9. Kapitel


Die Ware wird fortgeschafft

Der Februarmorgen blickte grau und regenhaft durch die Fenster von Onkel Toms Hütte herein. Er blickte auf niedergeschlagene Gesichter, die Bilder bekümmerter Herzen, herab. Der kleine Tisch stand vor dem Feuer mit einem Plättuch bedeckt; ein oder zwei Paar grobe aber reine Hemden frisch unter der Platte weg, hingen über der Stuhllehne vor dem Kamine, und Tante Chloe hatte ein zweites vor sich auf dem Tisch ausgebreitet. Sorgfältig plättete sie jede Falte und jeden Saum mit dem größten Fleiße und hob nur dann und wann ihre Hand an die Augen, um die Tränen abzuwischen, die ihr die Wangen herabliefen.

Tom saß daneben, das Neue Testament auf den Knien und den Kopf auf die Hand gestützt; aber keins von den beiden sprach. Es war noch früh, und die Kinder lagen noch alle nebeneinander auf ihrem kleinen Rollbett im Schlaf. Tom, der ganz das sanfte für Familienfreuden schlagende Herz hatte, welches, schlimm genug für dasselbe, dieses unglückliche Volk besonders auszeichnet, stand auf und trat schweigend vor das Bett der Kinder:

»Es ist das letzte Mal«, sagte er.

Tante Chloe antwortete nicht, sondern plättete nur in einem fort das grobe Hemd, das schon so glatt war, als es Menschenhände nur machen konnten; zuletzt aber ließ sie das Plätteisen mit einer verzweifelten Miene stehen, setzte sich an den Tisch und erhob ihre Stimme und weinte.

»Freilich sollten wir uns in unser Schicksal ergeben, aber, o Gott, wie kann ich das? Wenn ich nur wüßte, wohin du kämst, oder wie sie dich behandelten! Missis sagt, sie will sehen, daß sie dich in ein oder zwei Jahren wieder zurückkaufen kann; aber Gott, wer einmal dorthin geht, kommt nie wieder zurück! Sie machen sie tot dort! Ich habe erzählen hören, wie sie sie dort in ihren Plantagen zu Tode arbeiten.«

»Es ist derselbe Gott dort, wie hier, Chloe.«

»Nun ja, das mag wohl sein«, sagte Tante Chloe, »aber der Herr läßt manchmal schreckliche Dinge geschehen. Damit kann ich mich nicht trösten.«

»Ich bin in der Hand des Herrn«, sagte Tom; »nichts kann schlimmer werden, als er es zuläßt, und für eine Sache kann ich ihm immer noch danken, daß ich verkauft und hinuntergeschafft werde, und nicht du oder die Kinder. Hier seid ihr sicher; was geschieht, geschieht nur mir; und der Herr wird mir helfen – das weiß ich.«

O wackres, männliches Herz, das seinen eignen Schmerz erstickt, um die geliebten Seinigen zu trösten! Tom sprach mit schwerer Zunge und mit einem schmerzlichen Stocken in seiner Kehle – aber er sprach wacker und kräftig.

»Wir wollen an Gottes Gnade denken«, setzte er zitternd hinzu, als ob er vollkommen überzeugt sei, daß er daran wirklich recht sehr denken müsse.

»Gnade!« sagte Tante Chloe. »Ich sehe keine Gnade darin! Es ist nicht recht! Es ist nicht recht, daß es so ist! Master hätte es nie so weit kommen lassen sollen, daß du für seine Schulden könntest haften sollen. Du hast ihm schon zweimal mehr verdient, als er für dich kriegt. Er ist dir deine Freiheit schuldig, und hätte sie dir schon vor Jahren geben sollen. Kann sein, daß er sich jetzt nicht helfen kann; aber ich fühle, es ist unrecht. Das wird mir niemand aus dem Kopfe streiten. So getreu, wie du ihm gewesen bist, und hast immer sein Geschäft mehr als dein eignes am Herzen gehabt und mehr Rücksicht auf ihn genommen, als auf deine Frau und deine Kinder! Die, welche Herzensliebe und Herzensblut verkaufen, um ihre dummen Streiche wiedergutzumachen, wird der Herr strafen!«

»Chloe! Wenn du mich lieb hast, darfst du nicht so reden, heute, wo vielleicht der letzte Tag ist, wo wir beisammen sind! Und ich sage dir, Chloe, es geht mir zu Herzen, wenn ich ein Wort gegen Master höre. Hat ihn mir nicht seine Mutter als Wiegenkind in die Arme gelegt? – Es ist natürlich, daß ich viel auf ihn halte. Und es läßt sich von ihm nicht erwarten, daß er so viel auf den armen Tom hält. Master sind gewohnt, daß ihre Leute alles das für sie tun, und natürlich legen sie kein so großes Gewicht darauf. Es läßt sich nicht von ihnen erwarten, in keiner Weise. Vergleiche ihn mit andern Herren. – Wer hat eine solche Behandlung und solches Leben wie ich gehabt? Und er hätte es nie soweit mit mir kommen lassen, wenn er es hätte voraussehen können. Das weiß ich von ihm –«

»Na, mag sein, jedenfalls ist’s unrecht irgendwo«, sagte Tante Chloe, bei der ein hartnäckiges Gefühl für Recht ein hervorstechender Charakterzug war; »ich kann freilich nicht herausfinden, wo’s ist, aber Unrecht ist wo, das ist klar.«

»Du mußt hinauf zu dem Herrn sehen, er ist über uns allen – ohne ihn fällt kein Sperling vom Dache.«

»Das kommt mir nicht vor, als ob mich das tröstete, aber vielleicht die anderen«, sagte Tante Chloe. »Doch das Reden hilft nichts: Ich will nach dem Maiskuchen sehen und dir noch ein gutes Frühstück zurechtmachen, weil niemand weiß, ob du wieder einmal eins bekommst.«

Um die Leiden der nach dem Süden verkauften Neger würdigen zu können, muß man bedenken, daß die Gemütsseite bei diesem Volke besonders stark ausgebildet ist. Sie hängen mit großer Liebe an der einmal gewohnten Umgebung. Sie sind nicht von Natur kühn und unternehmend, sondern häuslich und liebevoll. Dazu muß man noch alle die Schrecken rechnen, mit welcher die Unwissenheit das Unbekannte ausstattet, und den Umstand, daß das Verkaufen nach dem Süden dem Neger von Kindheit an als die härteste Strafe dargestellt worden ist.

Das einfache Frühstück dampfte jetzt auf dem Tisch, denn Mrs. Shelby hatte für diesen Morgen Tante Chloe ihres Dienstes im großen Hause entbunden. Die Arme hatte ihre ganze Kraft an diesem Abschiedsmahl verschwendet, hatte ihr bestes Huhn geschlachtet und gebraten, den Maiskuchen mit gewissenhaftester Sorgfalt genau nach dem Geschmack ihres Gatten gebacken und aus gewissen geheimnisvollen Töpfen auf dem Kaminsims verschiedenes Eingemachte hervorgeholt, das nur bei ganz außerordentlichen Gelegenheiten das Tageslicht erblickte.

»Ah Pete!« sagte Mose frohlockend. »Kriegen wir heut‘ nicht ein Prachtfrühstück!« und griff nach einem Stück von dem Huhne. Tante Chloe gab ihm eins unerwartet hinter die Ohren. »Da hast du! Schreit über das letzte Frühstück, das Vater zu Hause ißt!«

»O Chloe!« sagte Tom sanft.

»Ach ich kann nicht dafür«, sagte Tante Chloe und verhüllte das Gesicht mit der Schürze. »Ich habe das Herz so voll Sorge, daß ich ganz garstig bin.«

Die Knaben standen ganz ruhig da und sahen erst ihren Vater und dann ihre Mutter an, während das Kleinste sie an dem Kleide zerrte und nach ihr verlangend schrie.

»So!« sagte Tante Chloe, indem sie sich die Augen wischte und das Kleinste auf den Arm nahm. »Jetzt ist’s vorbei, hoffe ich – jetzt iß etwas. Das ist mein bestes Huhn. Da, Jungen, ihr sollt auch was haben, arme Kinder! Mutter ist garstig gegen euch gewesen.«

Die Knaben bedurften keiner zweiten Einladung und fielen mit großem Eifer über das Essen her.

»Nun muß ich deine Kleider einpacken«, sagte Tante Chloe, die nun nach dem Frühstück herumschäfterte. »’s ist im Grunde ganz umsonst, denn er nimmt sie doch weg. Ich kenne ihre Art – schmutzige Kerle sind’s! Hier in der Ecke liegen die Flanelljacken für den Rheumatismus, nimm sie in acht, denn es wird dir niemand mehr welche machen. Und hier sind die neuen Hemden und da die alten; die Strümpfe habe ich gestern abend angestrickt und den Knaul hineingesteckt, um sie zu flicken. Aber Gott! Wer soll sie dir flicken?« Und Tante Chloe legte abermals von Schmerz überwältigt den Kopf auf den Koffer und schluchzte laut. »Nur daran zu denken! Kein lebendiges Geschöpf, das für dich sorgt in Gesundheit und Krankheit. Ich glaube wahrhaftig nicht, daß ich es aushalten kann.«

Da die Knaben jetzt alles, was auf dem Tische stand, gegessen hatten, fingen sie nun auch an, der Sache einiges Nachdenken zu widmen, und da sie die Mutter weinen und den Vater ein sehr trauriges Gesicht machen sahen, so begannen sie auch zu flennen und mit der Hand die Augen zu wischen. Onkel Tom hatte das Kleinste auf dem Knie sitzen und ließ es im vollsten Genuß in seinem Gesicht herumkratzen und an seinen Haaren zerren – wobei es manchmal in lautes Jauchzen, offenbar von seinen eignen inwendigen Gedanken veranlaßt, ausbrach.

»Ja, lach nur zu, du armes Geschöpf!« sagte Tante Chloe. »Du wirst es auch noch erfahren! Du wirst es auch noch erleben, daß sie deinen Mann verkaufen oder vielleicht dich selber, und diese Jungen hier werden wahrscheinlich auch verkauft, glaube ich, wenn sie zu was gut werden; Nigger, die nichts haben, sind nichts nutz!«

Jetzt rief einer von den Knaben aus: »Da kommt Missis zu uns!«

»Sie kann uns nicht helfen, wozu kommt sie?« sagte Tante Chloe.

Mrs. Shelby trat ein. Tante Chloe setzte ihr mit einer entschiedenen mürrischen und herben Miene einen Stuhl hin. Sie schien weder den Stuhl noch den Blick zu bemerken. Sie sah blaß und angegriffen aus.

»Tom«, sagte sie, »ich komme, um –« und sie stockte plötzlich, sah die stumme Gruppe an, setzte sich auf den Stuhl, hielt das Taschentuch vor’s Gesicht und fing an zu schluchzen.

»Ach Gott, Missis, nur das nicht!« sagte Tante Chloe, die nun auch losbrach, und ein paar Augenblicke lang weinten alle in Gesellschaft, und in diesen Tränen, welche alle, die Hohen und die Niedrigen zusammen vergossen, floß das Herzeleid und der Zorn der Bedrückten hinweg.

»Guter Tom«, sagte Mrs. Shelby, »ich kann dir nichts geben, was dir von Nutzen sein könnte. Wenn ich dir Geld geben wollte, würde man dir es nur wegnehmen. Aber ich versichere dir auf das feierlichste und rufe Gott zum Zeugen an, daß ich stets deine Spur verfolgen und dich zurückkaufen werde, sowie ich das Geld habe; bis dahin vertraue auf Gott!«

Hier riefen die Knaben, daß Master Haley komme, und bald darauf stieß jemand mit dem Fuß ohne Umstände die Tür auf. Haley trat in sehr übler Laune herein; denn er hatte den Abend vorher einen sehr angestrengten Ritt gemacht, und der schlechte Erfolg seiner Jagd hatte ihn nicht heiterer gestimmt.

»Nun, Nigger, bist du fertig?« sagte er. »Ihr Diener, Ma’am!« setzte er hinzu und nahm den Hut ab, als er Mrs. Shelby erblickte.

Tante Chloe schloß und schnürte den Koffer zu und stand dann auf und sah den Sklavenhändler grimmig an, und ihre Tränen schienen sich plötzlich in feurige Funken verwandelt zu haben.

Tom stand gehorsam auf, um seinem neuen Herrn zu folgen, und hob den schweren Koffer auf die Schulter. Seine Frau nahm das Kleinste auf den Arm, um ihn bis an den Wagen zu begleiten, und die anderen Kinder folgten immer noch weinend hinten nach.

Mrs. Shelby hielt den Sklavenhändler noch ein paar Augenblicke zurück und sprach mit ihm angelegentlich; und während sie mit ihm redete, ging die ganze Familie nach dem Wagen, der angespannt vor der Tür stand. Alle Sklaven des Gutes, jung und alt, standen in einem dichten Haufen ringsherum, um von ihrem alten Kameraden Abschied zu nehmen. Alle hatten zu Tom sowohl als ersten Diener, wie als christlichem Lehrer emporgeblickt, und sie legten viel ehrliche Teilnahme und Betrübnis an den Tag, vorzüglich die Frauen.

»Nun, Chloe, du trägst es besser als wir«, sagte eine von den Frauen, die reichlich geweint hatte, als sie die düstere Ruhe sah, mit der Chloe an dem Wagen stand.

»Mit meinen Tränen ist’s vorbei«, sagte sie und warf einen ingrimmigen Blick auf den Sklavenhändler, der jetzt herankam. »Ich mag nicht vor diesem alten Teufelsbraten weinen, gewiß nicht!«

»Steige ein!« sagte Haley zu Tom, als er durch die versammelten Sklaven hindurchschritt, die ihn mit finsteren Blicken ansahen.

Tom stieg ein, und Haley zog nun unter dem Wagensitz ein paar schwere Fesseln hervor und befestigte eine derselben an jeden Knöchel.

Ein erstickter Ausruf der Entrüstung lief durch den ganzen Kreis, und Mrs. Shelby rief von der Veranda herüber: »Mr. Haley, ich versichere Ihnen, daß diese Vorsichtsmaßregel ganz unnötig ist.«

»Weiß nicht, Ma’am; ich habe einmal fünfhundert Dollar hier verloren, und mich weiteren Gefahren auszusetzen, erlauben mir meine Mittel nicht.«

»Wie konnte man es anders von ihm erwarten«, sagte Tante Chloe entrüstet; während die beiden Knaben, die jetzt erst ihres Vaters Bestimmung zu begreifen schienen, sich an ihren Rock klammerten und laut schluchzten und weinten.

»Es tut mir leid«, sagte Tom, »daß Master George gerade nicht da ist.« George war auf zwei oder drei Tage nach einem benachbarten Gut auf Besuch gegangen, und da er sehr zeitig früh, ehe Toms Mißgeschick bekannt gewesen, weggeritten war, so war er in gänzlicher Unkenntnis von demselben geblieben.

»Grüßt Master George von mir«, sagte er im dringlichsten Tone.

Haley peitschte auf das Pferd, und mit einem festen, trauervollen Blicke, der noch bis zuletzt an den lieben bekannten Dingen haftete, fuhr Tom in die Fremde.

Mr. Shelby war nicht zu Hause geblieben. Er hatte Tom unter dem Zwang dringender Not verkauft, um sich aus der Gewalt eines von ihm gefürchteten Mannes zu erlösen, und sein erstes Gefühl nach Abschluß des Kaufs war das der Erleichterung gewesen. Aber die Vorstellungen seiner Frau weckten die halb schlummernde Reue in ihm, und Toms uneigennützige Hingebung machte seine Gefühle nur noch unangenehmer. Vergebens sagte er zu sich selbst, daß er ein Recht dazu habe, daß es jedermann tue, und daß es manche täten, ohne die Entschuldigung zu haben, von der Not dazu gezwungen zu sein; er konnte sich damit nicht beruhigen; um nicht Zeuge der unangenehmen Szenen beim Vollzug des Kaufes zu sein, hatte er eine kleine Geschäftsreise angetreten und hoffte, alles werde vorbei sein, wenn er zurückkehrte.

Tom und Haley rollten auf der staubigen Straße dahin, und alle die alten vertrauten Plätze flogen an ihm vorüber, bis sie die Grenzen der Besitzung hinter sich hatten und sich auf der freien Landstraße befanden. Als sie eine Meile gefahren waren, machte Haley plötzlich vor einer Schmiede halt, nahm ein paar Handschellen heraus und trat damit in die Schmiede, um sie ändern zu lassen.

»Sie sind ein bißchen zu klein für ihn«, sagte Haley, indem er die Fesseln dem Schmied zeigte und auf Tom wies.

»Was, ist das nicht Shelbys Tom? Er hat ihn doch nicht verkauft?« sagte der Schmied.

»Ja, er hat ihn verkauft«, sagte Haley.

»Na, das ist doch kaum zu glauben!« sagte der Schmied. »Hm, hm! Wer hätte das denken sollen! Na, den brauchen Sie nicht so zu fesseln. Er ist der treuste, beste Bursche –«

»Ja, ja«, sagte Haley, »aber die guten Burschen sind eben die, die immer fortlaufen wollen. Die Dummen, denen es gleich ist, wohin sie kommen, und die Liederlichen und Trunkenbolde, denen alles gleich ist, die bleiben, und es gefällt ihnen eher, daß mit ihnen hin und her gehandelt wird; aber diese Nigger erster Klasse hassen es wie die Sünde. Die muß man schließen – sie haben Beine – und werden sie gebrauchen, darauf könnt Ihr Euch verlassen.«

»Freilich, die Plantagen unten, Fremder, sind gerade nicht der Fleck, wo ein Kentuckynigger gern hingeht«, sagte der Schmied, während er unter seinen Instrumenten suchte, »sie sterben dort ziemlich rasch weg, nicht wahr?«

»Jawohl, sie sterben ziemlich rasch dort, teils durch’s Klima und teils durch das und jenes sterben sie rasch hin, so daß der Handel immer ziemlich lebhaft geht«, sagte Haley.

»’s ist wirklich schade, daß so ein hübscher, stiller, tüchtiger Bursche, wie der Tom ist, in diesen Zuckerplantagen zugrunde gerichtet werden soll.«

»Na, er hat gute Aussichten. Ich habe versprochen, ihn gut zu behandeln. Ich bringe ihn als Hausdiener in eine gute alte Familie, und wenn er dann erst sich an das Fieber und das Klima gewöhnt hat, so hat er eine Stelle, wie sie nur ein Nigger beanspruchen kann.«

»Er läßt hier Frau und Kinder zurück, glaube ich.«

»Jawohl, aber dort kriegt er eine andere. Gott, Weiber gibt’s genug überall«, sagte Haley.

Tom saß während dieses Gesprächs sehr bekümmert draußen vor der Schmiede. Plötzlich hörte er raschen Hufschlag hinter sich, und ehe er sich vollständig von seinem Erstaunen erholen konnte, sprang der junge Master George in den Wagen, fiel ihm stürmisch um den Hals und schluchzte und schimpfte mit großer Energie.

»’s ist eine Gemeinheit, sage ich! ’s ist mir ganz gleich, was alle die andern dazu sagen! ’s ist eine schmutzige, niedrige Gemeinheit! Wenn ich ein Mann wäre, sollten sie es nicht tun – sie sollten’s nicht tun, nein!« sagte George, mit halb unterdrücktem Geheul.

»Oh, Master George! Das tut meinem Herzen gut!« sagte Tom. »Ich hätte es nicht aushalten können, fortzugehen, ohne von Ihnen Abschied zu nehmen! Es tut meinem Herzen wirklich gut! Ich kann gar nicht sagen, wie!« Hier machte Tom eine Bewegung mit den Füßen, und Georges Augen fielen auf die Fesseln.

»Wie schändlich!« rief er aus und erhob die Hände. »Ich schlage diesen Kerl zu Boden – wahrhaftig!«

»Das tun Sie nicht, Master George; und Sie dürfen nicht so laut sprechen, ’s ist nicht gut für mich, wenn Sie ihn ärgern.«

»Nun so will ich’s nicht tun, deinetwegen, aber nur daran zu denken – ist’s nicht eine Schande? Sie haben nicht nach mir geschickt und mir auch nichts sagen lassen, und wäre Tom Lincoln nicht gewesen, so hätte ich gar nichts davon gehört. Ich sage dir, ich habe sie zu Hause schon ausgeschimpft, alle ohne Ausnahme!«

»Das, fürchte ich, war nicht recht, Master George.«

»Ich kann nicht dafür! Ich sage, es ist eine Schande! Sieh her, Onkel Tom«, sagte er, indem er der Schmiede den Rücken zukehrte und in geheimnisvollem Tone sprach, »ich habe dir meinen Dollar mitgebracht!«

»O! Ich könnte es nicht über das Herz bringen, ihn zu nehmen, Master George, um alles in der Welt nicht«, sagte Tom ganz gerührt.

»Aber du mußt ihn nehmen!« sagte George. »Sieh her, ich sagte es Tante Chloe, und sie gab mir den Rat, ein Loch hineinzumachen und einen Faden durchzuziehen, so daß du ihn um den Hals hängen und verstecken kannst, sonst würde ihn dir der gemeine Bursche wegnehmen. Ich sage dir, Tom, ich muß ihn ausschelten! Das würde meinem Herzen eine Güte tun!«

»Nein, Master George, tun Sie es nicht, denn es würde nicht gut für mich sein.«

»Nun deinetwegen will ich’s unterlassen«, sagte George, indem er geschäftig Tom den Dollar um den Hals band, »aber jetzt knöpfe deinen Rock fest darüber zu und behalte ihn, und denke stets, wenn du ihn ansiehst, daran, daß ich dereinst zu dir kommen und dich zurückbringen werde. Tante Chloe und ich haben es zusammen besprochen. Ich sagte ihr, sie sollte sich nicht bange werden lassen; ich will dafür sorgen und dem Vater das Leben schwermachen, wenn er es nicht tut.«

»O Master George, Sie dürfen nicht so von Ihrem Vater sprechen!«

»Ach, Onkel Tom, ich meine es ja nicht böse.«

»Und jetzt, Master George, noch ein paar Worte«, sagte Tom. »Sie müssen ein guter Sohn bleiben; bedenken Sie, wie viele Herzen auf Sie hoffen. Halten Sie sich immer an Ihre Mutter. Gewöhnen Sie sich nicht die törichte Weise von manchen Knaben an, die zu groß werden, um sich noch um ihre Mutter zu bekümmern. Ich sage Ihnen, Master George, der Herr schenkt dem Menschen gar viele Dinge zweimal. Aber Sie werden nie wieder eine solche Frau sehen, Master George, und wenn Sie hundert Jahre alt werden. Also halten Sie an ihr fest und werden Sie groß und seien Sie ihr ein Trost, mein guter Herzensknabe – nicht wahr, George?«

»Ja, das will ich, Onkel Tom«, sagte George voll Ernst.

»Und nehmen Sie sich mit Ihrer Zunge in acht, Master George; Knaben in Ihrem Alter sind manchmal leichtsinnig und unartig – es ist nur natürlich. Aber wirkliche Gentlemen, wie Sie gewiß einer werden, lassen nie ein Wort fallen, das unehrerbietig gegen die Eltern wäre. Sie sind nicht böse, Master George?«

»Nein, gewiß nicht, Onkel Tom; du hast mir immer guten Rat gegeben.«

»Ich bin älter, wissen Sie ja«, sagte Tom und streichelte mit seiner großen starken Hand des Knaben schönen lockigen Kopf, sprach aber in einem Tone, der so zärtlich war, wie der eines Weibes. »Und ich sehe alles, was in Ihnen verborgen ist. Oh, Master George, Sie besitzen alles – Gelehrsamkeit, Privilegien, Lesen, Schreiben –, und Sie werden zu einem großen, gelehrten, guten Manne heranwachsen, und alle Leute auf dem Gute und Mutter und Vater werden stolz auf Sie sein! Seien Sie ein guter Herr, wie Ihr Vater, und ein Christ, wie Ihre Mutter. Gedenken Sie Ihres Schöpfers in den Tagen Ihrer Jugend, Master George.«

»Ich will wirklich gut sein, Onkel Tom, das versichere ich dir«, sagte George. »Ich will einer der ersten Sorte werden; und laß den Mut nicht sinken. Ich hole dich noch zurück aufs Gut. Wie ich Tante Chloe heute morgen sagte, will ich dir dein Haus ganz neu bauen, und du sollst ein Zimmer zur Wohnstube mit einem Teppich drin haben, wenn ich erst erwachsen bin. Oh, du sollst noch gute Zeiten haben.«

Haley erschien jetzt an der Tür, die Handschellen in der Hand.

»Mr. Haley«, sagte George mit einer Miene großer Überlegenheit, während er aus dem Wagen stieg, »ich werde Vater und Mutter wissen lassen, wie Sie Onkel Tom behandeln.«

»Ganz, wie’s beliebt«, sagte der Händler.

»Ich sollte meinen, Sie müßten sich schämen, Ihr ganzes Leben lang Männer und Frauen zu kaufen und sie zu schließen wie Vieh! Ich sollte meinen, Ihr müßtet Euch recht gemein vorkommen!« sagte George.

»Solange Ihr vornehmen Leute Männer und Weiber kauft, bin ich so gut als Ihr«, sagte Haley. »’s ist nicht gemeiner, sie zu verkaufen als zu kaufen!«

»Ich werde niemals eins von beiden tun, wenn ich erst ein Mann bin«, sagte George. »Ich schäme mich heute, ein Kentuckier zu sein. Ich war früher immer stolz darauf.« Und George saß sehr gerade auf seinem Pferde und sah sich mit einer Miene um, als ob er erwarte, daß seine Meinung auf den ganzen Staat einen großen Eindruck machen müsse.

»Nun leb wohl, Onkel Tom; bleib guten Muts«, sagte George.

»Leben Sie wohl, Master George«, sagte Tom und sah ihn zärtlich und bewundernd an. »Der allmächtige Gott behüte Sie! Ach! Kentucky hat nicht viel Söhne wie dieser ist!« sagte er in der Fülle seines Herzens, als er des Knaben offenes Gesicht aus den Augen verlor. Er ritt fort, und Tom sah ihm nach, bis der Schall der Hufschläge sich in der Ferne verlor – es war der letzte Ton und der letzte Anblick aus der Heimat. Aber über seinem Herzen schien eine warme Stelle zu sein, wo die jugendlichen Hände den kostbaren Dollar hingelegt hatten. Tom faßte mit der Hand danach und drückte ihn dicht ans Herz.

»Ich will dir was sagen, Tom«, sagte Haley, als er an den Wagen trat und die Handschellen hineinwarf, »ich will im Guten mit dir anfangen, wie ich es meistens mit meinen Niggern mache, und ich sage dir jetzt gleich zum Anfang, wenn du mich gut behandelst, so behandle ich dich auch gut, ich bin nie hart gegen einen Nigger. Versuche immer das beste, was ich tun kann, für sie zu tun. Also siehst du, es ist besser, du setzest dich ruhig hin und versuchst keine Streiche, weil ich in Niggerstreiche jeder Art eingeweiht bin und sie bei mir nichts helfen. Wenn sich Nigger ruhig halten und nicht versuchen fortzulaufen, so haben sie es gut bei mir, und halten sie sich nicht ruhig, nun so ist es ihr Fehler und nicht meiner.«

Tom versicherte Haley, daß er für jetzt nicht die Absicht habe fortzulaufen. In der Tat erschien die Ermahnung ziemlich überflüssig bei einem Manne, der schwere Eisenfesseln an den Füßen schleppte. Aber Mr. Haley hatte sich gewöhnt, den Besitz seiner Ware mit kleinen Ermahnungen dieser Art anzutreten, welche seiner Meinung nach Heiterkeit und Vertrauen einflößten und spätere unangenehme Auftritte unnötig machten.

Und hier nehmen wir vorderhand von Tom Abschied, um uns nach dem Schicksal anderer Personen unserer Geschichte umzusehen.

8. Kapitel


Ein Senator ist auch nur ein Mensch

Das Licht eines munteren Feuers schien auf den Teppich eines gemütlichen Zimmers und glänzte zurück von den Teetassen und der hellpolierten Teekanne, als Senator Bird die Stiefel auszog, ehe er die Füße in ein paar neue schöne Hausschuhe steckte, welche seine Frau während seiner Abwesenheit in Amtsgeschäften für ihn gemacht hatte. Mrs. Bird, ein wahres Bild der Freude, deckte den Tisch zum Tee und unterbrach sich dann und wann mit Ermahnungen, gerichtet an eine Anzahl munterer Kinder, die in den vielerlei unerhörten Sprüngen und Neckereien, die die Mütter seit der großen Flut in Erstaunen versetzt haben, in der Stube herumtobten.

»Tom, laß den Türgriff sein – sei artig! – Mary! Mary! Zieh die Katze nicht am Schwanze – das arme Miezchen! Jim, klettere mir nicht auf den Tisch dort – nein, nein! – Du weißt gar nicht, lieber Mann, wie es uns alle überrascht hat, dich heute abend hier zu sehen«, sagte sie endlich, als sie Zeit fand, zu ihrem Gatten ein Wort zu sagen.

»Ja, ja, ich dachte, du machst einen Sprung hierher, bringst die Nacht hier zu, und machst dir’s zu Hause einmal bequem. Ich bin todmüde, und der Kopf brennt mir!«

Mrs. Bird blickte nach ihrem Kampferfläschchen, welches in dem halboffenen Wandschrank stand, und schien es holen zu wollen; aber ihr Gatte hielt sie davon ab.

»Nein, nein, Mary, nur nicht doktern! Eine Tasse von deinem guten heißen Tee und ein Teller von unserer guten Hausmannskost ist alles, was mir fehlt, ’s ist böse Arbeit, dieses Gesetzegeben!«

Und der Senator lächelte, als ob ihm der Gedanke, sich als ein Opfer seines Vaterlandes zu betrachten, leidlich gefalle.

»Nun, was habt ihr denn eigentlich im Senat gemacht?« sagte seine Frau, als die Beschäftigung mit dem Teetisch vollendet war.

Es war aber etwas sehr Ungewöhnliches für die kleine sanfte Mrs. Bird, sich um das zu bekümmern, was im Staatenhause vorging, da sie sehr weislich der Meinung war, daß sie genug mit ihrem eigenen Hause zu tun habe. Mr. Bird öffnete daher die Augen weit vor Erstaunen und sagte:

»Nichts von besonderer Wichtigkeit.«

»So? Aber ist es wahr, daß man ein Gesetz angenommen hat, welches verbietet, den armen Farbigen, die herüberkommen, zu essen und zu trinken zu geben? Ich hörte, es sei von solch einem Gesetz die Rede; aber ich glaubte nicht, daß eine christliche Legislatur so etwas annehmen könnte!«

»Wahrhaftig, Mary, du bist ja auf einmal politisch geworden.«

»Ach Unsinn! Im allgemeinen möchte ich keinen Pfifferling für eure ganze Politik geben; aber das scheint mir doch über alle Maßen grausam und unchristlich zu sein. Ich hoffe, lieber Mann, daß man an ein solches Gesetz nicht gedacht hat.«

»Man hat ein Gesetz angenommen, welches den Leuten verbietet, den von Kentucky herüberkommenden Sklaven fortzuhelfen, liebe Frau; die rücksichtslosen Abolitionisten haben es so arg gemacht, daß unter unsern Brüdern in Kentucky große Aufregung herrscht, und es ebenso notwendig, als christlich und freundlich erscheint, daß von seiten unseres Staates etwas zur Stillung dieser Aufregung geschieht.«

»Und wie lautet das Gesetz? Es verbietet uns doch nicht, diesen armen Leuten für eine Nacht ein Obdach zu geben und ihnen etwas zu essen zu reichen und ein paar alte Kleider zu schenken, und sie dann ruhig ihres Weges gehen zu lassen?«

»O doch, liebe Frau; das hieße, ihnen helfen und sie unterstützen, wie es im Gesetz heißt.«

Mrs. Bird war eine schüchterne, leicht errötende kleine Frau von ungefähr vier Fuß Größe und mit sanften blauen Augen und einem Teint, zart wie Pfirsichblüten, und der sanftesten lieblichsten Stimme von der Welt. – Was ihren Mut betrifft, so hätte sie, wie man sich erzählte, ein mäßig großer Truthahn mit dem ersten Gekauder in die Flucht geschlagen, und ein tüchtiger Haushund von mäßiger Wildheit hätte sie bloß durch das Fletschen seiner Zähne zum Gehorsam bringen können. Ihr Gatte und ihre Kinder waren ihre ganze Welt, und hier herrschte sie mehr durch Bitte und Überredung, als durch Befehl oder Überzeugung. Nur ein einziges konnte sie in Aufregung bringen, und zwar die Berührung des wunden Flecks ihres ungewöhnlich sanften und teilnehmenden Gemütes: Jede grausame Handlung versetzte sie in die leidenschaftlichste Aufregung, die verglichen zu der allgemeinen Sanftheit ihres Charakters um so beunruhigender und unerklärlicher war.

Diesmal stand Mrs. Bird mit sehr roten Wangen, die ihr ganz allerliebst standen, auf, trat mit entschlossenem Blick vor ihren Gatten und sagte in entschiedenem Tone:

»Ich will wissen, John, ob du ein solches Gesetz für recht und christlich hältst.«

»Du wirst mich doch nicht erschießen, Mary, wenn ich sage: ja!«

»Das hätte ich dir nie zugetraut, John! Du hast doch nicht dafür gestimmt?«

»Doch, meine schöne Politikerin!«

»Du solltest dich schämen, John! Die armen, obdachlosen, heimatlosen Geschöpfe. Es ist ein schändliches, gottloses, fluchwürdiges Gesetz, und ich für meine Person werde es bei der ersten Gelegenheit, die ich finde, verletzen; und ich hoffe, ich werde eine Gelegenheit finden! Es ist weit genug gekommen, wenn eine Frau armen hungernden Geschöpfen weder warmes Essen noch ein Bett geben darf, weil sie Sklaven sind und ihr ganzes Leben lang nur Schmach und Bedrückung gelitten haben! Die armen Leute!«

»Aber Mary, höre doch nur. Deine Empfindungen sind alle ganz vortrefflich, liebe Frau, und ich liebe dich deshalb; aber, liebe Frau, wir dürfen unsere Empfindungen nicht mit unserm Verstande durchgehen lassen. Du mußt bedenken, es ist keine Sache des Privatgefühls; große Staatsinteressen sind dabei mit im Spiel, und es entsteht darüber eine so große Aufregung im Publikum, daß wir unsere Privatgefühle beiseite setzen müssen.«

»Ich verstehe nichts von Politik, John, das gebe ich zu; aber ich kann meine Bibel lesen; und darin lese ich, daß ich die Hungrigen speisen, die Nackten kleiden und die Traurigen trösten soll; und dieser Bibel denke ich zu folgen.«

»Aber in Fällen, wo du dadurch einen großen öffentlichen Schaden anrichten würdest –«

»Gott gehorchen bringt niemals der großen Allgemeinheit Schaden. Ich weiß, daß das nicht der Fall ist. Es ist zu allen Zeiten und in allen Fällen das Sicherste, zu tun nach seinem Willen.«

»Aber höre mich nur an, Mary, und ich kann dir mit sehr klaren Gründen beweisen, daß –«

»Ach Unsinn, John! Du kannst die ganze Nacht reden und wirst mir nichts beweisen. Ich frage dich, John, würdest du jetzt ein armes, frierendes, hungerndes Geschöpf von der Tür weisen, weil es seinem Herrn entflohen ist? Würdest du das tun, frage ich dich.«

In dieser Krisis steckte der alte Cudjoe, das schwarze Faktotum, den Kopf zur Tür herein und bat Missis, einmal in die Küche zu kommen, und unser Senator, von dem Angriff noch zur rechten Zeit befreit, sah seiner kleinen Frau mit einer drolligen Mischung von Freude und Verdruß nach und machte sich’s in seinem Lehnstuhl bequem, um die Zeitungen zu lesen.

Nach einer kurzen Weile ließ sich die Stimme seiner Frau rasch und angelegentlich an der Tür vernehmen: »John! John! Bitte, komm einen Augenblick heraus.«

Er legte die Zeitung hin und ging in die Küche und fuhr zurück, ganz erstaunt über den sich ihm darbietenden Anblick.

Ein junges, zartes Weib mit zerrissenen und gefrorenen Kleidern, mit nur einem Schuh, und an dem blutenden Fuß einen zerrissenen Strumpf, lag in totenähnlicher Ohnmacht auf zwei Stühlen. Der Stempel der verabscheuten Rasse war auf ihrem Antlitz sichtbar, aber niemand konnte gegen seine traurige und rührende Schönheit gefühllos bleiben, während seine starre, kalte, totengleiche Schärfe einen feierlichen Schauer hervorrief. Er hielt den Atem an sich und blieb schweigend stehen. Seine Frau und ihre einzige farbige Dienerin, die alte Tante Dinah, waren angelegentlich in der Anwendung von Wiederbelebungsmitteln beschäftigt, während der alte Cudjoe den Knaben auf den Knien hatte, ihm Schuhe und Strümpfe auszog und die kleinen kalten Füßchen warmrieb.

»Ist das nicht ein Anblick, der einen Stein erbarmen möchte!« sagte die alte Dinah mitleidig. »Wahrscheinlich hat die große Hitze sie ohnmächtig gemacht. Sie war ziemlich munter, als sie reinkam, und fragte, ob sie sich nicht ein Weilchen wärmen könnte, und ich wollte sie eben fragen, wo sie herkomme, da war sie weg. Sie hat nie schwere Arbeit verrichtet, nach ihrer Hand zu urteilen.«

»Das arme Kind!« sagte Mrs. Bird mitleidig, wie das Weib langsam die großen dunklen Augen öffnete und sich bewußtlos umsah. Plötzlich zuckte ihr Gesicht von krampfhaftem Schmerz, und sie sprang auf und rief: »O mein Harry! Haben sie meinen Harry?«

Als der Knabe dies hörte, sprang er von Cudjoes Knie herunter, lief zu ihr hin und hielt seine Ärmchen empor. »Ach da ist er! Da ist er!« rief sie aus.

»O Ma’am!« sagte sie ganz verstört zu Mrs. Bird. »Schützen Sie uns! Leiden Sie nicht, daß sie ihn fangen!«

»Niemand soll Euch hier etwas zuleide tun, arme Frau«, sagte Mrs. Bird ermutigend. »Ihr seid sicher; fürchtet Euch nicht.«

»Gott segne Sie!« sagte die Frau, verhüllte ihr Gesicht und schluchzte, während der kleine Knabe, als er sie weinen sah, ihr auf den Schoß zu klettern versuchte.

Mit mancherlei sanften und weiblichen Diensten, welche niemand besser zu leisten wußte, als Mrs. Bird, wurde die arme Frau allmählich in eine ruhigere Stimmung gebracht. Man bereitete ihr ein Lager vor dem Feuer, und nach kurzer Zeit war sie mit dem Kinde, das nicht weniger müde als sie selbst zu sein schien, in einen tiefen Schlummer versunken. Auch das Kind schlief fest in ihren Armen, denn die Mutter widerstand mit aufgeregter Unruhe auch den freundlichsten Versuchen, es ihr abzunehmen, und selbst noch im Schlafe hielt sie es fest, als ob selbst dann noch ihre Wachsamkeit hintergangen werden könnte.

Mr. und Mrs. Bird waren in das Wohnzimmer zurückgekehrt, wo, so seltsam es auch erscheinen mag, von keiner Seite auf das frühere Gespräch angespielt wurde, sondern Mrs. Bird sich mit ihrer Strickerei beschäftigte, und Mr. Bird tat, als lese er die Zeitung.

»Ich möchte wissen, wer und was sie ist«, sagte Mr. Bird endlich, als er das Blatt hinlegte.

»Wenn sie wieder aufwacht und sich etwas erholt hat, werden wir ja sehen«, erwiderte Mrs. Bird.

»Ich sage, Frau!« sagte Mr. Bird, nachdem er eine Weile schweigend über seiner Zeitung dagesessen hatte.

»Nun, mein Lieber.«

»Was meinst du, würde ihr nicht eins von deinen Kleidern passen, wenn du es herunterläßt, oder so was? Sie scheint mir etwas größer als du zu sein.«

Ein sehr bemerkbares Lächeln glitt über Mrs. Birds Gesicht, als sie antwortete: »Wir werden ja sehen.«

Eine neue Pause, und Mr. Bird äußerte sich abermals: »Höre mal, Frau!«

»Nun, was wünschest du?«

»Wir haben da den alten Mantel, den du aufgehoben hast, um mich während des Mittagsschläfchens damit zuzudecken; du könntest ihr auch den geben – sie braucht Kleider.«

In diesem Augenblick steckte Dinah den Kopf zur Tür herein und meldete, daß die Frau wach sei und Missis zu sehen wünsche.

Mr. und Mrs. Bird gingen in die Küche, begleitet von den beiden ältesten Knaben, denn die Kleinen waren schon glücklich zu Bett gebracht.

Die Frau saß jetzt aufrecht vor dem Feuer. Sie blickte mit ruhigem, resigniertem Gesicht, von dem die früher leidenschaftliche Aufregung verschwunden war, fest in die Flamme.

»Wünscht Ihr etwas von mir«, sagte Mrs. Bird in sanftem Tone. »Ich hoffe, Ihr befindet Euch jetzt besser, arme Frau!«

Ein langer, zitternder Seufzer war die einzige Antwort; aber sie erhob ihre dunklen Augen und heftete dieselben mit einem so verzweiflungsvollen und flehenden Ausdruck auf die kleine Frau, daß dieser die Tränen in die Augen traten.

»Ihr braucht Euch hier nicht zu fürchten; wir sind lauter Freunde hier, arme Frau! Woher kommt Ihr und was wollt Ihr hier?« sagte sie.

»Ich komme von Kentucky herüber«, sagte die Frau.

»Wann?« sagte Mr. Bird, der jetzt das Verhör übernahm.

»Diesen Abend.«

»Wie kamt Ihr herüber?«

»Über das Eis.«

»Über das Eis?« riefen alle Anwesenden.

»Ja«, sagte die Frau langsam, »über das Eis. Gott half mir; und ich kam herüber; denn sie waren hinter mir – dicht hinter mir – und es war kein anderer Weg der Rettung!«

»Ach Gott, Missis«, sagte Cudjoe, »das Eis ist in lauter Schollen zerspalten und schwankt und schaukelt im Wasser auf und nieder!«

»Ich wußte es – ich wußte es!« sagte sie verstört. »Aber ich tat es! Ich hätte nicht gedacht, daß ich’s könnte – ich glaubte nicht, daß ich hinüberkommen würde, aber es war gleichgültig! Ich konnte nur sterben, wenn ich es nicht tat. Der Herr half mir; niemand weiß, wie sehr der Herr helfen kann, bis man es versucht«, sagte die Frau mit flammendem Auge.

»Wart Ihr eine Sklavin?« sagte Mr. Bird.

»Ja, Sir; ich gehörte einem Manne in Kentucky.«

»War er hart gegen Euch?«

»Nein, er war ein guter Herr.«

»Oder war Eure Herrin hart gegen Euch?«

»Ach nein, Sir – nein! Meine Herrin hat mich immer gut behandelt.«

»Was konnte Euch dann bewegen, eine gute Herrschaft zu verlassen und fortzulaufen und Euch solchen Gefahren auszusetzen?«

Die Frau sah Mrs. Bird mit einem gespannten prüfenden Blick an, und es entging ihr nicht, daß sie in tiefe Trauer gekleidet war.

»Ma’am«, sagte sie plötzlich, »haben Sie jemals ein Kind verloren?«

Die Frage kam unerwartet und berührte eine noch frische Wunde; denn erst vor einem Monat hatte die Familie eines ihrer Lieblingskinder in das Grab gelegt.

Mr. Bird wendete sich weg und ging ans Fenster, und Mrs. Bird brach in Tränen aus; aber sie gewann bald ihre Stimme wieder und sprach:

»Warum fragt Ihr mich? Ich habe ein Kleines verloren.«

»Dann werden Sie für mich fühlen. Ich habe zwei verloren – eins nach dem andern – habe ihr Grab dort zurückgelassen, wo ich herkomme, und nur das eine ist mir geblieben. Ich habe keine Nacht ohne den Knaben geschlafen, er war mein alles. Er war mein Trost und mein Stolz bei Tag und bei Nacht, und Ma’am, sie wollten mir ihn nehmen – wollten ihn verkaufen – wollten ihn verkaufen unten nach dem Süden und ihn ganz allein hinschicken – ein kleines schwaches Kind, das sein ganzes Leben lang noch nicht von seiner Mutter getrennt gewesen ist! Ich konnte das nicht ertragen, Ma’am. Ich wußte, ich würde zu nichts mehr taugen, wenn ich es geschehen ließ; und als ich erfuhr, daß die Papiere unterzeichnet und er verkauft war, entfloh ich mit ihm in der Nacht, und sie verfolgten mich – der Mann, der ihn gekauft hatte, und ein paar Leute von Master, und sie waren dicht hinter mir, und ich hörte sie. Da sprang ich hinüber aufs Eis, und wie ich über den Fluß kam, weiß ich nicht, aber das erste, was ich sah, war ein Mann, der mir das Ufer hinaufhalf.«

Die Frau schluchzte nicht und weinte nicht. Sie war in einer Stimmung, wo Tränen nicht mehr fließen; – aber alles um sie herum zeigte in irgendeiner charakteristischen Weise Zeichen herzlicher Teilnahme.

»Wie kamt Ihr dazu, mir zu sagen, Ihr hättet einen guten Herrn gehabt?« fragte Mr. Bird und überwand sehr entschlossen ein fatales Zusammenschnüren in der Kehle, während er sich rasch nach der Frau umwandte.

»Weil er wirklich ein guter Herr war – das werde ich stets von ihm sagen, und meine Herrin war gut, aber sie konnten sich nicht helfen. Sie waren Geld schuldig, und sie hatten sich einem Manne in die Hand gegeben, ich weiß nicht wie, und mußten nach seinem Willen tun. Ich horchte und hörte, wie er Missis das sagte und wie sie für mich bat und flehte, und er sagte ihr, er könne sich nicht anders helfen und die Papiere wären alle unterzeichnet, und dann nahm ich meinen Knaben und entfloh. Ich wußte, es war umsonst, daß ich zu leben versuchte, wenn sie mir ihn nahmen, denn dies Kind ist mein alles und einziges auf der Welt.«

»Habt Ihr einen Mann?«

»Ja, aber er gehört einem andern. Sein Herr ist hart gegen ihn und läßt ihn nur sehr selten zu mir gehen, und er wird mit jedem Tage hartherziger und droht, ihn nach dem Süden hinunter zu verkaufen. Wahrscheinlich werde ich ihn nie wiedersehen!«

»Und wohin wollt Ihr nun, arme Frau?« sagte Mrs. Bird.

»Nach Kanada, wenn ich nur wüßte, wo es wäre. Es ist sehr weit, nicht wahr?« sagte sie und blickte Mrs. Bird mit einer einfachen vertrauenden Miene ins Gesicht.

»Armes Weib!« sagte Mrs. Bird unwillkürlich.

»Es ist sehr weit, nicht wahr?« sagte die Frau dringend.

»Viel weiter, als Ihr denkt!« sagte Mrs. Bird. »Aber wir wollen sehen, was wir für Euch tun können. Dinah, mache ihr ein Bett in deinem Zimmer dicht bei der Küche zurecht, und ich will morgen früh sehen, was ich für sie tun kann. Unterdessen macht Euch keine Sorge, gute Frau. Vertraut auf Gott, er wird Euch nicht verlassen.«

Mrs. Bird und ihr Gatte kehrten wieder in die Wohnstube zurück. Sie setzte sich auf ihren kleinen Schaukelstuhl vor das Feuer und wiegte sich gedankenvoll hin und her. Mr. Bird ging im Zimmer auf und ab und brummte vor sich hin: »Hm! Hm! Verwünscht dumme Geschichte!« Endlich blieb er vor seiner Frau stehen und sagte:

»Hör mal, Frau, sie muß noch heute nacht fort. Der Kerl wird morgen ganz früh auf ihrer Spur sein, das kannst du glauben. Wenn’s nur die Frau wäre, die könnten wir hier versteckt halten, bis der Lärm vorbei wäre, aber der kleine Kerl läßt sich nicht von einem Regiment in Ruhe erhalten, dafür will ich stehen; der steckt sicher einmal den Kopf zu einem Fenster oder einer Tür hinaus und verrät alles. Und eine schöne Geschichte wär’s für mich, wenn sie jetzt gerade die beiden Leute hier fänden! Nein, sie müssen noch heute nacht fort.«

»Heute nacht? Wie ist das möglich? – Wohin?«

»Nun, ich weiß so ziemlich wohin«, sagte der Senator, der jetzt mit nachdenklicher Miene die Stiefel anzuziehen anfing. Plötzlich, als er halb drin war, hielt er wieder inne, umschlang das Knie mit beiden Händen und schien in tiefes Sinnen verloren.

»Es ist eine verwünscht dumme und garstige Geschichte«, sagte er endlich und fing wieder an, an den Stiefelstrippen zu ziehen, »und das ist ein Faktum!« Nachdem ein Stiefel angezogen war, blieb der Senator mit dem andern in der Hand sitzen, in Betrachtung der Arabesken des Teppichs verloren. »Es muß aber doch geschehen, soviel ich sehen kann – hol’s der Henker!« Und er zog rasch den andern Stiefel an und sah zum Fenster hinaus.

Die kleine Mrs. Bird war eine diskrete Frau – eine Frau, die nie in ihrem Leben sagte: »Habe ich dir’s nicht gleich gesagt!« Und so hütete sie sich wohl bei der gegenwärtigen Gelegenheit, obgleich sie ziemlich gut wußte, welche Richtung die Gedanken ihres Mannes nahmen, ihn im mindesten in seinem Sinnen zu stören, sondern blieb ganz ruhig auf ihrem Stuhl sitzen, allem Anschein nach stets bereit, ihres Gebieters Absichten zu hören, wenn er für gut finden sollte, sie ihr mitzuteilen.

»Du mußt wissen, Frau«, sagte er, »mein alter Klient van Trompe ist von Kentucky herübergezogen und hat alle seine Sklaven freigegeben; und er hat sich sieben Meilen den Creek hinauf hinten im Walde eine Farm gekauft, wo niemand hinkommt, wenn er es nicht vorsätzlich tut, und ’s ist ein Ort, den man nicht so bald findet. Dort würde sie sicher genug sein; aber das Dumme bei der Geschichte ist, daß niemand in einer solchen Nacht dorthin fahren kann als ich.«

»Warum nicht? Cudjoe ist ein vortrefflicher Kutscher.«

»Ja, wohl, aber die Sache ist die: Man muß zweimal über den Creek; und die zweite Furt ist sehr gefährlich, wenn man sie nicht so genau kennt, wie ich sie kenne. Ich habe den Weg wohl hundertmal zu Pferde gemacht und kenne jede Stelle davon. Du siehst also, es hilft nichts. Cudjoe muß so geräuschlos als möglich gegen zwölf Uhr anspannen, und ich fahre sie hinüber; und dann, um der Sache einen Anstrich zu geben, muß er mich nach der nächsten Schenke fahren, um die Landkutsche nach Columbus, die zwischen drei und vier dort vorbeikommt, abzuwarten, und so sieht es aus, als ob ich bloß deshalb hätte anspannen lassen. So bin ich denn wieder mit frühem Morgen in der besten Arbeit. Aber ich glaube, ich werde mir etwas kurios vorkommen, nach allem, was gesprochen und getan worden ist; aber hol’s der Henker, ich kann nicht anders!«

»Dein Herz ist in dieser Sache besser als dein Kopf, John«, sagte seine Frau und legte ihre kleine weiße Hand auf die seinige. »Hätte ich dich jemals liebhaben können, wenn ich dich nicht besser gekannt hätte, als du dich selbst kennst!« Und die kleine Frau sah so hübsch aus mit ihren tränenglänzenden Augen, daß der Senator glaubte, er müsse ein ganz entsetzlich gescheiter Kerl sein, daß ein so hübsches Wesen eine so leidenschaftliche Liebe zu ihm fassen konnte; und was konnte er nun anders tun, als hübsch artig nach dem Wagen zu sehen? Er blieb jedoch in der Tür einen Augenblick stehen, kehrte dann wieder um und sagte nach einigem Zögern:

»Mary, ich weiß nicht, was du davon denkst, aber wir haben noch einen Kasten voll von Sachen – von – von – dem armen guten Henry.« Mit diesen Worten drehte er sich rasch um und machte die Tür hinter sich zu.

Seine Frau öffnete die kleine Schlafzimmertür neben ihrer Stube und setzte das Licht auf ein dort stehendes Bord, dann nahm sie aus einer Ecke einen Schlüssel und steckte ihn gedankenvoll in das Schloß eines Kastens, bis zwei Knaben, die nach Kinderart ihr dicht auf dem Fuße gefolgt waren, stumm und bedeutsame Blicke auf ihre Mutter werfend, zusahen.

Mrs. Bird zog langsam den Kasten auf. Es lagen darin Kinderkutten von allerlei Schnitt und Muster, Haufen Schürzen und Reihen von Strümpfchen; und selbst ein paar kleine Schuhe, vorn an den Zehen abgenutzt und abgestoßen, guckten aus einem Papier heraus. Dann ein Pferd und ein Wagen, ein Kreisel, ein Ball – Erinnerungszeichen, die mit mancher Träne und manchem herzzerbrechenden Seufzer gesammelt waren! Sie setzte sich vor dem Kasten nieder, legte den Kopf in die Hände und weinte, bis die Tränen durch ihre Finger in den Kasten fielen; dann erhob sie das Haupt und begann mit unruhiger Hast die einfachsten und haltbarsten Sachen herauszusuchen und sie in ein Bündel zusammenzupacken.

»Mama«, sagte einer der Knaben und berührte sanft ihren Arm, »willst du diese Sachen weggeben?«

»Liebe Kinder«, sagte sie sanft und ernst, »wenn unser guter, lieber, kleiner Henry auf uns vom Himmel herabsieht, so wird er sich freuen, uns das tun zu sehen. Ich könnte es nicht übers Herz bringen, sie einer gewöhnlichen Person zu schenken – jemandem, der nicht unglücklich ist; aber ich gebe sie einer Mutter, die größeren Kummer und bittreres Leid zu tragen hat als ich, und ich hoffe, Gott wird seinen Segen mit ihnen geben.«

Nach einer Weile schließt Mrs. Bird einen Kleiderschrank auf, holt ein oder zwei einfache brauchbare Kleider, setzt sich an ihr Arbeitstischchen und fängt rührig und still mit Nadel und Schere und Fingerhut das von ihrem Gatten empfohlene Herauslassen an, und fährt damit geschäftig fort, bis die alte Uhr in der Ecke zwölf schlägt und sie draußen vor der Tür das dumpfe Rollen von Rädern hört.

»Mary«, sagte ihr Mann, der jetzt mit dem Überrock in der Hand ins Zimmer trat, »wir müssen sie jetzt wecken; wir müssen fort.«

Mrs. Bird warf die verschiedenen ausgesuchten Sachen in einen kleinen, einfachen Koffer und schloß ihn zu, bat ihren Mann, ihn nach dem Wagen bringen zu lassen, und ging dann fort, um die Frau zu rufen. Angetan mit einem Mantel, einem Hut und einem Tuch, die ihrer Wohltäterin gehört hatten, erscheint die Frau mit dem Kinde auf dem Arme bald in der Tür. Mr. Bird schiebt sie rasch in den Wagen und Mrs. Bird begleitet sie bis an die Wagentür. Elisa lehnt sich zum Fenster heraus und reicht ihr die Hand, eine Hand so weich und schön wie die der weißen Dame. Sie heftet ihre großen dunklen Augen voll ernster Bedeutung auf Mrs. Birds Gesicht und scheint sprechen zu wollen. Ihre Lippen bewegen sich, sie versucht es ein oder zweimal, aber kein Laut wird hörbar, und mit einem nie zu vergessenden Blick gen Himmel deutend, sinkt sie auf ihren Sitz zurück und verhüllt sich das Gesicht mit den Händen. Die Tür wird zugemacht, und der Wagen fährt fort.

Was ist das für eine Lage für einen patriotischen Senator, der die ganze vorige Woche die Legislatur seines heimatlichen Staates angetrieben hat, strengere Beschlüsse gegen flüchtige Sklaven und ihre Helfer zu erlassen!

Er hatte nie daran gedacht, daß ein flüchtiger Sklave eine unglückliche Mutter sein könnte oder ein schutzloses Kind, wie dasjenige, welches jetzt seines unvergessenen Knaben kleine wohlbekannte Mütze trug; und so war unser armer Senator, da er weder von Stein noch von Eisen war, sondern ein Mensch, und zwar ein ehrlicher mit reinem, edlem Herzen, in einer traurigen Lage für seinen Patriotismus.

Wenn unser Senator ein politischer Sünder war, so war er ganz auf dem Wege, dafür eine Nacht Buße zu tun. Es war ziemlich lange regnerisches Wetter gewesen, und der weiche fruchtbare Boden von Ohio eignet sich bekanntlich ganz besonders zur Erzeugung von Schlamm, und der Weg war ein Ohio-Railweg aus der guten alten Zeit.

Und was mag das wohl für eine Art Weg sein? fragt ein Reisender aus dem Osten, der bei dem Railweg nur an einen echten mit eisernen Schienen denkt.

Wisse denn, unschuldiger Freund aus dem Osten, daß man in den umnachteten Regionen des Westens, wo der Kot von unergründlicher und erhabener Tiefe ist, Wege aus runden, unbehauenen Baumstämmen macht, die man nebeneinander quer über die Straße legt und mit Erde, Rasen oder was sonst bei der Hand ist, überzieht. Dieses nennt dann der Eingeborene frohlockend eine Straße, und versucht sofort, darauf zu fahren. Im Verlauf der Zeit spült der Regen Rasen und Erde weg, schiebt die Stämme hierhin und dorthin in malerische Lagen hinunter, herauf und querüber und läßt verschiedene Löcher und Abgründe von schwarzem Schlamm dazwischen erscheinen.

Auf einem solchen Wege fuhr unser Senator dahin, so sehr mit moralischen Bedenken beschäftigt, wie es die Umstände nur erlauben wollten, denn der Wagen fuhr etwa auf folgende Weise: Bumm! Bumm! Bumm! Platsch! Tief unten im Schlamm! Und der Senator, die Frau und das Kind verlieren ihre Plätze so plötzlich, daß sie in keiner sehr ordentlichen Lage sich plötzlich an den Fenstern der tieferliegenden Seite wiederfinden. Der Wagen sitzt fest, während man Cudjoe draußen unter den Pferden schimpfen hört. Nach mannigfachem, vergeblichem Ziehen und Zerren, gerade als der Senator alle Geduld verliert, kommt der Wagen unerwartet mit einem gewaltigen Rucke heraus, aber die beiden Vorderräder fahren in einen andern Abgrund hinunter, und Senator, Frau und Kind purzeln alle in einem Haufen auf den Vordersitz; der Stoß drückt dem Senator den Hut ganz ohne Umstände bis über die Augen und Nase herunter; das Kind schreit, und Cudjoe hält draußen auf dem Bock den Pferden, welche unter wiederholten Peitschenhieben ausschlagen und sich wälzen und anziehen, lebhafte Reden. Der Wagen kommt abermals mit einem Sprunge heraus – nun fahren die hinteren Räder hinunter – Senator, Frau und Kind fliegen auf den Rücksitz hinüber, wobei seine Ellenbogen mit ihrem Hut zusammenstoßen und ihre Füße sich in seinen Hut stemmen, der durch den Zusammenstoß herunterfliegt. Nach einigen Augenblicken ist der Morast überwunden, und die Pferde machen keuchend halt; der Senator findet seinen Hut wieder, die Frau rückt den ihrigen zurecht und beruhigt das Kind, und alle sammeln Fassung für das noch zu Erwartende.

Eine Weile lang wird das beständige: Bumm! Bumm! nur der Abwechslung wegen von verschiedenen einseitigen Versenkungen und Erschütterungen unterbrochen, und sie fangen schon an, sich zu schmeicheln, daß es ihnen gar nicht so sehr schlimm geht. Aber zuletzt bleibt der Wagen mit einem senkrechten Sturz, der alle mit einer unglaublichen Schnelligkeit erst auf die Beine und dann wieder in ihre Sitze zurückbringt, stehen, und nach großem Lärm draußen erscheint Cudjoe an der Tür.

»’s ist eine schrecklich böse Stelle hier, Sir. Ich weiß nicht, wie wir herauskommen sollen. Ich glaube, wir müssen hier Rails holen.«

In seiner Verzweiflung steigt der Senator aus dem Wagen und sucht zimperlich nach einem Fleck, wo er sicher auftreten kann. Plötzlich rutscht der eine Fuß in eine unermeßliche Tiefe hinunter, er versucht ihn herauszuziehen, verliert das Gleichgewicht, purzelt in den Schlamm hinein und wird in einem sehr verzweifelten Zustand von Cudjoe wieder herausgefischt.

Es war schon sehr spät nachts, als der Wagen naß und kotbespritzt aus dem Creek herauskam und an der Tür eines großen Farmhauses hielt. Es kostete keine geringe Mühe, die Inwohner zu erwecken; aber endlich erschien der Besitzer und öffnete die Tür. Es war ein großer, langer, struppiger Bursche, sechs Fuß und einige Zoll lang, und angetan mit einem roten flanellenen Jagdhemd. Ein sehr dichter Pelz von sandgelbem Haar in ganz entschiedener Verwirrung, und ein Bart von einigen Tagen verlieh dem würdigen Manne ein Aussehen, das mindestens gesagt, nicht besonders einnehmend war. Er stand ein paar Minuten lang da und hielt das Licht in die Höhe und blinzelte unsere Reisenden mit einer unglücklichen und verwirrten Miene an, die wahrhaft lächerlich war. Es kostete unseren Senator einige Mühe, ihm die vorliegende Sache recht begreiflich zu machen.

Der alte ehrliche John van Trompe war früher ein beträchtlicher Land- und Sklavenbesitzer im Staate Kentucky gewesen. Da er vom Bären nichts als das Fell hatte und von Natur mit einem großen, ehrlichen, gerechten Herzen, seinem riesigen Körper ganz angemessen, beschenkt war, so hatte er schon seit einigen Jahren mit unterdrückter Besorgnis die praktische Anwendung eines Systems gesehen, das für den Bedrücker und den Bedrückten gleich schlecht ist. Endlich schwoll eines Tages Johns großes Herz zu sehr an, um seine Fesseln länger tragen zu können; so nahm er denn seine Brieftasche aus dem Pulte und ging hinüber nach Ohio und kaufte eine schöne Strecke fruchtbares Land, stellte allen seinen Leuten, jung und alt, Mann und Weib, Freibriefe aus, packte sie auf Wagen und schickte sie fort, um sich drüben niederzulassen; und dann wendete sich der ehrliche John den Creek aufwärts und zog sich auf eine hübsche entlegene Farm zurück, um sich seines Gewissens und seiner Gedanken zu erfreuen.

»Seid Ihr der Mann dazu, eine arme Frau und ein Kind vor den Sklavenfängern zu verbergen?« fragte der Senator ohne weitere Umstände.

»Das sollte ich wohl meinen«, sagte der ehrliche John mit großem Nachdruck.

»Das dachte ich mir«, sagte der Senator.

»Wenn einer kommt«, sagte der gute Mann und richtete seine hohe, kräftige Gestalt in die Höhe, »so bin ich hier bereit für ihn; und ich habe sieben Söhne, jeder sechs Fuß hoch, und sie werden bereit für sie sein. Vermeldet ihnen unsern Gruß«, sagte John. »Sagt ihnen, daß es uns ganz gleich ist, wie bald sie kommen, ganz vollkommen gleich«, sagte John und fuhr mit der Hand durch den Haarpelz, der wie ein Dach über seine Stirn hing, und brach in ein lautes Lachen aus.

Erschöpft, todmüde und stumpf schleppte sich Elisa bis an die Tür und hatte in den Armen ihr in tiefem Schlummer liegendes Kind. Der rauhe Farmer hielt ihr das Licht ins Gesicht und öffnete mit einer Art mitleidigem Grunzen die Tür eines kleinen Schlafzimmers neben der großen Küche, wo sie sich jetzt befanden, und bedeutete sie mit der Hand hineinzugehen. Er holte eine Kerze herunter, zündete sie an, setzte sie auf den Tisch und sagte dann zu Elisa:

»Mein Mädel, du brauchst dich auch nicht ein bißchen mehr zu fürchten, mag kommen, wer da will. Ich bin auf all diese Sachen gefaßt«, sagte er und wies auf zwei oder drei gute Büchsen, die über dem Kamin hingen; »und die meisten Leute, die mich kennen, wissen, daß es nicht sehr gesund sein würde, etwas aus meinem Hause holen zu wollen, wenn ich’s nicht hinauslassen will. So leg dich denn hin zum Schlafen, so ruhig als ob deine Mutter dich wiegte«, sagte er und machte die Tür zu.

»Das ist ja ein gewaltig schönes Mädchen«, sagte er zum Senator. »Ja, ja, die Schönen haben manchmal die größte Ursache, fortzulaufen, wenn sie nur ein bißchen Gefühl als ehrliche Mädchen haben. Ich kenne das schon.«

Der Senator erzählte in wenigen Worten Elisas Geschichte.

»Hm! Ah! So! Hm, höre einer nur!« sagte der gute Mann mitleidig.

»Hm! Ah! Ah! Das ist Menschennatur, das arme Geschöpf! Niedergehetzt wie ein Stück Wild – niedergehetzt, weil sie natürliche Gefühle hatte und tat, was keine Mutter unterlassen konnte! Ich sage Euch, diese Sachen bringen mir von allen das Fluchen am nächsten«, sagte der ehrliche John, wie er sich mit dem Rücken seiner großen, sommersprossigen, gelben Hand die Augen wischte. »Ich will Euch was sagen, Fremder, ich bin lange Jahre nicht der Kirche beigetreten, weil die Geistlichen unten bei uns beständig predigten, daß die Bibel diese Geschichten rechtfertige; und ich konnte mit ihnen nicht fertig werden, mit ihrem Griechischen und Hebräischen, und ich setzte mich gegen sie und gegen die Bibel und alles. Ich trat der Kirche nicht eher bei, als bis ich einen Geistlichen fand, der es mit ihnen im Griechischen und alledem aufnehmen konnte und ganz das Gegenteil sagte: Und dann faßte ich mich kurz und schloß mich der Kirche an; – so war’s, faktum«, sagte John, der die ganze Zeit über eine Flasche sehr lebhaft schäumenden Apfelwein entkorkt hatte, den er jetzt präsentierte.

»Ihr tätet am besten, bis zum Morgen hierzubleiben«, sagte er herzlich. »Ich will meine Alte rufen und ein Bett soll für Euch fertig sein, ehe Ihr Euch umsehen könnt.«

»Ich danke Euch, guter Freund«, sagte der Senator, »ich muß fort, um die Nachtkutsche nach Columbus abzuwarten.«

»Nun, wenn Ihr fort müßt, will ich Euch ein Stück begleiten und Euch einen Richtweg zeigen, der besser ist als die Straße, die Ihr gefahren seid. Das ist ein verwünscht böser Weg.«

John zog sich an, und bald darauf sah man ihn mit einer Laterne in der Hand den Wagen des Senators nach einem Wege führen, der sich hinter seinem Hause in eine Tiefe senkte. Als sie schieden, drückte ihm der Senator eine Zehndollarnote in die Hand.

»Das ist für sie«, sagte er kurz.

»Ja, ja«, sagte John mit gleicher Wortkargheit.

Sie schüttelten sich die Hände und schieden voneinander.

4. Kapitel


Die Empfindungen lebendiger Ware, wenn sie den Herrn wechselt

Mr. und Mrs. Shelby hatten sich für die Nacht in ihre Zimmer zurückgezogen. Er lag in einem geräumigen Lehnstuhl und las einige mit der Nachmittagspost angekommene Briefe, und sie stand vor dem Spiegel und kämmte sich die kunstreich zusammengeflochtenen Zöpfe und Locken aus, in welche Elisa ihr Haar geordnet hatte; denn als sie die bleichen Wangen und hohlen Augen des Mädchens sah, hatte sie dasselbe des Dienstes für diesen Abend enthoben und ihr befohlen, sich zu Bett zu legen. Natürlich erinnerte sie ihre jetzige Beschäftigung an das Gespräch, welches sie früh mit dem Mädchen gehabt hatte; deshalb sagte sie in gleichgültigem Ton zu ihrem Gatten:

»Apropos, Arthur, wer war dieser schlecht erzogene Mensch, den du heute mit zu Tisch gebracht hattest?«

»Er heißt Haley«, sagte Shelby, der sich etwas unruhig in seinem Lehnstuhl umdrehte und die Augen nicht von dem Brief abwendete.

»Haley! Was ist er, und was hat er hier zu tun?«

»Ich hatte Geschäfte mit ihm, wie ich das letztemal in Natchez war«, sagte Mr. Shelby.

»Und er glaubte, dadurch das Recht zu haben, hier ganz wie zu Hause zu tun und sich mit an den Tisch zu setzen?«

»Ich habe ihn eingeladen, ich hatte Rechnungen mit ihm in Ordnung zu bringen«, sagte Shelby.

»Ist er ein Sklavenhändler?« sagte Mrs. Shelby, der eine gewisse Verlegenheit im Benehmen ihres Gatten nicht entging.

»Wie kommst du darauf, liebe Frau«, sagte Shelby und sah sie an.

»Nun, Elisa kam nach dem Essen in großer Aufregung und jammernd zu mir und sagte mir, du sprächst mit einem Handelsmann, und sie hätte ihn auf ihren Kleinen bieten hören – das lächerliche Gänschen.«

»So, sagte sie das?« sagte Mr. Shelby und sah wieder die Briefe an, indem er eine Weile ganz vertieft zu sein schien, ohne zu bemerken, daß er dieselben verkehrt hielt.

»Es muß heraus«, sprach er zu sich selbst, »es kostet jetzt nicht mehr als später.«

»Ich sagte Elisa«, sagte Mrs. Shelby, immer noch ihre Haare kämmend, »daß sie mit ihrer Einbildung eine kleine Närrin sei, und daß du dich nie mit solchen Leuten einließest. Natürlich weiß ich, daß du nie daran denkst, einen unserer Leute zu verkaufen – am wenigsten an solch einen Kerl.«

»Das ist auch stets meine Meinung gewesen, Emilie«, sagte ihr Gatte; »aber die Sachen stehen so, daß ich mir nicht mehr anders helfen kann. Ich werde einige von meinen Leuten verkaufen müssen.«

»An diesen Menschen? Unmöglich! Shelby, das kann dein Ernst nicht sein.«

»Es tut mir leid, es bestätigen zu müssen«, sagte Mr. Shelby. »Ich habe Tom verkauft.«

»Was! Unsern Tom – den guten treuen Burschen! – Der von Kind auf dein treuer Diener gewesen ist! – O Shelby! – Und du hast ihm noch dazu seine Freilassung versprochen – du und ich haben sie ihm hundertmal zugesagt. Ja, nun kann ich alles glauben; nun kann ich auch glauben, daß du den kleinen Harry verkaufen könntest, das einzige Kind der armen Elisa!« sagte Mrs. Shelby in einem Ton zwischen Schmerz und Entrüstung.

»Nun, da du alles wissen mußt: Es ist an dem. Ich habe mich bereit erklärt, sowohl Tom wie Harry zu verkaufen, und weiß nicht, warum man mich ausschimpft, als wenn ich ein Ungeheuer wäre, weil ich tue, was jedermann alle Tage tut.«

»Aber warum gerade diese beiden?« sagte Mrs. Shelby. »Warum diese beiden vor allen andern, wenn du überhaupt verkaufen mußt?«

»Weil ich für sie das meiste Geld bekomme – das ist der Grund. Ich konnte eine andere Person wählen, wenn du willst. Der Mann bot mir eine beträchtliche Summe für Elisa, wenn dir das besser gefällt«, sagte Mr. Shelby.

»Der Elende!« sagte Mrs. Shelby heftig.

»Natürlich wollte ich nichts davon hören – aus Rücksicht auf deine Gefühle wollte ich nicht; also rechne mir wenigstens das zugute.«

»Lieber Mann, verzeihe mir«, sagte Mrs. Shelby, die sich etwas gesammelt hatte. »Ich war heftig. Die Sache überraschte mich, und ich war gar nicht darauf vorbereitet; aber gewiß wirst du mir erlauben, für die armen Geschöpfe ein gutes Wort einzulegen. Tom ist ein edler, treuer Bursche, obgleich er ein Schwarzer ist. Ich bin der Überzeugung, Shelby, wenn man es von ihm verlangte, würde er sein Leben für dich hingeben.«

»Das weiß ich, gewiß; aber was nützt das alles, ich kann mir nicht anders helfen.«

»Warum bringst du nicht ein pekuniäres Opfer? Ich will gern meinen Teil dazu beitragen. Ach Shelby, ich habe versucht – treulich versucht, wie es einer Christin zukommt – gegen diese armen, einfältigen, abhängigen Geschöpfe meine Pflicht zu tun. Ich habe sie gepflegt, sie unterrichtet, beobachtet und seit Jahren alle ihre kleinen Schmerzen und Freuden kennengelernt, und wie kann ich ihnen je wieder gerade in das Gesicht sehen, wenn wir wegen eines armseligen Gewinnes einen so treuen vortrefflichen und auf uns vertrauenden Menschen, wie Tom, verkaufen und in einem Augenblick ihm alles entreißen, was wir ihn lieben und wertschätzen gelehrt haben? Ich habe ihnen die Pflichten, die sie als Eltern und Kinder, als Gatte und Gattin haben, gelehrt; und was für eine Miene soll ich zu diesem offenen Bekenntnis machen, daß wir uns um kein Band, um keine Pflicht, um kein Verhältnis, seien sie noch so heilig, kümmern, wenn Geld dagegen in die Waagschale geworfen wird? Ich habe mit Elisa von ihrem Sohn gesprochen – von ihrer Pflicht gegen ihn, als eine christliche Mutter über ihn zu wachen, für ihn zu beten, und ihn christlich zu erziehen; und was kann ich jetzt sagen, wenn du ihn ihr entreißest und ihn Seele und Leib an einen gewissenlosen Mann verkaufst, nur um schnöden Gewinnes willen? Ich habe ihr gesagt, daß eine Seele mehr wert ist als alles Geld auf der Welt, und wie wird sie mir glauben, wenn sie sieht, wie wir uns gegen sie wenden und ihr Kind verkaufen? – Ihn vielleicht der sichern Verderbnis von Seele und Leib weihen!«

»Es tut mir leid, daß du es dir so zu Herzen nimmst, Emilie – ich versichere es dir«, sagte Mr. Shelby, »und ich achte auch deine Empfindungen, obgleich ich mir nicht anmaßen kann, sie in ihrer ganzen Ausdehnung zu teilen; aber ich sage dir jetzt in feierlichem Ernst, es nützt zu nichts – ich kann mir nicht anders helfen. Ich beabsichtigte nicht, es dir zu sagen, Emilie; aber rundherausgesagt, ich habe keine andre Wahl als entweder diese beiden oder meine ganze Habe zu verkaufen. Entweder muß ich sie losschlagen oder alles. Haley ist in Besitz einer Hypothek gekommen, die ich sofort bezahlen muß, oder er ruiniert mich ganz und gar. Ich habe gespart und zusammengescharrt und geborgt und fast gebettelt – und der Wert dieser beiden war noch erforderlich, um die Summe zusammenzubringen. Haley fand Gefallen an dem Kinde; er wollte die Sache so abmachen, aber nicht anders. Er hatte mich in der Hand, und ich mußte es tun. Wenn du ihren Verlust so tief fühlst, würde es denn besser sein, wenn alles verkauft werden müßte?«

Mrs. Shelby stand da wie vom Blitz getroffen. Endlich wendete sie sich ihrem Toilettentisch zu, legte das Gesicht in die Hände und stöhnte laut.

»Das ist der Fluch Gottes über die Sklaverei! – Eine böse, böse, höchst fluchwürdige Sache! – Ein Fluch für den Herrn und ein Fluch für den Sklaven! Ich war eine Torin zu denken, ich könnte ein so tödliches Übel zu etwas Gutem wenden. Es ist eine Sünde, einen Sklaven unter Gesetzen, wie die unsrigen sind, zu besitzen; ich habe es immer gefühlt – ich habe immer so gedacht, als ich noch unverheiratet war – ich wurde noch mehr davon überzeugt, als ich mich der Kirche angeschlossen hatte; aber ich glaubte, ich könnte ihre Häßlichkeit mit einer verschönernden Decke verhüllen –ich glaubte, durch Freundlichkeit und Sorgfalt und Belohnung den Zustand meiner Sklaven besser zu machen als die Freiheit – was für eine Torin ich war!«

»Aber Frau, du wirst ja wahrhaftig eine echte Abolitionistin!«

»Eine Abolitionistin! Wenn die Abolitionisten alles wüßten, was ich von der Sklaverei weiß, so könnten sie reden! Sie brauchen es uns nicht erst zu sagen. Du weißt, ich habe die Sklaverei nie für recht gehalten – und mich nie gern dazu verstanden, Sklaven zu besitzen.«

»Nun, darin unterscheidest du dich von vielen einsichtsvollen und frommen Personen«, sagte Mr. Shelby. »Du erinnerst dich noch an Mr. B.’s Predigt neulichen Sonntag?«

»Ich mag keine solche Predigt hören; ich mag Mr. B. in unserer Kirche nie wieder hören. Geistliche können vielleicht dem Übel nicht abhelfen – können es ebensowenig heilen als wir – aber es verteidigen! – Ich habe es nie begreifen können. Und ich dachte, du hättest auch nicht viel von dieser Predigt gehalten.«

»Nun ja, ich gestehe, daß diese Geistlichen die Sache manchmal weiter treiben, als wir armen Sünder es wagen würden. Wir Geschäftsleute müssen über mancherlei ziemlich stark die Augen zudrücken und uns an manches gewöhnen, was eigentlich nicht ganz recht ist. Aber es gefällt uns doch nicht ganz, wenn Weiber und Geistliche den Mund vollnehmen und in Sachen der Zucht oder Sittlichkeit über uns hinausgehen; das ist ein Faktum. Aber jetzt, liebe Frau, hoffe ich, siehst du die Notwendigkeit der Sache ein und siehst, daß ich noch das Beste getan, was die Umstände erlaubten.«

»O ja, ja!« sagte Mrs. Shelby und befühlte unruhig und gedankenvoll ihre goldene Uhr. »Ich habe keine Juwelen, die der Rede wert wären.« Dann setzte sie hinzu: »Aber wäre nicht mit dieser Uhr etwas zu machen? – Sie kostete viel Geld, als sie gekauft wurde. Wenn ich wenigstens Elisas Kind retten könnte, so würde ich alles opfern, was ich habe.«

»Es tut mir leid, sehr leid, Emilie«, sagte Mr. Shelby, »es tut mir sehr leid, daß es dir so zu Herzen geht; aber es hilft nichts. Die Sache ist vorbei und abgemacht, Emilie: Der Verkaufskontrakt ist schon unterschrieben und in Haleys Händen – und du mußt Gott danken, daß es nicht noch schlimmer ist. Dieser Mann hatte es in seiner Gewalt, uns alle zugrunde zu richten, und jetzt sind wir ihn glücklich los. Wenn du den Mann kenntest wie ich, so würdest du meinen, wir wären noch recht gut davongekommen.«

»Ist er denn so hartherzig?«

»Nun, er ist gerade nicht ein grausamer Mann; aber ein Mann von Leder – ein Mann, der für nichts lebt, als für Handel und Gewinn –, gefühl- und rücksichtslos, unbarmherzig, wie der Tod und das Grab. Er würde seine eigene Mutter gegen eine gute Provision verkaufen, ohne daß er der Alten grade weh zu tun meinte.«

»Und dieser Elende soll unsern guten, getreuen Tom und Elisas Kind besitzen?«

»Ich muß dir wohl gestehen, liebe Frau, daß die Sache mir sehr hart angeht – ich kann gar nicht daran denken. Haley wünscht die Sache rasch abzumachen und morgen in Besitz zu kommen. Ich lasse mir ganz früh mein Pferd satteln und reite fort. Ich kann Tom nicht sehen, das ist ein Faktum, und du tätest besser, eine Spazierfahrt zu arrangieren und Elisa mitzunehmen. Sie können dann das Kind fortnehmen, wenn sie nicht da ist.«

»Nein, nein«, sagte Mrs. Shelby, »ich mag in keiner Weise Mitschuldige oder Gehilfin bei diesem schrecklichen Geschäft sein. Ich werde den armen alten Tom besuchen – Gott helfe ihm in seinem Unglück! Sie sollen wenigstens sehen, daß ihre Herrin für sie und mit ihnen fühlen kann. Was Elisa betrifft, so wage ich gar nicht, daran zu denken. Der Herr vergebe uns! Was haben wir getan, daß uns diese grausame Notwendigkeit trifft?«

Zeugin dieses Gesprächs war eine Person, welche Mr. und Mrs. Shelby nicht im mindesten in Verdacht hatten.

Neben ihrem Zimmer befand sich eine große Kammer, die mit einer Tür auf den äußeren Korridor hinausging. Als Mrs. Shelby Elisa für diese Nacht entließ, hatte fieberhafte Aufregung der letzteren den Gedanken an diese Kammer eingegeben, und sie hatte sich dort versteckt und mit ihrem dicht an eine Spalte in der Tür gepreßten Ohr kein Wort des Gespräches verloren.

Als die Stimmen schwiegen, stand sie auf und schlich sich leise fort. Bleich, von Fieber fröstelnd, mit krampfhaft verzogenem Gesicht und zusammengepreßten Lippen sah sie wie ein ganz anderes Wesen aus, als wie das sanfte und schüchterne Geschöpf, das sie bis dahin gewesen. Vorsichtig bewegte sie sich über den Gang, blieb einen Augenblick vor der Tür ihrer Herrin stehen und erhob die Hände in stummem Flehen zum Himmel und ging dann weiter und schlüpfte in ihr eigenes Zimmer. Es war ein stilles sauberes Stübchen auf demselben Flur wie das Zimmer ihrer Herrin. Dort war das hübsche sonnige Fenster, wo sie so oft sinnend bei ihrer Näharbeit gesessen hatte; dort ein kleines Bücherbrett und daneben ein paar Tändeleien, alles Weihnachtsgeschenke; dort war ihre einfache Garderobe im Wandschrank und in Kästen; hier war mit einem Wort ihre Heimat, und sie hatte im ganzen sehr glücklich hier gelebt. Aber dort auf dem Bett lag ihr schlummernder Knabe, die langen Locken nachlässig um das noch nichts ahnende Gesicht wallend, den rosigen Mund halb geöffnet, die runden Händchen oben auf der Bettdecke liegend, und ein Lächeln, wie ein Sonnenstrahl über das ganze Gesicht gebreitet.

»Armer Knabe! Armes Kind!« sagte Elisa. »Sie haben dich verkauft! Aber deine Mutter wird dich noch retten!«

Keine Träne fiel auf dieses Kissen. In solchen Drangsalen hat das Herz keine Tränen übrig; es entfließt ihm nur Blut, und es verblutet sich schweigend. Sie nahm ein Stück Papier und einen Bleistift und schrieb hastig.

»Ach Missis! Gute Missis! Halten Sie mich nicht für undankbar – denken Sie wenigstens nicht schlecht von mir. – Ich habe alles gehört, was Sie und der Herr heute abend miteinander sprachen. Ich will versuchen, meinen Knaben zu retten – Sie werden mich nicht tadeln! Gott segne Sie und belohne Sie für alle Ihre Güte.«

Nachdem sie dies hastig zusammengebrochen und adressiert hatte, zog sie einen Kasten auf und packte ein kleines Bündel Kleidungsstücke für ihren Knaben zusammen, das sie mit einem Schnupftuch fest um den Leib band; und so zärtlich ist das Gedächtnis einer Mutter, daß sie selbst in den Schrecken dieser Stunde nicht vergaß, eine oder zwei seiner Lieblingsspielsachen einzupacken und einen buntgemalten Papagei aussuchte, um ihn damit zu unterhalten, wenn sie ihn wecken mußte. Es kostete einige Mühe, den kleinen Schläfer zu ermuntern; aber endlich saß er auf seinem Bettchen und spielte mit dem Vogel, während seine Mutter den Hut aufsetzte und das Tuch umband.

»Wo willst du hin, Mutter?« sagte er, als sie mit seinem Röckchen und Mützchen auf ihn zukam.

Die Mutter stellte sich vor ihn hin und sah ihm mit solchem Ernst in die Augen, daß er gleich erriet, daß etwas Ungewöhnliches im Werk war.

»Still, Harry«, sagte sie, »darfst nicht laut sprechen oder sie hören uns. Ein böser Mann wollte kommen, um den kleinen Harry wegzuholen von seiner Mutter und im Finstern weit wegzutragen; aber Mutter leidet das nicht – sie setzt ihrem kleinen Sohn die Mütze auf und zieht ihm den Rock an und läuft mit ihm fort, daß ihn der böse Mann nicht haschen kann.«

Mit diesen Worten hatte sie das Kind bald in seinen einfachen Anzug gekleidet, nahm es auf den Arm, flüsterte ihm zu, ganz ruhig zu sein, öffnete die nach der äußeren Veranda gehende Tür und schlich geräuschlos hinaus.

Es war eine klare sternenhelle Nacht, und die Mutter hüllte ihr Kind dicht in das Tuch, wie es ganz still vor unerklärlichem Entsetzen sich um ihren Hals klammerte.

Der alte Bruno, ein großer Neufundländer, der am Ende der Veranda schlief, stand leise knurrend auf, als sie sich näherte. Sie rief ihn halblaut beim Namen, und das Tier, ein alter Günstling und Spielkamerad von ihr, wedelte sofort mit dem Schwanze und machte sich bereit, ihr zu folgen, obgleich es allem Anschein nach seinem einfachen Hundeverstande viel zu schaffen machte, was ein so seltsamer Mitternachtsspaziergang bedeuten solle. Einige dunkle Ahnungen von der Unvorsichtigkeit oder Unschicklichkeit dieses Schrittes schienen ihm viel Kopfzerbrechen zu verursachen; denn er blieb oft stehen, wie Elisa vorwärts eilte, und sah fragend erst sie und dann das Haus an, und kam dann, als hätte ihn das Nachdenken beruhigt, wieder nachgezottelt. Nach wenigen Minuten standen sie an dem Fenster vor Onkel Toms Hütte, und Elisa klopfte leise an die Scheibe.

Das Meeting und Hymnensingen hatte bei Onkel Tom bis zu einer ziemlich späten Stunde gedauert, und da Onkel Tom sich nachher noch an einigen langen Solos erbaut hatte, so war er und seine würdige Lebensgefährtin noch nicht zu Bett, obgleich es schon zwischen 12 und 1 Uhr war.

»Guter Gott! Was ist das?« sagte Tante Chloe, indem sie auffuhr und rasch den Vorhang zurückzog. »So wahr ich lebe, ’s ist Lizzy! Zieh dich an, Alter, rasch! Da kratzt auch der alte Bruno draußen – was gibt’s nur? Ich will gleich aufmachen.«

In der Tat öffnete sich auch sofort die Tür, und das Licht der Unschlittkerze, welche Tom hastig angezündet hatte, fiel auf das angstverzerrte Gesicht und die dunklen verstörten Augen der Entflohenen.

»Gott sei bei uns! Man erschrickt ja vor dir, Lizzy! Bist du krank, oder was ist dir zugestoßen?«

»Ich laufe fort, Onkel Tom und Tante Chloe – bringe meinen Knaben fort. Der Herr hat ihn verkauft!«

»Ihn verkauft!« wiederholten beide und erhoben die Hände in namenlosem Schrecken.

»Ja, ihn verkauft«, sagte Elisa fest; »ich schlich mich heute abend in die Kammer hinter unserer Herrin Stube und hörte den Herrn der Herrin erzählen, daß er meinen Harry und dich, Onkel Tom, einem Sklavenhändler verkauft habe, und daß er selbst diesen Morgen fortreiten wollte, und daß der Mann heute die Gekauften in Besitz nehmen werde.«

Tom hatte während dieser Rede mit erhobenen Händen und weit offenen Augen, als träume er, dagestanden. Wie er die Bedeutung des Gehörten langsam und allmählich begriff, setzte er sich nicht, sondern fiel vielmehr auf seinen alten Stuhl und ließ den Kopf bis auf die Knie herabsinken.

»Der gute Gott erbarme sich unser!« sagte Tante Chloe. »O, das kann ja gar nicht wahr sein! Was hat er denn getan, daß ihn Master verkaufen sollte?«

»Er hat nichts getan; – deshalb ist es nicht. Der Herr will nicht verkaufen und Missis – die ist immer gut. Ich hörte sie für uns sprechen und bitten; aber er sagte ihr, es helfe nichts – er sei dem Manne Geld schuldig, und dieser habe ihn in der Hand – und wenn er ihn nicht vollständig bezahle, so würden zuletzt die Besitzung und alle Leute verkauft werden und er ins Elend gehen müssen. Ja, ich hörte ihn äußern, daß keine Wahl übrig sei zwischen dem Verkauf dieser beiden und dem Verkauf von allem, so hart setze ihm der Mann zu. Der Herr sagt, es tut ihm sehr leid, aber ach, Missis! – die hättet ihr reden hören sollen! Wenn sie keine Christin und kein Engel ist, so hat es nie welche gegeben. Es ist schlecht von mir, daß ich sie so verlasse; aber ich kann nicht anders. Sie selbst sagte, eine Seele sei mehr wert, als alles Geld auf der Welt, und dieser Knabe hat eine Seele, und wenn ich ihn von mir lasse, wer weiß, was aus ihm wird? Es muß recht sein, aber wenn es nicht recht ist, so möge mir der Herr vergeben, ich kann nicht anders.«

»Nun, Alter«, sagte Tante Chloe, »warum gehst du nicht auch? Willst du dich nach dem Flusse unten verhandeln lassen, wo sie die Nigger mit Plackerei und Hunger unter die Erde bringen? Viel lieber wollte ich jeden Tag sterben, als dorthin gehen! Du hast noch Zeit vor dir: Entfliehe mit Lizzy – du hast ja einen Paß, der dir erlaubt, zu gehen und zu kommen, wie du Lust hast. Komm, steh auf, und ich will dir deine Sachen zusammenpacken.«

Tom erhob langsam das Haupt und blickte bekümmert aber ruhig um sich und sagte:

»Nein, nein: Ich gehe nicht. Laß Elisa gehen – sie hat ein Recht dazu. – Ich werde das gewiß nicht leugnen. Es liegt nicht in der menschlichen Natur, daß sie bleiben sollte, aber du hast gehört, was sie sagte: Wenn entweder ich verkauft werden muß oder alle Leute auf dem Gute und alles zugrunde gehen muß, so mögen sie lieber mich verkaufen. Ich glaube, ich kann es so gut tragen wie jeder andere«, setzte er hinzu, während etwas wie ein Schluchzen und ein Seufzer seine breite zottige Brust krampfhaft erschütterte. »Der Herr hat mich immer auf meinem Posten gefunden – und so soll’s bleiben. Ich habe nie sein Vertrauen getäuscht oder meinen Paß anders gebraucht, als ich versprochen hatte, und ich werde es niemals tun. Es ist besser, wenn ich allein fortkomme, als wenn das ganze Gut fortgeht und verkauft wird. Master ist nicht zu tadeln, Chloe, und er wird sorgen für dich und die armen –«

Hier drehte er sich nach dem Rollbett voll von kleinen wolligen Köpfen um und konnte sich nicht länger halten.

Er lehnte sich über den Rücken des Stuhls zurück und bedeckte das Gesicht mit den beiden großen Händen. Tiefes heiseres und lautes Schluchzen erschütterte den Stuhl, und große Tränentropfen rollten durch die Finger auf den Fußboden.

»Erst heute nachmittag sah ich meinen Mann und ahnte nicht im mindesten, was nun kommen sollte«, sagte Elisa, die immer noch an der Tür stand. »Sie haben ihn auf das Äußerste gebracht, und er sagte mir heute, daß er fortlaufen wollte. Ich bitte euch, seht zu, daß ihr mit ihm sprechen könnt. Sagt ihm, wie und warum ich entflohen bin; und sagt ihm, daß ich versuchen werde, Kanada zu finden. Grüßt ihn von mir und sagt ihm, wenn ich ihn nie wiedersehe« – sie wandte sich ab und hatte ihnen eine Weile den Rücken zugekehrt und fügte dann mit heiserer Stimme hinzu: »Sagt ihm, er solle so gut sein, als er kann, und sich so betragen, daß er mich im Himmel wiedersieht.

Ruft Bruno herein«, sagte sie noch. »Schließt ihn hier ein, das arme Tier! Er darf nicht mit mir gehen.«

Noch ein paar letzte Worte und Tränen, ein paar einfache Lebewohls und Segnungen und sie schlüpfte geräuschlos fort, das verwunderte und erschrockene Kind fest in den Armen haltend.

39. Kapitel


Der Befreier

George Shelby hatte seiner Mutter bloß eine Zeile geschrieben und sie darin nur von dem wahrscheinlichen Tage seiner Ankunft benachrichtigt. Etwas über das Sterbebett seines alten Freundes zu schreiben, hatte er nicht übers Herz bringen können. Er hatte es mehrere Male versucht, bis es ihm die Kehle fast zuschnürte; und der Versuch schloß regelmäßig damit, daß er das Papier zerriß, die Augen trocknete und irgendwohin stürzte, um Fassung zu suchen.

Eine freudige Aufregung herrschte den ganzen Tag über im Shelbyschen Hause, denn man erwartete des jungen Master George Ankunft.

Mrs. Shelby saß in ihrem gemütlichen Zimmer, wo ein lustiges Hickoryfeuer die fröstelnde Kühle des Spätherbstabends vertrieb. Der Tisch war mit glänzendem Geschirr und Gläsern zum Abendessen gedeckt, und unsere frühere Freundin, die alte Chloe, war noch mit der Anordnung desselben beschäftigt.

In einem neuen Callicokleid mit einer reinen, weißen Schürze und einem hohen steif gestärkten Turban, das schwarze, glänzende Gesicht vor Befriedigung glühend, trödelte sie mit nutzloser Peinlichkeit um den Tisch herum, nur um einen Vorwand zu haben, mit ihrer Herrin zu plaudern.

»So, so! Wird’s ihm nun nicht ganz ordentlich vorkommen?« sagte sie. »Da – ich hab‘ ihm seinen Teller gerade an seine liebste Stelle gesetzt, gleich beim Feuer. Master George sitzt immer gern warm. Ja, laßt mich nur! Aber warum hat Sally nicht die beste Teekanne herausgesetzt – die kleine neue, die Master George zu Weihnachten Missis geschenkt hat? Ich werde sie holen! Missis hat einen Brief von Master George bekommen?« sagte sie forschend.

»Ja, Chloe, aber nur eine Zeile, bloß mit der Nachricht, daß er, wenn irgend möglich, heute abend eintreffen werde – weiter nichts.«

»Hat er nichts von meinem Alten geschrieben?« sagte Chloe und machte sich immer noch mit den Teetassen zu schaffen.

»Nein, gar nichts. Er hat sonst weiter gar nichts geschrieben, Chloe. Er sagt, er wolle uns alles erzählen, wenn er hier ist.«

»Ja, das sieht Master George ganz ähnlich; er bildete sich immer was darauf ein, alles selbst zu erzählen. Ich hab‘ das immer bei Master George bemerkt. Sehe übrigens für meinen Teil gar nicht ein, wie die weißen Leute nur immer so viel schreiben können – schreiben ist eine so langsame, schwere Arbeit.«

Missis Shelby lächelte.

»Ich glaube wahrhaftig, mein Alter wird die Jungen und die Kleine gar nicht kennen. Gott, sie ist so gewachsen; und sie ist auch gut und gescheit, Polly. Sie ist jetzt draußen und wartet, bis der Kuchen gut ist. Ich habe ganz dieselbe Sorte gebacken, die mein Alter so gern aß. Denselben Kuchen, den ich ihm an dem Morgen mitgab, als sie ihn fortschleppten. Ach, gütiger Gott! Wie mir’s an dem Morgen zumute war!«

Mrs. Shelby seufzte und fühlte bei dieser Anspielung eine schwere Last auf ihrem Herzen. Sie hatte seit dem Empfang des Briefes ihres Sohnes in beständiger Unruhe geschwebt, daß hinter seinem Schweigen etwas verborgen sein möchte.

»Er erkennt Polly gewiß nicht wieder – mein Alter. Gott, schon seit fünf Jahren ist er fort! Sie war damals noch ein ganz kleines Kind – konnte eben erst auf den Beinen stehen. Erinnere mich doch, wie ich immer lachen mußte, weil sie immer hinpurzelte, als sie anfangen wollte, zu gehen. Ach Gott, ach Gott!« – Man hörte jetzt das Rollen eines Wagens.

»Master George!« sagte Tante Chloe und lief ans Fenster.

Missis Shelby eilte an die Haustür und lag an der Brust ihres Sohnes. Tante Chloe sah bange forschend in die Finsternis hinaus.

»Ach, arme Tante Chloe!« sagte George, indem er ihre harte, schwarze Hand ergriff. »Ich hätte mein ganzes Vermögen hingegeben, um ihn mitbringen zu können, aber er ist in ein besseres Land gegangen.« Mrs. Shelby konnte einen Ausruf schmerzlicher Überraschung nicht unterdrücken, aber Tante Chloe sagte nichts.

Sie drehte sich um und wollte das Zimmer verlassen. Mrs. Shelby folgte ihr leise, ergriff sie bei der Hand, zog sie in einen Stuhl und setzte sich neben sie. »Meine arme gute Chloe«, sagte sie.

Chloe legte ihr Haupt auf die Schulter der Herrin und schluchzte laut:

»Ach Missis! Verzeihen Sie, das bricht mir das Herz – weiter ist’s nichts.«

»Das weiß ich«, sagte Mrs. Shelby, wie ihre Tränen reichlich flossen, »und ich kann es nicht heilen, aber Jesus kann es. Er heilet die gebrochenen Herzen und verbindet ihre Wunden.«

Es herrschte für einige Zeit ein allgemeines Schweigen, und alle weinten. Endlich setzte sich George neben die Trauernde, ergriff ihre Hand und erzählte mit einfachen und rührenden Worten den sieghaften Tod ihres Gatten und seine letzten Liebesbotschaften.

Ungefähr einen Monat nach diesem Vorfall waren eines Morgens sämtliche Sklaven auf dem Shelbyschen Gute in die sich durch die ganze Länge des Hauses erstreckende große Halle berufen worden, um einige Worte von ihrem jungen Herrn zu hören.

Zu aller Erstaunen trat er in ihre Mitte mit einem Packen Papieren in der Hand, den Freiheitsbriefen für jeden einzelnen der Dienstboten, die er nacheinander verlas und unter dem Schluchzen, den Tränen und Freuderufen aller Anwesenden verteilte.

Viele jedoch drängten sich um ihn und baten ihn aufs inständigste, sie nicht fortzuschicken; und wollten ihm mit flehenden Gesichtern ihre Freilassungsscheine wieder zurückgeben.

»Wir wollen nicht freier sein, als wir schon sind! Wir haben stets alles gehabt, was wir brauchten. Wir wollen das alte Haus und Master und Missis und die übrigen nicht verlassen.«

»Gute Freunde«, sagte George, sobald wieder Ruhe herrschte, »ihr braucht mich gar nicht zu verlassen. Das Gut bedarf zu seiner Bewirtschaftung so viele Hände wie früher. Für das Haus brauchen wir ebenfalls noch dieselbe Anzahl. Aber ihr seid jetzt freie Männer und freie Weiber. Ich zahle euch für eure Arbeit den Lohn, den wir vereinbaren. Der Vorteil für euch ist, daß ihr, im Fall ich bankrott werde oder sterbe – was doch geschehen kann – nicht mit Beschlag belegt und verkauft werden könnt. Ich gedenke das Gut fortzubewirtschaften und euch zu lehren, was euch vielleicht zu lernen einige Zeit kosten wird – wie ihr die euch verliehenen Rechte als Freie zu gebrauchen habt. Ich erwarte, daß ihr euch gut aufführen und gern lernen werdet; und ich hoffe zu Gott, daß ich euch getreulich und bereitwillig unterrichten werde. Und jetzt, meine Freunde, wollen wir den Blick himmelwärts richten und Gott für den Segen der Freiheit danken.«

Ein alter Patriarch von einem Neger, der auf dem Gute grau und blind geworden war, stand jetzt auf, erhob seine zitternden Hände und sprach:

»Lasset uns danken dem Herrn!« Wie alle wie auf einen Wink niederknieten, stieg nie ein rührenderes und inniger gefühltes Tedeum zum Himmel hinauf, und wenn es auch Orgel, Glocken und Kanonendonner begleitet hätten, als aus diesem ehrlichen, alten Herzen ertönte.

Als sie aufstanden, stimmte ein anderer eine Methodistenhymne an, deren Refrain lautete:

»Das Jubeljahr ist nun gekommen
O kehrt, erlöste Sünder, heim!«

»Noch eins habe ich euch zu sagen«, sagte George, wie er den Segnungen der ihn umdrängenden Schar ein Ende machte. »Ihr erinnert euch alle noch an unseren guten, alten Onkel Tom?«

George erzählte ihnen nun in kurzem den Auftritt an seinem Sterbebette und sein liebevolles Lebewohl an alle seine hiesigen Kameraden und setzte hinzu:

»Auf seinem Grabe, meine Freunde, gelobte ich vor Gott, daß ich nie wieder einen Sklaven besitzen wollte, solange es mir möglich war, ihn freizulassen; daß durch mich niemand Gefahr laufen sollte, von der Heimat und den Seinen getrennt zu werden und auf einer entlegenen Plantage verlassen zu sterben wie er. Wenn ihr euch daher eurer Freiheit freut, so bedenkt, daß ihr sie dieser alten guten Seele verdankt, und vergeltet es ihm durch Freundlichkeit gegen seine Frau und Kinder. Gedenkt eurer Freiheit jedesmal, wo ihr Onkel Toms Hütte seht, und laßt sie euch ein Gedächtniszeichen sein, das euch stets erinnert, in seine Fußstapfen zu treten und so ehrlich, treu und christlich zu sein wie er.«

Die Verfasserin steht Rede und Antwort

Korrespondenten aus verschiedenen Teilen des Landes haben bei der Verfasserin oft angefragt, ob diese Geschichte wahr sei; und auf diese Anfragen gedenkt sie hier eine allgemeine Antwort zu geben.

Die einzelnen Vorfälle, aus welchen die Erzählung zusammengesetzt ist, sind zum größten Teile authentisch, indem viele derselben vor ihren eigenen oder vor den Augen persönlicher Freunde geschehen sind. Sie oder ihre Freunde sind Charakteren begegnet, die Ebenbilder von fast allen hier geschilderten waren; und viele von den Äußerungen sind wörtlich aufgezeichnet, wie sie dieselben entweder selbst gehört oder aus glaubwürdigem Munde vernommen hat.

Elisa ist in ihrem Äußeren und ihrem Charakter eine dem Leben entnommene Skizze. Von der unbestechlichen Treue, Frömmigkeit und Ehrlichkeit Onkel Toms hat die Verfasserin mit eigenen Augen mehr als ein Beispiel gesehen. Einige der tragischsten und romanhaftesten und einige der schrecklichsten Episoden sind ebenfalls dem wirklichen Leben nachgeschildert. Die Heldentat der über den Eisgang des Ohio sich rettenden Mutter ist ein wohlbekannter Vorfall.

Die Geschichte der alten Prue wurde der Verfasserin von einem Augenzeugen des Vorfalls erzählt, von ihrem Bruder, der damals als Agent für ein großes Handelshaus in New Orleans den Westen bereiste. Aus derselben Quelle stammt die Figur des Pflanzers Legree. Von ihm schreibt ihr Bruder, der ihn auf seiner Plantage auf einer Geschäftsreise besucht hatte:

»Er ließ mich wirklich seine Faust befühlen, die wie ein Schmiedehammer oder ein Eisenklumpen war, und rühmte sich, daß sie von Niggerniederschlagen hart geworden sei. Als ich die Plantage verließ, holte ich tief Atem, und es war mir zumute, als ob ich mich eben aus der Höhle eines Werwolfs gerettet hätte.«

Daß das tragische Schicksal Toms ebenfalls nur zu oft vorkommt, können lebende Zeugen von einem Ende unseres Vaterlandes bis zum anderen bekräftigen. Man vergesse nicht, daß es in allen südlichen Staaten Rechtsgrundsatz ist, daß keine Person von farbiger Abstammung in einem Prozeß gegen einen Weißen Zeugnis ablegen kann, und wird dann leicht einsehen, daß ein solcher Fall überall vorkommen kann, wo ein Herr, dessen Leidenschaften die Oberhand über seinen Eigennutz gewinnen, und ein Sklave, der Mannhaftigkeit oder Grundsätze genug besitzt, um seinem Willen zu widerstehen, vorhanden sind. Das Leben des Sklaven hat tatsächlich keinen anderen Schutz, als den Charakter des Herrn. Haarsträubende Tatsachen dringen gelegentlich bis in die Öffentlichkeit, und die Bemerkungen, die man darüber machen hört, sind oft noch haarsträubender, als die Sache selbst. Man sagt: Es ist wohl möglich, daß solche Fälle dann und wann vorfallen, aber sie sind keine Beispiele des allgemeinen Brauchs. Wenn die Gesetze Neu-Englands so eingerichtet wären, daß ein Herr dann und wann einen Lehrling zu Tode martern könnte, ohne daß es möglich wäre, ihn vor Gericht zur Verantwortung zu ziehen, würde man das mit ebenso ruhiger Fassung anhören? Würde man dann sagen: Diese Fälle sind selten und kein Beispiel des allgemeinen Brauchs? Diese Ungerechtigkeit ist von dem Sklavereisystem unzertrennlich, es kann ohne dieselbe nicht bestehen.

Der öffentliche und schamlose Verkauf schöner Mulatten- und Quadroonmädchen ist durch den infolge der Wegnahme des Schiffes Pearl zur Verhandlung gekommenen Prozeß zu einer allgemein bekannten Tatsache geworden. Wir entnehmen folgendes aus der Rede des ehrenwerten Horace Mann, eines der Rechtsbeistände der Beklagten in diesem Prozesse. Er sagt: »Unter diesen 76 Personen, welche 1848 aus dem Distrikt Columbia in dem Schoner Pearl, dessen Offiziere ich mit verteidigen half, zu entfliehen versuchten, befanden sich verschiedene junge und gesunde Mädchen, welche die eigentümlichen von Kennern so hochgeschätzten Reize in Gestalt und Gesicht besaßen. Eine derselben war Elisabeth Russell. Sie fiel sofort dem Sklavenhändler in die Klauen und wurde für den New-Orleans-Markt bestimmt. Die Herzen derer, welche sie sahen, wurden von Teilnahme für ihr Schicksal gerührt. Sie boten 1800 Dollar für ihre Freiheit; und einige boten einen Preis, der von ihrem Vermögen nicht viel übriggelassen hätte; aber der Teufel von einem Sklavenhändler war unerbittlich. Sie wurde nach New Orleans eingeschifft; aber unterwegs hatte Gott Erbarmen mit ihr und nahm sie zu sich. In derselben Gesellschaft befanden sich zwei Mädchen namens Edmundson. Als sie nach demselben Markte geschickt werden sollten, ging die ältere Schwester zu dem Elenden, der sich ihren Herrn nannte, und bat ihn um der Liebe Gottes willen, mit seinen Opfern Mitleid zu haben. Er verhöhnte sie mit zudringlichen Reden und tröstete sie mit den schönen Kleidern und den schönen Möbeln, die sie bekommen würden. Ja, sagte sie, das mag recht gut für dieses Leben sein, aber was werden sie für das zukünftige nützen? Auch diese beiden kamen nach New Orleans, wurden aber später gegen eine höchst bedeutende Summe losgekauft und zurückgebracht. Geht daraus nicht klar hervor, daß die Geschichte Emmelines und Cassys sich oftmals wiederholen mag?

Die Gerechtigkeit verpflichtet auch die Verfasserin zu bemerken, daß der edle Charakter St. Clares nicht ganz ideal ist, wie folgende Anekdote zeigt. Vor einigen Jahren befand sich ein junger Herr aus dem Süden mit einem Lieblingssklaven, der ihn schon als Knabe persönlich bedient hatte, in Cincinnati. Der junge Mann benutzte die Gelegenheit, um sich seine Freiheit zu verschaffen, und flüchtete sich zu einem Quäker, der in derartigen Unternehmungen einen Namen hatte. Der Eigentümer war über die Maßen erzürnt. Er hatte den Sklaven stets mit Nachsicht behandelt und sein Vertrauen auf seine Anhänglichkeit war so groß, daß er glaubte, er müsse durch fremde Einflüsterungen zur Flucht verführt worden sein. In großem Zorne ging er zu dem Quäker; da er aber ein sehr billig denkender und ehrlicher Mann war, so machten die Beweisführungen und Vorstellungen des Befreiers großen Eindruck auf ihn. Das war eine Seite des Gegenstandes, von der er nie gehört – an die er nie gedacht hatte; und er versicherte dem Quäker auf der Stelle, wenn ihm sein Sklave ins Gesicht sagen wolle, daß er frei zu sein wünsche, so wolle er ihn freigeben. Der Quäker veranstaltete sogleich eine Zusammenkunft und Nathan wurde von seinem jungen Herrn gefragt, ob er Ursache habe, in irgendeiner Hinsicht über seine Behandlung zu klagen.

»Nein, Master«, sagte Nathan, »Sie sind immer gut zu mir gewesen.«

»Nun, warum willst du mich denn verlassen?«

»Master kann sterben, und wen bekomme ich dann vielleicht zum Herrn? – Lieber will ich ein freier Mann sein.«

Nach einigem Überlegen gab der junge Herr zur Antwort: »Nathan, an deiner Stelle würde ich am Ende ziemlich auch so denken. Du bist frei.«

Er stellte ihm auf der Stelle einen Freibrief aus, deponierte eine Summe Geld bei dem Quäker, welche auf verständige Weise zu seiner Etablierung verwendet werden sollte, und ließ einen sehr verständigen und gütigen Brief mit Ratschlägen für den jungen Mann zurück. Die Verfasserin hat diesen Brief selbst in der Hand gehabt.

Die Verfasserin glaubt, daß sie der Edelherzigkeit, der Großmut und der Menschlichkeit, welche in vielen Fällen einzelne aus dem Süden auszeichnen, alle Gerechtigkeit hat widerfahren lassen.

Solche Beispiele lassen uns nicht ganz an der Menschheit verzweifeln. Aber sie fragt jeden, der die Welt kennt: Sind solche Charaktere irgendwo gewöhnlich?

Viele Jahre ihres Lebens hindurch hat die Verfasserin jede Beschäftigung mit der Sklavenfrage vermieden, da sie deren nähere Untersuchung für zu peinlich und ihre allmähliche Vernichtung durch den Fortschritt der Aufklärung und Zivilisation für gewiß hielt. Aber seit dem Gesetz von 1850, wo sie mit Erstaunen und Bestürzung christliche und menschliche Personen wirklich als eine Bürgerpflicht empfehlen hörte, gerettete Flüchtlinge wieder in die Sklaverei zurückzuschicken – als sie in den freien Staaten des Nordens von allen Seiten gute, mitleidige und achtungswerte Personen beraten hörte, was in einem solchen Falle Christenpflicht sei, so konnte sie nur denken: Diese Menschen und Christen wissen nicht, was Sklaverei ist; wenn sie es wüßten, so hätten sie eine solche Frage nie aufstellen können. Und hieraus entstand ein Wunsch, diese Sklaverei in ihrer lebendigen dramatischen Wirklichkeit darzustellen. Sie hat sich bemüht, sie unparteiisch in ihren besten und ihren schlimmsten Seiten zu zeigen. Von ihrer besten Seite ist es ihr vielleicht gelungen; aber ach, wer soll erzählen, was noch in dem Tal und Schatten des Todes auf der anderen Seite verhüllt liegt?

An Euch, Ihr edlen und großherzigen Männer und Frauen des Südens an Euch, deren Tugend und Edelsinn und Reinheit des Charakters wegen der schweren Prüfungen, die sie ausgestanden, nur um so größer sind – an Euch wendet sich die Verfasserin. Habt Ihr nicht in Eurer tiefsten Seele und wenn Ihr recht in Euch gegangen seid, gefühlt, daß dieses fluchwürdige System von noch viel schlimmeren Übeln begleitet ist als denen, die hier schwach geschildert sind oder nur geschildert werden können? Kann es anders sein? Ist der Mensch überhaupt ein Geschöpf, dem man eine gänzlich unverantwortliche Macht anvertrauen darf? Und macht nicht das Sklavenwesen, indem es den Sklaven jedes gesetzliche Recht der Zeugenschaft abspricht, jeden einzelnen Besitzer zum unverantwortlichen Despoten? Kann jemand blind genug sein, um nicht einzusehen, was die praktische Folge davon sein muß? Wenn eine öffentliche Meinung unter Euch vorhanden ist, Männer von Ehre, Gerechtigkeit oder Menschlichkeit, ist nicht auch noch eine andere Art öffentlicher Meinung unter den Rohen, den Brutalen und Verworfenen vorhanden, und kann nicht der Rohe, der Brutale, der Verworfene nach dem Sklavengesetz ebensoviel Sklaven besitzen wie der Beste und Reinste? Sind irgendwo in der Welt die Ehrenwerten, die Gerechten, die Edlen und Barmherzigen die Mehrheit?

Der Sklavenhandel wird jetzt vom amerikanischen Gesetz dem Seeraub gleichgehalten. Aber ein ebenso systematischer Sklavenhandel wie der an der afrikanischen Küste ist unausbleiblich ein Begleiter und eine Folge der amerikanischen Sklaverei. Und ist es jemandem möglich, seinen herzzerreißenden Jammer und seine Schrecken zu schildern?

Die Verfasserin hat bloß ein schwaches schattenhaftes Bild von der Seelenangst und der Verzweiflung gegeben, welche in diesem Augenblicke Tausende von Herzen zerreißen, Tausende von Familien niederschmettern und ein hilfloses und gefühlvolles Volk zum Wahnsinn und zur Verzweiflung treiben. Es leben Leute, welche die Mütter kannten, die dieser fluchwürdige Handel vermocht hat, ihre Kinder zu ermorden und selbst im Tode eine Zuflucht vor größerem Jammer, als der Tod ist, zu suchen. Nichts Tragisches kann geschrieben, gesprochen oder ausgedacht werden, was der gräßlichen Wirklichkeit von Auftritten gleichkommt, die täglich und stündlich an unserer Küste im Schatten des amerikanischen Gesetzes und des Kreuzes Christi sich ereignen.

Und nun, Männer und Frauen Amerikas, ist das eine Sache, mit der man spielen, die man beschönigen, die man mit Schweigen übergehen kann? Farmer von Massachusetts, von New Hampshire, von Vermont, von Connecticut, die Ihr dieses Buch bei dem Schimmer Eures Winterabendfeuers lest – starkherzige, großmütige Schiffer und Schiffseigner von Maine, könnt Ihr eine solche Sache unterstützen und ermutigen? Wackere und edle Männer von New York, Farmer aus dem fruchtbaren und fröhlichen Ohio und Ihr aus den weiten Präriestaaten, sprecht, könnt Ihr eine solche Sache unter Eure Obhut und Euren Schutz nehmen? Und Ihr, amerikanische Mütter, die Ihr an den Wiegen Eurer Kinder alle Menschen zu lieben und für sie zu fühlen gelernt habt, Euch beschwöre ich bei Eurer heiligen Liebe zu Euren Kindern, bei Eurer Freude über ihre schöne fleckenlose Kindheit; bei der mütterlichen Teilnahme und Zärtlichkeit, mit welcher Ihr ihr Wachstum leitet; bei den Sorgen ihrer Erziehung; bei den Gebeten, die Ihr für die ewige Seligkeit ihrer Seele hinaufsendet – bei alle diesem beschwöre ich Euch, bemitleidet die Mutter, die all Eure Liebe, und kein einziges gesetzliches Recht hat, das Kind ihres Herzens zu schützen, zu sichern oder zu erziehen! Bei der Krankheit Eures Kindes; bei den brechenden Augen, die Ihr nie vergessen, bei dem letzten Stöhnen, das Euer Herz zerriß, als Ihr weder mehr helfen noch retten konntet; bei der Verlassenheit der leeren Wiege und der stillen Kinderstube beschwöre ich Euch, habt Mitleid mit den Müttern, welche der amerikanische Sklavenhandel beständig kinderlos macht! Und sprecht, amerikanische Mütter, kann man eine solche Sache verteidigen, ihr zustimmen oder sie mit Schweigen übergehen?

Wendet Ihr etwa ein, die Bewohner der freien Staaten hätten nichts damit zu tun und könnten nichts dafür tun? Wollte Gott, das wäre wahr! Aber es ist nicht wahr. Die Bewohner der freien Staaten haben das System verteidigt, ermutigt und daran teilgenommen und tragen deshalb vor Gott eine größere Schuld auf sich als der Süden, denn sie haben nicht die Entschuldigung der Erziehung oder der Gewohnheit.

Wenn die Mütter der freien Staaten in früheren Zeiten so empfunden hätten, wie sie hätten empfinden sollen, so wären die Söhne der freien Staaten nicht die Besitzer und nach dem Sprichworte die härtesten Herren von Sklaven geworden; die Söhne der freien Staaten hätten über die Ausbreitung der Sklaverei in unserer Nation nicht die Augen zugedrückt und würden nicht die Seelen und die Körper von Menschen als Tauschmittel gegen Geld in ihren Handelsgeschäften betrachten. Kaufleute der Städte des Nordens besitzen eine Menge Sklaven vorübergehend und verkaufen sie wieder; und soll die ganze Schuld und der ganze Schimpf der Sklaverei nur allein den Süden treffen?

Männer, Mütter und Christen des Nordens haben mehr zu tun, als ihre Brüder im Süden anzuklagen; sie sollten auf das Böse vor ihrer eigenen Tür achten.

Aber was kann ein einzelner tun? Darüber kann jeder einzelne urteilen. Etwas kann jeder einzelne tun, er kann dafür sorgen, daß er richtig über eine Sache empfindet. Eine Atmosphäre sympathetischen Einflusses umgibt jedes Menschenwesen, und der Mensch, sei es Mann oder Frau, der stark, gesund und richtig über die großen Interessen der Menschheit empfindet, ist ein beständiger Wohltäter des ganzen Menschengeschlechts. So prüft also Eure Sympathien in dieser Sache! Stehen sie im Einklänge mit den Sympathien Christi? Oder sind sie beeinflußt und verdreht durch die Sophistereien einer weltgesinnten Politik?

Christliche Männer und Frauen des Nordens! Ihr besitzt auch noch eine andere Macht; Ihr könnt beten! Glaubt Ihr an das Gebet? Oder ist es zu einer unbestimmten apostolischen Tradition geworden? Ihr betet für die Heiden in der Fremde, betet auch für die Heiden zu Hause. Und betet auch für die armen Christen, deren einzige Aussicht auf religiöse Besserung ein bloßer Geschäftszufall ist – für die ein Leben nach den Vorschriften des Christentums in vielen Fällen eine Unmöglichkeit ist, wenn ihnen nicht von oben der Mut und das Heil des Märtyrertums geschenkt sind.

Aber noch mehr. Den Boden unserer freien Staaten betreten arme zerstreute Überreste von Familien, Männer und Frauen, die durch wunderbare Schickungen der Vorsehung dem Elend der Sklaverei entronnen sind, schwach im Wissen und in vielen Fällen schwach in Sittlichkeit, die aus Zuständen kommen, welche jedes christliche und sittliche Prinzip verneinen. Sie suchen eine Zuflucht unter Euch; sie suchen Erziehung, Wissen, Christentum.

Christen, was schuldet Ihr diesen armen Unglücklichen? Schuldet nicht jeder amerikanische Christ der afrikanischen Rasse einen Versuch, das Unrecht, welches Ihr der amerikanischen Nation zugefügt habt, wiedergutzumachen? Sollen wir ihnen die Tore der Kirchen und der Schulhäuser verschließen? Sollen Staaten Beschlüsse fassen, um sie auszutreiben? Soll die Kirche Christi in Schweigen den Hohn, den man über jene ausschüttet, anhören und vor der hilflosen Hand, welche sie ausstrecken, zurückweichen und durch Schweigen die Grausamkeit ermutigen, welche sie von unseren Grenzen zurücktreiben möchte? Wenn es so sein muß, so wird es ein trauervolles Schauspiel sein. Wenn es so sein muß, wird Amerika Ursache haben zu zittern, wenn es bedenkt, daß das Schicksal der Nationen in der Hand dessen liegt, der erbarmungsvoll und voll zärtlichen Mitleids ist.

Ihr sagt: »Wir wollen sie nicht haben, sie mögen nach Afrika gehen.«

Daß die Vorsehung Gottes für einen Zufluchtsort in Afrika gesorgt hat, ist in der Tat eine große und bemerkenswerte Tatsache, aber das ist kein Grund für die Kirche Christi, diejenige Verantwortlichkeit für dies verstoßene Volk, welche ihr Bekenntnis von ihr verlangt, von sich zu weisen.

Liberia mit einem unwissenden, unerfahrenen, halb barbarischen Volksstamme anzufüllen, der eben erst aus den Fesseln der Sklaverei erlöst ist, würde nur bewirken, daß die Periode des Kampfes und des Ringens, welche den Beginn neuer Unternehmungen begleitet, auf ganze Geschlechter hinaus verlängert würde. Lieber sollte die Kirche des Nordens diese armen Dulder im Geiste Christi aufnehmen und ihnen die fortbildenden Vorteile christlicher und republikanischer Gesellschaft und Schulen gewähren, bis sie wenigstens eine gewisse sittliche und geistige Reife erlangt haben. Und dann sollte sie ihnen Beistand leisten zu der Reise nach dem Lande, wo sie die in Amerika erhaltenen Lehren in Anwendung bringen sollen.

Der Norden besitzt eine verhältnismäßig kleine Gemeinschaft von Männern, welche das getan haben; und als die Frucht ihrer Bestrebungen hat dieses Land bereits Beispiele von früheren Sklaven gesehen, die sich sehr schnell Besitz, Ruf und Erziehung erworben haben. Es haben sich Talente in einer Weise entwickelt, die in Betracht der Verhältnisse gewiß bemerkenswert sind; und die Züge von Ehrlichkeit, Güte, weichem Gefühl, heldenmütigen Anstrengungen und selbstverleugnenden Bemühungen für die Befreiung von noch in der Sklaverei befindlichen Brüdern und Freunden haben sich in einem Grad ausgezeichnet, der, wenn man die Einflüsse bedenkt, unter denen sie geboren worden, wahrhaft überraschend ist.

Die Verfasserin hat viele Jahre an der Grenze von Sklavenstaaten gelebt und viele Gelegenheit gehabt, ehemalige Sklaven zu beobachten. Sie waren in ihrer Familie als Dienstboten, und sie hat dieselben in Ermangelung einer anderen Schule für sie in vielen Fällen in einer Familienschule mit ihren eigenen Kindern unterrichtet. Das Zeugnis von Missionaren unter den Flüchtlingen in Kanada stimmt mit dieser ihrer eigenen Erfahrung überein, und ihre Schlüsse hinsichtlich der Fähigkeiten der Rasse sind im höchsten Grade ermutigend.

Der erste Wunsch der befreiten Sklaven ist gewöhnlich auf Erziehung gerichtet. Ihren Kindern Unterricht zu verschaffen oder zu geben ist ihnen nichts zu teuer; und soweit die Verfasserin selbst beobachtet oder von anderen, die Neger unterrichtet haben, erfahren hat, fassen sie merkwürdig gut und rasch auf. Die Erfolge der von wohltätigen Personen in Cincinnati gegründeten Schulen bestätigen das vollkommen.

Die Verfasserin teilt noch folgende Tatsachen hinsichtlich emanzipierter und gegenwärtig in Cincinnati wohnender Sklaven mit; sie beabsichtigt damit die Bildungsfähigkeit der Rasse, selbst wo jeder besondere Beistand und jede Ermutigung versagt ist, zu zeigen. Sie verdankt diese Angaben dem Professor C. E. Stowe, früher am Lane-Seminar in Ohio.

Wir geben nur die Anfangsbuchstaben. Sie wohnen alle in Cincinnati.

»B . . ., Möbeltischler, ist seit 20 Jahren in der Stadt, hat ein Vermögen von 10 000 Dollar, alles eigener Verdienst; Wiedertäufer.

C . . ., reiner Neger; in Afrika geraubt; nach New Orleans verkauft; frei seit 15 Jahren; hat für sich 600 Dollar bezahlt; ist Farmer; besitzt mehrere Farmen in Indiana; Presbyterianer; mag ein Vermögen von 15 000-20 000 Dollar besitzen, alles eigener Verdienst.

K . . ., reiner Neger; handelt mit Grundstücken; hat ein Vermögen von 30 000 Dollar; ist gegen 40 Jahre alt und seit 6 Jahren frei; hat 1 800 Dollar für seine Familie bezahlt; Mitglied der Wiedertäufergemeinde; erbte etwas von seinem früheren Herrn, was er gut in acht genommen und vermehrt hat.

G . . ., reiner Neger; Kohlenhändler; gegen 30 Jahre alt; hat ein Vermögen von 18 000 Dollar; hat zweimal für sich bezahlt, indem er einmal um 1600 Dollar betrogen wurde; hat all sein Geld selbst verdient ; sehr viel, als er noch Sklave war, wo er seinem Herrn seine Zeit abmietete und auf eigene Rechnung Geschäfte machte; ein hübscher, anständiger Mann.

W . . ., Dreiviertel-Neger; Barbier und Kellner; aus Kentucky; seit 19 Jahren frei; hat 3 000 Dollar für sich und seine Familie bezahlt; hat ein Vermögen von 20 000 Dollar, alles eigener Verdienst; Kirchenältester in der Wiedertäufergemeinde.

G. D . . ., Dreiviertel-Neger; Anstreicher aus Kentucky; seit 9 Jahren frei; hat 1 500 Dollar für sich und seine Familie bezahlt; starb vor kurzem, 60 Jahre alt, und hinterließ ein Vermögen von 6 000 Dollar.«

Professor Stowe bemerkt: »Mit allen diesen, mit Ausnahme G’s, bin ich seit mehreren Jahren persönlich bekannt und mache meine Angaben nach eigener Erfahrung.«

Die Verfasserin erinnert sich noch recht gut einer farbigen alten Frau, die in ihres Vaters Familie Waschfrau war. Die Tochter dieser Frau heiratete einen Sklaven. Sie war ein merkwürdig tätiges und fähiges Mädchen und brachte durch Fleiß und Sparsamkeit und die ausdauerndste Selbstverleugnung 900 Dollar zusammen, um ihren Mann freizukaufen, und zahlte das Geld, wie sie es ersparte, seinem Herrn ab. Es fehlten ihr noch 100 Dollar an dem Gelde, als er starb. Sie hat von dem Gelde nie etwas wiederbekommen.

Das sind bloß ein paar Beispiele unter Tausenden, welche sich aufführen ließen, um die Selbstverleugnung, die Energie, die Geduld und Ehrlichkeit zu beweisen, welche Sklaven als freie Männer gezeigt haben.

Man darf auch nicht vergessen, daß diese Personen sich durch eigene Kraft verhältnismäßigen Reichtum und eine soziale Stellung unter Verhältnissen erworben haben, die sie nur benachteiligen und entmutigen konnten.

Nach dem Gesetz von Ohio besitzt der Farbige kein Stimmrecht und bis vor wenigen Jahren konnte er nicht einmal in Prozessen gegen Weiße als Zeuge auftreten. Auch beschränken sich diese Beispiele nicht bloß auf den Staat Ohio. In allen Staaten der Union finden wir Männer, die, erst gestern aus den Fesseln der Sklaverei erlöst, durch nicht genug zu bewundernde, eigene selbstbildende Kraft sich zu sehr anständigen Stellungen in der Gesellschaft emporgeschwungen haben. Pennington unter den Geistlichen und Douglas und Ward unter den Redakteuren sind wohlbekannte Beispiele.

Wenn dies verfolgte Volk trotz aller möglichen Entmutigung und Benachteiligung schon soviel erreicht hat, wieviel mehr könnte es erreichen, wenn die christliche Kirche es im Geiste ihres Herrn und Meisters behandeln wollte! Wir leben in einer Zeit, wo Staaten zittern und umgewälzt werden. Eine gewaltige Bewegung geht durch die Welt, daß sie erzittert, wie von einem Erdbeben, und ist Amerika sicher?

Aber wer kann den Tag der Gerechtigkeit abwarten; »denn der Tag soll brennen, wie ein Ofen: Und er wird erscheinen als ein jacher Zeuge gegen die, welche bedrücken den Knecht in seinem Lohne, die Witwen und die Waisen und welche dem Fremden sein Recht abwendig machen; und er wird den Bedrücker in Stücke brechen«.

Sind das nicht schreckliche Worte für eine Nation, welche in ihrem Schoß eine so gewaltige Ungerechtigkeit hegt? Christen! Könnt Ihr jedesmal, wo Ihr betet, daß sein Reich kommen möge, vergessen, daß der Prophet in grauenhafter Gemeinschaft den Tag der Rache mit dem Jahre seiner Erlösten verbindet?

Noch ist uns eine Frist der Gnade geboten. Sowohl der Norden, wie der Süden sind schuldig vor Gott gewesen; und die christliche Kirche hat eine schwere Rechnung zu verantworten. Nicht durch einen Bund, Ungerechtigkeit und Grausamkeit zu beschützen und die Sünde zu einem gemeinschaftlichen Kapital zusammenzulegen, ist diese Union zu retten; sondern durch Reue, Gerechtigkeit und Erbarmen, denn das ewige Gesetz, durch welches der Mühlstein im Meere versinkt, steht nicht fester als das stärkere Gesetz, nach welchem Ungerechtigkeit und Grausamkeit auf Nationen den Zorn des allmächtigen Gottes herabrufen!

Ewig wahr ist, daß keine Nation sich frei nennen kann, bei der die Freiheit nur ein Vorrecht, nicht aber ein Grundgesetz ist.

5. Kapitel


Die Entdeckung

Nach dem langen Gespräch am vorigen Abend schliefen Mr. und Mrs. Shelby nicht sehr rasch ein und blieben daher folgenden Morgen etwas länger als gewöhnlich im Bett.

»Ich möchte wissen, wo Elisa bleibt«, sagte Mrs. Shelby, nachdem sie mehrere Male vergeblich geklingelt hatte.

Mr. Shelby stand vor seinem Rasierspiegel und schärfte sich das Messer, und gerade jetzt ging die Tür auf, und ein farbiger Knabe brachte das Rasierwasser herein.

»Andy«, sagte seine Herrin, »geh einmal an Elisas Tür und sage ihr, ich hätte ihr dreimal geklingelt. Das arme Mädchen!« setzte sie halblaut mit einem Seufzer hinzu.

Andy kehrte bald zurück, die Augen weit aufgerissen vor Staunen.

»Ach, Missis, Lizzys Kasten sind alle offen, und ihre Sachen liegen alle in der Stube herum, und ich glaube, sie ist fortgelaufen.«

Mr. Shelby und seine Frau erkannten auf der Stelle die Wahrheit. Er rief aus: »Dann hat sie es geargwöhnt und ist fort.«

»Gott sei gepriesen!« sagte Mrs. Shelby. »Ich hoffe, sie ist fort.«

»Weib, sprich nicht so töricht! Wenn sie wirklich fort ist, wird es wahrhaftig für mich eine sehr unangenehme Sache sein. Haley sah, daß ich das Kind nicht gern verkaufte, und wird denken, ich stecke mit der Flüchtigen unter einer Decke. Das berührt meine Ehre!« Und Mr. Shelby verließ hastig das Zimmer.

Eine Viertelstunde lang war großes Rennen und Schreien und Öffnen und Zuschlagen von Türen, und allerorts zeigten sich Gesichter von allen Schattierungen der Schwärze. Nur eine Person, die einige Aufklärung über die Sache hätte geben können, war ganz still, und das war die erste Köchin, Tante Chloe. Schweigend und mit tiefem Kummer auf ihrem früher so heiteren Gesicht, bereitete sie die Frühstücksbiskuits, als ob sie von der Aufregung rundum nichts hörte und sähe.

In wenigen Minuten hockten ein Dutzend junge Kobolde, wie ebensoviele Krähen, auf dem Verandagitter, jeder entschlossen, dem fremden Handelsmann sein Mißgeschick zuerst mitzuteilen.

»Er wird verrückt sein, wette ich«, sagte Andy.

»Wird der fluchen!« sagte der kleine schwarze Jake.

»Ja, denn er flucht wirklich«, sagte die wollköpfige Mandy. »Ich hab’s gestern beim Essen gehört. Ich hörte dabei die ganze Geschichte, weil ich in der Kammer war, wo Missis die großen Töpfe aufbewahrt, und habe jedes Wort gehört.« Und Mandy, die niemals in ihrem Leben an die Bedeutung eines gehörten Wortes dachte, sowenig, wie eine schwarze Katze, nahm jetzt eine Miene überlegener Weisheit an und stolzierte herein und vergaß dabei ganz, zu sagen, daß sie zwar zu der angegebenen Zeit wirklich unter den Töpfen gehockt, aber keine Minute ein Auge aufgetan hatte.

Als endlich Haley gestiefelt und gespornt kam, wurde ihm die schlechte Nachricht von allen Seiten zugeschrien. Die jungen Kobolde auf der Veranda sahen sich in ihrer Hoffnung nicht getäuscht, ihn fluchen zu hören; denn er fluchte mit einer Geläufigkeit und einem Feuer, welches sie alle erstaunlich ergötzte, wie sie sich duckten und hin und her rutschten, um nicht in den Bereich seiner Reitpeitsche zu kommen, und endlich mit einem frohlockenden Geheul und alle zusammen unmenschlich kichernd sich auf dem verdorrten Rasen unter der Veranda wälzten, wo sie die Beine in die Höhe warfen und nach Herzenslust brüllten.

»Wenn ich die kleinen Teufel hätte!« brummte Haley zwischen den Zähnen.

»Aber Ihr habt sie noch nicht«, sagte Andy mit einer triumphierenden Gebärde und zog hinter dem Rücken des unglücklichen Handelsmannes, als derselbe außer Hörweite war, eine ganze Reihe unbeschreiblicher Gesichter.

»Das muß ich sagen, Shelby, das ist ja eine ganz merkwürdige Geschichte!« sagte Haley, wie er ohne weitere Begrüßung in das Zimmer trat. »Ich höre, das Mädchen ist fort mit ihrem Kleinen.«

»Mr. Haley, Mrs. Shelby ist anwesend«, sagte Mr. Shelby.

»Ich bitte um Verzeihung, Madam«, sagte Haley und verbeugte sich, immer noch mit finsterer Stirn, flüchtig, »aber dennoch sage ich, wie ich schon vorhin sagte, daß das eine merkwürdige Geschichte ist. Ist’s wahr, Sir?«

»Sir«, sagte Mr. Shelby, »wenn Sie mit mir zu sprechen wünschen, so müssen Sie einigermaßen den Anstand eines Gentleman beobachten. Andy, nimm Mr. Haleys Hut und Reitpeitsche. Nehmen Sie Platz, Sir. Ja, Sir, ich bedauere, Ihnen sagen zu müssen, daß das junge Weib, das uns entweder belauscht oder auf andere Weise etwas von dieser Sache gehört hat, in seiner Aufregung während der Nacht das Kind genommen hat und fortgelaufen ist.«

»Ich gestehe, ich erwartete in dieser Sache ehrlich behandelt zu werden«, sagte Haley.

»Wie soll ich diese Bemerkung verstehen, Sir?« sagte Mr. Shelby mit Schärfe. »Wenn jemand meine Ehre in Frage zieht, so habe ich bloß eine Antwort darauf.«

Der Handelsmann wurde darauf eingeschüchtert und sagte etwas weniger laut: »Es ist verdammt hart für einen Kerl, auf diese Weise geleimt zu werden.«

»Mr. Haley«, sagte Mr. Shelby, »wenn ich nicht glaubte, daß Sie einigen Grund zu übler Laune hätten, so hätte ich die grobe und ungenierte Art Ihres Eintritts in mein Zimmer heute morgen nicht geduldet. Ich sage jedoch soviel, daß ich mir keine Andeutung gefallen lassen werde, als ob ich bei irgendeinem unehrlichen Vorgehen in dieser Sache Mitschuldiger wäre. Außerdem werde ich mich verpflichtet fühlen, Ihnen mit Pferden, Dienern usw. jeden Beistand zur Erlangung Ihres Eigentums zu leisten. Ich meine also, Haley«, sagte er und vertauschte plötzlich den Ton würdevoller Kälte mit seiner gewöhnlichen gemütlichen Offenheit, »das beste für Sie ist, Sie bleiben bei guter Laune und frühstücken mit mir, und wir wollen dann sehen, was zu tun ist.«

Mrs. Shelby stand jetzt auf, entschuldigte sich mit Geschäften, die sie verhinderten, für heute bei dem Frühstück anwesend zu sein, und stellte eine sehr achtbare Mulattin an den Seitentisch, um die Herren mit Kaffee zu bedienen; dann verließ sie das Zimmer.

»Der Alten scheint Ihr ergebener Diener nicht besonders zu gefallen«, sagte Haley mit einem ungeschickten Versuch, vertraulich zu tun.

»Ich bin nicht gewohnt, von meiner Frau in solchen Ausdrücken sprechen zu hören«, sagte Mr. Shelby trocken.

»Bitte um Verzeihung, natürlich war es nur ein Scherz«, sagte Haley mit einem gezwungenen Lachen.

»Manche Scherze sind weniger angenehm als andere«, entgegnete Shelby.

»Teufelmäßig grob, seitdem ich die Papiere unterzeichnet habe!« brummte Haley in sich hinein. »Ganz großartig seit gestern.«

Niemals machte der Sturz eines Premierministers an einem Hof größeres Aufsehen und brachte mehr Aufregung hervor, als die Nachricht von dem Tom bevorstehenden Schicksal unter seinen Kameraden auf der Besitzung. Sie war überall, in jedermanns Mund, und im Hause und auf dem Felde wurde nichts gearbeitet, sondern alles stand da zusammen und sprach von ihren wahrscheinlichen Folgen. Elisas Flucht – ein beispielloses Ereignis auf dem Gut – half ebenfalls mit die allgemeine Aufregung vermehren. Der schwarze Sam, wie er gewöhnlich hieß, weil er ungefähr drei Schattierungen schwärzer war als jedes andere Stück lebendige Ebenholz auf dem Gute, überlegte sich die Sache gründlich in allen ihren Seiten und Beziehungen, und zwar mit einem weitschauenden Blick und einer starken Rücksicht auf sein eigenes persönliches Wohlbefinden, die jedem weißen Patrioten in Washington Ehre gemacht hätte.

»Das ist ein böser Wind, der niemand was Gutes zuwendet, das ist ein Faktum«, sagte Sam und zupfte seine Beinkleider in die Höhe und steckte geschickt einen großen Nagel an die Stelle eines fehlenden Hosenträgerknopfs, über welche Heldentat seines mechanischen Genies er hocherfreut zu sein schien.

»Ja, das muß ein böser Wind sein, der niemandem etwas Gutes zuweht«, wiederholte er. »Tom ist nun runter – natürlich ist nun Platz da, daß ein anderer Nigger rauf kann – und warum nicht Sam, dieser Nigger? – Das ist die Frage. Tom konnte im Lande herumreiten – mit gewichsten Stiefeln – den Paß in der Tasche – großartig wie ein Baron – warum er allein? Warum sollte es Sam nicht auch tun können? – Das möchte ich wissen.«

»Hallo Sam – o Sam! Master sagt, du sollst Bill und Jerry haschen«, sagte Andy, der jetzt Sams Selbstgespräch unterbrach.

»Heda! Was gibt’s denn, Junge?«

»Nun, weißt du nicht, daß Lizzy mit ihrem Kleinen fort ist?«

»Will das Ei klüger sein!« sagte Sam mit unendlicher Verachtung. »Habe es schrecklich lange vor dir gewußt; der Nigger ist nicht so dumm, sage ich dir!«

»Na, jedenfalls sagte der Herr, du sollst Bill und Jerry gleich satteln; und du und ich sollen Master Haley begleiten, um sie zu suchen.«

»So, so! Das hat’s also geschlagen!« sagte Sam. »Der Sam wird also in solchen Zeiten geholt. Er ist der Nigger. Wart, ob ich sie nun nicht hasche; Master soll sehen, was der Sam kann.«

»Aber, Sam«, sagte Andy, »überlege dir die Sache lieber noch einmal; denn Missis will nicht, daß sie gehascht werden soll, und sie wird dir in die Wolle fahren.«

»Eh!« sagte Sam und riß die Augen weit auf. »Woher weißt du das?«

»Habe es von ihr selber gehört, heute morgen, als ich Master das Rasierwasser hineinbrachte. Sie schickte mich in Lizzys Tür, um zu sehen, warum sie nicht zum Anziehen komme; und als ich ihr sagte, sie sei fort, stand sie auf und sagte: ›Gott sei gepriesen!‹ Und Master wurde ganz bös‘ darüber und sagte: ›Weib, spricht nicht so töricht!‹ Aber Gott! sie wird ihn schon rumkriegen, ich weiß recht gut, wie das kommen wird – es ist immer am besten, sich auf Missis‘ Seite vom Zaune zu stellen, das sage ich dir.«

Darauf kratzte der schwarze Sam seinen wolligen Schädel, der zwar keine tiefe Weisheit enthielt, aber doch einen guten Teil von der besonderen Sorte, die unter Politikern aller Tendenzen und Länder sehr stark verlangt wird und gewöhnlich die Wissenschaft, auf welcher Seite das Brot gebuttert ist, heißt. So schwieg er denn ernster Überlegung voll und zupfte seine Beinkleider in die Höhe, was ein regelmäßig eingeführter Kunstgriff war, seinem Geiste, wenn er in Nöten war, auf die Sprünge zu helfen.

»Es läßt sich doch auch gar nichts sagen von keiner Sache in dieser Welt«, sagte er endlich.

Sam sprach wie ein Philosoph und legte einen besonderen Nachdruck auf das dies – als ob er eine große Erfahrung in verschiedenen Sorten von Welten gemacht habe und deshalb mit Überlegung zu seiner Schlußfolgerung gekommen sei.

»Gewiß hätte ich doch nun gesagt, Missis würde die ganze Welt nach Lizzy durchsuchen lassen«, sagte Sam nachdenklich.

»Das würde sie auch«, sagte Andy; »aber kannst du durch keine Leiter sehen, du schwarzer Nigger? Missis will nicht, daß dieser Master Haley Lizzys Kleinen kriegt. Das ist die Sache!«

»Hei!« sagte Sam mit einem unbeschreiblichen Tone, den nur die kennen, die es von Negern gehört haben.

»Und ich will dir noch mehr sagen«, sagte Andy, »du tust besser, dich mit den Pferden dazuzuhalten – gar sehr, sage ich dir – denn ich hörte, wie Missis nach dir fragte – also hast du nun lange genug geläppscht.«

Darauf ging Sam in wirklichem Ernste ans Werk, erschien nach einer Weile vor dem Stall und galoppierte mit Bill und Jerry stolz nach dem Hause, warf sich geschickt aus dem Sattel, ehe sie an Stillstehen dachten, so daß sie wie ein Sturmwind an den Anbindepfahl herangefegt kamen. Haleys Pferd, eine scheue junge Stute, stutzte und bäumte sich und zerrte am Halfter.

»Ho, ho!« sagte Sam. – »Scheu bist du«, und über sein Gesicht flog ein seltsames boshaftes Lächeln. »Nun wollen wir dich schon kriegen!« sagte er.

Eine große Buche beschattete die Stelle, und scharfkantige dreieckige Bucheckern lagen dick auf dem Boden ausgestreut. Mit einer derselben in der Hand trat Sam an das Pferd heran, streichelte und klopfte es und schien ganz damit beschäftigt zu sein, seine Aufregung zu beschwichtigen. Unter dem Vorwand, den Sattel zurechtzurücken, wußte er sehr gewandt die scharfkantige Buchecker darunterzuschieben, so daß das geringste auf dem Sattel lastende Gewicht die empfindlichen Nerven des Tieres verletzen mußte, ohne das geringste Zeichen oder die kleinste Wunde zurückzulassen. »So!« sagte er und rollte die Augen mit einem billigenden Lachen. »Da haben wir ihn!«

In diesem Augenblick erschien Mrs. Shelby auf dem Balkon und winkte ihm. Sam näherte sich ihr mit einem so bestimmten Entschluß, den Höfling zu spielen, als jemals ein Bittsteller um eine erledigte Stelle in St. James oder Washington.

»Wo bist du so lange, Sam? Hat dir Andy nicht gesagt, du solltest dich beeilen?«

»Gott schütze Sie, Missis!« sagte Sam. »Pferde lassen sich nicht in einer Minute haschen, sie waren hinunter nach der südlichen Weide gelaufen, und Gott weiß, wohin sonst!«

»Sam, wie oft muß ich dir sagen, daß du nicht sagen sollst: Gott schütze Sie und Gott weiß und Ähnliches. Es ist gottlos.«

»O Gott verhüte! Ich vergesse es nicht, Missis! Ich werde so etwas nie wieder sagen.«

»Aber Sam, du hast es eben wieder gesagt.«

»Wirklich, o Gott! Ich meine – ich wollte es nicht sagen.«

»Du mußt dich in acht nehmen, Sam!«

»Aber lassen Sie mich einmal zu Atem kommen, Missis, und dann wird es schon gehen. Ich will mich sehr in acht nehmen.«

»Also Sam, du sollst Mr. Haley begleiten und ihm den Weg zeigen und ihm helfen. Nimm die Pferde in acht, Sam; du weißt, Jerry war vorige Woche ein wenig lahm; reite nicht gar zu schnell!«

Mrs. Shelby sprach die letzten Worte mit gedämpfter Stimme und starkem Nachdruck.

»Das überlassen Sie mir!« sagte Sam und rollte bedeutungsvoll die Augen. »Gott weiß! Hei! Habe ich es nicht gesagt!« sagte er und hielt plötzlich mit einer lächerlichen Gebärde des Begreifens, über die selbst seine Herrin wider ihren Willen lachen mußte, den Atem an. »Ja, Missis, ich will die Pferde in acht nehmen!«

»Nun Andy«, sagte Sam, der jetzt wieder auf seine alte Stelle unter den Buchen zurückkehrte, »ich muß dir sagen, es würde mich gar nicht wundern, wenn des Herrn Gaul dort ein bißchen störrisch würde, wenn er sich aufsetzt. Du weißt, Andy, Gäule tun so etwas manchmal«, und dabei puffte Sam Andy in einer höchst bedeutungsvollen Weise in die Seite.

»Hei!« sagte Andy mit einer Miene sofortigen Verständnisses.

»Ja, Andy, du mußt wissen, Missis will Zeit gewinnen – das ist dem allergewöhnlichsten Beobachter klar. Ich will ihr schon welche gewinnen. Wir wollen einmal sagen, alle diese Pferde rissen sich los und sprängen hier untereinander herum und dort unten nach dem Wald hin, so glaube ich doch, Master wird nicht so schnell fortkommen.«

Andy zeigte lachend die Zähne.

»Siehst du, Andy, siehst du«, sagte Sam, »wenn so was geschehen und Master Haleys Pferd sich losreißen sollte, so müssen wir ihm schon helfen, und wir wollen ihm helfen – o gewiß!« Und Sam und Andy legten die Köpfe zurück und brachen in ein halblautes unmäßiges Lachen aus, wobei sie in unendlichem Entzücken mit den Fingern schnalzten und mit den Füßen tanzten.

In diesem Augenblick erschien Haley in der Veranda; etwas besänftigt durch verschiedene Tassen sehr guten Kaffees, trat er lächelnd und sprechend in leidlich wieder hergestellter guter Laune heraus. Sam und Andy hatten jeder einen Palmhut als Kopfbedeckung und flogen jetzt zu dem Anbindepfahl hin, um Master zu helfen.

Sams Palmhut hatte sich von allen Ansprüchen auf Flechtwerk hinsichtlich seines Randes geschickt loszusagen gewußt, und die einzelnen in die Höhe stehenden Halme gaben ihm ein keckes und trotziges Wesen, wie man es nur bei einem Fidschi-Häuptling erwarten konnte; dagegen war der ganze Rand von Andys Hut rein verschwunden, und er setzte die Krone mit einem geschickten Puff auf den Kopf und sah sich vergnügt um, als wollte er sagen:

»Wer sagt, ich hätte keinen Hut?«

»Nun, Bursche, hübsch munter«, sagte Haley, »wir dürfen keine Zeit verlieren.«

»Keine Minute, Master!« sagte Sam und gab Haley die Zügel in die Hand und hielt ihm die Steigbügel, während Andy die beiden anderen Pferde losband.

Kaum hatte Haley den Sattel berührt, so stieg das feurige Tier mit einem plötzlichen Sprung empor und warf seinen Herrn ein paar Fuß weit auf den weichen trockenen Rasen nieder. Mit wahnsinnigem Geschrei haschte Sam nach den Zügeln, aber es gelang ihm bloß mit den hervorstehenden Halmen seines Palmhuts dem Pferd in die Augen zu fahren, was durchaus nicht dazu beitrug, seine Aufregung zu vermindern. Mit großer Heftigkeit rannte der Gaul Sam über den Haufen, schnaubte zwei- oder dreimal verächtlich, schlug hinten aus und galoppierte bald am anderen Ende der Rasenfläche in Gesellschaft mit Bill und Jerry, die Andy gemäß des Kontraktes und indem er ihnen verschiedene schwerwiegende Verwünschungen mit auf den Weg gegeben, nicht versäumt hatte, loszulassen. Und jetzt erfolgte eine Szene buntester Verwirrung. Sam und Andy liefen und schrien – Hunde bellten hier und dort – und Mike, Mose, Mandy, Fanny und all das kleine Zeug des Gutes männlichen und weiblichen Geschlechts rannte hin und her, klatschte in die Hände, heulte und schrie, erfüllt von dem ärgsten und unermüdlichsten Pflichteifer.

Haleys Pferd, ein sehr schnellfüßiger und feuriger Schimmel, schien mit großem Gefallen auf den Scherz einzugehen; und da ihm als Tummelplatz ein Rasenfleck von fast einer halben englischen Meile, der sich nach allen Seiten nach unbegrenztem Waldland hin absenkte, zu Gebote stand, so schien er eine ganz besondere Freude daran zu finden, zu sehen, wie nah er seine Verfolger kommen lassen durfte, und dann, wenn sie ihn fast mit der Hand ergreifen konnten, mit einem stolzen Wiehern davonzuspringen und weit hinein in eine Lichtung des Waldes zu galoppieren. Nichts fiel Sam weniger ein, als eins von den Pferden zu fangen, bevor er es an der Zeit hielt – und er machte wirklich die heroischsten Anstrengungen. Wie das Schwert des Königs Richard Löwenherz, welches immer in den vordersten Reihen und dem dichtesten Gewühl der Schlacht glänzte, war Sams Palmhut überall zu sehen, wo die mindeste Gefahr war, ein Pferd zu fangen; – dorthin stürzte er im vollen Jagen und brüllte: »Nun drauf! Faßt es! Faßt es!«, auf eine Weise, welche alles auf der Stelle in die wildeste Flucht jagte.

Haley lief auf und ab und fluchte, schimpfte und stampfte mit den Füßen. Vergebens versuchte Mr. Shelby von dem Balkon herab, seinen Leuten Befehle zuzuschreien, und Mrs. Shelby lachte und verwunderte sich abwechselnd am Fenster ihres Zimmers – nicht ohne einige Ahnung von dem wahren Grund der ganzen Verwirrung. Endlich gegen zwölf Uhr erschien Sam triumphierend auf Jerry reitend und Haleys Pferds, das von Schweiß dampfte, dessen funkelnde Augen und große Nüstern aber immer noch zeigten, daß der Geist der Freiheit noch nicht ganz gelähmt war, am Zügel führend.

»Ich habe es!« rief er triumphierend aus. »Wäre ich nicht gewesen, so hätten sie sich alle zu Tode gehetzt, aber ich hab’s gefangen!«

»Du!« brummte Haley in durchaus nicht liebenswürdiger Laune. »Wenn du nicht gewesen wärest, wäre das gar nicht vorgefallen.«

»Gott behüte uns, Master«, sagte Sam in einem Ton des tiefsten Leidwesens, »und ich habe nach ihm gehascht und mich abgehetzt, bis mir der Schweiß vom Leibe floß wie ein Regen.«

»Sei still!« sagte Haley. »Mit deinem verdammten Unsinn habe ich fast drei Stunden verloren. Nun laß uns fortreiten und keine Streiche mehr!«

»Aber, Master«, wendete Sam ein, »ich glaube wahrhaftig, Sie wollen uns alle tot machen, die Pferde und uns. Hier können wir kaum noch auf den Beinen stehen, und die Pferde dampfen von Schweiß. Master wird doch nicht daran denken, vor dem Essen fortzureiten? Masters Pferd muß abgerieben werden; sehen Sie nur, wie naß es ist, und Jerry geht auch lahm; glauben Sie nicht, daß Missis uns so fortreiten lassen wird. Gott behüte Sie, Master, wir bringen es wieder ein, wenn wir auch jetzt bleiben. Lizzy war in ihrem Leben keine gute Fußgängerin.«

Mrs. Shelby, die zu ihrem großen Ergötzen von der Veranda aus diesem Gespräch zugehört hatte, entschloß sich jetzt ebenfalls, eine Rolle zu übernehmen. Sie trat hervor, bedauerte sehr höflich den widrigen Zufall, der Haley zugestoßen, und lud ihn dringend ein, zum Essen dazubleiben, welches die Köchin sofort auftragen werde.

Nach einiger Überlegung begab sich Haley mit nicht besonders freundlichem Gesicht in die Wohnstube zurück, während Sam, der ihm mit rollenden Augen voll unsäglicher Bedeutsamkeit nachsah, die Pferde ernsthaft nach den Stallungen zurückführte.

»Hast du ihn gesehen, Andy? Hast du ihn gesehen?« sagte Sam, als er endlich unter den Schutz der Scheune gekommen war und das Pferd an einen Pfahl gebunden hatte. »O Gott, wenn das nicht so gut wie ein Meeting war, ihn tanzen und stampfen und fluchen zu sehen! Ob ich ihn nicht gehört habe! Fluch nur zu, alter Kerl (sagt ich zu mir); willst du nun dein Pferd haben oder warten, bis du es gehascht (sagte ich); Gott, Andy, mir ist, als sähe ich ihn jetzt noch.« Und Sam und Andy lehnten sich an die Scheune und lachten nach Herzenslust.

»Du hättest nur sehen sollen, was er für ein böses Gesicht machte, wie ich das Pferd geführt brachte. Gott, er hätte mich totgeschlagen, wenn er es gekonnt hätte; und ich stand so unschuldig und demütig vor ihm.«

»Ha, ha, ich habe es gesehen«, sagte Andy, »bist du nicht ein alter Fuchs, Sam!«

»Ein bißchen schlau bin ich wohl«, sagte Sam. »Hast du nicht Missis oben am Fenster gesehen? Ich sah, wie sie lachte.«

»Ich bin so gelaufen, daß ich gar nichts gesehen habe«, sagte Andy.

»Siehst du, Andy«, sagte Sam, der jetzt mit ernstem Gesicht Haleys Pferd abrieb, »ich habe, was du eine Gewohnheit der Beobachtung nennen kannst, Andy. Das ist eine sehr wichtige Gewohnheit, Andy, und ich empfehle dir, sie auszubilden, solange du noch jung bist. Heb‘ mal den Hinterhuf in die Höhe, Andy. Siehst du, Andy, die Beobachtung macht den ganzen Unterschied unter den Niggern. Sah ich nicht gleich, woher heute morgen der Wind wehte? Habe ich nicht gleich gemerkt, was Missis wollte, obgleich sie gar nichts gesagt hat? Das ist Beobachtung, Andy. Ich sollte meinen, das ist so was, was man Genie nennt. Das Genie ist verschieden bei verschiedenen Leuten; aber die Ausbildung kann viel dabeitun.«

»Ich vermute, wenn ich dir heute morgen nicht bei deiner Beobachtung geholfen hätte, hättest du auch nicht so wunderbar viel entdeckt«, sagte Andy.

»Andy«, sagte Sam, »du bist ein vielversprechendes Kind, das läßt sich gar nicht bezweifeln. Ich halte viel von dir, Andy, und schäme mich gar nicht, Ideen von dir zu benutzen. Wir dürfen niemand über die Achsel ansehen, Andy, weil auch die Schlausten von uns manchmal fehlschießen. Und nun, Andy, wollen wir nach dem Hause gehen. Ich will wetten, Missis gibt uns diesmal einen ganz besonders guten Bissen.«

6. Kapitel


Der Kampf der Mutter

Es ist unmöglich, sich ein verlasseneres und unglücklicheres Menschenkind als Elisa vorzustellen, wie sie ihre Schritte von der Hütte Onkel Toms wegwendete. Die Leiden und Gefahren ihres Gatten und die Gefahr ihres Kindes vermischten sich in ihrer Seele mit einem verwirrten und betäubenden Gefühl von der Größe des Wagnisses, das sie selbst unternahm, die einzige Häuslichkeit, die sie jemals gekannt hatte, zu verlassen, und sich von dem Schutz einer Freundin loszusagen, die sie liebte und verehrte. Dann kam die Trennung von jedem vertrauten Gegenstand, von dem Haus, wo sie aufgewachsen war, von den Bäumen, unter denen sie gespielt, von den Gebüschen, wo sie manchen Abend in glücklichen Tagen neben ihrem jungen Gatten gewandelt hatte. Alles, wie es in dem klaren kalten Sternenlicht vor ihr lag, schien ihr vorwurfsvoll zuzusprechen und sie zu fragen, wohin sie aus einer Heimat wie dieser fliehen wolle.

Aber stärker als alles war die Mutterliebe, bis zum Wahnsinn gesteigert durch die große Nähe einer schrecklichen Gefahr. Ihr Knabe war alt genug, um neben ihr zu gehen, und in einem gewöhnlichen Falle würde sie ihn nur an der Hand geführt haben; aber jetzt machte sie schon der Gedanke, ihn aus ihrem Arme zu lassen, schaudern, und sie drückte ihn, wie sie raschen Laufs davoneilte, krampfhaft an den Busen.

Der gefrorene Erdboden knisterte unter ihrem Fuße, und sie zitterte bei seinem Laut; jedes raschelnde Blatt und jeder wankende Schatten machten ihr Blut stocken und beschleunigten ihre Schritte. Sie wunderte sich selbst über die Kraft, die sie plötzlich erlangt zu haben schien: denn ihr Knabe kam ihr federleicht vor, und jede Bebung der Furcht schien in ihr die übernatürliche Kraft zu steigern, die sie aufrecht erhielt, während von ihren bleichen Lippen in häufigen Ausrufungen das Gebet an einen Freund droben zitterte: »Gott hilf mir! Gott rette mich!«

Wenn es dein Harry wäre, Mutter, oder dein Willi, den dir morgen früh ein roher Händler entreißen wollte – wenn du den Mann gesehen und gehört hättest, daß die Verkaufskontrakte unterschrieben und ausgewechselt wären und du nur die Stunden von Mitternacht bis zum Morgen zu deiner Flucht hättest – wie rasch würdest du dann gehen? Wie viele Meilen würdest du in diesen wenigen Stunden mit dem Liebling an deinem Herzen zurücklegen – das müde Köpfchen an deiner Brust ruhend – die weichen Arme vertrauensvoll um deinen Hals geschlungen?

Denn das Kind schlief. Anfangs hielten die Neuheit und die Unruhe es wach, aber die Mutter unterdrückte so aufgeregt jeden Hauch oder Ton und prägte ihm so sehr ein, daß sie nur, wenn es ganz still sei, es retten könne, daß es ruhig an ihrem Busen nestelte und nur fragte, als es den Schlaf über sich kommen fühlte:

»Mutter, ich brauche nicht wach zu bleiben, nicht wahr?«

»Nein, liebes Kind, schlafe, wenn du kannst.«

»Aber Mutter, wenn ich einschlafe, wirst du mich doch nicht von ihm haschen lassen?«

»Nein! So Gott mir helfe!« sagte die Mutter mit bleichen Wangen und einem strahlenden Licht in ihren großen dunklen Augen.

»Weißt du das gewiß, Mutter?«

»Ja gewiß!« sagte die Mutter mit einer Stimme, vor der sie selbst erschrak, denn sie schien ihr von einem Geiste in ihr herzurühren, der kein Teil von ihr selbst war; und der Kleine ließ sein müdes Köpfchen auf ihre Schultern sinken und war bald eingeschlummert. Wie die Berührung dieser warmen Arme, der sanfte Atem, der ihren Hals traf, ihren Bewegungen mehr Feuer und Leben zu geben schien! Es war ihr, als ob elektrische Ströme von jeder sanften Bewegung des schlummernden vertrauenden Kindes sich ihr einflößten. Erhaben ist die Herrschaft der Seele über den Körper, die eine Zeitlang Fleisch und Nerv dem Schmerze unzugänglich und die Sehnen wie Stahl machen kann, so daß die Schwachen gewaltig werden.

Die Grenzen der Farm, der Park, der Wald flogen wie im Schwindel an ihr vorüber, wie sie weiterschritt; und immer ging sie weiter und ließ einen vertrauten Gegenstand nach dem andern hinter sich, ohne langsamer zu gehen oder still zu stehen, bis das rote Morgenlicht sie manche lange Meile von allen Spuren vertrauter Gegenstände auf der offenen Heerstraße fand.

Sie war mit ihrer Herrin oft zum Besuch bei einigen Bekannten in dem kleinen Dorf T. nicht weit vom Ohio gewesen und kannte den Weg dahin genau. Dorthin zu gelangen und über den Ohio sich zu retten, das waren die ersten flüchtigen Umrisse ihres Fluchtplans; darüber hinaus konnte sie nur auf Gott hoffen.

Als Pferde und Wagen sich auf der Landstraße zeigten, merkte sie bald mit dem raschen Scharfblick, der einem Zustand der Aufregung eigentümlich ist und der eine Art Inspiration zu sein scheint, daß ihre ungestüme Eile und ihr verstörtes Wesen Aufsehen und Verdacht erregen könnten. Sie setzte deshalb den Knaben auf die Erde, ordnete ihren Anzug und ihren Hut und ging nun so rasch weiter, als sie es zur Bewahrung des Scheins für notwendig hielt. In ihrem kleinen Bündel hatte sie einen Vorrat Kuchen und die Äpfel mitgenommen, welche sie als Mittel benutzte, die Schritte des Kindes zu beschleunigen. Sie kollerte nämlich den Apfel ein paar Fuß voraus, wo dann der Knabe mit aller Macht danach zu laufen pflegte; und diese oft wiederholte List brachte sie über manche halbe Meile hinweg.

Nach einer Weile erreichten sie ein Gehölz, durch welches murmelnd ein klarer Bach floß. Da das Kind über Hunger und Durst klagte, kletterte sie mit ihm über die Fence, setzte sich hinter einen großen Stein, der sie den Blicken der Vorübergehenden ganz und gar verbarg, und gab ihm Frühstück aus ihrem kleinen Päckchen. Der Knabe war verwundert und betrübt, daß sie nicht essen konnte, und als er seine Ärmchen ihr um den Hals schlang und versuchte, ihr ein Stück von seinem Kuchen in den Mund zu stecken, war es ihr, als ob es ihr das Herz abdrücken wollte. »Nein, nein, mein Herz! Die Mutter kann nicht eher essen, als bis du in Sicherheit bist! Wir müssen weiter, weiter, bis wir den Fluß erreichen!« Und sie eilte abermals auf die Straße und zwang sich wieder, ruhig und gefaßt vorwärts zu schreiten.

Die Gegenden, wo sie persönlich bekannt war, lagen nun schon mehrere Meilen hinter ihr. Wenn sie zufällig jemand begegnen sollte, der sie kannte, so beruhigte sie sich mit dem Gedanken, daß die allbekannte Menschlichkeit der Familie schon an und für sich jeden Verdacht fernhalten würde, da dieser Umstand es unwahrscheinlich machte, daß sie auf der Flucht sei. Da sie außerdem so weiß war, daß man ihre Negerabstammung ohne eine sehr genaue Prüfung nicht erriet und ihr Kind ebenfalls weiß war, so wurde es ihr viel leichter, ohne Verdacht zu erregen, ihres Wegs zu gehen.

In dieser Voraussicht machte sie mittags in einem netten Farmhaus halt, um auszuruhen und für ihr Kind und sich etwas zu essen zu kaufen, denn da die Gefahr mit der Entfernung abnahm, verminderte sich die übernatürliche Spannung ihrer Nerven, und sie wurde bald hungrig.

Die gute Farmersfrau, eine freundliche, schwatzhafte Seele, schien eher froh zu sein, jemand zu haben, mit dem sie plaudern konnte, und glaubte ohne weitere Prüfung Elisas Aussage, daß sie einen kleinen Ausflug mache, um eine Woche bei ihren Freunden zu verleben – was, wie sie in ihrem Herzen hoffte, sich am Ende als die strengste Wahrheit herausstellen würde.

Eine Stunde vor Sonnenuntergang erreichte sie das Dorf T. am Ohio müde und mit wunden Füßen, aber immer noch stark im Herzen. Ihr erster Blick galt dem Flusse, der wie der Jordan zwischen ihr und dem Canaan der Freiheit auf der anderen Seite dahinströmte.

Es war noch früh im Lenz und der Fluß war angeschwollen und gefährlich; große Schollen Eis wälzten sich schwer in den trüben Gewässern. Infolge der eigentümlichen Gestaltung des Ufers auf der Kentuckyseite, die einen nach jenseits vorspringenden großen Bogen bildet, hatte sich das Eis in großen Massen festgerannt, und der enge Kanal, welcher den Bogen umfloß, war ebenfalls voller Eis, daß Scholle auf Scholle getürmt einen Damm für das herschwimmende Eis bildete, welches nun, ein großes, schwankendes Floß, den ganzen Fluß bedeckte und sich fast bis zum Kentuckyufer ausdehnte.

Elisa stand einen Augenblick da, in Betrachtung dieses ungünstigen Zustandes der Dinge versunken, der, wie sie auf den ersten Blick sah, das gewöhnliche Fährboot abhalten mußte, hier überzufahren, und trat dann in ein kleines Wirtshaus am Ufer, um Nachfrage anzustellen.

Die Wirtin, die über dem Feuer mit Braten und Schmoren zum Abendessen beschäftigt war, hielt, eine Gabel in der Hand, inne, als sie Elisas wohltönende und klagende Stimme vernahm.

»Was gibt’s?« sagte sie.

»Ist hier keine Fähre oder kein Boot zu bekommen, um hinüber nach B…y zu fahren?« sagte sie.

»Nein«, sagte die Frau, – »die Boote fahren nicht mehr.«

Der Ausdruck von erschrockener Überraschung und getäuschter Hoffnung, der Elisas Gesicht annahm, fiel der Frau auf, und sie forschte.

»Sie wollen vielleicht hinüber – jemand krank? Es scheint Ihnen sehr zu Herzen zu gehen.«

»Ich habe ein Kind drüben, das sehr gefährlich krank ist«, sagte Elisa. »Ich bekam erst gestern spät abends die Nachricht und bin heute schon eine große Strecke gegangen, um die Fähre zu erreichen.«

»Das trifft sich wahrhaftig recht unglücklich«, sagte die Frau, deren mütterliche Teilnahme auf der Stelle geweckt war. »Sie tun mir wirklich leid. Solomon!« rief sie aus dem Fenster nach einem kleinen Hintergebäude zu. Ein Mann mit einem Schurzfell und sehr schmutzigen Händen erschien in der Tür.

»Sol«, sagte die Frau, »wird der Fährmann wohl heute nacht noch die Fässer hinüberbringen?«

»Er sagt, er wolle es versuchen, wenn es nicht gar zu gefährlich wäre«, sagte der Mann.

»Ein Mann wohnt hier ein Stück weiter unten, der heute abend etwas über den Fluß bringen will, wenn er es wagen kann; er wird zum Abendessen hierher kommen, und Sie tun daher am besten, Sie setzen sich hier und warten auf ihn. Was für ein allerliebstes Kind!« sagte die Frau und bot ihm einen Kuchen.

Aber das Kind, ganz erschöpft, fing an vor Müdigkeit zu weinen.

»Das arme Kind! Es ist das Gehen nicht gewöhnt, und ich bin so rasch mit ihm gelaufen«, sagte Elisa.

»Hier legen Sie ihn in das Zimmer«, sagte die Frau und öffnete ein kleines Schlafgemach, wo ein bequemes Bett stand. Elisa legte den müden Knaben darauf und ließ seine Hände in den ihren, bis er fest eingeschlummert war. Sie selbst kannte keine Ruhe. Wie ein inneres Feuer trieb sie der Gedanke an ihren Verfolger weiter, und sie blickte mit sehnsüchtigem Auge auf die trüben wilden Wogen, die zwischen ihr und der Freiheit strömten.

Hier müssen wir von ihr für jetzt Abschied nehmen, um uns nach ihren Verfolgern umzusehen.

Obgleich Mrs. Shelby versprochen hatte, daß das Essen sogleich auf den Tisch kommen solle, so stellte es sich doch bald heraus, wie es schon oft geschehen ist, daß zu einem Handel zwei gehören. Obgleich der Befehl vor Haleys Ohr erteilt war und wenigstens ein halbes Dutzend jugendliche Boten ihn der Tante Chloe überbracht hatten, so gab diese wichtige Person ihre Willensmeinung doch nur durch mehrmaliges heftiges Schnauben und Kopfschütteln zu erkennen und verrichtete jede einzelne Operation in einer ungewöhnlich saumseligen und umständlichen Weise.

Aus irgendeinem eigentümlichen Grunde schien unter der Dienerschaft im allgemeinen der Eindruck zu herrschen, daß Mrs. Shelby einige Versäumnis nicht übelnehmen werde, und es war wunderbar, wieviel widerwärtige Zufälle beständig vorkamen, um den Lauf der Dinge aufzuhalten. Einem unglücklichen Burschen gelang es, die Bratensoße umzuwerfen; und nun mußte mit gehöriger Sorgfalt und Förmlichkeit neue Bratensoße gemacht werden, deren Bereitung Tante Chloe mit hartnäckiger Umständlichkeit überwachte und wobei sie alle Empfehlungen, sich zu beeilen, mit der Entschuldigung beantwortete, daß sie keine schlechte Bratenbrühe auf den Tisch setzen werde, um jemandem jemanden haschen zu helfen. Ein anderer fiel mit dem Wasser hin und mußte frisches am Brunnen holen; ein dritter schleuderte die Butter in den Gang der Ereignisse, und von Zeit zu Zeit brachten kichernde Boten die Nachricht in die Küche, daß Master Haley schrecklich aufgeregt sei und gar nicht ruhig in seinem Stuhl sitzen könne, sondern immer ans Fenster und in die Vorhalle gehe.

»Geschieht ihm schon recht!« sagte Tante Chloe mit Entrüstung. »Es wird ihm noch unruhiger zumute werden seinerzeit, wenn er sich nicht bessert; sein Herr wird nach ihm schicken, und dann sollt ihr einmal sehen, was er für ein Gesicht macht.«

»Er kommt in die Hölle, das ist gewiß«, sagte der kleine Jake.

»Er verdient’s!« sagte Tante Chloe mit grimmigem Gesicht. »Er hat viele – viele – Herzen gebrochen – ich sage euch«, sagte sie und blieb stehen, die Gabel wie ein Szepter in der Hand haltend, »es ist wie Master George in der Offenbarung uns vorlas – Seelen, die unter dem Altare schreien! Seelen, die zum Herrn schreien um Rache an solchen! – Und bald wird der Herr sie hören – das wird er gewiß!«

Tante Chloe, die man in der Küche sehr verehrte, wurde von ihren Zuhörern mit offenem Munde angestaunt, und da jetzt das Essen endlich aufgetragen war, so hatte die ganze Küche Muße mit ihr zu plaudern und ihre Bemerkungen anzuhören.

»Die müssen für ewig brennen – ganz gewiß, nicht wahr?« sagte Andy.

»Ach, ich würde es gern sehen, darauf schwöre ich«, sagte der kleine Jake.

»Kinder!« sagte eine Stimme, welche sie alle auffahren machte. Es war Onkel Tom, der eingetreten war und jetzt in der Tür dem Gespräch zuhörte.

»Kinder!« sagte er. »Ich fürchte, ihr wißt nicht, was ihr redet. Ewig ist ein schreckliches Wort, Kinder, es ist schrecklich, daran zu denken. Ihr sollt es keiner menschlichen Kreatur wünschen.«

»Wir wünschen es auch niemandem, als den Seelenverkäufern«, sagte Andy. »Niemand kann dafür, sie sind so entsetzlich gottlos.«

»Schreit die Natur nicht selber wider sie?« sagte Tante Chloe. »Reißen sie nicht den Säugling von der Mutter Brust weg und verkaufen ihn, und die Kinderchen, die sich an ihre Kleider anklammern und schreien – reißen sie sie nicht weg, um sie zu verkaufen? Trennen sie nicht das Weib und den Mann?« sagte Tante Chloe und fing an zu weinen. »Obgleich sie ihnen damit das Leben nehmen? – Und fühlen sie dabei auch nur ein klein wenig? – Trinken und rauchen sie nicht und nehmen es ganz ungeheuer leicht? Gott, wenn der Teufel die nicht holt, wozu ist er denn da?« Und Tante Chloe bedeckte sich das Gesicht mit ihrer karierten Schürze und fing in vollem Ernst zu schluchzen an.

»Bete für die, so dich mißhandeln, sagt das gute Buch«, sagte Tom.

»Für sie beten!« sagte Tante Chloe. »Gott, das ist zu arg! Ich kann nicht für sie beten.«

»Das ist Natur, Chloe, und die Natur ist stark«, sagte Tom, »aber Gottes Gnade ist noch stärker; außerdem, in welchem schrecklichen Zustand die Seele so eines armen Geschöpfes ist, das solche Dinge tut! – Du solltest lieber Gott danken, daß du nicht auch so bist, Chloe. Gewiß will ich mich lieber zehntausendmal verkaufen lassen, als alles auf der Seele haben, was dieses arme Geschöpf zu verantworten hat.«

»Das möchte ich auch«, sagte Jake. »Gott, würden wir’s nicht kriegen, Andy?«

Andy zuckte mit den Achseln und pfiff beistimmend.

»Ich bin froh, daß Master heute früh nicht fortgeritten ist, wie er wollte«, sagte Tom. »Das hätte mir weher getan, als das Verkaufen. Vielleicht wäre es ganz natürlich für ihn gewesen, aber schrecklich hart wäre es mir angekommen, der ihn schon in der Wiege gekannt. Aber ich habe Master gesehen, und ich fühle mich schon eher mit des Herrn Willen versöhnt. Master konnte sich nicht helfen; er hat recht getan; aber ich fürchte, es wird hier alles in Verwirrung geraten, wenn ich fort bin. Man kann es nicht von Master verlangen, überall herumzuspüren, wie ich es getan habe, um alles in Ordnung zu erhalten. Die Burschen meinen es alle gut, aber sie sind schrecklich leichtsinnig. Das macht mir Sorgen.«

Hier wurde geklingelt und Tom nach dem Wohnzimmer befohlen.

»Tom«, sagte sein Herr gütig, »ich benachrichtige dich hiermit, daß ich mich diesem Herrn mit tausend Dollar verpfände, daß du da bist, wenn er dich verlangt; er macht heute seine anderweitigen Geschäfte ab, und du kannst den ganzen Tag für dich haben. Gehe, wohin du willst, mein Sohn.«

»Danke Ihnen, Master«, sagte Tom.

»Und nimm dich zusammen«, sagte der Händler, »und spiele deinem Herrn nicht einen eurer Negerstreiche, denn er muß mir jeden Cent bezahlen, wenn du nicht da bist. Wenn er meinem Rate folgte, so traute er keinem von euch – seid ja so schlüpfrig wie Aale.«

»Master«, sagte Tom – und er stand sehr gerade – »ich war gerade acht Jahre alt, als die alte Missis Sie auf meine Arme legte, und Sie waren noch nicht ein Jahr alt. ›Da‹, sagte sie, ›Tom, das wird einmal dein junger Master sein; nimm ihn wohl in acht‹, sagte sie. Und nun frage ich Sie, Master, habe ich Ihnen jemals mein Wort gebrochen oder wider Ihr Gebot gehandelt, vorzüglich seitdem ich Christ bin?«

Mr. Shelby konnte seiner Rührung nicht mehr Herr werden, und Tränen traten ihm in die Augen.

»Mein guter Bursche«, sagte er, »der Herr weiß, daß du nur die Wahrheit sprichst; und wenn ich’s verhindern könnte, so sollte dich die ganze Welt nicht kaufen.«

»Und so wahr ich eine Christin bin«, sagte Mrs. Shelby, »du sollst zurückgekauft werden, sowie ich nur die Mittel zusammenbringen kann. Sir«, sagte sie zu Haley, »merken Sie sich wohl, an wen Sie ihn verkaufen, und lassen Sie mich es wissen.«

»Nun, was das betrifft«, sagte der Händler, »so kann ich ihn nach einem Jahr nicht viel abgenutzt wiederbringen und ihn wieder hierher verkaufen.«

»Ich will dann mit Ihnen abschließen, und es soll ein gutes Geschäft für Sie sein«, sagte Mrs. Shelby.

»Natürlich ist mir das ganz gleich«, sagte der Händler. »Ich handle so gerne stromauf, wie stromab, wenn ich meinen Nutzen dabei habe. Sehen Sie, Madam, ich will weiter nichts als leben; und das wollen wir wohl alle, glaube ich.«

Mr. und Mrs. Shelby fühlten sich verletzt und erniedrigt durch die unverschämte Vertraulichkeit des Händlers, und doch sahen beide die unbedingte Notwendigkeit ein, ihren Gefühlen einen Zwang aufzulegen. Je hartherziger und gefühlloser er sich in jeder Hinsicht zeigte, desto mehr wuchs Mrs. Shelbys Befürchtung, es möchte ihm die Wiedererlangung Elisas und ihres Kindes gelingen, und desto stärker wurde natürlich ihr Wunsch, ihn durch jeden weiblichen Kunstgriff aufzuhalten. Sie lächelte daher huldvoll, stimmte bei, plauderte vertraulich und tat alles, um die Zeit angenehm und unmerklich verstreichen zu lassen.

Um zwei Uhr brachten Sam und Andy die Pferde an den Pfahl geführt, die allem Anschein nach von der Jagd von heute vormittag sehr erfrischt und gekräftigt waren.

Sam war vom Mittagessen wie geölt und zeigte einen Überfluß von eifriger Dienstwilligkeit. Als Haley herantrat, prahlte er ganz großartig gegen Andy von dem offenbaren und ausgezeichneten Erfolg, den die Unternehmung haben werde, da er jetzt »ordentlich dazugekommen sei«.

»Euer Herr hält wahrscheinlich keine Hunde«, sagte Haley gedankenvoll, während er sich fertigmachte, aufs Pferd zu steigen.

»Oh, eine ganze Menge«, sagte Sam triumphierend, »erstlich Bruno das ist ein Hauptkerl! Und außerdem hält sich fast jeder Nigger irgendeinen Köter.«

»Bah!« sagte Haley – und er sagte noch etwas mit bezug auf die Hunde, worauf Sam brummte: »Ich sehe keinen Grund, sie zu verfluchen, ganz und gar nicht.«

»Aber euer Herr hält keine Hunde (ich weiß es ziemlich sicher), um Niggern nachzuspüren.«

Sam wußte recht gut, was er meinte, aber sein Gesicht behielt eine Miene aufrichtigster und verzweifelter Einfalt.

»Unsere Hunde hier haben alle recht gute Witterung. Ich glaube, sie sind die rechten, obgleich sie noch keine Übung gehabt haben. Aber es sind schlaue Hunde, zu fast allem zu gebrauchen, wenn sie einmal die Witterung haben. Bruno, hier!« rief er und pfiff dem großen Neufundländer, der sogleich schwerfällig auf sie zugesprungen kam.

»Hol‘ euch der Henker!« sagte Haley und setzte sich aufs Pferd. »Nun aufgesessen.«

Sam schwang sich gehorsam in den Sattel und wußte dabei geschickt Andy zu kitzeln, worauf Andy in ein Gelächter ausbrach, gar sehr zu Haleys Entrüstung, der mit der Reitpeitsche nach ihm schlug.

»Ich wundere mich über dich, Andy«, sagte Sam mit schrecklichem Ernst. »Das ist ’ne ernste Sache, Andy. Du darfst nicht läppschen. So können wir Master nicht helfen.«

»Ich werde den geraden Weg nach dem Flusse einschlagen«, sagte Haley mit Bestimmtheit, als sie die Grenze des Grundstücks erreicht hatten. »Ich kenne schon ihre Weise – sie suchen alle die Niederung zu erreichen.«

»Gewiß, das meine ich auch«, sagte Sam. »Master Haley trifft das Ding recht in der Mitte. Es gehen zwei Wege nach dem Fluß – der Dreckweg und die Landstraße – welchen Weg will Master reiten?«

Andy sah Sam unschuldig an, ganz erstaunt, diese neue geographische Tatsache zu vernehmen, aber bestätigte durch eine heftige Wiederholung auf der Stelle, was jener sagte.

»Ich möchte fast meinen, daß Lizzy den Dreckweg gegangen, weil er am wenigsten lebhaft ist«, sagte Sam.

Obgleich Haley ein sehr alter Fuchs und von Natur zum Mißtrauen geneigt war, so schien ihm doch diese Ansicht der Sache viel Wahrscheinliches für sich zu haben.

»Wenn ihr nun beide nicht so verdammte Lügner wäret!« sagte er nachdenklich, wie er einen Augenblick überlegte.

Der nachdenkliche Ton, mit dem er dies sagte, schien Andy über die Maßen zu ergötzen; er blieb ein wenig zurück, und der Bauch wackelte ihm so sehr, daß er wirklich Gefahr zu laufen schien, vom Pferde zu fallen, während Sam unbeweglich sein ernstes Leichenbittergesicht beibehielt.

»Natürlich kann es Master machen, wie er will«, sagte Sam. »Wenn es Master für gut hält, reiten wir den geraden Weg – uns ist’s einerlei. Jetzt, wenn ich mir’s recht überlege, meine ich, der gerade Weg ist ganz bestimmt der beste.«

»Sie würde natürlich einen einsamen Weg gehen«, sagte Haley, welcher laut dachte und Sams Bemerkung nicht beachtete.

»Das weiß man nun nicht«, sagte Sam. »Weiber sind kurios. Sie tun nie, was man erwartet, am gewöhnlichsten das Gegenteil. Weiber sind von Natur wider den Strich gemacht; und denkt man, sie sind den Weg gegangen, so ist’s gewiß besser, den andern zu gehen, und dann kann man sicher sein, sie zu finden. Meine Privatmeinung ist nun, Lizzy hat den Dreckweg gewählt, deshalb halte ich es für besser, wir reiten den geraden.«

Diese tiefe psychologische Ansicht von dem weiblichen Geschlechte schien Haley dem geraden Wege nicht besonders geneigt zu machen, und er erklärte mit Bestimmtheit, daß er den andern einschlagen werde, und fragte Sam, wann sie ihn erreichen würden.

»Noch ein Stückchen weiter«, sagte Sam und gab Andy einen Wink mit dem Auge, das sich auf dessen Seite des Kopfes befand, und dann setzte er hinzu: »Aber ich habe mir die Sache überlegt und bin überzeugt, wir sollten den Weg nicht reiten. Ich bin ihn noch niemals geritten. Er ist verzweifelt einsam, und wir können uns verirren – wo wir wieder rauskommen würden, weiß nur der Herr.«

»Dennoch reite ich diesen Weg«, sagte Haley.

»Da fällt mir auch noch ein«, meinte jetzt Sam, »ich glaube, ich habe gehört, daß der Weg unten beim Kreek ganz und gar verhauen ist, nicht wahr, Andy?«

Andy wußte es nicht gewiß, er hatte nur von dem Wege reden hören, war ihn aber nie gegangen. Kurz er kompromittierte sich nicht im geringsten.

Haley, der gewohnt war, bei der Berechnung von Wahrscheinlichkeiten nur zwischen Lügen von schwererem und leichterem Gewicht zu wählen, entschied sich zugunsten des früher erwähnten Dreckwegs. Er glaubte, bemerkt zu haben, daß die erste Erwähnung desselben von Sams Seite unfreiwillig war, und seine konfusen Versuche, ihn davon abzubringen, hielt er für verzweifelte Lügen, veranlaßt durch spätere Überlegung, um Elisa nicht zu schaden.

Als ihm daher Sam den Weg wies, lenkte Haley rasch auf denselben ein, und Sam und Andy folgten ihm.

Der Weg war in der Tat eine alte Straße nach dem Flusse, war aber seit dem Bau der neuen Landstraße ganz verlassen. Ungefähr eine Stunde weit war er offen, aber dann sperrten ihn verschiedene Farmen und Fencen. Sam wußte das recht gut; eigentlich war der Weg schon so lange gesperrt, daß Andy nie etwas von ihm gehört hatte. Er ritt daher mit einer Miene pflichtschuldiger Unterwürfigkeit seine Straße und stöhnte nur manchmal und klagte, daß er so verzweifelt schlecht und gefährlich für Jerry sei.

»Na, ich will euch was sagen«, sagte Haley, »ich kenne euch; es gelingt euch nicht, mit allen Eurem Schwätzen mich von dem Wege abzubringen – also seid still!«

»Master mag seinem eigenen Willen folgen!« sagte Sam mit kläglich gehorsamem Gesicht, aber zu gleicher Zeit höchst schlau Andy zuwinkend, dessen Freude jetzt nahe am Losplatzen war.

Sam war in der heitersten Laune, stellte sich, als gäbe er auf das alleraufmerksamste acht, rief das eine Mal, er sehe einen Mädchenhut auf der Spitze eines entfernten Hügels oder sagte zu Andy: »Ist das da unten in der Tiefe nicht Lizzy« – und diese Ausrufungen machte er stets auf einer schlechten oder holprigen Stelle des Wegs, wo rascheres Reiten allen Beteiligten ganz besonders unangenehm war. Auf diese Weise behielt er Haley in beständiger Aufregung.

Nachdem sie auf diese Weise ungefähr eine Stunde geritten waren, sahen sie sich plötzlich an einem Scheunenhof, der zu einer großen Farm gehörte. Keine Seele war zu sehen, da alles auf dem Feld beschäftigt war; aber da die Scheune ganz entschieden und deutlich quer über den Weg stand, so war es offenbar, daß ihre Reise in dieser Richtung ganz bestimmt ihr Ziel erreicht hatte.

»Habe ich das Master nicht gleich gesagt«, sagte Sam mit einer Miene beleidigter Unschuld. »Warum will auch ein fremder Herr mehr von einer Gegend kennen, als die dort geboren und aufgewachsen sind?«

»Du Schuft! Du hast alles gewußt!«

»Habe ich Ihnen nicht gesagt, was ich wußte, und wollten Sie mir denn glauben? Sagte ich Master nicht, der Weg sei versperrt und verhauen und ich glaubte nicht, daß wir durchkommen könnten? Andy hat’s gehört.«

Alles war zu wahr, um es bestreiten zu können, und der arme Mann mußte seinen Ärger mit der besten Miene, deren er fähig war, einstecken. Alle drei machten wieder rechtsumkehrt und ritten nach der Landstraße zurück.

Infolge all‘ dieser verschiedenen Verzögerungen ritten sie erst ungefähr drei Viertelstunden, nachdem Elisa ihr Kind in der Dorfschenke aufs Bett gelegt hatte, in den Ort ein. Elisa stand am Fenster und sah nach einer andern Richtung, als Sams rasches Auge sie entdeckte. Haley und Andy ritten ein paar Schritt hinter ihm. In dieser Krisis ließ Sam sich den Hut vom Kopf wehen und stieß einen lauten und charakteristischen Ausruf aus, der sie sofort aufmerksam machte; sie zog sich rasch zurück, und der ganze Zug ritt vor dem Fenster vorbei nach der Vordertür der Schenke.

Tausend Leben schienen für Elisa in dem einen Augenblick konzentriert zu sein. Aus ihrem Zimmer führte eine Seitentür nach dem Fluß. Sie riß ihr Kind an sich und sprang mit ihm die Stufen hinab nach dem Strom. Der Händler sah sie ganz deutlich, als sie eben hinter dem Ufer verschwand, warf sich vom Pferde, rief laut Sam und Andy und war hinter ihr her, wie ein Hetzhund hinter einem Reh. In diesem schwindelnden Augenblick schienen ihre Füße kaum den Erdboden zu berühren, und eine Sekunde brachte sie an den Rand des Wassers. Dicht hinter ihr kamen ihre Verfolger, und gestählt von der Kraft, wie sie Gott nur den Verzweifelten verleiht, sprang sie mit einem herzzerreißenden Schrei und gewaltigem Satze hinüber über die trübe wirbelnde Strömung am Ufer auf das Eisfloß auf der anderen Seite. Es war ein schrecklicher Sprung – ein Sprung, wie ihn nur Wahnsinn und Verzweiflung wagen konnten; und Haley, Sam und Andy schrien instinktmäßig auf und erhoben die Hände, wie sie es sahen.

Die große grüne Eisscholle, auf welche sie sprang, senkte sich, schwankte und ächzte unter ihrer Last, aber sie blieb keinen Augenblick darauf. Mit wilden Ausrufen und verzweifelter Energie sprang sie noch auf eine andere und noch auf eine andere Scholle; – sie stolperte – sprang weiter – glitschte aus – sprang wieder in die Höhe! Sie hatte die Schuhe verloren – die Strümpfe sind ihr vom Fuße gerissen – und Blut bezeichnet jeden Schritt; aber sie sieht nichts, fühlt nichts, bis sie nebelhaft, wie in einem Traume, die Ohioseite erblickt und einen Mann, der ihr hinaufhilft.

»Du bist ein braves Mädchen – wer du auch sein magst!« sagte der Mann mit einem bekräftigenden Fluch.

Elisa erkannte die Stimme und das Gesicht eines Mannes, dem eine Farm nicht weit von ihrer ehemaligen Heimat gehörte.

»O Mr. Symmes! – Retten Sie mich – retten Sie mich! – Verstecken Sie mich – verstecken Sie mich!« sagte Elisa.

»Was – was ist das?« sagte der Mann. »Ist das nicht Shelbys Elisa?«

»Mein Kind! – Dieser Knabe – er hat ihn verkauft: Dort ist sein Herr«, sagte sie und wies nach dem Kentuckyufer. »O Mr. Symmes, Sie haben auch einen kleinen Knaben.«

»Jawohl«, sagte der Mann, als er sie mit derber Faust, aber freundlich das steile Ufer heraufzog. »Außerdem bist du ein richtiges braves Mädchen. Courage gefällt mir, wo ich sie finde.«

Als sie die Höhe des Ufers erreicht hatte, blieb der Mann stehen.

»Ich würde gern was für Euch tun«, sagte er, »aber ich habe niemand, wo ich Euch hinnehmen könnte. Das beste, was ich tun kann, ist Euch zu sagen, geht dorthin«, sagte er und wies auf ein großes weißes Haus, welches allein abseits der Hauptstraße des Dorfes stand. »Geht dorthin; gute Leute wohnen dort. Ihr könnt in keine Gefahr kommen, in der sie Euch nicht helfen werden – sie kennen das alles und wissen es schon zu machen.«

»Der Herr behüte Sie!« sagte Elisa mit Innigkeit.

»Keine Ursache, keine Ursache auf der Welt«, sagte der Mann. »Was ich getan habe, hat nichts zu sagen.«

»Und Sie werden mich gewiß nicht verraten, Sir?«

»Donner und Wetter, Mädchen! Wofür haltet Ihr mich? Natürlich nicht«, sagte der Mann. »Jetzt geht Eures Wegs wie ein gutes verständiges Mädchen, wie Ihr seid. Ihr habt Eure Freiheit verdient, und Ihr sollt sie haben, soweit ich dazu beitragen kann.«

Elisa drückte das Kind an ihre Brust und entfernte sich mit festem und raschem Schritt.

Der Mann blieb stehen und sah ihr nach.

»Vielleicht wird Shelby das nicht für das allernachbarlichste Tun auf der Welt halten; aber was soll man tun? Wenn er eins meiner Mädchen in derselben Klemme findet, kann er mir’s wieder vergelten. Ich kann’s nun einmal nicht ertragen, wenn so ein Wesen sich abhetzt und abkeucht und versucht, sich zu retten, während die Hunde hinter ihm her sind. Ich kann nichts gegen sie tun. Außerdem sehe ich gar keine Veranlassung, den Jäger und Fänger für andere Leute zu spielen.«

So sprach dieser arme heidnische Kentuckier, der in die gesetzlichen Verhältnisse durchaus nicht eingeweiht war und sich deshalb verlocken ließ, in ziemlich christlicher Weise zu handeln, was er bei besserer Lage und größerer Bildung gewiß nicht getan hätte.

Haley hatte in stummem Staunen dagestanden, bis Elisa auf der anderen Seite des Ufers verschwunden war; dann sah er Sam und Andy mit einem leeren fragenden Blick an.

»Das war ein ganz hübsches Geschäftchen«, sagte Sam.

»Das Mädchen hat sieben Teufel im Leibe, glaube ich«, sagte Haley. »Sie sprang ja wie eine wilde Katze!«

»Na ich hoffe, Master wird nun nicht tadeln, daß wir den Weg versucht haben«, sagte Sam und kratzte sich hinter den Ohren. »Dazu bin ich nicht gescheit genug, gar nicht!« sagte Sam und ließ ein heiseres Lachen vernehmen.

»Du lachst!« grollte der Händler.

»Gott behüte Sie, Master, ich kann wahrhaftig nicht dafür«, sagte Sam und ließ nun der lange verhehlten Freude seiner Seele freien Lauf. »Es sah so kurios aus, wie sie sprang und hüpfte – und das Eis krachte – und sie nur zu hören, plauz, wie das sprang! Platsch, wie das spritzte! Herr Gott! wie ist die gesprungen!« Und Sam und Andy lachten, bis ihnen die Tränen die Backen hinunterliefen.

»Wartet, ihr sollt auf der anderen Seite eures Gesichts lachen«, sagte der Händler und schlug mit der Peitsche nach ihnen.

Beide duckten sich und liefen laut lachend das Ufer hinauf und saßen auf ihren Pferden, ehe er sie einholen konnte.

»Guten Abend, Master!« sagte Sam sehr ernsthaft. »Ich fürchte sehr, Missis wird sich wegen Jerry Sorge machen. Master Haley braucht uns jetzt nicht mehr. Missis würde es nicht leiden, heute abend mit den Tieren über Lizzys Brücke zu reiten.« Und mit einem spaßhaften Stoß in Andys Rippen ritt er davon, während der andere im vollen Jagen ihm folgte, bis ihr lautes Lachen im Winde verhallte.

7. Kapitel


Ein würdiges Trio

Elisas verzweifelte Flucht über den Fluß fiel gerade in die Abenddämmerung. Der graue Abendnebel stieg langsam aus dem Strom empor und hüllte sie ein, während sie auf dem anderen Ufer verschwand, und der angeschwollene Strom und die großen Eisschollen zogen eine unüberwindliche Schranke zwischen ihr und ihrem Verfolger. Haley ging deshalb langsam und mißvergnügt nach der Schenke zurück, um weiter über das zu Tuende nachzudenken. Die Frau wies ihn in ein kleines Zimmer, wo ein Tisch mit sehr glänzender schwarzer Wachsleinwand überzogen, verschiedene hohe hölzerne Stühle mit schmaler Lehne und einige grell angemalte Gipsbüsten auf dem Kaminsims über einem sehr bescheiden rauchenden Herd standen; eine lange harte Bank streckte sich ungemütlich neben dem Kamin hin, und hier nahm Haley Platz, um über die Unsicherheit menschlicher Hoffnungen und menschlichen Glücks allgemein nachzudenken.

»Daß ich mich von dem Grasaff so habe anführen lassen!« brummte Haley vor sich hin und erleichterte sich das Herz mit einer nicht sehr gewählten Reihe von Verwünschungen seiner selbst.

Die laute und mißtönende Stimme eines Mannes, der vor der Türe abstieg, weckte ihn aus seinem Brüten. Er eilte ans Fenster.

»Zum Teufel! Wenn das nicht dem am nächsten kommt, was die Leute Vorsehung nennen!« sagte Haley. »Ist das nicht wirklich Tom Loker?«

Haley eilte hinaus.

In der Ecke des Zimmers vor dem Schenktische stand ein gelbbrauner kräftiger Mann von sechs Fuß Länge und verhältnismäßiger Breite. Er trug einen Rock von Büffelhaut, den Pelz auswärts gekehrt, was ihm ein zottiges und wildes Aussehen ganz in Übereinstimmung mit seiner Physiognomie gab. Kopf und Gesicht zeigten jedes Organ und jeden Zug brutaler und rücksichtsloser Gewalttätigkeit in höchster Entwicklung. Wer sich einen zum Menschen gewordenen Bulldogg, der in Hut und Rock einhergeht, denken könnte, würde den besten Begriff von dem Charakter und dem allgemeinen Eindruck seines Äußern haben. Ein Reisegefährte war mit ihm, der in vieler Hinsicht sein vollständiger Gegensatz war. Er war klein und schmal, gewandt und katzenartig in seinen Bewegungen, und mit dem lauernden Blick seiner lebhaften schwarzen Augen schien jeder Zug seines Gesichts sich gleichgestimmt zuzuspitzen; seine dünne lange Nase verlängerte sich, als wäre sie begierig, in das Wesen der Dinge im allgemeinen einzudringen; sein glattes dünnes Haar war nach vorn gebürstet, und alle seine Bewegungen zeigten von vorsichtiger Verschlagenheit. Der große starke Mann schenkte ein großes Glas halb voll Branntwein ein und goß es, ohne ein Wort zu sprechen, hinunter. Der kleine Mann stand auf den Zehen, legte den Kopf erst auf die eine, dann auf die andere Seite, schnüffelte bedächtig nach den verschiedenen Flaschen hin und bestellte zuletzt mit einer dünnen und zitternden Stimme und mit einer Miene großer Umsicht ein Glas Sodawasser. Als es ihm eingeschenkt war, nahm er es und sah es mit einer schlauen selbstzufriedenen Miene an, wie ein Mann, der das Richtige getan und den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben glaubt, und trank es wohlüberlegt und langsam nippend aus.

»Ha, so ein Glück hätte ich mir doch nicht zugetraut! Loker, wie geht’s denn?« sagte Haley und bot dem großen Manne seine Hand.

»Zum Teufel!« war die höfliche Antwort. »Was bringt Euch hierher, Haley?«

Der lauernde Mann, der Marks hieß, hörte gleich auf, sein Glas zu nippen, reckte den Kopf vor und sah schlau den neuen Ankömmling an, wie manchmal eine Katze nach einem raschelnden dürren Blatt oder einem andern verfolgbaren Gegenstande schielt.

»Das nenne ich mir doch ein Glück, sage ich, Tom. Ich bin in einer verteufelten Patsche, und Ihr müßt mir heraushelfen.«

»Hm! Ha! Glaub‘ ich wohl!« grunzte sein gefälliger Freund. »Das kann man von vornherein glauben, wenn Ihr Euch freut, jemanden zu sehen; wenn die Leute zu etwas zu gebrauchen sind. Was gibt’s denn jetzt?«

»Ihr habt einen Freund mitgebracht«, sagte Haley und sah argwöhnisch Marks an, »vielleicht ein Kompagnon?«

»Jawohl! Hier Marks, das ist der Bursch‘, der in Natchez mein Kompagnon war.«

»Freut mich sehr, seine Bekanntschaft zu machen«, sagte Marks und bot ihm eine lange schmale Hand wie die Klaue eines Raben dar. »Mr. Haley, glaube ich?«

»Derselbe, Sir«, sagte Haley. »Und jetzt, Ihr Herrn, da wir uns so glücklich getroffen haben, will ich Euch hier was zum besten geben. Ihr da, alter Waschbär«, sagte er zu dem Manne hinter dem Schanktisch, »gebt uns heißes Wasser und Zucker und Zigarren und Überfluß vom Echten, und wir wollen einmal fidel sein!«

Bald sind die Kerzen angezündet, das Feuer lodert munter in dem Kamin, und unsere drei Freunde sitzen um einen Tisch, der mit allen eben genannten Beförderungsmitteln der Gemütlichkeit reichlich besetzt ist. Haley begann eine pathetische Erzählung seiner widrigen Schicksale. Loker schwieg und hörte ihn mit mürrischer Aufmerksamkeit an. Marks, der mit großer Sorgfalt und vielen Umständen sich ein Glas Punsch nach seinem eigenen Geschmack bereitete, blickte von Zeit zu Zeit von seiner Beschäftigung auf, schob seine spitze Nase und sein Kinn fast Haley ins Gesicht und schenkte der ganzen Erzählung die vollste Aufmerksamkeit. Der Schluß schien ihn über die Maßen zu ergötzen, denn der ganze Körper wackelte ihm vor lautlosem Lachen, und er spitzte die dünnen Lippen mit einer Miene des höchsten innerlichen Genusses.

»Also regulär geprellt seid Ihr? He! He! He! ’s ist aber hübsch gemacht.«

»Mit diesen Rangen hat man schreckliche Not im Geschäft«, sagte Haley kläglich.

»Wenn wir nur eine Sorte Mädchen kriegen könnten, die sich um ihre Kleinen nicht kümmerten«, sagte Marks, »ob das nicht einer der größten modernen Fortschritte wäre –«. Und Marks gab seinem Witz mit einem leisen einleitenden Gekicher Nachdruck.

»Ich habe mirs nie erklären können«, sagte Haley. »Die Rangen machen ihnen soviel Not – man sollte meinen, sie müßten froh sein, sie los zu werden; aber sie sind es nicht. Und je mehr Mühe ihnen die Kinder machen und je weniger sie im allgemeinen zu was nütze sind, desto lieber sind sie ihnen.«

»Schiebt mal das warme Wasser her, Haley«, sagte Marks. »Ja, Sir, Ihr sagt da, was ich denke und immer gedacht habe. Ich kaufte einmal ein Weib, als ich noch das Geschäft betrieb – ein kräftiges hübsches Weib und gar nicht dumm – und es hatte ein kränkliches Kind mit einem krummen Rücken oder so etwas, und ich schenkte es einem Manne, der versuchen wollte, es aufzuziehen, da es ihn nichts kostete – dachte nicht daran, daß sich das Weib die Sache so zu Herzen nehmen würde – aber Gott, Ihr hättet sehen sollen, wie sie sich aufführte! Wahrhaftig, war fast, als sei ihr das Kind um so lieber, weil es kränklich und garstig war und sie peinigte; und sie verstellte sich auch nicht etwa – sondern weinte darüber und lief herum, als ob sie den letzten Freund auf Erden verloren hätte. Es war wirklich drollig, daran zu denken. Gott, die Weiber haben solche Ideen im Kopfe.«

»’s ist mir auch so gegangen«, sagte Haley. »Vorigen Sommer wurde mir unten am Red River ein Mädchen aufgeschwindelt mit einem ganz hübsch aussehenden Kinde, dessen Augen so hell waren wie Eure; aber wie man es näher besah, war es stockblind. Faktum – stockblind. Nun dachte ich mir, ’s ist nichts Schlechtes, wenn du das Kind wieder aus der Hand gibst und nichts weiter sagst, und ich tauschte es daher gegen ein Fäßchen Whisky um; aber als ich’s dem Mädchen nehmen wollte, wurde das wie eine Tigerin. Es war, ehe wir aufbrachen, und ich hatte meine Leute noch nicht gefesselt, und was tut sie? Sie klettert wie eine Katze einen Baumwollballen hinan, reißt einem von den Matrosen ein Messer aus der Hand und macht ein Gesicht, daß wir alle scheu zurücktreten. Und wie sie nun sah, daß es doch nichts nützte, so drehte sie sich um und stürzte sich kopfüber mit dem Kinde in den Fluß – sank unter und kam nie wieder zum Vorschein.«

»Bah!« sagte Tom Loker, der diesen Erzählungen mit schlecht verhehlter Verachtung zugehört hatte. »Ihr seid beide nicht gescheit! Meine Mädchen spielen mir keine solchen Streiche, das sage ich euch!«

»Wirklich! Wie fangt Ihr’s denn an?« forschte Marks rasch.

»Wie ich’s anfange? Ich kaufe eine Dirne, und wenn sie ein Kleines hat, das ich verkaufen will, so trete ich vor sie hin und halte ihr die Faust vor’s Gesicht und sage: ›Höre mal, wenn du auch nur ein Wort hören läßt, so zerschmeiße ich dir’s Gesicht – ich will kein Wort hören – keine Silbe.‹ Ich sage zu ihnen: ›Das Kleine da ist mein und nicht dein, und du hast ganz und gar nichts damit zu tun. Ich verkaufe das Kind bei der ersten Gelegenheit; hütet Euch wohl, mir mit Eurem Lärm darüber zu kommen, oder Ihr sollt mir wünschen, Ihr wäret nie geboren worden.‹ Ich sage Euch, sie sehen, daß ich nicht mit mir spaßen lasse. Sie bleiben so stumm wie die Fische, und wenn ja eine anfängt, dann –« und Mr. Loker schlug die Faust mit einer Kraft auf den Tisch, welche die Lücke vollständig ergänzte.

»Das nenne ich mir Energie«, sagte Marks, indem er Haley in die Seite stieß und beifällig kicherte. »Ist nicht Tom ein Hauptkerl! He, he, he! Ich sage, Tom, ich rate, Ihr macht’s ihnen begreiflich; denn die Niggerköpfe sind alle wollig. Sie bleiben nie unklar über das, was Ihr meint, Tom. Wenn Ihr nicht der Teufel seid, Tom, so seid Ihr sein Zwillingsbruder, behaupte ich.«

Tom nahm das Kompliment mit schicklicher Bescheidenheit an und machte ein so leutseliges Gesicht, als sich mit seiner grämlichen Natur vertrug.

Haley, der sehr reichlich von dem Getränk des Abends genossen hatte, fing jetzt an, eine beträchtliche Erregung und Erhöhung seines sittlichen Gefühls zu empfinden – ein Phänomen, das bei Leuten von frommem und nachdenklichem Charakter unter ähnlichen Umständen nicht selten ist.

»Ihr seid wirklich zu schlecht, Tom, wie ich Euch immer gesagt habe. Ihr wißt, Tom, wir beide haben diese Sachen unten in Natchez oft besprochen, und ich bewies damals stets, daß wir ebensoviel verdienten und uns ebensogut in dieser Welt befänden, wenn wir sie gut behandelten, außer daß wir eine bessere Aussicht behalten, da oben im Himmel einen Platz zu finden, wenn das Schlimmste kommt und nichts mehr zu holen ist.«

»Bah!« sagte Tom. »Weiß ich das nicht – macht mich mit solchem Gerede nicht krank – mein Magen ist ohnedies ein bißchen angegriffen«, und Tom schüttete ein halbes Glas reinen Branntwein hinunter.

»Ich gestehe es«, sagte Haley, indem er sich in seinem Stuhl zurücklehnte und mit Nachdruck gestikulierte, »ich gestehe es, ich habe immer mein Geschäft betrieben, um Geld dabei zu verdienen; das war das Erste bei mir, wie bei jedem andern Menschen; aber das Geschäft ist nicht alles, und Geld ist nicht alles, weil wir Seelen haben. Mir ist es ganz gleich, wer es hört – und ich glaube, ich habe verdammt viel darüber nachgedacht; deshalb kann ich es auch offen heraussagen. Ich glaube an Religion, und mit der Zeit, wenn ich alles eingerichtet und in Ordnung habe, so rechne ich, mich um meine Seele und alle diese Sachen zu bekümmern: Und was nützt es daher, mehr Böses zu tun, als gerade notwendig ist? – Das scheint mir gar nicht klug zu sein.«

»Ihr wollt Euch um Eure Seele bekümmern«, erwiderte Tom verächtlich, »guckt Euch nur recht ordentlich um, ob Ihr eine Seele in Euch findet – braucht Euch keine Mühe zu geben. Und wenn Euch der Teufel durch ein Haarsieb siebt, so findet er keine.«

»Ihr seid böse, Tom«, sagte Haley, »warum nehmt Ihr es nicht gut auf, wenn jemand nur zu Eurem Besten spricht?«

»Laßt das Geplapper sein«, sagte Tom barsch. »Ich kann Euch alles reden hören, nur nicht solch frommes Geschwätz – das macht mich gleich tot. Was ist denn im Grunde der Unterschied zwischen mir und Euch? Nicht etwa, daß Ihr mehr schont oder ein bißchen mehr Gefühl hättet – es ist reine hündische Niederträchtigkeit, die den Teufel betrügen und sich die eigne Haut retten will; als ob ich das nicht sähe; und Euer ›Religion haben‹, wie Ihr’s nennt, ist doch im Grunde gar zu gemein für einen Menschen; sein ganzes Leben lang eine Rechnung beim Teufel auflaufen lassen, und dann sich wegzuschwindeln, wenn der Zahlungstermin kommt! Pfui!«

»Na, ich will Euch was sagen, Ihr Herren, das ist kein Geschäft«, sagte Marks. »Man kann alle Sachen auf verschiedene Weise ansehen, das wißt Ihr ja. Mr. Haley ist gewiß ein sehr hübscher Mann und hat sein eigenes Gewissen, und Ihr, Tom, habt Eure Art und noch dazu eine sehr gute Art; aber zanken und streiten ist zu nichts nütze, das wißt Ihr. Laßt uns ans Geschäft gehen. Nun, wie ist die Sache, Mr. Haley? Wir sollen Euch das Mädchen fangen?«

»Das Mädchen geht mich nichts an – das gehört Shelby, nur der Knabe. Ich war ein Narr, den Affen zu kaufen.«

»Ihr seid immer ein Narr!« sagte Tom barsch.

»Na, Loker, nicht so grob«, sagte Marks und leckte sich die Lippen; »Ihr seht ja, Mr. Haley will uns zu einem guten Geschäft verhelfen. Seid einmal still, solche Anordnungen sind gerade meine Stärke. Also die Dirne, Mr. Haley, was ist mir ihr? Wie ist sie?«

»Sie ist weiß und schön – gut erzogen. Ich hätte Shelby 800 oder 1ooo für sie gegeben und noch ein gutes Geschäft mit ihr gemacht.«

»Weiß und schön – und gut erzogen!« sagte Marks, und seine Augen, Nase und Mund belebten sich von Unternehmungslust. »Seht da, Loker, ein schöner Anfang. Wir wollen hier ein Geschäft auf unsere eigene Rechnung machen. Wir besorgen das Fangen; den Jungen bekommt natürlich Haley – wir nehmen das Mädchen nach Orleans auf Spekulation. Ist das nicht vortrefflich?«

Tom, dessen großer plumper Mund während dieser Worte weit offen gestanden hatte, ließ ihn jetzt plötzlich zufallen wie ein großer Hund, der auf ein Stück Fleisch beißt, und schien den Vorschlag in Muße zu verdauen.

»Ihr müßt wissen«, sagte Marks zu Haley, indem er sich seinen Punsch umrührte, »wir haben auf allen Punkten an der Küste Friedensrichter, die uns kennen und die kleinen Geschäftchen in unserer Branche unter ganz vernünftigen Bedingungen abmachen. Tom besorgt das Herumwürgen und Herumschlagen, und ich übernehme die Anstandsrollen – in lackierten Stiefeln – alles im feinsten Stile, sowie zu schwören ist. Ihr sollt nur sehen«, sagte Marks, vor Künstlerstolz verglühend, »wie ich da auftreten kann. Einmal bin ich Mr. Twickem von Neuorleans; dann bin ich eben von meiner Plantage am Pearlfluß angekommen, wo ich 700 Nigger beschäftige; zum dritten Male stelle ich mich als ein entfernter Verwandter von Henry Clay oder einem andern alten Hauptkerl von der Art dar. Die Anlagen sind verschieden, das wißt Ihr ja. Ich sage Euch, Tom ist ein Blitzkerl, wo es sich um Plackerei oder ums Zuschlagen handelt; aber zum Lügen taugt er nichts, der Tom – es steht ihm nicht; aber wenn es einen Kerl im ganzen Lande gibt, der alles und jedes beschwören kann und alle die Geschichten und Flunkern mit einem längern Gesichte vortragen und das Ganze besser durchführen kann, als ich, so möchte ich ihn sehen! Weiter sage ich nichts! Ich glaube wahrhaftig, ich könnte mich durchschwindeln, wenn es auch die Friedensrichter genauer nähmen, als es der Fall ist. Manchmal wünsche ich wirklich, sie möchten’s genauer nehmen; es wäre dann viel interessanter – machte viel mehr Spaß, müßt Ihr wissen.«

Tom Loker, der, wie wir gezeigt haben, ein Mann von langsamen Begriffen und Bewegungen war, unterbrach hier Marks, indem er mit seiner schweren Faust auf den Tisch schlug, so daß alles klapperte, »’s geht!« sagte er.

»Potz Wetter, Tom, zerschmeißt nur nicht die Gläser!« sagte Marks. »Schont Eure Faust für Zeiten der Not.«

»Aber Ihr Herren, soll ich denn nicht auch einen Teil des Profits haben«, sagte Haley.

»Ist’s nicht genug, wenn wir Euch den Jungen haschen?« sagte Loker. »Was wollt Ihr sonst noch?«

»Nun wenn wir Euch das Geschäft verschaffen, so ist das doch was wert«, sagte Haley – »will sagen, zehn Prozent vom Profit nach Abzug der Auslagen.«

»Ob ich Euch nicht kenne, Dan Haley!« sagte Loker mit einem fürchterlichen Fluche und schlug mit der schweren Faust auf den Tisch. »Denkt Ihr etwa, Ihr wollt mich leimen! Sich einbilden, Marks und ich hätten uns auf den Negerfang gelegt, bloß um Leuten wie Euch einen Gefallen zu tun, ohne etwas für uns selber zu kriegen? Da seid Ihr falsch gewickelt! Wir wollen die Dirne für uns behalten und Ihr haltet das Maul, oder wir nehmen alle beide – wer soll’s uns wehren? Habt Ihr uns nicht das Wild gezeigt? Wir können es so gut verfolgen wie Ihr, hoffe ich. Wenn Ihr oder Shelby uns jagen wollt, so seht nur nach, wo die Rebhühner voriges Jahr waren; wenn Ihr sie oder uns fangt, soll’s uns ganz recht sein.«

»Nun ja, so soll’s dabei bleiben«, sagte Haley voller Unruhe; »Ihr habt immer ehrlich mit mir gehandelt, Tom, und mir immer Wort gehalten.«

»Das wißt Ihr«, sagte Tom; »ich spiele gewiß nicht den Frommen, aber selbst in meinen Rechnungen mit dem Teufel werde ich nicht lügen. Wenn ich sage, ich tue es, so tue ich’s; das wißt Ihr, Dan Haley.«

»Gewiß, gewiß, das habe ich auch gesagt, Tom«, sagte Haley; »und wenn Ihr mir nur versprechen wollt, mir den Knaben nach spätestens acht Tagen an irgendeinen beliebigen Ort zu stellen, so bin ich zufrieden.«

»Aber ich ganz und gar nicht«, sagte Tom. »Ihr bildet Euch doch nicht ein, ich wäre unten in Natchez umsonst Euer Kompagnon gewesen, Haley? Ich habe gelernt, einen Aal festzuhalten, wenn ich ihn einmal gefangen habe. Ihr habt 50 Dollar bar auf den Tisch zu legen, oder ich gehe keinen Schritt in der Sache. Ich kenne Euch.«

»Was, wenn Ihr ein Geschäft kriegt, das Euch einen reinen Gewinn von 1000 oder 1600 Dollar einbringen kann? Tom, Ihr macht unvernünftige Forderungen!« sagte Haley.

»Haben wir aber nicht Geschäfte auf fünf Wochen im Buche – fast mehr als wir verrichten können? Und gesetzt, wir lassen alles liegen und laufen Eurem Jungen nach und fangen die Dirne zuletzt doch nicht – und Dirnen sind immer teufelsmäßig schwer zu fangen – was haben wir dann? Bezahlt Ihr uns dann nur einen Cent – he? Ich sehe schon, wie Ihr ihn vorholt – ha, ha! Nein, nein; heraus mit den fünfzig. Macht sich das Geschäft und wir verdienen was dabei, so zahlen wir das Geld zurück; ist’s nicht der Fall, so behalten wir’s für unsere Mühe – ist das nicht billig, Marks?«

»Gewiß, gewiß«, sagte Marks in versöhnlichem Tone, »’s ist nur ein Draufgeld, ha, ha, ha! Na, wir müssen alles in Gutem abmachen – als gute Freunde, müßt Ihr wissen. Tom bringt Euch den Jungen, wo Ihr ihn hinhaben wollt; nicht wahr, Tom?«

»Wenn ich den Jungen fange, bringe ich ihn nach Cincinnati und lasse ihn bei Granny Belcher an der Landungsbrücke«, sagte Loker.

Marks hatte eine schmierige Brieftasche hervorgezogen, nahm einen langen Zettel heraus, setzte sich hin, sah ihn mit seinen kleinen schwarzen Augen durch und fing an, halblaut den Inhalt abzulesen: »Barnes – Shelby County – Knabe Jim – 300 Dollar tot oder lebendig. Edwards – Dick und Luzy – Mann und Frau, 600 Dollar für sie oder ihren Kopf. – Ich gehe eben unsere Geschäfte durch, um zu sehen, ob wir das dabei bequem mit abmachen können, Loker«, sagte er nach einigem Nachdenken, »die Sachen müssen wir Adams und Springer überlassen; sie stehen schon längst im Buche.«

»Die berechnen nur zu viel«, sagte Tom.

»Das will ich schon einrichten, sie sind Anfänger im Geschäft und müssen billig sein«, sagte Marks, während er fortfuhr zu lesen, »’s sind drei leichte Fälle, wenn weiter nichts zu tun ist, als sie niederzuschießen oder zu schwören, daß sie erschossen sind; dafür können sie natürlich nicht viel ansetzen; die andern Fälle lassen sich noch ein Weilchen aufschieben«, sagte er und legte den Zettel wieder zusammen. »Jetzt aber müssen wir die Sache näher besprechen. Also, Mr. Haley, Ihr saht, wie das Mädchen das Ufer erreichte?«

»Gewiß – so deutlich, als ich Euch sehe.«

»Und ein Mann half ihr zum Ufer herauf!« sagte Loker.

»Gewiß sah ich das.«

»Wahrscheinlich haben sie die Dirne wo aufgenommen«, sagte Marks; »aber wo? Das ist die Frage. Was meint Ihr, Tom?«

»Wir müssen noch heute nacht über den Fluß – das ist keine Frage«, sagte Tom.

»Aber es ist kein Boot da«, sagte Marks, »’s ist ein fürchterlicher Eisgang, Tom; ist’s nicht zu gefährlich?«

»Davon verstehe ich nichts, ich weiß nur, daß es geschehen muß«, sagte Tom mit Bestimmtheit.

»Mein Gott«, sagte Marks voll Unruhe – »ich meine«, sagte er und trat ans Fenster, »’s ist so finster wie in einem Wolfsrachen, und Tom –«

»Das Lange und das Kurze von der Geschichte ist – Ihr fürchtet Euch, Marks; aber ich kann Euch nicht helfen, Ihr müßt fort. Ihr dürft doch nicht etwa einen oder zwei Tage still liegen, bis sie die Dirne unten auf den Talweg nach Sandusky oder sonst wohin gebracht haben.«

»O nein; ich fürchte mich gar nicht«, sagte Marks, »aber –«

»Aber was«, sagte Tom.

»Nun, das Boot. Ihr seht ja, es ist kein Boot da.«

»Ich höre die Wirtsfrau sagen, es käme noch eins diesen Abend und ein Mann wollte darin übersetzen. Und wenn’s um den Hals geht, wir müssen mit ihm hinüber«, sagte Tom.

»Ihr habt doch wohl gute Hunde!« sagte Haley.

»Ausgezeichnete«, sagte Marks. »Aber die nützen uns gar nichts. Ihr habt ja nichts von ihren Sachen, um sie auf die Spur zu bringen.«

»Ei doch«, sagte Haley triumphierend. »Hier ist ihr Tuch, das sie in der Eile hat auf dem Bett liegenlassen, und auch ihr Hut ist da.«

»Das ist gut«, sagte Loker, »nur her damit.«

»Aber die Hunde könnten der Dirne Schaden tun, wenn sie plötzlich über sie herfallen«, sagte Haley.

»Das ist zu bedenken«, sagte Marks. »Unsere Hunde haben unten in Mobile mal einen Kerl in Stücke zerrissen, ehe wir sie losbringen konnten.«

»Das ginge nun freilich nicht bei Niggern, die wegen ihres Aussehens gekauft werden sollen«, sagte Haley.

»Das ist wohl wahr«, bemerkte Marks. »Außerdem nützt es nicht einmal, wenn sie jemand zu sich genommen hat. Hunde helfen einem gar nichts hier in den obern Staaten, wo sie die Nigger zu Wagen fortschaffen; natürlich findet man ihre Spur nicht. Sie helfen bloß was unten in den Plantagen, wo die Nigger, wenn sie fortlaufen, sich auf ihre eigenen Beine verlassen müssen und keine Hilfe kriegen.«

»Na«, sagte Loker, der draußen bei der Wirtin gewesen war, um sich zu erkundigen, »ich höre eben, der Mann mit dem Boote ist da; also Marks –«

Dieser Würdige warf einen bekümmerten Blick auf das bequeme Quartier, das er verlassen sollte, stand aber langsam auf, um zu gehorchen. Nach einigen Worten zu weiterer Verabredung reichte Haley mit sichtbarem Sträuben Tom die fünfzig Dollar hin, und das würdige Trio trennte sich für die Nacht.

Während dieser Auftritt in der Schenke stattfand, verfolgten Sam und Andy in einem Zustand höchster Fröhlichkeit ihren Rückweg und gelangten gegen 11 Uhr zu Hause an.

Mrs. Shelby flog an das Geländer.

»Bist du es, Sam? Wo sind sie?«

»Master Haley ruht in der Schenke aus; er ist schrecklich müde.«

»Und Elisa, Sam?«

»Die ist drüben über dem Jordan. Wie man sagen könnte, im Lande Canaan.«

»Was meinst du damit, Sam?« sagte Mrs. Shelby außer Atem und fast in Ohnmacht sinkend bei dem Gedanken an die mögliche Bedeutung dieser Worte.

»Nun, der Herr schützt die Seinen, Missis. Lizzy ist über den Fluß hinüber nach Ohio, so wunderbar, als ob der Herr sie mit einem feurigen Wagen und zwei Pferden hinüber geholt hätte.«

Sams Frömmigkeit trat in seiner Herrin Anwesenheit immer ganz besonders stark zutage, und er machte von biblischen Redensarten und Bildern sehr häufige Anwendung.

»Komm herauf, Sam«, sagte Mr. Shelby, der jetzt ebenfalls unter die Veranda trat, »und erzähle deiner Herrin, was sie wissen will. Komm, Emilie«, sagte er und umschlang sie mit dem Arm. »Du bist ganz kalt und zitterst vor Frost; du nimmst es dir gar zu sehr zu Herzen.«

»Zu sehr zu Herzen! Bin ich nicht ein Weib – eine Mutter? Sind wir nicht beide Gott verantwortlich für dieses arme Mädchen? Möge Gott diese Sünde nicht uns zur Last legen!«

»Was für eine Sünde, Emilie? Du siehst ja selbst ein, daß wir nur getan haben, was wir tun mußten.«

»Aber dennoch ist es mir immer, als ob es schrecklich sündhaft wäre«, sagte Mrs. Shelby. »Ich kann das Gefühl nicht loswerden.«

»Hier, Andy, du Nigger, mach schnell!« rief Sam unter der Veranda. »Führe die Pferde in den Stall; hörst du nicht, daß Master ruft?« Und Sam erschien bald darauf, den Palmenhut in der Hand, in der Tür des Wohnzimmers.

»Nun, Sam, erzähle uns ordentlich, wie die Sache war«, sagte Mr. Shelby. »Wo ist Elisa, wenn du’s weißt?«

»Ich habe sie mit eigenen Augen über die Eisschollen springen sehen, Master, ’s war ganz merkwürdig; ’s war ein reines Wunder; und ich sah, wie ein Mann ihr an der Ohioseite heraufhalf, und dann verschwand sie in der Abenddämmerung.«

»Sam, das Wunder kommt mir etwas apokryphisch vor. Über die Eisschollen springen ist keine leichte Sache«, sagte Mr. Shelby.

»Leicht! Kein Mensch hätte es tun können ohne den Herrn. Ich will’s Ihnen nur erzählen, wie’s zuging«, sagte Sam. »Master Haley und ich und Andy erreichten die kleine Schenke am Flusse, und ich reite ein paar Schritte voran – (ich war so eifrig, Lizzy zu fangen, daß ich mich nicht halten konnte – gar nicht) – und als ich an dem Fenster der Schenke vorbeireite; da steht sie da, gerade vor meinen Augen, und die andern kommen hinter mir hergeritten. Auf einmal verliere ich meinen Hut und schreie so laut, daß die Toten hätten davon erwachen können. Natürlich hört’s Lizzy, und sie tritt zurück, als Master Haley vorbei nach der Haustür reitet; und dann sprang sie zur Seitentür hinaus und hinunter nach dem Fluß; Master Haley aber sah sie und schrie laut, und er und ich und Andy liefen ihr nach. Sie erreichte das Ufer, und das Wasser war noch zehn Fuß breit frei, und auf der andern Seite schwanken und dämmen sich die Eisschollen, als wäre es eine große Insel. Wir kommen dicht hinter ihr her, und ich dachte schon bei meiner Seele, wir hätten sie fest – da tut sie einen Schrei, wie ich ihn nie gehört habe – und auf einmal stand sie auf der andern Seite des Wassers auf dem Eise, und nun ging’s weiter, schreiend und springend, und das Eis ging krach, und plump und platsch, und sie sprang darüber wie ein Rehbock! Gott, die Feder, die die Dirne im Leib haben muß, kann nicht klein sein, meine ich.«

Mrs. Shelby saß stumm und bleich vor Aufregung da, während Sam seine Geschichte erzählte.

»Gott sei gepriesen, sie lebt noch! Aber wo mag jetzt das arme Kind sein.«

»Der Herr wird dafür sorgen«, sagte Sam und verdrehte fromm die Augen.

»Du kannst jetzt gehen und Tante Chloe sagen, sie soll dir von dem kalten Schinken geben, der heut mittag übriggeblieben ist. Du und Andy, ihr müßt Hunger haben.«

»Missis ist viel zu gut für uns«, sagte Sam, verbeugte sich eilig und verschwand.

34. Kapitel


Der Fluchtplan

Der Dachraum von Legrees Wohnhaus war, wie fast alle Dachräume, groß, öde, staubig, mit Spinnweben überzogen und mit altem Gerümpel angefüllt. Die reiche Familie, welche das Haus in den Tagen seines Glanzes bewohnte, hatte sehr viel prächtige Möbel kommen lassen, die sie zum Teil mit fortgenommen hatte, während einzelne Stücke in modrigen unbewohnten Zimmern verlassen zurückblieben oder in diesem Raume aufgespeichert wurden. Eine oder zwei große Kisten, in welchen die Möbel eingepackt gewesen, lehnten an der Wand. In derselben bemerkte man ein kleines Fenster, welches durch seine trüben bestaubten Scheiben ein dürftiges, ungewisses Licht auf die hohen Lehnstühle und staubbedeckten Tische, die dereinst bessere Tage gesehen hatten, fallen ließ. Im ganzen war es ein unheimlicher und spukhafter Ort; aber so spukhaft er war, fehlte es unter den abergläubischen Negern nicht an Geschichten, um seine Schrecken noch zu vermehren. Vor einigen Jahren war eine Negerin, die sich Legrees Unzufriedenheit zugezogen hatte, dort mehrere Wochen eingesperrt gewesen. Was dort geschah, sagen wir nicht, die Neger flüsterten sich unbestimmte, grauenhafte Gerüchte darüber zu; aber soviel wußte man, daß man den Leichnam der Unglücklichen eines Tages herunterholte und begrub; und darauf, hieß es, ertönten Flüche und Verwünschungen und das Klatschen heftiger Hiebe durch die alte Dachkammer und vermischten sich mit dem Stöhnen und Jammern der Verzweiflung. Als Legree zufällig einmal etwas davon anhörte, geriet er in den heftigsten Zorn und schwor, dem nächsten, der Geschichten von diesem Dachraum erzählte, Gelegenheit zu geben, zu erfahren, was darin sei, denn er wolle ihn eine Woche lang dort anschließen lassen. Dieser Wink genügte, um alle im Reden behutsam zu machen, obgleich er nicht im mindesten den Glauben an die Wahrheit der Geschichten erschütterte. Allmählich gewöhnte sich jeder im Hause, weil sich jeder davon zu sprechen scheute, die nach dem Dachraum führende Treppe zu vermeiden, und die Sage wurde allmählich vergessen. Jetzt war Cassy auf einmal eingefallen, Legrees so große abergläubische Reizbarkeit zu ihrer und ihrer Leidensgefährtin Befreiung zu benutzen.

Das Schlafzimmer Cassys lag gerade unter dem Dachraume. Eines Tages begann sie auf einmal, ohne mit Legree zu Rate zu gehen, mit großer Ostentation alles Möblement des Zimmers nach einem andern, ziemlich weit entlegenen auszuräumen. Die Sklaven, welche sie dazu hatte kommen lassen, liefen mit großem Eifer und in großer Verwirrung hin und her, als Legree von einem Ausritt zurückkehrte.

»Hallo! Hallo, Cassy!« sagte Legree. »Was gibt’s denn da?«

»Nichts, ich will nur ein anderes Zimmer haben«, sagte Cassy mürrisch.

»Und weshalb, möchte ich wissen?« sagte Legree.

»Nun, ich will«, sagte Cassy.

»Zum Teufel auch! Und weshalb?«

»Weil ich doch wenigstens dann und wann ein bißchen schlafen möchte.«

»Schlafen? Nun, was hindert dich am Schlafen?«

»Ich könnte es dir wahrscheinlich sagen, wenn du es hören wolltest«, sagte Cassy trocken.

»Heraus mit der Sprache, Dirne!« sagte Legree.

»Ach, es ist nichts. Dich wird es wahrscheinlich nicht stören – es ist nur Gestöhn und ein Lärm, als ob sich Leute balgten und auf dem Fußboden im Dachraum herumwälzten. Die halbe Nacht hindurch, von zwölf Uhr bis morgens früh.«

»Leute oben im Dachraume«, sagte Legree unruhig, aber mit einem gezwungenen Lachen, »wer sollten die sein, Cassy?«

Cassy erhob ihre stechenden schwarzen Augen und blickte Legree mit einem Ausdruck an, der ihn bis auf die Knochen durchzuckte, wie sie sagte:

»Gewiß, Simon, wer sollte das sein? Ich wollte, du könntest es mir sagen. Du weißt es aber wahrscheinlich nicht!«

Mit einem Fluche schlug Legree mit der Reitpeische nach ihr; aber sie trat zur Seite, schlüpfte durch die Tür, blickte zurück und sagte: »Wenn du in dem Zimmer schlafen willst, so wirst du alles erfahren. Es wäre vielleicht das Beste, du versuchtest es«, und dann machte sie sogleich die Tür zu und verschloß sie.

Legree lärmte und fluchte und drohte, die Tür einzuschlagen; aber zugleich schien er anderen Sinns zu werden und trat voller Unruhe in das Wohnzimmer. Cassy bemerkte, daß ihr Pfeil getroffen hatte; und von dieser Stunde an hörte sie nie auf, mit der ausnehmendsten Gewandtheit das glücklich begonnene System von Einschüchterung fortzusetzen.

In einem Astloch in dem Gebälk der Dachkammer hatte sie den Hals einer alten Flasche so angebracht, daß man bei dem schwächsten Winde die kläglichsten und unheimlichsten Jammertöne vernahm, während bei starkem Winde ein schrecklicher Wehschrei daraus wurde, der leichtgläubigen und abergläubischen Ohren wie ein Schrei des Entsetzens und der Verzweiflung vorkam.

Die Dienstboten vernahmen von Zeit zu Zeit diese Klänge, und alsbald frischte sich die Erinnerung an die alte Gespenstergeschichte mit voller Kraft wieder auf. Ein abergläubischer Schreckensschauer schien das ganze Haus zu erfüllen; und obgleich niemand ein Wort davon gegen Legree zu äußern wagte, fand er sich doch davon, wie von einer Atmosphäre umfangen.

Niemand ist so vollständig abergläubisch, wie der Gottlose. Der Christ fühlt sich durch den Glauben an einen weisen allmächtigen Vater beruhigt, dessen Gegenwart die unbekannte Leere mit Licht und Ordnung ausfüllt; aber für den Menschen, der Gott entthront hat, ist das Land der Geister in der Tat nach den Worten des hebräischen Sängers »ein Land der Finsternis und ein Schatten des Todes, ohne alle Ordnung, wo das Licht ist wie die Nacht«. Das Leben und der Tod sind ihm unheimliche Regionen, die mit Koboldsgestalten von unbestimmtem und schattenhaftem Grausen erfüllt sind.

Das schlummernde sittliche Gefühl in Legree war in ihm durch seine Gespräche mit Tom geweckt worden – nur um von der entschlossenen Kraft des Bösen niedergekämpft zu werden; aber doch klang noch in der dunklen, innerlichen Welt eine bebende Erschütterung nach, welche die Entstehung abergläubischer Furcht beförderte. Cassys Herrschaft über ihn war von einer seltsamen und eigentümlichen Art. Er war ihr Besitzer, ihr Tyrann und ihr Peiniger; sie war, wie er wußte, ganz und ohne jede Möglichkeit der Hilfe in seiner Gewalt; und dennoch kommt es vor, daß selbst der roheste Mann nicht in beständiger Gesellschaft eines starken weiblichen Charakters leben kann, ohne von ihm bedeutend beeinflußt zu werden. Als er sie zuerst gekauft hatte, war sie, wie sie erzählt hatte, ein in Luxus und Bildung erzogenes Weib; und dann zertrat er sie ohne Besinnen unter dem Fuße seiner Roheit. Aber wie die Zeit und entwürdigende Einflüsse und Verzweiflung ihren weiblichen Sinn verhärteten und die Flammen wilderer Leidenschaften anschürten, war sie gewissermaßen seine Herrin geworden, und er tyrannisierte und fürchtete sie abwechselnd. Dieser Einfluß war noch peinigender und entschiedener geworden, seit halber Wahnwitz allen ihren Worten und ihrem Tun einen seltsamen unheimlichen Anstrich gab.

Ein oder zwei Abende nach diesem Gespräch saß Legree in dem gewöhnlichen Zimmer neben einem flackernden Holzfeuer, welches die ganze Umgebung mit ungewissem Schimmer beleuchtete. Es war eine stürmische Nacht, wo in halb verfallenen alten Häusern gewöhnlich eine Unzahl von unbeschreiblichen Tönen zu vernehmen ist. Fenster rasselten, Läden klapperten, der Wind kam polternd die Esse herabgefahren und wirbelte allemal rauchend Asche empor, als ob eine Legion Gespenster hinter ihm drein kämen. Legree hatte seit einigen Stunden Rechnungen abgeschlossen und Zeitungen gelesen, während Cassy in einem Winkel saß und mürrisch ins Feuer blickte. Legree legte die Zeitung hin, und da er auf dem Tische ein altes Buch liegen sah, in welchem Cassy während der früheren Abendstunden gelesen hatte, so nahm er es und blätterte darin. Es war eine von jenen Sammlungen von Mord- und Gespenstergeschichten, die in ihrer grobrealistischen Darstellung eine seltsame Anziehungskraft auf den ausübten, der sie einmal zu lesen anfängt.

Legree schüttelte zweifelnd und höhnisch den Kopf, las aber eine Seite nach der andern, bis er nach einer Weile das Buch mit einem Fluche hinwarf.

»Du glaubst doch nicht an Gespenster, Cassy?« sagte er, indem er die Zange ergriff und das Feuer schürte. »Ich dachte, du hättest Verstand genug, dich nicht von leerem Gelärm einschüchtern zu lassen.«

»’s ist einerlei, was ich glaube«, sagte Cassy mürrisch.

»Früher versuchten sie mich immer auf dem Meere mit ihren Geschichten zu fürchten zu machen«, sagte Legree, »’s ist ihnen nie gelungen. Ich bin zu zähe für solch dummes Zeug, sage ich dir.« Cassy sah ihn aus ihrem dunklen Winkel scharf an. In ihrem Auge funkelte das seltsame Licht, welches Legree stets mit Unruhe erfüllte.

»Der Lärm war von weiter nichts, als von Ratten und vom Winde«, sagte Legree. »Ratten können einen Höllenlärm machen. Ich habe sie manchmal unten im Schiffsraume gehört; und der Wind – Teufel! aus dem Winde kann man alles machen.«

Cassy wußte, daß Legree von ihrem Blick unruhig wurde, und deshalb antwortete sie nicht, sondern starrte ihn mit demselben seltsamen unheimlichen Ausdruck wie vorher an.

»Heraus mit der Sprache, Weib – du bist anderer Meinung?« sagte Legree.

»Können Ratten die Treppe herunterkommen und durch den Gang schreiten und eine Türe öffnen, wenn du sie verschlossen und einen Stuhl dagegengestellt hast?« sagte Cassy. »Und können sie trapp, trapp, trapp, gerade auf dein Bett losschreiten und ihre Hand ausstrecken, so?« Cassy hatte ihre glitzernden Augen starr auf Legree geheftet, während sie sprach, und er stierte sie an, wie ein Mann, den ein böser Traum gefangenhält, bis er, wie sie zuletzt ihre ruhig kalte Hand auf die seine legte, mit einem Fluche zurücksprang.

»Weib, was meinst du, hast du das gesehen?«

»O nein – natürlich nicht – hätte ich das gesagt?« sagte Cassy mit kaltem Hohnlächeln.

»Aber hast du es wirklich gesehen? Sage, Cassy, was war’s eigentlich sprich dich aus!«

»Du kannst selbst dort schlafen«, sagte Cassy, »wenn du’s wissen willst.«

»Kam es aus dem Dachraume, Cassy?«

»Es – was?« sagte Cassy.

»Nun, was du erzähltest.«

»Ich habe dir nichts erzählt«, sagte Cassy mit mürrischer Verstocktheit. Legree ging unruhig im Zimmer auf und ab.

»Das muß untersucht werden. Heute abend noch werde ich nachsehen. Ich nehme meine Pistolen –«

»Tu das«, sagte Cassy, »schlafe in dem Zimmer. Ich möchte wirklich, du tätest es. Schieß mit deinen Pistolen danach – tue es!« Legree stampfte mit dem Fuße und fluchte fürchterlich.

»Fluche nicht«, sagte Cassy. »Niemand kann wissen, wer dich hört. Horch! Was war das?«

»Was?« sagte Legree aufschreckend.

Eine schwere alte Wanduhr, die in einer Ecke des Zimmers stand, schlug langsam zwölf.

Aus einem oder dem anderen Grunde konnte Legree weder sprechen noch sich regen, ein dumpfes Entsetzen hielt ihn gefangen, während Cassy ihn mit einem stechenden, höhnischen Glanz im Auge ansah und die Schläge zählte.

»Zwölf Uhr, jetzt wollen wir sehen«, sagte sie, indem sie sich umdrehte und die auf den Gang führende Tür öffnete und stehenblieb, wie um zu lauschen.

»Horch! Was ist das?« sagte sie und erhob den Finger.

»Es ist bloß der Wind«, sagte Legree. »Hörst du nicht, wie verwünscht es draußen stürmt.«

»Simon, komm hierher«, sagte Cassy flüsternd, indem sie seine Hand ergriff und ihn an den Fuß der Treppe führte. »Weißt du, was das ist? Horch!«

Ein wilder Schrei gellte die Treppe herunter. Er kam aus dem Dachraum. Legree wankten die Knie, sein Gesicht wurde weiß vor Furcht.

»Willst du nicht deine Pistolen holen?« sagte Cassy mit einem Hohnlächeln. »Es ist Zeit, daß wir die Sache untersuchen, das ist gewiß. Ich wollte, du gingest jetzt hinauf, sie sind dabei.«

»Ich gehe nicht«, sagte Legree mit einem Fluche.

»Warum nicht? Wir wissen ja, es gibt keine Gespenster! Komm!« Und Cassy sprang lachend die gewundene Treppe hinauf und sah sich nach ihm um. »Komm mit!«

»Ich glaube, du bist wirklich der Teufel«, sagte Legree. »Komm herunter, du Hexe – komm herunter, Cassy! Du sollst nicht hinaufgehen!«

Aber Cassy lachte wild auf und flog vollends hinauf. Er hörte sie die Tür des Dachraums aufmachen. Ein heftiger Windstoß fuhr herunter und löschte das Licht aus, welches er in der Hand hielt, und zugleich erscholl ein entsetzliches, gespenstisches Gekreisch; es war ihm, als ob es ihm unmittelbar ins Ohr gellte.

Wie wahnwitzig stürzte Legree ins Zimmer zurück, wohin ihm in wenigen Augenblicken Cassy folgte, bleich, ruhig, kalt, wie ein Racheengel und mit dem alten grauenerregenden Funkeln in dem Auge.

»Ich hoffe, du bist zufrieden gestellt«, sagte sie.

»Verwünscht seist du, Cassy!« sagte Legree.

»Weshalb?« sagte Cassy. »Ich bin nur hinaufgegangen und habe die Tür zugemacht. Was mag es wohl mit diesem Dachraume für ein Bewenden haben, Simon?« sagte sie.

»Das geht dich nichts an!« sagte Legree.

»Wirklich nicht? Nun, jedenfalls freut es mich, daß ich nicht darunter schlafe!« sagte Cassy.

Als Cassy sah, daß der Abend stürmisch werden würde, war sie oben im Dachraume gewesen und hatte die Fenster geöffnet. Natürlich mußte nun, wie sie die Tür aufmachte, ein heftiger Zug entstehen und das Licht auslöschen.

Das mag als eine Probe des Spiels dienen, welches Cassy Legree vorgaukelte, bis er lieber seinen Kopf in eines Löwen Rachen gesteckt hätte, als in diesen Dachraum. Unterdessen brachte Cassy nachts, wenn alle übrigen schliefen, langsam und vorsichtig einen für längere Zeit ausreichenden Vorrat Lebensmittel zusammen. Sie trug auch Stück für Stück den größten Teil von ihrer und Emmelines Garderobe hinauf. Als alles soweit fertig war, wartete sie nur noch auf eine geeignete Gelegenheit, um ihren Plan auszuführen.

In einer gutgelaunten Stunde hatte Cassy Legree das Versprechen abgeschmeichelt, sie mit nach der nächsten Stadt zu nehmen, die unmittelbar am Red River lag. Er hielt sein Versprechen, und sie merkte sich mit einem zu fast übernatürlicher Klarheit geschärften Gedächtnis jede Wendung des Weges und schätzte bei sich die Zeit ab, die sie auf die Zurücklegung desselben werde verwenden müssen.

Mittlerweile war die Zeit gekommen, wo alles zur Tat reif war, und unseren Lesern wird es vielleicht nicht uninteressant sein, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, um den letzten Meisterstreich vorbereiten zu sehen.

Es war gegen Abend.

Legree hatte einen Ritt auf eine benachbarte Farm gemacht. Seit vielen Tagen hatte sich Cassy ungewöhnlich gnädig und nachgiebig in ihren Launen gezeigt, und sie und Legree hatten allem Anschein nach auf dem besten Fuße miteinander gestanden. Jetzt finden wir sie und Emmeline in dem Zimmer der letzteren mit dem Zusammensuchen und Packen zweier Bündel beschäftigt.

»So, das wird genug sein«, sagte Cassy. »Jetzt setz deinen Hut auf und laß uns aufbrechen: Es ist jetzt gerade die rechte Zeit.«

»Aber sie können uns ja noch sehen«, sagte Emmeline.

»Das sollen sie ja«, sagte Cassy ruhig. »Siehst du nicht, daß wir ihnen jedenfalls das Vergnügen lassen müssen, uns zu verfolgen? Wir machen es so: Wir stehlen uns zur Hintertür hinaus und laufen nach den Baracken zu. Sambo oder Quimbo sieht uns gewiß. Sie verfolgen uns, und wir flüchten in den Sumpf; dann können sie uns nicht weiterverfolgen, sondern müssen erst nach dem Hause zurück und Lärm machen und die Hunde losketten usw.; und während sie herumlärmen und übereinanderstolpern, wie sie es immer machen, schleichen wir uns in den Bach, der hinter dem Hause läuft, und waten in ihm fort, bis wir der Hintertür gegenüber kommen. Dadurch werden die Hunde irre, denn sie verlieren die Spur im Wasser. Alles wird aus dem Hause fortlaufen, um uns zu suchen, und dann schlüpfen wir zur Hintertür herein und hinauf in den Dachraum, wo ich in einer der großen Kisten ein hübsches Bett zurechtgemacht habe. In dem Dachraume müssen wir eine ziemliche Zeit bleiben, denn ich sage dir, er wird Himmel und Erde aufbieten, uns zu fangen. Er wird ein paar von den alten Sklavenaufsehern von den anderen Plantagen kommen lassen und eine große Jagd anstellen; und sie werden keinen Zollbreit von diesem Sumpfe undurchsucht lassen. Er prahlt damit, daß ihm noch kein Sklave entflohen ist. So mag er denn suchen, solange es ihm gefällt.«

»Cassy, wie gut du dir alles ausgedacht hast!« sagte Emmeline. »Wer anders als du hätte jemals darauf kommen können?«

Weder Freude noch Frohlocken zeigte sich in Cassys Augen – nur eine verzweiflungsvolle Entschlossenheit.

»Komm«, sagte sie und reichte Emmeline die Hand.

Die beiden Flüchtlinge schlüpften geräuschlos aus dem Hause und eilten durch die dichter werdenden Schatten des Abends die Baracken entlang. Der zunehmende Mond am westlichen Himmel verzögerte ein wenig den Eintritt der Nacht. Wie Cassy erwartete, hörten sie, als sie den Rand der die Plantage umgebenden Sümpfe fast erreicht hatten, eine Stimme hinter sich halt rufen. Es war jedoch nicht Sambo, sondern Legree, der sie mit heftigen Verwünschungen verfolgte. Der Ton machte den schwächeren Charakter Emmelines wanken.

Sie ergriff Cassy beim Arme und sagte:

»O Cassy, ich werde ohnmächtig!«

»Dann mußt du sterben!« sagte Cassy, indem sie ein kleines Stilett hervorzog und es vor den Augen des Mädchens funkeln ließ.

Die Drohung erfüllte ihren Zweck. Emmeline fiel nicht in Ohnmacht, sondern stürzte sich mit Cassy in einen Teil des Sumpflabyrinths, welcher so tief und dunkel war, daß Legree jede Hoffnung aufgeben mußte, ihnen ohne weiteren Beistand zu folgen.

»Na, jedenfalls sind sie jetzt in die Falle gelaufen – die Bälger!« sagte er und lachte brutal in sich hinein. »Jetzt haben wir sie sicher. Sie sollen mir dafür schwitzen!«

»Heda, Sambo! Quimbo! Alles zuhauf!« rief Legree vor den Baracken, wo die Männer und Frauen eben von der Arbeit kamen. »Es sind zwei Flüchtlinge im Sumpf. Jeder Nigger, der sie fängt, kriegt fünf Dollar. Laßt die Hunde los! Laßt Tiger und Fury und die übrigen los!«

Die Aufregung, welche diese Nachricht auf der Stelle hervorbrachte, war groß. Viele kamen diensteifrig gesprungen, um ihre Hilfe anzubieten, teils von der Aussicht auf die Belohnung, teils von der kriechenden Dienstwilligkeit bewogen, welche eine der schädlichsten Folgen der Sklaverei ist. Einige rannten dorthin, andere dahin. Einige wollten Fackeln von Fichtenästen holen. Andere ketteten die Hunde los, deren heiseres wildes Gebell die Lebendigkeit der Szene nicht wenig vermehrte.

»Master, sollen wir sie schießen, wenn wir sie nicht haschen können?« sagte Sambo, dem sein Herr eine Büchse herausbrachte.

»Auf Cassy könnt ihr schießen, wenn ihr Lust habt. Es ist Zeit, daß sie zum Teufel geht, wohin sie gehört; aber auf das Mädchen nicht«, sagte Legree. »Und jetzt, Burschen, seid munter und flink. Fünf Dollar demjenigen, der sie hascht, und außerdem ein Glas Branntwein für jeden von euch!«

Die ganze Schar eilte unter dem Schimmer flammender Fackeln und Geheul und wildem Gebrüll von Menschen und Tieren nach dem Sumpfe, und eine Strecke liefen alle im Hause Beschäftigten dem Haufen nach. Deshalb war das ganze Haus verlassen, als Cassy und Emmeline zur Hintertür hereinschlüpften. Das Geschrei und Gebrüll ihrer Verfolger schallte noch durch die Luft; und aus den Fenstern des Wohnzimmers konnten Cassy und Emmeline sehen, wie sich der Haufe mit den Fackeln eben am Rande des Sumpfes entlang ausbreitete.

»Sieh!« sagte Emmeline zu Cassy. »Die Jagd hat angefangen. Sieh, wie die Lichter herumtanzen! Horch, die Hunde, horch! Hörst du nicht? Wenn wir dort wären, wäre unser Leben keine Picayune wert. O, um Gottes willen, wir wollen uns verstecken. Rasch!«

»Wir haben keine Veranlassung zu eilen«, sagte Cassy kaltblütig. »Sie sind alle der Jagd nachgelaufen – das ist der Spaß des heutigen Abends! Wir werden seinerzeit schon hinaufgehen. Unterdessen will ich für die Reisekosten sorgen«, sagte sie und holte ruhig einen Schlüssel aus der Tasche des Rocks, den Legree in der Eile hingeworfen hatte.

Sie schloß den Schreibtisch auf und nahm einen Packen Banknoten heraus, den sie rasch überzählte.

»Ach, tu das doch nicht«, sagte Emmeline.

»Warum nicht?« sagte Cassy. »Willst du, daß wir in den Sümpfen verhungern sollen oder Geld genug haben, um die freien Staaten erreichen zu können? Mit Geld kann man alles ausrichten, Mädchen.« Und mit diesen Worten steckte sie das Geld in ihren Busen.

»Das ist aber gestohlen«, flüsterte Emmeline fast weinend.

»Gestohlen?« sagte Cassy mit höhnischem Lachen. »Die, welche Leib und Seele stehlen, sollen uns nicht damit kommen. Jede dieser Banknoten ist gestohlen – gestohlen von armen, verhungernden, geplagten Geschöpfen, die zuletzt zu seinem Nutzen zum Teufel gehen müssen. Er soll mir vom Stehlen sprechen! Aber wir können ebensogut hinaufgehen; ich habe einen Vorrat Lichter und einige Bücher, um uns die Zeit zu vertreiben. Ich bin ziemlich sicher, daß sie uns dort nicht suchen werden. Wenn sie’s tun, so will ich ihnen schon ein Gespenst zeigen.«

Als Emmeline in den Dachraum trat, fand sie eine große Kiste, in der früher verschiedene schwere Möbel eingepackt gewesen, die aber jetzt auf die eine Seite gestellt war, so daß die offene Seite nach der Mauer oder vielmehr der Dachrinne zugekehrt stand.

Cassy zündete eine kleine Lampe an, und nun krochen sie unter der Dachrinne herum und nahmen in der Kiste Platz. Ein paar kleine Matratzen und einige Kissen lagen darin; ein Kasten in der Nähe enthielt reichlichen Vorrat von Lichtern, Lebensmitteln und den zu ihrer Reise nötigen Kleidungsstücken, die Cassy in Bündel von merkwürdig kleinem Umfang zusammengeschnürt hatte.

»Da«, sagte Cassy, wie sie die Lampe an einen kleinen Haken hing, den sie zu diesem Zweck in die Seitenwand der Kiste geschlagen hatte, »das ist für jetzt unsere Wohnung. Wie gefällt sie dir?«

»Bist du sicher, daß sie uns nicht im Dachraume suchen?«

»Ich möchte Simon Legree hier sehen«, sagte Cassy. »Nein, sie kommen gewiß nicht. Er wird zu froh sein, wegbleiben zu können. Was die Dienstboten betrifft, so würde sich jeder von ihnen lieber erschießen lassen, als daß er hier hereinguckte.«

Einigermaßen beruhigt, setzte sich Emmeline wieder auf ihr Kissen.

»Was meintest du, Cassy, als du sagtest, du wolltest mich töten?« sagte sie voll Einfalt.

»Ich wollte dich abhalten, in Ohnmacht zu fallen«, sagte Cassy, »und es gelang auch. Und jetzt sage ich dir, Emmeline, du mußt dich entschließen, nicht ohnmächtig zu werden, was auch kommen mag. Das ist ganz und gar nicht nötig. Wenn ich dich nicht abgehalten hätte, wärst du jetzt in der Gewalt dieses Elenden.«

Emmeline überlief ein Schauer.

Einige Zeitlang saßen die beiden schweigend nebeneinander. Cassy las in einem französischen Buche; Emmeline sank von der Erschöpfung überwältigt, in einen Halbschlummer und schlief einige Zeit. Lautes Rufen und Schreien, Pferdegetrappel und Hundegebell weckte sie.

Mit einem leisen Aufschrei fuhr sie auf.

»Die Jäger sind wieder zurück – weiter ist’s nichts«, sagte Cassy ruhig. »Fürchte dich nicht. Sieh zu diesem Astloch hinaus. Siehst du sie alle unten? Simon muß es für diese Nacht sein lassen. Schau nur, wie schmutzig sein Pferd ist vom Herumwaten im Sumpfe; die Hunde sehen auch etwas demütig aus. Ja, mein lieber Mann, Ihr werdet die Jagd noch manchmal versuchen müssen – das Wild ist nicht da.«

»Ach, sprich doch nicht!« sagte Emmeline. »Wenn sie dich hören.«

»Wenn sie etwas hören, so werden sie sich ganz besonders in acht nehmen, nicht hierherzukommen«, sagte Cassy. »Dabei ist keine Gefahr, wir können so viel Lärm machen, wie wir wollen – wir vergrößern nur den Effekt damit.«

Endlich herrschte mitternächtliche Stille über dem ganzen Hause. Sein Unglück verwünschend und grimmige Rache für den nächsten Tag schwörend, ging Legree zu Bett.

35. Kapitel


Der Märtyrer

Die Flucht Cassys und Emmelines reizten das schon vorher erbitterte Gemüt Legrees bis auf den höchsten Grad auf, und seine Wut traf, wie zu erwarten war, das schutzlose Haupt Toms. Als er in seiner Eile seinen Leuten die Nachricht ankündigte, war in Toms Auge ein plötzliches Aufleuchten und ein rasches Emporheben der Hände gen Himmel zu bemerken gewesen, das ihm nicht entgangen war. Er sah, daß er sich nicht unter die Verfolger mischte. Anfangs wollte er ihn dazu zwingen, aber da er aus alter Erfahrung seine Unbeugsamkeit kannte, wenn man ihm befahl, an einer unmenschlichen Tat teilzunehmen, so wollte er sich in seiner Eile nicht durch einen Streit mit ihm aufhalten.

Daher blieb Tom mit ein paar andern, die von ihm beten gelernt hatten, zurück und schickte Gebete für das glückliche Entkommen der Flüchtlinge zum Himmel empor.

Als Legree mißvergnügt über die vergebliche Jagd zurückkehrte, fing der lang gesammelte Haß seiner Seele gegen seinen Sklaven sich zu einem vernichtenden Sturme zu sammeln an. Hatte ihm nicht dieser Mann getrotzt – standhaft, kraftvoll und unwiderstehlich, seitdem er ihn gekauft hatte? War nicht ein Geist in ihm, der, so stumm er war, in ihm wie die Gluten der Verdammnis brannte?

»Ich hasse ihn!« sagte Legree, wie er sich in dieser Nacht im Bette in die Höhe setzte. »Ich hasse ihn. Und ist er nicht mein Eigentum? Kann ich nicht mit ihm machen, was mir gefällt? Wer soll mich daran hindern, möchte ich wissen!« Und Legree ballte die Faust und schüttelte sie, als hätte er etwas in den Händen, was er in Stücke zerreißen könnte.

Aber dann war Tom ein getreuer, wertvoller Diener; und obgleich ihn Legree deshalb um so mehr haßte, so legte ihm doch diese Rücksicht wenigstens einigermaßen einen Zaum an.

Den nächsten Morgen beschloß er, noch nichts zu sagen; eine Jagdgesellschaft aus einigen benachbarten Plantagen mit Hunden und Flinten zu versammeln; den Sumpf zu umstellen, und die Jagd systematisch zu betreiben. Wenn sie Erfolg hatte, dann war die Sache gut, wenn nicht, so wollte er Tom vor sich laden, und – er knirschte die Zähne zusammen, und sein Blut kochte in ihm – dann wollte er den Trotz dieses Burschen brechen, oder – er flüsterte sich innerlich ein grausenhaftes Wort zu, dem seine Seele beistimmte.

Man liest oft, daß das Interesse des Herrn ein genügender Schutz für den Sklaven sei. Der Mensch verkauft in der Wut seines wahnsinnigen Willens wissentlich und mit offenem Auge, um sein Ziel zu erreichen, seine eigene Seele dem Teufel; und wird er mit seines Nachbars Leib sorglicher umgehen?

»Ha«, sagte Cassy am nächsten Tag in der Dachkammer, wie sie durch das Astloch rekognoszierte. »Die Jagd soll heute von neuem beginnen!«

Drei oder vier Reiter galoppierten vor dem Hause herum; und ein oder zwei Koppel fremder Hunde zerrten sich mit den Negern, welche sie hielten, herum und bellten und knurrten einander an.

Zwei von den Männern sind Aufseher von benachbarten Plantagen; andere gehörten zu Legrees Zechgesellen aus der Schenke einer benachbarten Stadt und waren bloß zur Befriedigung ihrer Jagdlust hergekommen. Eine Sammlung von konfiszierteren Gesichtern konnte man sich vielleicht nicht denken. Legree schenkte ihnen fleißig Branntwein ein, wie auch den Negern, die von den verschiedenen Plantagen zur Jagd hergeschickt worden waren, denn es war Maxime, jeden Dienst dieser Art für die Neger soviel als möglich zu einem Feiertage zu machen.

Cassy legte das Ohr an das Astloch; und da der Morgenwind gerade auf das Haus zuwehte, konnte sie ziemlich viel von der Unterhaltung belauschen. Ein düsteres Lächeln des Hohns überzog den finsteren, strengen Ernst ihres Gesichts, wie sie horchte und vernahm, wie sie die Striche verteilten, die Vorzüge der Hunde besprachen und Befehle wegen des Schießens und der Behandlung der Flüchtlinge, wenn sie eingefangen würden, gaben.

Cassy zog sich zurück und sagte, indem sie die Hände zusammenschlug und gen Himmel blickte: »O großer, allmächtiger Gott! Wir sind alle Sünder; aber was haben wir getan, mehr als alle übrigen auf der Welt, daß man uns so behandelt?«

Ein schrecklicher Ernst lag auf ihrem Gesichte und in ihrer Stimme, wie sie sprach.

»Wenn es nicht deinetwegen wäre, Kind«, sagte sie mit einem Blick auf Emmeline, »so ginge ich hinaus zu ihnen, und ich würde dem von ihnen danken, der mich niederschösse, denn was nützt mir die Freiheit? Kann sie mir meine Kinder zurückgeben oder mich wieder zu dem machen, was ich früher war?«

In ihrer kindischen Einfalt fürchtete sich Emmeline etwas vor den melancholischen Anfällen Cassys. Sie sah betroffen aus, aber gab keine Antwort. Sie ergriff nur ihre Hand mit einer sanften liebkosenden Bewegung.

»Nein, tu das nicht!« sagte Cassy und versuchte ihr die Hand zu entziehen. »Du gewöhnst mich daran, dich zu lieben, und ich will nie wieder etwas auf Erden lieben!«

»Arme Cassy!« sagte Emmeline. »Sprich nicht so! Wenn der Herr uns die Freiheit schenkt, wird er dir vielleicht auch deine Tochter zurückgeben; jedenfalls werde ich dir eine Tochter sein – ich weiß, ich werde meine arme alte Mutter nie wieder sehen! Ich werde dich lieben, Cassy, magst du mich lieben oder nicht.«

Das sanfte, kindliche Gemüt siegte. Cassy setzte sich neben sie, umschlang sie mit ihrem Arme, streichelte ihr weiches, braunes Haar; und Emmeline sah dann verwundert die Schönheit ihrer herrlichen Augen, die jetzt von dem sanfteren Glänze der Tränen leuchteten.

»O Emmeline!« sagte Cassy. »Ich habe für meine Kinder gehungert und gedurstet, und meine Augen verdunkeln sich vor Sehnsucht nach ihnen! Hier! Hier!« und sie schlug sich auf die Brust. »Hier ist alles wüst und leer! Wenn Gott mir meine Kinder zurückgäbe, dann könnte ich beten.«

»Du mußt auf ihn vertrauen, Cassy«, sagte Emmeline, »er ist unser Vater!«

»Sein Zorn lastet auf uns«, sagte Cassy, »er hat sich im Grimm von uns weggewendet.«

»Nein, Cassy! Er wird es gut mit uns machen! Wir wollen auf ihn hoffen«, sagte Emmeline. »Ich habe immer Hoffnung gehabt!«

Die Jagd war lang, lebhaft und gründlich, aber erfolglos; und mit ernstem, ironischem Frohlocken blickte Cassy auf Legree herab, als er müde und übel gelaunt vom Pferde stieg.

»Quimbo«, sagte Legree, wie er sich im Wohnzimmer hinstreckte, »jetzt gehst du auf der Stelle hin und holst den Tom her! Der alte Höllenbraten ist in die ganze Sache eingeweiht; und ich will’s aus seinem alten, schwarzen Fell heraushaben, oder er soll mir büßen.«

Sambo und Quimbo waren beide, obgleich sie einander haßten, darin eines Sinnes, daß sie Tom nicht minder aufrichtig haßten. Legree hatte ihnen erzählt, daß er ihn anfangs zu einem Oberaufseher während seiner Abwesenheit bestimmt habe; und das hatte in sie einen Keim des Hasses gelegt, der in ihrer niedrigen und schlechten Seele gewachsen war, wie sie bemerkten, daß der Herr immer schlimmer gegen ihn gesinnt wurde. Quimbo eilte daher bereitwillig fort, um den Befehl auszuführen.

Tom hörte die Botschaft mit ahnendem Herzen. Aber er kannte den ganzen Plan der Flüchtlinge, und wo sie jetzt versteckt waren. Er kannte den schonungslosen Charakter des Mannes, mit dem er zu tun hatte, und seine despotische Macht. Aber er fühlte sich stark in Gott, dem Tode zu begegnen, ehe er die Hilflosen verriet.

Er setzte seinen Korb neben die Reihe hin, und sagte mit einem Blick gen Himmel: »In Deine Hände befehl ich meinen Geist! Du hast mich erlöset, Herr, Du treuer Gott!« Und dann fügte er sich ruhig der rauhen, brutalen Faust, mit der Quimbo ihn packte.

»Ja, ja!« sagte der Riese, wie er ihn fortschleppte. »Diesmal wirst du’s schon kriegen! Master ist gar giftig, diesmal! Diesmal hilft kein Herauslügen! Heute kriegst du’s, darauf kannst du dich verlassen! Wirst schon sehen, was es heißt, Masters Niggern fortlaufen zu helfen! Wirst schon sehen, was du kriegst!« Von den drohenden Worten erreichte keines sein Ohr – eine höhere Stimme sprach zu ihm: »Fürchte dich nicht vor denen, so den Leib töten, und die Seele nicht mögen töten.« Von diesen Worten erzitterten Nerven und Gebeine des unglücklichen Mannes, als berührte sie der Finger Gottes; und er fühlte die Kraft von tausend Seelen in sich. Wie er vorüberging, schienen die Bäume und die Gebüsche, die Hütten seiner Knechtschaft, das ganze Schauspiel seiner Erniedrigung vor ihm vorbeizufliegen wie die Landschaft vor dem dahinrollenden Wagen. Seine Seele erbebte. Seine Heimat stand ihm vor Augen – und die Stunde der Erlösung schien zu nahen. »Nun, Tom«, sagte Legree, indem er auf ihn zutrat und ihn grimmig beim Kragen packte, wobei er in einem Paroxismus entschlossener Wut durch die Zähne sprach, »weißt du, daß ich mich entschlossen habe, dich totzuschlagen?«

»Das ist sehr wahrscheinlich, Master«, sagte Tom ruhig.

»Ich – habe – mich – dazu – entschlossen«, sagte Legree mit finsterer, schrecklicher Ruhe, »wenn du mir nicht sagst, was du von diesen Dirnen weißt.«

Tom schwieg.

»Hörst du!« sagte Legree mit dem Fuße stampfend und brüllte wie ein wütender Löwe. »Sprich!«

»Ich habe Ihnen nichts zu sagen, Master«, sagte Tom mit langsamem, festem, überlegtem Tone.

»Wagst du mir zu sagen, du wüßtest nichts, du alter, schwarzer Christ?« sagte Legree.

Tom schwieg.

»Sprich!« donnerte Legree und versetzte ihm einen wütenden Schlag.

»Weißt du etwas?«

»Ich weiß etwas, Master, aber ich kann nichts sagen. Ich kann sterben!«

Legree holte tief Atem, und seine Wut unterdrückend, packte er Tom beim Arm, näherte sein Gesicht dem des Negers, daß er es fast berührte, und sagte mit schrecklicher Stimme: »Höre, Tom – du glaubst, weil ich dich schon einmal habe so laufenlassen, meinte ich nicht, was ich sage, aber diesmal habe ich meinen Entschluß gefaßt und den Schaden berechnet. Du hast dich immer gegen mich aufgelehnt. Jetzt will ich deinen Trotz brechen oder dich totschlagen! Eins oder das andere. Ich will jeden Tropfen Blut, den du im Leibe hast, zählen, und dir jeden einzeln abzapfen, bis du nachgibst.«

Tom blickte seinen Herrn an und antwortete: »Master, wenn Sie krank wären oder in Not oder mit dem Tode kämpften, und ich könnte Sie retten, so gäbe ich mein Herzblut hin; und wenn das Abzapfen jedes Bluttropfens aus diesem armen alten Leichnam Ihre unsterbliche Seele retten könnte, so gäbe ich es gern hin, wie der Herr sein Blut für mich vergossen hat. O Master, bringen Sie diese große Sünde nicht auf Ihre Seele, es wird Ihnen mehr Schaden tun als mir! Tun Sie das Schlimmste, was Sie können, meine Qual ist bald vorbei; aber wenn Sie nicht bereuen, wird Ihre Qual nie zu Ende gehen!«

Wie eine wunderbare Strophe himmlischer Musik, die in der Pause eines Sturmes vernommen wird, brachte dieser Gefühlsausbruch ein kurzes Schweigen hervor. Legree stand betroffen da und sah Tom an; und so tief war das Schweigen, daß man das Ticken der alten Uhr hören konnte, welche mit stummem Zeiger die letzten Augenblicke der Barmherzigkeit und der Prüfungszeit für dieses verhärtete Herz maß.

Es war nur ein Augenblick. Eine einzige zögernde Pause, ein unentschlossenes, bereuendes Schwanken, und der Geist des Bösen kehrte zurück mit fieberhafter Gewalt, und Legree schlug wutschäumend sein Opfer zu Boden.

»Es ist fast vorbei mit ihm, Master«, sagte Sambo, wider seinen Willen gerührt von der Geduld seines Opfers.

»Schlagt zu, bis er nachgibt! Gebt es ihm! Gebt es ihm!« brüllte Legree. »Jeder Blutstropfen muß aus seinem Leibe heraus, wenn er nicht bekennt.«

Tom schlug die Augen auf und blickte seinen Herrn an. »Ihr armen, sündhaften Kreaturen!« sagte er. »Ihr könnt mir weiter nichts tun! Ich vergebe euch von ganzer Seele!« Und das Bewußtsein verließ ihn.

»Ich glaube wahrhaftig, es ist endlich aus mit ihm«, sagte Legree und trat näher, um ihn zu besehen. »Ja, es ist aus mit ihm! Na, so wäre ihm endlich das Maul gestopft – das ist ein Trost!«

Ja, Legree, aber wer soll die Stimme in deiner Seele zum Schweigen bringen – in dieser Seele, die weder Reue noch Gebet, noch Hoffnung mehr retten kann und in welcher das Feuer, das nie gelöscht werden soll, bereits brannte?

Aber Tom war noch nicht ganz tot. Seine wunderbaren Worte und frommen Gebete hatten die Herzen der vertierten Schwarzen gerührt, welche sich als Werkzeuge der Grausamkeit gegen ihn hatten brauchen lassen; und kaum hatte Legree sich entfernt, so banden sie ihn los und versuchten ihn in ihrer Unwissenheit wieder ins Leben zurückzurufen – als ob das ihm eine Wohltat gewesen wäre.

»Ach, wir haben etwas schrecklich Böses getan!« sagte Sambo. »Hoffe, Master wird’s zu verantworten haben und nicht wir.«

Sie wuschen seine Wunden – sie bereiteten ihm ein notdürftiges Lager aus Ausschußbaumwolle, damit er daruf ruhen könne; und einer schlich sich nach dem Hause und bettelte sich ein Glas Branntwein von Legree, unter dem Vorwande, daß er erschöpft sei und es für sich haben wolle. Er brachte es in die Hütte und goß es Tom in den Mund.

»Ach, Tom!« sagte Quimbo. »Wir haben entsetzlich schlecht an dir gehandelt.«

»Ich vergebe euch von ganzem Herzen!« sagte Tom mit schwacher Stimme.

»O Tom, sage uns doch, wer Jesus ist«, sagte Sambo. – »Jesus, der dir die ganze Nacht hindurch beigestanden hat! – Wer ist das?«

Die Frage weckte den schwindenden Geist. Er ergoß sich in ein paar energischen Worten über den Wunderbaren, über sein Leben, über seinen Tod, seine immerwährende Gegenwart und seine Macht zu erlösen.

Und die beiden verwilderten Gemüter fingen an zu weinen.

»Warum habe ich nie früher davon gehört?« sagte Sambo. »Aber ich glaube daran! – Ich kann nicht anders! Herr Jesus, habe Erbarmen mit uns!«

»Ihr armen Geschöpfe!« sagte Tom. »Gern will ich alles tragen, was mir auferlegt wird, wenn ich euch Christus zuführen kann! O Herr, ich bitte Dich, gib mir auch noch diese beiden Seelen!«

Und das Gebet wurde erhört.