Von dem denkwürdigen Abenteuer mit den Landreitern, auch von dem unbändigen Ingrimm unseres wackern Ritters Don Quijote
Während Don Quijote also sprach, mühte sich der Pfarrer, die Landreiter zu überzeugen, daß Don Quijote nicht bei Verstand sei, wie sie aus seinen Taten und aus seinen Worten ersehen könnten, und daß es zwecklos sei, die Sache weiterzutreiben, weil sie, wenn sie ihn auch in Haft nähmen und fortführten, ihn doch gleich wieder als einen Verrückten freilassen müßten.
Darauf entgegnete der Mann mit dem Haftbefehl, seine Sache sei es nicht, über Don Quijotes Verrücktheit zu urteilen, sondern lediglich auszuführen, was ihm von seinem Vorgesetzten befohlen worden, und wenn er erst einmal verhaftet sei, möchten sie ihn seinetwegen dreihundertmal wieder freilassen.
»Trotz alledem«, entgegnete der Pfarrer, »werdet Ihr ihn für diesmal doch nicht mitnehmen, noch würde er sich mitnehmen lassen, soviel ich ersehen kann.«
In der Tat wußte der Pfarrer ihnen so vielerlei vorzureden, und Don Quijote wußte so viel Narrheiten zu begehen, daß die Landreiter noch verrückter als er gewesen wären, wenn sie nicht eingesehen hätten, wo es ihm fehlte. So hielten sie es denn für geraten, ruhig zu bleiben, ja sogar die Friedensstifter zwischen dem Barbier und Sancho Pansa abzugeben, die einander noch immer in den Haaren lagen. Endlich, da sie doch Leute von der Justiz waren, vermittelten sie den Rechtshandel und wußten ihn als Schiedsrichter dergestalt zu schlichten, daß beide Teile, wenn auch nicht gänzlich einverstanden, doch in einigen Punkten zufriedengestellt waren. Sie tauschten nämlich mit den Eselssätteln, nicht aber mit den Gurten und Halftern; und was die Sache mit Mambrins Helm anging, so zahlte der Pfarrer unterderhand, und ohne daß Don Quijote es merkte, acht Realen für die Schüssel, und der Barbier stellte ihm einen Empfangsschein aus, worin er auch erklärte, er werde den Verkauf niemals wegen etwaiger Übervorteilung anfechten, weder jetzt noch in Ewigkeit, amen.
Nachdem nun also diese beiden Streithändel, die bedeutendsten und wichtigsten unter allen, geschlichtet waren, blieb nur noch übrig, die Diener zu überreden, daß drei von ihnen heimkehrten und einer zurückbliebe, um Don Luis dahin zu begleiten, wo Don Fernando ihn hinbringen wollte. Und so wie das freundliche Schicksal und das noch freundlichere Glück bereits begonnen hatte, für das Liebespaar und die Tapfern in der Schenke eine Lanze zu brechen und Schwierigkeiten zu ebnen, so wollte es auch die Sache zu Ende führen und alles zu einem heitern Ausgang bringen. Denn die Diener waren mit allem einverstanden, was nur immer Don Luis verlangte, und Doña Clara war darob so freudig erregt, daß ihr jetzt niemand ins Gesicht blicken konnte, ohne ihre Herzenswonne in ihren Zügen zu lesen.
Zoraida, obschon sie all die Ereignisse, die sie mit angesehen, nicht recht begriff, betrübte sich und freute sich aufs Geratewohl, je nachdem sie bei jedem einzelnen den wechselnden Gesichtsausdruck sah und merkte, insbesondere bei ihrem Spanier, auf den sie stets die Augen gerichtet hielt und an dem ihre Seele hing.
Der Wirt, dem die Entschädigung nicht entgangen war, womit der Pfarrer den Barbier bedacht hatte, verlangte nun die Zeche für Don Quijote nebst dem Ersatz für den Schaden an seinen Schläuchen und für den Verlust am Wein und schwur, weder Rosinante noch Sanchos Esel dürften aus der Schenke heraus, bis ihm alles auf den letzten Heller bezahlt sei. Indessen brachte der Pfarrer alles ins Geleise, und Don Fernando zahlte, wiewohl auch der Oberrichter mit größter Bereitwilligkeit sich zur Zahlung erboten hatte.
Nun war jedermann so völlig beruhigt und zufrieden, daß die Schenke längst nicht mehr wie die Zwietracht in Agramants Lager aussah – wie vorher Don Quijote gesagt hatte –, sondern gänzlich so wie die Ruhe und der allgemeine Friede zu Octavians Zeiten. Und für dies alles, war das allgemeine Urteil, müsse man den guten Absichten und der großen Beredsamkeit des Herrn Pfarrers Dank sagen sowie der unvergleichlichen Freigebigkeit Don Fernandos.
Als Don Quijote sich nunmehr von so vielen Streithändeln, sowohl denen seines Schildknappen als auch seinen eignen, frei und ledig sah, deuchte es ihn am besten, alsbald seine angefangene Kriegsfahrt fortzusetzen und jenes große Abenteuer zu Ende zu führen, für das er berufen und auserwählt worden. So ging er denn mit raschem Entschlusse hin und warf sich vor Dorotea auf die Knie. Diese aber gestattete ihm nicht, auch nur ein Wort zu sprechen, bevor er aufstünde. Um ihr zu gehorchen, richtete er sich empor und sprach: »Es geht die gemeine Rede, liebreizendes Fräulein, daß Beharrlichkeit die Mutter des glücklichen Erfolges ist, und bei vielen und schwierigen Dingen hat die Erfahrung gezeigt, daß unablässige Bemühungen eines tüchtigen Sachwalters einen zweifelhaften Prozeß zu glücklichem Ende bringen. Aber nirgends zeigt sich die Wahrheit dieses Satzes deutlicher als in allem, was den Krieg betrifft, wo Schnelligkeit und stete Bereitschaft den Absichten des Feindes zuvorkommen und den Sieg erlangen, eh der Gegner sich nur in Verteidigungsstand gesetzt hat. All dieses sag ich, erhabene und hochpreisliche Herrin, weil es mich bedünkt, daß das Verweilen unserer Personen in dieser Burg jetzt bereits eines nützlichen Zweckes lediggeht, ja uns zu großem Schaden gereichen könnte, was wir eines Tages wohl erfahren möchten. Denn wer weiß, ob nicht durch geheime und beflissene Kundschafter Euer Feind, der Riese, bereits vernommen hat, daß ich ausziehe, um ihn zu vernichten, und ob er nicht, nachdem ihm diese Verzögerung die Möglichkeit dazu gewährt, sich in irgendeiner unüberwindlichen Burg oder Feste verschanzt, gegen welche all mein Mühen und die unermüdliche Kraft meines Armes wenig vermögen würden? Demnach, Herrin mein, wollen wir, wie ich gesagt, mit unseren schleunigen Maßregeln seinen Anschlägen zuvorkommen und unverzüglich und auf gut Glück von dannen ziehen; und will Euer Hoheit sotanes Glück ganz nach Dero Wunsch gewinnen, so ist sie von diesem Gewinn nur soviel entfernt, als ich jetzt noch zögere, Eurem Feind gegenüberzutreten.«
Hier schwieg Don Quijote und sprach kein Wort weiter und erwartete ruhig und gelassen die Antwort der schönen Prinzessin, die mit vornehmem und ganz in Don Quijotes Manier gehaltenem Gebaren ihm folgendes antwortete: »Gar sehr, Herr Ritter, danke ich Euch das Befleißen, das Ihr an den Tag leget, mir in meinen großen Nöten hilfreich zu sein, recht als ein richtiger Ritter, dem es eigen und geziemlich ist, den Waisen und Bedrängten Beistand zu leisten; und wollte der Himmel, daß Euer und mein Begehr in Erfüllung ginge, auf daß Ihr sehet, daß es dankbare Frauen auf Erden gibt! Und was meinen Aufbruch betrifft, der werde alsogleich ins Werk gesetzt, sintemal ich keinen anderen Willen hege als den Euern. Verfüget über mich ganz nach Euerem Erachten und Belieben. Denn diejenige, so Euch einmal den Schutz ihrer Person anvertraut und die Wiederaufrichtung ihrer Herrschaft in Eure Hände gelegt hat, selbige darf nimmer sich gegen die Anordnungen setzen, so Eure weise Einsicht treffen mag.«
»Mit Gottes Hilfe denn!« sprach Don Quijote. »Sintemalen es also geschieht, daß eine Dame sich vor mir demütigt, will ich die Gelegenheit nicht aus den Händen lassen, sie aufzurichten und sie auf ihren anererbten Thron zu setzen. Der Aufbruch geschehe sonach auf der Stelle, denn das alte, viel angeführte Wort: Nur im Zaudern steckt die Gefahr! beflügelt mir schon den Wunsch und die Reise. Und da der Himmel keinen je erschaffen und die Hölle keinen je gesehen hat, der mich in Schrecken setzen oder mutlos machen könnte, so sattle du, Sancho, den Rosinante und zäume deinen Esel auf und den Zelter der Königin, und nehmen wir Urlaub vom Burgvogt und von diesen Herrschaften, und sogleich auf der Stelle lasset uns von dannen ziehen.«
Sancho, der bei all diesem zugegen war, schüttelte den Kopf hin und her und sprach: »Ach, gnädiger Herr, gnädiger Herr, es stinkt in der Fechtschule, und man will’s nicht Wort haben, so sag ich, jedoch mit Verlaub all jener Frauenzimmer, die sauber unter der Haube sind.«
»Was kann in der Fechtschule oder meinetwegen in allen Schulen der Welt für ein übler Geruch sein, der mir etwa zum Unglimpf gereichen könnte, du gemeiner Mensch?« brauste Don Quijote auf.
»Wenn Euer Gnaden böse wird«, entgegnete Sancho, »dann schweig ich und werde nichts von allem offenbaren, wozu ich als getreuer Schildknappe verpflichtet bin und was ein getreuer Diener schuldig ist seinem Herrn zu sagen.«
»Sage, was dir beliebt«, antwortete Don Quijote, »vorausgesetzt, daß du nicht darauf ausgehen willst, mir Furcht einzuflößen. Wenn aber du Furcht hast, so handelst du eben deiner Natur gemäß, und wenn ich keine solche habe, so handle ich gemäß der meinigen.«
»Darum, Gott verzeih mir meine Sünden, darum handelt sich’s nicht«, erwiderte Sancho, »sondern darum, daß ich für sicher und für erwiesen halte, daß dies Fräulein, welches sich für die Königin des großen Reiches Mikomikón ausgibt, das geradesowenig ist, wie meine Mutter es war; denn wäre sie das, wofür sie sich ausgibt, so würde sie nicht mit einem von jenen, die hier herumstehen, den Schnabel zusammenstecken, sooft man den Kopf umdreht und sooft man nicht darauf achtgibt.«
Bei Sanchos Worten errötete Dorotea; denn es war ganz richtig, daß ihr Gemahl Don Fernando hie und da verstohlenerweise mit seinen Lippen einen Teil des Minnelohns eingeheimst hatte, der seiner Sehnsucht gebührte. Sancho hatte das gesehen, und es dünkte ihm, ein so freies Benehmen passe sich eher für ein buhlerisches Weib als für die Königin eines so großen Reiches.
Sie konnte und wollte Sancho kein Wort erwidern, sondern ließ ihn in seinem Geschwätze fortfahren, und er sprach denn: »Dies sag ich Euch, Señor, damit Ihr’s bedenket: wenn, nachdem wir soviel Wege und Landstraßen durchwandert, soviel schlimme Nächte und noch schlimmere Tage verbracht, wenn dann einer, der hier in der Schenke sich’s wohl sein läßt, uns die Frucht unsrer Arbeit vor der Nase abpflücken soll, da brauch ich mich wahrhaftig nicht zu eilen, daß ich den Rosinante aufzäume, dem Esel seinen Sattel auflege und den Zelter in Bereitschaft setze; denn da ist es viel besser, wir bleiben ruhig zu Hause, und was eine Hure ist, soll lieber am Spinnrocken sitzen, wir aber wollen uns ans Essen und Trinken halten.«
Hilf Himmel, welch ungeheurer Zorn erhob sich in Don Quijote, als er die frechen Worte seines Schildknappen vernahm! Ja, sag ich, der Zorn war so übermäßig, daß der Ritter mit bebender Stimme und stotternder Zunge, blitzendes Feuer aus den Augen sprühend, rief: »Ha, gemeiner Schuft, vernunftloser, frecher, dummer Kerl! Albernes, doppelzüngiges, schamloses, verleumderisches Lästermaul! Solcherlei Worte erdreistest du dich in meiner Gegenwart und angesichts dieser erlauchten Dame auszusprechen, und solchen Schändlichkeiten und Unverschämtheiten erfrechst du dich Raum zu geben in deiner verrückten Einbildung? Entferne dich aus meiner Gegenwart, du Ungeheuer der Natur, du Vorratskammer der Lügen, du Zeughaus der Tücke, Senkgrube der Schelmenstreiche, Erfinder der Bosheiten, Verbreiter sinnloser Dummheiten, Feind der Ehrerbietung, die man königlichen Personen schuldet! Hebe dich von hinnen, laß dich nicht mehr vor mir sehen, bei Strafe meines Zornes!«
Und bei diesen Worten zog er die Brauen im Bogen empor, blies die Wangen auf, schaute wild um sich und stampfte mit dem rechten Fuß mächtiglich auf den Boden, was alles den Ingrimm verriet, den er in seinem Innern hegte. Und Sancho wurde bei diesen Worten und diesem wütenden Gebaren so kleinlaut und verzagt, daß es ihm eine Freude gewesen wäre, wenn sich gleich im Augenblicke die Erde unter seinen Füßen geöffnet und ihn verschlungen hätte. Er wußte nichts Besseres, als den Rücken zu wenden und vor dem zürnenden Angesicht seines Herrn zu entweichen.
Allein die kluge Dorotea, die sich auf Don Quijotes Art schon so trefflich verstand, sprach, um seinen Groll zu besänftigen: »Entrüstet Euch nicht, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, ob der sinnlosen Dinge, so Euer wackerer Schildknappe gesagt, denn es läßt sich denken, daß er sie ganz gewiß nicht ohne Anlaß sagt. Auch ist von seinem gesunden Verstand und seinem christlichen Gewissen nimmer argwöhnisch anzunehmen, daß er falsches Zeugnis gegen irgendwen vorbringt. Diesem nach darf man keinen Zweifel darein setzen, daß, sintemal in dieser Burg, wie Ihr, Herr Ritter, saget, alles mit Zauberei zugeht und geschieht, daß es also sein möchte, sag ich, daß Sancho unter solcher teuflischen Einwirkung gesehen hätte, was er gesehen zu haben behauptet und was meiner Tugend zu so großer Beeinträchtigung gereichen würde.«
»Bei dem allmächtigen Gotte schwöre ich«, sprach Don Quijote, »Euer Hoheit hat den Nagel auf den Kopf getroffen, und diesem Sünder von Sancho sind böse Gesichte erschienen, was auf andre Weise als mittels Zauberei nie erschaut werden konnte. Auch ist mir bei der Ehrlichkeit und Unschuld dieses unglücklichen Menschen wohl bewußt, daß er gegen niemand falsches Zeugnis reden wird.«
»So ist’s und so wird es sein«, sprach Don Fernando, »und deshalb, Señor Don Quijote, müßt Ihr ihm vergeben und ihn in den Schoß von Dero Gnade wieder aufnehmen sicut erat in principio, bevor die besagten Gesichte ihm den Verstand benahmen.«
Don Quijote erwiderte, er vergebe ihm, und der Pfarrer ging, Sancho zu holen. Der kam in großer Demut heran, warf sich auf die Knie und bat seinen Herrn um die Hand; der Ritter gab sie ihm, und nachdem er ihm vergönnt hatte, sie zu küssen, erteilte er ihm seinen Segen und sprach: »Jetzt endlich wirst du vollends erkannt haben, wie wahr ist, was ich dir schon oftmals gesagt, daß alles in dieser Burg mit Zauberei zugeht.«
»Das glaub ich auch«, sagte Sancho, »mit Ausnahme des Wippens, denn das ist wirklich auf ganz natürliche Weise geschehen.«
»Glaube das nicht«, erwiderte Don Quijote, »denn wäre dem so, dann hätt ich dich damals gerächt, ja, würde dich jetzt noch rächen; aber weder damals noch jetzt vermochte ich es, noch erblickte ich jemanden, an dem ich für die von dir erlittene Schmach hätte Rache nehmen können.«
Die Anwesenden alle wünschten zu wissen, was es mit dem Wippen für eine Bewandtnis habe, und der Wirt erzählte ihnen Punkt für Punkt Sancho Pansas Luftfahrt, worüber sie alle nicht wenig lachten und worüber Sancho sich nicht weniger würde geärgert haben, wenn ihm sein Herr nicht aufs neue versichert hätte, es sei eitel Zauberei gewesen. Indessen ging Sanchos Einfalt nie so weit, es nicht für reine und unwiderlegliche Wahrheit ohne Beimischung irgendwelcher Täuschung zu halten, daß ihn Leute von Fleisch und Blut gewippt hatten und keineswegs Traumgebilde und Geschöpfe der Phantasie, wie sein Herr es glaubte und wiederholt versicherte.
Zwei Tage waren nun schon vorüber, seit die ganze hochansehnliche Gesellschaft in der Schenke verweilte. Und da es ihnen endlich Zeit zur Abreise schien und die schöne Dorotea und Don Fernando sich die Mühe ersparen wollten, mit Don Quijote in sein Dorf zurückzukehren und zu diesem Zwecke die Erfindung von der Befreiung der Prinzessin Míkomikona weiterzuführen, so traf man Anstalt, daß der Pfarrer und der Barbier ihn, wie sie wünschten, mitnehmen und in seiner Heimat für die Heilung seines Irrsinns Sorge tragen könnten. Und was man veranstaltete, war, daß man mit einem Ochsenkärrner, der gerade vorüberkam, vereinbarte, er solle ihn auf folgende Weise fortbringen: man verfertigte aus gitterförmig gelegten Holzstäben eine Art von Käfig, geräumig genug, daß Don Quijote bequem Platz darin hatte; und Don Fernando und seine Gefährten nebst den Dienern des Don Luis und den Landreitern gemeinschaftlich mit dem Wirt, kurz, alle verhüllten sich auf Anweisung und nach Gutheißung des Pfarrers alsbald die Gesichter und verkleideten sich, der auf diese Weise und jener auf eine andre, damit Don Quijote sie für ganz andre Leute halten müsse, als die er in dieser Burg gesehen.
Hierauf schlichen sie in tiefster Stille zu der Stätte, wo er im Schlummer lag und von den bestandenen Kämpfen ausruhte. Sie näherten sich ihm, der da frei von Besorgnis und sich sicher wähnend vor solchen Begebenheiten schlief, und indem sie ihn mit aller Macht packten, banden sie ihm Hände und Füße so fest, daß er, als er jählings aus dem Schlummer auffuhr, sich nicht rühren und nichts andres tun konnte als staunen und atemlos die seltsamen Gesichter anstarren, die vor ihm erschienen.
Und gleich verfiel er auf eine jener Vorstellungen, die ihm seine nimmer ruhende, wahnwitzige Phantasie malte: er hielt es für gewiß, all diese Gestalten seien Gespenster dieser verzauberten Burg, und ohne allen Zweifel sei auch er bereits verzaubert, da er kein Glied rühren und sich nicht verteidigen konnte –: alles genauso, wie der Pfarrer, der Urheber dieses Anschlags, es vorausgesehen hatte.
Sancho hatte allein von allen Anwesenden seinen richtigen Verstand und sein richtiges Aussehen behalten, und obschon ihm gar wenig daran fehlte, um ebenso krank am Geiste zu sein wie sein Herr, so entging es ihm doch nicht, wer all diese verlarvten Gestalten seien. Allein er wagte den Mund nicht aufzutun, bis er sähe, worauf diese Überrumpelung und Gefangennahme seines Herrn hinauswolle; und dieser sprach ebensowenig ein Wort, sondern erwartete mit Spannung den Ausgang des unglücklichen Begebnisses. Dieser Ausgang aber bestand darin, daß man den Käfig herbeibrachte, ihn darin einsperrte und die Balken so fest vernagelte, daß sie nicht so leicht zu brechen waren. Dann nahmen sie ihn auf die Schultern, und beim Verlassen des Gemaches hörte man eine furchtbare Stimme, so furchtbar sie der Barbier – nicht der mit dem Eselssattel, sondern der andre – hervorzubringen vermochte, die da rief: »O Ritter von der traurigen Gestalt! Nicht schaffe dir Trübsal die Gefangenschaft, in welcher du verweilest; denn so muß es sein, um desto schneller das Abenteuer zu Ende zu führen, zu welchem dein hoher Mut dich bewogen hat. Selbiges wird aber zu Ende geführt werden, wenn der grimmige Manchaner Löwe mit der weißen Toboser Taube das Lager teilen wird, nachdem sie beide den stolzen Nacken unter das milde ehestandliche Joch werden gebeugt haben; aus welcher nie erhörten Verbindung ans Licht der Welt hervortreten soll die ungestüme Leuenbrut, die es den kralligen Tatzen des heldenhaften Vaters nachtun wird. Und dies soll geschehen, bevor noch der Verfolger der flüchtigen Nymphe auf seiner schnellen natürlichen Bahn zu zweien Malen die leuchtenden Sternbilder besucht hat.
Und du, o edelster, gehorsamster aller Schildknappen, so jemals ein Schwert am Gurt, einen Bart im Angesicht und Geruch in der Nase besessen, es mache dich nicht mutlos noch ärgerlich, daß du so vor deinen eignen Augen die Blume des fahrenden Rittertums hinführen siehst. Denn bald, wenn es dem Baumeister des Weltalls gefällt, wirst du dich so emporgehoben und zum Gipfel erhöht sehen, daß du dich selber nicht kennest, und es werden sich nicht als Täuschung erzeigen die Verheißungen, so dir dein redlicher Herre getan hat. Und ich bürge dir im Namen der Zauberin Lughilde, daß dein Dienstlohn dir ausbezahlt werden soll; wie du es durch die Tat ersehen wirst. Folge du nur immer den Fußstapfen des mannhaften, anitzo verzauberten Ritters; denn es gebührt sich, daß du mit ihm zu dem Orte ziehest, wo ihr beide euer Reiseziel finden sollt. Und da es mir nicht vergönnt ist, ein mehreres zu sagen, so fahret wohl in Gottes Namen; denn ich kehre zurück, ich weiß wohl, wohin.«
Und als er an den Schluß dieser Weissagung kam, erhob er die Stimme zu solcher Kraft und ließ sie dann zu so sanftem Tone sinken, daß sogar die Mitwisser des losen Streiches beinahe an die Wahrheit der Worte geglaubt hätten.
Don Quijote fühlte sich durch die vernommene Weissagung recht getröstet, denn er begriff ihren Sinn auf der Stelle und erkannte, daß er sich durch das heilige Band der Ehe verbunden sehen solle mit seiner geliebten Dulcinea von Toboso, aus deren gesegnetem Schoße die Leuenbrut hervorgehen werde, nämlich seine Söhne, zum unvergänglichen Ruhme der Mancha. Und im ernstlichen und festen Glauben hieran erhob er die Stimme, stieß einen mächtigen Seufzer aus und sprach: »O du, wer immer du sein mögest, der du mir soviel hohe Güter vorhergesagt, ich bitte dich, den weisen Zauberer, der über meinen Angelegenheiten waltet, in meinem Namen zu ersuchen, daß er mich nicht in diesen Banden, worin ich itzo fortgeschleppt werde, zugrunde gehen lasse, ehe ich so freudige, so unvergleichliche Verheißungen erfüllt sehe, wie sie mir hier geworden. Sofern aber dies geschehen sollte, so werde ich die Qualen meines Kerkers für Wonne halten, für Erquickung die Ketten, die mich umgürten, und das Lager, auf das man mich hingestreckt, nicht für ein hartes Schlachtfeld, sondern für eine weiche Schlafstätte und ein glückseliges Brautbett. Und was die Tröstung für meinen Knappen Sancho Pansa anbetrifft, so vertraue ich auf sein redliches Herz und seine redliche Handlungsweise, daß er mich weder in guten noch in bösen Tagen verlassen wird. Denn wenn es so kommen sollte, daß ich ihm um seines oder meines Unsterns willen die Insul, die ich ihm versprochen, oder etwas andres von gleichem Werte nicht geben könnte, so wird ihm wenigstens sein Dienstlohn nicht verlorengehen; sintemal in meinem Testament, das bereits errichtet ist, genau bestimmt stehet, was er erhalten soll, wenn es auch nicht seinen vielen redlichen Diensten entspricht, sondern nur dem wenigen, was in meiner Möglichkeit liegt.«
Sancho Pansa verbeugte sich vor ihm mit großer Höflichkeit und küßte ihm beide Hände; eine allein hätte er nicht küssen können, weil beide zusammengebunden waren. Alsbald nahmen die Gespenster den Käfig auf die Schulter und setzten ihn auf dem Ochsenkarren zurecht.