I.

Jonathan Swift, Doktor der Theologie und Dechant zu St. Patrick in Dublin, stammte von dem jüngeren Zweige der FamilieSwift in der Grafschaft York ab, die seit vielen Jahren in dieser Provinz ansäßig war.

Sein Vater war der sechste oder siebente Sohn des ehrwürdigen Thomas Swift, Pfarrers zu Goodrich. Die Zahl der Kinder dieses Geistlichen und die Bescheidenheit ihres Vermögens gestatten es nicht, die Aufeinanderfolge derselben genauer anzugeben. Der Dechant selbst benachrichtigt uns, daß sein Vater einige Agentschaften und Aemter in Irland bekleidete.

Jonathan wurde zu Dublin in einem kleinen Hause im Court of Hoeys geboren, das die Bewohner dieses Stadtviertels noch zeigen. Seine Kindheit war, wie die seines Vaters, durch einen sonderbaren Umstand bezeichnet. Es war nicht die Wiege, die diesmal von Soldaten geraubt wurde, wie es bei Thomas Swift geschehen war, sondern diesmal wurde das Kind selbst entführt.

Die Amme, die von Whitehaven war, wurde von einem sterbenden Verwandten, von dem sie ein Vermächtniß erwartete, in ihre Heimath zurückgerufen. Sie war dem Kinde, das ihrer Sorgfalt anvertraut war, so zugethan, daß sie es mit sich nahm, ohne Frau Swift davon zu benachrichtigen. Es blieb drei Jahre in Whitehaven; seine Gesundheit war so zart, daß seine Mutter es keine zweite Reise wollte wagen lassen, und es daher der Frau überließ, die ihm diese Probe ihrer Anhänglichkeit gegeben hatte. Die gute Amme trug so viel Sorge für die Erziehung des Kindes, daß es, als es nach Dublin zurückkam, buchstabiren konnte; mit fünf Jahren las es bereits in der Bibel.

Swift theilte die Dürftigkeit einer Mutter, die er zärtlich liebte, und lebte von den Wohlthaten seines Oheims Godivin. Diese Abhängigkeit scheint von seiner Kindheit an einen tiefen Eindruck auf seinen stolzen Charakter gemacht zu haben, und von dieser Zeit an begann sich bei ihm jener menschenfeindliche Geist zu zeigen, den er nur zugleich mit dem Gebrauch seiner intellektuellen Fähigkeiten verlor. Als nachgeborenes Kind, vom Mitleid erzogen, gewöhnte er sich frühe, den Tag seiner Geburt als einen Tag des Unglücks zu betrachten, und er versäumte nie bei der alljährigen Wiederkehr dieses Tages die Stelle in der Schrift zu lesen, in welcher Hiob den Tag beweint und verflucht, an welchem man im Hause seines Vaters anzeigte, »daß ein Männlein geboren sey.«

In einem Alter von sechs Jahren schickte man ihn in die Schule von Kilkenny, die von der Familie Ormond gegründet und ausgestattet worden war. Hier zeigt man den Fremden noch Swifts Pult, auf welchem er seinen Namen mit einem Messer eingegraben habe.

Von Kilkenny aus wurde Swift im vierzehnten Jahre in das Dreifaltigkeits-Kollegium nach Dublin gesandt. Es scheint nach den Registern, daß er daselbst als Kostgänger am 24. April 1682 aufgenommen wurde und St. Georg Ashe zum Lehrer gehabt habe. Sein Vetter, Thomas Swift, wurde um dieselbe Zeit aufgenommen und die zwei Familiennamen, die ohne die Taufnamen in den Registern aufgeführt wurden, haben über einige geringfügige Umstände im Leben des Dechanten Ungewißheit verbreitet. Als Swift an die Universität aufgenommen wurde, forderte man von ihm, sich mit den gewöhnlichen Studien jener Zeit abzugeben. Aber darunter gab es einige, die seinem Geiste nicht sehr zusagten. Vergebens empfahl man ihm die Logik, die man damals als die Wissenschaft par excellence betrachtete. Er hatte einen natürlichen Widerwillen gegen die Sophismen des Smiglecius, Keckermannus, Burgersdicius und anderer ernsthafter Doktoren, die wir heut zu Tage kaum mehr kennen. Sein Lehrer konnte es nicht dahin bringen, daß er auch nur drei Seiten von diesen Gelehrten in uslas, obgleich es unerläßlich war, einen Begriff von den Erklärern des Aristoteles zu haben, um durch das Examen zu kommen. Ebenso vernachläßigte er alle Studien, die ihm nicht gefielen. Er las weniger, um sich zu belehren, als um sich zu unterhalten, oder um traurige Gedanken von sich abzuhalten. Aber seine Lektüre war jedenfalls mannigfaltig; und er mußte viel gelesen haben, denn er hatte bereits eine Skizze des »Mährchens von der Tonne« auf’s Papier geworfen, die er Hrn.Waryng gezeigt hatte. Was muß man daraus schließen? Daß ein träger Student des siebenzehnten Jahrhunderts durch Lektüre, die er zum Zeitvertreib in seinen Mußestunden vornahm, Kenntnisse erwerben konnte, die einen fleißigen Studenten unserer Zeit in Staunen setzen würden.

Wir haben keine sichern Angaben,, um über den Umfang der Kenntnisse Swifts urtheilen zu können; man kann nicht sagen, daß er ein tiefes Wissen besaß, aber gewiß ein mannigfaltiges. Seine Schriften bezeugen, daß die Geschichte der alten und neuen Poesie ihm vertraut war; er ist nie in Verlegenheit, zur Bestätigung des Gegenstandes, den er gerade vor sich hat, die klassischen Stellen anzuführen, die für seinen Zweck die geeignetsten sind. Obgleich er keine hohe Vorstellungen von seinen Kenntnissen hat und sich den Vorwurf machte, durch seine Trägheit und Unwissenheit einen akademischen Grad verscherzt zu haben; obgleich er diejenigen heftig tadelte, die einem Manne den Titel eines Gelehrten gaben, der nicht den größten Theil seines Lebens den Studien gewidmet hatte, machte er doch nicht viel aus einem Studenten, der nichts als Fleiß besaß.

Während so Swift seine Studien ohne Beharrlichkeit, nach seinen Launen betrieb, hätte er sie beim Tode seines OheimsGodwin, bei dessen Gelegenheit die Zerrüttung seines Vermögens an den Tag kam, beinahe unterbrechen müssen, wenn er nicht in seinem Oheim Dryden William Swift einen Gönner gefunden hätte. Herr Dryden kam seinem Neffen zu Hülfe; er behandelte ihn, wie es scheint, mit mehr Gewogenheit und Wohlwollen, als sein Bruder Godwin; aber sein nicht sehr beträchtliches Vermögen erlaubte ihm nicht, freigebiger zu seyn, als sein Bruder. Swift hat sein Andenken stets werth gehalten, und spricht oft von ihm als von dem besten seiner Verwandten. Er erzählte oft einen Vorfall, der, während er im Collegium war, sich ereignete, und dessen Held sein Vetter Willoughby Swift, der Sohn Dryden Williams, war. Swift, der ohne einen Pfennig in der Tasche in seinem Zimmer saß, bemerkte im Hofe einen Matrosen, der nach dem Zimmer eines Studenten zu fragen schien. Es kam ihm der Gedanke, dieser Mensch könne mit irgend einer Botschaft von seinem VetterWilloughby beauftragt seyn, der damals Kaufmann in Lissabon war. Kaum war ihm diese Idee durch den Kopf gefahren, als die Thüre seines Zimmers sich öffnete, und der Fremde, sich ihm nähernd, eine große lederne Börse voll Geld aus der Tasche zieht, die er als ein Geschenk seines Vetters Willoughby vor Swift hinlegt. Swift hoch erfreut, reicht dem Boten einen Theil seines Schatzes, den der ehrliche Matrose nicht annehmen will.

Von diesem Augenblick an beschloß Swift, der das Unglück der Dürftigkeit kennen gelernt hatte, sein bescheidenes Einkommen so zu verwalten, daß er nie mehr in die äußerste Noth käme. Er führte eine solche Ordnung in seiner Lebensart ein, daß es aus seinen Tagebüchern, die man aufbewahrt hat, hervorgeht, wie er sich jedes Jahr bis auf einen Sou hinaus von seinen Ausgaben Rechenschaft geben konnte von seiner Universitätszeit an, bis zu dem Augenblick, wo er den Gebrauch seiner Geisteskräfte verlor.

Im Jahre 1688 brach der Krieg in Irland aus; Swift war damals 21 Jahre alt. Ohne viel Geld; wenn auch nicht ohne Kenntnisse, doch mit dem Rufe, keine zu besitzen, mit dem Makel eines unruhigen und störrischen Charakters, und ohne einen einzigen Freund, der ihn hätte aufnehmen und unterhalten können, verließ er das Collegium in Dublin. Mehr von der Liebe, als von der Hoffnung geleitet, schlug er den Weg nach England ein und begab sich zu seiner Mutter, welche damals in der Grafschaft Leicester wohnte. Frau Swift, die sich selbst in einer abhängigen und ärmlichen Lage befand, empfahl ihrem Sohne, den Sir William Temple um Schutz anzugehen, dessen Gattin mit ihr verwandt war und die Familie Swift gekannt hatte. Thomas Swift, der Vetter unsers Autors, war Caplan des Sir William gewesen.

Man bat, und die Bitte wurde gewährt; aber längere Zeit hindurch bemerkte man von Seiten Sir William Temples kein Zeichen der Liebe oder des Vertrauens. Der vollendete Staatsmann, der fein gebildete Gelehrte fand wahrscheinlich keinen besonderen Geschmack an dem reizbaren Charakter und den unvollständigen Kenntnissen seines neuen Tischgenossen. Aber die Vorurtheile Sir Williams zerstreuten sich nach und nach: der Beobachtungsgeist Swifts gab ihm die Mittel, zu gefallen und er vermehrte seine Kenntnisse durch ein anhaltendes Studium, dem er acht Stunden täglich widmete. Diese Zeit, wohl angewendet, machte einen Mann mit den Fähigkeiten Swifts zu einem unschätzbaren Schatze für einen Gönner, wie Temple, bei welchem er zwei Jahre blieb. Das üble Befinden Swifts nöthigte ihn, seine Studien zu unterbrechen; eine Unverdaulichkeit hatte seinen Magen erkältet und ihm apoplectische Zufälle zugezogen, die ihn an den Rand des Grabes brachten; die Wirkungen derselben begleiteten ihn durch das ganze Leben. Einmal war er so krank, daß er nach Irland ging, in der Hoffnung, die Luft seines Geburtslandes könne ihm wohlthätig werden; aber als er keine Erleichterung fühlte, kehrte er nach Moorpark zurück, wo er die ruhigen Zwischenzeiten, die ihm sein Unwohlseyn gestatteten, zum Studium anwendete.

Damals geschah es, daß Sir William Temple ihm einen großen Beweis seines Vertrauens gab, indem er ihm gestattete, bei seinen vertraulichen Zusammenkünften mit dem König Wilhelm, wenn dieser nach Moorpark kam, gegenwärtig zu seyn, eine Auszeichnung, welche Temple dem vertrauten Verhältnisse verdankte, das zwischen ihnen in Holland bestanden hatte, die er mit ehrerbietiger Ungezwungenheit aufnahm und durch weise konstitutionelle Rathschläge belohnte. Während SirWilliam durch die Gicht im Bette zurückgehalten war, hatte Swift den Auftrag, den König zu begleiten; und alle Biographen des Dichters haben wiederholt, daß Wilhelm ihm eine Kompagnie Reiterei anbot und ihn die Spargel nach holländischer Weise schneiden lehrte. Es wäre nicht recht, wollte man den hier gewonnenen Vortheil verschweigen, daß er dieses Gericht durch das Beispiel des Königs auf holländische Weise, das heißt ganz mit Stumpf und Stiel essen lernte. Noch solidere Vortheile wurden seinem Ehrgeiz geboten. Man machte ihm Hoffnung auf Beförderung im geistlichen Stande, dem er sich aus Neigung und durch die Aussicht, die sich vor ihm öffnete, bestimmte. Das große Vertrauen, das man auf ihn setzte, rechtfertigte diese Hoffnung. Sir William Temple beauftragte ihn, dem König die Gründe vorzustellen, die ihn bestimmen mußten, zu dem Antrage auf die dreijährige Dauer des Parlaments seine Zustimmung zu geben; und er führte für die AnsichtTemples mehrere weitere Beweisgründe an, die er aus der Geschichte Englands hernahm. Aber der König beharrte auf seiner Opposition, und der Antrag wurde durch den Einfluß der Krone auf das Haus der Gemeinen verworfen. Dies war die erste Beziehung, in welche Swift mit dem Hofe kam; und er sagte oft seinen Freunden, dies habe dazu gedient, ihn von seiner Eitelkeit zu heilen. Er hatte wahrscheinlich auf den Erfolg seiner Unterhandlungen gerechnet, und war tief gekränkt, als er sie scheitern sah.

Als Swift nach Irland zurückkehrte, und zu einer Stelle von hundert Pfund Sterling Einkünfte ernannt war, forderten die Bischöfe, an die er sich wandte, um ordinirt zu werden, ein Zeugniß seines guten Betragens während seines Aufenthalts bei Sir William Temple. Diese Bedingung war unangenehm: um das Zeugniß zu erhalten, mußte man sich fügen, mußte man bitten. Swift brauchte fünf Monate, um sich dazu zu entschließen. Er sandte einen Entschuldigungsbrief und die Bitte wurde gewährt; der Brief Swift’s war wahrscheinlich der erste Schritt zur Versöhnung mit seinem Gönner. In weniger als zwölf Tagen erhielt er das verlangte Zeugniß, denn sein Ordinationsschein als Diakonus ist vom 18. Oktober 1694 datirt, und der als Priester vom 13. Januar 1695. Sir William Temple hatte, wie man glauben muß, den gewünschten Zeugnissen noch eine Empfehlung an den Lord Capel beigelegt, der damals Vicekönig von Irland war; denn beinahe unmittelbar, nachdem Swiftzum Priester ordinirt war, wurde er auf die Pfründe von Kilroot, in der Diöcese Connor, ernannt, die ungefähr hundert Pfund Sterling jährlich trug. Er zog sich auf diese bescheidene Stelle zurück und lebte hier als Dorfpfarrer.

Das Leben, das er in Kilroot führte, und das so verschieden war von dem in Moorpark, wo er die Gesellschaft aller durch Geburt oder Genie ausgezeichneten Männer genossen hatte, wurde ihm bald verleidet. Inzwischen fühlte Temple, seit erSwift entbehrte, diesen Verlust schmerzlich und drückte ihm den Wunsch aus, er möchte wieder nach Moorpark kommen. Während Swift zögerte, ehe er auf eine selbst gewählte Lebensweise verzichtete, um seine früher verlassene wieder aufzunehmen, scheint ein Umstand, der die ganze Milde seines Charakters beurkundet, seinen Entschluß entschieden zu haben. Auf einem seiner Ausflüge war er einem Geistlichen begegnet, mit dem er sich verband, weil er ihn sehr unterrichtet, bescheiden und sittlich fand. Dieser gute Pfarrverweser war Vater von acht Kindern und seine Stelle trug ihm vierzig Pfund Sterling ein. Swift, der keine Pferde hatte, entlehnte von ihm seine schwarze Stute, ohne ihm von seiner Absicht etwas zu sagen, begab sich nach Dublin, verzichtete auf seine Stelle in Kilroot und setzte es durch, daß sie auf seinen neuen Freund übertragen wurde. Das Gesicht des guten Greises drückte im ersten Augenblick nur das Vergnügen aus, das er empfand, sich auf eine Pfründe ernannt zu sehen; aber als er erfuhr, daß es die seines Wohlthäters sey, der zu seinen Gunsten darauf verzichtet hatte, da nahm seine Freude einen so rührenden Ausdruck der Ueberraschung und der Dankbarkeit an, daß Swift, selbst tiefbewegt, sagte: er habe niemals in seinem Leben so viel Vergnügen genossen, als an diesem Tage. Als Swiftabreiste, drang der gute Geistliche in ihn, die schwarze Stute anzunehmen, die er nicht ausschlug, um ihn nicht zu kränken. Beritten, zum erstenmale auf einem Pferde, das ihm gehörte, mit achtzig Pfund Sterling in der Börse, schlug Swift den Weg nach England ein, und bekleidete in Moorpark wieder die Stelle eines Sekretärs Sir William Temples.