24. Kapitel


Wo tausenderlei Kleinigkeiten erzählt werden, sämtlich ebenso bedeutungslos als wichtig für das Verständnis dieser großen Geschichte

Der Schriftsteller, der diese große Geschichte aus dem Urtext ihres Verfassers Sidi Hamét Benengelí übersetzt hat, sagt, als er an das Kapitel vom Abenteuer in der Höhle des Montesinos gekommen sei, hätten sich an dessen Rande, von Haméts eigner Hand geschrieben, diese Worte gefunden:

»Ich kann mir nicht vorstellen und kann mich nicht davon überzeugen, daß dem tapferen Don Quijote alles Punkt für Punkt begegnet sein sollte, was in dem vorgehenden Kapitel geschrieben steht. Mein Grund ist der, daß sämtliche Abenteuer, die sich bisher zugetragen, möglich, auch wahrscheinlich sind; aber zum Abenteuer mit dieser Höhle finde ich nirgends einen Zugang, um es für wahr halten zu können, weil es sich so ganz außerhalb aller vernünftigen Vorstellungen bewegt. Der Gedanke aber, Don Quijote, der doch der wahrheitsliebendste Junker und edelste Ritter seiner Zeit war, habe gelogen, ist mir unmöglich; denn er hätte keine Lüge gesagt, und wenn man ihn mit Pfeilschüssen zu Tode gebracht hätte. Andrerseits erwäge ich, daß er sie mit allen erwähnten Umständen erzählte und hersagte und daß er in so kurzer Zeit kein solches Labyrinth von Ungereimtheiten hätte aufbauen können. Wenn dies Abenteuer untergeschoben scheint, so habe ich keine Schuld daran, und also, ohne es für falsch oder wahr zu erklären, schreibe ich es eben hin. Du, Leser, da du ein Mann von Einsicht bist, urteile nach Gutdünken, ich meinesteils kann und darf nicht mehr tun, wiewohl es für ausgemacht gilt, daß er um die Zeit seines Scheidens und Sterbens die Erzählung widerrief und dabei angab, er habe sie erfunden, weil es ihn bedünkte, sie passe und stimme sehr gut zu den Abenteuern, die er in seinen Büchern gelesen.«

Und hierauf fährt er folgendermaßen fort:

Der Vetter erschrak über die Dreistigkeit Sancho Pansas wie über die Langmut seines Herrn und dachte sich, aus der Freude darüber, seine Herrin Dulcinea von Toboso, wenn auch nur verzaubert, erblickt zu haben, sei in dem Ritter diese milde Stimmung entstanden, die er jetzt an den Tag legte; denn sonst hätte Sancho mit etlichen Worten und Ausdrücken gegen sie eine gehörige Tracht Prügel verdient, und es bedünkte ihn in der Tat, Sancho habe sich etwas zuviel gegen seinen Herrn herausgenommen. So sprach er denn zu diesem: »Ich, Señor Don Quijote von der Mancha, halte diese Reise, die ich mit Euch zurückgelegt, für trefflichsten Gewinn und habe dabei vierfachen Vorteil eingeheimst. Der erste ist, daß ich Euer Gnaden kennengelernt, was ich mir zu großem Glück anrechne. Der zweite, daß ich erfahren, was diese Höhle des Montesinos enthält, nebst den Verwandlungen des Guadiana und der Ruidera-Seen, welche mir bei dem spanischen Ovid nützen werden, den ich unter den Händen habe. Der dritte, daß ich nunmehr das Altertum der Spielkarten weiß, welche schon mindestens im Zeitalter Karls des Großen im Gebrauche waren, wie man aus den Worten schließen kann, die Ihr aus dem Munde Durandartes hörtet, als er nach Verfluß der langen Zeit, wo Montesinos sich mit Euch unterhielt, erwachte und sprach: ›Geduld, und neue Karten geben.‹ Denn diese Redensart und Ausdrucksweise hat er nicht während seiner Verzauberung lernen können, sondern nur, als er sich noch unverzaubert in Frankreich befand, also zu Zeiten des besagten Kaisers Karl des Großen. Und dies Forschungsergebnis kommt mir wie gerufen für das andre Buch, an dessen Ausarbeitung ich eben bin, nämlich die Ergänzungen zu Polydorus Vergilius über die Erfindungen in den alten Zeiten; ich glaube, er hat nicht daran gedacht, die Erfindung der Spielkarten in sein Buch mit aufzunehmen, wie ich sie jetzt aufnehmen will. Es wird das von großer Wichtigkeit sein, zumal ich einen so bedeutenden und wahrheitsliebenden Gewährsmann anführe, wie es der Señor Durandarte ist. Der vierte endlich ist, daß ich den Ursprung des Flusses Guadiana mit Sicherheit erfahren habe, der bis jetzt aller Welt unbekannt war.«

»Euer Gnaden hat recht«, entgegnete Don Quijote; »aber ich möchte wissen, falls Gott Euch die Gnade gewährt, daß Ihr die Druckerlaubnis für diese Eure Bücher erhaltet, woran ich zweifle: wem gedenkt Ihr sie zu widmen?«

»Es gibt in Spanien Vornehme und Granden, denen man sie widmen könnte«, antwortete der Vetter.

»Nicht viele«, entgegnete Don Quijote; »und zwar nicht, als ob sie eine solche Widmung nicht verdienten, sondern weil sie den Büchern keine Aufnahme gewähren wollen, um sich nicht zu der Erkenntlichkeit zu verpflichten, die doch der Arbeit und der ihnen erwiesenen Höflichkeit der Schriftsteller sicherlich gebührt. Allerdings kenne ich einen fürstlichen Herrn, der den Ausfall an andern durch so edle Eigenschaften ersetzen kann, daß ich, wenn ich mich erkühnen würde, sie zu schildern, vielleicht in wenigstens drei oder vier großmütigen Herzen Neid erwecken würde. Allein lassen wir das jetzt für eine andre, gelegenere Zeit und gehen und suchen wir einen Ort, wo wir diese Nacht Herbergen können.«

»Nicht weit von hier«, versetzte der Vetter, »ist eine Einsiedelei; da wohnt ein Einsiedler, der Soldat gewesen sein soll und im Rufe steht, ein guter Christ und überdies sehr verständig und mildtätig zu sein. Nahe bei der Einsiedelei hat er ein Häuschen, das er sich selbst erbaut hat; obschon es klein ist, hat es doch immerhin Raum, Gäste aufzunehmen.«

»Hält besagter Eremit vielleicht Hühner?« fragte Sancho.

»Bei wenigen Einsiedlern fehlen die«, antwortete Don Quijote; »denn die heutigen Einsiedler sind nicht wie jene in den Wüsteneien Ägyptens, die sich in Palmblätter kleideten und zur Nahrung die Wurzeln aus der Erde gruben. Aber das ist nicht so zu verstehen, als ob, weil ich von jenen alten Gutes sage, ich es nicht auch von diesen sagte; vielmehr meine ich nur, an das harte kärgliche Leben von damals reichen die Bußübungen der heutigen Einsiedler nicht heran. Allein sie sind nichtsdestoweniger sämtlich fromme Leute, wenigstens halte ich sie dafür; und schlimmstenfalls stiftet doch der Heuchler, der sich fromm stellt, weniger Schaden, als wer öffentlich sündigt.«

Als sie gerade hierbei waren, sahen sie rasch einen Mann zu Fuß auf sich zukommen, der beständig auf einen Maulesel losschlug, der mit Spießen und Hellebarden beladen war. Als er näher kam, grüßte er sie und wollte vorüberziehen. Don Quijote sprach ihn an: »Seid nicht so eilig, lieber Mann; Ihr scheint mit größerer Geschwindigkeit fort zu wollen, als Eurem Maulesel guttut.«

»Ich darf mich nicht aufhalten, Señor«, antwortete der Mann; »denn die Waffen, die Ihr hier in meiner Hut seht, sollen morgen gebraucht werden, und mithin darf ich mich nirgends verweilen, und Gott befohlen. Wenn Ihr aber wissen wollt, zu welchem Zweck ich mit ihnen des Weges ziehe, so denk ich in der Schenke, die oberhalb der Einsiedelei liegt, diese Nacht zu herbergen, und wenn Ihr denselben Weg nehmt, dort könnt Ihr mich finden, und da will ich Euch Wunderdinge erzählen; und nochmals Gott befohlen.«

Und er trieb den Maulesel so stark mit dem Stachel an, daß Don Quijote ihn nicht mehr fragen konnte, was für Wunderdinge er ihnen zu erzählen gedenke; und da der Ritter etwas neugierig und beständig von dem Verlangen geplagt war, seltsame Dinge zu erfahren, befahl er, augenblicks aufzubrechen und zum Übernachten nach der Schenke zu ziehen, ohne die Einsiedelei zu berühren, wo der Vetter das Nachtlager gewünscht hatte. Es geschah also; sie stiegen auf und ritten alle drei geradesweges nach der Schenke, wo sie kurz vor Abend ankamen.

Der Vetter sagte zu Don Quijote, sie sollten sich doch erst nach der Einsiedelei begeben, um einen Schluck zu trinken. Kaum hörte das Sancho Pansa, da lenkte er seinen Grauen zu ihr hin, und das nämliche taten Don Quijote und der Vetter; allein Sanchos Unstern schien es so gefügt zu haben, daß der Einsiedler nicht zu Hause war, wie ihnen ein Unterklausner sagte, den sie in der Einsiedelei fanden. Sie verlangten vom Besten; er antwortete, sein Herr habe keinen; wenn sie aber wohlfeiles Wasser haben wollten, so würde er es ihnen sehr gern verabreichen.

»Wenn ich Durst nach Wasser hätte«, erwiderte Sancho, »so waren unterwegs genug Brunnen, wo ich ihn hätte stillen können. O Camachos Hochzeit! Und du, behagliche Fülle in Don Diegos Haus! Wie oft muß ich euch vermissen!«

Hiermit schieden sie von der Einsiedelei und spornten ihre Tiere nach der Schenke hinauf; eine kurze Strecke weiter stießen sie auf ein Bürschchen, das von ihnen herschritt, doch nicht sehr eilig, und so holten sie es ein. Der Bursche trug sein Schwert auf der Schulter, und daran hing ein Bündel oder Pack, wie es den Anschein hatte, mit seinen Kleidern; ohne Zweifel waren es Hosen oder Beinkleider, ein Mantel und wohl auch ein paar Hemden, denn er hatte nur ein Röcklein an, von Seide, mit einer Spur von Atlas aufgeputzt, und das Hemd sah daraus hervor; die Strümpfe waren von Seide, die Schuhe viereckig abgestutzt, nach der Mode des Hofes. Sein Alter mochte an achtzehn oder neunzehn Jahre reichen; er hatte muntere Gesichtszüge und war dem Anscheine nach gelenk von Körper. Im Gehen sang er lustige Volksweisen, um sich die Mühe des Wanderns zu erleichtern. Als sie ihn einholten, hatte er eben eine zu Ende gesungen, die der Vetter auswendig behielt und die folgendermaßen gelautet haben soll:

Zum Krieg hat mich geworben
Not, die Eisen bricht;
Und hätt ich Geld im Säckel,
Tät ich’s wahrlich nicht.

Der erste, der ihn anredete, war Don Quijote, der also zu ihm sprach: »Ihr reist sehr leicht gekleidet, junger Herr; und wohin des Weges? Laßt es uns hören, wenn es Euch nicht unangenehm ist, es zu sagen.«

Darauf antwortete der Jüngling: »Daß ich so leicht gekleidet gehe, daran ist die Hitze schuld und die Armut; und wohin ich gehe? In den Krieg.«

»Wieso die Armut?« fragte Don Quijote; »der Hitze wegen, das kann schon sein.«

»Señor«, antwortete der junge Mann, »ich habe in diesem Pack ein Paar Samthosen, die Kollegen dieses Röckleins; wenn ich sie auf der Reise verbrauche, so kann ich mich nicht mehr in der Stadt damit putzen; und ich habe nichts, womit ich mir andre kaufen könnte; und sowohl darum, als auch um mich in der Luft zu erfrischen, gehe ich so angezogen, bis ich zu den Kompanien Fußvolks gelange, die keine zwölf Meilen von hier stehen; dort will ich mich anwerben lassen, und da wird es auch an Gepäckwagen nicht fehlen, worin ich weiter bis zum Einschiffungsort fahren kann, welcher, wie ich höre, Cartagena sein wird. Ich will zum Herrn und Gebieter lieber den König haben und ihm im Kriege dienen als einem Knauser in der Residenz.«

»Habt Ihr denn nicht irgendeine Zulage zur Löhnung erhalten?« fragte der Vetter.

»Hätte ich einem Granden von Spanien oder sonst einem vornehmen Herrn gedient«, antwortete der Jüngling, »so würde ich sicherlich dergleichen haben; denn das ist das Gute am Dienst bei Leuten, die was Rechtes sind, daß man aus dem Gesindezimmer heraus gleich Fähnrich oder Hauptmann wird oder ein gutes Wartegeld bekommt. Aber ich Unglücklicher habe immer bei Stellenjägern und hergelaufenem Volk gedient, das so wenig Kost und Lohn hatte, daß die Hälfte draufging, wenn sie sich einen Halskragen stärken lassen sollten. Da wäre es für ein Wunder zu halten, wenn ein durch die Welt irrender Diener zu irgendeinem wenn auch nur mäßigen Glück käme.«

»Aber sagt mir die Wahrheit, bei Eurem Leben, Freund«, sprach Don Quijote, »ist es möglich, daß Ihr es während all der Jahre, wo Ihr gedient, nicht einmal zu einer Livree gebracht habt?«

»Ich habe deren zwei bekommen«, antwortete der Diener; »aber wie man einem, der aus einem Mönchsorden, ehe er sein Gelübde abgelegt hat, wieder austritt, die Ordenstracht abnimmt und ihm seine früheren Kleider wiedergibt, so wurden mir die meinigen von meinen Herren wieder genommen; denn wenn die Angelegenheiten, derentwegen sie in die Residenz gekommen, erledigt waren, kehrten sie nach Hause zurück und nahmen die Livree wieder an sich, die sie aus bloßer Prahlsucht gegeben hatten.«

»Eine bemerkenswerte spilorceria, wie der Italiener sagt«, sprach Don Quijote. »Aber trotzdem dürft Ihr es für ein besonderes Glück erachten, daß Ihr der Residenz mit einem so trefflichen Vorsatz den Rücken gewendet; denn es gibt nichts auf Erden, was mehr Ehre und mehr Vorteil bringt, als zuerst Gott zu dienen, hierauf aber sogleich seinem Könige und angestammten Herrn, besonders im Waffenwerk, womit, wenn nicht größerer Reichtum, so doch mindestenfalls größere Ehre gewonnen wird als mittels der Gelahrtheit, wie ich schon oftmalen gesaget. Denn wenn auch die Gelehrsamkeit mehr Familienmajorate hat als das Waffenwerk, so haben doch die durch den Wehrstand gegründeten vor denen, die der Gelehrtenstand gegründet, ein gewisses Etwas voraus, dazu eine Art Glanz, der ihnen den Vorzug vor allen verleiht.

Was ich aber Euch jetzt sagen will, das bewahrt in Eurem Gedächtnis, denn es wird Euch zu großer Ersprießlichkeit und Erquickung in Euren Mühsalen gereichen: Ihr sollt nämlich den Gedanken an die feindlichen Schicksalsfälle, die Euch treffen können, weit von Eurem Geiste entfernt halten; denn der schlimmste Fall von allen ist das Sterben, und falls dieses nur ein rühmliches ist, so ist das Sterben der beste von allen. Julius Cäsar, jener tapfere römische Imperator, wurde einst gefragt, welches der beste Tod sei; er antwortete: der unvermutete, der plötzliche und unvorhergesehene, und obgleich er als ein Heide antwortete, als ein Mann, dem die Kenntnis des wahren Gottes fremd war, so sagte er doch, was das Richtige war, um sich von der allgemeinen menschlichen Empfindung frei zu machen. Denn gesetzt den Fall, Ihr kommt im ersten Treffen oder Handgemenge um, sei es durch einen Kanonenschuß, sei es durch eine Mine, was liegt daran? Alles ist doch weiter nichts als Sterben, und damit ist die Sache abgetan, und nach Terenz steht es dem Kriegsmann schöner an, auf dem Schlachtfelde tot zu liegen, als sich auf der Flucht lebend und gerettet zu sehen. Der brave Soldat gewinnt so viel des Ruhmes, so unverbrüchlich er den Gehorsam wahrt seinen Hauptleuten und denen, welche Befehlsgewalt über ihn haben. Und merkt Euch, mein Sohn, es paßt sich für den Soldaten besser, nach Pulver als nach Bisam zu riechen, und wenn einst das Alter Euch noch in diesem ehrenvollen Berufe findet, wenn auch voller Wunden oder verkrüppelt oder lahm, so kann es Euch zum mindesten nicht ohne Ehre finden, ohne eine Ehre, die Euch Armut nimmer schmälern kann. Zudem ist man schon daran, Anstalten für Unterhalt und Pflege der alten verkrüppelten Soldaten zu treffen; denn es ist nicht recht, so mit ihnen zu verfahren wie manche mit ihren Negersklaven, die sie, wenn sie alt sind und nicht mehr dienen können, entlassen und in Freiheit setzen, sie unter dem Namen Freigelassene aus dem Hause stoßen und sie dadurch zu Sklaven des Hungers machen, von dem sie keine Befreiung hoffen können als durch den Tod. Aber für jetzt will ich Euch nichts weiter sagen, als daß Ihr Euch diesem meinem Roß auf die Kruppe setzet bis zur Schenke, und dort sollt Ihr mit mir zu Abend essen und morgen Eure Reise fortsetzen, welche Gott Euch zu einer so glücklichen machen möge, wie es Euer Vorhaben verdient.«

Der Diener nahm die Einladung auf die Kruppe nicht an, wohl aber die, mit ihm in der Schenke zu speisen; und es wird berichtet, bei dieser Gelegenheit habe Sancho leise für sich gesagt: »Hilf Himmel, was für ein Herr bist du! Wie kann nur ein Mann, der solche und so viele und so treffliche Dinge zu sagen weiß, wie er soeben gesagt hat, behaupten, er habe all den unmöglichen Widersinn mit Augen gesehen, den er von der Höhle des Montesinos erzählt? Nun gut, es wird sich schon finden.«

Unterdessen kamen sie mit Eintritt der Dunkelheit vor der Schenke an, wobei Sancho sich nicht wenig freute, weil er sah, daß sein Herr sie für eine wirkliche Schenke hielt und nicht für eine Burg, wie er zu tun pflegte. Kaum waren sie eingetreten, als Don Quijote den Wirt nach dem Mann mit den Spießen und Hellebarden fragte; dieser antwortete, derselbe sei im Stalle damit beschäftigt, den Maulesel zu versorgen. Das nämliche taten nun auch der Vetter und Sancho mit ihren Tieren, wobei sie Rosinanten die beste Krippe und den besten Platz im ganzen Stall einräumten.

25. Kapitel


Wo das Abenteuer vom Eselsgeschrei berührt wird, auch das gar kurzweilige von dem Puppenspieler, benebst den denkwürdigen Offenbarungen des wahrsagenden Affen

Es ließ unserm Don Quijote nicht Rast noch Ruhe, und er brannte vor Ungeduld, die Wunderdinge zu hören, die ihm der Mann mit den Waffen versprochen hatte. Er ging und suchte ihn da, wo er nach Angabe des Wirtes zu treffen war; er fand ihn und sagte ihm, jedenfalls müsse er ihm unverzüglich mitteilen, was er ihm wegen der unterwegs an ihn gerichteten Anfrage zu sagen habe.

Der Mann antwortete: »Nur bei größerer Muße und nicht stehenden Fußes kann die Geschichte von meinen Wunderdingen erzählt werden; laßt mich, mein guter Herr, mein Tier erst vollends versorgen, und ich will Euch manches sagen, das Euch in Erstaunen setzen wird.«

»Darum soll es wahrlich nicht unterbleiben«, erwiderte Don Quijote; »ich will Euch bei allem helfen.«

Und so tat er denn auch, er siebte die Gerste und reinigte die Krippe; eine Herablassung, die den Mann bewog, bereitwilligst zu erzählen, was der Ritter von ihm begehrte. Er setzte sich auf eine steinerne Bank und Don Quijote neben ihn; als Zuhörer hatten sie den Vetter, den Diener, Sancho Pansa und den Wirt, und er hob folgendermaßen zu erzählen an: »Ihr müßt wissen, verehrte Herren, daß in einer Ortschaft, fünfthalb Meilen von hier, ein Gemeinderat seinen Esel vermißte; es geschah dies durch Hinterlist und Tücke seines jungen Dienstmädchens, was zu weitläufig zu erzählen wäre. Wiewohl nun besagter Gemeinderat sich alle denkbare Mühe gab, ihn wiederzufinden, gelang ihm dies doch nicht. Vierzehn Tage mochten vorübergegangen sein, wie man allgemein sagt und glaubt, seit der Esel fehlte, als auf dem Marktplatz zu dem vom Verlust betroffenen Gemeinderat ein andrer Gemeinderat desselben Ortes kam und sagte: ›Gebt mir Botenlohn, Gevatter, Euer Esel ist zum Vorschein gekommen.‹

›Den Botenlohn geb ich Euch, und einen guten‹, erwiderte der andre; ›aber laßt hören, wo er zum Vorschein gekommen.‹

›Im Walde‹, antwortete der Finder, ›hab ich ihn heut morgen gesehen, ohne Sattel und Geschirr und so mager, daß es ein jämmerlicher Anblick war. Ich wollte ihn vor mir hertreiben und ihn Euch bringen; aber er ist schon so wild und scheu geworden, daß er, als ich auf ihn zuging, von dannen lief und in das versteckteste Dickicht des Waldes rannte. Wenn Ihr wollt, daß wir alle beide ihn wieder suchen gehen, so laßt mich nur meine Eselin nach Haus bringen; ich komme gleich wieder.‹

›Das ist sehr freundlich von Euch‹, sagte der Herr des Esels, ›und es soll meine Sorge sein, Euch dereinst in gleicher Münze zu bezahlen.‹

Mit all diesen Umständen und auf dieselbe Art erzählen es alle, die den wahren Hergang der Sache kennen. Kurz, die zwei Gemeinderäte gingen in treuer Freundschaft zu Fuße nach dem Wald, aber als sie an Ort und Stelle kamen, wo sie den Esel zu finden gedachten, fanden sie ihn nicht, und er ließ sich weit und breit nicht sehen, so eifrig sie ihn auch suchten. Als er nun nirgends zu entdecken war, sagte der Gemeinderat, der den Esel erblickt hatte, zu dem andern: ›Hört, Gevatter, es ist mir ein Kniff eingefallen, mit dem wir ganz gewiß das Tier auffinden können, und sollte es im innersten Schoß der Erde stecken, geschweige im Wald; nämlich ich kann wundervoll iahen, und wenn Ihr es auch ein wenig könnt, so dürft Ihr die Sache für abgemacht ansehen.‹

›Ein wenig, sagt Ihr, Gevatter?‹ sprach der andre; ‹bei Gott, darin nehme ich es mit jedem auf, selbst mit dem Esel.‹

›Das wollen wir gleich sehen‹, sagte der zweite Gemeinderat. ›Ich habe mir ausgedacht, Ihr geht durch den Wald nach der einen Richtung und ich nach der andern, so daß wir den Wald ganz umkreisen und ganz durchstreifen, und von Zeit zu Zeit sollt Ihr iahen und will ich iahen, und da muß uns der Esel hören und uns antworten, wenn er wirklich im Walde ist.‹

Darauf antwortete der Herr des Esels: ›Ich sag Euch, Gevatter, der Anschlag ist ausgezeichnet und Eures großen Geistes würdig.‹

Als sich die beiden nun gemäß dem Übereinkommen trennten, geschah es, daß sie fast zur nämlichen Zeit iah schrien, und jeglicher von ihnen, vom Iahen des andern getäuscht, eilte herbei, seinen Gefährten aufzusuchen, in der Meinung, der Esel sei schon gefunden. Als sie einander erblickten, sagte der vom Verlust betroffene Gemeinderat: ›Ist’s möglich, Gevatter, daß es nicht mein Esel war, der da schrie?‹

‹Nein, niemand war’s als ich‹, entgegnete der andre.

›Jetzt aber sag ich‹, sprach der Besitzer des Esels, ›zwischen Euch und einem Esel ist nicht der geringste Unterschied, was das Iahen betrifft; denn in meinem ganzen Leben hab ich nichts Natürlicheres gehört noch gesehen.‹

›Solches Lob und so hoher Preis‹, antwortete der Erfinder der List, ›gebühren Euch eher als mir; denn bei dem Gott, der mich erschaffen hat, Ihr könnt dem besten und geübtesten Iah-Schreier auf Erden zwei Iahs vorgeben. Denn Euer Ton ist so stark, Ihr haltet die Stimme so in richtigem Takt, Rhythmus und Tempo, daß ich mich für überwunden erkläre; ich übergebe Euch die Palme und reiche Euch das Banner des Führers in dieser seltenen Fertigkeit.‹

›Jetzt muß ich allerdings sagen‹, entgegnete der Eselsbesitzer, ›daß ich von nun an mehr von mir halten und mich höher schätzen werde, weil ich einiges Talent besitze; denn wenn ich auch glaubte, gut iah zu schreien, so habe ich doch nie gedacht, daß ich darin eine solche Vollendung besitze, wie Ihr sagt.‹

›Ich muß jetzt auch noch bemerken‹, versetzte der zweite, ›daß gar manche seltene Begabungen auf der Welt verlorengehen und bei denen übel angebracht sind, die sie nicht zu benützen wissen.‹

›Unsere Talente‹, antwortete der Eselsbesitzer, ›können uns in anderen Fällen als dem, den wir gerade unter den Händen haben, wenig nützen, und selbst in diesem: wollte Gott, sie wären uns von Nutzen!‹

Hierauf trennten sie sich abermals und huben aufs neue an, ihr Iah zu schreien; aber jeden Augenblick täuschten sie sich wieder und liefen wieder aufeinander zu, bis sie verabredeten, sie wollten immer zweimal hintereinander iah schreien, um zu erkennen, daß sie es seien und nicht der Esel. Hiermit durchstreiften sie den ganzen Wald und stießen bei jedem Schritte ihr Iah doppelt aus, ohne daß der verlorene Esel antwortete oder auch nur etwas von sich merken ließ. Aber wie sollte das unglückliche Tier antworten, da sie es endlich im verstecktesten Dickicht von den Wölfen angefressen fanden? Und als sein Herr den Esel erblickte, sprach er: ›Wohl mußte ich mich verwundern, daß er keine Antwort gab; denn wäre er nicht tot gewesen, so hätte er iah geschrien, sobald er uns hörte, oder er wäre kein Esel gewesen. Aber damit, daß ich Euch so lieblich iahen gehört, Gevatter, halte ich die Mühsal für gut bezahlt, die ich beim Suchen gehabt, wenn ich ihn auch tot gefunden habe.‹

›Das stand ja in guter Hand, Gevatter‹, antwortete der andre; ›denn wenn der Priester gut singt, bleibt der Chorknabe nicht hinter ihm zurück.‹

Hiermit kehrten sie, trostlos und heiser, in ihr Dorf zurück und erzählten dort ihren Freunden, Nachbarn und Bekannten, was alles ihnen auf der Suche nach dem Esel begegnet war, wobei der eine das Talent des andern im Iahen über die Maßen rühmte. Die ganze Geschichte wurde bald in den umliegenden Orten bekannt und verbreitet; und da der Teufel, der nie schläft, seine Freude daran hat, Hader und Zwietracht zu säen und auszustreuen, wo es nur immer geht, und zu diesem Zwecke bösartigen Klatsch ohne Sinn und die größten Händel um nichts und wieder nichts aufrührt, so trieb er die Leute aus den andern Ortschaften an, wenn sie einen aus unsrem Dorf zu Gesicht bekamen, iah zu schreien, als wollten sie ihnen das Iahen unsrer Gemeinderäte unter die Nase reiben. Auch die Gassenbuben fingen es auf, und das hieß allen bösen Geistern der Hölle in die Hände und in die Mäuler geraten; das Eselsgeschrei griff um sich von Dorf zu Dorf, so daß die aus dem Iaher-Dorf Gebürtigen nunmehr überall kenntlich sind, wie Neger kenntlich sind unter Weißen. Ja, diese unselige Spötterei hat endlich dahin geführt, daß oftmals mit bewaffneter Hand und geschlossener Schar die Verspotteten gegen die Spötter auszogen, um einander Schlachten zu liefern, ohne daß König oder Königin, Furcht oder Scham es hindern konnten. Ich glaube, morgen oder nächster Tage werden die von meinem Dorf, das heißt die Leute, bei denen das Iahen angefangen hat, gegen ein andres Dorf zu Felde ziehen, welches zwei Meilen vom unsrigen entfernt ist und zu denen gehört, die uns am ärgsten verfolgen; und weil sie wohlgerüstet ausziehen wollen, habe ich die Spieße und Hellebarden gekauft und hergebracht, die Ihr gesehen habt. Dies also sind die Wunderdinge, die ich, wie ich gesagt, Euch zu erzählen hatte; und wenn sie Euch nicht so wundersam vorkommen, ich weiß keine andern weiter.«

Hiermit schloß der wackere Bursche seine Erzählung. Gleichzeitig trat zur Tür der Schenke ein Mann herein, der ganz in Gemsleder gekleidet war, Strümpfe wie Hosen und Wams; mit lauter Stimme sprach er: »Herr Wirt, gibt’s Quartier? Hier kommt der wahrsagende Affe und das Puppenspiel von der Befreiung der Melisendra.«

»Potztausend!« sagte der Wirt; »da kommt ja Meister Pedro; heut steht uns ein herrlicher Abend bevor.«

Ich vergaß zu bemerken, daß Meister Pedro das linke Auge und fast die halbe Wange mit einem Pflaster von grünem Taft bedeckt hatte, ein Zeichen, daß diese ganze Seite an einem Schaden litt.

Der Wirt fuhr fort: »Euer Gnaden sei willkommen, Meister Pedro. Wo ist der Affe und das Puppentheater, daß ich sie nicht sehe?«

»Sie sind schon ganz nahe«, antwortete der Gemslederne; »ich bin nur vorausgegangen, um zu hören, ob es Quartier gibt.«

»Das würde ich sogar dem Herzog von Alba wegnehmen, um es Meister Pedro zu geben«, erwiderte der Wirt; »laßt nur den Affen und das Puppentheater kommen, es sind diese Nacht Leute im Wirtshaus, die dafür zahlen werden, das Theater und die Künste des Affen zu sehen.«

»Sehr gut«, entgegnete der mit dem Pflaster; »ich werde den Preis ermäßigen und will mit meinen Unkosten allein schon ganz zufrieden sein. Ich will nur noch einmal zurück und machen, daß der Karren mit dem Affen und dem Puppentheater bald kommt.«

Und sofort eilte er wieder aus der Schenke hinaus. Don Quijote fragte sogleich den Wirt, was für ein Meister Pedro das sei und was für ein Puppentheater und was für einen Affen er bei sich führe.

Der Wirt antwortete: »Der Mann ist ein ausgezeichneter Puppenspieler, der seit vielen Tagen in unsrer aragonesischen Mancha umherzieht und das Puppenspiel von Melisendra sehen läßt, wie sie durch den ruhmvollen Don Gaiféros befreit wird, eine der schönsten und am besten dargestellten Geschichten, die man seit langen Jahren in unsrem Königreich gesehen hat. Er hat auch einen Affen bei sich, der besitzt die seltenste Geschicklichkeit, die man jemals unter Affen gefunden hat oder die ein Mensch sich überhaupt vorstellen kann; denn wenn man ihn etwas fragt, horcht er auf die Frage, springt sogleich seinem Herrn auf die Schultern und dicht ans Ohr und sagt ihm die Antwort auf das Gefragte, und Meister Pedro tut sie sogleich den Zuhörern kund. Von vergangenen Dingen sagt er mehr als von zukünftigen; und obschon er nicht immer in allen Sachen das Richtige trifft, so geht er doch bei den meisten nicht fehl, so daß man glauben möchte, er habe den Teufel im Leibe. Zwei Realen nimmt Meister Pedro für jede Frage, wenn nämlich der Affe eine Antwort gibt, ich meine, wenn der Herr für ihn antwortet, nachdem der Affe ihm was ins Ohr gesagt. Daher glaubt man auch, daß der Meister Pedro steinreich ist; auch ist er ein galantuomo und buon compagno, wie man in Italien sagt, und lebt herrlich und in Freuden; er schwatzt mehr als ihrer sechse und trinkt mehr als ihrer zwölfe, und alles das verdient ihm seine Zunge, sein Affe und sein Puppentheater.«

Indem kehrte Meister Pedro zurück, und auf einem Karren kam auch das Puppentheater und der Affe, groß und ohne Schwanz, das Gesäß wie von Filz, das Gesicht aber sah nicht übel aus.

Kaum hatte ihn Don Quijote erblickt, als er ihn fragte: »Sagt mir doch, Herr Wahrsager, che pesce pigliamo? Was steht uns bevor? Hier habt Ihr meine zwei Realen.«

Sogleich befahl er Sancho, dem Meister Pedro das Geld zu geben. Der aber antwortete für den Affen: »Señor, über zukünftige Dinge gibt das Tier weder Antwort noch Auskunft; auf vergangene versteht es sich einigermaßen und auf gegenwärtige ein wenig.«

»Bei Gott!« sagte Sancho, »dafür gäb ich keinen Pfifferling, daß man mir sagt, was mit mir vorgegangen ist; denn wer kann das besser wissen als ich selbst? Und daß ich dafür zahle, daß man mir sagt, was ich weiß, wäre eine große Dummheit. Aber da er sich auf die gegenwärtigen Dinge versteht, hier sind meine zwei Realen, der Herr Wunderaffe soll mir sagen: Was macht jetzt meine Frau Teresa Pansa und womit beschäftigt sie sich?«

Meister Pedro wollte das Geld nicht nehmen und sprach: »Ich mag die Bezahlung nicht im voraus nehmen, sondern die Dienstleistung muß vorangehen.«

Und wie er sich nun mit der rechten Hand zweimal auf die linke Schulter schlug, sprang der Affe mit einem Satz hinauf, hielt das Maul an Pedros Ohr, klappte mit den Zähnen hastig aufeinander, und nachdem er dies Spiel, etwa so lang man ein Kredo betet, getrieben hatte, sprang er wieder mit einem Satz auf den Boden, und im Augenblick warf sich Meister Pedro mit größter Hast auf die Knie vor Don Quijote, umfaßte dessen Beine und sprach: »Um diese Beine schling ich meine Arme, grade als ob ich die beiden Säulen des Herkules umfaßte, o du erlauchter Auferwecker des schon in Vergessenheit geratenen Rittertums! O du nimmer nach Gebühr gepriesener Ritter Don Quijote von der Mancha, du Stütze der Fallenden, Arm der Gefallenen, Stab und Trost aller Unglücklichen!«

Don Quijote war starr, Sancho außer sich, der Vetter in Staunen versunken, der Diener schier entsetzt, der Mann aus dem Iaher-Dorf stand mit offnem Maule und der Wirt ganz verdutzt; kurz, alle schraken zusammen, die des Puppenspielers Worte gehört.

Der aber fuhr folgendermaßen fort: »Und du, o wackerer Sancho Pansa, du, der beste Schildknappe des besten Ritters auf Erden! Freudig vernimm, daß es deinem guten Weibe Teresa gut ergeht; zur Stunde hechelt sie ein Pfund Flachs, und zum Wahrzeichen hat sie zu ihrer Linken einen Krug mit zerbrochenem Halse stehen, der einen tüchtigen Schluck Wein faßt; womit sie sich bei ihrer Arbeit erheitert.«

»Das glaub ich wohl«, entgegnete Sancho, »denn sie ist ein kreuzbraves Weib, und wäre sie nicht eifersüchtig, so würde ich sie nicht gegen die Riesin Andandona tauschen, die nach meines Herrn Bericht ein äußerst rechtschaffenes Frauenzimmer war; meine Teresa aber gehört zu jenen Weibern, die sich nichts abgehn lassen, und sollt es auch auf Kosten ihrer Erben geschehen.«

»Jetzt muß ich sagen«, fiel hier Don Quijote ein, »wer viel liest und viel reist, sieht vieles und erfährt vieles. Ja, das sag ich, denn welche Überredung hätte genügt, mich zu überreden, daß es Affen auf der Welt gibt, die wahrsagen können, wie ich es jetzt mit meinen eigenen Augen gesehen? Bin ich doch der nämliche Don Quijote von der Mancha, den dies wackere Tier genannt hat, obschon es etwas zu freigebig mit meinem Lob gewesen; aber wer und wie ich auch immer sein möge, ich danke dem Himmel, der mich mit einem weichen und mitfühlenden Gemüte begabt hat, das stets geneigt ist, jedermann Gutes und keinem Böses zu tun.«

»Wenn ich Geld hätte«, sagte der Diener, »würde ich den Herrn Affen fragen, wie es mir auf der Wanderschaft gehen wird, die ich vorhabe.«

Darauf antwortete Meister Pedro, der sich von dem Fußfall vor Don Quijote bereits wieder erhoben hatte: »Ich habe schon gesagt, daß dies Tierchen über Zukünftiges keine Antwort erteilt; wenn es sie erteilte, so käme es darauf nicht an, daß einer Geld hat, denn um dem allhier gegenwärtigen Señor Don Quijote gefällig zu sein, würde ich jeden Geldvorteil auf Erden beiseite setzen. Jetzt nun, weil ich es ihm schuldig bin und weil ich ihm Vergnügungen machen will, werde ich mein Puppentheater aufstellen und allen in der Schenke Anwesenden eine Freude bereiten, und zwar ohne alle Bezahlung.«

Als der Wirt dies hörte, freute er sich über die Maßen und wies einen Platz an, wo das Theater aufgestellt werden konnte, und es war dies in einem Augenblick geschehen. Don Quijote war mit der Wahrsagerei des Affen nicht zufrieden, weil es ihm unziemlich erschien, daß ein Affe wahrsagen sollte, gleichviel, ob Zukünftiges oder Vergangenes. Daher zog er sich, während Meister Pedro sein Puppentheater in Ordnung brachte, mit Sancho in einen Winkel des Stalles zurück und sagte zu diesem, ohne dort von jemandem belauscht zu werden: »Höre, Sancho, ich habe mir die außerordentliche Geschicklichkeit dieses Affen überlegt, und ich halte dafür, daß dieser Meister Pedro, sein Herr, einen stillschweigenden oder ausdrücklichen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben muß.«

»Wenn das Paket ausgedrückt und vom Teufel verschlossen ist«, sprach Sancho, »so muß es ganz gewiß ein gar schmutziges Paket sein. Aber was hat der Meister Pedro davon, daß er solche Pakete hat?«

»Du verstehst mich nicht, Sancho«, erwiderte Don Quijote. »Ich will nur so viel sagen, daß er ein Übereinkommen mit dem Teufel getroffen haben muß, damit dieser dem Affen jene Geschicklichkeit eingebe, mit welcher der Pedro sein Brot verdienen will, und wenn er dann reich geworden, muß er dem Teufel seine Seele zu eigen geben; denn das ist es eben, was dieser Feind der Menschheit begehrt. Was mich zu diesem Glauben bringt, ist, daß dieser Affe nur über Vergangenes oder Gegenwärtiges Antwort erteilt, und auf ein mehreres kann sich des Teufels Wissenschaft nicht erstrecken. Das Künftige weiß er nicht, außer etwa durch Vermutung, und das nicht immer; denn Gott allein ist es vorbehalten, die Zeiten und die Augenblicke zu kennen, und für ihn gibt es weder Vergangenheit noch Zukunft, alles ist ihm gegenwärtig. Und wenn dies seine Richtigkeit hat, wie es unzweifelhaft der Fall ist, so ist es klar, daß dieser Affe durch des Teufels Kunst spricht, und ich wundre mich, daß man ihn nicht vor dem heiligen Gericht der Inquisition angeklagt und verhört und gründlich aus ihm herausgebracht hat, kraft welchen Geistes er wahrsagt; denn es ist gewiß, daß dieser Affe sich nicht auf Sterndeuterei versteht und daß weder sein Herr noch er selbst jene Figuren zu ziehen verstehen, die man Horoskope nennt, was heutzutage in Spanien so allgemein gemacht wird, daß es kein altes Weib, keinen Hausdiener, keinen Schuhflicker gibt, der sich nicht herausnimmt, ein Horoskop zu stellen, so leichthin, als zöge er den Buben aus einem Kartenspiel; wobei sie dann durch ihre Lügen und ihre Unwissenheit die wunderbare Wahrheit der astrologischen Wissenschaft zugrunde richten. Mir ist von einer vornehmen Dame bekannt, daß sie einen dieser Horoskopsteller fragte, ob ihr kleines Schoßhündchen trächtig werden und Junge werfen würde und wie viele und von welcher Farbe die Welpen sein würden. Der Sterndeuter stellte das Horoskop und antwortete, das Hündchen werde trächtig werden und drei Junge werfen, das eine grün, das andre rosig, das dritte gescheckt; allein nur unter dem Beding, daß besagte Hündin zwischen elf und zwölf Uhr bei Tage oder bei Nacht belegt würde, und zwar am Montag oder am Samstag. Und was dann geschah, war, daß zwei Tage nachher die Hündin einging, weil sie sich überfressen hatte; aber der Herr Horoskopsteller galt am Orte nach wie vor für den kundigsten Sterndeuter, wie alle oder die meisten Horoskopsteller dafür gelten.«

»Trotz alledem wünschte ich«, sprach Sancho, »daß Euer Gnaden den Meister Pedro beauftragte, seinen Affen zu fragen, ob auf Wahrheit beruhe, was Euch in der Höhle des Montesinos begegnet ist; denn ich meinesteils glaube, daß, mit Euer Gnaden Verlaub, alles nur Lug und Trug oder zum mindesten Traumgebilde war.«

»Alles ist möglich«, entgegnete Don Quijote; »indessen will ich tun, was du mir anrätst, wenn ich dabei auch noch immer, ich weiß nicht welche Bedenken habe.«

Als sie so weit waren, kam Meister Pedro, um Don Quijote zu holen und ihm zu sagen, daß das Puppentheater bereits aufgeschlagen sei; Seine Gnaden möchte kommen, es zu sehen, denn das sei es wirklich wert. Don Quijote teilte ihm seinen Wunsch mit und bat ihn, seinen Affen sogleich zu fragen, damit er ihm Auskunft gebe, ob gewisse Dinge, die er in der Höhle des Montesinos erlebt habe, Traum oder Wirklichkeit seien; ihn wenigstens bedünke es, sie hätten was von beidem.

Meister Pedro hierauf, ohne eine Silbe zu antworten, brachte seinen Affen wieder herbei, stellte ihn vor Don Quijote und Sancho hin und sagte: »Sieh, lieber Affe, dieser Ritter begehrt zu wissen, ob gewisse Dinge, die ihm in einer Höhle begegnet sind, welche des Montesinos Höhle heißt, falsch oder wahr sind.«

Hiermit gab er ihm das gewöhnliche Zeichen; der Affe sprang ihm auf die linke Schulter und tat, als ob er ihm etwas ins Ohr flüsterte, und Meister Pedro sprach sogleich: »Der Affe sagt, was Euer Gnaden in besagter Höhle gesehen oder erlebt hat, ist teilweise falsch und teilweise wahrscheinlich; er sagt ferner, dies und nichts andres wisse er in betreff dieser Frage, und wenn Euer Gnaden mehr zu erfahren wünsche, so werde er den nächsten Freitag all Eure Fragen beantworten; für jetzt sei es mit der Kraft seiner Begabung vorbei, welche ihm erst am Freitag wiederkommen wird, wie er bereits gesagt.«

»Sagte ich’s nicht«, fiel Sancho ein, »daß mir nicht eingehen wolle, was Euer Gnaden über die Vorkommnisse in der Höhle gesagt hat, sei auch nur zur Hälfte wahr?«

»Der Erfolg wird’s lehren«, erwiderte Don Quijote; »die Zeit, die Offenbarerin aller Dinge, bringt jegliches ans Licht der Sonnen, und wäre es auch tief im Schoß der Erden verborgen. Für jetzt sei es hiermit genug, und gehen wir und sehen uns das Puppenspiel des wackeren Meisters Pedro an, das gewiß, glaube ich, manches Neue bieten wird.«

»Wieso manches?« entgegnete Meister Pedro; »sechzigtausend neue Sachen enthält dies mein Puppentheater. Ich sage Euer Gnaden, mein hochverehrter Señor Don Quijote, es ist eine der größten Sehenswürdigkeiten, die heutzutage die Welt aufzuweisen hat, und operibus credite, et non verbis; und Hand ans Werk, denn es wird spät, und wir haben viel zu tun und zu sagen und zu zeigen!«

Don Quijote und Sancho gehorchten und verfügten sich an den Platz, wo das Puppentheater schon aufgeschlagen und geöffnet war, ringsher voll angezündeter Wachslichter, die ihm ein prächtiges, glänzendes Aussehen gaben. Meister Pedro nahm alsbald seinen Platz hinter der Bühne, denn er war es, der die Figuren zu lenken hatte, und vor ihr stellte sich ein Bursche auf, Meister Pedros Diener, um als Dolmetsch und Erklärer der Geheimnisse des Puppenspiels zu wirken; er hielt ein Stäbchen in der Hand, mit dem er die auftretenden Figuren zeigte und benannte.

Nachdem sich alles, was im Wirtshause war, vor das Puppentheater niedergesetzt oder gestellt hatte und Don Quijote, Sancho, der Diener und der Vetter auf den besten Plätzen untergebracht waren, begann der Dolmetsch vorzutragen, was jeglicher hören und sehen wird, der ihm zuhören oder das folgende Kapitel lesen will.

18. Kapitel


Von den Begebnissen, so dem Ritter Don Quijote in der Burg oder Behausung des Ritters vom grünen Mantel zustießen, nebst andern ungeheuerlichen Dingen

Don Quijote fand das Haus des Don Diego de Miranda sehr geräumig, wie üblich bei Wohngebäuden auf dem Dorfe; das Adelswappen war, wenn auch in groben Stein eingehauen, über dem Tor zur Straße; das Weinlager im inneren Hofe, der Keller unter dem Torweg, wo zahlreiche irdene Krüge ringsherum standen, die, weil sie von Toboso waren, in ihm die Erinnerung an seine verzauberte und verwandelte Dulcinea erneuten. Und seufzend und ohne zu überlegen, was er sagte und vor wem er es sagte, sprach er:

»O süße Pfänder, mir zur Qual gefunden!
Süß und erfreulich, wenn es Gott so wollte!

O ihr tobosanischen Krüge, wie habt ihr mir das süße Pfand meiner größten Bitternis ins Gedächtnis gerufen!«

Dies hörte der dichtende Student, der Sohn Don Diegos, der mit seiner Mutter aus dem Hause gekommen war, ihn zu begrüßen; und Mutter und Sohn wurden von Erstaunen befallen über das seltsame Aussehen Don Quijotes, der sofort von Rosinanten abstieg und mit großer Höflichkeit sich der Dame Hand zum Kuß erbat. Don Diego aber sprach: »Empfanget, Señora, mit Eurer gewöhnlichen Freundlichkeit den Herrn Don Quijote von der Mancha, denn er ist’s, den Ihr vor Euch seht, ein fahrender Ritter und dazu der tapferste und klügste, den die Welt besitzt.«

Die Hausfrau, welche Doña Christina hieß, empfing ihn mit Zeichen größter Zuneigung und größter Höflichkeit, und Don Quijote erbot sich ihr zu Diensten mit genügsamer Fülle von verständigen und verbindlichen Worten. Schier die nämlichen Höflichkeiten tauschte er mit dem Studenten aus, den Don Quijote, als er ihn sprechen hörte, für einen klugen, scharfsinnigen Kopf hielt.

Hier schildert der Verfasser die gesamte Einrichtung in Don Diegos Hause und zeigt uns dabei, was alles das Haus eines reichen Landedelmannes aufzuweisen hat; allein dem Übersetzer dieser Geschichte schien es zweckmäßig, diese und andre derartige Einzelheiten zu übergehen, weil sie nicht recht zum Hauptzweck dieser Geschichte passen, die ihre Stärke mehr in der Wahrheit der Schilderungen sucht als in schalen Abschweifungen.

Don Quijote ward in einen Saal geführt, Sancho nahm ihm Wehr und Waffen ab, und er stand nun da in Pluderhosen und gemsledernem Wams, ganz verunreinigt vom Schmutz der Rüstung; er trug einen breit umgelegten Kragen nach Studentenart, ungesteift und ohne Spitzenbesatz; seine maurischen Halbstiefel waren dattelbraun und die Vorderblätter mit gelbem Wachs abgerieben. Nun gürtete er sich sein gutes Schwert um, das an einem Wehrgehänge von Seehundsfell hing – aber nicht um die Hüften, denn er soll viele Jahre lang an Nierenschmerzen gelitten haben –; dann warf er einen Mantel über von gutem grauem Tuche. Vor allem aber wusch er sich Kopf und Gesicht mit fünf oder sechs Eimern Wasser – denn in der Zahl der Eimer sind die Angaben etwas verschieden –, und trotzdem war das Wasser auch zuletzt noch wie gelber Rahm dank der Gefräßigkeit Sanchos und dem Ankauf seiner verwünschten Rahmkäse, die seinen Herrn so sauber angestrichen hatten.

In dem besagten Aufputz und mit zierlichem Anstand und edler Haltung begab sich Don Quijote in ein anderes Gemach, wo der Student ihn erwartete, um ihn zu unterhalten, während der Tisch gedeckt wurde; denn bei dem Eintreffen eines so vornehmen Gastes wollte Señora Doña Christina zeigen, daß sie die Besucher ihres Hauses zu bewirten verstand und vermochte.

Während Don Quijote noch dabei war, seine Rüstung abzulegen, hatte Don Lorenzo – so hieß Don Diegos Sohn – Gelegenheit gefunden, seinen Vater zu fragen: »Wer, sagt uns, ist der Edelmann, den Euer Gnaden uns ins Haus gebracht hat? Denn der Name, die Gestalt, die Angabe, daß er ein fahrender Ritter ist, halten mich wie die Mutter in großer Spannung.«

»Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll, mein Sohn«, antwortete Don Diego; »nur das kann ich dir sagen, daß ich Taten von ihm sah, die des größten Narren von der Welt würdig sind, und Worte von ihm hörte, die seine Taten auslöschen und vergessen lassen. Sprich du mit ihm und fühle seinem Verstand auf den Puls, und da du ein gescheiter Junge bist, so fälle über seine Vernünftigkeit oder Verrücktheit ein Urteil, so gut du es vermagst; um die Wahrheit zu sagen, ich halte ihn eher für verrückt als für vernünftig.«

Mit diesem Bescheid ging Don Lorenzo, um sich mit Don Quijote zu unterhalten, wie schon gesagt; und während des Verlaufs ihres Gesprächs sagte Don Quijote unter anderem zu Don Lorenzo: »Der Señor Don Diego de Miranda, Euer Vater, hat mir von den seltenen Fähigkeiten und dem Scharfsinn Kunde gegeben, die Euer Gnaden besitzt; und insbesondere, daß Ihr ein großer Dichter seid.«

»Ein Dichter, das kann schon sein«, erwiderte Don Lorenzo, »aber ein großer, daran ist kein Gedanke. Wahr ist’s, daß ich ein Verehrer der Dichtkunst bin und gerne gute Bücher lese, aber das ist noch nicht hinreichend, daß man mir den Namen eines großen Dichters beilegt, wie mein Vater sich geäußert hat.«

»Diese Bescheidenheit mißfällt mir keineswegs«, sprach Don Quijote darauf; »denn es gibt keinen Dichter, der nicht anmaßend wäre und sich für den ersten Poeten auf Erden hielte.«

»Keine Regel ohne Ausnahme«, entgegnete Don Lorenzo; »es wird manchen geben, der ein Dichter ist und sich nicht dafür hält.«

»Aber wenige«, versetzte Don Quijote. »Doch sagt mir, was für Verse habt Ihr jetzt unter den Händen, da Euer Herr Vater mir gesagt hat, sie machen Euch etwas besorgt und nachdenklich? Wenn es etwa eine Glosse ist, ich meinesteils verstehe etwas von Glossen, und ich würde mich freuen, die Verse zu hören; wenn sie aber für einen dichterischen Wettkampf bestimmt sind, so trachtet danach, den zweiten Preis davonzutragen; denn der erste wird doch immer nach Gunst oder Rang verteilt; den zweiten hingegen erringt die wirkliche Berechtigung, und so wird der dritte eigentlich der zweite. So ist der erste Preis in Wirklichkeit der dritte, ganz wie wenn auf den Universitäten der Grad eines Lizentiaten verliehen wird; aber bei alledem ist der Name des ersten Preises etwas besonders Vornehmes.«

Bis jetzt, sagte Don Lorenzo für sich, kann ich Euch noch nicht für verrückt halten; aber gehen wir erst weiter.

Nun sprach er zu Don Quijote: »Es bedünkt mich, Euer Gnaden hat die Hochschule besucht; in welchen Wissenschaften habt Ihr Vorlesungen gehört?«

»In der Wissenschaft des fahrenden Rittertums«, antwortete Don Quijote, »welche so trefflich ist wie die der Poesie und noch ein paar Fingerbreit darüber hinaus.«

»Ich weiß nicht, was das für eine Wissenschaft ist«, versetzte Don Lorenzo; »bis jetzt habe ich nichts von ihr gehört.«

»Es ist eine Wissenschaft«, entgegnete Don Quijote, »die alle oder doch die meisten Wissenschaften der Welt in sich begreift. Denn wer sie betreibt, muß ein Rechtskundiger sein und die Gesetze der austeilenden, das Eigentum schützenden Gerechtigkeit kennen, um einem jeden zu geben, was ihm gehört und was ihm gebührt; er muß ein Gottesgelahrter sein, um von dem christlichen Glauben, zu dem er sich bekennt, klar und deutlich Rechenschaft geben zu können, wo immer es von ihm verlangt wird; er muß ein Arzt, vorzugsweise aber ein Kräuterkenner sein, um inmitten der Einöden und Wüsteneien die Kräuter zu erkennen, die wundenheilende Kraft besitzen; denn der fahrende Ritter soll nicht bei jedem Anlaß umhersuchen, wer sie ihm heilen kann; er muß ein Sternkundiger sein, um aus den Sternen zu erkennen, wieviel Stunden der Nacht schon verflossen sind und in welcher Gegend und unter welchem Himmelsstrich er sich befindet; er muß Mathematik verstehen, denn bei jedem Schritt wird sich ihm die Notwendigkeit dieser Wissenschaft zeigen. Und indem ich beiseite lasse, daß er mit allen drei theologalen Tugenden und allen vier Kardinaltugenden geziert sein muß, steige ich zu geringfügigeren Dingen herab und sage: er muß schwimmen können, wie man sagt, daß Cola oder Nicolao Pesce es konnte; er muß ein Pferd beschlagen, Sattel und Zaum, in Ordnung bringen können; und indem ich jetzt wieder auf das vorige zurückkomme: er muß Gott und seiner Dame die Treue zu wahren wissen; er muß keusch sein in seinen Gedanken, sittsam in seinen Worten, stets hilfsbereit in seinen Werken, mannhaft in seinen Taten, geduldig in Drangsalen, barmherzig gegen Notbedrängte und endlich ein Vorkämpfer für die Wahrheit, wenn auch ihre Verteidigung ihn das Leben kosten sollte. Alle diese größeren und geringeren Eigenschaften zusammengenommen bilden den echten, rechten fahrenden Ritter; und daraus möget Ihr, Señor Don Lorenzo, entnehmen, ob es eine unbedeutende Wissenschaft ist, die ein Ritter erlernt, der sie zu seinem Studium und zu seinem Beruf macht, oder ob sie sich gleichstellen darf den erhabensten Wissenschaften, die in Gymnasien und Schulen gelehrt werden.«

»Wenn dem so ist«, versetzte Don Lorenzo, »so erkläre ich, daß diese Wissenschaft allen vorangeht.«

»Was heißt das: ›Wenn dem so ist‹?« entgegnete Don Quijote.

»Was ich damit sagen will«, sprach Don Lorenzo, »ist, daß ich zweifle, ob es jemals fahrende Ritter gegeben hat oder jetzt gibt, die mit soviel Tugenden geschmückt sind.«

»Oftmalen hab ich gesaget, was ich itzo wiederum sage«, sprach Don Quijote dagegen, »daß die Mehrzahl der auf Erden Lebenden der Meinung ist, auf selbiger habe es fahrende Ritter niemals gegeben; und sintemalen es mich bedanket, daß, wenn der Himmel sie nicht selbst von der Wahrheit überzeugt, daß es solche gegeben hat und solche gibt, jegliche darauf verwandte Mühe vergeblich sein wird, wie es mir oftmalen die Erfahrung erwiesen hat, so will ich jetzt mich nicht dabei verweilen, Euch aus dem Irrtum zu reißen, den Ihr mit so vielen teilet. Was ich tun will, ist, den Himmel zu bitten, daß er Euch selbigen benehme und Euch einsehen lasse, wie ersprießlich und wie notwendig die fahrenden Ritter in vergangenen Jahrhunderten der Welt gewesen und wie nützlich sie im gegenwärtigen sein würden, wenn sie noch bräuchlich wären; allein heutzutage, um der Sünden der Menschheit willen, triumphieren Trägheit, Müßiggang, Schwelgerei und Üppigkeit.«

Endlich ist unserm Gaste der Verstand durchgegangen, sagte jetzt Don Lorenzo leise für sich – aber bei alledem ist er ein edler Narr, und ich wäre ein schwachsinniger Tor, wenn ich das nicht einsähe.

Hiermit beschlossen sie ihre Unterhaltung, da man sie zum Essen rief. Don Diego fragte seinen Sohn, inwieweit er über den geistigen Zustand des Gastes ins reine gekommen sei, und Don Lorenzo antwortete: »Soviel Ärzte und gute Schreiber es in der Welt gibt, sie alle werden die wirre Handschrift seiner Narrheit nicht ins reine bringen; er ist ein mit Verstand gespickter Narr mit lichten Augenblicken.«

Sie gingen zu Tisch, und die Mahlzeit war solcher Art, wie Don Diego unterwegs gesagt hatte, daß er sie seinen Gästen vorzusetzen pflege, anständig, reichlich und schmackhaft; aber was Don Quijote am meisten behagte, war die wunderbare Stille, die im ganzen Hause herrschte, so daß es ein Kartäuserkloster schien. Nachdem abgedeckt, ein Dankgebet zu Gott gesprochen und Waschwasser für die Hände gereicht worden, drang Don Quijote inständigst in Don Lorenzo, die Verse für den Dichterwettbewerb vorzutragen. Dieser antwortete: »Damit ich nicht wie einer jener Poeten erscheine, die sich weigern, ihre Verse mitzuteilen, wenn man sie darum bittet, und sie, wenn man sie nicht hören will, wie im Erbrechen von sich speien, so will ich meine Glosse vortragen; ich erwarte keinen Preis für sie, denn ich habe sie nur gedichtet, um mein Talent zu üben.«

»Ein Freund, ein wohlverständiger«, entgegnete Don Quijote, »war der Meinung, niemand solle sich damit abmühen, Verse zu glossieren; und zwar deswegen, weil die Glosse niemals dem Thema an Wert gleichkommen könne, weil die Glosse sehr oft, ja in den meisten Fällen, von Sinn und Absicht dessen abweiche, was glossiert werden soll; und besonders, weil die Regeln der Glosse übermäßig streng seien, indem sie keine Fragesätze, kein ›sagte er‹ oder ›will ich sagen‹ gestatten und nicht erlauben, aus Zeitwörtern Hauptwörter zu machen noch den Sinn zu verändern, nebst andern Fesseln und Beschränkungen, die jeden einengen, der eine Glosse schreiben will, wie Euer Gnaden wissen wird.«

»Wahrhaftig, Señor Don Quijote«, sprach Don Lorenzo, »ich wünsche in einem fort, Euer Gnaden auf einem lateinischen Schnitzer, wie es in den Schulen heißt, zu ertappen, und kann’s nicht; denn Ihr schlüpft mir unter den Händen durch wie ein Aal.«

»Ich verstehe nicht«, gab Don Quijote zur Antwort, »was Ihr sagt, noch was Ihr mit dem Durchschlüpfen meint.«

»Ich werde schon sorgen, daß Ihr mich versteht«, versetzte Don Lorenzo; »für jetzt aber wollet den glossierten Versen und der Glosse Aufmerksamkeit schenken. Sie lauten also:

Thema

Würde nur mein War zum Ist,
Wär mein Glücksziel nicht mehr weit,
Oder brächt es gleich die Zeit,
Was wird sein in künftiger Frist.

Glosse

Wie das Irdsche all muß enden,
So die Güter, die mir Glück
Gab mit einst nicht kargen Händen;
Und nie kehrt es mir zurück,
Viel noch wenig neu zu spenden.
Glück, seit ewig langer Frist
Fleh ich, da du grausam bist:
Gib mir deine Gunst zurücke!
Denn mein Sein erblüht im Glücke,
Würde nur mein War zum Ist.

Nicht an Kampf und Sieg mich weiden,
Lorbeer nicht ums Haar mir winden,
Nicht in Ruhm will ich mich kleiden,
Den Genuß nur wiederfinden,
Den Erinnrung macht zum Leiden.
Bringst du wieder jene Zeit,
Schicksal, dann bin ich befreit
Aus des Schmerzes grimmen Händen;
Wollte sich’s nur bald so wenden,
Wär mein Glücksziel nicht mehr weit.

Unerfüllbar mein Verlangen;
Denn zurückedrehn die Zeit,
Wenn sie einmal hingegangen –
Keine Macht der Endlichkeit
Kann sich solches unterfangen.
Denn die Zeit flieht weit und weit,
Kehrt nie mehr in Ewigkeit;
Torheit war es, zu verlangen:
Wär das Neue gleich vergangen!
Oder brächt es gleich die Zeit!

In des Lebens Zweifeln leben,
Bald in Fürchten, bald in Hoffen,
Heißt in Todesängsten schweben.
Besser, gleich vom Tod getroffen,
Rasch des Jenseits Vorhang heben!
Wenn Gewinn das Sterben ist,
Kommt die Furcht doch und ermißt
Neu des Daseins Wert – verlanget
Fortzuleben, weil mir banget,
Was wird sein in künftiger Frist.«

Als Don Lorenzo geendigt hatte, stand Don Quijote auf, und mit erhobener Stimme, daß es fast wie Schreien klang, sprach er, indem er Don Lorenzos rechte Hand ergriff: »Beim hohen Himmel, beim höchsten der Himmel, herrlicher Jüngling, Ihr seid der beste Dichter auf Erden und seid würdig, mit dem Lorbeer gekrönt zu werden, nicht von Zypern noch von Gaeta, wie gesagt hat ein Poeta – dem Gott seine Sünden verzeihe! –, sondern von den Akademien Athens, wenn sie heute noch bestünden, und von denen, die heute bestehen, denen zu Paris, Bologna und Salamanca. Gott gebe, wenn die Richter Euch den ersten Preis absprechen sollten, daß Phöbus sie mit seinen Pfeilen erlege und die Musen niemals über die Schwelle ihrer Häuser schreiten. Sagt mir, Señor, wenn Ihr so gütig sein wollet, einige Verse von längerem Silbenmaß, denn ich will in all und jeder Beziehung Eurem bewundernswerten Genius auf den Puls fühlen.«

Ist es nicht allerliebst, daß Don Lorenzo hocherfreut war, sich von Don Quijote loben zu hören, obwohl er ihn für einen Narren hielt? O Schmeichelei, wie groß ist deine Macht, und wie weit dehnen sich die Grenzen deiner süßen Herrschaft! Die Wahrheit dieser Worte bewies Don Lorenzo, indem er auf Don Quijotes Wunsch und Verlangen sogleich einging und folgendes Sonett über die Fabel oder Geschichte von Pyramus und Thisbe vortrug:

Sonett

Die Wand durchbricht die Maid, die schöngestalte,
Die Pyramus schlug tiefe Herzenswunden;
Von Zypern her eilt Amor, zu erkunden
Die enge wundersame Mauerspalte.

Hier spricht das Schweigen; jeder Ton verhallte,
Eh durch die enge Eng er sich gewunden.
Den Durchpaß hat die Sehnsucht nur gefunden;
Kein Hemmnis gibt’s, das stand vor Amor halte!

Die Sehnsucht hielt nicht maß. Nach kurzem Glücke
Büßt die betörte Maid ihr Liebesstreben
Mit herbem Tod – so wollt es Amor lenken.

Und beide nun zugleich, o Schicksalstücke!
Tötet, begräbt, erweckt zu neuem Leben
Ein Schwert, ein Grab, ein preisend Angedenken.

»Gelobt sei Gott«, sagte Don Quijote, als er Don Lorenzos Sonett gehört, »daß ich unter den zahllosen verkommenen Dichtern, die es gibt, einen vollkommnen Dichter gefunden habe, wie Ihr es seid, lieber Herr; denn davon hat mich die kunstreiche Arbeit Eures Sonetts überzeugt.«

Vier Tage lang blieb Don Quijote, aufs trefflichste bewirtet, im Hause Don Diegos; nach deren Verfluß bat er ihn um Erlaubnis zu scheiden, indem er ihm erklärte, sosehr er ihm für die Gewogenheit und Gastfreundschaft danke, die ihm in seinem Hause geworden, so stehe es doch fahrenden Rittern nicht wohl an, sich lange Stunden dem Müßiggang und dem Wohlleben zu ergeben, und er wolle daher von dannen, um seinen Beruf zu erfüllen, nämlich auf die Suche nach Abenteuern zu gehen, von denen diese Landschaft wimmle, wie er dessen Kunde habe. Und damit hoffe er seine Zeit zu verbringen, bis der Tag des Turniers zu Zaragoza komme, wohin sein Weg in gerader Richtung gehe. Vorher aber müsse er in die Höhle des Montesinos hinabsteigen, von der man so vielerlei und so Wunderbares in dieser Gegend erzähle, und wolle nicht minder die Entstehung und die eigentlichen Quellen der sieben Seen, die man gemeiniglich die Ruidera-Seen nenne, erforschen und kennenlernen.

Don Diego und sein Sohn priesen seinen ehrenhaften Entschluß und baten ihn, aus ihrem Haus und ihrer Habe alles mitzunehmen, was er wolle; sie würden ihm mit aller nur möglichen Bereitwilligkeit zu Diensten sein, wozu ja die hohe Würdigkeit seiner Person und sein ehrenhafter Beruf sie verpflichteten.

Endlich kam der Tag seines Scheidens, so erfreulich für Don Quijote wie traurig für Sancho, der sich bei dem Überfluß im Hause Don Diegos sehr wohlbefand und sich innerlich dagegen sträubte, zu dem in Wäldern und Einöden üblichen Hunger und zur Dürftigkeit seines schlechtversorgten Schnappsacks zurückzukehren, den er aber doch mit allem vollpfropfte, was ihm besonders nötig schien.

Beim Abschied sagte Don Quijote zu Don Lorenzo: »Ich weiß nicht, ob ich es Euer Gnaden schon einmal gesagt habe, und habe ich’s schon gesagt, so sag ich es nochmals: Wenn Ihr Euch die Wege und Mühen ersparen wollt, um zu der unnahbaren Höhe des Ruhmestempels zu gelangen, braucht Ihr nichts weiter zu tun, als den etwas schmalen Pfad der Dichtkunst zu verlassen und den allerschmalsten, den des fahrenden Rittertums, einzuschlagen, der Euch im Handumdrehen zum Kaiser machen kann.«

Mit diesen Äußerungen brachte Don Quijote den Prozeß seiner Verrücktheit zum Aktenschluß, und noch vollständiger mit den Worten, die er hinzufügte: »Gott weiß, wie gern ich den Señor Don Lorenzo mitnehmen möchte, um ihm zu zeigen, wie man die schonen soll, die sich unterwerfen, und zu Boden schlagen soll und niedertreten die Hochmütigen, eine tugendsame Handlungsweise, die von dem Berufe, zu dem ich berufen bin, untrennbar ist; aber da Euer jugendliches Alter solches nicht begehrt und Eure preiswürdigen Geistesübungen es nicht verstatten, so laß ich mir lediglich daran genügen, Euch zu Gemüte zu führen, daß Ihr, der Ihr ein Dichter seid, ein ausgezeichneter werden könnt, so Ihr Euch mehr durch fremdes Urteil als durch Euer eigenes leiten lasset. Denn es gibt keine Eltern, die ihre Kinder für häßlich halten; und bei den Kindern des Geistes findet man diese Selbsttäuschung noch weit häufiger.«

Aufs neue erstaunten Vater und Sohn über das seltsame Gemisch von Verstand und Unsinn in den Äußerungen Don Quijotes und über die Beharrlichkeit und Hartnäckigkeit, die er zeigte, sich mehr und mehr der Suche nach seinen Abenteuern hinzugeben, die ihn stets teuer zu stehen kamen und die ihm Ziel und Endzweck seines Strebens waren. Nun wiederholten sich die Dienstanerbietungen und Höflichkeiten, und Don Quijote und Sancho, mit freundlichem Urlaub der Herrin dieser Burg, ritten von dannen auf Rosinante und dem Grauen.

19. Kapitel


Worin das Abenteuer vom verliebten Schäfer und manch andere wirklich ergötzliche Begebnisse erzählt werden

Noch nicht weit hatte sich Don Quijote von Don Diegos Dorf entfernt, als ihm zwei Leute, die wie Geistliche oder Studenten aussahen, und zwei Bauern begegneten, die alle vier auf Tieren vom Geschlechte der Esel ritten. Der eine der Studenten hatte eine Art Mantelsack aus grünem Drillich bei sich, der anscheinend etwas weiße Wäsche und zwei Paar grobe wollene Strümpfe enthielt, der andre nichts als zwei Rapiere mit aufgesetzten Knöpfen. Die Bauern trugen andre Sachen, die da zeigten und erraten ließen, daß die Eselsreiter eben aus einer größeren Stadt kamen, wo sie die Sachen eingekauft hatten, um sie in ihr Dorf heimzubringen. Studenten wie Bauern gerieten in die nämliche Verwunderung, die jeden ergriff, der Don Quijote zum erstenmal erblickte, und sie vergingen schier vor Begierde zu erfahren, wer jener Mann sei, der von dem gewöhnlichen Aussehen aller andern Menschen so sehr abstach. Don Quijote grüßte sie, und als er gehört, welchen Weg sie verfolgten, nämlich denselben wie er, bot er ihnen seine Begleitung an und bat sie, den Schritt zu mäßigen, da ihre Eselinnen rascher trabten als sein Roß; und um sich ihnen verbindlich zu erweisen, sagte er ihnen in kurzen Worten, wer er sei und was sein Beruf und Stand, nämlich der eines fahrenden Ritters, der in allen Landen der Welt auf die Suche nach Abenteuern gehe. Er erklärte, er heiße mit seinem Namen Don Quijote von der Mancha und mit seinem Beinamen der Löwenritter.

Den Bauern klang das alles, als hätte er mit ihnen Griechisch oder Rotwelsch gesprochen, aber nicht so den Studenten, die sofort Don Quijotes Gehirnschwäche erkannten. Dessenungeachtet betrachteten sie ihn mit Bewunderung und Achtung, und einer von ihnen sprach zu ihm: »Wenn Euer Gnaden, Herr Ritter, einen bestimmten Weg nicht vorhat, wie dies bei denen, die auf Abenteuer ausgehen, der Fall zu sein pflegt, so wolle Euer Gnaden uns begleiten; Ihr werdet eines der stattlichsten und reichsten Hochzeitsfeste sehen, das bis zum heutigen Tage in der Mancha und auf viele Meilen in der Runde gefeiert worden.«

Don Quijote fragte ihn, ob es die Hochzeit eines Fürsten sei, daß er sie so sehr rühme.

»Das nicht«, antwortete der Student, »sondern die eines Bauern mit einer Bäuerin. Er ist der reichste in dieser ganzen Gegend und sie die allerschönste, die je ein Mensch gesehen. Die Veranstaltungen zum Hochzeitsfest sind außerordentlich und von ganz neuer Art, denn es soll auf einem Anger nahe dem Dorf der Braut gefeiert werden. Sie wird zur besondern Auszeichnung Quitéria die Schöne genannt, und er heißt Camacho der Reiche; sie ist achtzehn Jahre alt und er zweiundzwanzig. Beide passen wohl zueinander, wenn auch einige Vielwisser, die die Familienregister der ganzen Welt im Kopfe haben, behaupten wollen, die Familie der schönen Quitéria sei vornehmer als die Camachos. Aber das spielt keine Rolle, denn der Reichtum füllt manchen Graben zu. Tatsächlich ist dieser Camacho freigebigen Sinnes, und er hat den Einfall gehabt, den ganzen Anger mit Zweigen von oben her umziehen und überdecken zu lassen, so daß es der Sonne schwerfallen wird, einzudringen und ihren Blick auf das Gras zu werfen, mit dem der Boden bewachsen ist. Er hat auch Kunsttänze vorgesehen, sowohl Schwerter- als auch Schellentänze; denn es gibt in seinem Dorfe manchen, der die Schellen aufs vortrefflichste schüttelt und rüttelt und erklingen läßt. Von den Leuten für den Pantoffeltanz will ich gar nichts sagen; es ist ein Gotteswunder, wieviel Tänzer er dazu bestellt hat. Aber von allem, was ich erzählt habe, und von viel andrem, was ich unerwähnt gelassen, wird nichts diese Hochzeit so merkwürdig machen, als was bei ihr voraussichtlich der tiefgekränkte Basilio tun wird. Dieser Basilio ist ein Bauernsohn aus dem Dorfe Quitérias; er war in seinem Hause der Wandnachbar ihrer Eltern, und daher ergriff Amor die Gelegenheit, die schon vergessene Liebschaft zwischen Pyramus und Thisbe der Welt aufs neue vorzuführen; denn Basilio verliebte sich in Quitéria von seinem zarten Kindesalter an, und sie erwiderte seine Neigung mit tausend unschuldigen Gunstbezeigungen, so daß man sich im Dorf die Liebe der beiden Kinder Basilio und Quitéria zur Unterhaltung zu erzählen pflegte. Sie wuchsen heran, und nun verbot Quitérias Vater dem Basilio den gewohnten Zutritt zu seinem Hause; und um nicht ständig in Angst und Argwohn leben zu müssen, beschloß er, seine Tochter mit dem reichen Camacho zu vermählen, da es ihm nicht wohlgetan schien, sie mit Basilio zu verheiraten, der nicht so viele Gaben vom Glück als von der Natur empfangen hatte. Denn um ganz neidlos die Wahrheit zu sagen, er ist der gewandteste Jüngling, den wir kennen, er ist der beste Speerwerfer, der kräftigste Ringer und ein trefflicher Ballspieler; er läuft wie ein Hirsch, springt besser als eine Gemse und schiebt Kegel, als wenn seine Kugel hexen könnte; er singt wie eine Lerche und spielt die Gitarre, als ob er ihr Sprache gäbe, und zu alledem handhabt er den Degen im Schwertertanz wie der Allertüchtigste auf Erden.«

»Um dieser Begabung allein willen«, fiel hier Don Quijote ein, »verdiente dieser Jüngling nicht nur, sich mit der schönen Quitéria zu vermählen, sondern mit der Königin Ginevra selbst, wenn sie jetzt lebte – trotz Lanzelot und allen jenen, so es verwehren möchten!«

»Das sagt nur einmal meiner Frau!« sprach Sancho Pansa, der bis dahin schweigend zugehört hatte; »die will es nicht anders haben, als daß ein jeder seinesgleichen heiraten soll, nach dem Sprichwort, das da sagt: Schäfchen beim Schaf, so gefällt sich’s, Gleich mit Gleichem, so gesellt sich’s. Wenn es auf mich ankäme, müßte der brave Basilio, den ich schon anfange gern zu haben, die Jungfer Quitéria heiraten. Möchten doch alle die zur Seligkeit und ewigen Ruhe eingehen« – er wollte das Gegenteil sagen –, »die es Leuten, die einander liebhaben, wehren, einander zu nehmen!«

»Wenn alle, die einander liebhaben, sich heiraten sollten«, sprach Don Quijote, »würde den Eltern die Wahl und das Recht entzogen, ihre Kinder zu verheiraten, mit wem und wann es am besten ist; und wenn es dem Willen der Töchter überlassen bliebe, ihre Ehemänner zu wählen, so gäbe es manche, die den Diener ihres Vaters wählen würde, und manche andre den ersten besten, den sie auf der Straße in einem nach ihrer Meinung prächtigen und vornehmen Aufzug gesehen, und wäre er auch ein ganz liederlicher Raufbold. Denn Liebe und Leidenschaft blenden leicht die Augen des gesunden Urteils, die so nötig sind bei der Wahl fürs Leben; und ganz besonders ist der Ehestand der Gefahr eines Fehlgriffs ausgesetzt, und es bedarf großer Vorsicht und besonderer Gunst des Himmels, um hierbei das Richtige zu treffen. Es will einer eine Reise tun, und wenn er verständig ist, so sucht er sich, eh er sich auf den Weg begibt, einen verläßlichen und angenehmen Gefährten als Begleiter; warum also soll der nicht das nämliche tun, dessen Reise sein ganzes Leben hindurch bis an die Pforten des Todes dauert, zumal wenn der Gefährte ihn zu Bett und Tisch und überallhin begleiten soll wie die Frau ihren Mann? Die Gesellschaft der Frau ist keine Ware, die, einmal gekauft, zurückgegeben oder umgetauscht oder ausgewechselt werden kann; sie ist ein unzertrennbarer Bestandteil, der so lang dauert wie das Leben selbst; es ist eine Schlinge, und hast du sie dir einmal um den Hals geworfen, so verwandelt sie sich in einen gordischen Knoten, der unlösbar ist, bis ihn die Sense des Todes durchschneidet. Viel anderes noch könnte ich über diesen Gegenstand sagen, wenn es mir nicht der Wunsch verböte zu erfahren, ob der Herr Lizentiat nicht noch etwas über Basilios Geschichte zu sagen hat.«

Darauf antwortete der Student oder Baccalaureus oder Lizentiat, wie ihn Don Quijote nannte: »Weiter habe ich nichts zu sagen, als daß von dem Augenblick an, wo Basilio erfuhr, daß die schöne Quitéria sich mit Camacho dem Reichen verheiraten sollte, keiner ihn mehr lachen sah noch ein vernünftiges Wort reden hörte; stets geht er gedankenvoll und schwermütig vor sich hin und spricht mit sich selber, womit er unzweifelhaft und klärlich zeigt, daß ihm der Verstand in die Brüche gegangen ist; er nimmt wenig zu sich und schläft wenig, und was er verzehrt, sind etwa Früchte, und wenn er schläft, so im freien Felde auf harter Erde wie ein unvernünftiges Tier. Von Zeit zu Zeit schaut er lange gen Himmel, zu andern Malen bohrt er die Blicke in den Boden, so regungslos in sich versunken, daß er aussieht wie eine bekleidete Bildsäule, deren Gewänder von der Luft bewegt werden. Kurz, er gibt so viele Beweise eines von der Leidenschaft völlig beherrschten Herzens, daß wir alle, die ihn kennen, fürchten, wenn die schöne Quitéria morgen das Ja ausspricht, wird es sein Todesurteil sein.«

»Gott wird es zu Besserem wenden«, sprach Sancho; »Gott, der den Schmerz der Wunde sendet, sendet auch die Heilung; keiner weiß, was nachkommt; von heut bis morgen sind’s viele Stunden, und in einer, ja in einem Augenblick kann ein Haus einstürzen; ich habe regnen und die Sonne scheinen sehen, alles in einem Nu; mancher legt sich nachts gesund zu Bett und kann am andern Morgen kein Glied rühren. Und sagt mir doch, gibt es einen Menschen, der sich rühmen kann, er habe in das Rad des Glücks einen Nagel zum Festhalten eingeschlagen? Gewiß nicht; und zwischen das Ja und das Nein eines Weibes möchte ich keine Nadelspitze stecken, denn sie würde keinen Platz haben. Laßt mir nur einmal Quitéria den Basilio von ganzem Herzen und mit rechter Zuneigung lieben, dann will ich ihm einen ganzen Sack voll Glück in die Hand geben, denn die Liebe, hab ich sagen hören, sieht durch eine Brille, die Kupfer in Gold, Armut in Reichtum und Tränen in Perlen verwandelt.«

»Wohinaus willst du, Sancho?« versetzte Don Quijote. »Verwünscht seist du! Wenn du anfängst, Sprichwörter und Märlein aneinanderzureihen, kann keiner dein Ende abwarten als etwa der Verräter Judas, und der mag dich zur Hölle führen! Sag mir, dummes Tier, was weißt du vom Nagel und vom Rad und von was sonst?«

»Oho! Wenn man mich nicht versteht«, antwortete Sancho, »dann ist’s freilich kein Wunder, daß man meine Sprüche für ungereimtes Zeug hält. Aber mir ist’s gleich; ich verstehe mich schon, und ich weiß, daß ich gar nicht viel Unsinn geredet habe, daß aber Ihr, Herre mein, beständig gegen meine Reden, so auch gegen meine Taten, den Staatsbrockenrater spielt.«

»Staatsprokurator mußt du sagen«, fiel Don Quijote ein, »nicht Brockenrater, du Sprachverderber, den Gott verderben möge!«

»Werdet doch nicht gleich so ärgerlich«, entgegnete Sancho, »Ihr wißt doch, ich bin nicht in der Residenz groß geworden und habe nicht in Salamanca studiert, daß ich wissen könnte, ob ich bei meinen Worten einen Buchstaben zuviel hintue oder fortlasse. Wahrlich, so wahr mir Gott helfe, man soll vom Bauern aus Sayago nicht verlangen, daß er so spricht wie ein Städter aus Toledo, und doch kann’s auch in Toledo Leute geben, die nicht gerade allzu fein sprechen.«

»So ist es«, fiel der Lizentiat ein; »denn wer in den Gerbereien oder auch auf dem Zocodover aufgewachsen ist, kann nicht so gut sprechen wie einer, der fast den ganzen Tag im Kreuzgang der Domkirche spazierengeht, und sie sind alle dennoch Toledaner. Die reine Sprache, der richtige, feine und klare Ausdruck findet sich bei den gebildeten Leuten vom Hofe, und wären sie selbst in Majalahonda geboren; ich sage ›gebildet‹, denn es gibt ihrer viele, die es nicht sind, und die Bildung ist die Grammatik des richtigen Sprechens, und der Sprachgebrauch steht ihr zur Seite. Ich, meine Herren, habe zur Strafe meiner Sünden in Salamanca das Kirchenrecht studiert und bilde mir was drauf ein, meine Gedanken mit klaren, glatten, sinnentsprechenden Worten aussprechen zu können.«

»Hättet Ihr Euch nicht weit mehr darauf eingebildet, Eure Rapiere mit mehr Nutzen zu gebrauchen als die Zunge«, sprach der andre Student, »so hättet Ihr den ersten Platz bei der Lizentiatenprüfung davongetragen statt den letzten.«

»Hört mal, Baccalaureus«, gab ihm der Lizentiat zur Antwort, »Ihr befindet Euch in der allerirrtümlichsten Meinung über die Geschicklichkeit im Fechten, wenn Ihr sie für unnütz haltet.«

»Für mich ist das keine Meinung, sondern eine feststehende Wahrheit«, entgegnete Corchuelo; »und wenn Ihr den Beweis dafür haben wollt – Ihr führt Rapiere bei Euch, wir haben bequeme Gelegenheit, ich habe eine feste Hand und habe Kraft, und damit und mit meinem Mute, der nicht gering ist, will ich Euch zum Eingeständnis zwingen, daß ich nicht im Irrtum bin. Steigt ab und macht Eure Ausfälle, all die Bewegungen im Kreise und in der schiefen Linie und all Eure Künste, und es soll Euch vor den Augen flimmern, daß Ihr nicht aus noch ein wißt. Das will ich Euch mit meiner neuen bäurischen Manier beibringen, mittels deren, nächst Gottes Hilfe, ich hoffe, daß der noch geboren werden soll, der mich zwingt, den Rücken zu wenden, und daß keiner auf Erden ist, den ich nicht zum Weichen bringe.«

»Den Rücken wenden oder nicht wenden, das wollen wir erst einmal sehen«, versetzte der Fechtkünstler; »zwar könnte es sein, daß man auf derselben Stelle, wo Ihr zuerst den Fuß aufsetzt, Euch gleich Euer Grab graben müßte; ich meine, daß Ihr tot auf dem Flecke bliebet, weil Ihr die Fechtkunst verachtet.«

»Das wird sich schon finden«, entgegnete Corchuelo, sprang in größter Hast von seinem Esel und riß wütend eines der Rapiere heraus, die der Lizentiat auf dem seinigen führte.

»So darf das nicht vor sich gehen!« rief in diesem Augenblick Don Quijote; »ich will der Aufseher sein bei diesem Kampf und der Schiedsrichter in dieser schon öfters ungelöst gebliebenen Streitfrage.«

Und von seinem Rosinante absteigend und seinen Speer fassend, stellte er sich mitten auf die Landstraße, während bereits der Lizentiat mit zierlicher Haltung und Fechterschritt gegen Corchuelo ausfiel, der seinerseits mit Augen, die Blitze schossen – wie man zu sagen pflegt –, sich auf den Gegner stürzte. Die zwei andern Reisegenossen, die Bauern, waren, ohne von ihren Eselinnen herabzusteigen, die Zuschauer bei diesem gefährlichen Schauspiel. Die Hiebe, Stiche, Quarten, Terzen, die Primen mit beiden Händen hoch herab, die Corchuelo schlug, waren zahllos, dichter als ein Platzregen und prasselnder als Hagel. Er griff an wie ein gereizter Löwe, aber da flog ihm entgegen auf den Mund ein Stoß vom Rapierknopf des Lizentiaten, der ihm mitten in seiner Wut Einhalt tat und ihn den Knopf, als ob es eine Reliquie wäre, zu küssen zwang, wiewohl nicht mit soviel Andacht, wie man Reliquien zu küssen schuldig und gewohnt ist. Kurz, der Lizentiat zählte mit Rapierstößen alle Knöpfe des Überwurfs, den Corchuelo trug, und zerfetzte ihm die Schöße in lange Streifen wie die Arme eines Polypen; er schlug ihm zweimal den Hut herunter und setzte ihm so zu, daß jener vor Ärger, Zorn und Wut das Rapier mit solcher Gewalt ins Blaue hinein schleuderte, daß einer der beiden Zuschauer – er war in seinem Ort Gemeindeschreiber –, der lief, um es zu holen, späterhin erklärte, Corchuelo habe es beinahe dreiviertel Meilen weit von sich fortgeschleudert; und dies Zeugnis diente und dient noch als klarer Beweis dafür, wie die Stärke stets von der Kunst besiegt wird.

Corchuelo setzte sich ermattet nieder, und Sancho trat zu ihm und sagte: »Meiner Treu, Herr Baccalaur, wenn Euer Gnaden meinen Rat annehmen will, so müßt Ihr fürderhin keinen zum Fechten herausfordern, sondern zum Ringen oder Stangenwerfen, denn dazu habt Ihr das Alter und die Kraft; aber von denen, die man Fechtkünstler nennt, hab ich gehört, sie stechen mit der Degenspitze durch ein Nadelöhr.«

»Es ist mir ganz recht«, erwiderte Corchuelo, »daß mir ein Licht angesteckt worden ist und daß meine eigne Erfahrung mir die Wahrheit gezeigt hat, von deren Kenntnis ich so weit entfernt war.«

Hiermit stand er auf, umarmte den Lizentiaten, und ihre Freundschaft wurde noch inniger als zuvor. Den Gemeindeschreiber, der nach dem Rapier gegangen war, wollten sie nicht abwarten, weil sie glaubten, er werde zu lang ausbleiben; und so beschlossen sie, ihren Weg fortzusetzen, um zeitig nach dem Dorfe Quitérias zu kommen, wo sie alle herstammten. Unterwegs setzte ihnen der Lizentiat die hohen Vorzüge der Fechtkunst auseinander mit so viel überzeugenden Gründen und so viel mathematischen Figuren und Beweisen, daß alle von der Trefflichkeit der Kunst überzeugt waren und Corchuelo von seinem Eigensinn geheilt wurde.

Es war Nacht geworden; aber ehe sie anlangten, kam es ihnen allen vor, als breite sich vor dem Dorfe ein Himmel aus voll unzähliger funkelnder Sterne. Auch hörten sie in wirrem Durcheinander die lieblichen Töne verschiedener Instrumente wie Flöten, Tamburine, Gitarren, Schalmeien, Hand- und Schellentrommeln; und als sie näher gekommen, sahen sie eine dicht vor dem Eingang des Dorfes errichtete Laube, ganz mit brennenden Lampen behängt, die der Wind nicht gefährdete, da er nur so sacht wehte, daß er nicht einmal die Blätter zu bewegen vermochte. Die Musikanten waren hier bei der Hochzeit die Lustigmacher, zogen in verschiedenartigen Gruppen auf dem heiteren Platz umher, die einen singend, die andern tanzend, wieder andre ihre mannigfaltigen Instrumente ertönen lassend. Kurz, es war nicht anders, als ob auf dieser ganzen Wiese nur die Freude umherspränge und das Ergötzen umherhüpfte. Andrer Leute viel waren beschäftigt, Gerüste aufzuschlagen; von denen herab sollte man am nächsten Tage mit Bequemlichkeit den Vorstellungen und Tänzen auf diesem Platze zusehen können, der für das Hochzeitsfest Camachos bestimmt war – und für die Leichenfeier Basilios.

Don Quijote wollte das Dorf nicht betreten, trotz der Bitten sowohl der Bauern als auch des Baccalaureus; er gab dafür die nach seiner Meinung mehr als genügende Entschuldigung zum besten, es sei fahrender Ritter Brauch, lieber in Feldern und Wäldern zu schlafen als an bewohnter Stätte, und wäre es selbst unter vergoldetem Dache; und hiermit bog er ein wenig von der Landstraße ab, sehr gegen Sanchos Wunsch, der an das gute Quartier dachte, dessen er sich in der Burg oder dem Schloß Don Diegos erfreut hatte.

2. Kapitel


Welches von dem denkwürdigen Streite zwischen Sancho Pansa und Don Quijotes Nichte und Haushälterin handelt, nebst andern anmutigen Begebenheiten

Es erzählt die Geschichte: Das Geschrei, welches Don Quijote, der Pfarrer und der Barbier hörten, wurde von der Nichte und der Haushälterin im Streit mit Sancho Pansa erhoben, der mit aller Gewalt zu Don Quijote hinein wollte, während die beiden ihm den Eingang wehrten und riefen: »Was will der Landstreicher in unsrem Hause? Mach, daß du heimkommst, Geselle, denn du bist’s und sonst keiner, der unsern Herrn verführt und beschwatzt und ihn hinaus in die Wüsteneien schleppt.«

Darauf entgegnete Sancho: »Du Teufels-Haushälterin! Der Beschwatzte und Verführte bin ich, der hinaus in die Wüsteneien Geschleppte bin ich und nicht dein Herr! Er, er hat mich draußen in der Welt herumgeschleppt, ihr aber irrt euch, eure Rechnung ist um die Hälfte zu hoch. Er hat mich mit falschen Vorspiegelungen aus meinem Hause herausgeholt und hat mir eine Insul versprochen, auf die ich noch jetzt vergeblich warte.«

»Daß dir doch die schändlichen Insuln im Halse steckenblieben, du verwünschter Sancho!« versetzte die Nichte. »Insuln, was ist denn das? Ist’s was zu essen, du Naschmaul, du Vielfraß?«

»Nichts zu essen«, antwortete Sancho, »sondern was zu Statthaltern, besser als ein halb Dutzend Städte, und was zu verwalten, besser als ein halb Dutzend Oberhofrichterstellen.«

»Trotz alledem«, schrie die Haushälterin, »kommst du hier nicht herein, du Sack voller Schlechtigkeiten, du Sammelbüchse aller Bosheiten! Geh und statthaltere über dein Haus und bestell deine paar Brocken Land und laß die Hand von Insuln und Insulinnen.«

Mit großem Vergnügen hörten Pfarrer und Barbier dem Wortgefecht der drei zu; allein Don Quijote, in der Besorgnis, Sancho möchte sich verplaudern und einen Haufen boshafter Albernheiten zum besten geben und Einzelheiten berühren, die seinem Ansehen nicht zugute kommen könnten, rief ihn herbei und befahl den beiden Frauenzimmern, zu schweigen und ihn hereinzulassen. Sancho trat ein, und Pfarrer und Barbier nahmen Abschied von Don Quijote, an dessen Genesung sie verzweifelten, da sie sahen, wie fest er an seinen verrückten Einbildungen hing und wie er von der Einfältigkeit seines so übelfahrenden Rittertums besessen war.

Daher sprach der Pfarrer zum Barbier: »Ihr werdet sehen, Gevatter, wann wir uns dessen am wenigsten versehen, wird unser Junker von dannen ziehen und wieder auf die Falkenjagd gehen.«

»Daran hege ich keinen Zweifel«, versetzte der Barbier, »aber ich wundere mich nicht so sehr über die Narrheit des Ritters als über die Einfalt des Schildknappen, der an die Geschichte mit der Insul so festiglich glaubt, daß ich überzeugt bin, wenn er auch noch soviel Enttäuschungen erlebt, so bringt das ihm keine aus dem Hirnkasten wieder heraus.«

»Gott helfe ihnen zur Genesung!« sagte der Pfarrer; »wir wollen aufpassen und wollen sehen, worauf es hinauswill mit diesem Sammelsurium von Verrücktheiten eines solchen Ritters und eines solchen Knappen. Es sieht aus, als hätten die beiden ihre Torheiten in der nämlichen Form gemünzt, und die Narreteien des Herrn wären ohne die Albernheiten des Dieners nicht einen Pfennig wert.«

»Das ist wahr«, sprach der Barbier, »und es würde mich höchlich ergötzen, zu erfahren, was die beiden jetzt miteinander verhandeln.«

»Ich versichere Euch«, entgegnete der Pfarrer, »die Nichte oder die Haushälterin erzählt es uns hernach; denn sie sind sicher nicht von der Art, daß sie das Horchen unterlassen sollten.«

Inzwischen hatte sich Don Quijote mit Sancho Pansa in seinem Gemache eingeschlossen, und sobald sie sich allein sahen, sprach der Ritter: »Es tut mir sehr leid, Sancho, daß du gesagt hast und sagst, ich sei es gewesen, der dich aus dem Häuschen gebracht, da du doch weißt, daß auch ich nicht zu Hause geblieben. Zusammen sind wir von Hause fort, zusammen sind wir umhergezogen und zusammen gewandert; dasselbe Schicksal, dasselbe Los ist über uns beide ergangen; wenn du einmal gewippt wurdest, so bin ich hundertmal zerdroschen worden, das ist alles, was ich vor dir voraushabe.«

»Und das mit vollem Recht«, entgegnete Sancho; »denn wie Euer Gnaden sagt, hängt sich das Pech mehr an die fahrenden Ritter als an ihre Schildknappen.«

»Darin irrst du, Sancho«,, sprach Don Quijote, »nach jenem Spruche: Quando caput dolet, und so weiter.«

»Ich verstehe keine andre Sprache als meine Muttersprache«, versetzte Sancho.

»Ich will sagen«, fuhr Don Quijote fort, »wenn das Haupt schmerzt, so schmerzen alle Glieder. Da ich also dein Herr und Gebieter bin, so bin ich dein Haupt und du ein Glied von mir, da du mein Diener bist; und aus diesem Grunde muß jedes Leid, das mich trifft oder treffen wird, dich schmerzen und mich das deinige.«

»So sollte es sein«, sprach Sancho. »Aber dazumal, wo ich gewippt wurde als ein Glied, da verweilte das Haupt hinter der Hofmauer und sah zu, wie ich durch die Lüfte flog, ohne den geringsten Schmerz zu empfinden; und wenn es die Pflicht der Glieder ist, über das Leid des Hauptes Schmerz zu empfinden, so mußte es auch die Pflicht des Hauptes sein, ihren Schmerz mitzufühlen.«

»Willst du damit sagen«, entgegnete Don Quijote, »daß es mich nicht schmerzte, als du gewippt wurdest? Und wenn du das meinst, so darfst du es nicht sagen, ja es nicht einmal denken; denn ich fühlte damals mehr Schmerz in meinem Geiste als du in deinem Körper. Aber lassen wir dies für jetzt beiseite, es wird sich schon eine Zeit finden, wo wir es erörtern und richtigstellen können; und sage mir, Freund Sancho, was sagen die Leute von mir hier am Ort? Was urteilt über mich das Volk, was urteilen die Leute vom Junkerstand, was die Ritter? Was sagen sie von meiner Tapferkeit? was von meinen Taten? und was von meiner feinen Sitte? Was spricht man von der Aufgabe, der ich mich unterzogen, den bereits vergessenen Orden des Rittertums aufzuerwecken und der Welt wieder zurückzugeben? Kurz, ich verlange von dir, Sancho, daß du mir alles sagst, was hierüber dir zu Ohren gekommen ist; und das sollst du mir sagen, ohne das geringste dem Guten hinzuzufügen oder vom Schlimmen wegzulassen. Denn es ist die Art eines redlich treuen Lehensmannes, seinem Herrn die Wahrheit in ihrem Wesen und in ihrer eignen Gestalt zu künden, ohne daß Wohldienerei sie vergrößere oder irgendeine andre eitle Rücksicht sie verringere. Du mußt wissen, Sancho, wenn die Wahrheit nackt und ohne das Gewand der Schmeichelei zu den Ohren der Fürsten gelangte, dann wären die Zeiten anders und man würde andre Zeitalter eher eisern nennen als das unsre, welches, wie ich meine, unter denen, die die Welt bisher kennt, immerhin als das vergoldete gelten kann. Laß dir dieses zur Belehrung dienen, Sancho, auf daß du in verständiger und wohlmeinender Art über alles, was du in betreff meiner Frage erfahren hast, die Wahrheit mir zu Ohren bringest.«

»Das will ich sehr gerne tun«, sprach Sancho hierauf, »unter der Bedingung, daß Euer Gnaden über nichts von allem, was ich sage, in Ärger geraten darf, da Ihr verlangt, ich soll alles splitternackt sagen, ohne es in andre Gewänder zu kleiden, als wie es mir zu Ohren gekommen ist.«

»Keinesfalls werde ich mich ärgern«, entgegnete Don Quijote; »du kannst frei heraus und ohne alle Umschweife reden.«

»So ist denn das erste, was ich sage«, begann Sancho, »daß das Volk Euer Gnaden für einen der größten Narren und mich für nicht weniger verrückt hält. Die Leute vom Junkerstand sagen: Ihr habt Euch nicht in den Grenzen Eures Junkertums halten wollen und Euch ein Don vorgesetzt und habt Euch zum Ritter aufgeworfen mit einem halb Dutzend Rebstöcken und ein paar Morgen Land, mit einem Lumpen hinten und einem Lappen vorn. Die Ritter sagen, sie hätten es nicht gern, daß die Junker sich mit ihnen gleichstellen wollten, vollends solche Junker, die eigentlich nur vom Knappenstande sind, die ihre Schuhe mit Ruß schmieren und ihre schwarzen Strümpfe mit grüner Seide stopfen.«

»Das paßt nicht auf mich«, sprach Don Quijote, »denn ich bin stets gut gekleidet und nie geflickt; mit Rissen, das könnte schon sein, aber die Risse rühren eher von feindlichen Waffen als vom Abtragen.«

»Was Eure Tapferkeit, Feinheit des Benehmens, Taten und übernommene Aufgabe betrifft, da sind die Meinungen verschieden. Die einen sagen: ein Narr, aber ein ergötzlicher; die andern: ein tapferer Mann, aber stets im Pech; wieder andre: fein von Benehmen, aber täppisch und linkisch; und so reden sie hin und her über so vielerlei, daß sie an Euer Gnaden und an mir kein gutes Haar lassen.«

»Sieh, Sancho«, sprach Don Quijote, »wo immer sich die Tugend auf hoher Stufe zeigt, da wird sie verfolgt; wenige oder keiner von den berühmten Männern, die gelebt, konnten dem Schicksal entgehen, von der Bosheit verleumdet zu werden. Julius Cäsar, einem der kühnsten, geistvollsten und tapfersten Feldherrn, wurde vorgeworfen, er sei ehrgeizig und nicht ganz sauber, weder in seiner Kleidung noch in seinen Sitten. Von Alexander, dem seine Heldentaten den Namen des Großen erwarben, sagt man, er habe zur Trunksucht geneigt. Von Herkules, dem Mann der zwölf Arbeiten, erzählt man, er sei wollüstig und weichlich gewesen. Don Galaor, dem Bruder des Amadís von Gallien, sagt man nach, er sei allzu händelsüchtig, und von seinem Bruder, er sei ein Tränensack gewesen. So können denn, o mein Sancho, unter so vielen Verleumdungen gegen vortreffliche Männer die gegen mich auch mitlaufen, wenn sie nicht ärger sind, als was du gesagt hast.«

»Ja, da liegt eben der Hund begraben, bei meines Vaters Seel und Seligkeit!« entgegnete Sancho.

»Also geht es noch weiter?« fragte Don Quijote.

»Freilich«, antwortete Sancho; »sie haben die ganze Haut abgezogen bis auf den Schwanz, und der kommt jetzt dran. Alles Bisherige ist nur Honigkuchen und Zuckerbrot; aber wenn Euer Gnaden alles wissen will, was gegen Euch an Verleumdungen umläuft, will ich Euch augenblicks jemanden bringen, der Euch alles hersagt, ohne daß ein Bröckelchen daran fehlt. Gestern abend ist der Sohn des Bartolomé Carrasco angekommen, der hat in Salamanca ausstudiert und ist Baccalaureus worden; und als ich hinging und ihn willkommen hieß, da sagte er mir, daß die Geschichte von Euer Gnaden schon in Büchern steht unter dem Titel Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha; und er sagt auch, ich sei darin unter meinem eignen Namen Sancho Pansa aufgeführt und auch das Fräulein Dulcinea von Toboso nebst andrem, was ganz allein unter vier Augen zwischen uns beiden vorgegangen, und ich habe mich kreuzigen und segnen müssen vor Entsetzen, wie der Geschichtsschreiber, der die Geschichte geschrieben, das wissen konnte.«

»Ich versichere dir, Sancho«, versetzte Don Quijote, »irgendein gelahrter Zauberer muß der Verfasser unsrer Geschichte sein; denn solchen ist nichts von den Dingen verborgen, worüber sie schreiben wollen.«

»Und ob er ein gelahrter Mann und ein Zauberer war!« sprach Sancho. »Denn, so sagt der Baccalaureus Sansón Carrasco – so heißt der Mann, den ich erwähnt habe –, der Verfasser der Geschichte nennt sich Sidi Hamét Ben-Engerling.«

»Das ist ein maurischer Name«, sagte Don Quijote.

»So mag’s wohl sein«, entgegnete Sancho; »denn meistenteils, so hab ich sagen hören, kommen bei den Mauren die Engerlinge gar oft vor.«

»Jedenfalls«, sprach Don Quijote, »irrst du dich in dem Zunamen Sidi, denn das bedeutet in der arabischen Sprache ›Herr‹.«

»Das kann schon sein«, entgegnete Sancho, »aber wenn es Euer Gnaden angenehm ist, daß ich den Baccalaur gleich herkommen lasse, will ich ihn im Fluge herbeiholen.«

»Da tust du mir einen großen Gefallen«, sprach Don Quijote; »denn ich bin in Spannung ob deines Berichtes, und kein Bissen, den ich esse, wird mir schmecken, bis ich das Nähere über alles erfahre.«

»Nun, dann hole ich ihn«, versetzte Sancho, und seinen Herrn verlassend, ging er, den Baccalaureus aufzusuchen, und kehrte nach kurzer Zeit mit ihm zurück; und die drei führten sodann ein höchst ergötzliches Gespräch miteinander.

20. Kapitel


Worin die Hochzeit Camachos des Reichen erzählt wird, nebst den Begebnissen mit Basilio dem Armen

Kaum hatte die silberweiße Aurora dem leuchtenden Phöbus verstattet, mit der Glut seiner brennenden Strahlen die feuchten Perlen ihres goldenen Haares zu trocknen, als Don Quijote, die Trägheit von seinen Gliedern abschüttelnd, sich erhob und seinen Schildknappen Sancho rief, der noch schnarchte. Als Don Quijote ihn so liegen sah, sprach er zu ihm, bevor er ihn weckte: »O du Glückseliger vor allen, die auf der Erdenflur leben! Denn ohne Neid zu hegen oder beneidet zu werden, schlummerst du mit ruhigem Gemüte; nicht verfolgen dich Zauberer, nicht schrecken dich Zauberkünste. Schlummere, sag ich noch einmal und werd es noch hundertmal sagen, da keine Eifersucht auf deine Gebieterin dich in steter Nachtwache hält, da dir nicht der Schlaf verscheucht wird durch Sorgen, wie du fällige Schulden zahlen oder was du tun sollst, um auf den nächsten Tag Brot für dich und deine bedrängte kleine Familie zu schaffen. Weder quält dich Ehrgeiz, noch bekümmert dich der eitle Prunk der Welt; die Grenzen deiner Wünsche erstrecken sich nicht weiter als auf die Sorge für deinen Esel, denn die für deine Person hast du auf meine Schultern geladen, eine Last und Bürde, welche Natur und Herkommen den Herren auferlegt. Es schlummert der Diener, und der Herr wacht und sinnet nach, wie er ihn nähren, ihm voranhelfen und Wohltaten erweisen mag. Der Kummer, zu sehen, daß der Himmel ehern wird und der Erde nicht mit dem erforderlichen Naß zu Hilfe kommt, drückt den Diener nicht, sondern den Herrn, der bei Mißwachs und Hungersnot den Mann ernähren muß, der ihm gedient zur Zeit der Fruchtbarkeit und Fülle.«

Auf all das gab Sancho keine Antwort, denn er schlief und wäre nicht so bald aufgewacht, wenn Don Quijote ihn nicht mit dem Schaft seines Speers zum Bewußtsein gebracht hätte. Endlich wachte er auf, noch schlaftrunken und träge, wandte den Kopf nach allen Seiten und sprach: »Dort aus der Laube, wenn ich mich nicht irre, kommt ein Dunst und Geruch, weit eher von gerösteten Speckschnitten als von Heu und Thymian. Bei einer Hochzeit, die mit solchen Gerüchen anfängt, heilig Kreuzdonnerwetter! muß alles überreich und verschwenderisch hergehen.«

»Hör auf, Vielfraß«, sagte Don Quijote. »Komm, wir wollen uns diese Heirat mit ansehen, damit wir erfahren, was der verschmähte Basilio anfangen wird.«

»Mag er doch anfangen, was er will«, entgegnete Sancho; »er sollte eben nicht arm sein! Sonst könnte er Quitéria heiraten. Was, braucht man weiter nichts, als keinen Pfennig in der Tasche zu haben, und dann beim Heiraten über die Wolken hinauswollen? Wahrlich, Señor, ich bin der Meinung, der Arme soll mit dem zufrieden sein, was er findet, nicht aber Trüffeln aus dem Meer heraufgraben wollen. Ich will meine zehn Finger wetten, der Camacho kann den Basilio mit lauter Realen zudecken, und wenn dem so ist – und es muß doch so sein –, so wäre die Quitéria eine große Närrin, wollte sie all den Staat und die Schätze wegwerfen, die ihr Camacho sicher schon geschenkt hat und noch schenken kann, um dafür das Stangenwerfen und Kunstfechten des Basilio einzutauschen. Für einen guten Wurf mit der Eisenstange und für die schönste Finte mit dem Rapier gibt man keinen Schoppen Wein im Wirtshaus. Das sind Geschicklichkeiten und Talente, die unverkäuflich sind, und mag sie auch der Graf Dirlos besitzen; aber wenn derlei Talente von oben herab auf einen fallen, der brav Geld hat, da möcht ich ein Leben führen, so glänzend, wie dann diese Talente glänzen! Auf einem guten Boden kann man einen guten Bau aufführen, und der beste Boden und Baugrund auf Erden ist das Geld.«

»Um Gottes willen, Sancho«, fiel hier Don Quijote ein, »hör auf, ich glaube, wenn man dich die Predigten, die du jeden Augenblick anfängst, immer weiterfort halten ließe, würde dir keine Zeit bleiben zum Essen und zum Schlafen; du würdest sie ganz und gar verschwätzen.«

»Wenn Euer Gnaden ein gut Gedächtnis hätte«, entgegnete Sancho, »würdet Ihr Euch der verschiedenen Punkte in unsrem Übereinkommen erinnern, bevor wir dies letzte Mal von Hause zogen; von denen war einer, daß Ihr mich schwatzen lassen müßtet, soviel ich nur Lust hätte, sofern es nichts gegen den Nächsten wäre und nichts gegen die Euch schuldige Ehrerbietung, und bis jetzt meine ich nicht gegen diesen Punkt verfehlt zu haben.«

»Ich erinnere mich nicht eines solchen Artikels, Sancho«, sprach Don Quijote dagegen, »und falls dem auch so wäre, so will ich jetzt, du sollst schweigen und mitkommen; denn bereits beginnen die Instrumente, die wir gestern abend vernommen haben, das Tal wiederum zu erheitern, und ohne Zweifel wird die Vermählung in der Kühle des Morgens und nicht in der Hitze des Nachmittags gefeiert werden.«

Sancho tat, wie sein Herr ihm gebot, legte Rosinanten und seinem Esel den Sattel auf, und beide bestiegen ihre Tiere und ritten Schritt für Schritt dem Laubdach zu. Das erste, was sich Sanchos Blicken zeigte, war ein ganzer Ochse, der an einem Bratspieß aus einem ganzen Rüsterstamme steckte, und im Feuer, wo er gebraten werden sollte, lag ein wahrer Berg von Holz; die sechs Töpfe, die rings um die Glut herumstanden, waren nicht von der gewöhnlichen Form wie sonst wohl Töpfe, denn es waren sechs halbe Stückfässer, in deren jedes ein Metzgerladen voll Fleisch hineinging und welche ganze Hammel einschluckten und in ihrem Schoß bargen, ohne daß man sie von außen sehen konnte, gerade als wären es nur Täubchen. Abgebalgte Hasen und gerupfte Hühner hingen in wahren Mengen ringsum an den Bäumen, um alsbald in den Töpfen zu verschwinden; Geflügel und Wild aller Art war in unendlicher Menge da und hing an den Bäumen, um in der Luft abgekühlt zu werden. Sancho zählte mehr als sechzig Schläuche, jeden von mehr als zwanzig Maß, und alle, wie sich nachher zeigte, mit den edelsten Weinen gefüllt; so waren auch Massen weißesten Brotes aufgeschichtet, wie man auf den Tennen den Weizen in hohen Haufen liegen sieht. Die Käse, gitterförmig übereinandergelegt wie Backsteine, bildeten eine Mauer, und zwei Kessel mit Öl, größer als die in einer Färberei, dienten dazu, das Backwerk zu bereiten, welches man sodann wohlausgebacken mit zwei mächtigen Schaufeln herauslangte und in einen nebenan stehenden Kessel mit zerlassenem Honig tauchte. Die Zahl der Köche und Köchinnen überstieg die fünfzig, alle sauber angezogen, alle geschäftig und alle vergnügt. In dem weiten Bauch des Ochsen steckten eingenäht zwölf zarte Ferkel, um ihn schmackhafter und zarter zu machen. Die Gewürze aller Art schien man nicht pfund-, sondern zentnerweise gekauft zu haben; sie lagen sämtlich vor aller Augen da in einem großen Kasten. Kurz, die Zurüstungen zur Hochzeit waren zwar nach Bauernart, aber in solcher Fülle, daß man ein Kriegsheer damit hätte sättigen können.

Sancho sah sich alles an, betrachtete alles und hatte an allem sein Wohlgefallen. Zuerst ward seine Begierde von den Töpfen gefangengenommen und gefesselt, und er hätte sich aus ihnen gar zu gern ein gehöriges Frühstück geholt; gleich darauf gewannen die Schläuche seine Zuneigung und zuletzt das Backwerk in den Pfannen, wenn man solch prunkhafte Kessel als Pfannen bezeichnen darf; und da er es nicht länger aushalten konnte und es nicht in seiner Macht war, anders zu handeln, näherte er sich einem der geschäftigen Köche und bat ihn mit höflichen und hungrigen Worten, er möchte ihn einen Brocken Brot in einen dieser Töpfe eintunken lassen.

Darauf antwortete der Koch: »Mein Lieber, dank dem reichen Camacho ist dieser Tag keiner von denen, an denen der Hunger das Wort hat; steigt ab und seht zu, ob sich hierherum ein Suppenlöffel findet, und schöpft Euch ein oder zwei Hühner ab, und wohl bekomm’s Euch.«

»Ich sehe keinen«, erwiderte Sancho.

»Wartet einmal«, sagte der Koch. »Gott verzeih mir meine Sünden, wie zimperlich und ungeschickt seid Ihr doch!«

Mit diesen Worten ergriff er einen Schöpfeimer, fuhr damit in eines von den halben Stückfässern hinein, holte in dem Eimer drei Hühner und zwei Gänse heraus und sprach zu Sancho: »Esset, Freund, und vertreibt Euch den ersten Hunger mit diesem Abhub, bis die Essensstunde kommt.«

»Ich habe aber nichts, wo ich es hineintun kann«, entgegnete Sancho.

»So nehmt den Schöpfeimer und alles mit«, sagte der Koch; »Camachos Reichtum und Vergnügen am Bewirten gestatten alles.«

Während sich dies mit Sancho zutrug, schaute Don Quijote aufmerksam zu, wie zur einen Seite des Laubenganges gegen zwölf Bauern hereinritten auf wunderschönen Gäulen mit reichem prachtvollem Zaumzeug und einer Menge Schellen am Brustriemen; alle zwölf in festlich heiterer Tracht galoppierten in guter Ordnung, nicht nur einmal, sondern mehrmals über die Wiese unter freudigem Gejauchze und Geschrei und mit dem Ruf: »Es lebe Camacho und Quitéria, er so reich wie sie schön, und sie die Allerschönste auf Erden!«

Als Don Quijote das hörte, sprach er für sich: »Wohl sieht man, daß diese Leute meine Dulcinea von Toboso nicht gesehen haben, denn sonst würden sie ihre Lobreden auf diese ihre Quitéria wohl etwas mäßigen.«

Gleich darauf zogen zu verschiedenen Seiten der Laube viele und mannigfache Tanzgruppen herein; darunter war ein Schwertertanz von vierundzwanzig jungen Burschen, stattlichen und munteren Aussehens, sämtlich in feines und glänzend weißes Linnen gekleidet, mit passenden Kopftüchern, die mannigfarbige Stickereien aus feiner Seide zeigten. Ihren Führer, einen gewandten Jüngling, fragte einer der berittenen Bauern, ob sich etwa einer von den Tänzern verwundet habe.

»Bis jetzt hat sich Gott sei Dank keiner verwundet. Wir sind alle frisch und gesund.«

Und sogleich begann er sich mit seinen Genossen in den Verschlingungen der Tanzfiguren zu drehen mit so viel Wendungen und so vieler Gewandtheit, daß Don Quijote, wiewohl er des Anblicks von derlei Tänzen gewohnt war, keinen je so reizend gefunden hatte wie diesen. Desgleichen gefiel ihm eine andre Tanzgruppe, die jetzt hereinkam, bestehend aus schönen jungen Mägdelein, deren keine dem Anscheine nach unter vierzehn und über achtzehn Jahre alt war; sie waren alle in grünes Tuch von Cuenca gekleidet; ihr Haar, zum Teil geflochten, zum Teil frei fliegend, war bei allen so goldblond, daß es mit dem des Sonnengottes wetteifern konnte, und sie trugen es bekränzt mit Jasmin, Rosen, Amarant und Geißblatt. Ihre Führer waren ein ehrwürdiger Alter und eine Greisin, beide jedoch weit behender und leichtfüßiger, als ihre Jahre erwarten ließen. Ein zamoranischer Dudelsack spielte ihnen auf, und sie, in Gesicht und Augen Sittsamkeit, in den Füßen leichteste Gewandtheit zeigend, bewährten sich als die besten Tänzerinnen auf der Welt.

Nach diesem kam ein Figurentanz, einer von jener Art, die man redende Tänze nennt. Er wurde ausgeführt von acht Nymphen, die in zwei Reihen aufgestellt waren; Führer der einen Reihe war der Gott Kupido und der andern Reihe der Reichtum, jener geschmückt mit Flügeln, Bogen, Köcher und Pfeilen, dieser gekleidet in Gold und Seide von reichen und mannigfachen Farben. Die Nymphen, die dem Amor folgten, trugen ihre Namen am Rücken mit großen Buchstaben auf weißes Pergament geschrieben; Poesie hieß die erste, Klugheit die zweite, edle Abkunft die dritte, Tapferkeit die vierte. Auf dieselbe Weise waren die bezeichnet, die dem Reichtum folgten; Freigebigkeit lautete der Name der ersten, Geschenk der zweiten, Schatz der dritten, der der vierten friedlicher Besitz. Vor ihnen allen her kam eine Burg aus Holz, welche vier wilde Männer zogen, ganz in Efeu und grüngefärbtes Segeltuch gekleidet und so natürlich aussehend, daß sie Sancho beinahe in Schrecken gesetzt hätten. Vorn an der Burg und auf ihren vier Seiten stand geschrieben: Burg der züchtigen Wachsamkeit. Den Nymphen wurde von vier geschickten Tamburinschlägern und Flötenbläsern aufgespielt.

Kupido eröffnete den Tanz, und nachdem er zwei Figuren getanzt, blickte er auf, spannte den Bogen gegen eine Jungfrau, die zwischen die Zinnen der Burg trat, und sprach also zu ihr:

Ich, der Gott, der hoch in Lüften
Waltet wie in Erdentalen,
In des Meeres Wogengrüften,
Und wo, fern den Sonnenstrahlen,
Jammer herrscht in Abgrunds Klüften:
Nimmer bang ich, nimmer zag ich;
Alles, was ich will, vermag ich,
Ob auch, was ich will, unmöglich;
Alles, was auf Erden möglich,
Geb und nehm, gewähr, versag ich.

Die Strophe war zu Ende gesungen, Amor schoß einen Pfeil nach der Zinne der Burg und zog sich an seinen Platz zurück. Sogleich trat der Reichtum hervor und tanzte ebenfalls zwei Figuren; die Tamburine schwiegen, und er sprach:

Ich bin’s, dem selbst Amor weicht,
Der doch muß mein Führer werden;
Meinen Glanz hat nie erreicht,
Was der Himmel schafft auf Erden,
Da mir nichts an Reizen gleicht.
Reichtum heiß ich, meinetwegen
Geht die Welt auf schlechten Wegen;
Ohne mich will keiner leben.
Doch so, wie ich bin, ergeben,
Weih ich gern dir ewgen Segen.

Der Reichtum zog sich zurück, und nun trat die Poesie vor, die, nachdem sie ihre Figuren getanzt wie die andern, die Augen auf die Jungfrau der Burg heftete und sprach:

Hier in Reimen, zierlich netten,
Wild und milden, heißen, linden,
Weiß die Dichtkunst zu verketten
All ihr Denken und Empfinden,
Sendet dir’s in viel Sonetten.
Wirst du dich nicht spröd erweisen
Meiner Werbung, wird man preisen
Dein Geschick; trotz Neides Toben
Sieht es sich durch mich erhoben
Ob des Mondes hohen Kreisen.

Die Poesie trat ab, und aus der Gruppe des Reichtums trat die Freigebigkeit hervor, tanzte ihre Figuren und sprach:

Geben ist Freigebigkeit,
Wenn sich’s hält in rechter Mitte,
Von Verschwendung stets so weit
Wie von Geiz, der schnöden Sitte,
Der ein kaltes Herz sich weiht.
Doch dich preisend zu erheben,
Will ich der Verschwendung leben;
Ist’s ein Laster, ist’s doch Güte,
Zeugt von liebendem Gemüte,
Das man stets erkennt am Geben.

So traten alle Personen beider Gruppen auf und wieder ab; eine jede tanzte ihre Figuren und sprach ihre Verse, deren einige voll freier Wendungen, andre possierlich waren, von welchen aber Don Quijote in seinem Gedächtnis – obwohl dieses sehr gut war – nur die hier mitgeteilten behielt.

Alle Tänzer mischten sich nun untereinander, bildeten Verschlingungen und lösten sie wieder mit reizender Anmut und edler Unbefangenheit, und sooft Amor an der Burg vorüberkam, schoß er seine Pfeile hinauf, der Reichtum aber zerschlug an ihr vergoldete Sparbüchsen. Endlich, nachdem er eine geraume Weile getanzt hatte, zog der Reichtum einen mächtigen Beutel hervor, der aus dem Fell einer großen römischen Katze geschnitten war und mit Geld gefüllt schien, schleuderte ihn gegen die Burg, und durch den heftigen Wurf gingen die Holztafeln der Wände aus den Fugen und fielen zu Boden und ließen die Jungfrau ungedeckt und schutzlos. Der Reichtum eilte mit seinem ganzen Anhang herbei; sie warfen ihr eine lange goldene Kette um den Hals, und es sah aus, als ob sie sie ergriffen, überwältigten und gefangennähmen. Wie Amor und seine Helfer das sahen, machten sie Miene, als wollten sie die Jungfrau ihnen wieder entreißen. Alle Einzelheiten der ganzen Darstellung waren vom Schall der Tamburine, von dazu passenden Bewegungen und Tänzen begleitet. Die wilden Männer stifteten Frieden zwischen den Parteien, schlugen rasch die Bretterwände wieder auf und fügten sie zusammen, und die Jungfrau schloß sich wie von Anfang in die Burg ein. Damit endete der Tanz, zum großen Vergnügen der Zuschauer.

Don Quijote fragte eine der Nymphen, wer das Ballett entworfen und einstudiert habe. Sie antwortete, ein Meßpfründner im Dorfe hier, der in solchen Dingen sehr geschickt sei.

»Ich möchte wetten«, sprach Don Quijote, »der besagte Meßpfründner oder Baccalaureus wird besser freund mit Camacho als mit Basilio sein und sich besser auf Satire als auf Messelesen verstehen. Sehr gut hat er im Ballett Basilios Geistesgaben und Camachos Reichtum angebracht.«

Sancho Pansa, der dies mit anhörte, sagte: »Wes Brot ich eß, des Lied ich sing. Ich halte es mit Camacho.«

»Alles in allem«, entgegnete Don Quijote, »sieht man wohl, daß du eben ein Bauer bist und zu den Leuten gehörst, die sagen: Hoch der Sieger!«

»Ich weiß nicht, zu welchen Leuten ich gehöre«, entgegnete Sancho; »aber das weiß ich, daß ich aus Basilios Töpfen niemals einen so herrlichen Abhub schöpfen werde wie aus denen Camachos.«

Und hiermit zeigte er ihm den Schöpfeimer voller Gänse und Hühner, griff nach einem Huhn, begann in bester Laune und mit großem Appetit zu essen und sagte: »Mir schmeckt’s, trotz Basilios Talenten! Denn soviel einer hat, soviel ist einer wert, und es ist einer so viel wert, als er hat. Nur zweierlei Familienstämme gibt es auf der Welt, wie meine Großmutter sagte, das Hab-ich und das Hätt-ich, sie aber hielt es ganz allein mit dem Hab-ich. Heutigentags, mein verehrter Señor Don Quijote, fragt man: ›Wessen ist die Habe?‹ und nicht: ›Wessen ist die Geistesgabe?‹ Besitz gilt mehr als Witz, und ein Esel, mit Gold beladen, nimmt sich besser aus als ein Pferd mit einem Eselssattel. Und so sag ich nochmals: Ich halte es mit Camacho, denn aus seinen Töpfen hat man als reichlichen Abhub Gänse und Hühner, Hasen und Kaninchen, und aus Basilios Töpfen bekommt man höchstens, vielleicht auch tiefstens, nur Wassersuppe.«

»Bist du mit deiner Predigt fertig, Sancho?« sprach Don Quijote.

»Ich muß wohl damit fertig sein«, antwortete Sancho, »denn ich sehe, daß sie Euer Gnaden verdrießt; andernfalls fände ich noch für drei Tage Arbeit zugeschnitten.«

»Gott gebe«, erwiderte Don Quijote, »daß ich dich einmal stumm sehe, bevor ich sterbe.«

»Bei der Art Leben, das wir führen«, entgegnete Sancho, »werde ich lang vor Euer Gnaden Ableben Staub fressen, und dann bin ich wahrscheinlich so stumm, daß ich kein Wort mehr spreche bis ans Ende der Welt oder wenigstens bis zum Tage des Jüngsten Gerichts.«

»O Sancho«, versetzte Don Quijote, »auch dann wird doch deines Stillschweigens nie so viel werden, als was du geschwatzt hast, schwätzest und in deinem Leben noch schwätzen wirst, zumal es durchaus in der natürlichen Ordnung der Dinge liegt, daß der Tag meines Todes eher kommt als der des deinigen. Und sonach glaub ich, nimmer werde ich dich stumm sehen, nicht einmal, wenn du beim Trinken oder Schlafen bist – und das sagt alles.«

»Wahrlich, Señor«, gab Sancho darauf zur Antwort, »dem dürren Gerippe, ich meine dem Tod, ist nicht zu trauen; er frißt das Lamm wie den Hammel, und ich hab unsern Pfarrer sagen hören, er tritt mit gleichem Fuß in die hohen Burgen der Könige wie in die niederen Hütten der Armen. Dieser große Herr ist weit gewalttätiger als wählerisch; vor nichts ekelt es ihm, von allem frißt er, und alles ist ihm recht, und mit Leuten von jeder Art, jeglichem Lebensalter, jedem Rang und Stand füllt er seinen Zwerchsack. Er ist kein Schnitter, der sein Mittagsschläfchen hält; zu jeder Stunde mäht und schneidet er, dürres wie frisches Kraut, und er verschlingt und schluckt alles ungekaut hinunter, was ihm vorgesetzt wird, denn er hat einen Wolfshunger, der nie zu sättigen ist; und obschon er keinen Wanst hat, so ist’s doch, als hätte er die Wassersucht und als dürste ihn nach dem Leben aller Lebenden, wie einer einen Krug frisches Wasser hinuntertrinkt.«

»Nicht weiter, Sancho«, fiel Don Quijote hier ein; »bleib fest im Sattel und fall nicht herunter; denn wahrlich, was du in deiner Bauernsprache über den Tod gesagt hast, das hätte auch ein guter Prediger sagen können. Ich sage dir, Sancho, wenn du soviel Bildung hättest wie gute Anlagen, könntest du auf eine Kanzel steigen und weit in der Welt herum allerhand Schönes predigen.«

»Wer brav ist im Leben, der predigt auch brav«, entgegnete Sancho; »weiter weiß ich halt nichts von der Tologie.«

»Du brauchst auch nichts weiter«, sprach Don Quijote. »Aber da doch Gottesfurcht aller Weisheit Anfang ist, so kann ich wirklich nicht verstehn und begreifen, wie du, der sich vor einer Eidechse mehr fürchtet als vor dem lieben Gott, so mancherlei Weisheit in dich aufgenommen hast.«

»Gnädiger Herr, bekümmert Euch um Euer Ritterwesen«, versetzte Sancho, »und nicht um anderer Leute Furcht und Mut; ich fürchte Gott ganz so gebührlich wie jeder Bauernbursche im Dorf. Jetzt aber laßt mich mit diesem Abhub fertigwerden, denn alles andre sind müßige Worte, über die man dereinst im andern Leben Rechenschaft von uns fordern wird.«

Und mit diesen Worten begann er einen neuen Angriff auf seinen Schöpfeimer und tat das mit so mächtiger Eßlust, daß er derengleichen in Don Quijote erweckte, und dieser würde ihm ohne Zweifel geholfen haben, wenn ihn daran nicht ein Umstand gehindert hätte, der notwendigerweise nachher berichtet werden muß.

21. Kapitel


Wo die Hochzeitsfeier Camachos weitererzählt wird, nebst andern annehmlichen Begebnissen

Während Don Quijote und Sancho noch bei dem Zwiegespräch waren, das im vorigen Kapitel erzählt worden, hörte man lautes Schreien und großen Lärm; verursacht war es von den Berittenen, die in voller Jagd mit schallenden Rufen das Brautpaar zu empfangen eilten, das, umgeben von tausenderlei Instrumenten und allerhand Kunstfiguren, einherzog, geleitet von dem Pfarrer und der beiderseitigen Verwandtschaft und den ansehnlichsten Leuten aus den umliegenden Ortschaften; alle in festlicher Tracht. Als Sancho die Braut erblickte, sagte er: »Wahrhaftig, die geht in einem Anzug einher, nicht wie eine Bäuerin, sondern wie eine feine Hofdame. Weiß Gott, statt der Goldplättchen, die sie um den Hals hätte tragen sollen, seh ich prächtige Korallen, und das grobe grüne Tuch von Cuenca, hier ist’s dreißigfädiger Samt! Und freilich, der Besatz wird von weißen Linnenstreifen sein? Bei allen Heiligen, er ist von Atlas! Und seht nur mal, die Hände sind ja mit Ringen von Achat geschmückt – jawohl! Meiner Lebtage will ich kein Glück haben, wenn die Ringe nicht von Gold sind, von schwerem Gold und besetzt mit Perlen, so weiß wie Milch, für jede gäbe man ein Auge drum. O du Hurenkind, was für Haare! Wenn sie nicht falsch sind, hab ich mein Leben lang keine so lang und so blond gesehen. Und keiner soll mir etwas an ihrem feinen Anstand und an ihrem Wuchs aussetzen! Ist sie nicht wie eine Palme, die da sich sachte bewegt mit ihrer Bürde von Datteln in langen Trauben? Denn geradeso sehen die Geschmeide aus, die sie im Haar und am Hals hängen hat. Ich schwör’s bei meiner Seel, die ist noch vom rechten Schlag, die wird auch bei der Sandbank von Flandern sicher fahren.«

Don Quijote lachte über die bäurischen Lobreden Sancho Pansas; doch schien es ihm selbst, er habe außer seinem Fräulein Dulcinea von Toboso nie ein schöneres Weib gesehen. Die reizende Quitéria war ein wenig blaß; das kam gewiß von der schlaflosen Nacht, welche die Bräute stets mit den Zurüstungen für den kommenden Hochzeitstag verbringen. Der Zug wandte sich einer Bühne zu, die an der einen Seite der Laube aufgeschlagen und mit Teppichen und Zweigen geschmückt war; dort sollte die Trauung stattfinden, und von dort aus sollte man den Tänzen und den mancherlei Künsten zuschauen. Im Augenblicke aber, wo die Teilnehmer am Zug bei der Stelle anlangten, hörten sie hinter ihrem Rücken ein großes Geschrei, und jemand rief: »Wartet doch noch, ihr Leute! Ihr seid ebenso unüberlegt als übereilt!«

Auf diesen Ruf, auf diese Worte wandten sich alle um und sahen, daß das Geschrei von einem Manne ausgestoßen wurde, dessen Kleidung aussah wie ein schwarzer Kittel mit einem Saum von hochrot geflammter Seide. Er trug auf dem Kopfe, wie man alsbald bemerkte, einen Kranz von unglückbedeutenden Zypressen, in den Händen einen langen Stab. Als er näher kam, erkannten alle in ihm den wackeren Basilio, und alle standen voll Spannung, was er mit seinem Rufen und seinen Worten bezwecke, da sie von seinem Erscheinen in einem solchen Augenblick nur Schlimmes befürchten konnten.

So nahte er denn, abgemüdet und atemlos, und vor das Brautpaar tretend, stieß er seinen Stab mit der stählernen Spitze fest in den Boden und heftete die Augen starr auf Quitéria; erbleichend sprach er mit heiserer, fürchterlicher Stimme folgende Worte: »Wohl weißt du, undankbare Quitéria, daß nach dem heiligen Glauben, zu dem wir uns bekennen, du, solang ich lebe, keinen andern Gatten nehmen kannst; und zugleich ist es dir nicht unbekannt, daß ich, in der Hoffnung, die Zeit und mein Fleiß würden meine Glücksumstände bessern, niemals die Rücksichten der Ehrbarkeit außer Augen lassen wollte, die deiner jungfräulichen Würde gebührten. Du aber hast alle Verpflichtungen, die du meinen redlichen Absichten schuldest, hinter dich geworfen und willst zum Herrn dessen, was mein ist, einen andern erheben, dessen Reichtümer ihm nicht nur einen hohen Glücksstand, sondern jetzt die höchste Seligkeit gewähren; und damit er diese, wie er sie meiner Meinung nach nicht etwa verdient, sondern wie der Himmel sie ihm zu schenken beliebt, voll und ganz besitzt, will ich mit eignen Händen die Unmöglichkeit oder das Hindernis, das sie ihm verwehren kann, beseitigen, will mich aus dem Wege schaffen. Es lebe, es lebe der reiche Camacho mit der undankbaren Quitéria lange glückselige Jahre! Und es sterbe, es sterbe der arme Basilio, dessen Armut seinem Glück die Flügel verschnitten und ihn ins Grab gestürzt hat!«

Und mit diesem Wort ergriff er den Stab, den er in den Boden gestoßen; dessen eine Hälfte blieb in der Erde stecken und entpuppte sich als die Scheide eines schmalen Stoßdegens, der in ihr verborgen gewesen; er stemmte das andre Ende, das man den Griff nennen konnte, wider den Boden, mit raschem Mute und fester Entschlossenheit stürzte er sich auf den Degen, und in einem Augenblick sah man die blutige Spitze mit der Hälfte der Stahlklinge zum Rücken herausdringen. Der Arme lag in seinem Blute gebadet auf dem Boden hingestreckt, von seiner eignen Waffe durchbohrt. Seine Freunde eilten sofort ihm zu Hilfe, tief erschüttert von seinem Leid und seinem Unglück. Auch Don Quijote ließ seinen Rosinante im Stich und kam, ihm beizustehen; er nahm ihn in die Arme und fand, daß das Leben ihm noch nicht geschwunden war. Man wollte ihm die Klinge herausziehen, allein der Pfarrer, der dabeistand, war der Meinung, man sollte sie ihm noch nicht herausziehen, bis er gebeichtet habe, da das Herausziehen des Degens und das Verscheiden Sache eines und desselben Augenblicks sein würden. Jetzt aber kam Basilio wieder einigermaßen zu sich und sagte mit schmerzbewegter schwacher Stimme: »Wolltest du, grausame Quitéria, in dieser unabänderlichen letzten Not mir die Hand als Gattin reichen, so würde ich glauben, meine vermessene Tat könne noch Entschuldigung verdienen, da ich durch sie das Glück errungen hätte, der Deinige zu sein.«

Als der Pfarrer diese Worte hörte, sagte er ihm, er solle lieber an das Heil der Seele als an des Leibes Freuden denken und aufrichtig Gott um Verzeihung anflehen für seine Sünden und seinen verzweifelten Entschluß.

Darauf entgegnete Basilio, er werde keinesfalls beichten, wenn ihm Quitéria nicht zuvor die Hand als seine Gattin gereicht habe; dies frohe Bewußtsein würde ihm zum Beichten den Willen kräftigen und den Mut gewähren.

Als Don Quijote die Bitte des Verwundeten vernahm, sprach er mit hocherhobener Stimme, was Basilio verlange, sei gerecht und wohlbegründet und außerdem leicht ausführbar; und der Herr Camacho werde sich ebenso geehrt fühlen, wenn er das Fräulein Quitéria als Witwe des mannhaften Basilio, wie wenn er sie aus den Händen ihres Vaters empfinge. »Hier darf weiter nichts als ein Ja erfolgen, das keinen andern Wert haben soll, als daß es ausgesprochen wird; denn das Hochzeitsbett dieser Ehe wird ja doch das Grab sein.«

Alles das hörte Camacho mit an, und alles brachte ihn in Verwirrung und Bestürzung; er wußte nicht, was er tun oder sagen sollte. Allein das Geschrei von Basilios Freunden ward immer dringender, sie baten ihn inständig, er möge doch zugeben, daß Quitéria ihm die Hand als Gattin reiche, damit er nicht in Verzweiflung aus diesem Leben scheiden müsse und seine Seele nicht in Verdammnis komme; und so vermochten sie ihn oder vielmehr nötigten sie ihn gewaltsam zu der Erklärung, wenn Quitéria dem Basilio die Hand reichen wolle, so sei er es zufrieden, da das Ganze ja doch nur die Erfüllung seiner Wünsche um einen Augenblick verzögere.

Don Quijote

Sogleich wandten sich alle an Quitéria; und die einen mit Bitten, die andern mit Tränen, wieder andre mit zwingenden Gründen, redeten sie ihr zu, sie möchte doch dem armen Basilio die Hand reichen. Sie aber, härter als Marmor und starrer als eine Bildsäule, sah aus, als ob sie kein Wort zu erwidern wüßte oder vermöchte oder den Willen hätte; und in der Tat hätte sie nicht geantwortet, wenn ihr der Pfarrer nicht gesagt hätte, sie müsse sich eiligst entscheiden, was sie tun wolle, denn Basilio habe die Seele schon auf den Lippen schweben und sei nicht in der Lage, schwankende Entschlüsse abzuwarten.

Die schöne Quitéria, ohne ein Wort zu erwidern, dem Anscheine nach ohne Fassung, traurig und tiefbekümmert, schritt der Stelle zu, wo Basilio lag, der bereits die Augen verdrehte, kurz und keuchend atmete, zwischen den Lippen den Namen Quitéria flüsterte und deutlich zeigte, daß er als Heide und nicht als Christ sterben werde. Endlich trat Quitéria näher heran, warf sich auf die Knie und bat ihn durch Zeichen, nicht mit Worten, um seine Hand. Basilio riß die Augen weit auf, sah sie unverwandten Blickes an und sprach zu ihr: »O Quitéria, so bist du endlich barmherzig geworden, jetzt, wo dein Erbarmen zum Dolche werden muß, mir das Leben vollends zu rauben; denn schon habe ich nicht Kräfte mehr, daß ich die Wonne ertragen könnte, von dir zu deinem Gatten erkoren zu werden, oder daß ich dem Schmerz Einhalt tun könnte, der schon eilig mir mit dem grausigen Schatten des Todes die Augen umhüllen will! Was ich von dir erbitte, ist dies eine, o du mein Unglücksstern: Wenn du jetzt meine Hand begehrst und die deine mir reichen willst, so tu es nicht aus leerer Gefälligkeit oder um mich abermals zu täuschen, sondern bekenne und erkläre, daß du deinem Willen nicht Gewalt antust, vielmehr sie mir reichst als einem rechtmäßigen Ehegatten; denn es wäre unrecht, wenn du in dieser Todesnot mich täuschen und Verstellung gegen den üben wolltest, der stets so wahr gegen dich gewesen.«

Während er dies sprach, wurde er wiederholt ohnmächtig, und alle Anwesenden dachten, jede Ohnmacht würde seinen Lebenshauch mit sich fortnehmen. Quitéria, züchtig und verschämt, ergriff Basilios Hand mit ihrer Rechten und sagte: »Keine Gewalt vermag je meinen Willen zu beugen, und so, mit der größten Willensfreiheit, deren ich fähig bin, reiche ich dir die Hand als dein rechtmäßiges Weib und nehme die deinige an, sofern du mir sie aus freiem Entschlusse reichst, ohne daß das Unglück, in welches deine Verzweiflungstat dich gebracht, dir das Bewußtsein stört oder vernichtet.«

»Ja, so reiche ich sie dir«, entgegnete Basilio, »weder verstört noch wirr im Geiste, sondern mit dem klaren Verstande, den es dem Himmel gefiel mir zu verleihen, und so gebe und übereigne ich mich dir als deinen Ehegatten.«

»Und ich mich dir als Gattin«, sprach Quitéria dagegen, »ob du nun lange Jahre lebest oder ob man dich aus meinen Armen zu Grabe trägt.«

»Dafür, daß dieser Bursche so schwer verwundet ist«, bemerkte hier Sancho Pansa, »spricht er wirklich viel. Macht doch, daß er von seinem verliebten Gerede abläßt und an das Heil seiner Seele denkt; sie schwebt ihm zwar eigentlich schon auf den Lippen, sitzt ihm aber meines Erachtens noch immer fest auf der Zunge.«

Als nun Basilio und Quitéria die Hände verschlungen hielten, gab ihnen der Pfarrer gerührt und mit Tränen seinen Segen und betete zum Himmel, der Seele des Neuvermählten glückselige Ruhe zu gewähren. Aber dieser hatte kaum den priesterlichen Segen empfangen, da sprang er rasch und behende auf die Füße und zog mit unerhörter Verwegenheit den Degen heraus, dem sein Körper als Scheide gedient hatte. Die Umstehenden alle gerieten in Erstaunen, und einige unter ihnen, die mehr Einfalt als Scharfsinn besaßen, begannen mit lauter Stimme zu rufen: »Wunder, ein Wunder!« Jedoch Basilio entgegnete: »Saget nicht Wunder, Wunder, sondern List, nur List.«

Der Pfarrer trat erstaunt und außer sich näher und befühlte mit beiden Händen die Wunde und fand, daß die Klinge dem Basilio keineswegs durch Fleisch und Rippen gegangen war, sondern durch eine eiserne Röhre, die an der richtigen Stelle geschickt angebracht und mit Blut gefüllt war; das Blut, wie man später erfuhr, war so zubereitet, daß es nicht gerinnen konnte. Nach alledem hielten sich der Pfarrer und Camacho nebst den meisten Umstehenden für betrogen und verhöhnt. Die Neuvermählte indes schien den Spaß durchaus nicht übelzunehmen; im Gegenteil, als sie hörte, diese Vermählung könne nicht gültig sein, entgegnete sie, sie erkläre die Ehe aufs neue für rechtskräftig. Daraus schlossen denn alle, die ganze Sache sei mit Wissen und Willen beider so geplant worden, und Camacho und seine Anhänger wurden darob so erbittert, daß sie ihre Rache der Gewalt der Fäuste anheimstellen wollten; es wurden nicht wenige Schwerter gezogen, und die Gegner stürmten auf Basilio ein, dem zur Hilfe wohl ebenso viele Schwerter aus der Scheide fuhren. Aber Don Quijote, hoch zu Roß, kam allen zuvor, und den Speer im Arm, wohlgedeckt mit seinem Schild, zwang er alle, ihm Raum zu geben.

Sancho, welchen derlei Auftritte nimmermehr behaglich oder erfreulich deuchten, suchte Zuflucht bei den Fleischtöpfen, aus denen er seinen lieblichen Abhub geschöpft hatte, denn die Stätte dieser Töpfe erschien ihm wie eine geweihte Freistatt, die jedermann achten werde.

Don Quijote rief mit dröhnender Stimme: »Haltet ein, ihr Herren, haltet ein! Es ist wider Recht und Vernunft, Rache zu suchen für Kränkungen, die die Liebe uns zufügt. Bedenket, Krieg und Liebe sind eins und dasselbe; und so wie es im Krieg erlaubt und herkömmlich ist, schlaue Künste und Kriegslisten anzuwenden, um den Feind zu besiegen, so gelten auch im Kampf und Wettstreit der Liebe Listen und Ränke als recht und billig, wenn sie den Zweck haben, das ersehnte Ziel zu erreichen, sofern sie nur dem geliebten Gegenstand nicht zur Schädigung und Unehre gereichen. Quitéria gehörte dem Basilio, Basilio gehörte Quitéria an durch des Himmels gerechte und gütige Fügung. Camacho ist reich und kann sich seines Herzens Wunsch erkaufen, wann, wo und wie es ihm fürderhin beliebt. Basilio besitzt nur dies eine Schäflein, und keiner darf es ihm rauben, so mächtig er auch sei; denn ein Paar, das Gott zusammenfügt, soll der Mensch nicht scheiden, und wer es versuchen wollte, der soll mit der Spitze dieses Speeres zu tun bekommen!«

Und mit diesen Worten schwang er den Speer so gewaltig und so gewandt, daß er jeden, der ihn nicht kannte, mit Furcht erfüllte. Aber auf Camachos Gemüt machte Quitérias geringschätziges Benehmen einen so tiefen Eindruck, daß er sie in einem Augenblick aus seinem Angedenken auslöschte, und daher fanden die Vorstellungen des Pfarrers, der ein verständiger und wohlgesinnter Mann war, Gehör bei ihm und bewirkten, daß er und seine Leute bald friedlichen Sinnes wurden und sich beruhigten. Zum Zeichen dieser Gesinnung steckten sie die Schwerter wieder ein, indem sie Quitérias Leichtfertigkeit mehr als der List Basilios die Schuld an allem beimaßen. Camacho seinerseits bedachte, wenn Quitéria schon als Mädchen den Basilio liebhatte, würde sie als Ehefrau ihn liebbehalten, und er müsse dem Himmel eher dafür danken, daß er jetzt sie ihm genommen, als daß er sie vorher ihm gegeben habe.

Da nun Camacho und seine Anhänger sich getröstet und zum Frieden bekehrt hatten, beruhigten sich auch die Parteigänger Basilios, und der reiche Camacho, um zu zeigen, daß er ob des ihm gespielten Streichs nicht grolle, ja sich gar nichts aus ihm mache, wollte, daß die Festlichkeiten ihren Gang weitergehen sollten, gerade als ob er wirklich Hochzeit hielte. Allein Basilio und seine Gattin und seine Anhänger wollten dem Feste nicht beiwohnen, und sie zogen daher nach Basilios Dorfe, denn auch die Armen, wenn sie tugendsam und geistig begabt sind, finden Leute, die sie treulich geleiten, in Ehren halten und schützen, wie die Reichen Leute haben, die ihnen schmeicheln und zur Gesellschaft dienen.

Die Freunde des jungen Paares nahmen Don Quijote mit, weil sie ihn für einen tüchtigen Mann hielten, der Haare auf den Zähnen habe. Nur allein dem guten Sancho verdüsterte sich das Gemüt, da er nun die Unmöglichkeit sah, Camachos prachtvolles Mahl und Fest abzuwarten, das bis in die Nacht hinein dauerte, und so folgte er ratlos und betrübt seinem Herrn, der mit Basilios Genossenschaft von dannen zog. So ließ er die Fleischtöpfe Ägyptens hinter sich zurück, wiewohl er sie in seinem Herzen mitnahm, da ihr beinahe schon verzehrter und aufgegessener Abhub, den er im Schöpfeimer bei sich führte, ihm die Herrlichkeit und Fülle des verlorenen Glücks vor Augen stellte. Und also, in Trauer versunken und in Gedanken verloren, wenn auch frei von Hunger, folgte er auf seinem Grauen den Spuren Rosinantes.

22. Kapitel


Woselbst Bericht erstattet wird über das Abenteuer in der Höhle des Montesinos, welche sich im tiefsten Innern der Mancha befindet, und wie der mannhafte Don Quijote von der Mancha selbiges Abenteuer zu glückhaftem Ende geführt

Herrlich und reichlich war die Bewirtung und Pflege, die Don Quijote bei den Neuvermählten fand. Sie fühlten sich ihm verpflichtet ob der Proben seines Heldentums, die er als Verteidiger ihrer Sache abgelegt, und ebenso hoch wie seine Tapferkeit stellten sie seinen verständigen Geist, da sie ihn für einen Cid im Waffenwerk und für einen Cicero in der Beredsamkeit hielten. Der biedre Sancho erlustete sich drei Tage lang auf Kosten der jungen Eheleute. Von diesen erfuhr man, daß die angebliche Verwundung keineswegs ein mit der schönen Quitéria verabredeter Anschlag war, sondern ausschließlich eine List Basilios, der von ihr genau den Erfolg erhoffte, der wirklich eingetreten war. Allerdings gestand er ein, er habe einigen seiner Freunde Mitteilung von seinem Plan gemacht, damit sie im erforderlichen Augenblick seine Absicht unterstützen und seinem Trug nachhelfen könnten.

»Das kann und darf man nicht Trug nennen«, sagte Don Quijote, »was tugendsame Ziele im Auge hat«; und daß ein liebendes Paar sich vermähle, fügte er bei, sei das höchste, das edelste Ziel. »Dabei ist zu beachten«, fuhr er fort, »daß die größten Feinde, die die Liebe hat, Hunger und dauernde Not sind; denn die Liebe ist ganz und gar Freude, Ergötzen und Wonne, zumal wenn der Liebende im Besitz des geliebten Gegenstands ist, Not und Armut aber sind ihre erklärten Feinde.«

Alles das, bemerkte er dann, sage er, um Señor Basilio zu bewegen, daß er von der Ausübung seiner Talente fürderhin abstehe; denn wenn sie ihm auch Ehre verschafften, so verschafften sie ihm doch kein Geld; er möge sich also darauf legen, mit den erlaubten Mitteln der Betriebsamkeit, an denen es verständigen und fleißigen Leuten nie fehle, Vermögen zu erwerben. »Der Arme«, sagte er weiter, »der ein Mann von Ehre ist – sofern nämlich der Arme für einen Mann von Ehre erachtet werden kann –, besitzt einen Schatz, wenn er ein schönes Weib sein eigen nennt, und raubt man ihm diesen Schatz, so raubt und mordet man ihm seine Ehre. Ein Weib, das schön und ehrenhaft, wenn ihr Mann arm ist, verdient, mit den Lorbeern und Palmen des Siegs und Triumphes bekränzt zu werden. Die Schönheit für sich allein zieht alle an, die sie erschauen und kennenlernen, und wie auf eine wohlschmeckende Lockspeise schießen auf sie herab die königlichen Aare und anderes hochfliegendes Federspiel; aber wenn sich dieser Schönheit Not und Dürftigkeit gesellt, dann fallen auch die Raben sie an und die Habichte und die andern Raubvögel, und die Frau, die gegen soviel Angriffe fest bleibt, verdient wohl ihres Mannes Krone genannt zu werden.

»Erwäget, verständiger Basilio«, fügte Don Quijote noch bei: »Es war die Meinung eines, ich weiß nicht welches Weisen, es gebe in der ganzen Welt nur eine einzige brave Frau; und er gab den Rat, jeder solle meinen und festiglich glauben, jene einzige brave sei eben die seine, dann werde er ein zufriedenes Leben führen. Ich bin nicht verheiratet, und bis jetzt ist es mir auch nicht in den Sinn gekommen zu heiraten, aber dessenungeachtet würde ich mich erkühnen, dem, der mich darum bäte, Rat zu erteilen, welchen Weg er bei der Wahl einer Frau einschlagen soll. Fürs erste würde ich ihm raten, mehr auf guten Namen zu sehen als auf Vermögen, denn das tugendhafte Weib erlangt einen guten Namen nicht bloß dadurch, daß sie tugendhaft ist, sondern dadurch, daß sie es auch scheint; die Ehre der Frau leidet weit mehr durch Unvorsichtigkeiten und freies Benehmen in der Öffentlichkeit als durch heimliche Schlechtigkeiten. Wenn du eine tugendsame Frau in dein Haus führst, so ist es wohl leicht, sie in ihrer Tugend zu erhalten, ja sie darin noch vorzüglicher zu machen; aber führst du eine schlechte heim, so wird es dir große Mühsal bereiten, sie zu bessern; denn es ist nicht leicht, von einem Äußersten zum andern überzugehen. Ich sage nicht, es sei unmöglich, aber ich halte es für schwer.«

Alles dies hörte Sancho mit an und sprach zu sich selber: Dieser mein Herr, wenn ich von etwas rede, das Hand und Fuß hat, pflegt zu sagen, ich könnte eine Kanzel zur Hand nehmen und in der Welt herumziehn und allerhand Schönes predigen; ich aber sage von ihm, wenn er anfängt, Sprüche aneinanderzureihen und Ratschläge zu erteilen, kann er nicht nur eine Kanzel zur Hand nehmen, sondern zwei auf jeden Finger, und kann auf den Marktplätzen umher reden gehn, Herz, was begehrst du. Hol dich der Kuckuck, was für ein fahrender Ritter bist du, daß du so vieles weißt und verstehst! Ich dachte in meinem Sinn, er wisse weiter nichts, als was sein Rittertum angeht; aber es gibt gar nichts, woran er nicht pickt und seinen Schnabel hineinsteckt.

Sancho murmelte das ein wenig lauter; sein Herr hörte etwas davon und fragte ihn: »Was murmelst du vor dich hin, Sancho?«

»Ich sage nichts, ich murre über nichts«, antwortete Sancho; »ich sagte nur so bei mir, was Euer Gnaden da gesprochen hat, hätte ich vor meiner Verheiratung hören sollen; dann würde ich vielleicht jetzo sagen: Der Ochs, der nicht im Joche steckt, sieh, wie sich der behaglich leckt.«

»Ist denn deine Teresa so schlimm, Sancho?« fragte Don Quijote.

»Sie ist nicht besonders schlimm«, antwortete Sancho, »aber auch nicht besonders gut; wenigstens ist sie nicht so gut, wie ich es wünschte.«

»Du tust übel daran, Sancho«, sagte Don Quijote, »wenn du von deiner Frau schlecht sprichst; am Ende ist sie doch die Mutter deiner Kinder.«

»Wir bleiben einander nichts schuldig«, entgegnete Sancho; »auch sie spricht von mir nichts Gutes, wenn es ihr einfällt, besonders wenn sie eifersüchtig ist; alsdann mag’s der Teufel mit ihr aushalten.«

Drei volle Tage blieben die beiden nun bei den Neuvermählten und wurden da gepflegt und bedient wie die Prinzen. Don Quijote bat den fechtkundigen Lizentiaten, ihm einen Führer zu verschaffen, der ihn zur Höhle des Montesinos geleiten sollte; denn er hatte ganz besondre Lust, in diese einzudringen und mit eigenen Augen zu sehen, ob die Wunder wahr seien, die man in der ganzen Umgegend von ihr erzählte. Der Lizentiat versprach, ihm einen Vetter von sich mitzugeben, einen studierten Mann von großen Verdiensten und besonderen Liebhaber von Ritterbüchern; dieser werde ihn sehr gern bis an den Eingang der besagten Höhle bringen und ihm auch die Ruidera-Seen zeigen, die ebenfalls in der ganzen Mancha, ja in ganz Spanien berühmt seien. Er fügte hinzu, der Ritter würde angenehme Unterhaltung bei ihm finden, denn der junge Mann verstehe sich darauf, Bücher zu schreiben, die geeignet seien, gedruckt und fürstlichen Personen gewidmet zu werden.

Der Vetter kam denn auch bald auf einer trächtigen Eselin heran, deren Sattel mit einem bunten Teppich oder einer Decke belegt war. Sancho sattelte Rosinante, richtete seinen Grauen und versorgte seinen Zwerchsack, welchem der ebenfalls wohlgefüllte des Vetters Gesellschaft leistete, und sich dem lieben Gott befehlend und von allen Abschied nehmend, begaben sie sich auf den Weg und schlugen die Richtung nach der weltberühmten Höhle des Montesinos ein.

Unterwegs fragte Don Quijote den Vetter, welcher Art und Beschaffenheit seine Arbeiten, sein Beruf und seine Studien seien. Darauf antwortete dieser, sein Beruf sei die Beschäftigung mit den schönen Wissenschaften; seine Arbeiten und Studien bestünden darin, Bücher für den Druck zu schreiben, der Allgemeinheit zu großem Nutzen und nicht minder zum Vergnügen. Eines derselben heiße Das Buch von den Rittertrachten, wo er siebenhundertunddrei solche Trachten mit ihren Farben, Wahlsprüchen und sinnbildlichen Zeichen schildere, aus denen die Ritter am Hofe alle ihnen beliebigen bei Festen und Ergötzlichkeiten auswählen und entnehmen könnten, ohne sie erst von jemandem erbetteln und sich, wie man wohl sagt, den Kopf zerbrechen zu müssen, um etwas ihren Wünschen und Absichten Entsprechendes auszusinnen. »Denn«, sagte er, »ich gebe dem Eifersüchtigen, dem Verschmähten, dem Vergessenen und dem Abwesenden diejenigen, die für ihn passen, Trachten, die ihnen allen gerecht und also nicht sündhaft sind. Ich habe auch noch ein Buch unter der Feder, das Die Verwandlungen oder der spanische Ovid heißen soll, von neuer und ganz eigentümlicher Erfindung; denn darin ahme ich Ovid in burlesker Weise nach und stelle dar, was die Giralda von Sevilla und der Engel der Magdalena war, was der Graben von Vecingusrra zu Córdoba, was die Stiere von Guisando, die Sierra Morena, die Brunnen in den Gemarkungen von Leganitos und Lavapiés, nicht zu vergessen den Läusebrunnen, den goldenen Brunnen und den der Priorin; und das alles mit den zugehörigen Allegorien, poetischen Figuren und Verwandlungen, so daß es zu gleicher Zeit unterhält, spannt und belehrt. Noch ein anderes Buch habe ich, mit dem Titel Ergänzungen zu Polydorus Vergilius, das von der Erfindung der Dinge handelt; es ist ein Buch von großer Gelehrsamkeit und tiefem Studium, da ich alles Wesentliche, was Polydorus übergangen hat, ergründe und in artiger Weise darstelle. Polydorus Vergilius hat zum Beispiel vergessen, uns zu berichten, wer zuerst auf der Welt den Schnupfen hatte, wer zuerst Einreibungen gebraucht hat, um sich von der Franzosenkrankheit zu heilen, und ich berichte es aufs genaueste und beweise es mit mehr als einem Viertelhundert Quellenschriftstellern; da kann Euer Gnaden ersehn, ob ich tüchtig gearbeitet habe und ob das Buch nicht der ganzen Welt von Nutzen sein muß.«

Sancho, der den Mitteilungen des Vetters sehr aufmerksam gefolgt war, sprach zu ihm: »Sagt mir doch, Señor, so wahr Euch Gott Euer Glück mit der Bücherschreiberei machen lasse, wißt Ihr auch – aber sicher werdet Ihr es wissen, denn Ihr wißt ja alles –, wer war der erste, der sich den Kopf gekratzt hat? Ich meine, es muß unser Stammvater Adam gewesen sein.«

»Der wird es wirklich gewesen sein«, entgegnete der Vetter; »denn ohne Zweifel hat Adam Kopf und Haar gehabt, und da dem so ist und da er der erste Mensch auf Erden war, wird er sich auch manchmal gekratzt haben.«

»Das glaub ich auch«, sprach Sancho darauf; »aber sagt mir jetzt, wer hat den ersten Purzelbaum auf der Welt geschlagen?«

»Wahrlich, lieber Freund«, antwortete der Vetter, »das kann ich jetzt im Augenblick nicht sagen, bevor ich es studiert habe; ich will es aber studieren, sobald ich heimkehre, wo ich meine Bücher habe, und will Euch Bescheid geben, wenn wir uns das nächstemal wiedersehn, denn dies wird gewiß nicht das letztemal sein.«

»Nun, so hört, Señor«, versetzte Sancho, »Ihr braucht Euch damit nicht zu plagen, denn eben bin ich draufgekommen, wie meine Frage zu beantworten ist. Wisset also, den ersten Purzelbaum auf der Welt hat Luzifer geschlagen; als man ihn aus dem Himmel hinausstieß oder hinabstürzte, schlug er lauter Purzelbäume, bis er in den höllischen Abgrund hinabpurzelte.«

»Du hast recht, Freund«, sagte der Vetter.

Und Don Quijote sprach: »Diese Frage und diese Antwort sind nicht auf deinem Acker gewachsen, Sancho; du hast sie von jemandem einmal gehört.«

»Seid nur still, Señor«, erwiderte Sancho; »denn wahrhaftig, wenn ich mich einmal aufs Fragen und Antworten verlege, so werde ich von jetzt bis morgen früh nicht fertig. Ja, so ist’s, denn um Dummheiten zu fragen und Narreteien zu antworten, brauche ich keine Nachbarshilfe.«

»Du hast vernünftiger gesprochen, Sancho, als du selber weißt«, versetzte Don Quijote. »Es gibt Leute, die sich abmühen, Dinge zu lernen und zu ergründen, die ihrem Verstand und Gedächtnis keinen Deut frommen.«

Unter diesen und andern erheiternden Gesprächen verging ihnen dieser Tag, und zur Nacht nahmen sie in einem Dörfchen Herberge, wo der Vetter zu dem Ritter sagte, es sei von da bis zur Höhle des Montesinos nicht weiter als zwei Meilen, und wenn er entschlossen sei, sie zu besichtigen, müsse er sich mit Seilen versehen, um sich festzubinden und sich in ihre Tiefe hinabzulassen.

Don Quijote erwiderte, wenn sie auch bis hinab zum Höllenschlund reiche, wolle er doch sehen, wohin sie führe.

So kauften sie denn etwa hundert Klafter Seil, und am nächsten Tage gelangten sie um zwei Uhr nachmittags an die Höhle, deren Eingang geräumig und weit ist, aber umzogen von Dornbüschen und wilden Feigen, von Brombeersträuchern und mancherlei Gestrüpp, alles so dicht und ineinander verwachsen, daß es den Eingang gänzlich verdeckte und unsichtbar machte. Als man die Höhle erblickte, stiegen der Vetter, Sancho und Don Quijote ab, und man band alsbald den letzten so fest als möglich; und während man ihn umschnürte und umgürtete, sagte Sancho zu ihm: »Bedenket, Euer Gnaden, Herre mein, was Ihr tut; begehret doch nicht, Euch selber lebendig zu begraben, und steigt nicht da hinunter, wo Ihr ausseht wie eine Flasche, die man zum Kühlen in einen Brunnen hinabtut; ja, es geht Euch nichts an und ist Eure Sache nicht, den Forscher in dieser Höhle zu spielen, die da gewiß ärger ist als ein unterirdischer Sklavenkerker in Algier.«

»Binde fest und schweige still«, erwiderte Don Quijote; »ein Unternehmen wie dieses war mir vorbehalten.«

Jetzt sagte der Führer: »Flehentlich bitte ich Euch, Señor Don Quijote, beobachtet und spähet mit hundert Augen, was dort im Innern verborgen ist; vielleicht findet sich da manches, was ich in meinem Buch von den Verwandlungen anbringen kann.«

»Die Trommel ist in Händen, die sie schon gut rühren werden«, sprach Sancho Pansa.

Hierauf und nachdem Don Quijote ringsum gebunden war, nicht über dem Harnisch, sondern über dem Waffenrock, sprach der Ritter: »Wir haben unvorsichtig gehandelt, daß wir uns nicht mit einer kleinen Schelle versahen, die man dicht bei mir an demselben Seil angebunden und bei deren Ton man vernommen hätte, daß ich noch immer abwärts gleite und am Leben bin; jedoch, da es nicht mehr möglich ist, so befehle ich mich in Gottes Hände, sie mögen mich leiten.«

Und alsbald warf er sich auf die Knie, richtete mit leiser Stimme ein Gebet zum Himmel und flehte zu Gott, ihm beizustehen und ihm guten Erfolg in diesem offenbar gefahrvollen und noch nicht dagewesenen Abenteuer zu gewähren. Darauf sprach er mit lauter Stimme: »O Herrin meiner Handlungen und Empfindungen, strahlende, unvergleichliche Dulcinea von Toboso, so es möglich ist, daß die Gebete und flehentlichen Anrufungen dieses deines glückhaften Verehrers zu deinen Ohren gelangen, so flehe ich dich bei deiner unsagbaren Schönheit an, daß du ihnen lauschest, denn sie haben keinen andern Inhalt, als daß sie bitten, du wollest mir deinen Schutz und Beistand anjetzo nicht versagen, wo ich dessen so sehr benötigt bin. Ich bin eben im Begriff, mich in den Abgrund, der sich hier vor mir auftut, zu werfen, zu stürzen, zu versenken, lediglich damit die Welt erkenne, daß, wenn du mir beistehst, es keine Unmöglichkeit gibt, an die ich mich nicht wage und die ich nicht besiege.«

Mit diesen Worten trat er an die Öffnung heran; allein er sah, daß es nicht möglich war, sich hinabzulassen oder sich Zugang zu verschaffen, wenn nicht mit voller Gewalt der Arme oder mit Schwerthieben. So nahm er denn sein Schwert zur Hand und begann das Gestrüpp, das den Eingang zur Höhle verdeckte, abzuschlagen und wegzuräumen, und bei dem Krachen und Brechen schwirrte eine unendliche Menge der größten Raben und Krähen in so dichter Schar und so pfeilschnell heraus, daß sie Don Quijote zu Boden warfen. Hätte er ebensoviel auf Vorbedeutungen gehalten wie auf seinen katholischen Glauben, so würde er das für ein böses Vorzeichen erachtet und es unterlassen haben, sich an einem solchen Ort einzukerkern. Er indessen stand wieder auf, und als er sah, daß keine Raben mehr herausflogen noch andre Nachtvögel, wie Fledermäuse, die mit den Raben aufgeflogen waren, befahl er dem Vetter und Sancho, das Seil nachzulassen, und glitt allmählich zum Grund der schaurigen Höhle hinab. Im Augenblick, wo er in die Mündung einfuhr, gab ihm Sancho seinen Segen, schlug tausendmal das Kreuz über ihn und sagte: »Gott und die Heilige Jungfrau vom Frankenfels mögen dich geleiten, samt der Heiligen Dreifaltigkeit von Gaeta, du Blume und Glanzpunkt und Silberblick der fahrenden Ritter! Du gehst dahin, du gewaltigster Haudegen auf Erden, du Herz von Stahl und Arm von Erz; noch einmal fleh ich, Gott geleite dich und bringe dich frei, gesund und sonder Gefährde zurück an das Licht dieses Lebens, das du verlassest, um in dieser Finsternis, die du aufsuchst, dich zu vergraben.«

Der Vetter erging sich in denselben Gebeten und Fürbitten. Inzwischen rief Don Quijote öfters, sie möchten mehr Seil und immer mehr Seil nachlassen, und sie taten es sacht und allmählich; als sein Rufen, das aus der Höhle wie aus einer Röhre heraufscholl, nicht mehr zu hören war, hatten sie bereits die hundert Klafter Seil hinabgelassen, und sie dachten, man müsse Don Quijote wieder heraufziehen, da sie kein Seil mehr nachzugeben hatten. Dessenungeachtet warteten sie etwa eine halbe Stunde lang, und erst nach Verfluß dieser Zeit begannen sie das Seil wieder aufzuwinden; allein dies geschah sehr leicht, und ohne daß sie das geringste Gewicht verspürten, so daß sie daraus schlossen, Don Quijote sei unten geblieben, und Sancho, der dies wirklich glaubte, weinte bitterlich und zog so rasch wie möglich, um sich der Wahrheit zu vergewissern. Als sie aber beim Aufwinden, ihrer Berechnung nach, bis zu etwas mehr als achtzig Klafter gekommen waren, spürten sie ein Gewicht und freuten sich darob über die Maßen. Endlich, bei zehn Klaftern, erblickten sie Don Quijote und konnten ihn deutlich erkennen. Sancho schrie ihm entgegen: »Glückselige Rückkehr, gnädiger Herr! Wir dachten schon, Ihr wäret da unten geblieben auf Nimmerwieder-sehn!«

Allein Don Quijote antwortete keine Silbe, und als sie ihn vollends heraufgezogen, sahen sie, daß er die Augen geschlossen hatte und allen Anzeichen nach von tiefem Schlafe befangen war. Sie legten ihn auf den Boden nieder und banden ihn los, aber trotz alledem wachte er nicht auf. Indessen wendeten sie ihn hin und wendeten ihn her, schüttelten und rüttelten so lange, bis er endlich nach geraumer Weile wieder zu sich kam und sich reckte und streckte, als erwache er eben aus einem schweren tiefen Traume; er sah sich wie in jähem Schreck nach allen Seiten um und sprach: »Verzeih es euch Gott, meine Freunde! Ihr habt mich aus dem köstlichsten Leben, aus dem lieblichsten Schauspiel hinweggerissen, so je ein menschlich Wesen erlebt und erschaut hat. In der Tat, jetzt erst erkenne ich es völlig, daß alle Freuden dieses Lebens wie Schatten und Traum vergehen oder wie die Blume des Feldes verwelken. O unseliger Montesinos! O du wundgeschlagener Durandarte! O du glückverlassene Belerma! O tränenfeuchter Guadiana, und ihr auch, ihr von Unheil Getroffenen, ihr Töchter der Ruidera, ihr, deren Wasserströme zeigen, wieviel Tränenströme Eure schönen Augen geweint!«

In äußerster Spannung horchten der Vetter und Sancho auf Don Quijotes Worte, die er mit unsäglichem Schmerz sich aus dem tiefsten Herzen zu reißen schien. Sie baten ihn flehentlich, ihnen den Sinn seiner Äußerungen zu erklären und ihnen zu sagen, was er in jener Hölle gesehen habe.

»Hölle nennt ihr’s?« entgegnete Don Quijote. »Nein doch, nennt es nicht so, denn den Namen verdient die Höhle nicht, wie ihr gleich sehen werdet.«

Er bat, ihm etwas zu essen zu geben, denn er habe großen Hunger. Sie legten die Decke des Vetters auf das grüne Gras, machten sich an den Proviant in ihren Zwerchsäcken, setzten sich alle drei in treuer Liebe und Kameradschaft zusammen und nahmen ihr Vesperbrot und ihr Abendessen in einer Mahlzeit ein. Sobald alsdann die Decke wieder weggenommen war, sprach Don Quijote von der Mancha: »Es stehe mir keiner vom Platze auf, Kinder; hört mir aufmerksam zu.«

14. Kapitel


Wo das Abenteuer mit dem Waldritter sich weiterentwickelt

Nachdem Don Quijote und der Ritter vom Walde mancherlei Zwiesprach miteinander gepflogen, sagte, so berichtet die Geschichte, der vom Walde zu Don Quijote: »Kurz, Herr Ritter, ich will Euch zu wissen tun, daß mein Schicksal, oder besser gesagt: meine eigene Wahl mich dahin brachte, in die unvergleichliche Casildea von Vandalien mich zu verlieben; ich nenne sie unvergleichlich, denn sie hat nicht ihresgleichen weder an Größe des Körpers noch an Höhe des Ranges und der Schönheit. Diese besagte Casildea nun, von der ich anitzt berichte, vergalt meine redlichen Absichten und bescheidenen Wünsche damit, daß sie mich wie den Herkules seine Stiefmutter antrieb, mich in vielfache gefährliche Abenteuer einzulassen; und jedesmal, wenn ich ein solches glücklich beendigt, verspricht sie mir, daß mit dem Sieg im nächsten Abenteuer auch meine Hoffnung zum Sieg kommen werde. Aber an der Kette meiner Mühsale haben sich so viel Glieder aneinandergereiht, daß sie nunmehr zahllos sind und ich nicht weiß, was meiner Arbeiten letzte sein wird, welche den Anfang zur Belohnung meines redlichen Strebens bilden soll. Einmal gebot sie mir, jene weitberufene Riesin zu Sevilla zum Kampf zu fordern, welche die Giralda genannt wird und welche so wehrhaft und stark ist, als ob sie von Erz wäre, und die, ohne sich von der Stelle zu bewegen, das veränderlichste und flatterhafteste Weib auf Erden ist. Ich kam, ich sah, ich siegte und zwang sie, ruhig und im gleichen Windesstrich zu bleiben – denn länger als eine Woche wehte kein anderer Wind als der aus Norden. Einmal gebot sie mir, die uralten steinernen Stiere zu Guisando in meinen Händen zu wägen, ein Unternehmen, das eher für einen Taglöhner als für einen Ritter paßt. Ein andermal gebot sie mir, ich solle mich in den Schlund von Cabra stürzen und da versinken – eine unerhörte und furchtbare Fährlichkeit! – und ihr umständlichen Bericht über alles erstatten, was diese finstere Tiefe umschließe. Ich brachte die Bewegung der Giralda zum Stillstand, ich wog die Stiere zu Guisando, stürzte mich in den Schlund und holte das in seinen Tiefen Verborgene ans Licht hervor, und meine Hoffnungen blieben so tot wie zuvor und ihre Forderungen und ihre Verschmähung so lebendig wie je. Kurz und gut, zuletzt hat sie mir geboten, durch alle Gaue Spaniens zu ziehn und alle fahrenden Ritter, die in selbigen umirren, zum Bekenntnis zu zwingen, daß sie, sie allein, die schönste ist unter allen Frauen, die heutzutage leben, und daß ich der heldenhafteste und liebeglühendste Ritter des Erdkreises bin; und in diesem Streben und Begehr bin ich bereits durch den größten Teil Spaniens gezogen und habe daselbst viele Ritter besiegt, die sich erkühnten, mir zu widersprechen. Wes ich mich aber am höchsten rühme und worauf ich am stolzesten bin, ist, daß ich im Einzelkampf jenen so ruhmreichen Ritter Don Quijote von der Mancha besiegt und ihn zum Bekenntnis gezwungen habe, daß meine Casildea schöner ist als seine Dulcinea, und mit diesem einzigen Sieg bin ich überzeugt, alle Ritter auf Erden besiegt zu haben; denn sotaner Don Quijote, von dem ich rede, hat sie alle besiegt, und da ich ihn besiegt habe, so sind sein Ruhm, sein Name und seine Ehre auf meine Person übertragen und völlig übergegangen.

So höher der Besiegte ward geehrt,
Um so viel höher steigt des Siegers Wert.

Demnach gehen sie jetzt auf meine Rechnung und sind mein eigen, all die unzählbaren Heldentaten des schon erwähnten Don Quijote.«

Hocherstaunt saß Don Quijote da, wie er den Ritter vom Walde solches reden hörte, und war tausendmal auf dem Punkte, ihm zuzurufen, daß er lüge, und schon hatte er auf der Zungenspitze das Wort: Ihr lügt! Jedoch er hielt an sich, so gut er es vermochte, weil er ihn zwingen wollte, mit seinem eignen Munde seine Lüge zu bekennen, und so sagte er ganz gelassen zu ihm: »Herr Ritter, daß Euer Gnaden die meisten der fahrenden Ritter Spaniens, ja der ganzen Welt besiegt haben will, darüber sage ich nichts, aber daß Ihr Don Quijote von der Mancha besiegt hättet, das stell ich in Zweifel, es könnte wohl ein anderer gewesen sein, der ihm geglichen, wiewohl es wenige gibt, die ihm gleichen mögen.«

»Wie, Ihr sagt nein?« entgegnete der vom Walde. »Beim Himmel über uns! Ich habe mit Don Quijote gekämpft und ihn besiegt und überwältigt. Er ist ein Mann von hoher Gestalt, hageren Angesichts, die Glieder lang und dürr, das Haar mit Grau untermischt, die Adlernase etwas gebogen, mit großem schwarzem Schnurrbart, dessen Enden herabhängen; er zieht zu Felde unter dem Namen des Ritters von der traurigen Gestalt und hat als Schildknappen einen Bauern des Namens Sancho Pansa; er belastet den Rücken und lenkt die Zügel eines berühmten Rosses, das den Namen Rosinante führt; und endlich hat er zur Herrin seines Herzens eine gewisse Dulcinea von Toboso, die eine Zeitlang Aldonza Lorenzo geheißen, so wie ich die meinige, weil sie Casildea heißt und aus Andalusien ist, Casildea von Vandalien nenne. Wenn also diese Zeichen nicht genügen, um der Wahrheit meiner Aussage Glauben zu verschaffen, so ist hier mein Schwert, das den Unglauben selbst zum Glauben an sie zwingen wird.«

»Sänftigt Euer Gemüte, Herr Ritter«, sprach Don Quijote, »und höret, was ich Euch sagen will. Ihr müßt wissen, daß jener Don Quijote, von dem Ihr redet, der beste Freund ist, den ich auf dieser Welt habe, und zwar so völlig, daß ich sagen kann, er gilt mir wie mein eigenes Selbst. Nach den Zeichen, die Ihr mir von ihm gegeben und die so genau und sicher sind, kann ich nicht anders glauben, als daß es derselbe ist, den Ihr besiegt habt; anderseits aber sehe ich es mit den Augen und greife es mit den Händen, daß er unmöglich derselbe sein kann; es wäre denn etwa der Fall, da er viele Zauberer zu Feinden hat, namentlich einen, der ihn regelmäßig verfolgt, daß einer von diesen seine Gestalt angenommen hätte, um sich besiegen zu lassen, weil er ihn um den Ruhm bringen möchte, den seine hohen Rittertaten ihm in allen bis heut entdeckten Landen der Erde erworben und gewonnen haben. Und zu dessen Bestätigung will ich Euch ferner zu wissen tun, daß die besagten Zauberer, seine Feinde, erst vor nicht mehr als zwei Tagen die Gestalt und Person der schönen Dulcinea von Toboso in eine schmutzige gemeine Bäuerin verwandelt haben; und solcherweise werden sie auch Don Quijote verwandelt haben. Und wenn alles dies nicht genügt, um Euch von der Wahrheit meiner Angaben zu überzeugen, so seht hier Don Quijote selber, der sie mit seinen Waffen aufrechterhalten wird, zu Fuß oder zu Pferd oder auf jede andre Weise, die Euch genehm sein mag.«

Mit diesen Worten stand er auf, faßte den Knauf seines Schwertes und erwartete, welchen Entschluß der Ritter vom Walde fassen würde. Und dieser, ebenfalls mit ruhigem gemessenem Ton, antwortete und sprach: »Dem guten Zahler ist es um sein Pfand nicht leid. Wer einmal, Señor Don Quijote, Euch in Eurer Verwandlung besiegen konnte, der darf auch die Hoffnung hegen, Euch in Eurer eigenen Wesenheit zu bewältigen. Aber weil es den Rittern nicht geziemend ist, ihre Waffentaten im Dunkeln zu tun wie Wegelagerer und Raufbolde, so wollen wir den Tag abwarten, auf daß die Sonne unsere Werke erschaue; und es soll die Bedingung unsers Kampfes sein, daß der Besiegte dem freien Willen des Siegers anheimgegeben sei, damit dieser nach seinem Belieben mit jenem verfahre, doch so, daß alles Verlangte einem Ritter geziemend sei.«

»Ich bin mehr als zufrieden mit dieser Bedingung und Übereinkunft«, entgegnete Don Quijote.

Mit diesen Worten wandten sie sich nach der Ruhestätte ihrer Schildknappen und fanden sie schnarchend und in demselben Zustand, in welchem der Schlaf sie überrascht hatte. Sie weckten sie auf und hießen sie, die Pferde bereit zu halten, weil sie bei Sonnenaufgang einen blutigen Kampf ohnegleichen ausfechten würden. Bei dieser Nachricht entsetzte sich Sancho und blieb starr, da er für das Wohl seines Herrn zitterte ob der Heldentaten, welche der andere Schildknappe von dem seinigen erzählt hatte; indessen gingen beide und suchten ihre Tiere auf, und siehe da, die drei Gäule und der Graue hatten Witterung voneinander bekommen und sich alle zusammengefunden.

Unterwegs sagte der vom Walde zu Sancho: »Ihr müßt wissen, Bruder, daß in Andalusien die Kämpen, wenn sie bei einem Kampfe Sekundanten sind, nicht ruhig dabeistehen und die Hände in den Schoß legen, während die Streiter sich miteinander messen; ich sage Euch das, damit Ihr zum voraus wisset, während unsere Herren einander befehden, müssen auch wir kämpfen und uns zu Splittern zerhauen.«

»Dieser Brauch, Herr Schildknappe«, entgegnete Sancho, »mag dort bei den Raufbolden und Kämpen, die Ihr erwähnt, vorkommen und im Schwange sein, aber bei den Schildknappen fahrender Ritter kommt es gar nicht in Frage; wenigstens habe ich meinen Herrn niemals dergleichen Brauch erwähnen hören, und er weiß doch alle Vorschriften der fahrenden Ritterschaft auswendig. Ich will’s meinetwegen gelten lassen, daß es Wahrheit und ausdrückliche Vorschrift ist, daß die Knappen miteinander kämpfen, während ihre Herren kämpfen; aber ich will sie nicht befolgen, sondern lieber die Buße bezahlen, die derlei friedliebenden Schildknappen auferlegt sein mag, und selbige geht sicher nicht über zwei Pfund Wachs hinaus; und lieber will ich besagte zwei Pfund bezahlen, denn ich weiß, sie werden mich weniger kosten als die Scharpie, die ich kaufen müßte, um mir den Kopf zu verbinden, den ich schon für zerschlagen und in zwei Stücke gespalten ansehe. Aber noch mehr: was mir das Fechten ganz unmöglich macht, ist, daß ich kein Schwert habe, denn nie in meinem Leben habe ich mir ein solches angehängt.«

»Dafür weiß ich ein gutes Auskunftsmittel«, sagte der vom Walde. »Ich habe hier zwei Leinwandsäcke von gleicher Größe; Ihr nehmt den einen, ich den andern, und so plumpsacken wir aufeinander mit gleichen Waffen.«

»Auf die Art mag es in Gottes Namen sein«, sprach Sancho dagegen, »denn ein derartiger Kampf wird eher geeignet sein, uns abzustäuben, als uns Wunden zu schlagen.«

»So ist’s nicht gemeint«, versetzte der andre, »denn damit der Wind die Säcke nicht davonführt, muß ein halb Dutzend schöne saubere Kieselsteine hineingetan werden, von denen jeder so viel wie der andre wiegen muß, und auf solche Art können wir uns plumpsacken, ohne einander leid und weh zu tun.«

»Seh einmal einer an, bei meines Vaters Seel und Seligkeit!« sprach Sancho dagegen; »was für Zwiebelpelz oder was für Flocken von kardätschter Baumwolle tut Er in die Säcke, damit unsre Hirnschädel nicht zerdroschen und unsre Knochen nicht zu Staub zermalmt werden! Aber sollten sie auch mit Seidenkokons gefüllt werden, wisset, werter Herr, ich werde nicht fechten. Fechten mögen unsre Herren, und sie mögen sehen, wie sie damit fertigwerden; wir aber wollen trinken und leben, denn die Zeit sorgt schon dafür, uns das Leben wegzunehmen, da brauchen wir nicht erst nach Mitteln zu suchen, damit es aufgezehrt wird, ehe die rechte Zeit und Stunde dafür gekommen, oder damit es vom Baum fällt, ehe es reif ist.«

»Trotzdem«, entgegnete der vom Walde, »müssen wir wenigstens ein halbes Stündchen zusammen fechten.«

»Keineswegs«, erwiderte Sancho; »ich werde doch nicht so unhöflich und so undankbar sein, mit wem ich gegessen und getrunken habe, mich mit dem in einen Streithandel einzulassen, und war er noch so unbedeutend. Zudem, wenn einer keinen Zorn und keinen Ärger verspürt, wer Teufel sollte sich dazu hergeben, ohne allen Anlaß zu fechten?«

»Dafür«, sagte der vom Walde, »will ich ein ganz wirksames Mittel verschreiben; bevor wir nämlich zu fechten anfangen, will ich mich sachte an Euer Gnaden heranmachen und Euch drei oder vier derartige Maulschellen verabreichen, daß ich Euch zu meinen Füßen niederstrecke, und mit besagten Schellen werde ich Euren Zorn schon aufwecken, und läge er auch in festerem Schlaf als ein Siebenschläfer.«

»Gegen dies Auskunftsmittel weiß ich ein andres«, sagte Sancho, »das nicht hinter ihm zurücksteht; ich nehme einen Knüppel, und bevor Euer Gnaden herankommt, um meinen Zorn aufzuwecken, will ich den Euren mit Stockprügeln so einschläfern, daß er nicht mehr aufwacht, es sei denn in der andern Welt, wo man zur Genüge weiß, daß ich nicht der Mann bin, der sich von irgendwem ins Gesicht greifen läßt, und jeder sehe, wie er’s treibe. Indessen das Gescheiteste wäre, ein jeder ließe seinen Zorn schlafen; denn keiner kann keinem ins Herz sehen, und mancher geht nach Wolle aus und kommt geschoren nach Haus, und der Friede ist gesegnet von Gott und der Hader verflucht; denn wenn eine Katze, die man hetzt und einsperrt und peinigt, sich in einen Löwen verwandelt, so weiß Gott, da ich doch ein Mensch bin, in was ich mich verwandeln würde. Und somit will ich Euch gleich jetzt ansagen, alles Böse und Verderbliche, das aus unsrem Kampfe entstehen würde, kommt auf Eure Rechnung.«

»Schon gut«, erwiderte der vom Walde; »Gott wird Tag werden lassen, und da wollen wir weiter sehen.«

Unterdessen begannen bereits tausenderlei bunte Vöglein auf den Bäumen zu trillern und schienen mit ihren mannigfachen frohen Gesängen Willkomm und Gruß zu bieten der frischen Morgenröte, die bereits an den Pforten und Erkern des Ostens die Reize ihres Angesichts enthüllte und aus ihren Locken eine unzählige Menge feuchter Perlen schüttelte, in deren süßem Naß sich die Pflanzen badeten und nun auch aus ihrem Schoße weißen feinen Perlenstaub auszustreuen und niederzuregnen schienen. Die biegsamen Weiden tröpfelten erquickliches Manna, die Brünnlein lachten plätschernd, die Bäche murmelten, die Wälder wurden heiter, und die Wiesen schmückte reicher der Glanz des kommenden Morgens. Aber kaum gestattete die Helle des Tages, die Dinge zu sehen und zu unterscheiden, da war das erste, was sich Sancho Pansas Blicken darbot, die Nase des Schildknappen vom Walde, die so groß war, daß sie fast über seinen ganzen Körper ihren Schatten warf. Man erzählt wirklich, sie sei von übermäßiger Größe gewesen, in der Mitte gebogen und ganz bedeckt mit Warzen, dunkelbläulich von Farbe wie ein Tollapfel; sie hing ihm mehr als zwei Zoll über den Mund herunter. Größe, Farbe, Warzen und Buckel dieser Nase gaben seinem Gesicht ein so scheußliches Ansehen, daß Sancho, als er es erblickte, mit Händen und Füßen um sich schlug wie ein Kind, das die Gichter hat, und sich in seinem Herzen vornahm, sich lieber zweihundert Maulschellen geben zu lassen, als daß er seinen Zorn aufwecken sollte, um mit diesem Ungetüm zu fechten.

Derweilen betrachtete auch Don Quijote seinen Kampfgegner, der mit bereits aufgesetztem Helm und herabgelassenem Visier dastand, so daß er dessen Gesicht nicht sehen konnte; jedoch bemerkte er, daß es ein Mann von kräftigen Gliedern und nicht sehr hohem Wuchs war. Über seiner Rüstung trug er ein Überwams aus einem dem Anscheine nach äußerst feinen Goldstoff, der mit kleinen Monden von widerstrahlendem Spiegelglas übersät war, die ihm ein überaus stattliches und glanzvolles Aussehen gaben; auf dem Helme flatterten ihm in großer Menge grüne, gelbe und weiße Federn; der Speer, den er an einen Baum gelehnt hatte, war sehr lang und dick, mit einer mehr als ellenlangen stählernen Spitze. All dies beobachtete und merkte sich Don Quijote, und er schloß daraus, der Ritter müsse von großer Körperkraft sein. Aber darum fürchtete er sich keineswegs wie Sancho Pansa; vielmehr sprach er mit edlem Mute zu dem Ritter mit den Spiegeln: »Wenn allzu große Kampfeslust, Herr Ritter, nicht Eure ganze Höflichkeit aufgezehrt hat, so bitte ich Euch um dieser Eurer Höflichkeit willen, das Visier ein wenig zu lüften, auf daß ich ersehe, ob die Schönheit Eures Angesichts dem Glanz Eurer Rüstung entspricht.«

»Ob Ihr nun besiegt oder siegreich aus diesem Abenteuer hervorgeht, Herr Ritter«, antwortete der mit den Spiegeln, »so wird Euch Zeit und Gelegenheit mehr als genug verbleiben, mich zu sehen; und wenn ich jetzt Eurem Wunsche kein Genügen tue, so ist der Grund, daß ich der schönen Casildea von Vandalien eine beträchtliche Ungebühr anzutun vermeine, wenn ich auch nur so lange Zeit, als ich mit dem Aufheben meines Visiers verbrächte, zögern würde, Euch zu jenem Bekenntnis zu zwingen, auf welches, wie Ihr schon wißt, mein Begehren steht.«

»Dann könnt Ihr, während wir zu Pferde steigen«, sprach Don Quijote, »mir doch wohl sagen, ob ich jener Don Quijote bin, den Ihr besiegt haben wollt.«

»Darauf antworte Ich Euch«, versetzte der Spiegelritter, »daß Ihr dem nämlichen Ritter, den ich besiegt habe, gleicht wie ein Ei dem andern; aber da Ihr sagt, daß Euch Zauberer verfolgen, so wage ich es nicht mit Gewißheit zu behaupten, ob Ihr der von mir gemeinte seid oder nicht.«

»Das genügt mir«, entgegnete Don Quijote, »um mich von Eurem Irrtum zu überzeugen; jedennoch, um Euch in jeder Beziehung daraus zu reißen, laßt unsere Rosse kommen, und in kürzerer Zeit, als Ihr gebraucht hättet, Euer Visier zu heben, wofern Gott, wofern meine Gebieterin und meines Armes Kraft mit mir sind, werde ich Euer Angesicht sehen, und Ihr werdet erkennen, daß ich nicht der besiegte Don Quijote bin, den Ihr meint.«

Hiermit brachen sie ihre Unterredung ab, bestiegen ihre Rosse, und Don Quijote wendete Rosinante, um den erforderlichen Anlauf wider seinen Gegner zu gewinnen; und das nämliche tat der Spiegelritter. Allein Don Quijote hatte sich noch keine zwanzig Schritte weit entfernt, als er hörte, wie der mit den Spiegeln ihm zurief; beide blieben auf halbem Wege halten, und der Spiegelritter sagte zu jenem: »Beachtet wohl, Herr Ritter, die Bedingung unsres Kampfes ist, daß der Besiegte, wie ich schon einmal gesagt, dem Sieger auf Gnade und Ungnade verfällt.«

»Ich kenne die Bedingung bereits«, versetzte Don Quijote; »doch vorbehalten, daß, was dem Besiegten auferlegt und anbefohlen wird, die Gesetze des Rittertums nicht überschreiten darf.«

»Das versteht sich«, antwortete der mit den Spiegeln.

In diesem Augenblick fielen Don Quijotes Blicke auf die merkwürdige Nase des Schildknappen, und er staunte sie nicht weniger als Sancho dermaßen an, daß er den Knappen für eine Mißgeburt hielt oder für einen Menschen ganz neuer Art, wie sie sonst in der Welt nicht vorkommen.

Als Sancho seinen Herrn abreiten sah, um einen Anlauf zu nehmen, wollte er mit dem Nasenungeheuer nicht allein bleiben; denn er fürchtete, wenn jene Nase der seinigen nur einen einzigen Schneller versetzte, so würde es mit seinem Fechten zu Ende sein, da er jedenfalls, sei es vom Stoße, sei es von der Angst, zu Boden gestreckt würde. Er lief seinem Herrn nach, faßte Rosinante am Steigriemen, und als ihm der Augenblick gekommen schien, daß Don Quijote zum Kampf wenden würde, sprach er zu ihm: »Ich bitte Euer Gnaden flehentlich, Herre mein, daß Ihr, ehe Ihr zum Angriff wendet, mir hier auf den Korkbaum helft, von wo ich viel angenehmer für mich und besser als von ebener Erde aus das kühne Turnier mit ansehen kann, das Euer Gnaden mit diesem Ritter bestehen will.«

»Ich glaube eher«, sprach Don Quijote, »du willst in die Höhe und auf das Gerüst, um dem Stiergefecht ohne Gefahr zusehen zu können.«

»Um die Wahrheit zu gestehen«, gab Sancho zur Antwort, »das Ungeheuer von Nase, das dieser Schildknappe an sich trägt, verursacht mir Angst und Entsetzen, und ich getraue mich nicht, allein bei ihm zu bleiben.«

»Allerdings ist sie derartig«, sprach Don Quijote, »daß, wäre ich nicht der Mann, der ich bin, sie auch mich erschrecken würde. Komm also, ich will dir hinaufhelfen, wo du hinbegehrst.«

Während Don Quijote sich dabei aufhielt, seinem Sancho auf den Korkbaum zu helfen, nahm der Spiegelritter soviel Feld zum Anlauf, als ihm nötig schien, und im Glauben, daß Don Quijote das nämliche getan, wartete er weder den üblichen Trompetenstoß ab noch sonst ein Zeichen zum Kampf, wandte sein Pferd, das weder leichtfüßiger noch bessern Aussehens war als Rosinante, und ritt in dessen schnellstem Lauf, das heißt in mäßigem Trab, vorwärts, um seinen Gegner anzurennen; aber da er ihn beim Hinaufklettern Sanchos beschäftigt sah, zog er die Zügel an und hielt mitten im Rennen still, wofür ihm sein Pferd höchst dankbar war, weil es sich schon nicht mehr rühren konnte. Don Quijote, in der Meinung, daß sein Gegner im Fluge herankomme, drückte seinem Rosinante die Sporen kräftig in die Lenden, die elenden, und trieb ihn zu solcher Eile, daß die Geschichte dies das einzige Mal nennt, wo er ein klein wenig galoppiert haben soll; denn die andern Male war es stets nur ein unverkennbarer Trab und nicht mehr. Mit diesem rasenden, noch nicht dagewesenen Ungestüm stürmte er dahin, wo der Spiegelreiter hielt und sich damit beschäftigte, seinem Pferde die Sporen bis an die Fersen einzubohren, ohne daß er es nur einen Zollbreit von der Stelle fortbringen konnte, wo es wie angewurzelt stehengeblieben war. In diesem günstigen Augenblick und Zustand fand Don Quijote seinen Gegner, wie er völlig durch sein Pferd und seinen Speer in Anspruch genommen war, den einzulegen er nicht verstand oder nicht genügend Zeit hatte. Don Quijote kümmerte sich nicht um diese mißlichen Umstände, und in aller Sicherheit und ohne jede Gefahr traf er den Spiegelritter mit so kräftigem Stoß, daß dieser sehr wider Willen über die Kruppe des Pferdes zu Boden flog und einen solchen Fall tat, daß er weder Hand noch Fuß rührte und wie tot dalag.

Kaum sah Sancho ihn am Boden, so rutschte er von seinem Korkbaum herunter und lief in aller Eile zu seinem Herrn; dieser stieg von Rosinante ab, machte sich über den Spiegelritter her, löste ihm die Helmriemen, um zu sehen, ob er tot sei, und damit die frische Luft ihm ins Gesicht streiche, wenn er sich vielleicht noch am Leben befinde, und sah … Wer vermag zu sagen, was er sah, ohne in jedem, der dies hören wird, Staunen, Verwunderung und Entsetzen zu wecken? Er sah, berichtet die Geschichte, das leibhafte Angesicht, die wahre Gestalt, das ganze Äußere, die leibhaftigen Gesichtszüge, das wirkliche Ebenbild, das lebenstreue Äußere des Baccalaureus Sansón Carrasco.

Don Quijote

Bei diesem Anblick rief er mit laut erhobener Stimme: »Komm herbei, Sancho, und betrachte hier, was du sehen wirst, du wirst es nicht glauben; eile, mein Sohn, und merke, was die Magie vermag, was Hexenmeister und Zauberkünstler vermögen.«

Sancho kam herzu, und als er das Gesicht des Baccalaureus Sansón Carrasco erblickte, bekreuzte er sich tausendmal und segnete sich noch tausendmal dazu. Während dieser ganzen Zeit gab der niedergeworfene Ritter kein Lebenszeichen von sich, und Sancho sprach zu Don Quijote: »Ich bin des Dafürhaltens, Herre mein, Euer Gnaden sollte für den Fall, daß, und für den Fall, daß nicht, diesem hier, der aussieht wie der Baccalaureus Carrasco, das Schwert in den Mund stecken und hineinstoßen; vielleicht daß Ihr in diesem Mann einen von Euern Feinden, den Zauberern, umbringt.«

»Was du sagst, ist nicht übel«, versetzte Don Quijote; »denn je weniger Feinde, desto besser.« Und als er schon das Schwert zog, um Sanchos Rat und Weisung zu befolgen, kam der Schildknappe des Spiegelritters herzu, jetzt ohne die Nase, die ihn so häßlich gemacht hatte, und schrie mit gewaltiger Stimme: »Bedenket wohl, Señor Don Quijote, was Ihr tut, denn der Mann, den Ihr zu Euern Füßen liegen habt, ist der Baccalaureus Senór Carrasco, Euer Freund, und ich bin sein Schildknappe.«

Als Sancho ihn ohne seine frühere Häßlichkeit sah, sprach er zu ihm: »Und die Nase?«

Darauf antwortete jener: »Hier hab ich sie in der Tasche.«

Und er steckte die Hand rechts in die Hose und zog eine Maskennase aus lackiertem Pappdeckel von der beschriebenen Gestalt hervor, und als Sancho sich länger und länger verwunderte, brach er endlich laut aufschreiend in die staunenden Worte aus: »Heilige Maria, steh mir bei! Ist das nicht Tomé Cecial, mein Nachbar und Gevatter?«

»Ob ich es bin!« antwortete der entnaste Schildknappe. »Ich bin Tomé Cecial, o mein Gevatter und Freund Sancho Pansa! Und ich werd Euch sogleich all die Mittel und Wege, die Vorspiegelungen und Ränke erzählen, mit denen ich hergelockt worden; aber mittlerweile müßt Ihr Euern gnädigen Herrn bitten und anflehen, daß er den Spiegelritter zu seinen Füßen nicht berührt, mißhandelt, verwundet, umbringt; denn Ihr dürft nicht daran zweifeln, es ist der tollkühne und übelberatene Baccalaureus Sansón Carrasco, unser Landsmann.«

Indem kam der Spiegelritter wieder zu sich, und als Don Quijote das sah, hielt er ihm die Spitze seines entblößten Schwertes über das Gesicht und sprach zu ihm: »Ihr seid des Todes, Ritter, wenn Ihr nicht bekennt, daß die unvergleichliche Dulcinea von Toboso an Schönheit Eurer Casildea von Vandalien voransteht. Überdies müsset Ihr geloben, wofern Ihr aus diesem Strauß und Sturz mit dem Leben davonkommt, nach der großen Stadt Toboso zu ziehen und Euch ihr in meinem Namen zu stellen, damit sie mit Euch tue, was ihr zu Willen und Belieben stehen mag. So sie Euch aber die Freiheit gibt, so sollet Ihr im gleichen Augenblick umkehren, mich aufzusuchen, denn die Spur meiner Rittertaten wird Euch zum Führer dienen und Euch dahin geleiten, wo ich weile, und da sollet Ihr mir künden, was Ihr mit ihr besprochen habet. Das sind Bedingungen, die, denen gemäß, welche wir vor unserm Kampfe festgesetzt haben, die Gesetze des fahrenden Ritterwesens nicht überschreiten.«

»Ich bekenne«, sprach der gestürzte Ritter, »daß ein schmutziger und aus den Nähten gegangener Schuh des Fräuleins Dulcinea von Toboso mehr wert ist als der schlecht gekämmte, wenn auch saubere Bart Casildeas, und gelobe hinzuziehen und von ihrer Person zur Eurigen zurückzukehren und Euch völligen und umständlichen Bericht über alles zu erstatten, was Ihr mir gebietet.«

»Auch sollet Ihr bekennen und glauben«, fügte Don Quijote hinzu, »daß jener von Euch besiegte Ritter keineswegs Don Quijote von der Mancha war noch sein konnte, sondern ein anderer, der ihm ähnlich war; wie auch ich bekenne und glaube, daß Ihr, obschon Ihr das Aussehen des Baccalaureus Sansón Carrasco habt, es keineswegs seid, sondern vielmehr ein anderer, der ihm gleicht und den meine Feinde mir in seiner Gestalt hier vor die Augen gestellt, damit ich das heiße Ungestüm meines Zornes hemme und mäßige und damit ich des Siegerruhms mit Milde mich bediene.«

»Alles dies bekenn ich und sehe es so an und denke es, wie Ihr es glaubt und anseht und denket«, entgegnete der lendenlahme Ritter. »Laßt mich aufstehen, bitt ich Euch, wenn nämlich die Erschütterung von meinem Fall es mir erlaubt, der mich gar übel zugerichtet hat.«

Don Quijote und des Spiegelritters Schildknappe Tomé Cecial halfen ihm auf. Sancho verwendete kein Auge von dem letzteren und fragte ihn nach Dingen, deren Beantwortung ihm deutliche Beweise gab, er sei wirklich der Tomé Cecial, für den er sich ausgab; aber in Sancho hatte seines Herrn Behauptung, die Zauberer hätten die Gestalt des Spiegelritters in die des Baccalaureus Carrasco verwandelt, ängstliche Vorstellungen erweckt, die ihm nicht gestatteten, der Wahrheit Glauben zu schenken, die er doch mit seinen eigenen Augen sah. Kurz, Herr und Diener verharrten in ihrem Wahn, und der mit den Spiegeln und sein Schildknappe, grämlich, weil sie so übel gefahren, schieden von Don Quijote und Sancho mit der Absicht; ein Dorf aufzusuchen, um den Gestürzten zu verbinden und ihm die Rippen wieder einzurichten.

Don Quijote und Sancho wandten sich wieder auf ihren Weg nach Zaragoza, und hier verläßt sie die Geschichte, um zu berichten, wer der Spiegelritter war und sein großnasiger Schildknappe.

15. Kapitel


Wo erzählt und nachgewiesen wird, wer der Spiegelritter und sein Schildknappe gewesen

Äußerst zufrieden, stolz und aufgeblasen war Don Quijote, den Sieg über einen so mannhaften Ritter erlangt zu haben, wie es in seiner Einbildung der mit den Spiegeln war. Auf dessen ritterlich Wort vertraute er, um zu erfahren, ob die Verzauberung seiner Herzensgebieterin noch fortdaure, denn unfehlbar mußte sotaner besiegte Ritter bei Strafe, nicht mehr ein Ritter zu sein, zurückkehren, um getreulich zu berichten, was zwischen ihm und der Dame vorgefallen.

Aber anders dachte Don Quijote und anders der mit den Spiegeln; denn dieser hatte, wie gesagt, für jetzt keinen anderen Gedanken, als einen Platz zu suchen, wo er verbunden werden könnte.

Es sagt nun die Geschichte, daß damals, als der Baccalaureus Sansón Carrasco unserm Don Quijote den Rat erteilte, seine unterbrochene Ritterlaufbahn wieder fortzusetzen, dies nur deshalb geschehen sei, weil er vorher mit dem Pfarrer und dem Barbier beraten hatte, welches Mittel man ergreifen könne, um Don Quijote ruhig und friedsam zu Hause zu halten, ohne daß ihn seine stets zum Unheil aufgesuchten Abenteuer wieder in Aufregung brächten. Aus dieser Beratung ging mit sämtlichen Stimmen, und insbesondere nach dem Vorschlag Carrascos, der Beschluß hervor, Don Quijote ziehen zu lassen, da ihn zurückzuhalten unmöglich schien; Sansón solle als fahrender Ritter ihm den Weg verlegen und einen Kampf mit ihm beginnen, da es an einem Grund zum Streite nicht fehlen würde; er solle ihn besiegen, was für etwas Leichtes erachtet wurde, und es solle dabei Bedingung sein, daß der Besiegte sich dem Sieger auf Gnade und Ungnade ergeben müsse; und wenn demnach Don Quijote besiegt sei, solle ihm der zum Ritter gewordene Baccalaureus gebieten, zu seinem Dorf und Hause zurückzukehren und sein Heim nicht zu verlassen, bis zwei Jahre vorüber seien oder bis ihm vom Sieger ein anderes auferlegt würde. Es war klar, daß der besiegte Don Quijote dies unweigerlich befolgen würde, um nicht gegen die Gesetze der Ritterschaft zu verfehlen und sich gegen sie aufzulehnen; es wäre möglich, daß während seiner Haft seine eitlen Torheiten ihm in Vergessenheit kämen oder daß man Gelegenheit fände, ein passendes Heilmittel für seine Verrücktheit zu entdecken.

Carrasco übernahm den Auftrag, und es bot sich ihm zum Schildknappen der Gevatter und Nachbar Sanchos an, Tomé Cecial, ein lustiger Geselle und heller Kopf. Sansón rüstete sich, wie schon beschrieben, und Tomé Cecial befestigte über seiner natürlichen Nase die erwähnte Maskennase, damit er von seinem Gevatter nicht erkannt würde, wenn sie einander sähen; und so verfolgten sie denselben Weg, den Don Quijote eingeschlagen hatte. Beinahe wären sie rechtzeitig gekommen, um das Abenteuer mit dem Wagen des Todes mitzuerleben, und endlich trafen sie jene im Walde, wo ihnen all das begegnete, was der aufmerksame Leser bereits weiß; und hätten die wundersamen Meinungen Don Quijotes es nicht verhindert, der da des Glaubens war, der Baccalaureus sei nicht der Baccalaureus, so wäre es dem Herrn Baccalaureus auf ewige Zeiten unmöglich geworden, zum Grad eines Lizentiaten vorzurücken. Das kam davon, daß er Vögel auszuheben ging und nicht einmal ein Nest fand.

Tomé Cecial, der nun sah, wie arg ihm seine Pläne mißraten waren und welches schlimme Ende seine Reise genommen, sagte zu dem Baccalaureus: »Wahrlich, Herr Sansón Carrasco, wir haben unseren verdienten Lohn bekommen; mit Leichtigkeit ersinnt und beginnt man ein Unternehmen, und mit Schwierigkeit zieht man sich in den meisten Fällen wieder heraus. Don Quijote der Narr, wir die Gescheiten: er zieht heil und lachend von dannen, Ihr bleibt zerschlagen und betrübsam zurück. Nun wollen wir einmal sehen, wer der größere Narr ist: wer es ist, weil er eben nicht anders kann, oder wer es aus eignem freiem Willen ist?«

Darauf antwortete Sansón: »Zwischen diesen zwei Narren ist der Unterschied, daß der eine, der es unter dem Zwange seiner Natur ist, es für immer sein wird, und der es aus freien Stücken ist, seiner Narrheit ein Ende machen kann, sobald er es will.«

»Da nun dem so ist«, sprach Tomé Cecial, »so war ich aus eigenem freiem Willen ein Narr, als ich mich zu Euer Gnaden Schildknappen hergab, und ebenso aus eigenem freiem Willen will ich meiner Narrheit ein Ende machen und nach meinem Hause zurückkehren.«

»Das mag gut sein für Euch«, entgegnete Sansón; »aber wenn Ihr glaubt, daß ich in das meinige zurückkehre, bevor ich Don Quijote ganz gehörig zerprügelt habe, irrt Ihr gewaltig. Und was mich von nun an treiben wird, ihn aufzusuchen, ist nicht mehr der Wunsch, daß er wieder zu Verstand komme, sondern der Wunsch nach Rache; denn mein gewaltiger Rückenschmerz läßt keinen barmherzigeren Gedanken bei mir aufkommen.«

Unter diesen Gesprächen kamen sie zu einem Dorfe, wo sie das große Glück hatten, einen Wundarzt zu finden, bei dem sich Sansón in Pflege gab. Tomé Cecial verließ ihn und kehrte heim, und Sansón blieb zurück und sann seiner Rache nach. Die Geschichte wird seinerzeit wieder von ihm sprechen, da sie nicht umhinkann, jetzt erst mit Don Quijote fröhlich zu sein.