Eine Mausfalle im siebzehnten Jahrhundert.
Die Mausfalle ist keine Erfindung unserer Tage; sobald die Gesellschaften bei ihrer Bildung irgend eine Polizei erfunden hatten, erfand diese ihrerseits die Mausfalle.
Da unsere Leser vielleicht noch nicht mit dem Rothwälsch der Rue de Jerusalem vertraut sind, und da wir zum ersten Mal dieses Wort in dieser eigenthümlichen Bedeutung anwenden, so wollen wir ihnen erklären, was eine Mausfalle ist.
Wenn man in irgend einem Hause irgend eine eines Verbrechens verdächtige Person verhaftet hat, so hält man diese Verhaftung geheim; man legt vier oder fünf Mann im ersten Zimmer in Hinterhalt, man öffnet die Thüre allen denjenigen, welche anklopfen, schließt sie wieder hinter ihnen und verhaftet sie; nach Verlauf von zwei bis drei Tagen hat man alle diejenigen, welche mit dem betreffenden Hause in Verbindung stehen, in Händen.
Das ist eine Mausfalle.
Man machte also eine Mausfalle aus der Wohnung des Meisters Bonacieux, und wer daselbst erschien, wurde ergriffen und von den Leuten des Kardinals ausgefragt. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß diejenigen, welche zu d’Artagnan kamen, von den Ausforschungen befreit blieben, insofern ein besonderer Gang nach seiner Wohnung im ersten Stock führte.
Ueberdies kamen die drei Musketiere allein dahin. Jeder von ihnen hatte sich einzeln auf Kundschaft gelegt, aber keinem war es gelungen, etwas zu entdecken. Athos war sogar so weit gegangen, Herrn von Treville zu befragen, worüber sein Kapitän in Betracht der gewöhnlichen Schweigsamkeit des würdigen Musketiers nicht wenig erstaunte. Herr von Treville wußte nur, daß das letzte Mal, als er den König, die Königin und den Kardinal gesehen, der Kardinal eine sehr sorgliche Miene hatte, der König sehr unruhig war, und die Augen der Königin andeuteten, daß sie geweint oder gewacht hatte; aber Letzteres veranlaßte keine Verwunderung bei ihm, denn die Königin wachte und weinte viel seit ihrer Verheirathung.
Herr von Treville empfahl jedenfalls Athos den Dienst des Königs und besonders den bei der Königin, und ersuchte ihn, dieselbe Empfehlung seinen Kameraden zu überbringen.
D’Artagnan verließ seine Wohnung nicht; er hatte sein Zimmer in ein Observatorium verwandelt. Von seinem Fenster aus sah er diejenigen ankommen, welche gefangen genommen wurden. Da er ferner die Dielen seines Stubenbodens aufgebrochen hatte und nur ein einfacher Plafond ihn vor dem unter ihm liegenden Zimmer trennte, wo die Verhöre stattfanden, so vernahm er Alles, was zwischen den Inquisitoren und den Angeklagten vorging.
Die Verhöre, welche stets mit einer sorgfältigen Durchsuchung der verhafteten Personen verbunden waren, glichen sich beinahe gänzlich ihrem Inhalt nach: »Hat Euch Madame Bonacieux etwas für ihren Gatten oder für irgend eine andere Person zugestellt?«
»Hat Euch Herr Bonacieux irgend etwas für seine Frau oder für irgend eine andere Person zugestellt?«
»Hat Euch die eine oder der andere von ihnen irgend eine vertrauliche Mittheilung gemacht?«
»Wenn sie etwas wüßten, so würden sie nicht so fragen,« sagte d’Artagnan zu sich selbst. »Was wollen sie nur erfahren? Ob sich der Herzog von Buckingham nicht in Paris befindet, und ob er nicht mit der Königin eine Zusammenkunft gehabt hat oder haben soll.«
D’Artagnan blieb bei dieser Ansicht stehen, der es nach Allem, was er erfahren hatte, nicht an Wahrscheinlichkeit gebrach.
Mittlerweile war die Mausfalle permanent und die Wachsamkeit d’Artagnans ebenso. Am zweiten Tag nach der Verhaftung des armen Bonacieux, als Athos d’Artagnan so eben verlassen hatte, um sich zu Herrn von Treville zu begeben, als es gerade neun Uhr geschlagen und Planchet, der seines Herrn Bett noch nicht gemacht hatte, eben seine Arbeit verrichtete, hörte man an die Hausthüre klopfen. Alsbald wurde diese Thüre geöffnet und wieder verschlossen. Es hatte sich Jemand in der Mausfalle fangen lassen.
D’Artagnan stürzte nach der Stelle, wo die Dielen weggenommen waren, legte sich mit dem Bauch auf den Boden und horchte. Es wurde ein Geschrei vernehmbar, dann folgte ein starkes Seufzen, das man zu ersticken suchte, von einem Verhör war nicht die Rede.
»Teufel!« sprach d’Artagnan zu sich selbst, »es scheint mir, das ist eine Frau; man durchsucht sie, sie widersteht, man thut ihr Gewalt an. Die Schurken!«
D’Artagnan hatte, trotz seiner Klugheit, die größte Mühe, sich von der Scene entfernt zu halten, welche unten vorging.
»Aber ich sage Euch, daß ich die Hausfrau bin, meine Herren, ich sage Euch, daß ich die Frau Bonacieux bin, ich sage Euch, daß ich im Dienste der Königin stehe,« rief die Unglückliche.
»Frau Bonacieux!« murmelte d’Artagnan; »sollte ich so glücklich sein, das gefunden zu haben, was Jedermann sucht?«
»Gerade Euch haben wir hier erwartet,« sprachen die Fragenden unten.
Die Stimme der Frau wurde immer dumpfer; das Tafelwerk ertönte von einer geräuschvollen Bewegung, das Opfer widerstand, so weit eine Frau vier Männern widerstehen kann.
»Vergebung, meine Herren, vergebt …« murmelte die Stimme, welche nur noch unartikulirte Töne hören ließ.
»Sie knebeln sie! sie schleppen sie fort!« rief d’Artagnan und sprang wie eine Feder auf. »Meinen Degen! ich habe ihn zum Glück an meiner Seite. Planchet!«
»Gnädiger Herr!«
»Lauf schnell, suche Athos, Porthos und Aramis auf. Einer von diesen Dreien wird sicherlich zu Hause sein; vielleicht sind alle drei heimgekehrt. Sie sollen sich bewaffnen und rasch hieher kommen. Ah, ich erinnere mich, Athos ist bei Herrn von Treville.«
»Aber wohin geht Ihr, gnädiger Herr, wohin geht Ihr?«
»Ich steige durch das Fenster hinab,« rief d’Artagnan, »um schneller an Ort und Stelle zu sein. Du, lege die Diele wieder ein, fege den Boden, geh‘ durch die Thüre und lauf, wohin ich Dir gesagt habe.«
»O, mein Herr, mein Herr, Ihr bringt Euch ums Leben,« rief Planchet.
»Schweig, Dummkopf,« sprach d’Artagnan und sich mit der Hand an der Randleiste des Fensters haltend, glitt er vom ersten Stockwerk, das glücklicher Weise nicht hoch war, hinab, ohne die geringste Verletzung zu erleiden.
Dann klopfte er an die Thüre und murmelte dabei:
»Ich will mich ebenfalls in der Mausfalle fangen lassen, aber wehe den Katzen, die sich an einer solchen Maus reiben.«
Kaum hatte der Klopfer unter der Hand des jungen Mannes ertönt, als das Geräusch aufhörte; es näherten sich Tritte, die Thüre öffnete sich und d’Artagnan stürzte mit bloßem Degen in das Zimmer des Meisters Bonacieux, dessen Thüre, ohne Zweifel durch eine Feder in Bewegung gesetzt, sich von selbst wieder schloß.
Dann vernahmen die übrigen Bewohner des unglücklichen Hauses, so wie die nächsten Nachbarn ein gewaltiges Geschrei, ein Stampfen, ein Degengeklirr und ein Zertrümmern von Geräthschaften; einen Augenblick nachher konnten die Menschen, welche erstaunt über diesen Lärmen sich an ihr Fenster gestellt hatten, um die Ursache zu erfahren, deutlich sehen, wie die Thür sich wieder öffnete und vier schwarz gekleidete Menschen nicht heraus gingen, sondern gleich aufgescheuchten Raben herausflogen, am Boden und an den Tischecken Federn von ihren Flügeln zurücklassend, d.h. Fetzen von ihren Kleidern und Stücke von ihren Mänteln.
D’Artagnan hatte mit leichter Mühe den Sieg errungen, denn nur ein einziger von den Alguazils war bewaffnet, und dieser vertheidigte sich nur der Form wegen. Die drei andern hatten es allerdings versucht, den jungen Mann mit Stühlen, Bänken und Töpfen niederzuschlagen, aber zwei bis drei Hiebe vom Flammberg des Gascogners flößten ihnen den gehörigen Schrecken ein. Zehn Minuten waren hinreichend, ihre Niederlage zu bewerkstelligen, und d’Artagnan blieb Herr des Schlachtfeldes.
Die Nachbarn, welche ihre Fenster mit der in jenen Zeiten fortwährender Aufstände und Streitigkeiten den Parisern eigenen Kaltblütigkeit geöffnet hatten, schlossen sie wieder, sobald sie die vier schwarzen Männer entfliehen sahen; ihr Instinkt sagt ihnen, daß für den Augenblick alles zu Ende war; überdies war es bereits spät geworden, und damals, wie heut zu Tage legte man sich im Quartier des Luxemburg frühe schlafen.
Allein mit Frau Bonacieux, drehte sich d’Artagnan nach dieser um. Die arme Frau war auf einen Lehnstuhl zurückgesunken und halb ohnmächtig. D’Artagnan schaute sie mit einem raschen Blick prüfend an. Es war eine reizende Frau von fünf- bis sechsundzwanzig Jahren, brünett, mit blauen Augen, leicht aufgestülpter Nase und einem von Rosa und Opal marmorirten Teint. Hier aber hörten die Zeichen auf, nach welchen man sie mit einer vornehmen Dame hätte verwechseln können. Die Hände waren weiß, aber nicht zart, die Füße kündigten keine Frau von Stand an. Zum Glücke konnte sich d’Artagnan noch nicht mit allen diesen Einzelnheiten beschäftigen.
Als d’Artagnan in seiner Musterung der Frau Bonacieux bis zu den Füßen gelangte, sah er auf dem Boden ein feines Batisttuch, das er seiner Gewohnheit gemäß aufhob, und erkannte an der Ecke dieselbe Zeichnung, wie an dem Taschentuch, wegen dessen er sich mit Aramis beinahe auf Leben und Tod hätte schlagen müssen. Von dieser Zeit an mißtraute d’Artagnan allen mit Wappen verzierten Sacktüchern und er steckte deshalb das von ihm aufgehobene, ohne ein Wort zu sagen, in die Tasche der Frau Bonacieux.
In diesem Augenblick kam Frau Bonacieux wieder zu sich; sie schlug die Augen auf, schaute erschrocken um sich und sah, daß das Zimmer leer und sie mit ihrem Befreier allein war. Sie reichte ihm alsbald lächelnd die Hände. Frau Bonacieux besaß das reizendste Lächeln in der Welt.
»Ah! mein Herr,« sprach sie, »Ihr habt mich gerettet. Erlaubt mir, daß ich Euch danke.«
»Madame,« sagte d’Artagnan, »ich habe nicht mehr gethan, als jeder Edelmann an meiner Stelle gethan haben würde. Ihr seid mir also keinen Dank schuldig.«
»Gewiß, mein Herr, gewiß, und ich hoffe, Euch beweisen zu können, daß Ihr keiner Undankbaren einen Dienst geleistet habt. Aber was wollten denn diese Menschen, die ich Anfangs für Diebe gehalten habe, und warum ist Herr Bonacieux nicht hier?«
»Madame, diese Menschen waren bei weitem gefährlicher, als Diebe sein könnten; denn es sind Schergen des Herrn Kardinals, und was Euern Gatten, den Herrn Bonacieux, betrifft, so befindet sich dieser nicht hier, weil man ihn gestern verhaftet und nach der Bastille abgeführt hat.«
»Mein Mann in der Bastille!« rief Frau Bonacieux; »o mein Gott, was hat er denn gethan, dieser arme liebe Mann, er ist ja die Unschuld selbst!«
Und etwas wie ein Lächeln trat auf dem noch erschrockenen Antlitz der jungen Frau hervor.
»Was er gethan hat, Madame?« sprach d’Artagnan; »ich glaube, sein Verbrechen besteht einzig und allein darin, daß er zugleich das Glück und das Unglück hat, Euer Gatte zu sein.« – »Aber, mein Herr, Ihr wißt also …« – »Ich weiß, daß man Euch entführt hat, Madame.« – »Und wer hat dies gethan? Wißt Ihr es? O! wenn ihr es wißt, so sagt es mir.« –»Ein Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, mit schwarzen Haaren, dunkler Gesichtsfarbe und einer Narbe an der linken Schläfe.« – »So ist es, so ist es, aber sein Name?« – »Ah! sein Name? Ich weiß ihn nicht.« – »Und mein Mann, wußte er, daß man mich gewaltsam weggebracht hatte?« – »Er war von dem Entführer selbst davon benachrichtigt worden.« – »Und hat er irgend einen Verdacht in Beziehung auf die Ursache dieses Ereignisses?« fragte Frau Bonacieux mit einer Verlegenheit. – »Er schrieb dasselbe einer politischen Ursache zu.« – »Anfangs zweifelte ich daran, und nun theile ich seine Ansicht. Also hat dieser gute Herr Bonacieux mich nicht einen Augenblick im Verdacht gehabt?« – »Ach! weit entfernt, Madame. Er war zu stolz auf Eure Klugheit und besonders auf Eure Liebe.«
Ein zweites, beinahe unmerkliches Lächeln umspielte die rosigen Lippen der schönen jungen Frau.
»Aber wie ist es Euch gelungen zu entfliehen?« fuhr d’Artagnan fort.
»Ich benützte einen Augenblick, wo ich allein blieb, und da ich seit diesem Morgen wußte, was ich von meiner Entführung zu halten hatte, so ließ ich mich mit Hülfe meiner Betttücher vom Fenster herab und lief hierher, in der Hoffnung, meinen Mann zu finden.«
»Um Euch unter seinen Schutz zu stellen?«
»Oh! nein, der arme liebe Mann, ich wußte wohl, daß er unfähig wäre, mich zu vertheidigen. Da er uns aber zu etwas Anderem dienen konnte, so wollte ich ihn hievon in Kenntniß setzen.«
»Wovon?«
»O, das ist nicht mein Geheimniß, ich kann es Euch also nicht sagen.«
»Uebrigens,« sprach d’Artagnan, »verzeiht, Madame, daß ich, ein einfacher Soldat, Euch an Klugheit erinnere, übrigens glaube ich, daß wir uns hier nicht am geeigneten Orte zu vertraulichen Mittheilungen befinden. Die Menschen, welche ich in die Flucht geschlagen habe, werden binnen Kurzem mit bewaffneter Mannschaft zurückkehren, und wenn sie uns hier finden, sind wir verloren. Ich habe wohl drei von meinen Freunden benachrichtigen lassen, aber wer weiß, ob man sie zu Hause traf?«
»Ja, ja, Ihr habt Recht,« rief Frau Bonacieux erschrocken, »fliehen wir, retten wir uns!«
Bei diesen Worten nahm sie d’Artagnan beim Arm und suchte ihn fortzuziehen.
»Aber wohin fliehen?« sprach d’Artagnan. »Wo werden wir sicher sein?«
»Entfernen wir uns zuerst von diesem Hause und das Uebrige wird sich finden.«
Und der junge Mann und die junge Frau gingen rasch, ohne auch nur die Hausthüre zu verschließen, durch die Rue des Fosses – Monsieur-le-Prince und hielten erst auf der Place Saint-Sulpice an.
»Und was fangen wir nun an?« fragte d’Artagnan, »und wohin soll ich Euch führen?«
»Ich bin sehr in Verlegenheit, Euch hierauf zu antworten,« sagte Frau Bonacieux. »Es war meine Absicht, Herrn de la Porte durch meinen Mann benachrichtigen zu lassen, damit er uns genau sagen könnte, was seit drei Tagen im Louvre vorgegangen ist, und ob es nicht gefährlich für mich sei, dort zu erscheinen.«
»Aber ich kann eben so wohl Herrn de la Porte benachrichtigen,« sagte d’Artagnan.
»Allerdings, nur ist dabei ein unglücklicher Umstand zu bedenken. Herrn Bonacieux kennt man im Louvre und ließe ihn passiren, während man Euch nicht kennt und Euch die Thüre verschließen würde.«
»Ah, bah!« sprach d’Artagnan, »Ihr habt gewiß an irgend einer Pforte des Louvre einen Hausmeister, der Euch ergeben ist, und mit Hülfe eines Losungswortes…«
Frau Bonacieux schaute den jungen Mann fest an.
»Und wenn ich Euch dieses Losungswort gebe, »sprach sie, »würdet Ihr es wohl vergessen, sobald Ihr Euch desselben bedient hättet?« – »Bei meiner Ehre, so wahr ich ein Edelmann bin,« sagte d’Artagnan mit einem Ton, der keinen Zweifel an seiner Aufrichtigkeit übrig ließ. – »Gut, ich glaube Euch, Ihr seht aus, wie ein braver junger Mann. Ueberdies ist Euer Glück vielleicht die Folge Eurer Ergebenheit.« – »Ich werde ohne ein Versprechen und freiwillig Alles thun, was in meinen Kräften liegt, um dem König zu dienen und der Königin angenehm zu sein,«sagte d’Artagnan. »Verfügt also über mich, als über einen Freund.« –»Aber ich, wohin werdet Ihr mich einstweilen bringen?« –»Habt Ihr Niemand, bei dem Herr de la Porte Euch abholen konnte?« –»Nein, ich will mich Niemand anvertrauen.« – »Halt!« sprach d’Artagnan, »wir sind an der Thüre von Athos. Ja, so geht es.« –»Wer ist Athos?« – »Einer von meinen Freunden.« – »Aber wenn er zu Hause ist, so sieht er mich.« – »Er ist nicht zu Hause, und ich nehme den Schlüssel mit, nachdem ich Euch in sein Zimmer geführt habe.« – »Und wenn er zurückkommt?« – »Er wird nicht zurückkommen. Ueberdies wird man ihm sagen, ich habe eine Frau gebracht und diese Frau befinde sich in seiner Wohnung.« – »Das wird meinen Ruf zu sehr gefährden, wißt Ihr wohl?« – »Was ist Euch daran gelegen? Man kennt Euch nicht, und abgesehen davon, befinden wir uns in einer Lage, wo man sich einiger Maßen über die Schicklichkeit wegsetzen muß.« – »Gehen wir also zu Eurem Freunde. Wo wohnt er?« – »In der Rue Ferou, zwei Schritte von hier.« – »Vorwärts!«
Uno beide setzten sich wieder in Marsch. Athos war, wie d’Artagnan vorausgesehen hatte, nicht zu Hause. Dieser nahm den Schlüssel, den man ihm als einem Freunde des Miethmannes zu geben gewohnt war, stieg die Treppe hinauf und führte Frau Bonacieux in die von uns bereits beschriebene Wohnung.
»Thut wie daheim,« sprach er, »schließt die Thüre von innen und öffnet Niemand, wenn Ihr nicht dreimal auf folgende Weise klopfen hört; gebt Acht.« Und er klopfte dreimal, zweimal kurz hinter einander und sehr stark, einmal entfernter und leichter.
»Gut,« sprach Frau Bonacieux. Nun ist es an mir. Euch Instructionen zu geben.« – »Ich höre.« – »Begebt Euch nach der Pforte des Louvre auf der Seite der Rue de l’Echelle und fragt nach Germain.« – »Gut, und dann?« – »Er wird Euch fragen, was Ihr wollt, und Ihr antwortet ihm mit den zwei Worten Tours und Brüssel. Sogleich wird er sodann zu Euern Befehlen stehen.« – »Und was soll ich ihm befehlen?« –»Herrn de la Porte, den Kammerdiener der Königin, zu holen.« – »Und wenn er ihn geholt hat und Herr de la Porte kommt?« – »So schickt Ihr ihn zu mir.« – »Ganz gut. Aber wo und wie werde ich Euch wiedersehen?« – »Ist Euch viel daran gelegen, mich wiederzusehen?« – »Gewiß.« – »Ueberlaßt mir die Sorge hiefür und seid ruhig.« – »Ich baue auf Euer Wort.« – »Rechnet darauf.«
D’Artagnan verabschiedete sich von Frau Bonacieux mit dem verliebtesten Blick, den er auf ihrer reizenden kleinen Person zu concentriren vermochte, und während er die Treppen hinabstieg, hörte er die Thüre doppelt hinter sich verschließen. Mit zwei Sprüngen war er am Louvre. Als er durch die Pforte an der Rue de l’Echelle trat, schlug es zehn Uhr. Die von uns mitgetheilten Ereignisse waren im Verlauf einer halben Stunde erfolgt.
Alles ging, wie Frau Bonacieux vorhergesagt hatte. Auf das bestimmte Losungswort verbeugte sich Germain; zwei Minuten nachher befand sich de la Porte in der Loge; mit zwei Worten theilte ihm d’Artagnan das Nothwendige mit und bezeichnete ihm den Aufenthalt der Frau Bonacieux. Sobald de la Porte die Adresse genau wußte, entfernte er sich in größter Eile; kaum hatte er jedoch zehn Schritte gemacht, als er zurückkehrte und zu d’Artagnan sagte:
»Junger Mann, einen Rath!« – »Welchen?« – »Man könnte Euch wegen dessen, was vorgefallen ist, beunruhigen.« – »Ihr glaubt?« –»Ja, habt Ihr einen Freund, dessen Uhr nachgeht?« – »Nun?« – »Geht zu ihm, damit er bezeugen kann, Ihr wäret um halb zehn Uhr bei ihm gewesen. Das nennt man in der Justiz ein Alibi.«
D’Artagnan fand den Rath klug. Er lief über Hals und Kopf und kam zu Herrn von Treville. Aber statt wie alle Welt in den Salon zu gehen, bat er, in sein Cabinet eingelassen zu werden. Da d’Artagnan einer der täglichen Gäste des Hotels war, so setzte man seiner Bitte keine Schwierigkeiten entgegen und benachrichtigte Herrn von Treville, sein junger Landsmann, der ihm etwas Wichtiges mitzutheilen habe, verlange eine Privataudienz. Nach fünf Minuten fragte Herr von Treville d’Artagnan, in was er ihm zu Dienst sein könne, und welchem Umstand er seinen späten Besuch zuzuschreiben habe?
»Um Vergebung, gnädiger Herr,« sprach d’Artagnan, der den Augenblick seines Alleinseins dazu benützt hatte, die Uhr um drei Viertelstunden zurückzurücken; »ich dachte, da es erst neun Uhr fünfundzwanzig Minuten sei, so könne ich mich wohl noch bei Euch einfinden.«
»Neun Uhr fünfundzwanzig Minuten!« rief Herr von Treville und schaute nach seiner Pendeluhr; »das ist unmöglich!«
»Seht selbst, gnädiger Herr, dort ist der Beweis.«
»Es ist richtig,« versetzte Herr von Treville, »ich hätte geglaubt, es wäre später. Doch laßt hören, was wollt Ihr von mir?«
D’Artagnan machte nun Herrn von Treville eine lang Geschichte über die Königin, er setzte ihm seine Befürchtungen in Beziehung auf seine Majestät auseinander, erzählte ihm, was er von den Projekten des Kardinals in Betreff Buckinghams hatte sagen hören, und Alles dies mit einer Ruhe, mit einer festen Haltung, wodurch sich Herr von Treville um so leichter bethören ließ, als er ja selbst wahrgenommen hatte, daß etwas Neues zwischen dem König, der Königin und dem Kardinal vorging.
Als es zehn Uhr schlug, verließ d’Artagnan Herrn von Treville, der ihm für seine Nachrichten dankte und ihm empfahl, den Dienst des Königs und der Königin wohl im Auge und im Herzen zu haben. Aber unten an der Treppe erinnerte sich d’Artagnan, daß er seinen Stock vergessen hatte. Er stieg schnell wieder hinauf, kehrte in das Cabinet zurück, rückte die Uhr mit dem Finger an ihre Stunde vor, damit man am andern Morgen nicht bemerken konnte, daß man sie in Unordnung gebracht hatte, und da er nun eines Zeugen für sein Alibi gewiß war, lief er wieder die Treppe hinab und befand sich in Kurzem abermals auf der Straße.