl beschränken; ihre Füllen dürfen von jedem Geschlechte drei betragen, die alsdann später als Bediente in den adelichen Familien angestellt werden.

Bei den Ehen zeigen die Hauyhnhnms besondere Sorgfalt in der Wahl der Farben, um keine unangenehme Mischung in der Race zu veranlassen. Kraft wird hauptsächlich bei den männlichen und Zierlichkeit bei den weiblichen Individuen geschützt, jedoch nicht in Betreff der Liebe, sondern um die Entartung der Race zu verhindern; wo nämlich ein Weibchen durch Körperstärke sich auszeichnet, wird der Gatte mit besonderer Rücksicht auf Zierlichkeit gewählt.

Das Hofmachen, die Zärtlichkeiten, die Geschenke, das Nadelgeld und Versorgung sind unbekannte Begriffe.

Das junge Paar kommt zusammen und wird ganz allein deßhalb verbunden, weil dies der Wille seiner Eltern und Verwandten ist. Die jungen Leute betrachten dies als etwas ganz Gewöhnliches und als eine Handlung, welche vernünftigen Wesen natürlich ist. Eine Verletzung der Ehe und eine andere unmoralische Handlung ist jedoch unerhört, und das verheirathete Paar verbringt sein Leben in derselben gegenseitigen Freundschaft und mit demselben Wohlwollen, welches Anderen, die mit ihnen zusammen kommen, erwiesen wird; Eifersucht, Zärtlichkeit, Zänkerei oder Unzufriedenheit sind unbekannte Begriffe.

In Erziehung der Jungen von beiden Geschlechtern ist die Methode der Hauyhnhnms bewunderungswürdig und verdient unsere Nachahmung. Die Füllen dürfen kein Korn, Hafer berühren, mit Ausnahme gewisser Tage, bis sie das achtzehnte Jahr erreicht haben; Milch erhalten sie nur selten; im Sommer grasen sie zwei Stunden des Morgens und dieselbe Zeit am Abend, wobei sie von ihren Eltern beobachtet werden. Den Dienern ist nicht mehr als die Hälfte dieser Zeit zugestanden, und ein großer Theil des Grases, wovon sie sich nähren, wird nach Hause gebracht. Sie essen dasselbe in passenden Stunden, wenn man sie am besten bei der Arbeit entbehren kann.

Mäßigkeit, Fleiß, Körperbewegung und Reinlichkeit werden als immerwährende Lehren den Füllen beider Geschlechter gegeben. Auch hielt es mein Herr für ein widernatürliches Verfahren, daß wir den weiblichen Personen unseres Geschlechtes eine andere Erziehung wie den männlichen geben, mit Ausnahme einiger Punkte, welche die Verwaltung des Hauswesens betreffen. Er bemerkte mit vollkommenem Recht, die Hälfte unserer Eingeborenen sey deßhalb zu nichts anderem brauchbar, als zum Hervorbringen von Kindern. Der Umstand jedoch, daß man die Erziehung der Kinder solchen nutzlosen Personen anvertraue, sey ein noch größerer Beweis von unserer thierischen Natur.

Die Hauyhnhnms ziehen dagegen ihre Jugend zur Kraft, Schnelligkeit und Abhärtung auf; dieselbe muß auf steilen Anhöhen und steinigem Boden öftere Wettrennen halten. Sind die Füllen in Schweiß gerathen, so müssen sie bis über die Ohren in einen Teich oder Fluß sich tauchen. Viermal des Jahres kommt die Jugend eines bestimmten Distrikts zusammen, um ihre Fortschritte im Laufen, Springen und anderen Beweisen ihrer Fertigkeit und Behendigkeit zu zeigen; der Sieger oder die Siegerin wird dabei mit einem Lobgedichte belohnt. Bei dieser Festlichkeit treiben die Bedienten eine Heerde Yähus auf das Feld, welche mit Heu, Hafer und Milch zur Bewirthung der Hauyhnhnms bestimmt sind. Alsdann aber werden die Thiere sogleich wieder zurückgetrieben, damit sie der Gesellschaft nicht lästig werden.

Alle vier Jahre wird im Frühlingsäquinoctium eine Repräsentativ-Versammlung der ganzen Nation auf einer Ebene gehalten, welche ungefähr zehn Stunden von unserem Hause entfernt liegt. Hier untersuchen die Hauyhnhnms den Zustand der verschiedenen Distrikte, ob dieselben Ueberfluß an Heu, Hafer, Kühen, Yähus besitzen, oder daran Mangel leiden. Findet sich irgendwo ein Mangel (ein Fall, der sich jedoch nicht häufig ereignet), so wird er sogleich durch einstimmig ertheilten Beitrag wieder ausgeglichen. Hier werden auch die Regulirungen, hinsichtlich der Kinder festgesetzt; z. B. wenn ein Hauyhnhnm zwei männliche Kinder hat, so vertauscht er eines mit einem andern, der zwei weibliche besitzt; ist ferner ein Kind durch Zufall verloren gegangen und die Mutter bereits schon alt, so wird beschlossen, welcher Distrikt ein anderes Kind aufziehen soll, um den Verlust zu ersetzen.

Kapitel 9


Kapitel 9 Eine große Debatte in der allgemeinen Versammlung der Hauyhnhnms und was darin beschlossen wird. Die Gelehrsamkeit der Hauyhnhnms. Ihre Gebäude. Ihre Begräbnißart. Die Mangelhaftigkeit ihrer Sprache.

Über eine dieser großen Versammlungen will ich hier berichten, welche drei Monate vor meiner Abreise gehalten wurde, und an welcher mein Herr als Repräsentant seines Distriktes Antheil nahm. In dieser Versammlung wurde die alte Debatte wieder aufgenommen, welche beinahe die einzige in dem Lande ist. Mein Herr gab mir darüber nach seiner Rückkehr einen sehr ausführlichen Bericht.

Die Frage betraf die Vertilgung der Yähus von der Erde. Ein Parlamentsglied sprach dafür und führte mehrere gewichtige Gründe für seine Meinung an. Es behauptete: So wie die Yähus die schmutzigsten, unruhigsten und häßlichsten Thiere seyen, welche die Natur jemals hervorgebracht habe, so zeigten sie sich auch störrig, ungelehrig und boshaft. Im Geheimen sögen sie Milch aus den Brüsten der Kühe, welche den Hauyhnhnms gehörten, tödteten und fräßen die Katzen derselben, zerträten Hafer und Gras, wenn man nicht ein genaues Auge auf sie habe, und begingen tausend andere Ausschweifungen.

Der Redner führte alsdann eine allgemeine Tradition an: Yähus habe es nicht ewig in seinem Vaterlande gegeben. Vor langer Zeit seyen zwei dieser Thiere auf einem Berge erschienen. Ob sie von der Hitze der Sonne aus verfaultem Morast und Schlamm, oder aus dem Abfluß und dem Schaum der See entstanden seyen, bleibe ungewiß; diese Yähus hätten eine Nachkommenschaft gezeugt, die bald so zahlreich geworden, daß sie die ganze Nation angreifen konnte; die Hauyhnhnms, um das Uebel los zu werden, hätten eine allgemeine Jagd angestellt und zuletzt die ganze Heerde eingeschlossen; die älteren seyen getödtet worden; jeder Hauyhnhnm habe zwei junge in seinem Stall gehalten und sie zu einem solchen Grade von Zahmheit, wie sie ein von Natur so wildes Thier nur erlangen könne, dadurch gebracht, daß er sie zum Ziehen und Lasttragen verwandt habe.

Diese Tradition scheine wahr zu seyn, denn jene Geschöpfe konnten nicht Ylnhiamshy (Ureinwohner) des Landes seyn, weil die Hauyhnhnms wegen des heftigen Hasses, welchen sie, wie andere Thiere, gegen die Yähus mit vollem Rechte hegten, unmöglich zu der Höhe von Vollkommenheit hätten gelangen können; wären Yähus die Ureinwohner, so wären die Hauyhnhnms wahrscheinlich ausgerottet worden. Die Einwohner hätten hierauf eine besondere Vorliebe für den Dienst der Yähus gefaßt, und dadurch, unvorsichtigerweise, die Fortpflanzung der Esel vernachläßigt, welche artige, weit ordentlichere und zahme, leicht zu bewachende Thiere seyen, die auch keinen unangenehmen Geruch besäßen. Sie seyen ferner auch stark genug zur Arbeit, obgleich sie den Yähus an Behendigkeit nachstünden; sey auch ihr Geschrei kein angenehmer Schall, so müsse man dasselbe doch dem furchtbaren Geheule der Yähus vorziehen.

Mehrere Andere sprachen ihre Ansicht in derselben Weise aus, worauf mein Herr der Versammlung einen Vorschlag machte, worüber ich ihm in der That einen Wink gegeben hatte. Er gestand die Wahrheit der Tradition zu, welche das ehrenwerthe Parlamentsglied, das so eben gesprochen, angeführt habe. Jedoch die beiden Yähus die man zuerst im Lande erblickte, müßten auf dem Meere hieher verschlagen und von ihren Gefährten verlassen seyn. Sie hätten sich auf die Gebirge zurückgezogen, seyen dorten allmählich entartet und wilder wie die Menschen des Landes geworden, von wo sie anlangten. Den Grund zu dieser Behauptung, fuhr der Andere fort, sehe ich in dem Umstände, daß ich jetzt einen wunderbaren Yähu besitze (damit war ich gemeint); die meisten von euch haben wohl schon davon gehört und viele ihn auch gesehen (der Redner erzählte alsdann die Art, wie er mich gefunden habe). Sein Körper ist mit einer künstlichen Zusammensetzung von Häuten und Haaren anderer Thiere bedeckt; er hat seine eigene Sprache, versteht jedoch auch die unsrige. Er hat mir die Begebenheiten erzählt, die ihn hieher brachten. Ich habe ihn auch ohne Bedeckung gesehen. Er ist ein vollkommner Yähu in jedem Körpertheile, jedoch von weißer Farbe, weniger haarig und besitzt keine Klauen. Er hat sich bemüht, mich zu überreden, daß die Yähus in seinem Vaterlande die regierenden und vernünftigen Thiere sind und die Hauyhnhnms zu ihrem Dienste gebrauchen. Er hat alle Eigenschaften eines Yähu, ist aber durch einen Anflug von Vernunft ein wenig verfeinert; dieser ist jedoch in demselben Gerade geringer wie unsre Vernunft, als die der Yähus seines Vaterlandes im Vergleich mit der unsrigen. Er hat mir unter Andern einen Gebrauch derselben erzählt, wonach die Hauyhnhnms in ihrer Jugend verschnitten werden, um sie zahmer zu machen, und diese Operation ist leicht und sicher. Auch ist es ja keine Schande, von Thieren zu lernen; Fleiß lernt man von der Ameise, das Bauen von der Schwalbe, (so übersetze ich das Wort Leihanhh, obgleich dieser Vogel etwas größer ist, als der erwähnte). So läßt sich diese Erfindung bei den jüngeren Yähus anwenden, welche ohnedies leichter zu behandeln, und zu gebrauchen sind. Dadurch wird das ganze Geschlecht ohne Tödtung aufhören. Zugleich müssen aber die Hauyhnhnms die Zucht der Esel befördern, die in jeder Hinsicht werthvollere Thiere sind, und zugleich den Vortheil gewahren, daß man sie schon im fünften Jahre gebrauchen kann, da dies bei den Yähus nur im zwölften möglich ist.

Dies war Alles, was mir mein Herr über den Vorgang in der Rathsversammlung damals sagen wollte. Er hatte die Güte, einen Umstand zu verhehlen; der sich auf mich bezog, und dessen unheilvolle Wirkung ich bald empfand, wie der Leser am gehörigen Orte erfahren wird, wovon ich alle meine spätern Unglücksfälle herleite.

Die Hauyhnhnms kennen keine Schrift und deßhalb beruht ihr ganzes Wissen auf Tradition. Da jedoch bei einem Volke, wo Alle befreundet und zu jeder Tugend durch Natur geneigt sind, das ferner ausschließlich durch Vernunft regiert wird, nur keinen Verkehr mit andern Völkern hat, wenige Ereignisse sich zutragen können, so wird der historische Theil des Wissens durch das Gedächtniß sehr leicht bewahrt. Ich bemerkte schon, daß die Hauyhnhnms keinen Krankheiten ausgesetzt sind, und deßhalb keine Aerzte gebrauchen. Sie haben jedoch ausgezeichnete Arzneimittel, die aus Kräutern bestehen, um zufällige Beulen und Ritzen im Fußgelenke oder in der Kehle, welche durch scharfe Steine bewirkt werden, sowie auf andere Verletzungen und Lähmungen an den verschiedenen Körpertheilen zu heilen.

Das Jahr berechnen sie nach den Umwälzungen des Mondes und der Sonne, gebrauchen jedoch keine Unterabtheilungen in Betreff der Wochen. Sie sind mit den Bewegungen dieser beiden Licht gebenden Körper genau bekannt, so wie auch mit der Ursache ihrer Verfinsterungen. Hierauf aber beschränken sich alle ihre Fortschritte in der Astronomie.

Man muß zugestehen, daß sie in der Poesie alle übrigen Sterblichen übertreffen; die Richtigkeit ihrer Gleichnisse, so wie die Genauigkeit ihrer Beschreibungen sind wirklich unübertreffbar. Ihre Verse haben an diesen beiden Eigenschaften Ueberfluß und enthalten gewöhnlich exaltirte Begriffe von Freundschaft und Wohlwollen, oder den Ruhm der Sieger beim Wettrennen oder bei andern körperlichen Uebungen. Ihre Gebäude, obgleich sehr roh und einfach, sind nicht sehr zierlich, aber sehr gut eingerichtet, um vor jeder schädlichen Einwirkung der Kälte und Hitze zu schützen. Sie besitzen einen Baum, welcher, sobald er vierzig Jahre alt ist, an der Wurzel lose wird und beim ersten Sturme niederfällt. Er wächst ganz gerade in die Höhe, wird als ein Stock mit scharfen Steinen (der Gebrauch des Eisens ist den Hauyhnhnms unbekannt,) zugespitzt; die so gebildeten Balken werden in der Entfernung von zehn Fuß nebeneinander ausgestellt, mit Haferstroh und bisweilen mit Hürden verflochten. Dach und Thür wird in derselben Art gebildet.

Die Hauyhnhnms gebrauchen den hohlen Theil ihres Vorderfußes, zwischen dem Hufe und dem Fußgelenk, in derselben Weise wie wir unsere Hände und zwar mit größerer Geschicklichkeit, als ich zuerst glauben konnte. Ich habe gesehen, wie eine weiße Stute aus unserer Familie mit diesem Gelenke eine Nadel einfädelte, die ich ihr zu dem Zwecke geliehen hatte. Auf dieselbe Weise melken sie ihre Kühe, ärnten sie ihren Hafer und verrichten jede Arbeit, welche die Hand erfordert. Sie haben ferner eine Art Feuerstein, den sie durch Schleifen an andern Steinen zu Instrumenten bilden, deren sie sich als Keile, Aexte und Hämmer bedienen. Mit Werkzeugen aus diesen Feuersteinen schneiden sie auch das Heu und den Hafer ab, welcher auf ihren Feldern wächst; alsdann ziehen Yähus die Garben auf Wägen nach Hause und die Diener treten auf dieselben in geeigneten verdeckten Hütten, bis das Korn heraus ist, welches alsdann aufbewahrt wird. Sie verfertigen ferner eine rohe Art hölzerner und irdener Gefäße und trocknen letztere an der Sonne.

Wenn die Hauyhnhnms zufällige Unglücksfälle vermeiden können, so sterben sie nur im höchsten Alter, und werden alsdann an den dunkelsten Orten, die man finden kann, begraben, wobei Freunde und Verwandte weder Kummer noch Freude zeigen.

Auch offenbart die sterbende Person nicht den geringsten Schmerz, daß sie die Welt verlassen muß, sondern äußert dieselbe Stimmung, als kehre sie von einem Besuche bei Nachbarn nach Hause zurück. Ich erinnere mich, einst hatte mein Herr mit einem Freunde und dessen Familie die Verabredung getroffen, in seinem Hause eine wichtige Angelegenheit zu besprechen. An dem festgesetzten Tage kam die Gemahlin desselben mit ihren zwei Kindern jedoch sehr spät. Sie brachte zwei Entschuldigungen vor. Der erste betraf ihren Mann, der, wie sie sagte, den Morgen gerade Llnuwnh wäre; dies Wort ist sehr ausdrucksvoll in der Sprache, und läßt sich nicht leicht in’s Englische übersetzen. Es bedeutet: »sich zu seiner ersten Mutter zurückziehn.« Die zweite Entschuldigung, weil sie nicht früher kam, betraf sie selbst. Als ihr Mann spät am Morgen gestorben sey, habe sie sich mit ihren Bedienten berathen, an welchem passenden Platze der Leichnam wohl hingelegt werden könne. Ich bemerkte, sie benahm sich in unserem Hause so heiter wie die übrigen, und starb ungefähr drei Monate nachher.

Die Hauyhnhnms leben gewöhnlich bis zum siebenzigsten oder fünfundsiebenzigsten, selten bis zum achtzigsten Jahre. Einige Wochen vor ihrem Tode fühlen sie eine allmählige Abnahme ihrer Kräfte, jedoch ohne Schmerz zu empfinden. Während dieser Zeit werden sie häufig von ihren Freunden besucht, weil sie mit der gewöhnlichen Bequemlichkeit und Zufriedenheit nicht mehr ausgehen können. Zehn Tage vor ihrem Tode, dessen Augenblick sie mit ziemlicher Sicherheit vorhersagen können, erwidern sie die Besuche den nächsten Nachbarn, indem sie von Yähus in einem bequemen Sessel getragen werden. Diese Sessel gebrauchen sie nicht allein bei dieser Gelegenheit, sondern überhaupt wenn sie alt werden, oder auf großen Reisen, oder wenn sie durch Zufall gelähmt sind. Die sterbenden Hauyhnhnms, welche diesen Besuch abstatten, nehmen feierlichen Abschied von ihren Freunden, als ob sie sich in einen entfernten Theil des Landes begäben, wo sie die letzte Zeit ihres Lebens zubringen wollen.

Ich weiß nicht, ob es der Mühe werth ist, hier noch zu bemerken, daß es kein Wort in ihrer Sprache für den Begriff böse giebt, mit Ausnahme einiger Ausdrücke, welche von der Entstellung oder den schlechten Eigenschaften der Yähus hergenommen sind. So bezeichnen sie die Dummheit eines Bedienten, die Unart eines Kindes, einen Stein, der ihren Fuß ritzt, lange Dauer des schlechten Wetters und ähnliche Dinge durch die Hinzufügung des Beiwortes Yähu. Z. B. hhnm Yähu, whnaholm Yähu, ylnhmndwilma Yähu; ein schlecht gebautes Haus heißt ynholmhnmrohlnw Yähu.

Ich würde mit großem Vergnügen die Sitten und Tugenden dieses ausgezeichneten Volkes noch länger darlegen, habe jedoch die Absicht, in kurzer Zeit ein besonderes Buch über diesen Gegenstand herauszugeben und muß den Leser deßhalb hierauf verweisen. Mittlerweile will ich meine traurige Katastrophe hier erzählen.

Kapitel 10


Kapitel 10 Des Verfassers Haushalt und glückliches Leben bei den Hauyhnhmns. Seine Fortschritte in der Tugend durch den Umgang mit denselben. Ihre Unterhaltungen. Dem Verfasser wird von seinem Herrn angezeigt, er müsse das Land verlassen. Er fällt aus Gram in Ohnmacht, unterwirft sich jedoch seinem Unglück. Er erfindet und verfertigt einen Kahn mit Hülfe des

Ich hatte meinen kleinen Haushalt durchaus nach meiner Zufriedenheit eingerichtet. Mein Herr hatte befohlen, mir eine Hütte nach der Landessitte zu erbauen, welche sechs Ellen vom Hauptgebäude entfernt war. Die Seiten und den Fußboden desselben bedeckte ich mit Lehm und Binsenmatten, die ich selbst erfunden. Ich hatte Hanf, der dort wild wächst, mir zubereitet und machte daraus eine Art Zwillich; diesen füllte ich mit den Federn verschiedener Vögel, die ich in Schlingen aus Yähuhaaren einfing und die mir eine treffliche Nahrung boten. Ich hatte zwei Stühle mit meinem Messer verfertigt, wobei der fuchsbraune Klepper in dem gröberen und mühseligeren Theile der Arbeit half. Als meine Kleider zerrissen waren, machte ich mir andere aus den Häuten von Kaninchen und von gewissen schönen Thieren derselben Größe, die Nnuhnoh heißen, deren Fell mit dem zartesten Flaum bedeckt ist. Daraus machte ich mir auch erträgliche Strümpfe. Meine Schuhe besohlte ich mit Holz, das ich aus Bäumen geschnitten und zugerichtet hatte, so daß ihre Sohle an das Oberleder paßte; als auch dieses abgenutzt war, ersetzte ich es durch Fell von Yähus, das an der Sonne getrocknet war. Oft auch nahm ich Honig aus hohlen Bäumen, vermischte denselben mit Wasser, oder aß ihn zu meinem Brode. Niemand hat somit, wie ich, die Wahrheit der zwei Grundsätze erfahren: die Natur werde leicht zufriedengestellt und Nothwendigkeit sey die Mutter der Erfindung.

Ich war im Körper vollkommen gesund und meine Seele genoß der größten Heiterkeit. Ich härmte mich nicht über die Verrätherei oder Unbeständigkeit eines Freundes, noch über die Beleidigungen eines offenen oder geheimen Feindes. Ich hatte keine Gelegenheit zum Bestechen, Heucheln und Kuppeln, um mir die Gunst eines mächtigen Mannes oder seines Lieblings zu verschaffen. Ich brauchte keinen Schutz gegen Betrug oder Unterdrückung. Es gab dort weder Aerzte meinen Leib, oder Juristen mein Vermögen zu ruiniren, keine Spione, meine Worte und Handlungen zu belauschen, oder Anklagen für Geld gegen mich zu schmieden; hier gab es keine Spötter, Klatscher, Verläumder, Taschendiebe, Räuber, Sachwalter, Kuppler, Narren, Spieler, Politiker, Witzlinge, launenhafte Menschen, langweilige Schwätzer, Zänker, Nothzüchter, Mörder und Virtuosen; keine Parteihäupter und Parteigänger, keine Anreizer zum Laster durch Verführung oder Beispiel; keine Gefängnisse, Beile, Galgen, Prügelpfosten oder Schandpfähle; keine betrügerischen Wirthe oder Handwerker; keinen Stolz, keine Eitelkeit oder Affektation; keine Stutzer, Trunkenbolde und entwürdigte Frauen; keine zänkische, ungetreue und kostbare Gattinnen; keine dummen und stolzen Pedanten; keine zudringliche, herrschsüchtige, zänkische, unruhige, schreiende, dumme, launenhafte, fluchende Gesellschafter; keine Schufte, die aus dem Staube durch das Verdienst des Lasters sich erheben; keinen Adel, der unter dem Verwand der Tugenden übertragen wird; keine Lords, Fiedler, Richter und Tanzmeister.

Ich hatte die Ehre, mehreren Hauyhnhnms vorgestellt zu werden, welche meinen Herrn besuchten oder bei ihm speisten. Seine Gnaden ertheilte mir alsdann gütigst die Erlaubniß, im Zimmer zu bleiben und die Unterredung anzuhören.

Sowohl mein Herr als seine Gesellschaft hatten die Herablassung, mir Fragen vorzulegen und meine Antworten anzuhören. Bisweilen wurde mir auch erlaubt, meinen Herrn bei seinen Besuchen bei Andern zu begleiten. Ich nahm mir nie heraus, Etwas zu sagen, wenn ich nicht gefragt wurde; die Erwiderung gab ich jedoch stets mit innerlichem Kummer, weil ein Zeitverlust, in Betreff meiner Besserung, dadurch bewirkt wurde; die Stellung eines demüthigen Zuhörers gefiel mir aber außerordentlich in diesen Gesprächen, wo nur das Nützliche besprochen und in bezeichnenden und kurzen Worten ausgedrückt ward. Wie ich schon sagte, wurde der höchste Anstand dabei beobachtet, ohne daß viele Komplimente gewechselt wurden. Einem jeden Hauyhnhnm machte das Sprechen Vergnügen, und ihm wurde von der Gesellschaft mit demselben Vergnügen zugehört; Unterbrechung, Langweiligkeit, oder Verschiedenheit der Meinung fand nirgends statt. Die Hauyhnhnms hegen den Glauben, bei Unterhaltungen werde das Gespräch durch ein kurzes Stillschweigen sehr verbessert. Auch fand ich, daß dies sich wirklich so verhielt, denn während der Pause entstanden neue Ideen, welche ihre Unterhaltung belebten. Ihre gewöhnlichen Gespräche betreffen Freundschaft und Wohlwollen, Ordnung und Sparsamkeit, bisweilen auch die sichtbaren Wirkungen der Natur oder alte Traditionen, die Gränzen der Tugend, die nie fehlschlagenden Andeutungen der Vernunft, oder auch Beschlüsse, die man bei der nächsten großen Versammlung fassen soll; oft auch die verschiedenen Erhabenheiten der Poesie.

Ohne Eitelkeit darf ich behaupten, daß auch meine Gegenwart ihnen öfter Stoff zur Unterhaltung bot, weil sie meinem Herrn Gelegenheit gab, seine Freunde in meine Geschichte und in die meines Vaterlandes einzuweihen, worüber sie sämmtlich die Güte hatten, sich in keiner schmeichelhaften Weise gegen das Menschengeschlecht auszusprechen. Deßhalb will ich nicht wiederholen, was die Hauyhnhnms sagten; der Leser wird mir jedoch die Bemerkung erlauben, daß mein Herr, zu meinem Erstaunen, die Natur der Yähus weit besser kannte, wie ich selbst. Er sprach über alle unsere Laster und Thorheiten und entdeckte viele derselben, die ich nie erwähnte, und zwar ausschließlich durch die Vermuthung, welche Eigenschaften die Yähus seines Vaterlandes bei einiger Vernunft besitzen müßten. Alsdann bildete er ganz natürlich den Schluß, wie elend und erbärmlich ein solches Geschöpf seyn müsse.

Ich gestehe offen, alle geringe Kenntniß von einigem Werth, die ich besitze, ward von mir durch die Vorlesungen meines Herrn und die Unterredung zwischen ihm und seinen Freunden erworben; ich hege größeren Stolz, darauf gehört zu haben, als der weisesten und größten Gesellschaft Europa’s zu diktiren. Ich bewunderte die Kraft, Zierlichkeit und Schnelle der Einwohner, und eine solche Vereinigung von Tugenden bei so liebenswürdigen Personen, erweckte bei mir die höchste Achtung. Zuerst fühlte ich zwar nicht jene natürliche Verehrung, welche die Yähus und alle Thiere gegen die Hauyhnhnms hegen. Diese entstand jedoch allmählig und schneller als ich dachte, und war mit einer natürlichen Liebe und Dankbarkeit vermischt, daß sie mich gnädigst von den andern Thieren meiner Gattung auszeichneten.

Dachte ich an meine Familie, meine Freunde, Landsleute und an das Menschengeschlecht im Allgemeinen, so betrachtete ich sie für das, was sie wirklich waren, als Yähus in Form und Charakter, obgleich vielleicht etwas mehr civilisirt und mit der Gabe der Rede versehen, die jedoch von ihrer Vernunft keinen andern Gebrauch machten, als um jene Laster zu verbessern und zu vermehren, von denen ihre Brüder in dem Lande der Hauyhnhnms nur einen von der Natur ihnen übertragenen Theil besitzen.

Wenn ich das zurückgeworfene Bild meiner Form in einem See oder in einer Quelle sah, so wandte ich voll Schauder über mich selbst mein Gesicht ab; ich konnte sogar den Anblick eines gewöhnlichen Yähu besser ertragen, als den meiner eigenen Person. Durch Umgang mit den Hauyhnhnms und durch Bewunderung ihrer Eigenschaften konnte ich es nicht unterlassen, ihren Gang und ihre Bewegungen nachzuahmen, welches mir so zur Gewohnheit geworden ist, daß meine Freunde mir die Versicherung geben, ich trottire wie ein Pferd, und dieses halte ich in der That für ein großes Kompliment; auch will ich nicht läugnen, daß ich beim Sprechen geneigt bin, Stimme und Art der Hauynhnms anzunehmen, und daß ich ohne die geringste Kränkung Spöttereien hierüber anhören kann.

In der Mitte dieses Glücks und als ich schon wähnte, ich würde mein ganzes Leben lang im Lande bleiben können, ließ mich mein Herr einstens früher als gewöhnlich rufen. Ich bemerkte an seinem Gesicht, daß er in einiger Verlegenheit war, und nicht wußte, wie er das, was er sagen wollte, mir eröffnen könnte. Nach einem kurzen Schweigen sagte er mir: Er wisse nicht, wie ich das, was er mir zu sagen habe, aufnehmen werde. Bei der letzten allgemeinen Versammlung hätten die Repräsentanten, als die Angelegenheit der Yähus besprochen wurde, daran Antheil genommen, daß er ein Individuum dieser Gattung in seiner Familie halte, welches mehr einem Hauyhnhnm als einem unvernünftigen Thiere gleiche; daß er ferner sich häufig mit mir unterhalte, als ob er Vortheil oder Vergnügen an meiner Gesellschaft erlangen könne. Ein solches Verfahren sey mit Natur und Vernunft nicht übereinstimmend. Die Versammlung ermahne ihn deßhalb, mich entweder wie die Uebrigen meines Geschlechtes zu behandeln, oder mich zu zwingen, daß ich zu dem Orte, woher ich gekommen, wieder zurückschwimmen möge. Das erste dieser Auskunftsmittel sey jedoch sogleich von allen Hauyhnhnms, die mich je in ihrem Hause gesehen hätten, verworfen worden; sie hätten angeführt: da ich einige Elemente der Vernunft besäße, und da jene Thiere so boshaft wären, so möchte ich sie verführen in die waldigen und gebirgigen Theile des Landes zu fliehen, und sie alsdann des Nachts in Haufen herunterführen und das Vieh der Hauyhnhnms zu zerstören. Die Yähus seyen ja von Natur als Raubthiere gebildet und der Arbeit abgeneigt.

Mein Herr fügte hinzu: Er werde alle Tage von den Hauyhnhnms der Nachbarschaft dringend dazu aufgefordert, daß er den Beschluß der Versammlung ausführe, und könne dies jetzt auch nicht länger aufschieben. Er glaube wohl, daß es mir unmöglich sey, nach einem andern Lande zu schwimmen, er wünsche deßhalb, daß ich mir ein Fahrzeug verschaffe, welches demjenigen gleiche, das ich ihm bereits beschrieben, und wodurch ich auf dem Meere hergekommen sey. Bei dieser Arbeit würde mir von seinen Bedienten und von denen aller Nachbarn geholfen werden. Er fügte am Schlusse noch hinzu: Seiner Seits hätte er mich gern während meines ganzen Lebens in seinem Dienste behalten; er habe gefunden, daß ich mich von mancher schlechten Gewohnheit und Neigung dadurch geheilt habe, daß ich mich bemühte, so weit es meine untergeordnete Natur erlaube, die Hauyhnhnms in jeder Hinsicht nachzuahmen.

Ich hätte dem Leser schon bemerken müssen, daß ein Dekret der allgemeinen Versammlung in diesem Lande Hnhloayn ausgedrückt wird, welches Ermahnung bedeutet, so weit ich das Wort übersetzen kann; die Hauyhnhnms haben nämlich keinen Begriff davon, daß ein vernünftiges Geschöpf gezwungen werden müsse, anstatt sich nur rathen oder ermahnen zu lassen. Kein Geschöpf könne nämlich der Vernunft ungehorsam seyn, ohne seine Ansprüche auf dieselbe aufzugeben.

Die Rede meines Herrn erfüllte mich mit äusserstem Kummer und mit Verzweiflung, und da es mir unmöglich war, meinen Schmerz zu ertragen, fiel ich zu seinen Füßen in Ohnmacht.

Als ich meine Besinnung wieder erlangt hatte, sagte er mir, er habe geglaubt, ich sey todt. Die Hauyhnhnms sind nämlich solchen Schwächen nicht unterworfen. Ich erwiderte mit schwacher Stimme: Der Tod würde ein zu großes Glück für mich gewesen seyn. Ich könne zwar die Ermahnung der Versammlung und das dringende Verlangen seiner Freunde nicht tadeln. Ich glaube jedoch, meinem schwachen und verdorbenen Verstande gemäß, auch eine geringere Strenge sey der Vernunft nicht widerstrebend gewesen. Ich könne keine Stunde weit schwimmen und das nächste Land würde ungefähr hundert Stunden weit entfernt seyn. Eine Menge Materialien, die zur Verfertigung eines Fahrzeuges nochwendig seyen, fehlten in diesem Lande. Ich würde jedoch, aus Gehorsam und Dankbarkeit gegen Seine Gnaden, den Versuch machen, ob ich gleich die Ausführung für unmöglich hielte, so daß ich schon jetzt mich als verloren betrachte; die sichere Aussicht auf einen unnatürlichen Tod, sey das geringste meiner Nebel. Sollte ich nämlich durch irgend einen besondern Zufall dem Tode entgehen, so könne ich doch unmöglich mit Gelassenheit daran denken, mein Leben wieder bei Yähus zuzubringen und in die alte Verderbniß, aus Mangel an Beispielen, wieder zu versinken, welche mich auf die Pfade der Tugend führen und auf denselben erhalten würden. Ich wisse sehr wohl, daß die Beschlüsse der weisen Hauyhnhnms zu richtig begründet seyen, als daß ich, ein erbärmlicher Yähu, sie erschüttern könne. Ich sage ihm deßhalb meinen demüthigen Dank für die mir angebotene Hülfe seiner Diener bei Verfertigung eines Schiffes, bitte um die erforderliche Zeit für ein so schwieriges Werk und wolle mich bemühen, mein elendes Leben zu erhalten. Würde ich jemals nach England zurückkehren, so hege ich einige Hoffnung, meinem Geschlechte dadurch nützlich zu werden, indem ich den Ruhm der berühmten Hauyhnhnms feiern und ihre Tugenden dem Menschengeschlechte zur Nachahmung hinstelle.

Mein Herr gab mir in wenigen Worten eine sehr gnädige Antwort; er gestattete mir die Zeit von zwei Monaten, um mein Boot zu vollenden, und befahl dem fuchsrothen Klepper, meinem Kameraden im Dienste (so darf ich ihn jetzt, da ich so weit von ihm entfernt bin, wohl nennen), meine Anleitung zu befolgen. Ich sagte nämlich meinem Herrn, die Hülfe desselben werde genügen, und ich wußte, daß dieser mein Kamerad viele Zuneigung zu mir hegte. Mein erstes Geschäft in der Gesellschaft desselben bestand darin, daß ich zu dem Theile der Küste ging, wo meine rebellische Schiffsmannschaft mich hatte an’s Land setzen lassen. Ich bestieg eine Höhe, sah nach allen Seiten in das Meer hinein und glaubte eine kleine Insel im Nordosten zu bemerken. Alsdann nahm ich mein Taschenperspektiv zur Hand und konnte dieselbe nach meiner Berechnung in der Entfernung von fünf Stunden deutlich erkennen. Der fuchsbraune Klepper hielt die Insel aber nur für eine blaue Wolke, denn er hatte keinen Begriff, daß es noch ein Land ausser dem seinigen gebe, und konnte deßhalb entfernte Gegenstände auf der See nicht wie wir erblicken, die wir auf diesem Elemente sehr bewandert sind.

Als ich diese Insel entdeckt hatte, überlegte ich nicht weiter, sondern beschloß, dieselbe solle für’s erste mein Verbannungsort werden. Das übrige überließ ich dem Glück.

Ich kehrte nach Hause, und nachdem ich eine Berathung mit dem fuchsbraunen Klepper gehalten, gingen wir Beide in ein nicht weit von unserm Hause entferntes Gebüsch, wo ich mit meinem Messer und er mit einem scharfen Feuerstein, der nach Landessitte an einem hölzernen Griff sehr geschickt befestigt war, mehreres Eichen-Gesträuch, von der Dicke eines Spazierstocks, und einige größere Stöcke abschnitt. Ich will jedoch den Leser mit einer zu genauen Beschreibung meines Verfahrens nicht langweilen; es genüge die Bemerkung, daß ich im Verlauf von sechs Wochen mit Hülfe des fuchsrothen Kleppers, welcher die mühsamste Arbeit verrichtete, eine Art indianischen Cano’s baute; dasselbe war jedoch bei weitem größer. Ich bedeckte es mit Yähu-Häuten und heftete letztere mit Fäden aus Hanf, die ich selbst erfunden, dicht an einander. Mein Segel bestand ebenfalls aus der Haut dieses Thieres; ich gebrauchte jedoch dazu die Häute der jüngeren, denn die der älteren waren viel zu rauh und dick. Auch versah ich mich mit vier Rudern, legte in das Cano einen Vorrath gekochten Fleisches von Kaninchen und Vögeln, so wie auch zwei Gefäße, eines voll Milch und das andere voll Wasser.

Ich probirte mein Cano in einem großen Teiche bei dem Hause meines Herrn, und verbesserte dann die Mängel, die ich bemerkte, indem ich die Ritzen mit Yähu-Talg verstopfte, bis das Fahrzeug im Stande war, mich und meine Fracht zu tragen. Als es nun vollständig in jeder Hinsicht erschien, wurde es von Yähus auf einem Wagen langsam an das Ufer gezogen, wobei der fuchsbraune Klepper und noch ein anderer Bediente die Treiber waren.

Als Alles bereit und der Tag meiner Abreise angebrochen war, nahm ich von meinem Herrn, seiner Gemahlin und der ganzen Familie Abschied. Meine Augen schwammen in Thränen und mein Herz war durch Gram erdrückt. Seine Gnaden beschloß jedoch, theils aus Neugier, theils aus Gütigkeit gegen mich (wenn ich ohne Eitelkeit dies Wort gebrauchen darf), mich in meinem Cano zu sehen, und nahm mehrere seiner Freunde mit sich, welche in der Nachbarschaft wohnten. Ich mußte ungefähr eine Stunde auf die Fluth warten, und als ich dann bemerkte, daß der Wind für meine Fahrt nach der Insel günstig war, nahm ich zum zweiten Mal Abschied von meinem Herrn. Als ich mich nun niederwerfen wollte, um seinen Huf zu küssen, erwies er mir die Ehre, ihn sanft an meinen Mund zu erheben. Ich weiß sehr wohl, daß man mich wegen der Erwähnung dieses letzteren Umstandes sehr getadelt hat. Verleumder haben es für unwahrscheinlich gehalten, daß eine so erlauchte Person sich herabließ gegen ein so tief unter ihm stehendes Geschöpf. Auch habe ich nicht vergessen, wie gern einige Reisende sich außerordentlicher Gunstbezeugungen rühmen. Wären aber diese Verleumder mit dem edlen und höflichen Charakter der Hauyhnhnms besser bekannt, so würden sie bald ihre Meinung ändern.

Ich begrüßte die übrigen Hauyhnhnms in Gesellschaft Seiner Gnaden, stieg in mein Cano und stieß vom Ufer.

Der Herausgeber an den Leser


Der Herausgeber an den Leser.

Der Verfasser dieser Reisen, Lemuel Gulliver, ist mein alter und sehr vertrauter Freund; wir sind sogar von mütterlicher Seite ein wenig verwandt. Es mag etwa drei Jahre her seyn, daß Herr Gulliver, des Zusammenlaufens von Neugierigen an seinem Hause zu Redriff müde, ein kleines Landgut und ein bequemes Haus bei Newark in der Grafschaft Nottingham, der Provinz, worin er geboren war, kaufte, und jetzt lebt er hier, zwar sehr zurückgezogen, aber von allen seinen Nachbarn geachtet. Obgleich Herr Gulliver in der Grafschaft Nottinham, wo sein Vater wohnte, geboren wurde, habe ich sagen hören, seine Familie stamme aus der Grafschaft Oxford; und in der That habe ich auf dem Kirchhof von Baubury, der zu dieser Provinz gehört, mehrere Gräber und Grabmäler der Gulliver bemerkt.

Ehe er Redriff verließ, händigte er mir die folgenden Schriften ein, und bevollmächtigte mich, darüber nach Gutdünken zu verfügen. Der Styl darin ist klar und einfach; und ich finde nur einen einzigen Fehler darin, der übrigens allen Reisenden gemeinschaftlich ist, daß nämlich darin allzusehr in die Einzelnheiten eingegangen wird; aber durch das ganze Werk weht ein Geist der Wahrheit; und der Verfasser zeichnet sich wirklich so sehr durch Wahrhaftigkeit aus, daß, wenn man in der Nachbarschaft von Redriff Einem etwas recht versichern wollte, man gewöhnlich sagte: dies ist so wahr, als wenn Herr Gulliver es gesagt hätte.

Nach dem Rathe mehrerer Personen, denen ich mit der Erlaubniß des Verfassers die Papiere mitgetheilt hatte, wage ich es jetzt, sie in die Welt einzuführen in der Hoffnung, sie werden wenigstens einige Zeit lang ein angenehmerer Zeitvertreib für unsern jungen Adel seyn, als die Rapsodien der Parteischriftsteller.

Dieser Band wäre wenigstens noch einmal so dick geworden, wenn ich mir nicht erlaubt hätte, eine Menge Stellen auszumerzen, die sich auf Winde, Ebbe und Fluth bezogen, ebenso alle meteorologische Beobachtungen auf verschiedenen Reisen, und die Beschreibung der Bewegungen eines Schiffes während des Sturmes, in seemännischem Style geschrieben. Ebenso habe ich alle Höhenangaben übergangen, und ich fürchte, Herr Gulliver wird mit diesen Weglassungen nicht sehr zufrieden seyn; aber ich war entschlossen, das Werk so gut als möglich dem großen Haufen zugänglich zu machen. Wenn indeß meine Unkenntniß des Seewesens mich in einige Irrthümer fallen ließ, so würde ich allein dafür verantwortlich seyn müssen. Sollten übrigens Reisende den Originaltext in seinem Umfange und so zu sehen wünschen, wie er unter den Händen des Verfassers hervorgegangen ist, so bin ich bereit, ihnen Genüge zu leisten.

Was die näheren Lebensumstände des Verfassers betrifft, so wird sie der Leser auf den ersten Blättern des Buches finden.

Richard Sympson.

Kapitel 11


Kapitel 11 Des Verfassers gefährliche Reise. Er kommt nach Neuholland und hofft sich dort niederzulassen. Er wird von einem Eingeborenen durch einen Pfeil verwundet. Er wird gefangen genommen und mit Gewalt in ein portugisisches Schiff gebracht. Die große Höflichkeit des Kapitäns. Der Verfasser kommt in England an.

Ich begann diese zweifelte Reise am 15. Februar 1715 um 9 Uhr Morgens. Der Wind war sehr günstig. Zuerst machte ich nur von meinen Rudern Gebrauch. Da ich jedoch bedachte, daß ich bald müde seyn würde, und daß der Wind umschlagen könne, wagte ich es, mein kleines Segel aufzuziehen, und kam hierdurch und durch Hülfe der Fluth ziemlich schnell vorwärts. Mein Herr und seine Freunde blieben am Ufer, bis ich beinahe ausser ihrem Gesicht war. Auch hörte ich, wie der fuchsbraune Klepper, der mich immer liebte, mir mehrere Male zurief: Hnuy illy neihä mädschuh Yähu; das heißt: Hüte dich vor Gefahr, artiger Yähu.

Ich beabsichtigte, eine kleine unbewohnte Insel zu entdecken, welche jedoch genügen würde, bei einiger Arbeit mich mit den nothwendigen Bedürfnissen des Lebens zu versehen; dies hätte ich für ein größer Glück gehalten, als wäre ich Premierminister am ersten europäischen Hofe geworden, so furchtbar war mir der Gedanke, in die Gesellschaft und unter die Regierung von Yähus zurückzukehren. In solcher Einsamkeit, wie ich sie mir wünschte, konnte ich doch wenigstens meinen Gedanken nachhängen und mit Entzücken an die Tugenden der unnachahmbaren Hauyhnhnm’s denken, wobei mir keine Gelegenheit geboten wäre, in die Laster und Verderbnisse meines Geschlechts zu entarten.

Der Leser wird sich an meine frühere Erzählung erinnern, wie ich nach der Verschwörung meiner Schiffmannschaft und während meiner Gefangenschaft in der Kajüte mehrere Wochen lang eingesperrt blieb, ohne die Richtung, die wir eingeschlagen hatten, zu wissen, wie mir ferner die Matrosen, als ich in das lange Boot gebracht wurde, mit wahren oder falschen Eiden die Versicherung gaben, sie wüßten nicht, in welchem Theile der Welt wir wären. Ich glaubte jedoch damals, wir befänden uns zehn Grade südlich vom Kap der guten Hoffnung ungefähr im 45sten Grade südlicher Breite. Dies konnte ich aus einigen Worten, die ich zufällig hörte, schließen, und die mir, wie ich glaubte, andeuteten, daß sie südöstlich nach Madagaskar steuerten. Obgleich diese Worte mir nur eine Vermuthung an die Hand gaben, so beschloß ich doch, östlich zu steuern: denn ich hoffte, die südwestliche Küste von Neuholland, oder vielleicht eine westwärts von diesem Lande gelegene Insel zu erreichen. Der Wind blies aus Westen, und um 6 Uhr Abends war ich wenigstens 18 Seemeilen nach Osten gefahren, als ich eine kleine, ungefähr eine Seemeile weit entfernte Insel entdeckte, die ich dann auch bald erreichte. Sie bestand nur aus einem Felsen, mit einem durch die Gewalt der Stürme natürlich gebildeten Damm. Hier brachte ich mein Cano in Sicherheit, bestieg einen Theil des Felsens und konnte deutlich in Osten Land entdecken, welches sich von Süden nach Norden hin ausdehnte. Die ganze Nacht blieb ich in meinem Cano liegen; alsdann setzte ich meine Reise am Morgen weiter fort, und erreichte nach sieben Stunden die südöstliche Spitze von Neuholland. Alles bestätigte die schon früher von mir gehegte Meinung, daß die geographischen Karten dies Land wenigstens um drei Grade zu weit nach Osten setzen. Vor mehreren Jahren machte ich hierüber meinem würdigen Freunde, Hermann Moll, eine Mittheilung, und sagte ihm die Gründe, weßhalb ich meinen Gedanken für wahr halte. Er hat es jedoch vorgezogen, die Angaben anderer Schriftsteller zu befolgen.

Ich sah keine Einwohner an der Stelle, wo ich landete. Da ich unbewaffnet war, wagte ich es nicht, zu tief in das Land hinein zu gehen. An der Küste fand ich einige Schaalthiere, die ich roh aß; denn ich wollte kein Feuer anzünden, aus Furcht von den Eingebornen entdeckt zu, werden. So lebte ich drei Tage lang von Austern und Napfschnecken, um meine Lebensmittel zu sparen. Glücklicher Weise entdeckte ich auch eine Quelle ausgezeichneten Wassers, welches mir große Erleichterung gewährte.

Als ich mich am vierten Tage früh Morgens ein wenig zu weit in das Innere hineinwagte, erblickte ich ungefähr zwanzig bis dreißig Einwohner auf einer an fünfhundert Ellen von mir entfernten Höhe. Sie waren nackt, und saßen sämmtlich, Männer, Weiber und Kinder an einem Feuer, das ich durch den Rauch erkennen konnte. Einer dieser Wilden bemerkte mich und setzte die Andern davon in Kenntniß, worauf fünf Mann auf mich zugingen und die Weiber und Kinder beim Feuer ließen. Ich lief so schnell wie möglich zum Ufer zurück, bestieg mein Cano und stieß vom Lande. Als die Wilden mich fliehen sahen, liefen sie hinter mir her, und bevor ich weit genug in die See gekommen war, schoß Einer derselben einen Pfeil gegen mich ab, der mich tief am linken Kniegelenk verwundete; ich werde die Narbe mit in’s Grab nehmen. Da ich besorgte, der Pfeil könne vergiftet seyn, bemühte ich mich, als ich aus dem Bereich der Wilden mich fortgerudert hatte (an diesem Tage herrschte Windstille), die Wunde auszusaugen und sie dann so gut wie möglich zu verbinden.

Ich wußte nicht, was ich thun sollte, denn ich wagte nicht, an demselben Landungsplatz zurückzukehren. Somit steuerte ich nordwärts. Es erhob sich ein sanfter Wind, der aber nordwestlich meiner Richtung entgegengesetzt war; ich wurde dadurch zum Rudern genöthigt. Als ich mich nun nach einem andern sichern Landungsplatz umsah, bemerkte ich in Nord-Nord-Ost ein Segel, welches mit jeder Minute sichtbarer wurde. Ich bedachte mich lange, ob ich dasselbe erwarten sollte oder nicht; zuletzt aber erhielt mein Abscheu gegen das Yähu-Geschlecht die Oberhand, ich wendete mein Cano, segelte und ruderte südwärts, bis ich denselben Damm erreichte, von wo ich am Morgen ausgefahren war; denn ich zog es vor, lieber bei diesen Barbaren, als bei den europäischen Yähus zu wohnen. Ich zog mein Cano so nahe wie möglich an das Land, und Versteckte mich hinter einem Steine bei dem kleinen Bache, der, wie schon gesagt, ein ausgezeichnetes Wasser enthielt.

Das Schiff kam bis auf eine halbe Meile an diesen Damm, und sandte sein großes Boot aus mit Gefäßen, um frisches Wasser einzunehmen (wie es scheint, war der Ort Seefahrern schon genug bekannt). Ich bemerkte dies nicht eher, als bis das Boot beinahe das Ufer erreicht hatte, demnach war es mir unmöglich einen andern Ort, wo ich mich verbergen konnte, aufzusuchen. Die Matrosen besahen mein Cano bei ihrer Landung, durchsuchten es an jedem Punkte, und schlossen daraus, der Eigenthümer müsse in der Nähe seyn. Vier derselben blickten in jede Ritze und in jedes Loch, bis sie mich am Ende auffanden. Ich lag flach auf meinem Gesichte; einige Zeit lang betrachteten sie mit Staunen meine sonderbare und auffallende Kleidung, meinen Rock aus Häuten, meine Schuhe mit hölzernen Sohlen und meine Strümpfe aus Pelzwerk. Daraus schlosen sie jedoch, ich könne kein Eingeborner seyn, da diese mit Kleidung gänzlich unbekannt sind. Ein Matrose befahl mir endlich in portugiesischer Sprache aufzustehen und zu sagen, wer ich sey. Ich verstand das Portugiesische, stand auf und sagte: Ich sey ein armer von den Hauyhnhnms verbannter Yähu und bitte nur, daß man mich abreisen lasse. Siewunderten sich, daß ich in ihrer eigenen Sprache Antwort gab, und sahen an meiner Gesichtsfarbe, ich müsse ein Europäer seyn; sie konnten jedoch nicht begreifen, was ich mit Jähus und Hauyhnhnms meinte, und brachen zugleich über meine sonderbare Redeweise, welche dem Wiehern eines Pferdes glich, in ein lautes Gelächter aus. Furcht und Haß erweckten bei mir ein heftiges Zittern. Ich bat sie auf’s Neue, mich abreisen zu lassen, und näherte mich langsam meinem Cano. Die Matrosen packten mich jedoch an der Brust und fragten mich, von welchem Lande und woher ich gekommen sey; außerdem wurden mir noch manche andere Fragen vorgelegt. Ich erwiderte: In England sey ich geboren und habe mein Vaterland vor ungefähr fünf Jahren verlassen; damals habe Frieden zwischen England und Portugal stattgefunden; ich hoffe deßhalb, daß man mich nicht als Feind behandeln werde, ich beabsichtige durchaus nicht, ihnen irgend einen Schaden zuzufügen, ich sey nur ein armer Yähu, welcher irgend einen einsamen Ort sich aufsuche, um seine übrigen unglücklichen Lebenstage dort zuzubringen.

Als jene Seeleute miteinander sprachen, glaubte ich nie etwas Unnatürlicheres gehört zu haben; es kam mir vor, als wollte ein Hund oder eine Kuh in England und ein Yähu in Hauyhnhnmland sprechen. Die ehrlichen Portugiesen erstaunten gleicher Weise über meine sonderbare Kleidung und die Aussprache meiner Worte, die sie jedoch sehr gut verstanden. Sie erwiesen mir in ihren Reden sehr viel Menschlichkeit und sagten: der Kapitän werde mich gewiß umsonst nach Lissabon bringen, von wo ich in mein Vaterland zurückkehren könne. Zwei Matrosen würden zum Schiffe zurückkehren, den Kapitain von dem, was sie gesehen hatten, benachrichtigen und sich seine Befehle holen. Mittlerweile würden sie mich mit Gewalt in Sicherheit bringen, wenn ich nicht einen feierlichen Eid, nie zu fliehen, leistete. Sie waren sehr neugierig, meine Geschichte zu erfahren; ich gab ihnen aber nur wenig Befriedigung und sie glaubten, mein Unglück habe mir das Gehirn verwirrt. Nach zwei Stunden kehrte das Boot mit Wassergefäßen beladen und mit dem Befehl des Kapitän’s, mich an Bord zu bringen, wieder zurück. Ich flehete auf den Knien mir die Freiheit zu lassen, allein Alles war vergeblich. Die Männer banden mich mit Stricken und hoben mich in das Boot, von wo ich in das Schiff und dann in die Kajüte des Kapitän’s gebracht wurde.

Er hieß Pedro de Mendez und war ein artiger und großmüthiger Mann. Er bat mich, ihm einen Bericht über mich zu geben, und wünschte zu wissen, was ich essen und trinken wolle; ich solle, eben so gut bewirthet werden, wie er selbst lebe. Zugleich sagte er mir so viele verbindliche Sachen, daß ich mich wunderte, so viel Höflichkeit bei einem Yähu zu finden. Ich blieb jedoch still und mürrisch; der Geruch von ihm und seinen Leuten brachte mich einer Ohnmacht nahe. Zuletzt bat ich, man möge mir etwas aus meinem Cano zu essen bringen; der Kapitän aber ließ für mich ein Huhn und eine Flasche ausgezeichneten Wein kommen und befahl alsdann, mich in einer sehr reinlichen Kajüte zu Bett zu bringen. Ich wollte mich nicht auskleiden, sondern legte mich, wie ich war, auf das Bett; nach einer halben Stunde, als ich glaubte, die Mannschaft halte ihr Mittagsmahl stahl ich mich aus meiner Kajüte, ging auf die Schiffsseite, um in’s Meer zu springen und lieber schwimmend mich zu retten, als bei den Yähu’s in Zukunft noch zu leben. Ein Matrose verhinderte mich jedoch an der Ausführung meines Vorsatzes und stattete dem Kapitän hierüber Bericht ab; darauf wurde ich gefesselt in meine Kajüte gebracht.

Nach dem Mittagessen kam Don Pedro zu mir und bat mich, ich möge ihm den Grund jener so verzweifelten Handlung sagen. Er gab mir die Versicherung, daß er mir alle ihm möglichen Dienste erweisen wolle, und sprach dabei so rührend, daß ich mich zuletzt herabließ, ihn als ein Thier zu behandeln, welches einen kleinen Theil von Vernunft besitze. Ich gab ihm einen kurzen Bericht von meiner Reise, von der Verschwörung meiner Leute, von dem Lande wo sie mich aussetzten und von meinem dortigen fünfjährigen Aufenthalte. Der Kapitän betrachtete dies Alles wie ein Traum oder wie ein Hirngespinst, so daß ich außerordentlich zornig ward, denn ich hatte die Eigenschaft des Lügens, welche allen Jähus, wo sie auch wohnen mögen, so eigenthümlich ist, durchaus vergessen, und dachte auch deßhalb nicht an ihre Neigung hinsichtlich der Wahrheit gegen Andere ihrer eigenen Gattung Verdacht zu hegen. Ich fragte ihn deßhalb, ob es in seinem Vaterlande Gebrauch sey, das Ding zu sagen, welches nicht existire, und gab ihm die Versicherung, ich habe beinahe die Bedeutung des Wortes Falschheit vergessen, und hätte ich tausend Jahre im Hauyhnhnmslande gelebt, so würde ich doch nie eine Lüge von dem geringsten Diener gehört haben. Es sey mir gleichgültig, ob er mir glaube oder nicht; als Dank für seine mir erwiesenen Gefälligkeiten wolle ich der Verderbniß seiner Natur so viel zugestehen, daß ich jeden Einwurf, den er mir mache, beantworten werde, so daß er die Wahrheit leicht entdecken könne.

Der Kapitän, ein verständiger Mann, bemühete sich mehrere Male, mich auf Widersprüchen zu ertappen, und hegte zuletzt eine bessere Meinung von meiner Wahrhaftigkeit; er fügte jedoch hinzu: da ich eine so unverletzliche Anhänglichkeit an der Wahrheit besitze, so müsse ich ihm mein Ehrenwort geben, ihm auf dieser Reise Gesellschaft zu leisten, ohne irgend einen Versuch gegen mein Leben zu machen, sonst werde er mich gefangen halten, bis wir nach Lissabon kämen. Ich gab ihm das verlangte Versprechen, zugleich aber auch die Versicherung, ich wolle lieber die größten Leiden ertragen, als daß ich unter die Yähus wieder zurückkehre.

Unsere Reise verging ohne bemerkenswerthen Vorfall. Aus Dankbarkeit zu dem Kapitän setzte ich mich bisweilen auf seine ernstlichen Bitten mit ihm zu Tisch, und suchte dann meine Abneigung gegen das Menschengeschlecht zu verbergen, obgleich derselbe sich mehrere Male Luft machte; dies schien der Kapitän jedoch nicht zu bemerken. Den größten Theil des Tages verschloß ich mich jedoch in meine Kajüte und vermied es, irgend Jemand aus dem Schiffsvolke zu erblicken. Der Kapitän bat mich öfter, meine Kleidung eines Wilden abzulegen, und wollte mir seinen besten Anzug leihen. Ich ließ mich jedoch nicht bewegen, irgend ein Gewand anzulegen, welches auf dem Rücken eines Yähu geruhet hatte. Ich bat ihn, mir nur zwei reine Hemde zu leihen, welche, wie ich glaubte, mich nicht sehr beschmutzen könnten, da dieselben seitdem er sie getragen, gewaschen waren. Diese wechselte ich immer am zweiten Tage und pflegte sie auch selbst zu waschen.

Am 5. November 1715 landeten wir in Lissabon. Der Kapitän lieh mir, als ich ausstieg, seinen Mantel, damit sich der Pöbel nicht um mich versammele. Er brachte mich in sein eigenes Haus, und gab mir auf meine Bitte, das höchste Zimmer im obersten Stockwerk an der Hinterseite des Gebäudes. Ich beschwor ihn, gegen alle Leute zu verheimlichen, was ich ihm über die Hauyhnhnms erzählt hatte, weil der geringste Wink über diese Geschichte nicht allein eine Masse Personen herbeiführen würde, die mich sehen wollten, sondern weil ich auch dadurch wahrscheinlich in Gefahr gerathen müßte,verhaftet und von der Inquisition verbrannt zu werden. Der Kapitän überredete mich, einen neuen Anzug anzulegen, ich wollte jedoch dem Schneider nicht erlauben, mir das Maaß zu nehmen. Da jedoch Don Pedro beinah von demselben Körperbau war, so paßten mir die Kleider. Er versah mich auch mit anderen Bedürfnissen, die ich vierundzwanzig Stunden lüftete, ehe ich sie gebrauchen konnte.

Der Kapitän hatte keine Frau und nicht mehr als drei Bedienten, von denen keiner bei Tische aufwarten durfte; sein ganzes Benehmen war auch so artig und sein Verstand so ausgezeichnet, daß ich wirklich anfing, seine Gesellschaft erträglich zu finden. Er überredete mich, aus dem Hinterfenster zu sehen. Allmählich ward ich auch in andere Zimmer gebracht, von wo ich auf die Straße blickte; sogleich aber fuhr ich erschrocken wieder zurück.

Nach einer Woche verführte mich der Kapitän an die Thür zu gehen; ich fand, daß mein Schauder sich allmählich verminderte, Haß und Verachtung schienen sich jedoch zu vermehren. Zuletzt war ich so kühn, in seiner Gesellschaft durch die Straßen zu gehen, verstopfte mir aber die Nase gehörig mit Raute und bisweilen mit Taback.

Nach zehn Tagen legte mir Don Pedro, dem ich einige Nachricht von meinen häuslichen Angelegenheiten gegeben hatte, es als eine Pflicht an’s Herz, ich müsse in mein Vaterland zurückkehren und bei Frau und Kindern leben. Er sagte mir, ein englisches Schiff liege gerade im Hafen bereit und er werde mich mit allem Nothwendigen versehen. Es würde langweilig seyn, die Gründe, welche er anführte und meine Widersprüche hier zu wiederholen. Er sagte, es sey rein unmöglich, eine so einsame Insel, wie ich sie mir als Wohnort wünsche, aufzufinden. Ich möge jedoch über mein eigenes Haus verfügen und meine Zeit in so abgeschlossener Weise, wie ich es wünsche, zubringen.

Zuletzt gab ich nach, da ich nicht anders konnte. Ich verließ Lissabon am 24. November in einem englischen Kauffahrteischiff. Wer der Kapitän war, wollte ich nicht nachfragen. Don Pedrobegleitete mich an Bord, und lieh mir zwanzig Pfund. Er nahm von mir höflichen Abschied, und umarmte mich bei der Trennung, was ich so gut wie möglich ertragen mußte. Während dieser letzten Reise gab ich mich weder mit dem Kapitän noch mit einem seiner Leute ab, sondern ich verschloß mich in meine Kajüte, indem ich Krankheit als Vorwand brauchte. Am 5. December 1715, neun Uhr Morgens, warfen wir in den Dünen Anker und um drei Uhr Nachmittags kam ich wohlbehalten nach meinem Hause in Redriff.

Meine Frau und meine Kinder empfingen mich mit großer Ueberraschung und Freude, weil sie mich für todt gehalten hatten; ich muß jedoch offen gestehen, ihr Anblick erfüllte mich nur mit Haß, Ekel und Verachtung und zwar um so mehr, da ich an die nahe Verbindung mit ihnen dachte. Ob ich mich gleich seit meiner unglücklichen Verbannung aus Hauyhnhnmland bereits daran gewöhnt hatte, den Anblick der Yähus zu ertragen, und mich mit Don Pedro de Mendez zu unterhalten, so war dennoch meine Einbildungskraft wie mein Gedächtniß fortwährend mit den Tugenden und Ideen der erhabenen Hauyhnhnms angefüllt. Wenn ich nun ferner bedachte, daß ich durch die Verbindung mit einer weiblichen Yähu der Vater mehrerer Yähus geworden sey, so empfand ich die äußerste Schaam und Geistesverwirrung so wie auch den heftigsten Abscheu.

Sobald ich in mein Haus getreten war, umarmte mich meine Frau und gab mir einen Kuß; da ich nun an die Umarmungen eines so verhaßten Thieres schon lange nicht mehr gewohnt war, fiel ich in eine Ohnmacht, welche beinahe eine Stunde dauerte. Seit meiner Rückkehr nach England sind jetzt bereits fünf Jahre verflossen; im ersten Jahre konnte ich die Gegenwart meiner Frau und meiner Kinder nicht ertragen; ihr Geruch war mir sogar unausstehlich; noch weniger konnte ich es leiden, daß sie mit mir in demselben Zimmer aßen. Bis auf diesen Augenblick dürfen sie nicht wagen, mein Brod zu brechen, oder mit mir aus demselben Becher zu trinken; auch konnte ich es nicht erlauben, daß irgend eine Person meiner Familie, mir die Hand berührte. Das erste Geld, das ich besaß, verwandte ich auf den Ankauf zweier junger Hengste, die ich mir in einem guten Stalle halte; sie sind meine besten Freunde zugleich mit dem Stallknecht denn meine gute Laune wird durch den Geruch, der im Stalle herrscht, wieder hergestellt. Meine Pferde verstehen mich ziemlich gut; ich unterhalte mich mit ihnen jeden Tag, und zwar gewöhnlich vier Stunden lang. Sie sind unbekannt mit Zaum und Sattel und leben in großer Freundschaft mit mir so wie untereinander.

Kapitel 12


Kapitel 12 Des Verfassers Wahrhaftigkeit. Sein Zweck bei der Herausgabe dieses Werkes. Sein Tadel über Reisende welche von der Wahrheit abweichen. Der Verfasser rechtfertigt sich gegen den Vorwurf böslicher Absicht. Widerlegung eines Einwurfes. Die Methode des Anbaues neuer Colonien. Lob seines Vaterlandes. Das Recht der Krone auf die vom Verfasser beschriebe

Also, lieber Leser, habe ich dir eine getreue Geschichte meiner Reisen gegeben, welche 16 Jahre und über 7 Monate dauerten. In der Beschreibung habe ich weniger den Schmuck der Rede als die Wahrheit in Obacht genommen. Ich hätte vielleicht wie Andere, mit sonderbaren und unwahrscheinlichen Geschichten das Erstaunen erregen können; allein ich habe vorgezogen, nur die Thatsachen und zwar in gerader Art und im einfachsten Style darzustellen. Mein Hauptzweck war nämlich, dich zu belehren, aber durchaus nicht dich zu unterhalten.

Für uns, die wir entfernte Länder bereisen, welche von Engländern und andern Europäern selten besucht werden, ist es sehr leicht, wunderbare Land- und See-Thiere zu beschreiben. Dagegen sollte es der Hauptzweck der Reisenden seyn, durch ihre Berichte von fremden Orten die Menschen besser und klüger zu machen, ihre Seelen durch schlechtes und gutes Beispiel zu vervollkommnen.

Ich wünschte sehr, das Parlament möge ein Gesetz erlassen, wonach jeder Reisende, bevor er seine Berichte herausgibt, dem Lord-Kanzler einen feierlichen Eid schwören müßte, er wolle nur dasjenige drucken lassen, was seinem besten Wissen gemäß vollkommen wahr sey. Alsdann würde die Welt der gegenwärtig gewöhnlichen Täuschung nicht länger ausgesetzt seyn, weil mehrere Schriftsteller, damit ihre Bücher im Publikum desto mehr gelesen werden, den arglosen Leser mit den gröbsten Verfälschungen betrügen. Ich habe in meiner Jugend mehrere Reisebeschreibungen mit dem höchsten Entzücken durchgelesen. Da ich aber seitdem den größten Theil des Erdkreises bereist habe, und somit in Stand gesetzt war, manchen fabelhaften Berichten nach näherer Beobachtung zu widersprechen, so habe ich einen heftigen Abscheu gegen diese Lectüre erlangt, und ich ärgerte mich häufig, wenn ich die Leichtgläubigkeit des Menschengeschlechts so sehr mißbraucht sah; da nun meine Bekannten die Güte hatten, ihre Meinung, dahin auszusprechen, meine unbedeutenden Bemühungen, um meine Landsleute zu belehren, würden von denselben nicht übel aufgenommen werden, so stellte ich als meinen hauptsächlichsten Grundsatz auf, nie von der Wahrheit abzuweichen und mich mit aller Strenge daran zu halten. Auch kann sich mir die geringste Versuchung zum Lügen durchaus nicht darbieten, so lange ich die Lehren und das Beispiel meines edlen Herrn und der erlauchten Hauyhnhnms vor Augen habe, deren Schüler zu seyn, ich so lang die Ehre hatte.

Nec si miserum fortuna Sinonem
Finxit, vanum etiam mendacemque improba finget.

Ich weiß sehr wohl, daß nur wenig Ruhm durch Schriften erlangt wird, welche weder Genie noch Gelehrsamkeit und überhaupt kein Talent, sondern nur ein gutes Gedächtnis und ein genaues Tagebuch erfordern. Ich weiß ferner, daß Reisebeschreiber, wie die Verfasser von Wörterbüchern durch das Gewühl und die Masse derer in Vergessenheit gerathen, welche zuletzt kommen, und deßhalb oben schwimmen. Auch ist wahrscheinlich, daß Reisende, welche später die von mir beschriebenen Länder besuchen, Irrthümer entdecken werden, wenn dieselben wirklich vorhanden sind, daß sie neue Entdeckungen hinzufügen und mich so außer Vogue bringen, so daß sie meine Stelle einnehmen, worauf dann die Welt vergessen wird, daß ich jemals ein Schriftsteller gewesen bin. Dies würde mir wirklich eine große Kränkung bereiten, wenn ich des Ruhmes wegen dies Buch verfaßt hätte; da ich jedoch ausschließlich das Wohl meines Vaterlandes im Auge hatte, so kann ich mich in meiner Erwartung unmöglich trügen. Wer wird meine Berichte der ruhmwürdigen Hauyhnhnms lesen können, ohne sich seiner eigenen Laster zu schämen, ob er sich gleich als das vernünftige und herrschende Thier seines Vaterlandes betrachtet? Ich will von den entfernten Nationen, wo Yähus die Regierung führen, nichts weiter sagen; von diesen sind aber die Brobdignagier gewiß am Wenigsten verdorben. Es würde zu unserem Glück gereichen, wenn wir die weisen Grundsätze derselben in Moral und Regierung beobachteten. Ich vermeide es jedoch, noch weiter zu sprechen, und überlasse dem verständigen Leser seine eigenen Bemerkungen, und der Anwendung der von mir gegebenen Beispiele.

Es ist mir sehr angenehm, daß dies Werk wahrscheinlich keine Tadler finden wird. Welche Vorwürfe können einem Schriftsteller gemacht werden, welcher nur einfache Thatsachen erzählt, die sich in den entferntesten Ländern zutrugen, die uns nicht das geringste Interesse durch Handel oder durch diplomatische Verhandlungen darbieten. Ich habe jeden Fehler sorgfältig vermieden, den man Reisebeschreibern zu oft und mit zu viel Recht zum Vorwurf macht. Außerdem lasse ich mich durchaus in keine Parteistreitigkeiten ein, und zeige weder Vorurtheil noch Böswilligkeit gegen irgend einen Menschen, oder gegen irgend eine Klasse von Menschen. Ich schreibe mit dem edlen Zwecke, das Menschengeschlecht zu belehren und zu unterrichten. Auch kann ich, ohne die Regel der Bescheidenheit zu verletzen, mit aller Dreistigkeit behaupten, daß ich demselben überlegen bin, denn ich habe mancherlei Vorzüge durch meinen längeren Verkehr mit den ausgezeichneten Hauyhnhnms erlangt. Ich schreibe, ohne Absicht auf Ruhm oder Nutzen zu hegen. Ich habe es mir nie erlaubt, ein Wort niederzuschreiben, welches als Tadel gelten oder durch Beleidigung verletzen könnte, sogar die empfindlichsten Leute werden dergleichen nicht vorfinden. Somit habe ich vollkommenes Recht, mich als durchaus tadellosen Schriftsteller hinzustellen, und die Zünfte der Erwiderer, Bemerker, Recensenten, Spione und Entdecker werden niemals Gelegenheit finden, ihre Talente bei mir auszuüben.

Ich muß jedoch gestehen, daß mir folgender Wink gegeben wurde: Als Unterthan von England sey ich verpflichtet gewesen, nach meiner ersten Rückkehr einem Staatssecretär irgend ein Memoir zu überreichen; jedes von einem Unterthan neu entdeckte Land gehöre der Krone. Ich bezweifle jedoch, daß Eroberungen, in den von mir entdeckten Ländern, so leicht seyn würden, als die des Fernando Cortez über nackte Amerikaner. Die Lilliputer sind, wie ich glaube, durchaus nicht die Kosten werth, welche eine Flotte und Armee zu ihrer Eroberung erfordern würde; es ist ferner eine große Frage, ob ein Angriff auf die Brobdignagier verständig und ausführbar wäre. Ein englisches Heer oder eine Flotte würde auch in eine schlimme Lage gerathen, wenn die fliegende Insel über ihren Häuptern schwebte. Die Hauyhnhnms sind zwar zum Kriege jetzt nicht vorbereitet, in der Kunst desselben sind sie vollkommen unerfahren und haben auch keine Wurfgeschütze. Jedoch angenommen, ich sey Staatsminister, so würde ich abrathen, einen Angriff gegen sie auszuführen. Ihre Klugheit, Einstimmigkeit und Unbekanntschaft mit Furcht, so wie ihre Vaterlandsliebe würde allen Mangel an Kriegskunst leicht ersetzen. Man denke sich 20+000 Hauyhnhnms, welche in die Mitte einer europäischen Schlachtlinie brechen, die Reihen verwirren, die Wagen umstürzen und die Gesichter der Soldaten durch furchtbare Hiebe ihrer Hinterhufe zu Mumien zerschlügen: sie würden sicher den Charakter verdienen, den man August ertheilte: Realcitrat undique tutus. Anstatt einer Eroberung dieser großmüthigen Nation vorzuschlagen, wünsche ich vielmehr, sie wären fähig oder geneigt, eine genügende Anzahl Einwohner abzusenden, um auch Europa zu civilisiren, und uns die ersten Grundsätze der Ehre, Wahrheit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Vaterlandsliebe, Tapferkeit, Keuschheit, Freundschaft, des Wohlwollens und der Treue zu lehren. Die Namen aller dieser Tugenden befinden sich zwar noch in jeder Sprache und kommen in älteren, so wie neueren Schriftstellern häufig genug vor, eine Behauptung, die ich ungeachtet meiner geringen Belesenheit wagen darf.

Außerdem war ich noch aus einem anderen Grunde nicht sehr geneigt, die Besitzungen Seiner Majestät durch meine Entdeckungen zu vergrößern. Um die Wahrheit zu gestehen, so fühlte ich einige Gewissensbisse in Betreff der Gerechtigkeit womit Fürsten bei dieser Gelegenheit verfahren. Zum Beispiel: eine Piraten-Mannschaft wird durch Sturm in eine unbekannte Gegend verschlagen; zuletzt entdeckt ein Matrose Land von dem Hauptmast aus; die Piraten ziehen an den Strand um zu rauben und zu plündern, sie sehen ein harmloses Volk und werden mit Güte bewirthet. Alsdann geben sie dem Lande einen neuen Namen, nehmen davon förmlichen Besitz für ihren König, stellen ein verfaultes Brett oder einen Stein als Denkzeichen auf; ermorden zwei, drei Dutzend Einwohner, nehmen ein paar Andere als Muster durch Gewalt mit sich fort, kehren nach Haus zurück und erhalten ihre Verzeihung. Hier nun beginnt eine neue Herrschaft, welche unter dem Besitztitel des göttlichen Rechts erworben ist. Mit der ersten Gelegenheit werden Schiffe dorthin gesandt, die Eingeborenen vertrieben oder vernichtet, ihre Fürsten gefoltert, um ihr Geld zu entdecken; es wird eine vollkommene Straflosigkeit für alle Handlungen der Unmenschlichkeit und Begierde ausgesprochen, so daß die Erde von dem Blute der Eingebornen dampft und diese verabscheuungswürdige Mannschaft von Schlächtern, welche zu einer so frommen Expedition gebraucht ist, bildet eine moderne, zur Bekehrung und Civilisirung eines barbarischen und abgöttischen Volkes bestimmte Colonie.

Diese Beschreibung hat jedoch, wie ich gestehen muß, durchaus keine Beziehung auf die brittische Nation, welche wegen ihrer Weisheit, Sorgfalt und Gerechtigkeit in Anlegung der Colonien der ganzen Welt zum Muster dienen kann, welche durch freigebige Schenkungen zur Verbreitung der Religion und Wissenschaft, durch die Wahl frommer geschickter Hirten zur Ausbreitung des Christenthums, durch Vorsicht ihre entlegenen Provinzen mit nüchternen und verständigen Leuten aus dem Mutterlande zu bevölkern, durch genaue Vertheilung der Gerechtigkeit, durch Ernennung von fähigen, der Bestechung unzugänglichen Mitbeamten, und endlich durch die Absendung von wachsamen und tugendhaften Gouverneuren sich im höchsten Grade auszeichnet, wovon Letztere keine andre Zwecke verfolgen, als das Glück des Volkes, das sie regieren, und die Ehre ihres Königs zu befördern.

Da jedoch die Länder, welche ich beschrieben habe, durchaus nicht wünschen, erobert und unterworfen, oder durch Kolonisten ermordet und vertrieben zu werden; da sie auch keinen Ueberfluß an Gold, Silber, Zucker und Taback besitzen, so hegte ich auch die demüthige Meinung, sie seyen kein passender Gegenstand für unsern Eifer, unsere Tapferkeit oder unser Interesse. Wenn jedoch diejenigen, deren Geschäft es ist, sich mehr um diese Sache zu bekümmern, anderer Meinung zufällig seyn sollten, so bin ich bereit, sobald ich gesetzlich aufgefordert werde, mein Zeugniß abzulegen, daß kein Europäervor mir diese Länder besucht hat. Hierunter verstehe ich jedoch nur, in so weit man den Einwohnern Glauben beimessen darf, im Fall kein Streit über die beiden Jähus entstehen sollte, die man vor vielen Jahren auf einem Berge in Hauyhnhnmland gesehen haben will.

Die Förmlichkeit jedoch, im Namen meines Fürsten von dem Lande Besitz zu nehmen, ist mir niemals eingefallen. Wäre dies aber auch wirklich der Fall gewesen, so hätte ich, in Betracht des damaligen Standes meiner Angelegenheiten, wahrscheinlich aus Klugheit und Selbsterhaltung, die Sache auf eine gelegenere Zeit verschoben.

Nachdem ich so den einzigen Tadel, der gegen mich als Reisenden erhoben werden kann, entfernt habe, nehme ich hier zuletzt noch Abschied von allen meinen höflichen Lesern, und kehre zu meinen Spekulationen in meinem kleinen Garten bei Redriff zurück. Ich werde jetzt die ausgezeichnetsten Tugendlehren, die ich bei den Hauyhnhnms erlernte, anwenden, und die Yähus meiner eigenen Familie, soweit solche Thiere dieselbe begreifen können, darin unterrichten, und so mich allmählich daran gewöhnen, den Anblick menschlicher Geschöpfe zu ertragen; ich werde die viehische Natur der Hauyhnhnms in meinem Vaterlande stets beklagen, allein aus Rücksicht für meinen edlen Herrn, seine Familie, seine Freunde und das ganze Hauyhnhnm-Geschlecht, ihre Personen stets mit großer Rücksicht behandeln, denn sie gleichen denselben in allen ihren Zügen, wie sehr auch ihr Verstand entartet ist.

Vergangene Woche erlaubte ich meiner Frau mit mir zu essen; sie mußte jedoch an dem entferntesten Ende eines langen Tisches sitzen, und die ihr vorgelegten Fragen mit aller Kürze beantworten. Da mir jedoch der Geruch eines Yähu noch immer anstößig ist, verstopfe ich mir die Nase mit Raute, Lavendel und Taback. Ob es gleich einem Manne in vorgerückten Jahren sehr schwer ankommen muß, alte Gewohnheiten zu entfernen, so hege ich doch noch die Hoffnung, daß ich bald meinen Nachbar-Yähu in meiner Gesellschaft werde dulden können, ohne wie es jetzt noch der Fall ist, mich vor seinen Zähnen und Klauen fürchten zu müssen.

Meine Wiederaussöhnung mit der Yähu-Kaste im allgemeinen, würde nicht so schwierig seyn, wenn sie nur mit den Lastern und Thorheiten zufrieden seyn wollten, wozu sie die Natur berechtigt hat. Ich ärgere mich nicht im geringsten über den Anblick eines ersten Taschendiebes, Obersten, Narren, Lords, Spielers, Politikers, Kupplers, falschen Zeugen, Verführers zum falschen Zeugniß, eines Sachwalters, Verräthers u.s.w. Alle diese Erscheinungen sind dem natürlichen Laufe der Dinge gemäß. Sehe ich aber eine Masse von Häßlichkeit und Krankheit sowohl des Körpers als der Seele, von Stolz sich blähen, so ist sogleich meine Geduld zu Ende. Auch kann ich nicht begreifen, wie solch ein Laster und solch ein Thier zusammen passen können. Die weisen und tugendhaften Hauyhnhnms, welche in allen ausgezeichneten Eigenschaften, die ein vernünftiges Geschöpf nur ausschmücken können, so viel Ueberfluß haben, besitzen in ihrer Sprache keinen Namen für dieses Laster. Diese entbehrt ohnedem der Ausdrücke, welche etwas Böses bezeichnen, mit Ausnahme dessen, was sie an den verabscheuungswürdigen Yähus bemerken. Das Laster des Stolzes konnten sie aber bei denselben nicht ausfindig machen, weil sie die menschliche Natur nicht in dem Grade kennen konnten, wie dies in den Ländern, wo der Yähu herrscht, der Fall seyn muß. Ich, der ich jedoch mehr Erfahrung hatte, konnte einige Elemente des Stolzes bei den Yähus andeuten. Die Hauyhnhnms, die unter der Herrschaft der Vernunft leben, hegen nicht mehr Stolz auf ihre guten Eigenschaften, wie ich z. B. daß mir weder ein Arm noch ein Bein fehlt. Jedermann wird sich dessen wohl nicht rühmen, so lange er nicht verrückt ist, obgleich der Mangel jener Glieder ihn unglücklich machen müßte. Ich verweile länger bei diesem Gegenstande, weil ich die Gesellschaft eines englischen Yähu erträglicher zu machen wünsche, und deßhalb bitte ich diejenigen, welche einige Neigung zu diesem Laster haben, mir in Zukunft vom Leibe zu bleiben.

Brief des Kapitäns Gulliver an seinen Vetter Richard Sympson


Brief des Kapitäns Gulliver an seinen Vetter Richard Sympson.

Ich hoffe, Sie werden nicht anstehen, öffentlich zu bekennen, so oft sich Gelegenheit dazu bieten wird, daß nur ihre wiederholten, dringenden Bitten mich bestimmt haben, eine schlecht geschriebene und fehlerhafte Erzählung meiner Reisen veröffentlichen zu lassen, wobei ich Ihnen zugleich auftrug, einige junge Graduirte von der einen oder andern unserer Universitäten zu Hülfe zu nehmen, um die Materialien zu ordnen und den Styl zu verbessern, wie es auf meinen Rath mein Vetter Dampier mit seinem Buche: Reise um die Welt, gemacht hat. Aber wenn ich mich recht erinnere, habe ich Ihnen nicht gestattet, irgend etwas wegzulassen, und noch weniger, etwas hinzuzufügen. So muß ich in Beziehung auf den letzten Fall Alles ablehnen, was nicht von mir ist, namentlich einen Abschnitt über Ihre Majestät, die Königin Anna, frommen und ruhmwürdigen Andenkens. Obgleich ich sie mehr als alle übrigen ihres Geschlechts achtete und verehrte, hätten doch Sie oder derjenige Ihrer Mitarbeiter, der sich erlaubt hat, diesen Abschnitt einzuschalten, beachten sollen, einmal daß es nicht meine Gewohnheit ist, meines Gleichen zu schmeicheln, sodann daß es unschicklich gewesen wäre, ein Geschöpf meiner Gattung vor meinem Lehrer, dem Huyhnhnm, zu loben; noch mehr aber, die Thatsache ist völlig falsch, denn ich habe während eines großen Theils der Regierung Ihrer Majestät in England gelebt, und meines Wissens hat diese Fürstin stets durch einen Premierminister regiert, anfangs Lord Godolphin, nachher Lord Oxford, so daß sie mich etwas sagen ließen, was gar nicht der Fall war. Dann haben Sie in meiner Schilderung der Akademie der Projektenmacher und in einigen Stellen meiner Rede an meinen Lehrer, den Huyhnhmn, wesentliche Umstände hinweggelassen, oder Sie haben dieselben so verdünnt und verändert, daß es mir schwer war, mein eigenes Werk wieder zu erkennen. Wenn ich Ihnen in einem meiner Briefe einen ähnlichen Vorwurf gemacht habe, antworteten Sie mir, Sie fürchten die öffentliche Gewalt zu beleidigen, die in Beziehung auf die Presse stets wachsam und geneigt sey, Alles, was den Schein einer Anspielung (das ist glaube ich, der Ausdruck) habe, nicht bloß auszulegen, sondern auch zu strafen. Aber ich bitte Sie, wie kann das, was ich vor so vielen Jahren in einer Entfernung von fünftausend Stunden in einem ausländischen Königreiche gesagt habe, auf irgend einen der Yahus eine Anwendung finden, die jetzt, wie man sagt, unsere Heerde beherrschen, zumal da ich meine Worte zu einer Zeit sprach, wo ich nicht fürchten konnte, mich je wieder einmal unter ihrer Herrschaft zu befinden? Habe ich nicht das größte Recht, mich zu grämen, wenn ich diese nämlichen Yahus von Huyhnhnms im Wagen fortgezogen sehe, wie wenn die letzten das Vieh und die ersteren vernünftige Geschöpfe wären? Wahrhaftig, besonders deßhalb habe ich mich hieher zurückgezogen, um diesem abscheulichen, verwerflichen Schauspiel zu entfliehen.

Dies ist es, was ich Ihnen in Beziehung auf Sie selbst und auf die Aufgabe, die ich Ihnen anvertraut habe, sagen zu müssen glaubte.

Für’s zweite muß ich mir den Vorwurf machen, daß ich so wenig Verstand gezeigt habe, indem ich den Bitten und falschen Gründen nachgab, die von Ihnen und einigen Andern angewendet wurden, um mich gegen meine Ueberzeugung dazu zu vermögen, meine Reisen veröffentlichen zu lassen. Wollen Sie sich doch gefälligst erinnern, wie oft ich Sie gebeten habe, als Sie den Beweggrund des öffentlichen Wohls vorbrachten, um über mein Widerstreben zu siegen, wie oft, sage ich, ich Sie gebeten habe, zu bedenken, daß die Yahus Thiere seyen, die völlig unfähig sind, durch Lehre oder Beispiel sich zu bessern. Der Thatbestand hat diese Behauptung bestätigt; denn, anstatt daß mein Buch sie belehrt hätte, die Mißbräuche und das Verderbniß, wenigstens auf dieser kleinen Insel, abzustellen, wie ich hoffen durfte, sehen Sie, daß mein Buch, nachdem es jetzt sechs Monate lang veröffentlicht ist, nicht eine einzige der guten Wirkungen hervorgebracht hat, die ich hatte hervorbringen wollen. Ich hatte Sie gebeten, mich durch einen Brief zu benachrichtigen, sobald die Parteiunterschiede verwischt, die Richter aufgeklärt und unbestechlich, die Processirenden ehrlich, gemäßigt und nicht ganz vom Verstande entblößt; wo die Ebene von Smithfield vom Feuer erleuchtet seyn würde, das die Pyramiden von juridischen Büchern verzehrte, und alle Aerzte verbannt; die Weibchen der Yahus reichlich mit Tugenden, Ehre, Aufrichtigkeit und Vernunft geschmückt, die Höfe und Audienzzimmer der Minister von ihrem Unrath gesäubert, das Verdienst und die Wissenschaft belohnt, und diejenigen, die in Prosa oder in Versen die Presse schänden, verurtheilt würden, zur einzigen Nahrung ihr Papier, und zum einzigen Getränke ihre Dinte zu erhalten. Ich rechnete, nach Ihren Ermuthigungen, auf diese Reformen und auf tausend andere, und wirklich waren sie in meinem Buche klar angedeutet; und man muß gestehen, daß sieben Monate wohl hinreichten, alle Laster und alle Schwächen zu verbessern, denen die Yahus unterworfen sind, wenn auch nur ein wenig Weisheit oder Tugend in ihrem Wesen Platz finden könnte. Aber weit entfernt meiner Erwartung zu entsprechen, brachte mir ein jeder Ihrer Boten mit Ihren Briefen eine ganze Ladung kleiner Schriften, Betrachtungen, zweiter Theile, in denen man mich anklagte, Staatsmänner zu verläumden, das menschliche Geschlecht herabzuwürdigen (denn sie haben noch die Unverschämtheit, sich diesen Namen beizulegen) und das weibliche Geschlecht zu beschimpfen. Ich erkannte bald, daß die Verfasser dieser Scharteken nicht einmal unter einander einig sind; denn die Einen wollten nicht zugeben, daß ich der Verfasser meiner Reisen sey, und die andern legten mir Schriften bei, denen ich gänzlich fremd bin.

Brief des Kapitäns Gulliver


Brief des Kapitäns Gulliver

Noch muß ich bemerken, daß Ihr Buchdrucker mit dem Datum einiger meiner Reisen und der Zeiten meiner Rückkehr sehr ungenau verfahren ist, und weder das Jahr, noch den Monat des Jahres, noch den Tag des Monats pünktlich angegeben hat; und da ich habe sagen hören, das Originalmanuscript sey nach der Veröffentlichung meines Werkes vernichtet worden, und ich keine Abschrift davon habe, so sende ich Ihnen hier einige Berichtigungen, die Sie bei einer zweiten Ausgabe einschalten können; doch stehe ich nicht dafür ein, und ich überlasse den verständigen und redlichen Lesern die Sorge, sich die Sachen so zu denken, wie sie seyn sollten.

Man hat mir gesagt, unsere Yahu’schen Seeleute finden meine Seesprache an gewissen Stellen veraltet. Dieser Uebelstand war unvermeidlich. Auf meiner ersten Reise, wo ich noch sehr jung war, wurde ich von sehr alten Seemännern unterrichtet, und lernte sprechen wie sie. In der Folge sah ich, daß die Yahus zur See zur Aufnahme neuer Wörter eben so geneigt sind, wie die Yahus zu Lande, die beinahe jedes Jahr die Sprache ändern, so daß ich, so oft ich in mein Vaterland zurückkehrte, den Dialekt so verändert fand, daß ich ihn kaum mehr verstand. Ebenso wenn ich von einigen Neugierigen aus London einen Besuch erhalte, können wir uns niemals einander verständlich machen, weil wir uns ganz verschiedener Worte bedienen, um unsere Ideen auszudrücken.

Wenn die Kritiker der Yahus mich nun im Mindesten interessiren würden, so hätte ich das volle Recht, mich über mehrere derselben zu beklagen, die so unverschämt waren, gleich von vornherein zu behaupten, meine Reisebeschreibung sey eine bloße Erdichtung, die ich aus meinem Gehirn geschöpft habe; ja sie waren sogar so keck zu sagen, es gäbe ebensowenig Huyhnhnms und Yahus, als Einwohner von Utopien.

Gleichwohl gestehe ich, daß in Beziehung auf die Völker von Lilliput, Brobdingrag (so muß das Wort geschrieben werden und nicht, wie man irrig schreibt, Brobdingnag) und Laputa keiner unserer Yahus keck genug war, den mindesten Zweifel gegen sie anzuregen, so wenig als gegen die Thatsachen, die ich in Beziehung auf diese Völker anführte; denn hier ist die Wahrheit so einleuchtend, daß sie die Ueberzeugung mit Gewalt erzwingt. Aber ist denn meine Erzählung von den Huyhnhnms und Yahus weniger wahrscheinlich? Sieht man nicht auch in diesem Lande Tausende dieser Letzteren, die sich von ihren viehischen Brüdern im Lande der Huyhnhnms nur dadurch unterscheiden, daß sie eine Art von Jargon sprechen und nicht ganz nackt gehen? Ich habe geschrieben, um ihre Vervollkommnung zu veranlassen, nicht ihre Billigung zu erhalten. Die einstimmigen Lobsprüche ihres ganzen Geschlechtes wären in meinen Augen weniger achtungswerth, als das Wiehern zweier ausgearteter Huyhnhnms, die ich in meinem Stalle halte; denn trotz ihrer Erniedrigung kann ich bei ihnen noch einige Aeußerungen von Tugend bemerken, ohne Beimischung von Laster.

Sollten es diese elenden Thiere wagen, mich für so niedrig zu halten, um mich herabzulassen, meine Wahrhaftigkeit zu vertheidigen? Obgleich auch ich ein Yahu bin, so ist doch bekannt, daß ich durch den Unterricht und das Beispiel meines erlauchten Lehrers in einer Zeit von zwei Jahren (nicht ohne große Schwierigkeit, wie ich gestehen muß) es dahin brachte, diese höllische Gewohnheit, zu lügen, aufzuschneiden, zu betrügen, zweideutig zu reden, die namentlich in Europa bei meiner Gattung so eingewurzelt ist, ganz abzulegen. Ich könnte noch manche Klagen über diese leidige Sache vorbringen; aber ich will Sie und mich nicht länger ermüden. Ich muß gestehen, daß seit meinem letzten Briefe durch den Umgang mit einer kleinen Zahl Individuen Ihrer Gattung, namentlich mit denjenigen meiner Familie, mit denen ich nicht umhin kann, Umgang zu pflegen, ein Rest des schlimmen Sauerteiges meiner yahu’schen Natur in mir wieder lebendig geworden ist; wenn das nicht wäre, hätte ich wahrscheinlich niemals einen so ungereimten Plan entworfen, wie der ist, das Geschlecht der Yahus in diesem Königreiche reformiren zu wollen. Aber jetzt habe ich für immer auf solche Chimären verzichtet.

2. April 1727.

Teil 1 – Reise nach Lilliput

Teil 1
Reise nach Lilliput