16. Kapitel.


Von der Begegnung Don Quijotes mit einem verständigen Edelmann aus der Mancha

Mit den freudigen, selbstzufriedenen und stolzen Regungen, die wir geschildert, setzte Don Quijote seine Reise fort, und ob des soeben erfochtenen Sieges hielt er sich für den tapfersten der fahrenden Ritter, den die Welt in diesem Zeitalter aufzuweisen habe. Alle Abenteuer, die ihm fürderhin begegnen könnten, hielt er bereits für so gut wie abgetan und zu glücklichem Ende geführt; die Verzauberungen samt den Zauberern achtete er gar gering; er gedachte nicht mehr der zahllosen Prügel, die er im Verlauf seiner Ritterfahrten empfangen, noch des Steinhagels, der ihm die Hälfte seiner Zähne ausgeschlagen, noch der Undankbarkeit jener Galeerensklaven noch des frechen Angriffs und Prügelregens der Yanguesen. Und endlich sprach er leise für sich: wenn er nur ein Mittel, eine Art und Weise fände, seine Gebieterin Dulcinea zu entzaubern, so würde er das größte Glück nicht beneiden, das der glücklichste unter den fahrenden Rittern der verflossenen Jahrhunderte erlangt hat oder erlangen konnte.

In diese Betrachtungen war Don Quijote völlig versunken, als Sancho zu ihm sprach: »Ist es nicht drollig, Señor, daß ich noch immer die ungeheure, alles Maß überschreitende Nase meines Gevatters Tomé Cecial vor Augen habe?«

»Und du, Sancho; glaubst du vielleicht«, fragte Don Quijote dagegen, »daß der Spiegelritter wirklich der Baccalaureus Carrasco war und sein Schildknappe dein Gevatter Tomé Cecial?«

»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, meinte Sancho; »ich weiß nur: was er mir von meinem Hause, Weib und Kindern erzählt hat, konnte kein anderer als er selbst angeben. Auch das Gesicht war nach Wegnahme der Nase ganz das Gesicht Tomé Cecials, wie ich es oft genug an ihm gesehen habe dort in meinem Dorf, wo er mein Nachbar ist; auch war der Ton der Stimme völlig derselbe.«

»Wir wollen einmal überlegen, Sancho«, entgegnete Don Quijote. »Komm her! Wie könnte wohl der Baccalaureus Sansón Carrasco als fahrender Ritter daherkommen, zu Schutz und Trutz gerüstet, um mit mir zu kämpfen? Bin ich vielleicht sein Feind gewesen? Hab ich ihm jemals Anlaß gegeben, Groll gegen mich zu hegen? Bin ich sein Nebenbuhler, oder betreibt er das Waffenwerk, um mir den Ruhm zu neiden, den ich dadurch errungen habe?«

»Was sollen wir aber dazu sagen«, antwortete Sancho, »daß dieser Ritter, er sei, wer er sei, so sehr dem Baccalaur Carrasco ähnlich sieht und sein Schildknappe meinem Gevatter Tomé Cecial? Und wenn das Verzauberung ist, wie Euer Gnaden gesagt hat: gab es denn in der Welt nicht noch zwei andere, denen sie hätten ähnlich sehen können?«

»Alles das ist ein Kunstgriff und Anschlag der bösartigen Zauberer, die mich verfolgen«, erklärte Don Quijote. »Da sie vorhersahen, daß ich in dem Streite Sieger bleiben würde, haben sie dafür gesorgt, daß der besiegte Ritter das Angesicht meines Freundes, des Baccalaureus, zeigen sollte, auf daß die Freundschaft, die ich für ihn hege, sich zwischen die Schneide meines Schwertes und die Gewalt meines Armes würfe und den gerechten Grimm meines Herzens mäßige und auf solche Weise der dem Leben erhalten bliebe, der das meine mir mit Blendwerk und falschem Spiel rauben wolle. Und zu dessen Erweis bist du ja, o Sancho, belehrt durch Erfahrung, die dich nicht belügen oder täuschen wird, wie leicht es den Zauberern ist, ein Gesicht in ein anderes zu verwandeln, indem sie aus dem Häßlichen Schönes, aus dem Schönen Häßliches schaffen; sintemal es noch nicht zwei Tage her ist, daß du mit eigenen Augen die Schönheit und Stattlichkeit der unvergleichlichen Dulcinea in ihrer ganzen Vollkommenheit und ihrer natürlichen Gestaltung gesehen hast, während ich sie in der Häßlichkeit und Niedrigkeit einer plumpen Bäuerin sah, die Augen triefend und den Mund voll üblen Geruches. Und wenn nun der heillose Zauberer sich einer so argen Umgestaltung erfrecht hat, so ist es nichts Sonderliches, daß er auch diejenige des Sansón Carrasco und die deines Gevatters bewerkstelligte, weil er mir den Siegesruhm aus den Händen winden wollte. Indessen tröste ich mich darüber; denn am Ende, unter welcher Gestalt es auch geschehen sei, bin ich meines Feindes Herr geworden.«

»Gott allein weiß die Wahrheit«, entgegnete Sancho. Da er wußte, daß Dulcineas Verwandlung sein eigener Anschlag und Schelmenstreich gewesen, so vermochten die Hirngespinste seines Herrn seine Zweifel nicht zu lösen; allein er wollte ihm nicht antworten, um nicht allenfalls mit einem Wort sein Schelmenstück zu verraten.

In diesem Zwiegespräch waren sie begriffen, als ein Mann sie einholte, der des nämlichen Weges hinter ihnen herkam; er ritt eine prächtige Grauschimmelstute und trug einen Mantel von feinem grünem Tuch, mit violettem Samt verbrämt, nebst einer Jagdmütze vom nämlichen Samt. Sein Pferdezeug war reisemäßig, gleichfalls violett und grün, und die Bügel waren kurz geschnallt; er hatte einen maurischen Säbel an einem breiten Schulterriemen von Grün und Gold hängen; seine Halbstiefel waren von ebenso gewirktem Stoff wie das Wehrgehänge; die Sporen waren nicht vergoldet, sondern grün gestrichen und so blank poliert, daß sie, weil sie zu dem ganzen Anzug paßten, schöner aussahen, als wären sie von echtem Golde gewesen. Als der Reisende sie erreicht hatte, grüßte er sie höflich, spornte seine Stute und wollte vorbeireiten; allein Don Quijote sprach zu ihm: »Trefflicher Herr, wenn etwa Euer Gnaden desselben Weges zieht wie wir und es Euch nicht auf besondere Eile ankommt, so würdet Ihr mir eine Gunst erweisen, wenn wir zusammen reisten.«

»In der Tat«, antwortete der Reiter, »würde ich nicht sogleich das Weite gesucht haben, wenn ich nicht befürchtet hätte, daß durch die Nähe meiner Stute Euer Hengst unruhig würde.«

»Ihr könnt Eure Stute ruhig gehen lassen, Señor«, fiel hier Sancho ein, »denn unser Gaul ist der sittigste und anständigste auf Erden; nie hat er in ähnlichen Fällen eine Gemeinheit begangen, und das eine Mal, wo er sich vergessen hatte, haben mein Herr und ich es mit siebenfacher Buße entgelten müssen. Ich sag also noch einmal, Euer Gnaden kann langsam reiten, wenn Ihr wollt, denn wenn man ihm auch eine Stute auf dem Präsentierbrett entgegenbrächte, ganz gewiß würde er sie nicht ansehen.«

Der Reisende zog die Zügel an, voll Staunens ob Don Quijotes Aufzug und Angesicht, da der Ritter den Helm nicht aufhatte, welchen Sancho am Sattelknopf wie einen Mantelsack bei sich führte. Und wenn der Grünmantel Don Quijote aufmerksam ansah, so sah Don Quijote den Grünmantel noch aufmerksamer an, da ihm dieser ein Mann von Bedeutung schien. Sein Äußeres zeigte seine fünfzig Jahre, das Haar war dünn und grau, das Gesicht mit einer Adlernase, seine Miene zwischen munter und ernst; in Tracht und Haltung endlich ließ er den Mann von gutem Stande erkennen.

Des Grünmantels Urteil über Don Quijote von der Mancha aber war, daß er ein solches Auftreten und Aussehen noch bei keinem Menschen gefunden. Er bestaunte die langgestreckte Gestalt seines Gaules und die Don Quijotes selbst, die welken Züge und die gelbe Farbe seines Gesichts, seine Wehr und Waffen, sein Benehmen, seine Haltung: kurz, eine Erscheinung, ein Bild, wie es seit längst vergangenen Zeiten in diesem Lande nicht gesehen worden.

Wohl bemerkte Don Quijote die Aufmerksamkeit, mit welcher der Reisende ihn betrachtete, und las in seinen Zügen seinen Wunsch. Und da der Ritter so voll höflichen Anstandes war und so gern jedem Angenehmes erwies, so kam er, ohne eine Frage abzuwarten, ihm auf halbem Weg entgegen und sprach: »Da der Aufzug, den Euer Gnaden an mir bemerkt, jedem Auge so neu ist und so fern von dem, was heutzutage bräuchlich, sollte es mich nicht wundern, wenn dies Euch sollte gewundert haben; aber Ihr werdet alsobald von Eurer Verwunderung ablassen, wenn ich Euch sage – und das tue ich anitzo –, daß ich ein Ritter bin von jenen,

die, wie die Leute sagen,
hinausziehn auf ihre Abenteuer.

Ich schied von meiner Heimat, verpfändete mein Eigentum, gab mein bequemes Leben auf und warf mich dem Glück in die Arme, mich hinzuführen, wo es ihm belieben mag. Das fahrende Rittertum, das schon erstorbene, wollte ich zum Leben auferwecken, und viele Tage ist’s her, daß ich, hier strauchelnd, dort fallend, hier niederstürzend, dort wieder aufstehend, einen großen Teil meines Vorhabens ausgeführt, indem ich Witwen zu Hilfe kam, Jungfrauen Schutz verlieh, Ehefrauen, Waisen und Unmündigen zur Stütze wurde: ein Amt und Beruf, so den fahrenden Rittern eigentümlich und angeboren. Und so habe ich durch meiner zahlreichen, mannhaften, christlichen Taten Verdienst es dahin gebracht, daß ich bei fast allen oder doch den meisten Völkerschaften der Welt bereits im Druck zu finden bin. Dreißigtausend Bände sind von meiner Geschichte gedruckt worden, und es hat den Anschein, als sollten dreißigtausendmaltausend gedruckt werden, so der Himmel es nicht abwendet. Kurz, um alles in wenige Worte oder vielmehr in ein einziges zusammenzufassen, so sag ich: ich bin Don Quijote von der Mancha, sonst auch mit andrem Namen der Ritter von der traurigen Gestalt geheißen. Und wiewohl Eigenlob übel riecht, bin ich doch zuweilen genötigt, das meinige zu verkünden; versteht sich, wenn kein andrer sich anwesend findet, der es verkünde. Sonach, mein werter Edelmann, werden weder dies Roß noch dieser Speer, weder dieser Schild noch Schildknappe noch all diese Wehr und Waffen zusammen noch die gelbliche Blässe meines Gesichtes noch die Magerkeit meines Körpers Euch hinfüro wundern, nachdem Ihr nunmehr erfahren habt, wer ich bin und welchen Beruf ich übe.« Nach diesen Worten schwieg Don Quijote, und der Grünmantel zögerte so mit der Antwort, daß es schien, als ob er keine zu finden wisse. Nach einer guten Weile jedoch sagte er: »Es ist Euch gut gelungen, Herr Ritter, an meinem Erstaunen meinen Wunsch zu erkennen; aber es ist Euch nicht gelungen, mich aus der Verwunderung zu reißen, in die mich Euer Anblick versetzt hat. Denn obschon Ihr sagt, daß ich nur zu wissen brauche, wer Ihr seid, Señor, um mich von meinem Erstaunen zu erholen, so ist es doch nicht geschehen; vielmehr sind jetzt, wo ich es weiß, Staunen und Verwunderung bei mir nur noch mehr gewachsen. Wie? Ist es möglich, daß es heutzutage noch fahrende Ritter in der Welt gibt und daß es sogar gedruckte Geschichten von wirklichen Rittertaten gibt? Ich kann mich nicht davon überzeugen, daß es heut auf Erden jemand geben kann, der sich Witwen hilfreich erwiese, Jungfrauen in seinen Schutz nähme oder für der Ehefrauen Ehre einstünde oder den Waisen Beistand leistete; und ich würde es nicht glauben, wenn ich es nicht an Euch mit meinen eignen Augen gesehen hätte. Gott sei gelobt, daß durch diese Geschichte, die nach Euer Gnaden Mitteilung von Euren hohen und wahrheitsgemäßen Rittertaten gedruckt vorliegt, die zahllosen Erzählungen von erdichteten fahrenden Rittern nun wohl in Vergessenheit versenkt sein werden, mit denen die Welt überfüllt war zu so großem Nachteil für die guten Sitten und zu so großer Beeinträchtigung und Mißachtung der guten Geschichtsbücher.«

»Es ist viel darüber zu sagen«, entgegnete Don Quijote, »ob die Geschichten der fahrenden Ritter erdichtet sind oder nicht.«

»Gibt’s denn jemand, der zweifelt«, versetzte der Grüne, »daß die Geschichten dieser Art unwahr sind?«

»Ich zweifle daran«, gab Don Quijote zur Antwort, »und wir wollen es hierbei bewenden lassen; denn wenn unsre Reise länger dauert, so hoffe ich zu Gott, Euch klarzumachen, daß Ihr übel daran getan, mit dem Strom derer zu schwimmen, die es für ausgemacht halten, sie seien nicht wahr.«

Aus dieser letzten Äußerung schöpfte der Reisende die Vermutung, Don Quijote müsse geistesgestört sein, und wartete darauf, ob noch andre Äußerungen von ihm dies bestätigen würden. Bevor sie sich jedoch in ein weiteres Gespräch einließen, ersuchte ihn Don Quijote, ihm zu sagen, wer er sei, da auch er ja ihm über seinen Beruf und sein Leben Auskunft erteilt habe.

Darauf sagte der Grünmantel: »Ich, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, bin ein Landedelmann, gebürtig aus einem Orte, wo wir heute zu Mittag speisen wollen, so Gott will. Ich besitze mehr als mittelmäßigen Reichtum; mein Name ist Don Diego de Miranda; ich verbringe mein Leben mit Frau und Kindern und Freunden. Meine Beschäftigungen sind Jagen und Fischen; ich halte mir aber weder einen Falken noch Windhunde, sondern nur ein abgerichtetes Lockhuhn und ein furchtloses Frettchen. Ich habe sechs Dutzend Bücher, einige spanisch, einige lateinisch, einige sind Geschichts- und andre Andachtsbücher; Ritterbücher sind noch nicht über die Schwelle meines Hauses gekommen. Ich blättere in den weltlichen Büchern mehr als in den geistlichen, sofern sie anständige Unterhaltung bieten, durch schöne Sprache erfreuen und durch Erfindung in Bewunderung und Spannung versetzen, wiewohl es derartige gar wenig in Spanien gibt. Manchmal speise ich bei meinen Nachbarn und Freunden, und sehr häufig lade ich sie ein; meine Gasttafel ist stets reinlich und nett und sicher nicht kärglich. Ich gebe mich nicht mit übler Nachrede ab und erlaube sie nicht in meiner Gegenwart; ich spüre den Verhältnissen Dritter nicht nach und laure ihren Handlungen nicht mit Luchsaugen auf. Ich höre jeden Tag die Messe; ich teile den Armen mit von meiner Habe, prunke aber nicht mit meinen guten Werken, weil ich Heuchelei und Ruhmredigkeit nicht in meinem Herzen aufkommen lassen will, diese Feinde, die sich auch des besonnensten Geistes schmeichlerisch bemächtigen. Ich mühe mich, Frieden zu stiften zwischen Leuten, die uneins sind, verehre Unsre Liebe Frau und baue stets auf Gott unsern Herrn und sein unendliches Erbarmen.«

Mit höchster Aufmerksamkeit hörte Sancho den Junker erzählen, wie er lebe und womit er sich unterhalte; ein solches Leben erschien ihm ein vortreffliches und heiliges, und wer es führe, meinte er, müsse Wunder tun können. So sprang er von seinem Grautier herab, eilte rasch hin und ergriff des Junkers rechten Steigbügel, und mit andächtigem Herzen und beinahe mit Tränen küßte er ihm die Füße einmal über das andre.

Als der Junker das sah, fragte er: »Was tut Ihr da, guter Freund? Was sollen diese Küsse bedeuten?«

»Laßt mich nur küssen«, antwortete Sancho; »denn es deucht mir, Euer Gnaden ist der erste Heilige zu Pferde, den ich all mein Lebtag gesehen habe.«

»Ich bin kein Heiliger«, antwortete der Junker, »sondern ein großer Sünder; Ihr aber, Freund, müßt ein guter Mensch sein, wie es Eure Einfalt an den Tag legt.«

Sancho stieg wieder auf seinen Eselssattel, nachdem er der tiefen Schwermut seines Herrn ein Lächeln entlockt und in Don Diego eine Verwunderung neuer Art erweckt hatte.

Don Quijote fragte den Fremden, wieviel Kinder er habe, und fügte bei: »Zu den Dingen, worin die alten Philosophen, die der wahren Kenntnis Gottes ermangelten, das höchste Glück erblickt haben, gehörten die Gaben der Natur und des Glückes, der Besitz zahlreicher Freunde und zahlreicher wohlgeratener Kinder.«

»Ich, Señor Don Quijote«, antwortete der Junker, »habe einen Sohn, und hätte ich ihn nicht, so würde ich mich vielleicht für glücklicher erachten, als ich es bin, und zwar nicht, weil er ungeraten ist, sondern weil er nicht so gut geraten ist, wie ich wünschte. Er wird etwa im Alter von achtzehn Jahren stehen, sechs hat er in Salamanca mit dem Erlernen der lateinischen und griechischen Sprache zugebracht, und als ich verlangte, er solle zum Studium andrer Wissenschaften übergehen, fand ich ihn so erpicht auf die der Poesie – wenn man diese als Wissenschaft bezeichnen kann –, daß es nicht möglich ist, ihm Geschmack an der Rechtswissenschaft beizubringen, die er nach meinem Willen studieren sollte, noch an der Königin aller, der Gottesgelahrtheit. Ich hätte gewünscht, er sollte die Krone seiner Familie werden, da wir in einem Zeitalter leben, wo unsre Könige die an Tugend und allem Edlen reiche Gelehrsamkeit reich belohnen; denn Gelehrsamkeit ohne Tugend ist wie Perlen auf einem Misthaufen. Den ganzen Tag verbringt er damit, herauszufinden, ob Homer in dem und dem Verse der Ilias sich gut oder nicht gut ausgedrückt hat; ob Martial in dem und dem Epigramm schlüpfrig gewesen; ob diese oder jene Verse Vergils so oder so zu deuten sind. Kurz, all seine Unterhaltungen drehen sich um die Bücher der erwähnten Dichter nebst denen des Horaz, Persius, Juvenal und Tibullus; denn auf die neueren Dichter in spanischer Sprache gibt er nicht viel. Und trotz aller Abneigung, die er gegen die spanische Dichtung an den Tag legt, schwindelt ihm jetzt der Kopf von dem Vorhaben, eine Glosse auf vier Verse zu schreiben, die man ihm von Salamanca zugesendet hat und die, glaub ich, eine literarische Preisaufgabe waren.«

Auf all dieses entgegnete Don Quijote: »Die Kinder, Señor, sind Stücke, aus der Eltern Herz geschnitten, und mithin muß man sie lieben, ob sie gut oder böse sind, wie die Seele, die uns Leben gibt. Es ist der Eltern Sache, sie von klein auf stets den Weg der Tugend, der edlen Bildung und der guten christlichen Sitte zu leiten, auf daß sie, wenn erwachsen, ihren Eltern die Stütze des Alters und der Ruhm ihrer Nachkommenschaft seien; aber sie zum Studium dieser oder jener Wissenschaft zu zwingen, halte ich nicht für wohlgetan, obzwar es nicht schaden kann, ihnen gütlich zuzureden. Und falls man nicht pro pane lucrando studieren muß, wenn nämlich der Student das Glück hat, daß ihm der Himmel Eltern gegeben, die ihm Brot hinterlassen können, da wäre ich der Meinung, sie sollen ihn dasjenige gelehrte Fach wählen lassen, zu welchem er sich hingezogen fühlt. Und obschon die Dichtkunst weniger zum Nutzen als zum Ergötzen dient, so gehört sie doch nicht zu den geistigen Übungen, die den entehren, der sich ihnen hingibt. Die Dichtkunst, werter Junker, ist meiner Meinung nach wie eine zarte, jugendliche, vollendet schöne Jungfrau, um welche andre Jungfrauen bestrebt sind, sie zu bereichern, zu schmücken, mit höherem Glanze zu umgeben; diese letzteren sind die andern Wissenschaften alle, und jene will ihrer aller Dienste benutzen, und alle wollen durch sie höheren Wert erlangen. Aber diese Jungfrau will nicht plump betastet und auf den Gassen umhergeschleppt, will nicht an den Ecken der Marktplätze noch in den Plauderwinkeln der Paläste zur öffentlichen Kunde gebracht werden. Sie ist aus einem Erz von so edlem Gehalt gebildet, daß, wer es zu behandeln versteht, es in reinstes Gold von unschätzbarem Werte zu verwandeln vermag. Wer sie besitzt, muß sie in den rechten Schranken halten und nicht gestatten, daß sie sich in unsittlichen Satiren oder gewissenlosen Sonetten ergehe. Sie darf um nichts feil sein, ausgenommen, wenn es sich um Heldengedichte, trauervolle Tragödien und heitere, kunstreiche Komödien handelt; man soll die Kunst der Poesie nicht von den Possenreißern üben lassen noch von dem Pöbel, der unfähig ist, die Schätze zu erkennen und zu würdigen, die sie in sich birgt. Und denkt nicht etwa, Señor, daß ich hier nur die Leute von plebejischem und niedrigem Stande Pöbel nenne; nein, jeder Ungebildete, wenn er auch ein vornehmer Herr und ein Fürst ist, kann und muß zum Pöbel gerechnet werden.

Derjenige also, der, all den erwähnten Erfordernissen genügend, sich mit Poesie beschäftigt und Poesie in sich hat, wird berühmt, und sein Name wird bei allen gebildeten Völkerschaften der Welt hochgeschätzt werden. Und wenn Ihr sagt, Señor, daß Euer Sohn die spanische Dichtung nicht sonderlich schätze, bin ich überzeugt, daß er sich hierin auf einem Irrwege befindet, und zwar aus folgendem Grund: der große Homer hat nicht auf lateinisch geschrieben, weil er ein Grieche war; ebensowenig hat Vergil griechisch geschrieben, denn er war ein Lateiner. Kurz, alle Dichter des Altertums schrieben in der Sprache, die sie mit der Muttermilch eingesogen, und suchten nicht nach einer fremden, um die Erhabenheit ihrer Gedanken auszudrücken. Und da dem so ist, so wäre es vernünftig, wenn sich ein gleicher Brauch über alle Völkerschaften verbreitete und wenn man also den deutschen Dichter nicht mißachtete, weil er in seiner Sprache schreibt, noch den kastilianischen noch auch den biskayischen, der in der seinigen dichtet. Allein Euer Sohn, Señor, wie ich es wenigstens mir vorstelle, wird nicht eigentlich an der spanischen Dichtung Mißfallen haben, sondern vielmehr an den Dichtern, die ausschließlich in ihrem Spanisch schreiben, ohne eine andre Sprache oder eine andre Wissenschaft zu verstehen, die ihre angeborene dichterische Gabe mit höherer Zierde bereichern und erwecken und unterstützen würden. Aber selbst hierin kann ein Irrtum walten, denn, wie es richtig heißt: der Dichter wird geboren; das heißt, der geborene Dichter kommt schon aus dem Mutterleib als Dichter; und mit jener Gabe, die ihm der Himmel verliehen, schafft er ohne weiteres Studium oder Kunst Werke, die den Spruch jenes Alten wahr machen, der da sagte: Est deus in nobis, et cetera. Auch sage ich, daß der geborene Dichter, wenn er die Kunst zu Hilfe nimmt, Besseres leisten und höhere Geltung erlangen wird, als wer nur deshalb, weil er sich auf die Kunst versteht, ein Dichter sein will. Der Grund ist, weil die Kunst niemals die Natur übertrifft, sondern diese nur vervollkommnet; und wenn sonach die Natur mit der Kunst und die Kunst mit der Natur verbunden ist, werden beide zusammen einen vollendeten Dichter hervorbringen.

Nun will ich aus dem Gesagten den Schluß ziehen, werter Junker, daß Ihr Euren Sohn den Weg gehen lassen sollt, wohin sein Stern ihn ruft; denn da er so tüchtig im Studium ist – und das wird er jedenfalls sein –, da er bereits die erste Staffel der Wissenschaft erstiegen hat, nämlich die der Sprachen, wird er mittels dieser letzteren von selbst zum Gipfelpunkte des weltlichen Wissens steigen, das einem Edelmann, der keine gelehrte Laufbahn ergreifen will, wohl ansteht und ihn sonach ziert, ehrt und erhöht wie die Mitra den Bischof und der Talar den erfahrenen Rechtsgelehrten. Ihr möget Euern Sohn schelten, wenn er Satiren schreibt, die der Ehre anderer zu nahe treten, und mögt ihn strafen und sie zerreißen; wenn er aber Satiren in der Art des Horaz schreibt und darin die Laster im allgemeinen verurteilt, wie jener es in so geschmackvoller Weise getan hat, dann lobt ihn, sintemal es dem Dichter verstattet ist, gegen den Neid zu schreiben und in seinen Versen die Neider und ebenso andere Laster zu geißeln, wenn er nur keine bestimmten Personen bezeichnet. Aber es gibt Poeten, die, nur um eine Bosheit zu sagen, sich der Gefahr aussetzen würden, auf die Inseln des Pontus verbannt zu werden. Wenn der Dichter keusch ist, wird er es auch in seinen Versen sein; die Feder ist die Zunge des Geistes, und so, wie die Gedanken sind, die sein Geist erzeugt, so werden auch seine Schriften sein. Wenn die Könige und Fürsten die wundervolle Gabe der Poesie bei verständigen, tugendsamen und würdigen Personen finden, so ehren, schätzen und bereichern sie diese, ja bekränzen sie mit den Blättern jenes Baumes, den der Blitzstrahl nie verletzt, zum Zeichen, daß niemand denen ein Leid zufügen soll, deren Schläfen mit solchen Kränzen geehrt und geschmückt sind.«

In hohe Verwunderung geriet der Grünmantel ob der Rede Don Quijotes, und zwar in solchem Grade, daß er von seiner Meinung, der Ritter sei gestörten Geistes, nach und nach einiges aufgab.

Mitten in diesem Gespräche aber, das nicht sehr nach seinem Geschmacke war, hatte sich Sancho beiseite gemacht, um etwas Milch von den Hirten zu erbitten, die dort in der Nähe mit dem Melken von Schafen beschäftigt waren. Inzwischen wollte der Junker, im höchsten Grade befriedigt von Don Quijotes Verstand und Klugheit, das Gespräch schon wieder anknüpfen, als der Ritter den Kopf erhob und auf der Straße einen mit königlichen Fahnen über und über verzierten Wagen kommen sah, und da er glaubte, es komme hier ein neues Abenteuer, rief er mit mächtiger Stimme nach Sancho, er solle kommen, um ihm den Helm zu reichen. Als unser Sancho sich rufen hörte, ließ er die Hirten stehen, spornte sein Grautier und kam in aller Eile zur Stelle, wo sein Herr hielt; dem aber begegnete nun ein erschreckliches und gar befremdliches Abenteuer.

17. Kapitel


Wo der höchste Punkt und Gipfel geschildert wird, allwohin Don Quijotes unerhörter Heldenmut sich verstieg und sich versteigen konnte; benebst dem glücklich bestandenen Abenteuer mit dem Löwen

Es erzählt die Geschichte, daß Sancho, als Don Quijote ihm zurief, er solle den Helm bringen, gerade dabei war, den Hirten etliche Laibe Rahmkäse abzukaufen. Wegen der großen Eile seines Herrn wußte er nicht, was er mit ihnen anfangen noch worin er sie mitnehmen sollte; und um den bereits bezahlten Käse nicht zu verlieren, kam er auf den Gedanken, ihn in den Helm seines Herrn zu schütten, und mit diesem trefflichen Proviant wandte er sich zu seinem Herrn, um zu hören, was er von ihm wolle. Als er sich näherte, sprach Don Quijote zu ihm: »Gib mir den Helm, Freund, denn ich verstehe entweder wenig von Abenteuern, oder was ich dort erspähe, ist ein solches, das mich nötigen wird, ja mich sofort nötigt, zu den Waffen zu greifen.«

Der Grünmantel, der dies hörte, wendete seine Augen nach allen Seiten, konnte aber nichts andres entdecken als einen Karren, der ihnen entgegenkam und mit ein paar Fähnchen verziert war, aus denen er schloß, daß besagter Karren Geld für Seine Majestät führen müsse, und dieses sagte er auch zu Don Quijote. Der aber schenkte ihm keinen Glauben, da er stets überzeugt war, alles, was ihm begegne, sei ein Abenteuer und immer wieder ein Abenteuer. Daher antwortete er dem Junker: »Gute Vorbereitung ist schon halber Sieg. Es kann nichts schaden, wenn ich mich rüste, denn ich weiß aus Erfahrung, daß ich sichtbare und unsichtbare Feinde habe, und ich weiß nicht, wann oder wo oder zu welcher Zeit oder in welcherlei Gestalten sie mich angreifen werden.«

Und sich zu Sancho wendend, forderte er seinen Helm, und da Sancho keine Möglichkeit sah, den Rahmkäse herauszunehmen, mußte er ihm notgedrungen den Helm reichen, so wie er war. Don Quijote nahm ihn, und ohne zu bemerken, was darin lag, stülpte er ihn eiligst über den Kopf; und da der Käse hierbei zusammengedrückt und gequetscht wurde, so begann der Quark dem Ritter über Gesicht und Bart zu fließen, worüber er so erschrak, daß er zu Sancho sagte: »Was mag das sein, Sancho? Es kommt mir vor, als wenn mein Hirn sich erweichen und meine Sinne zerschmelzen wollten oder als wenn ich von Kopf zu Füßen in Schweiß wäre. Und sollte ich wirklich schwitzen, so geschieht es wahrlich nicht aus Furcht; allerdings glaube ich, das Abenteuer, das mir jetzt bevorsteht, ist ein erschreckliches. Wenn du was hast, mich abzutrocknen, so gib’s her, denn der starke Schweiß macht mir die Augen ganz blind.«

Sancho schwieg still und brachte ihm ein Tuch und dankte zugleich dem gütigen Gotte, daß sein Herr nicht hinter die Sache gekommen war. Don Quijote trocknete sich und nahm den Helm ab, um zu sehen, was ihm eigentlich den Kopf so erkältete, wie es ihm vorkam; aber als er den weißen Brei im Helme sah, hielt er die Nase daran, beroch ihn und sagte: »Beim Leben meiner Gebieterin Dulcinea von Toboso, Rahmkäse sind’s, die du mir hier hineingelegt hast, Schurke, frecher Schelm, schlechtgesinnter Schildknappe!«

Darauf antwortete Sancho mit großer Gelassenheit und Verstellung: »Wenn es Rahmkäse sind, so wolle Euer Gnaden mir selbige verabreichen, ich will sie essen; aber nein, der Teufel soll sie essen, denn der muß sie da hineingetan haben. Ich, ich sollte die Frechheit haben, Euer Gnaden Helm zu besudeln? Da habt Ihr den frechen Kerl schön erraten! Wahrhaftig, Señor, das ist ein Fingerzeig Gottes; auch ich muß Zauberer haben, die mich verfolgen, mich als Geschöpf und Glied von Euer Gnaden, und die werden diesen Unflat da hineingetan haben, um Euere Geduld zum Zorne zu reizen, daß Ihr mir den Rücken zerdrescht, wie Ihr gewohnt seid. Aber wahrhaftig, diesmal, glaub ich, gehen ihre Sprünge ins Blaue hinein; denn ich baue auf die weise Einsicht meines Herrn, der sicher erwogen hat, daß ich weder Rahmkäse noch Milch noch sonst was gleicher Art bei mir habe und daß ich, wenn ich’s hätte, es lieber in meinen Magen als in den Helm hineintun würde.«

»Alles ist möglich«, sagte Don Quijote darauf. Und alles das sah der Landjunker aufmerksam mit an, und über alles wunderte er sich, besonders als Don Quijote, nachdem er sich Kopf, Gesicht, Bart und Helm gereinigt, den letztern aufstülpte, sich fest in den Bügeln zurechtsetzte, sein Schwert versuchsweise aus der Scheide zog und, den Speer fassend, so sprach: »Jetzt komme, was da kommen mag, denn hier bin ich, fest entschlossen, mit dem Teufel in eigner Person anzubinden.«

Indem näherte sich der Karren mit den Fahnen, bei dem sich niemand befand als der Fuhrmann auf einem der Maultiere und ein Mann, der auf dem Vorderteil des Karrens saß. Don Quijote pflanzte sich vor dem Fuhrwerk auf und sprach: »Wohin des Weges, gute Leute? was ist dies für ein Karren? was habt ihr darin? und was für Fähnlein sind dies?«

Darauf antwortete der Fuhrmann: »Der Karren gehört mir; was darauf ist? Zwei wilde Löwen im Käfig, die der Oberbefehlshaber zu Orán als Geschenk für Seine Majestät nach der Residenz schickt; die Fahnen sind die des Königs, unsres Herrn, zum Zeichen, daß, was sich hierin befindet, königliches Eigentum ist.«

»Und sind die Löwen groß?« fragte Don Quijote.

»So groß«, antwortete der Mann vor der Tür des Käfigs, »daß niemals größere oder auch nur ebenso große aus Afrika nach Spanien herübergekommen sind; und ich bin der Löwenwärter und habe ihrer schon mehr herübergebracht, aber wie diese keinen. Es ist ein Löwe und eine Löwin; der Löwe ist in diesem vorderen Käfig und die Löwin in dem dahinter. Jetzt sind sie hungrig, weil sie heute noch nichts gefressen haben, und darum wolle Euer Gnaden aus dem Wege gehen, denn wir müssen eiligst einen Ort erreichen, wo wir ihnen ihr Futter geben können.«

Darauf sagte Don Quijote mit fast unmerklichem Lächeln: »Mir kommt man mit jämmerlichen Löwchen? Mir mit armseligen Löwchen, und gerade zu dieser Stunde? Nun, bei Gott, so sollen jene Herren, die sie hierhersenden, sehen, ob ich ein Mann bin, der sich vor Löwen fürchtet! Steigt herunter, guter Freund, und da Ihr der Löwenwärter seid, so öffnet die Käfige hier und treibt mir die Untiere heraus; denn mitten auf dem Gefilde hier will ich ihnen zeigen, wer Don Quijote von der Mancha ist, zu Trotz und Ärger den Zauberern, die sie mir hierhersenden.«

»Aha!« sagte hier der Junker leise für sich, »nun hat unser guter Ritter ein deutliches Zeichen gegeben, wes Geistes Kind er ist; ganz gewiß hat der Rahmkäse sein Hirn erweicht und seine Sinne mürbe gemacht.«

In diesem Augenblick näherte sich Sancho dem Fremden und sprach zu ihm: »Señor, um Gottes willen bitt ich Euer Gnaden, seht doch, wie Ihr es fertigbringt, daß mein Herr Don Quijote nicht mit den Löwen da anbindet, denn wenn er’s tut, so reißen sie uns alle auf der Stelle in Stücke.«

»Ist denn Euer Herr so verrückt«, entgegnete der Junker, »daß Ihr fürchtet und glaubt, er werde wirklich mit diesem wilden Getier anbinden?«

»Verrückt ist er nicht«, antwortete Sancho, »aber tollkühn.«

»Ich will es schon fertigbringen, daß er es diesmal nicht ist«, versetzte der Junker.

Er näherte sich Don Quijote, der den Löwenwärter drängte, die Käfige zu öffnen, und sprach zu ihm: »Herr Ritter, die fahrenden Ritter sollen sich an Abenteuer wagen, die die Hoffnung glücklichen Ausgangs verheißen, und nicht an solche, die ihnen jede Aussicht rauben; denn die Tapferkeit, die in den Bereich der Vermessenheit übergreift, hat mehr von der Torheit als von Seelenstärke an sich. Zudem kommen diese Löwen nicht, Euer Gnaden zu befehden, ja, dies fällt ihnen nicht im Traume ein; sie kommen als Geschenk für Seine Majestät, und so tut Ihr nicht wohl daran, sie aufzuhalten oder an ihrer Fahrt zu hindern.«

»Geht nur, werter Junker«, antwortete Don Quijote, »und macht Euch mit Eurem abgerichteten Lockhuhn zu tun und mit Eurem tapferen Frettchen und laßt einen jeglichen seines Amtes walten; dies ist mein Amt, und ich weiß schon, ob diese Herren Löwen zur Fehde mit mir gekommen sind oder nicht.«

Und sich zu dem Löwenwärter wendend, sprach er: »Ich schwör’s bei dem und jenem, Er Spitzbube, wenn Er die Käfige nicht gleich auf der Stelle aufmacht, so werd ich Ihn mit diesem Speer an den Karren nageln!«

Der Kärrner sah die Entschlossenheit dieser gewappneten Spukgestalt und sagte: »Gnädiger Herre mein, wollet aus Barmherzigkeit gestatten, daß ich die Maultiere ausspanne und mich mit ihnen in Sicherheit bringe, ehe die Löwen aus ihrem Käfig kommen; denn wenn sie mir sie umbringen, bin ich für mein ganzes Leben zugrunde gerichtet; der Karren und die Maultiere sind meine ganze Habe.«

»O du Kleingläubiger!« entgegnete Don Quijote; »steig ab und spann aus und tu, wozu du Lust hast; bald wirst du sehen, daß du dich vergeblich bemüht hast und daß du dir diese Fürsorge hättest ersparen können.«

Der Kärrner stieg ab und spannte eiligst aus, und der Löwenwärter sprach mit erhobener Stimme: »Seid mir Zeugen alle, die ihr hier zugegen seid, wie ich gegen meinen Willen und nur gezwungen die Käfige aufmache und die Löwen freilasse und wie ich diesem Herrn gegenüber mich verwahre, daß aller Schaden und Nachteil, den diese Tiere verüben mögen, auf seine Rechnung und Gefahr geht und steht, dergleichen auch meine Löhnung und meine anderen Ansprüche. Ihr aber, meine Herrschaften, begebt euch in Sicherheit, bevor ich aufschließe; ich meinesteils bin sicher, daß sie mir nichts Böses tun.«

Der Junker redete dem Ritter nochmals zu, er solle keine solche Torheit begehen; es heiße Gott versuchen, einen solchen Unsinn zu unternehmen. Darauf gab Don Quijote zur Antwort, er wisse, was er tue. Jener bat ihn nochmals, die Sache wohl zu erwägen; er sei überzeugt, daß er in Selbsttäuschung befangen sei.

»Jetzo, Señor«, entgegnete Don Quijote, »wenn Euer Gnaden kein Zuschauer bei dem Stück sein will, das nach Eurer Ansicht ein Trauerspiel sein wird, so gebt Eurem Grauschimmel die Sporen und bringt Euch in Sicherheit.«

Als Sancho das hörte, flehte er ihn mit tränenden Augen an, von einem solchen Unternehmen abzulassen; im Vergleich mit ihm seien das Abenteuer mit den Windmühlen und jenes so fürchterliche mit der Walkmühle und kurz alle Heldentaten, an die er sich im ganzen Verlauf seines Lebens gewagt, nur Zuckerbrot und Hochzeitskuchen gewesen. »Bedenket, Señor«, sagte Sancho, »hier ist keine Zauberei dabei noch irgend etwas Ähnliches, denn ich habe durch die Latten und Ritzen des Käfigs hindurch die Tatze eines wirklichen Löwen gesehen, und aus ihr schließe ich, daß besagter Löwe, dem die besagte Klaue angehört, größer sein muß als ein Berg.«

»Zum mindesten wird die Furcht«, entgegnete Don Quijote, »ihn dir größer erscheinen lassen als eine halbe Welt. Weiche hinweg, Sancho, und laß mich, und wenn ich hier sterben sollte, so kennst du ja unser altes Übereinkommen, du begibst dich zu Dulcinea, und weiter sag ich dir nichts.«

Diesen Worten fügte er noch andre hinzu, mit denen er allen die Hoffnung raubte, er würde doch vielleicht noch davon abstehen, in seinem wahnwitzigen Vorhaben weiterzugehen. Der Grünmantel hätte sich ihm gern widersetzt; allein er sah, daß er ihm an Bewaffnung zu ungleich war, und dann deuchte es ihn nicht vernünftig, mit einem Verrückten anzubinden, denn als ein solcher erschien ihm Don Quijote jetzt in jeder Beziehung.

Als nun Don Quijote aufs neue den Löwenwärter zur Eile drängte und seine Drohungen wiederholte, gab er dem Junker hinreichenden Grund, seinem Pferde, und dem guten Sancho, seinem Grauen, und dem Kärrner, seinen Maultieren die Sporen einzusetzen, und alle waren darauf bedacht, sich von dem Karren so weit als möglich zu entfernen, bevor die Löwen losgelassen würden. Sancho beweinte seines Herrn sichern Tod, der diesmal, so glaubte er, ihn in den Krallen der Löwen treffen werde; er verwünschte sein Schicksal, und unselig nannte er die Stunde, in der ihm der Gedanke gekommen, aufs neue in des Ritters Dienste zu treten; aber bei allem Weinen und Jammern versäumte er doch nicht, auf sein Grautier loszuprügeln, um so rasch wie möglich von dem Karren fortzukommen.

Als der Löwenwärter sah, daß die Flüchtlinge weit weg waren, bestürmte er den Ritter aufs neue mit denselben Vorstellungen und Verwahrungen wie schon vorher; Don Quijote antwortete indessen, er verstehe ihn wohl, aber er solle sich nicht weiter mit Vorstellungen und Verwahrungen bemühen, da alles umsonst sei, und er solle sich eilen.

Während der Löwenwärter noch zögerte, den vorderen Käfig aufzuschließen, erwog Don Quijote, ob es geraten sei, den Kampf lieber zu Fuß als zu Pferde auszufechten; endlich aber beschloß er, ihn zu Fuß zu unternehmen, da er fürchtete, Rosinante würde vor den Löwen scheuen. Er sprang daher vom Pferde, warf den Speer weg, faßte den Schild in den Arm, zog das Schwert aus der Scheide und trat Schritt für Schritt mit wunderbarer Entschlossenheit und mannhaftem Herzen vor den Karren hin, wobei er sich von ganzem Herzen Gott und seiner Herrin Dulcinea anbefahl.

Hier ist zu bemerken, daß der Verfasser dieser wahrhaftigen Geschichte, als er an diese Stelle kommt, im Ausbruch bewundernden Gefühles sagt: O du heldenstarker und über allen Preis tapferer Don Quijote von der Mancha, du Spiegel aller Kämpen der Welt, du neuer Don Manuel de León, der da Ruhm und Ehre war der Ritter in spanischen Landen! Mit welchen Ausdrücken soll ich diese so erschreckliche Großtat erzählen, mit was für Worten soll ich sie den kommenden Jahrhunderten glaublich machen? Welche Lobpreisungen kann es geben, die dir nicht geziemten und deinem Werte nicht gemäß wären, und sollten sie auch alle Überschwenglichkeiten übersteigen? Du zu Fuße, du allein, du unverzagt, du hochherzig, nur mit einem Schwert, und zwar keineswegs mit einem von scharfer Schneide und der Marke Toledo, mit einem Schild von nicht sonderlich glänzendem poliertem Stahl, du stehst da und erharrest und erwartest die zwei wildesten Löwen, welche die afrikanischen Wälder jemals erzeugt haben. Deine eignen Taten sollen dich loben, tapferer Manchaner, denn ich lasse sie hier in ihrer Verwerflichkeit beruhen, weil mir die Worte fehlen, sie zu preisen.

Hiermit waren die begeisterten Ausrufungen des Verfassers, die wir berichten, zu Ende. Indem er den Faden der Geschichte wieder aufnimmt, fährt er mit folgenden Worten fort:

Als der Löwenwärter sah, daß Don Quijote bereits Stellung genommen und daß er nicht umhinkönne, den männlichen Löwen loszulassen, wenn er nicht bei dem erzürnten und verwegenen Ritter in Ungnade fallen wollte, machte er den vorderen Käfig sperrangelweit auf, in welchem sich, wie gesagt, der Löwe befand, der von ungeheurer Größe und entsetzlichem, furchtbarem Aussehen war. Das erste, was er tat, war, daß er sich im Käfig, worin er gelegen hatte, nach allen Seiten hin drehte, die Tatze ausstreckte und sich um und um reckte und dehnte; dann riß er den Rachen auf und gähnte lang und gemächlich, wischte sich mit der Zunge, die fast zwei Spannen lang heraushing, den Staub aus den Augen und leckte sich das Gesicht ab. Dann streckte er den Kopf aus dem Käfig und sah sich nach allen Seiten um, mit Augen, die wie Kohlen glühten; es war ein Anblick, um die Tollkühnheit selbst mit Entsetzen zu erfüllen. Nur Don Quijote schaute ihn unverwandten Auges an mit dem Wunsche, er möchte gleich vom Karren springen und mit ihm handgemein werden, da er mit seinen Händen ihn in Stücke zu zerhauen gedachte.

Bis zu diesem Punkt verstieg sich das Übermaß seiner noch nie dagewesenen Verrücktheit. Allein der großmütige Löwe bewies viel eher Freundlichkeit als Hochmut, und ohne sich um Kindereien und Großsprechereien zu kümmern, und nachdem er sich nach allen Seiten umgesehen, wandte er den Rücken, wies Don Quijote sein Hinterteil und streckte sich höchst gelassen und gemächlich wiederum im Käfig nieder.

Als Don Quijote dies sah, gebot er dem Wärter, den Löwen zu reizen und mit dem Stock herauszutreiben.

»Das werde ich nimmermehr tun«, antwortete der Löwenwärter; »denn wenn ich ihn reize, bin der erste, den er in Stücke reißt, ich selber. Euer Gnaden, Herr Ritter, möge sich’s an dem genug sein lassen, was Ihr getan habt; denn dies ist schon alles, was man in Sachen der Tapferkeit nur immer sagen kann, und wollet nicht zum zweitenmal Euer Glück versuchen. Der Löwe hat die Tür offenstehen, bei ihm steht es, herauszukommen oder nicht herauszukommen; aber da er bis jetzt den Käfig nicht verlassen hat, so wird er es den ganzen Tag nicht mehr tun. Euer Gnaden Heldenmut ist bereits hinreichend zutage getreten; kein wackerer Kämpe, soviel ich verstehe, ist zu mehrerem verpflichtet, als seinen Feind herauszufordern und ihn in offenem Felde zu erwarten; und wenn der Gegner nicht erscheint, so haftet an ihm die Schande, und der Herausforderer gewinnt die Krone des Siegs.«

»So ist’s in Wahrheit«, gab Don Quijote zur Antwort. »Schließ die Tür, Freund, und bezeuge mir in bester Form Rechtens, so gut du’s vermagst, was du mich hier vollbringen gesehen: nämlich, wie du dem Löwen aufgetan hast, ich ihn erwartete und er nicht herauskam, ich ihn wiederum erwartete, er wieder nicht herauskam und sich dann wieder hinlegte. Zu mehrerem bin ich nicht verpflichtet; und nun fort mit den Zauberkünsten! Und Gott schütze das Recht und die Wahrheit und das wahre Rittertum! Nun schließ zu, wie ich dir gesagt, während ich den Flüchtigen und Abwesenden Zeichen gebe, damit sie aus deinem Munde diese Heldentat erfahren.«

Der Löwenwärter tat also, und Don Quijote befestigte an die Spitze seines Speers das Tuch, mit welchem er sich das Gesicht vom Käseregen gereinigt hatte, und begann die andern herbeizurufen, die immer noch flüchteten und dabei den Kopf jeden Augenblick rückwärts wandten, alle auf einem Haufen, von dem Junker vor sich hergetrieben. Als aber Sancho endlich das Zeichen des weißen Tuches erblickte, sprach er: »Ich will des Todes sein, wenn mein Herr nicht die wilden Untiere besiegt hat, da er uns herbeiruft!«

Sie hielten alle und sahen, daß Don Quijote es war, der ihnen die Zeichen gab; sie erholten sich von ihrer Angst, und Schritt vor Schritt kamen sie näher, bis sie deutlich Don Quijotes Stimme hörten, der ihnen zurief. Endlich kehrten sie zu dem Karren zurück, und sofort bei ihrem Herannahen sprach Don Quijote zu dem Kärrner: »Schirret Eure Maultiere wieder an, guter Freund, und setzet Eure Reise fort; und du, Sancho, gib ihm zwei Goldtaler für ihn und für den Löwenwärter zum Lohn für die Zeit, die sie um meinetwillen hier verloren haben.«

»Die geb ich sehr gerne«, versetzte Sancho; »aber was ist aus den Löwen geworden? Sind sie tot oder lebendig?«

Nunmehr berichtete der Löwenwärter ausführlich, in einzelnen Absätzen, den Ausgang des Kampfes, wobei er, so gut er es nur vermochte, die Tapferkeit Don Quijotes übertrieb, vor dessen Anblick der Löwe entmutigt seinen Käfig zu verlassen weder begehrt noch gewagt habe, obwohl er den Käfig eine geraume Zeit offenstehn hatte. Weil nun er, der Wärter, dem Ritter gesagt habe, es heiße Gott versuchen, wenn man, wie es derselbe verlangte, den Löwen reize und mit Gewalt heraustreibe, so habe der Ritter endlich, obzwar sehr ungern und durchaus gegen seinen Wunsch, verstattet, die Tür wieder zu schließen.

»Was deucht dich hiervon, Sancho?« sagte Don Quijote. »Gibt es Zauberkünste, die gegen die wahre Tapferkeit aufkommen können? Die Zauberer können mir wohl das Glück rauben, aber die Kühnheit und den Mut – das ist unmöglich.«

Sancho gab die Taler her, der Kärrner spannte an, der Löwenwärter küßte Don Quijote die Hand für die empfangene Gnade und versprach ihm, diese heldenhafte Tat dem Könige selbst zu erzählen, sobald er in der Residenz sein würde.

»Wenn dann Seine Majestät fragen sollte, wer sie getan, so sagt ihm: der Löwenritter; denn von Stund an will ich, daß hinfüro mein bisheriger Name Ritter von der traurigen Gestalt sich in diesen Namen verwandle, umwechsle, verändere und umgestalte; und hierin folge ich dem alten Brauch der fahrenden Ritter, die ihre Namen veränderten, wann es sie gelüstete oder wann es ihnen zupaß kam.«

Der Karren fuhr seines Weges weiter, und Don Quijote, Sancho und der Grünmantel setzten den ihrigen fort. Während dieser ganzen Zeit hatte Don Diego de Miranda kein Wort gesprochen, da er völlig damit beschäftigt war, Don Quijotes Taten und Worte zu beobachten und zu verfolgen, und er hielt ihn für einen gescheiten Kopf, der ein Narr sei, und für einen Narren, der vieles vom gescheiten Kopf an sich habe. Der erste Teil von Don Quijotes Geschichte war noch nicht zu seiner Kenntnis gekommen; denn wenn er ihn gelesen hätte, so hätte er sich nicht mehr über des Ritters Taten und Worte gewundert, da er alsdann schon gewußt hätte, welcher Art seine Verrücktheit sei. Allein da er sie nicht kannte, so hielt er ihn bald für verrückt und bald für gescheit; denn was der Ritter sprach, war vernünftig und gut ausgedrückt, und was er tat, ungereimt, tollkühn und albern. Und so sprach der Junker für sich: Welch größere Verrücktheit kann es geben, als den Helm voll Rahmkäse aufzusetzen und sich einzubilden, daß die Zauberer ihm das Hirn erweicht haben? Und welch größere Verwegenheit und Verkehrtheit, als mit aller Gewalt gegen Löwen kämpfen zu wollen?

Aus diesen Betrachtungen und diesem Selbstgespräch riß ihn Don Quijote, indem er zu ihm sprach: »Wer kann zweifeln, Señor Don Diego de Miranda, daß Ihr mich für einen unsinnigen, verrückten Menschen haltet? Auch wär es nicht verwunderlich, wenn dem so wäre; denn meine Taten lassen auf nichts anderes schließen. Wohl denn, trotz alledem will ich Euch zeigen, daß ich weder so verrückt noch so geisteskrank bin, wie ich Euch gewiß vorgekommen bin. Schön steht es einem stattlichen Ritter an, wenn er vor seines Königs Augen, mitten auf öffentlichem Platze, einem wilden Stier mit glücklichem Erfolg einen Speeresstoß versetzt; schön steht es einem Ritter an, wenn er, mit schimmernder Wehr bewehrt, in fröhlichem Turnier vor den Frauen den Kampfplan durchstürmt; schön ist es, wenn all jene Ritter mit kriegerischen Übungen oder solchen, die kriegerisch aussehen, dem Hof ihres Fürsten Unterhaltung, Ergötzen und, wenn man dies sagen darf, Ehre verleihen. Aber über all diesem, weit schöner ist es, wenn ein fahrender Ritter über Wüsteneien, über Einöden und Kreuzwege hin, durch wilde Forsten und Bergwälder hindurch auf die Suche geht nach gefahrdrohenden Abenteuern, mit dem Vorhaben, sie zu glücklichem und wohlgelungenem Ziele zu führen, lediglich um strahlenden unvergänglichen Ruhm zu erringen. Schöner ist es, sag ich, wenn ein fahrender Ritter irgendwo in einer verlassenen Öde einer Witwe zu Hilfe eilt, als wenn in den großen Städten ein Ritter vom Hofe ein Fräulein mit Liebesworten umwirbt. Ein jeglicher Ritter hat seinen besonderen Beruf; der am Hofe lebt, möge den Frauen dienen, mit der Pracht seines Gefolges dem Hof seines Königs größern Glanz verleihen, ärmere Ritter mit den prunkenden Schüsseln seiner Tafel nähren, Kampfspiele veranstalten, Turniere abhalten, sich groß, freigebig und prachtliebend, vor allem aber sich als guter Christ zeigen, und durch solch Gebaren wird er seine vorgeschriebenen Obliegenheiten gebührend erfüllen. Jedoch der fahrende Ritter soll die dunkeln Winkel in der weiten Welt aufsuchen, in die verworrensten Labyrinthe dringen, bei jedem Schritt das Unmögliche versuchen, auf einsamer Heide die glühenden Strahlen der Sonne männlich aushalten inmitten des Sommers und im Winter die rauhe Strenge der Stürme und der eisigen Kälte; ihn sollen Löwen nicht schrecken, Ungetüme nicht mit Entsetzen schlagen, Drachen nicht in Furcht jagen, denn jene aufspüren, diese angreifen und sie alle überwinden, das ist sein hauptsächlicher und wahrer Beruf. Ich nun, da es mir zuteil ward, einer aus der Zahl der fahrenden Ritterschaft zu sein, ich kann nicht umhin, alles und jedes in die Hand zu nehmen, was meines Erachtens in den Bereich meines Ritteramtes fällt; mithin: die Löwen anzugreifen, das lag von Rechts wegen mir ob, wiewohl ich einsah, es sei eine übermäßige Verwegenheit. Denn wohl weiß ich, was Tapferkeit ist, eine Tugend, die mitteninne steht zwischen zwei äußersten Lastern, nämlich Feigheit und Tollkühnheit, und jedenfalls ist es das mindere Übel, wenn der Tapfere die Grenzlinie der Tollkühnheit streift und zu ihr emporsteigt, als wenn er bis zur Grenzlinie der Feigheit streift und herabsinkt. So wie der Verschwender leichter freigebig ist als der Geizhals, so geschieht es auch leichter, daß der Tollkühne sich wie ein wahrhaft Tapferer benimmt, als daß der Feigling sich zur wahren Tapferkeit erhebt. Und wenn es darauf ankommt, Abenteuer zu bestehen, so glaubt mir, Señor Don Diego, daß man das Spiel leichter verliert, wenn man des Guten zuviel, als wenn man zuwenig tut; denn es klingt besser in den Ohren, wenn einer hört: jener Ritter ist verwegen und tollkühn, als wenn er hört: jener Ritter ist feige und ängstlich.«

»Ich erkläre, Señor Don Quijote«, gab ihm Don Diego zur Antwort, »daß alles, was Euer Gnaden getan und gesagt hat, auf der Waage der Vernunft so abgewogen ist, daß das Zünglein mitteninne und die Schalen gleichstehen; und meine Meinung ist, wenn die Ordnungen und Gesetze des fahrenden Rittertums sich verlören, so würden sie sich in Euerm Busen als in ihrem natürlichen Verwahrungsort und Archiv wiederfinden. Jetzt aber sputen wir uns, denn es wird spät; wir wollen nach meinem Dorf und Hause, wo Euer Gnaden von der überstandenen Mühsal ausruhen wird, die, wenn nicht eine Mühsal des Körpers, so doch eine solche des Geistes war, welche zuweilen in eine Ermattung des Körpers übergeht.«

»Ich weiß dies Anerbieten als sonderliche Gunst und Gnade zu schätzen, Señor Don Diego«, entgegnete Don Quijote.

Sie spornten nun ihre Tiere schärfer als bisher, und es mochte etwa zwei Uhr nachmittags sein, als sie im Dorf und im Hause Don Diegos anlangten, den Don Quijote den Ritter vom grünen Mantel nannte.

10. Kapitel


Worin Sanchos List erzählt wird, deren er sich bediente, um das Fräulein Dulcinea zu verzaubern. Auch von andern Begebnissen, sämtlich ebenso kurzweilig wie wahrhaft

Indem der Verfasser dieser großen Geschichte zur Erzählung dessen gelangt, was er in diesem Kapitel erzählt, sagt er, er möchte es gern mit Stillschweigen übergehen aus Besorgnis, keinen Glauben zu finden, weil Don Quijotes große Narreteien hier den Gipfel und Grenzpunkt der größten erreichen, die zu erdenken sind, ja noch ein paar Flintenschußweiten über die größten hinausgehen. Am Ende aber, ungeachtet dieser Besorgnis und Furcht, hat er sie doch niedergeschrieben, und zwar geradeso, wie der Ritter sie vollführte, ohne der Geschichte auch nur ein Stäubchen Wahrheit zuzufügen oder wegzutun und ohne sich im geringsten um den Vorwurf vermeintlicher Lügenhaftigkeit zu kümmern, den man gegen ihn erheben könnte. Und er hatte recht; denn die Wahrheit bleibt immer die Wahrheit, und sie erhält sich immer über der Lüge wie Öl über dem Wasser. Und sonach fährt er mit seiner Geschichte fort und erzählt, daß Don Quijote, da er sich in dem Wäldchen, Eichenhain oder Gebüsch nahe bei dem großen Toboso versteckte, seinem Knappen gebot, nach der Stadt zurückzukehren und nicht wieder vor seinem Angesicht zu erscheinen, ohne vorher in seinem Namen mit seiner Gebieterin gesprochen und sie gebeten zu haben, sie möchte gelieben, ihrem in Liebe gefangenen Ritter ihren Anblick zu vergönnen, und geruhen, ihm ihren Segen zu spenden, damit er durch sie die Hoffnung herrlichsten Erfolges erlange bei all seinen Wagnissen und schwierigen Abenteuern. Sancho nahm es auf sich, so zu tun, wie ihm befohlen, und ihm einen ebenso guten Bescheid zu bringen, wie er ihm das erstemal gebracht.

»Geh, mein Sohn«, versetzte Don Quijote, »und gerate nicht in Bestürzung, wenn du vor dem Glanze der Schönheitssonne stehst, die du nunmehr aufsuchen sollst. Du Glücklicher vor allen Schildknappen auf Erden! Halte fest im Gedächtnis und laß es nicht daraus schwinden, wie sie dich empfängt; ob sie die Farbe wechselt, während du dastehst, ihr meine Botschaft auszurichten; ob sie Ruhe und Fassung verliert, wenn sie meinen Namen hört; ob sie es auf ihrem Polsterkissen nicht aushalten kann, falls du sie auf dem reichen Prunksitze ihres hohen Ranges sitzend findest; wenn aber sie dich stehend empfängt, so beobachte sie, ob sie sich bald auf den einen, bald auf den andern Fuß stellt; ob sie den Bescheid, den sie dir erteilt, zwei- oder dreimal wiederholt; ob sie ihn aus einem milden in einen rauhen, aus einem herben in einen liebreichen umändert; ob sie mit der Hand ans Haupthaar greift, um es zu ordnen, auch wenn es nicht in Unordnung ist. Kurz, mein Sohn, beobachte all ihre Handlungen und Bewegungen, denn wenn du sie mir so berichtest, wie sie waren, kann ich entnehmen, was alles sie bezüglich meiner Minne im geheimen Schrein ihres Herzens verschlossen hält. Du mußt nämlich wissen, Sancho, wenn du es noch nicht weißt: bei den Verliebten sind die äußeren Bewegungen und Handlungen, die sie sehen lassen, wenn von ihrer Liebe die Rede ist, die sichersten Boten, welche die Kunde dessen bringen, was dort im Innersten des Gemütes vorgeht. Geh, Freund, und es geleite dich ein anderes, ein besseres Glück als das meine, und es führe dich ein anderer, ein besserer Erfolg hierher zurück, als den ich fürchte und erharre in dieser bittern Einsamkeit, in der du mich verlassest.«

»Sofort geh ich und komm ich wieder«, erwiderte Sancho, »und macht nur, Herre mein, daß Euer Herzchen weiter wird: Ihr müßt jetzt ein so enges und kleines haben wie eine Haselnuß. Und bedenkt auch, wie man gemeiniglich sagt: Frischer Mut macht alles Böse gut, und wo’s an Speckseiten fehlt, da fehlt’s auch zum Aufhangen von Stangen; es heißt auch: Wo man’s am wenigsten denkt, springt der Hase aus dem Korn. Damit will ich sagen, wenn wir diese Nacht nicht unsers Fräuleins Königsburg oder Palast gefunden haben, so denke ich’s jetzt, wo es Tag ist, zu finden, wenn ich’s am wenigsten denke, und ist es gefunden, so soll man mich nur mit ihr fertigwerden lassen.«

»Ganz gewiß«, sprach Don Quijote, »die Sprichwörter, die du beibringst, passen so auf die Gegenstände unserer Besprechung und glücken dir so, daß ich mir wahrlich besseres Glück von Gott erbitte für die Gegenstände meiner Sehnsucht.«

Nach diesen Worten seines Herrn wendete Sancho den Rücken und trieb seinen Esel mit dem Stecken an, Don Quijote aber blieb zu Pferde zurück, in den Bügeln ruhend und auf seinen Speer gelehnt, voll trüber und wirrer Gedanken. Darin wollen wir ihn denn lassen und wollen Sancho Pansa begleiten, der nicht minder verwirrt und nachdenklich von seinem Herrn schied, als dieser dort zurückblieb. Er befand sich in solcher Stimmung, daß er, als er den Kopf drehte und bemerkte, daß Don Quijote nicht mehr zu sehen war, sofort von seinem Tier abstieg, sich am Fuß eines Baumes niedersetzte und anfing, folgendermaßen mit sich zu Rate zu gehen: Laßt uns jetzt einmal hören, lieber Sancho, wo Euer Gnaden hin will. Geht Ihr aus, einen Esel zu suchen, der Euch etwa verlorengegangen? – Nein, sicherlich nicht. – Nun, was wollt Ihr denn suchen gehen? – Ich geh und suche, als ob das so gar nichts wäre, eine Prinzessin und in ihr die Sonne der Schönheit und den ganzen Himmel zusammen. – Und wo gedenkt Ihr zu finden, was Ihr da sagt? – Wo? In der großen Stadt Toboso. – Gut; aber in wessen Auftrag geht Ihr sie suchen? – Im Auftrag des ruhmreichen Ritters Don Quijote, der alle Unbilden abtut und dem Hungernden zu essen und dem Dürstenden zu trinken gibt. – Alles gut und schön. Wißt Ihr aber auch ihre Wohnung, Sancho? – Mein Herr sagt, das müsse ein königlicher Palast oder eine stolze Königsburg sein. – Und habt Ihr die Dame vielleicht irgendeinmal gesehen? – Weder mein Herr noch ich haben sie jemals gesehen. – Und meint Ihr, es wäre klug und wohlgetan, wenn die Leute zu Toboso erführen, daß Ihr Euch hier in der Absicht befindet, ihnen ihre Prinzessinnen abspenstig und ihre Damen rebellisch zu machen, damit sie dann kämen und Euch mit Prügeln die Rippen einschlügen und Euch keinen Knochen im Leibe ganz ließen? – Allerdings hätten sie da ganz recht, wenn sie nicht etwa in Betracht zögen, daß ich nur als Abgesandter komme; denn

Nur als Bote kommt Ihr, Guter,
Euch trifft kein Verschulden, nein.

– Verlaßt Euch nicht darauf, Sancho, denn die Leute aus der Mancha geraten ebenso leicht in Harnisch, wie sie auf ihre Ehre halten, und lassen sich von keinem auf der Nase tanzen. So wahr Gott lebt, wenn sie Euch wittern, versprech ich Euch, es geht Euch schlecht. – Bleib mir vom Leib, schlechter Kerl! Blitz, schlag anderswo ein! Ei gewiß, ich werde mich ohne Not in des Teufels Küche begeben, fremdem Gelüste zuliebe! Zudem, die Dulcinea in Toboso zu suchen ist geradeso, als wollte ich nach Jungfer Mariechen in Ravenna und nach dem Herrn Doktor in Salamanca fragen. Der Teufel, ja der Teufel hat mich in die Geschichte gebracht, und sonst keiner.

Dieses Selbstgespräch hielt Sancho mit sich, und die Lehre, die er daraus zog, sprach er jetzt in folgenden Worten aus: Nun gut, für alles und jedes gibt es eine Hilfe, nur für den Tod nicht, unter dessen Joch wir alle hindurchmüssen, so ungern wir’s tun, wenn unser Leben zu Ende geht. Dieser mein Herr, das hab ich an tausend Zeichen ersehen, ist ein Narr zum Anbinden, aber auch ich stehe nicht viel hinter ihm zurück, denn da ich ihn begleite und geleite, bin ich noch verrückter als er, wenn das Sprichwort recht hat, das da lautet: Sag mir, mit wem du umgehst, so sag ich dir, wer du bist, oder wie das andere sagt: Frag nicht, wo seine Wiege steht, sondern mit wem er zur Atzung geht. Wenn mein Herr also ein Narr ist, wie er es wirklich ist, und eine Art Narrheit hat, die meistenteils ein Ding fürs andere nimmt und weiß für schwarz und schwarz für weiß hält wie damals, als er die Windmühlen für Riesen ausgab und die Maultiere der geistlichen Herren für Dromedare und die Schafherden für feindliche Heere und noch viel andere Dinge nach derselben Melodie, so wird es auch nicht schwerfallen, ihm weiszumachen, daß eine Bäuerin, die erste beste, die mir hierherum in den Wurf kommt, das Fräulein Dulcinea ist. Und wenn er’s nicht glaubt, so beschwör ich’s, und schwört er dagegen, so schwör ich noch einmal, und wenn er hartnäckig auf seinem Kopfe bleibt, so bleib ich noch hartnäckiger auf meinem, so daß mein Bolzen immer aufs Ziel trifft, es mag gehen, wie es will. Vielleicht, daß ich es gerade mit dieser meiner Hartnäckigkeit bei ihm dahin bringe, daß er mich nicht abermals auf dergleichen Botengängereien ausschickt, wenn er sieht, wie übel ich sie ausrichte; oder vielleicht glaubt er, wie ich mir die Sache vorstelle, daß ein böser Zauberer, einer von denen, die ihm feind sind, wie er zu sagen pflegt, ihre Gestalt verwandelt hat, um ihm Leid und Schaden zuzufügen.

Mit diesem Plan beruhigte sich Sancho in seinem Gemüte und hielt seine Aufgabe für wohl gelöst. Er verweilte nun dort bis zum Nachmittag, damit er Don Quijote so viel Zeit lasse, um annehmen zu können, er habe so viel Zeit gehabt, um nach Toboso hin- und zurückzuwandern; und es geriet ihm alles so gut, daß er, als er aufstand, um seinen Grauen zu besteigen, von Toboso her drei Bäuerinnen auf seinen Standort zukommen sah. Sie ritten auf drei Eseln oder Eselinnen, denn der Verfasser äußert sich darüber nicht bestimmt; doch kann man eher des Glaubens sein, daß es Eselinnen waren, da diese gewöhnlich von den Dorfbewohnerinnen zum Reiten benutzt werden. Allein da hierauf nicht viel ankommt, so brauchen wir uns mit der Richtigstellung dieses Punktes nicht aufzuhalten. Kurz, sobald Sancho die Bäuerinnen erblickte, ritt er in raschem Trab zurück, um seinen Herrn Don Quijote zu suchen, und fand ihn seufzend und zahllose Liebesklagen ausstoßend. Als Don Quijote ihn gewahrte, fragte er ihn: »Was gibt es, Freund Sancho? Soll ich diesen Tag mit weißer oder mit schwarzer Farbe anschreiben?«

Sancho antwortete: »Besser, Euer Gnaden schreibt ihn mit roter an, wie das Verzeichnis der neuen Doktoren am Schwarzen Brett, damit, wer es ansieht, es recht deutlich sehen kann.«

»Demnach«, versetzte Don Quijote, »bringst du gute Zeitung.«

»So gute«, entgegnete Sancho, »daß Euer Gnaden weiter nichts zu tun hat, als Rosinante zu spornen und hinaus ins freie Feld zu reiten, um das Fräulein Dulcinea von Toboso zu erschauen, die mit zwei anderen Fräulein, ihren Hofdamen, kommt, um Euer Gnaden aufzusuchen.«

»Heiliger Gott! Was sagst du, teurer Sancho?« rief Don Quijote. »Hüte dich, mich anzuführen und meinen wahren Schmerz mit falscher Freude aufzuheitern!«

»Was hätte ich davon, wenn ich Euer Gnaden anführen würde?« entgegnete Sancho, »zumal da Ihr ja doch im nächsten Augenblick die Wahrheit meiner Worte finden müßt? Setzt die Sporen ein, Señor, und kommt nur, und Ihr werdet die Prinzessin, unsere Herrin, kommen sehen, angezogen! und geschmückt! kurz, wie es ihrem Stande zukommt. Ihre Fräulein und sie, sie sind ein wahres Glutmeer von Gold, jede ist ein ganzer Perlenbüschel, jede ist lauter Demanten, lauter Rubinen, lauter Brokat mit einem Dutzend Lagen von Seiden- und Goldstickereien übereinander, die Haare hangen den Rücken herunter und sind wahre Sonnenstrahlen, die mit den Lüften spielen. Und was mehr als alles, sie reiten auf drei scheckigen Zelten. Schöneres ist in der Welt nicht zu ersehen.«

»Auf Zeltern willst du wohl sagen, Sancho.«

»Wenig Unterschied ist das«, entgegnete Sancho. »Aber sie mögen reiten, worauf immer sie reiten mögen, sie zeigen sich als die stattlichsten Fräulein, die man nur wünschen kann, besonders die Prinzessin Dulcinea, meine Gebieterin, daß einem die Sinne verzückt werden.«

»Vorwärts denn, Sancho, mein Sohn«, antwortete Don Quijote, »und zum Botenlohn für diese ebenso unverhoffte als gute Zeitung bestimme ich das beste Beutestück, so ich in meinem allernächsten Abenteuer gewinnen werde; und wenn dir das nicht genug ist, bestimme ich dir die Fohlen, die mir dies Jahr meine drei Stuten werfen werden, die, wie du weißt, auf unserer Gemeindewiese trächtig gehen.«

»Da halt ich mich an die Fohlen«, versetzte Sancho, »denn daß die Beutestücke aus Eurem ersten Abenteuer gut sein werden, ist nicht ganz sicher.«

Indem kamen sie schon aus dem Walde und erblickten die drei Bäuerinnen in der Nähe. Don Quijote ließ seine Blicke über den ganzen Weg nach Toboso hinschweifen, und da er niemanden weiter als die drei Bäuerinnen sah, geriet er in volle Bestürzung und fragte Sancho, ob er die Damen vor der Stadt verlassen habe.

»Wie denn vor der Stadt?« antwortete Sancho; »hat Euer Gnaden vielleicht die Augen hinten im Kopf, daß Ihr nicht seht, daß es die sind, die hier kommen, strahlend wie die Sonne am Mittag?«

»Ich sehe nichts«, sprach Don Quijote, »als drei Bäuerinnen auf drei Eseln.«

»Nun, so soll mich Gott vor dem Bösen behüten!« entgegnete Sancho; »ist es möglich, daß drei Zelter, oder wie die Dinger heißen, weiß wie der gefallene Schnee, Euer Gnaden als Esel vorkommen? So wahr Gott lebt, ich will mir den Bart ausreißen, wenn das wahr ist.«

»Ich aber sage dir, Freund Sancho«, versetzte Don Quijote, »so wahr sind es Esel oder Eselinnen, so wahr ich Don Quijote bin und du Sancho Pansa. Wenigstens kommen sie mir so vor.«

»Schweigt, Señor«, sprach Sancho, »sagt so was nicht, sondern putzt Euch die Augen aus und kommt und macht Eure Verbeugung vor der Herrin Eurer Gedanken, denn sie kommt schon ganz nahe.«

Mit diesen Worten ritt er voran, um die drei Bäuerinnen zu empfangen; er stieg von seinem Grautier, ergriff den Esel einer der drei Bäuerinnen am Halfter, fiel vor ihr auf beide Knie nieder und sprach: »Königin und Prinzessin und Herzogin der Schönheit, geruhe Euer Hochmütigkeit und Fürnehmigkeit in Gnade und Großgünstigkeit diesen Euern Sklaven anzunehmen, diesen Ritter, der hier zu Marmor versteinert dasteht, ganz verwirrt und ohne Pulsschlag darob, daß er sich vor Hochdero erhabener Gestaltung sieht. Ich bin sein Schildknappe Sancho Pansa, und er ist der weit und breit umirrende Ritter Don Quijote von der Mancha, auch mit anderem Namen geheißen der Ritter von der traurigen Gestalt.«

Jetzt hatte sich auch Don Quijote neben Sancho Pansa auf die Knie geworfen und schaute mit weit vortretenden Augen und wirrem Blick die an, welche Sancho Pansa als Königin und Herrin angeredet hatte, und da er nichts an ihr gewahr wurde als eine Dirne aus dem Dorf und dazu mit keineswegs hübschen Zügen, denn sie hatte ein kugelrundes Gesicht und eine Plattnase, so war er in Zweifeln und Staunen befangen und wagte nicht, die Lippen zu öffnen. Auch die Bäuerinnen waren hocherstaunt, als sie sahen, wie diese zwei Männer, so verschieden voneinander, auf den Knien lagen und ihre Gefährtin nicht von der Stelle ließen; diese aber brach das Schweigen und sagte höchst unfreundlich und ärgerlich: »Macht euch in Kuckucks Namen aus dem Weg und laßt uns weiter, wir haben Eil!«

Darauf entgegnete Sancho: »O Prinzessin und allumfassende Herrin von Toboso, wie mag Euer großgünstiges Herz sich nicht erweichen, wenn Ihr schauet, wie da niederkniet vor Eurem hocherhabenen Angesicht die Säule und Stütze des fahrenden Rittertums.«

Eine von den zwei andern hörte dies und sprach: »Prr! oder ich gerbe dir das Fell, willst du nicht fort, langohriger Gesell! Seh einer an, wie jetzt die Herrchen kommen und sich über die Mädchen vom Dorf lustig machen, als würden wir uns nicht so gut wie sie auf Sticheleien verstehen. Schert euch eurer Wege und laßt uns unserer Wege ungeschoren, oder es soll euch gereuen!«

»Erhebe dich, Sancho«, sprach hier Don Quijote; »wohl seh ich allbereits, daß das Schicksal, meines Leids noch nicht ersättigt, mir alle Straßen verlegt hat, wo dem armen trüben Herzen, das ich in diesem Busen trage, irgendeine Freude kommen kann. Und du, höchster Ausdruck aller Vortrefflichkeit, die sich nur erwünschen läßt, Inbegriff aller irdischen Liebenswürdigkeit, einziges Labsal dieses schwergeprüften Herzens, das dich anbetet! Sintemalen der boshafte Zauberer, der mich verfolget und mir einen Nebelflor und grauen Star auf die Augen gelegt und nur für meine und nicht für andrer Augen deine Schönheit sondergleichen und dein holdes Angesicht in das einer armseligen Bäuerin verwandelt und umgeschaffen hat – wenn er nicht auch das meinige umgeändert hat in das eines Ungetüms, damit es in deinen Augen verabscheuungswert erscheine –: oh, so verschmähe es nicht, mich mild und liebevoll anzuschauen, nachdem du in dieser Unterwürfigkeit und meinem Kniefall vor deiner jetzt so verunstalteten Schönheit die Demut erkennst, mit der meine Seele dich anbetet.«

»Sieh da! Erzähl das meinem Großvater!« gab die Bäuerin zur Antwort. »Wahrhaftig, das wäre mir recht, so verliebte Schnurren und nichts dahinter! Macht Platz und laßt uns weiter, so wollen wir’s euch danken.«

Sancho machte Platz und ließ sie weiter, seelenvergnügt, daß ihm sein listiger Anschlag so wohl geglückt war. Kaum sah sich die Bauerndirne, die die Rolle Dulcineas gespielt hatte, frei, als sie ihren »Zelter« mit dem Stachel, den sie an einem Stecken hatte, antrieb und in größter Hast fort über die Wiese trabte; da aber die Eselin die Spitze des Steckens spürte, der ihr mehr als gewöhnlich zusetzte, fing sie an, auszuschlagen und Sätze zu machen, so daß sie das Fräulein Dulcinea zu Boden schleuderte. Als Don Quijote das sah, eilte er herbei, um ihr aufzuhelfen; und so auch Sancho, um den Sattel, der der Eselin unter den Bauch gerutscht war, zurechtzulegen und fester zu gürten. Als der Sattel wieder in Ordnung war und Don Quijote sein verzaubertes Fräulein in seinen Armen auf das Tier heben wollte, da überhob sie ihn dieser Mühe, trat etwas zurück, nahm einen kurzen Anlauf, legte der Eselin beide Hände auf die Kruppe, schwang ihren Körper, der leichter als ein Falke schien, in den Sattel und blieb darauf rittlings sitzen, als ob sie ein Mann wäre.

Da sagte Sancho: »So wahr ich lebe, unsere Prinzessin Gebieterin ist leichter als ein Jagdfalke und kann dem besten Reiter aus Córdoba oder Mexiko Unterricht geben, wie man in den Sattel springt. Mit einem Satz ist sie über den hinteren Sattelbogen gesprungen, und ohne Sporen treibt sie den Zelter wie ein Zebra zu eiligem Lauf, und ihre Kammerfräulein bleiben nicht hinter ihr zurück, denn sie eilen alle wie der Wind.«

Und so war es in der Tat; denn sobald sie Dulcinea im Sattel sahen, sprengten alle beide hinter ihr her und galoppierten auf und davon und wendeten den Kopf nicht um, bis sie über eine halbe Meile weit entfernt waren. Don Quijote folgte ihnen mit den Augen, und als sie nicht mehr zu sehen waren, wendete er sich zu Sancho und sprach zu ihm: »Sancho, was bedünket dich, wie verhaßt ich den Zauberern bin? Und sieh, wie weit sich ihre Bosheit erstreckt und die Feindseligkeit, die sie gegen mich hegen, da sie mich der Freude berauben wollten, die es mir bereitet hätte, meine Gebieterin in ihrer wahren Wesenheit zu erschauen. In der Tat, ich bin geboren, um das Vorbild aller vom Glück Verlassenen zu sein, Zielpunkt und Schießscheibe für alle Pfeile des Mißgeschicks. Auch mußt du wohl beachten, daß jene tückischen Schurken sich nicht daran genügen ließen, meine Dulcinea zu verwandeln und umzugestalten, sondern sie haben sie verwandelt und umgewandelt in ein so gemeines und häßliches Geschöpf wie jene Bauernmagd, und zugleich entzogen sie ihr, was so sehr das Wesentliche bei vornehmen Damen ist: das ist nämlich der Wohlgeruch, weil sie sich ja immer unter Ambra und Blumen bewegen. Denn ich tue dir zu wissen, Sancho, als ich herzueilte, um Dulcinea auf ihren Zelter zu heben – wie du es benennest, denn mir erschien es als eine Eselin –, da befiel mich ein Duft von rohem Knoblauch, der mir das Innerste verpestet und vergiftet hat.«

»Ha, ihr Lumpengesindel!« schrie hier Sancho, »ha, ihr unseligen, mißgünstigen Zauberer! Wer euch doch alle in einer Reihe hängen sähe, die Schnur durch die Kiemen gezogen wie Sardellen an der Gerte! Ihr wißt viel, ihr vermögt viel, und ihr tut noch weit mehr. Es müßte euch doch genug sein, ihr Schufte, daß ihr unsrem Fräulein die Perlen ihrer Augen in Galläpfel von Korkeichen verwandelt habt und Haar vom feinsten Gold in Borsten vom roten Farrenschwanz, kurz alle ihre Schönheiten in Häßlichkeiten, und mußtet sie auch noch an ihrem Geruch schädigen? Denn aus diesem wenigstens hätten wir entnehmen können, was unter der häßlichen Rinde verborgen war. Indessen, die Wahrheit zu sagen, ihre Häßlichkeit hab ich nie gesehen, sondern nur ihre Schönheit, die ums Zehnfache erhöht wurde durch ein Muttermal, das sie über der rechten Lippe hatte, nach Art eines Schnurrbarts, mit sieben oder acht blonden Haaren wie Goldfäden und über eine Spanne lang.«

»Nach diesem Mal zu schließen«, sagte Don Quijote, »da die Muttermale im Gesicht denen am Körper entsprechen, muß Dulcinea noch ein solches an der Vorderseite desjenigen Schenkels haben, welcher der Seite entspricht, wo sie das Mal im Gesichte hat; aber für Muttermale sind die Haare von der Größe, die du angibst, doch allzu lang.«

»Aber ich kann Euer Gnaden versichern«, warf Sancho ein, »daß sie an jener Stelle aussahen, als wäre das Fräulein damit auf die Welt gekommen.«

»Ich glaube es, Lieber«, versetzte Don Quijote, »denn die Natur hat nichts an Dulcinea geformt, das nicht vollkommen und durchaus vollendet wäre; und mithin, wenn sie hundert solcher Male hätte, wie du erwähnst, so wären sie an ihr nicht Muttermale, sondern Siegesmale und strahlende Sternbilder. Aber sage mir, der Sattel, den du ihr wieder festgeschnallt hast und der mir als ein Eselssattel erschien, war es ein gewöhnlicher Frauensattel oder einer mit Rückenlehne?«

»Es war nichts andres«, antwortete Sancho, »als ein Sattel mit kurzgeschnallten Bügeln, mit einer Schabracke, die ein halbes Königreich wert ist, so prachtvoll ist sie.«

»Und daß ich alles das nicht gesehen haben soll, Sancho!« klagte Don Quijote. »Jetzt sage ich wiederum und werde es tausendmal sagen: ich bin der unglücklichste unter allen Menschen.«

Der Schelm von Sancho hatte viel Mühe, das Lachen zu verbeißen, als er die Narreteien seines so köstlich angeführten Herrn zu hören bekam. Endlich, nachdem sie noch viele Worte miteinander gewechselt, bestiegen sie ihre Tiere wieder und verfolgten die Straße nach Zaragoza, wo sie zeitig genug einzutreffen gedachten, um an den herrlichen Festlichkeiten teilzunehmen, die in dieser erlauchten Stadt alljährlich abgehalten werden. Aber ehe sie dahin gelangten, erlebten sie so vieles, so Großes und Neues, daß es verdient, niedergeschrieben und gelesen zu werden, wie man im folgenden ersehen wird.

11. Kapitel


Von dem seltsamen Abenteuer, das dem mannhaften Don Quijote mit dem Wagen oder Karren begegnete, worauf des Todes Reichstag über Land fuhr

Überaus nachdenklich zog Don Quijote seines Weges weiter, in ernstem Sinnen über den schlechten Spaß, den die Zauberer sich mit ihm erlaubt, indem sie seine Herrin Dulcinea in die ekle Gestalt der Bauerndirne verwandelten; und er konnte kein Mittel ersinnen, um sie in ihr ursprüngliches Ich zurückzuversetzen. Diese Gedanken brachten ihn so außer sich, daß er, ohne es zu merken, Rosinante die Zügel schießen ließ, und der Gaul, der die ihm vergönnte Freiheit gleich spürte, hielt nun bei jedem Schritt an, um das grüne Gras abzuweiden, das auf diesen Gefilden im Überfluß wuchs.

Aus diesem Hinbrüten weckte ihn Sancho Pansa, indem er sagte: »Señor, Traurigkeit ist nicht für die Tiere da, sondern für die Menschen; wenn aber die Menschen ihr im Übermaß nachhängen, so werden sie zu Tieren. Sonach haltet an Euch und kommt wieder zu Euch und nehmt Rosinantes Zügel in die Hand und lebt wieder auf und werdet wach und zeigt jene freudige Tapferkeit, welche fahrenden Rittern geziemt. Was zum Teufel ist dies? Was für eine Niedergeschlagenheit ist dies? Sind wir hier oder in Frankreich? Lieber soll der Satanas alle Dulcineas holen, die es auf Erden gibt! Denn weit mehr ist die Wohlfahrt eines einzigen fahrenden Ritters wert als alle Verzauberungen und Verwandlungen in der ganzen Welt.«

»Schweig, Sancho«, entgegnete Don Quijote mit einer nicht gerade schwachen Stimme; »schweig, sag ich, und sprich keine Lästerungen gegen dies verzauberte Fräulein, denn an ihrem Unglück und Mißgeschick trage ich allein die Schuld. Aus dem Neide der Bösen gegen mich ist das Böse entsprungen, das sie betroffen hat.«

»So sag ich auch«, versetzte Sancho, »denn: Wer sie gestern sah und kriegt sie heut zu sehen, dem muß das arme Herz im Leib vor Leid vergehen.«

»Das kannst du wohl sagen, Sancho«, sprach Don Quijote, »sintemal du sie in der völligen Unversehrtheit ihrer Reize gesehen hast; denn des Zauberers Macht ging nicht so weit, dir den Blick zu trüben oder dir ihre Schönheit zu verbergen; gegen mich allein und gegen meine Augen zielt die Wirksamkeit seines Giftes. Aber bei alledem, Sancho, hab ich etwas wohl bemerkt, nämlich, daß du mir ihre Schönheit schlecht geschildert hast; denn wenn ich mich recht entsinne, hast du mir von den Perlen ihrer Augen gesprochen, und Augen, die wie Perlen aussehen, sind eher einem Karpfen eigen als einer vornehmen Dame. Aber wie ich glaube, müssen Dulcineas Augen von grünem Smaragd sein, weitgeschlitzt, mit zwei himmlischen Bogen, die ihnen als Brauen dienen; und die Perlen, die nimm den Augen weg und gib sie den Zähnen, denn ohne Zweifel hast du die Worte verwechselt und die Augen für die Zähne genommen.«

»Alles ist möglich«, sagte Sancho darauf, »denn auch mich hat ihre Schönheit ganz wirr gemacht, wie ihre Häßlichkeit Euer Gnaden. Indessen befehlen wir alles das unserm Herrgott, der Wissenschaft aller Dinge hat, die in diesem Jammertal geschehen sollen, in dieser schlechten Welt, die wir nun einmal zur Heimat haben und in welcher kaum etwas zu finden ist, das ohne eine Beigabe von Bosheit, Trug und Schurkerei wäre. Eines aber drückt mich recht schwer, Herre mein, mehr als alles andre: nämlich der Gedanke, wie es anzufangen ist, wenn Euer Gnaden einen Riesen überwindet, oder meinetwegen einen Ritter, und ihm gebietet, er solle gehen und sich dem huldseligen Antlitz Fräulein Dulcineas stellen; wo soll er sie dann finden, der arme Riese oder der arme unselige Ritter, so da überwunden ist? Es kommt mir vor, ich sehe schon, wie sie in Toboso herumlaufen und Maulaffen feilhalten und nach unsrem Fräulein Dulcinea suchen, und wenn sie sie auch mitten auf der Gasse finden sollten, so werden sie sie geradesowenig erkennen wie meinen Vater selig.«

»Vielleicht, Sancho«, gab Don Quijote zur Antwort, »wird die Verzauberung nicht so weit gehen, daß sie Dulcinea den besiegten und sich ihr stellenden Riesen und Rittern unkenntlich macht; und an einem oder zweien von den ersten, die ich besiege und ihr zusende, wollen wir den Versuch machen, ob sie sie sehen oder nicht, indem ich ihnen gebiete, zurückzukommen und mir Bericht darüber zu erstatten, wie es ihnen ergangen ist.«

»Da sag ich, Señor«, versetzte Sancho, »mir scheint sehr gut, was Euer Gnaden gesagt hat, und mittels dieses Kunstgriffs werden wir in Erfahrung bringen, was wir zu wissen wünschen; und wenn es sich so verhält, daß sie nur Euch allein verborgen ist, so ist das Unglück mehr das Eurige als das ihrige zu nennen. Indessen wenn nur Fräulein Dulcinea gesund und vergnügt bleibt, so wollen wir uns damit zufriedengeben und es uns so gut wie möglich ergehen lassen, indem wir auf die uns angemessenen Abenteuer ausgehen und es der Zeit anheimstellen, das Ihrige zu tun, denn sie ist der beste Arzt für dieses wie für jedes Übel.«

Don Quijote wollte Sancho Pansa eine Antwort geben; aber ihn hinderte daran der Umstand, daß ein Wagen quer über die Straße einbog, der mit den mannigfaltigsten und seltsamsten Personen und Gestalten beladen war, die man sich vorstellen kann. Der Mann, der die Maultiere führte und das Amt des Kutschers versah, war ein mißgestalteter Teufel. Der Wagen war offen, so daß der Himmel hineinschien, ohne ein Zelt oder ein Korbgeflecht zum Dache. Die erste Gestalt, die sich Don Quijotes Blicken darbot, war die des Todes in eigner Person, jedoch mit einem Menschengesicht; neben ihm zeigte sich ein Engel mit großen buntbemalten Flügeln; zur Seite befand sich ein Kaiser mit seiner dem Anscheine nach goldenen Krone auf dem Kopfe; dem Tod saß zu Füßen der Gott, den man Kupido nennt, ohne Binde vor den Augen, jedoch mit Bogen, Köcher und Pfeilen. Auch war ein Ritter dabei, von Kopf zu Füßen bewehrt, nur daß er nicht Sturmhaube noch Helm aufhatte, sondern einen rings mit Federn in allen Farben geschmückten Hut. Hinter diesen Personen zeigten sich noch andre, an Tracht und Aussehen verschieden.

Don Quijote

Alles dies, das ihrem Blick so unversehens erschien, machte Don Quijote einigermaßen stutzig und erfüllte Sanchos Herz mit Furcht; aber alsbald erheiterte sich Don Quijotes Gemüt, da er glaubte, es biete sich ihm ein neues, ein gefahrvolles Abenteuer, und in diesem Gedanken und mit willigem Mut, jeder Fährlichkeit entgegenzugehen, sprach er: »Karrenführer, Kutscher oder Teufel, oder was du bist! Sage mir unverzüglich, wer du bist, wohin du ziehest und wer die Leute sind, die du in deinem Karren fährst, denn selbiger sieht eher nach Charons Nachen aus als nach einem jener Wagen, wie sie üblich sind.«

Darauf antwortete mit freundlichem Tone der Teufel, indem er den Wagen anhielt: »Señor, wir sind Schauspieler von der Gesellschaft Angúlos des Bösen; wir haben in einer Ortschaft hinter diesem Hügel heute morgen, da die Oktave des Fronleichnams ist, das geistliche Spiel vom Reichstag des Todes aufgeführt und sollen es heut nachmittag in jener Ortschaft aufführen, die man von hier aus sieht; und weil sie so nahe ist und weil wir die Mühe sparen wollten, uns auszukleiden und wieder anzuziehen, reisen wir in dem Kostüm, in dem wir spielen. Der junge Mann hier spielt den Tod, der andre einen Engel, hier die Frau, welche die des Direktors ist, die Königin; der andre einen Soldaten, jener den Kaiser und ich den Teufel, und ich bin eine der Hauptpersonen in dem geistlichen Spiel, da ich bei dieser Gesellschaft die ersten Rollen spiele. Wünscht Euer Gnaden noch was andres über uns zu erfahren, so fragt mich, und ich werde Euch aufs genauste antworten, denn da ich ein Teufel bin, so ist mir nichts verborgen.«

»Auf fahrenden Ritters Wort«, entgegnete Don Quijote, »als ich diesen Wagen sah, war ich der Meinung, es biete sich mir ein großes Abenteuer; aber jetzt sag ich, man muß die Erscheinungen rasch mit den Händen greifen, um sich vor Täuschung zu bewahren. Geht mit Gott, ihr wackren Leute, haltet euer Fest ab und seht zu, ob ihr mir etwas aufzutragen habt, worin ich euch nützlich sein kann, und ich werde es willfährig und gerne tun; denn von Kindheit auf war ich auf Mummenschanz erpicht, und in meinen Jünglingsjahren verfolgte ich die Komödianten immer mit sehnsüchtigen Augen.«

Während sie sich dergestalt unterhielten, fügte es das Schicksal, daß einer von der Gesellschaft herzutrat, der als Possenreißer angezogen und mit Schellen behangen war und oben an seinem Stock drei aufgeblasene Rindsblasen angebunden trug. Als dieser Narr in Don Quijotes Nähe kam, begann er seinen Stock hin und her zu schwingen, mit den Blasen auf den Boden zu klatschen und unter mächtigen Luftsprüngen seine Schelle erklingen zu lassen. Diese gespenstische Erscheinung setzte Rosinante so in Schrecken, daß er die Stange der Kandare zwischen die Zähne nahm, ohne daß Don Quijote vermochte, ihn zu halten, und mit weit größerer Behendigkeit über das Feld rannte, als man sich von den Knochen dieses Gerippes jemals hätte versprechen können. Sancho erwog, in welcher Gefahr sein Herr sei, abgeworfen zu werden, sprang von seinem Grautier und eilte mit größter Geschwindigkeit ihm zu Hilfe; aber als er hinkam, lag der Ritter schon auf der platten Erde und neben ihm Rosinante, der zugleich mit seinem Herrn zu Boden gestürzt war: das gewöhnliche Ende und Ziel von Rosinantes Ausgelassenheiten und Wagestücken.

Aber kaum hatte Sancho sein treues Tier verlassen, um Don Quijote beizuspringen, da sprang der tanzlustige Teufel mit den Ochsenblasen eiligst auf den Grauen und schlug ihm die Blasen um die Ohren, und die Angst und das Geklatsche, mehr als der Schmerz von den Schlägen, trieben ihn im Flug durchs Gefilde auf das Dorf zu, wohin die Schauspielertruppe zu ihrem Festspiel zog. Sancho schaute auf den gestreckten Galopp seines Esels und den Sturz seines Herrn und wußte nicht, in welcher dieser Nöte er zuerst helfen sollte; aber am Ende vermochte bei ihm als wackerem Schildknappen und als treuem Diener die Liebe zu seinem Herrn mehr als das zärtliche Gefühl für seinen Esel; obschon jedesmal, wenn er die Blasen in die Lüfte schwingen und auf die Kruppe seines Grauen niederfallen sah, es für ihn arge Pein und Todesangst war und er lieber gehabt hätte, die Schläge hätten ihn selbst mitten auf die Augen getroffen als seinen Esel nur auf das kleinste Haar am Schwanze. In dieser Verlegenheit und Trübsal kam er zu seinem Herrn gelaufen, der sich weit übler zugerichtet fand, als ihm lieb war, half ihm auf Rosinante und sagte zu ihm: »Señor, der Teufel hat mein Grautier geholt.«

»Was für ein Teufel?« fragte Don Quijote.

»Der Teufel mit den Ochsenblasen«, antwortete Sancho.

»Dann werd ich ihn dir schon wiederbringen«, versetzte Don Quijote, »wenn er sich auch in den tiefsten und finstersten Kerkerzellen der Hölle verbirgt. Folge mir, Sancho; der Wagen fährt langsam, und mit seinem Maultiergespann werd ich den Verlust des Esels ersetzen.«

»Ihr braucht Euch keine Mühe zu machen, Señor«, entgegnete Sancho; »mäßigt Euern Zorn, denn mir scheint, der Teufel hat den Grauen schon wieder laufen lassen und er kommt schon zum gewohnten Futter zurück.«

Und so war es in der Tat; denn da der Teufel zu Boden gestürzt war, um Don Quijote nachzuahmen, so ging nun auch der Teufel zu Fuße nach dem Dorf, und der Esel kehrte zu seinem Herrn zurück.

»Bei alledem«, sprach Don Quijote, »war es angemessen, für die Grobheit dieses Teufels an einem von den Leuten auf dem Wagen Rache zu nehmen, und wär es auch an dem Kaiser selbst.«

»Schlagt Euch das aus dem Sinn«, entgegnete Sancho, »und nehmt meinen Rat an, und der geht dahin, daß man niemals mit Schauspielern Händel suchen soll; denn das sind Leute, die überall bevorzugt werden. Ich habe Schauspieler gesehen, die wegen zweier Mordtaten gefangensaßen und frei und ohne Kosten davongekommen sind. Euer Gnaden müssen wissen, das sind fröhliche und für das Vergnügen wirkende Leute und werden darum von jedermann begünstigt, beschützt, unterstützt und geschätzt, namentlich wenn sie Mitglieder einer königlichen oder privilegierten Truppe sind, denn die sehen alle oder zum größten Teil in Tracht und Haltung wie Prinzen aus.«

»Und dessen ungeachtet«, sprach Don Quijote dagegen, »soll mir der Schauspieler-Teufel nicht ungestraft davonkommen, und wenn ihn auch das ganze Menschengeschlecht in Schutz nähme.«

Mit diesen Worten wendete er sich nach dem Wagen um, der schon sehr nahe bei dem Dorfe war, und schrie in einem fort und rief: »Haltet an, harret, heitere, fröhliche Schar; ich will euch lehren, wie man Esel und andre Tiere behandeln soll, deren sich die Schildknappen fahrender Ritter zum Reiten bedienen.«

Don Quijote schrie so laut, daß die auf dem Wagen es hörten und verstanden; und da sie aus seinen Worten die Absichten des Sprechers erkannten, sprang im Nu der Tod vom Wagen herab und hinter ihm her der Kaiser, der kutschierende Teufel und der Engel; die Königin und der Gott Kupido blieben auch nicht zurück; und alle hoben Steine auf und stellten sich in eine Reihe und erwarteten Don Quijote, um ihn mit ihren Kieseln zu empfangen. Als Don Quijote sie in so kriegsmutiger Schar aufgestellt sah, die Arme emporgehoben, bereit, ihm die Steine kraftvoll entgegenzuschleudern, da hielt er Rosinante an und überlegte, wie er sie am sichersten angreifen könne. Während er so zögernd hielt, kam Sancho herzu, und als er ihn in einer Haltung sah, um dieses wohlgeordnete Kriegsgeschwader anzugreifen, sprach er zu ihm: »Ei, das wäre doch gar zu verrückt, Euch an derlei Abenteuer zu wagen! Bedenket, Herre mein, gegen solche Prügelsuppen und Kopfnüsse gibt es keine Verteidigungswaffe auf der Welt, als unter eine eherne Glocke unterzuschlüpfen und sich da einzuschließen. Auch ist außerdem noch zu bedenken, daß es eher Tollkühnheit als Tapferkeit ist, wenn ein Mann allein ein ganzes Heer angreift, in welchem sich der Tod befindet und Kaiser in eigner Person kämpfen und welchem gute und böse Engel beistehen. Und wenn Euch diese Erwägung noch nicht bestimmt, Euch ruhig zu verhalten, so tut dies vielleicht die Gewißheit, daß unter all den Leuten dort, wenn sie auch wie Könige, Fürsten und Ritter aussehen, sich kein einziger fahrender Ritter befindet.«

»Jetzt allerdings, Sancho«, versetzte Don Quijote, »hast du den Punkt getroffen, der mich von meinem bereits gefaßten Entschluß abbringen kann und soll. Ich kann und darf, wie ich dir des öftern gesagt habe, gegen keinen das Schwert ziehen, der nicht zum Ritter geschlagen ist. Dich allein geht es an, Sancho, wenn du Rache zu nehmen begehrst ob der Unbill, so deinem Grautier angetan worden; ich aber werde von dieser Stelle aus dir mit Zuruf und heilsamem Rate beistehen.«

»Es ist kein Grund, Señor«, entgegnete Sancho, »an irgend jemandem Rache zu nehmen; denn es ist nicht guter Christen Art, sich für Unbilden zu rächen; zudem will ich es schon mit meinem Esel fertigbringen, daß er seine Kränkung meinem Willen anheimstellt, welcher dahin geht, die übrigen Tage, die mich der Himmel noch leben läßt, in Frieden zu leben.«

»Sintemal solches dein Entschluß ist«, entgegnete Don Quijote, »du braver Sancho, kluger Sancho, christlich denkender Sancho, aufrichtiger Sancho, so lassen wir diese gespenstischen Erscheinungen ihres Weges ziehen und wenden uns wieder zur Suche nach besseren und fürnehmeren Abenteuern; denn ich sehe dieser Gegend an, daß es hier an zahlreichen und sehr wundersamen nicht fehlen kann.«

Sogleich wendete er, Sancho nahm seinen Esel am Halfter, der Tod und sein ganzes fliegendes Freikorps kehrten zu ihrem Wagen zurück und setzten ihre Reise fort.

Ein so glückliches Ende hatte das grausige Abenteuer mit dem Wagen des Todes dank dem heilsamen Rate, den Sancho Pansa seinem Herrn erteilte. Diesem aber begegnete am folgenden Tag mit einem verliebten und fahrenden Ritter ein andres Abenteuer, nicht minder erstaunlich als das vorige.

12. Kapitel


Von dem seltsamlichen Abenteuer, so dem mannhaften Don Quijote mit dem kühnen Spiegelritter begegnete

Die Nacht, welche auf den Tag des Zusammentreffens mit dem Tod folgte, verbrachten Don Quijote und sein Schildknappe unter hohen schattenreichen Bäumen, nachdem Don Quijote auf Sanchos Zureden von dem Vorrat gespeist hatte, den der Esel trug. Während dieses Abendmahls sprach Sancho zu seinem Herrn: »Señor, wie dumm wär ich gewesen, hätte ich mir zum Trinkgeld für meine Botschaft die Beute aus dem ersten Abenteuer gewählt, das Euer Gnaden bestehen würde, anstatt der Füllen von den drei Stuten! Wahrlich, wahrlich, ein Spatz in der Hand ist besser als eine Taube auf dem Dach.«

»Jedennoch, Sancho«, gab Don Quijote zur Antwort, »hättest du mich nur angreifen lassen, wie ich es wollte, so wären dir mindestens die goldene Krone der Kaiserin und Kupidos bunte Flügel zur Beute gefallen; denn das hätte ich ihnen weggenommen, sosehr es ihnen gegen den Strich gegangen wäre, und es dir in die Hand gegeben.«

»Noch niemals sind die Zepter und Kronen von Theaterkaisern von echtem Gold gewesen«, erwiderte Sancho, »sondern nur von Flittergold oder Blech.«

»So ist’s in der Tat«, versetzte Don Quijote, »denn es wäre nicht vernünftig, wenn die Schmucksachen in der Komödie echt wären, sondern sie müssen nachgemacht und bloßer Schein sein, wie es die Komödie selbst ist. Mit dieser aber, wünsche ich, sollst du dich gut stellen, Sancho, und ihr hold sein, und folglich auch mit denen, die sie aufführen, und mit denen, die sie dichten; denn sie alle sind Werkzeuge, die dem Gemeinwesen vieles Nützliche schaffen, indem sie uns bei jedem Schritt einen Spiegel vorhalten, worin das ganze menschliche Leben sich zeigt, und es gibt keine Zusammenstellung von Wirklichkeit und Nachbildung, die uns lebendiger vor Augen führte, was wir sind und was wir sein sollen, als das Schauspiel und die Schauspieler. Oder sage mir: hast du nicht einmal ein Schauspiel gesehen, wo Könige, Kaiser und Päpste, Edelfrauen und mancherlei andre Personen auftreten? Einer spielt den Raufbold, ein andrer den Gauner, dieser den Kaufmann, jener den Soldaten, ein andrer den schlauen Tölpel, ein dritter den tölpischen Liebhaber, und wenn das Stück aus ist und die Bühnentrachten abgelegt sind, so sind die Schauspieler wieder alle gleich.«

»Allerdings habe ich das gesehen«, erwiderte Sancho.

»Das nämliche nun«, fuhr Don Quijote fort, »geschieht im Schauspiel und Wandel dieser Welt, wo die einen die Kaiser, die andern die Päpste und in einem Wort alle Personen vorstellen, die in einem Schauspiel vorkommen können; wenn es aber zum Schlusse geht, das heißt, wenn das Leben endet, da zieht der Tod ihnen allen die Gewänder aus, die sie voneinander unterschieden, und im Grab sind sie alle wieder gleich.«

»Ein prächtiger Vergleich!« versetzte Sancho. »Zwar ist er nicht so neu, daß ich ihn nicht schon zu öfteren und verschiedenen Malen gehört hätte, gerade wie den Vergleich mit dem Schachspiel, wo jeder Stein, solang das Spiel dauert, seine besondere Verrichtung hat und, wenn das Spiel zu Ende ist, alle vermischt und zusammengelegt und untereinandergeworfen und in einen Beutel gelegt werden, wie man die Toten ins Grab legt.«

»Von Tag zu Tag, Sancho«, sagte Don Quijote, »nimmst du an Einfalt ab und an Verstand zu.«

»Freilich«, entgegnete Sancho; »es muß doch etwas von Euer Gnaden Verstand an mir haftenbleiben. Wenn man einen von Natur unfruchtbaren und dürren Boden düngt und bearbeitet, so erzeugt er mit der Zeit gute Frucht; ich will damit sagen: der Umgang mit Euer Gnaden war der Dünger, der auf den unfruchtbaren Boden meines dürren Geistes ausgestreut worden; die Bearbeitung, das ist die Zeit, die verflossen, seit ich Euch diene und mit Euch umgehe; und mittels alles dessen hoff ich aus mir dereinst glückliche Früchte zu erzeugen, welche mit den Pfaden der guten Erziehung, die Euer Gnaden meinem vertrockneten Geiste hat angedeihen lassen, nicht im Widerspruch stehen noch ihnen zur Unehre gereichen,«

Don Quijote lachte über Sanchos gezierte Ausdrucksweise und hielt beinahe für wahr, was er von den Fortschritten in seiner Bildung gesagt hatte; denn dann und wann tat er Äußerungen, die den Ritter in Staunen setzten, wiewohl jedesmal oder fast jedesmal, wenn Sancho mit ihm eine Doktordisputation halten und nach Hofmanier sprechen wollte, seine Rede zuletzt doch immer vom Gipfel seiner Einfalt in den Abgrund seiner Unwissenheit hinabstürzte. Worin er aber am meisten seine gewählte Ausdrucksweise und sein Gedächtnis zeigen wollte, das war im Beibringen von Sprichwörtern, ob sie nun zum Inhalt seiner Reden paßten oder nicht, wie man im Verlauf dieser Geschichte gesehen und wohl bemerkt haben wird.

Mit diesen und andern Gesprächen verstrich ein großer Teil der Nacht, und den Knappen kam die Lust an, »die Fallgatter seiner Augen herabzulassen«, wie er zu sagen pflegte, wenn er schlafen wollte; er nahm seinem Grauen das Geschirr ab und verstattete ihm freie und reichliche Weide. Rosinanten sattelte er aber nicht ab, weil es ausdrücklicher Befehl seines Herrn war, er solle zu allen Zeiten, wo sie auf freiem Felde verweilten oder nicht unter Dach schliefen, Rosinanten niemals abschirren, gemäß dem alten und unabänderlichen Brauch der fahrenden Ritter, zwar den Zaum abzunehmen und über den Sattelknopf zu hängen; aber dem Rosse den Sattel abzunehmen? ei, behüte! Und so tat denn Sancho und gab dem Gaul die nämliche Freiheit wie dem Esel. Zwischen diesem und Rosinante war die Freundschaft so beispiellos und eng, daß man zufolge einer Überlieferung von Vater zu Sohn allgemein annimmt, es habe der Verfasser dieser wahrhaftigen Geschichte besondere Kapitel über sie geschrieben; aber um den Anstand und die Schicklichkeit nicht zu verletzen, die einer solchen Heldengeschichte zukommen, habe er dieselben nicht darin aufgenommen. Freilich hat er seinen Vorsatz zuweilen vergessen; zum Beispiel berichtet er, daß, sowie die beiden Tiere zusammenkamen, sie auf der Stelle begannen, sich aneinander zu reiben; und wenn sie dessen müde waren, legte Rosinante seinen Hals auf den Nacken des Grautiers, daß er auf der andern Seite mehr als eine halbe Elle über jenen hinausragte, und so, nachdenklich zu Boden schauend, pflagen die beiden drei Tage lang dazustehen, oder wenigstens so lang, als der Hunger es zuließ und sie nicht nötigte, Nahrung zu suchen. Ja, der Verfasser soll die Freundschaft der beiden mit jener zwischen Nisus und Euryalus, zwischen Pylades und Orestes verglichen haben: und wenn dies wahr ist, sieht man, wie fest die Freundschaft dieser zwei friedsamen Tiere gewesen sein muß, zur allgemeinen Bewunderung und zur Beschämung der Menschen, die einander so schlecht Freundschaft zu halten wissen. Und darum heißt es im Lied:

Keinen Freund gibt’s für den Freund mehr,
Und der Wurfstab wird zum Speere;

und in jenem andern Sang:

Vom Freund dem Freunde die Wanze . . . etc.

Es soll aber niemand meinen, der Verfasser sei zu weit gegangen, wenn er die Freundschaft dieser Tiere mit derjenigen der Menschen verglich; denn von den Tieren haben die Menschen manchen Wink erhalten und viele wichtige Dinge gelernt, wie das Klistieren von den Störchen, von den Hunden das Erbrechen und die Dankbarkeit, von den Kranichen die Wachsamkeit, von den Ameisen die Vorsorge für künftigen Mangel, von den Elefanten die Sittsamkeit, die Dienertreue vom Pferd.

Zuletzt legte sich Sancho zum Schlafen unter einen Korkbaum, Don Quijote zum Schlummern unter eine mächtige Eiche. Aber es war nur eine kurze Zeit vergangen, da erweckte ihn ein Geräusch, das hinter ihm sich hören ließ; er fuhr jählings auf, sah sich um und lauschte, woher das Geräusch entstünde, und entdeckte, daß es von zwei Männern zu Pferde kam, von welchen der eine sich vom Sattel herabgleiten ließ und zum andern sagte: »Steig ab, Freund, und zäume die Pferde ab; denn dieser Ort hat anscheinend Gras für sie in Überfluß, und dazu jene Stille und Einsamkeit, deren meine Lieblingsgedanken bedürfen.«

Dies sagen und sich auf den Boden strecken war das Werk eines Augenblicks; und als er sich hinwarf, rasselten die Waffen, mit denen er gewappnet war, ein unfehlbares Zeichen, an dem Don Quijote erkannte, es müsse ein fahrender Ritter sein. Er näherte sich daher dem schlafenden Sancho, zog ihn am Arme, brachte ihn mit nicht geringer Mühe zur Besinnung und sagte zu ihm mit leiser Stimme: »Lieber Sancho, wir haben eine Aventüre.«

»Gott lasse es uns gut ausschlagen«, erwiderte Sancho; »und wo denn, Herre mein, wo sind Ihro Gnaden diese Frau Aventüre?«

»Wo, Sancho?« entgegnete Don Quijote; »wende die Augen dorthin und schaue, und da wirst du einen fahrenden Ritter ausgestreckt liegen sehen, der, wie mir vorkommt, nicht übermäßig vergnügt ist; denn ich sah ihn sich vom Pferde werfen und sich mit allerhand Äußerungen des Mißmuts auf den Boden hinstrecken, und beim Niederlegen rasselten ihm die Waffen.«

»Nun, woran sieht Euer Gnaden«, fragte Sancho, »daß dies ein Abenteuer ist?«

»Ich will nicht behaupten«, antwortete Don Quijote, »daß dies schon vollständig ein Abenteuer ist, sondern vielmehr der Anfang eines solchen; denn damit fangen die Abenteuer immer an. Aber horch! Es scheint, er stimmt eine Laute oder Zither, und nach dem, wie er sich räuspert und die Brust klären will, bereitet er sich ohne Zweifel, etwas zu singen.«

»Wahrhaftig, dem ist so«, entgegnete Sancho, »und jedenfalls ist er ein Ritter von der verliebten Sorte.«

»Unter den fahrenden gibt es keinen, der nicht verliebt wäre«, sprach Don Quijote. »Aber hören wir zu, denn an diesem Faden wickeln wir gewiß den Knäuel seiner Gedanken ab, wenn er denn wirklich singt; denn wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über.«

Sancho wollte seinem Herrn antworten, aber die Stimme des Ritters vom Walde, die weder sehr gut noch sehr schlecht war, hinderte ihn daran, und die beiden standen nun aufmerksam da und hörten zu, was er sang. Es war das folgende

Sonett

Gib ein Gebot zur Richtschnur meinen Tagen,
Wie sie dein Wille, Herrin, mag gestalten;
Dein Wille soll stets über meinem walten,
Der nie sich des Gehorsams wird entschlagen.

Befiehlst du, ich soll meinen Schmerz nicht klagen
Und sterben, darfst du mich für tot schon halten;
Soll ich in Tönen, wie sie nie erschallten,
Ihn künden, soll dir Amor selbst ihn sagen.

Ein Beispiel zweier Gegensätze leb ich,
Denn weich wie Wachs und demanthart gehör ich
Der Liebe stets und ihrem Machtgesetze.

Weich oder hart, mein armes Herz dir geb ich;
Grab oder schreib darein, was dich ergetze,
Und es auf ewig treu zu wahren schwör ich.

Mit einem Ach! das aus dem Innersten seines Herzens hervorzubrechen schien, schloß der Ritter vom Wald seinen Gesang, und nach einer kurzen Weile sprach er: »O schönstes und undankbarstes Weib des Erdenrunds! Wie denn? Vermagst du zuzulassen, durchlauchtige Casildea von Vandalien, daß dieser dein in Liebe gefesselter Ritter in beständigen Wanderungen und in herben und harten Drangsalen sich verzehre und zugrunde gehe? Genügt es dir noch nicht, daß ich sie alle gezwungen habe, dich für die Schönste auf Erden zu bekennen, alle die Ritter von Navarra und Leon, alle Tartessier, alle Kastilier und endlich auch alle Ritter der Mancha?«

»Das nicht«, fiel Don Quijote hier ein; »ich bin aus der Mancha, und niemals habe ich dies bekannt, noch konnte ich und durfte ich etwas bekennen, womit ich der Schönheit meiner Gebieterin so naheträte. Aber der Herr Ritter dort, du siehst es schon, Sancho, ist nicht recht bei Troste. Indessen hören wir nur immer zu, vielleicht wird er uns noch weiteres offenbaren.«

»Gewiß wird er das«, entgegnete Sancho; »denn er tut geradeso, als wollte er einen ganzen Monat in einem fort wehklagen.«

Dies geschah jedoch nicht, denn sobald der Ritter vom Wald merkte, daß in seiner Nähe gesprochen wurde, stand er auf, ohne mit seinen Klagen fortzufahren; und sprach mit lauttönender, doch freundlicher Stimme: »Wer ist da? Wes Standes? Gehört Ihr etwa zur Zahl der Fröhlichen oder der Betrübten?«

»Der Betrübten«, antwortete Don Quijote.

»Dann kommt her zu mir«, sprach darauf der vom Walde, »und seid dessen sicher, Ihr kommt zur Traurigkeit und zur Betrübnis selbst.«

Als Don Quijote eine so tiefempfundene und freundliche Antwort hörte, trat er näher an ihn heran, und Sancho tat desgleichen. Der wehklagende Ritter ergriff Don Quijote am Arm und sprach: »Setzt Euch hierher, Herr Ritter, denn um zu erkennen, daß Ihr das seid, und zwar einer von denen, die sich zur fahrenden Ritterschaft bekennen, dazu genügt mir, daß ich Euch an diesem Orte gefunden, wo die Einsamkeit Euch Gesellschaft leistet und die Frische der Nacht, die der fahrenden Ritter natürliches Nachtlager und angemessene Wohnstätte ist.«

Darauf erwiderte Don Quijote: »Ich bin ein Ritter und gehöre dem Stande an, den Ihr nennt; und wiewohl Trübsal, Unheil und Mißgeschick ihren wahren Wohnsitz in meiner Seele haben, so ist darum nicht das Mitgefühl für fremde Leiden aus ihr entwichen. Die Eueren, das entnehm ich aus den Versen, die Ihr vor wenigen Augenblicken gesungen, sind Liebesleiden, ich meine, sie kommen von der Liebe, die Ihr zu jener undankbaren Schönen heget, die Ihr in Euren Wehklagen genannt habt.«

Während sie so miteinander sprachen, hatten sie sich bereits in Frieden und Freundschaft auf die harte Erde niedergesetzt, nicht als ob es ihnen beschieden wäre, beim Anbrechen des Morgens sich die Hälse zu brechen.

»Ist es vielleicht, Herr Ritter«, fragte der vom Walde unsern Don Quijote, »auch Euer Geschick, verliebt zu sein?«

»Mein Unglück ist, daß ich es bin«, antwortete Don Quijote; »jedoch wenn die Leiden aus dem Streben erwachsen, das auf ein schönes Ziel gerichtet ist, muß man sie eher für eine Gunst des Himmels denn für ein Mißgeschick halten.«

»So ist’s in der Tat«, erwiderte der vom Walde, »wenn uns nur nicht Verstand und Überlegung getrübt würden durch Beweise der Verschmähung, die, wenn sie sich häufig wiederholen, wie Rachetaten aussehen.«

»Nie bin ich von meiner Gebieterin verschmäht worden«, sprach Don Quijote dagegen.

»Gewiß nicht«, fiel Sancho ein, der nahe dabeistand, »denn unser Fräulein ist wie ein zahmes Lämmchen, sie ist weicher als Butter.«

»Ist das Euer Schildknappe?« fragte der vom Walde.

»Allerdings«, antwortete Don Quijote.

»Nie hab ich einen Schildknappen gesehen«, versetzte der vom Walde, »der zu reden gewagt hätte, wo sein Herr redet; wenigstens seht hier, wie der meinige dasteht, gewiß ein ausgewachsener Bursche, und es wird sich nie beweisen lassen, daß er den Mund je aufgetan, wo ich rede.«

»Nun wahrhaftig«, sagte Sancho, »ich hab gesprochen und kann sprechen, und das vor ganz andern dergleichen Leuten, und sogar … Aber lassen wir’s dabei beruhen, denn es stinkt ärger, wenn man’s aufrührt.«

Der Schildknappe vom Walde ergriff Sancho am Arm und sagte zu ihm: »Gehn wir zwei an einen Ort, wo wir auf Schildknappenart miteinander reden können, soviel wir wollen, und lassen wir unsre Herren mit der Erzählung ihrer Liebschaften einander überbieten und ärgern; denn sicher wird sie der helle Tag dabei überraschen, und sie werden noch nicht fertig sein.«

»Meinetwegen«, erwiderte Sancho, »und ich werde Euch sagen, wer ich bin, damit Ihr seht, ob nicht, wo elf redselige Knappen beieinander sind, mit mir das Dutzend voll wird.«

Hiermit entfernten sich die beiden Schildknappen, zwischen denen eine ebenso kurzweilige Zwiesprache stattfand, wie die ihrer Herren eine ernste war.

13. Kapitel


Wo das Abenteuer mit dem Ritter vom Walde fortgesetzt wird, benebst der gescheiten, noch nicht dagewesenen lieblichen Zwiesprach, so zwischen den beiden Schildknappen geschah

Ritter und Schildknappen hatten sich voneinander gesondert; diese erzählten sich ihren Lebenslauf, jene ihre Liebeshändel; allein die Geschichte berichtet zuerst: die Zwiesprache der Diener und fährt dann fort mit derjenigen zwischen den Herren. Nachdem sich also die Knappen von den Herren ein wenig entfernt, sprach der vom Walde zu Sancho: »Ein mühseliges Leben ist’s, das wir führen und verbringen, werter Herr; wir essen wirklich unser Brot im Schweiße unsres Angesichts, was ja einer der Flüche ist, mit denen Gott unsre Stammeltern gestraft hat.«

»Man kann auch sagen«, fügte Sancho bei, »wir essen es im Frost unsres Leibes, denn wer erträgt mehr Hitze und Kälte als die jammervollen Schildknappen der fahrenden Ritter? Und es wäre noch nicht so arg, wenn wir wenigstens zu essen bekämen, denn Elend wird vergessen, gibt’s nur was zu essen. Aber manchmal kommt’s vor, daß uns ein ganzer Tag vergeht oder auch zwei, ohne daß uns was ins Maul kommt als der Wind, der hineinbläst.«

»Alles das läßt sich tragen und ertragen«, sagte der vom Walde, »durch unsre Hoffnung auf den künftigen Lohn; denn wenn der fahrende Ritter, dem ein Schildknappe dient, nicht allzu großes Pech hat, so bekommt über kurz oder lang der Knappe geringstenfalls eine schöne Statthalterschaft über eine beliebige Insul zum Lohn oder eine Grafschaft, die sich gewaschen hat.«

»Ich«, versetzte Sancho, »habe meinem Herrn gesagt, ich bin mit der Statthalterei über eine Insul zufrieden; und er ist so edel und freigebig, daß er sie mir schon oft und bei den verschiedensten Gelegenheiten versprochen hat.«

»Ich«, sprach der vom Walde, »bin mit einer Domherrenpfründe zufrieden, und schon hat mir mein Herr eine gesichert.«

»Dann muß Euer Herr ein geistlicher Ritter sein«, entgegnete Sancho, »und da kann er seinem braven Schildknappen derlei Gnadengaben gewähren; meiner aber ist lediglich ein weltlicher, wiewohl ich mich erinnere, daß kluge Leute, die aber nach meiner Meinung schlechte Absichten hatten, ihm anraten wollten, er solle trachten, Erzbischof zu werden; aber er wollte nichts andres werden denn ein Kaiser. Ich zitterte damals sehr, es möchte ihm in den Sinn kommen, in den geistlichen Stand zu treten, weil ich für Kirchenpfründen nicht tauglich bin; denn ich erkläre Euch, wenn ich auch wie ein Mensch aussehe, so bin ich doch ein zu dummes Vieh, um geistlich zu werden.«

»Nun, in der Tat, darin geht Euer Gnaden fehl«, sagte der vom Walde, »denn die insulanischen Statthaltereien sind nicht alle von guter Art. Es gibt ihrer, wo’s schief steht, es gibt armselige, es gibt trübselige, und überhaupt führt die vornehmste und besteingerichtete mit sich eine schwere Bürde von Besorgungen, Unbequemlichkeiten, die sich der Unglückliche auf den Hals lädt, dem die Grafschaft zuteil wird. Weit besser wär es, wenn wir, deren Beruf diese verwünschte Dienstbarkeit ist, uns ruhig nach Hause zurückmachten und uns da mit vergnüglicheren Beschäftigungen unterhielten, wie zum Beispiel mit Jagen oder Fischen; denn welcher Schildknappe auf Erden wäre so arm, daß es ihm an einem Gaul und ein paar Jagdhunden und einer Angelrute fehlen sollte, um sich damit in seinem Dorfe zu vergnügen?«

»Mir fehlt es an nichts von alledem«, erwiderte Sancho. »Zwar hab ich keinen Gaul, aber ich hab einen Esel, der zweimal soviel wert ist als meines Herren Roß. Gott soll mir ein böses Jahr geben, und mag es auch gleich das allernächste sein, wenn ich ihn dafür hergäbe, selbst wenn man mir noch vier Malter Gerste drauflegte. Euer Gnaden hält es wohl für Scherz, daß mein Grautier, denn grau ist meines Esels Farbe, so hohen Wert hat. An Jagdhunden sodann würde mir’s nicht fehlen, denn die gibt es übergenug in meinem Dorf; und dazu kommt noch, daß die Jagd gerade dann am meisten Vergnügen macht, wenn sie auf fremder Leute Kosten betrieben wird.«

»Wahr und wahrhaftig«, entgegnete der vom Walde, »Herr Schildknappe, ich habe mir vorgenommen und beschlossen, die sinnlosen Possen dieses Rittergelichters im Stich zu lassen, um nach meinem Dorf heimzukehren und meine Kinderchen zu erziehen; deren hab ich drei wie Juwelen aus Morgenland.«

»Zwei hab ich«, sagte Sancho, »die sich vor dem Papst selber sehen lassen können, insbesondere ein Mädchen, das ich, so Gott will, zur Gräfin erziehe, obgleich ihre Mutter dagegen ist.«

»Und wie alt ist das gnädige Fräulein, das Ihr zur Gräfin erzieht?« fragte der vom Walde.

»Fünfzehn Jahr oder zwei mehr oder weniger«, antwortete Sancho; »aber sie ist hochgeschossen wie eine Lanze, so frisch wie ein Maienmorgen und hat Kräfte wie ein Taglöhner.«

»Das sind Eigenschaften«, entgegnete der vom Walde, »genügend, um nicht nur eine Gräfin, sondern selbst eine Nymphe im grünen Walde zu werden. O du Hure und Hurenkind! Was für eine Kraft muß das Mensch haben!«

Darauf aber sagte Sancho etwas ärgerlich: »Langsam! Weder ist sie eine Hure, noch ist’s ihre Mutter gewesen, und mit Gottes Willen wird’s keine von beiden sein, solang ich das Leben behalte; und es wären hier höflichere Ausdrücke am Platz; denn dafür, daß Euer Gnaden unter fahrenden Rittern auferzogen worden, als welche die Höflichkeit selbst sind, scheinen mir Eure Worte nicht sehr passend.«

»O wie wenig versteht Ihr von Lobeserhebungen, Herr Schildknappe!« entgegnete der vom Walde. »Wie? Ihr wißt nicht, wenn ein Edelmann im Zirkus dem Stier einen tüchtigen Lanzenstoß versetzt hat oder wenn sonst jemand sonst etwas gut vollbracht hat, daß da das Volk zu sagen pflegt: O der Hurensohn, o der Hurenkerl, wie gut hat er seine Sache gemacht! Und was in diesem Ausdruck wie ein Schimpf aussieht, das ist gerade ein ganz besonderes Lob. So müßt Ihr wahrhaftig Eure eignen Söhne oder Töchter verleugnen, Señor, wenn sie sich nicht so aufführen, daß man ihren Eltern dergleichen Lobsprüche erteilen kann.«

»Dann will ich sie allerdings verleugnen«, gab Sancho zur Antwort; »auf diese Weise und aus demselben Grunde könnt Ihr mir und meinen Kindern und meiner Frau eine ganze Hurenwirtschaft an den Kopf werfen, denn alles, was sie sagen und tun, übertrifft alles mögliche und verdient dergleichen Lobsprüche; und damit ich sie wiedersehe, bitte ich zu Gott, mich von aller Todsünde zu erlösen, was ebensoviel heißt, als mich von diesem gefahrvollen Knappendienst zu erlösen, in den ich nun zum zweitenmal geraten bin, verlockt und verrückt durch einen Beutel mit hundert Dukaten, den ich eines Tages tief drinnen in der Sierra Morena gefunden habe; und der Teufel stellt mir hier und dort, mal auf der einen Seite, mal auf der andern, einen Sack mit Dublonen vor Augen, so daß es mir vorkommt, als müßte ich ihn bei jedem Schritt mit der Hand greifen, und ich schließe ihn in die Arme und nehme ihn mit nach Hause und leihe dann auf Zinsen aus und kaufe mir Grundzinsen und lebe wie ein Prinz; und all die Zeit, wo ich hieran denke, werden mir all die Drangsale leicht und erträglich, die ich bei meinem Simpel von Herrn erdulde, der, weiß Gott, mehr vom Tollhäusler als vom Ritter an sich hat.«

»Eben darum heißt es auch im Sprichwort«, entgegnete der vom Walde: »Habgier überfüllt und zerreißt den Sack. Wenn wir aber von ihnen reden sollen, so gibt es keinen größeren Narren in der Welt als meinen Herrn; denn er gehört zu denen, von denen man sagt: Für Dritte sorgen bringt den Esel um. Damit nämlich ein andrer Ritter den Verstand, den er verloren hat, wiedererlange, macht er sich zum Narren und zieht umher und sucht, was ihm vielleicht, wenn er es gefunden hat, bald zum Hals herauswachsen wird.«

»Ist er etwa verliebt?« fragte Sancho.

»Freilich«, antwortete der vom Walde, »in eine gewisse Casildea von Vandalien, ein Fräulein so hart und zugleich so weich gesotten, wie kein zweites auf dem ganzen Erdenrund zu finden; aber die Härte ist’s eigentlich nicht, an der er leidet, andre und ärgere Tücken knurren ihm im Leib herum, und das wird sich zeigen, ehe noch viel Stunden vergehn.«

Sancho versetzte darauf: »Es ist kein Weg so eben, es ist ein Stein oder ein Loch zum Stolpern da. Auch in Nachbars Haus kocht man Bohnen, aber in meinem kocht man sie kesselweis. Die Narrheit hat gewiß mehr Genossen und Schmarotzer als die Gescheitheit; aber wenn es wahr ist, was man gemeiniglich sagt: Geteiltes Leid ist halbes Leid, so kann ich mich mit Euch trösten, da Ihr einem ebenso verrückten Herrn dient wie ich.«

»Verrückt, aber tapfer«, entgegnete der vom Walde, »und noch weit mehr durchtrieben, als er verrückt und tapfer ist.«

»Das ist der meinige nicht«, sprach Sancho darauf; »ich sag Euch, er hat nichts vom durchtriebenen Schelmen an sich; er hat ein Herz voller Einfalt. Er vermag keinem was Böses zu tun, vielmehr Gutes jedermann, und es ist kein Arg in ihm; ein Kind kann ihm weismachen, daß es am hellen Mittag Nacht ist, und um dieser Einfalt willen hab ich ihn lieb wie mein Herzblatt und kann es nicht über mich bringen, ihn zu verlassen, wenn er auch noch soviel unsinnige Streiche macht.«

»Das mag alles so sein, Herr Bruder«, sagte der vom Walde; »wenn aber der Blinde den Blinden führt, fallen sie beide in die Grube. Am besten wird’s sein, wir schreiten tüchtig zu und ziehen uns zurück und kehren heim zu unsrer Krippe; denn wer Abenteuer sucht, findet nicht immer angenehme.«

Sancho spuckte zum öftern aus, und zwar war es dem Anscheine nach eine gewisse Art von klebrigem und etwas trocknem Speichel; und als dies der mitleidige Waldknappe sah, sprach er: »Mir scheint, von unsrem Schwatzen klebt uns die Zunge am Gaumen; aber ich habe ein schleimlösendes Mittel am Sattelknopf meines Gauls hängen, und das ist was gehörig Gutes.«

Er erhob sich vom Boden und kam gleich darauf wieder mit einem großen Schlauch Wein und einer Pastete, die eine halbe Elle maß; und das ist keine Übertreibung, denn sie enthielt ein Kaninchen, so groß, daß Sancho beim Anfühlen der Pastete meinte, es sei ein Ziegenbock und nicht etwa bloß ein Zicklein. Als Sancho das sah, sagte er: »Also das haben Euer Gnaden bei sich, Señor?«

»Was habt Ihr Euch denn gedacht?« antwortete der andre; »bin ich vielleicht so ein hergelaufener Schildknappe von Pappdeckel? Ich führe bessern Mundvorrat auf der Kruppe meines Pferdes als ein General auf dem Marsch.«

Sancho aß, ohne sich bitten zu lassen, und schluckte im Dunkeln Bissen hinunter, so groß wie die Knoten eines Ochsenstricks, und sagte: »Ja, Euer Gnaden ist ein getreuer, redlicher Schildknappe; Ihr seid wie eine Mühle, die immer geht und mahlt, Ihr seid großartig und großherzig, wie es dieses Festmahl dartut, das, wenn es nicht durch Zauberkunst hierhergekommen, wenigstens danach aussieht. Ihr seid nicht wie ich, ärmlich und erbärmlich, der ich nichts in meinem Zwerchsack habe als ein wenig Käse, der so hart ist, daß man einem Riesen damit den Schädel einschlagen könnte, und welchem Gesellschaft leisten ein paar Dutzend Schoten Johannisbrot und ebensoviel Hasel- und Walnüsse, dank der Dürftigkeit meines Herrn und dank der Meinung, die er hegt, und der Regel, an der er festhält, daß fahrende Ritter sich von nichts erhalten und nähren sollen als von trocknem Obst und von Kräutern des Feldes.«

»Wahrlich, Bruder«, entgegnete der vom Walde, »mein Magen ist nicht für Distelkohl, Holzbirnen und Waldwurzeln geeignet. Sie mögen sehen, wie sie mit ihren Ritterschaftsgrillen und Rittergesetzen zurechtkommen, und mögen essen, was diese Gesetze vorschreiben; ich führe kalte Küche bei mir, und hier den Lederschlauch hab ich am Sattelknopf hängen für den Fall, daß, und für den Fall, daß nicht, und er ist mir so zugetan, und ich habe ihn so lieb, daß selten ein Augenblick vergeht, wo ich ihn nicht tausendmal küsse und an mich drücke.«

Mit diesen Worten gab er ihn Sancho in die Hand, und dieser hob ihn empor, setzte ihn an die Lippen, sah eine Viertelstunde lang die Sterne an, und als er ausgetrunken, neigte er den Kopf zur Seite, seufzte mächtiglich auf und sprach: »O der Schelm, der Hurensohn! Der ist aber echt!«

»Seht Ihr nun«, fiel der vom Walde ein, »wie Ihr, um den Wein zu loben, ihn einen Hurensohn genannt habt?«

»Ich sag’s ja«, antwortete Sancho, »ich bekenn es, daß ich jetzt erkenne, es ist keine Unehre, jemanden einen Hurensohn zu nennen, wenn man ihn damit loben will. Aber sagt mir, so wahr Gott am Leben erhalte, was Ihr am liebsten habt, ist der Wein von Ciudad Real?«

»Treffliche Weinzunge!« antwortete der vom Walde; »in der Tat, er ist nirgends anders her und zählt schon etliche Jahre an Alter.«

»Mir kommt Ihr damit?« sagte Sancho darauf. »Glaubt nur nicht, daß es mir zu hoch ist, ein richtiges Verständnis vom Wein zu haben. Ist’s nicht was Schönes, Herr Schildknappe, daß ich von Natur einen so guten Instinkt habe, daß, wenn man mir irgendeinen beliebigen Wein zu riechen gibt, ich gleich seine Heimat und Herkunft erkenne, und wie er schmeckt und wie lang er sich hält und wie oft er umgeschlagen wird, benebst allen andern Umständen, die beim Wein in Frage kommen? Aber es ist nichts zum Wundern dabei, denn ich hatte in meiner Familie von Vaters Seite die zwei ausgezeichnetsten Weinschmecker, welche seit vielen Jahren die Mancha gesehen hat; und zum Beweis will ich Euch erzählen, was ihnen einmal begegnet ist. Man gab ihnen beiden aus einem Fasse Wein zu versuchen und bat sie um ihr Urteil über Zustand, Beschaffenheit, Güte oder Mangelhaftigkeit des Weines. Der eine versuchte ihn mit der Zungenspitze, der andre hielt ihn bloß an die Nase. Der erste sagte, der Wein schmecke nach Eisen, der zweite sagte, er schmecke mehr nach Ziegenleder. Der Eigentümer sagte, das Faß sei rein und der Wein sei mit nichts verschnitten, wovon er den Geschmack von Eisen oder Leder habe annehmen können. Dessenungeachtet blieben die beiden ausgezeichneten Weinschmecker bei ihrem Ausspruch. Mit Verlauf der Zeit wurde der Wein verkauft, und beim Reinigen des Fasses fand man darin einen kleinen Schlüssel, der an einem Riemen von Ziegenleder hing. Daraus mag Euer Gnaden ersehen, ob ein Mann, der von solchen Ahnen stammt, in dergleichen Streitfragen sein Urteil abgeben kann.«

»Eben darum sag ich«, sprach darauf der vom Walde, »daß wir ablassen sollen, auf die Suche nach Abenteuern zu ziehn, und da wir Schwarzbrot haben, wollen wir nicht nach Kuchen gehen und wollen zu unsern Hütten heimkehren; denn Gott wird uns da schon finden, wenn es sein Wille ist. Bis mein Herr nach Zaragoza kommt, will ich in seinen Diensten bleiben, und dann werden wir weiter sehen.«

Kurz, die beiden wackern Knappen plauderten so viel und tranken so viel, daß ihnen zuletzt der Schlaf die Zunge fesseln und ihren Durst lindern mußte, denn den ihnen ganz zu löschen war unmöglich. Und so daliegend, jeder von beiden den fast geleerten Lederschlauch umklammernd, die halbgekauten Brocken im Munde, sanken sie in Schlaf; und so wollen wir sie für jetzt lassen, um zu berichten, was der Ritter vom Walde mit dem von der traurigen Gestalt verhandelte.

Vorrede

Hilf Himmel, wie begierig mußt du jetzt, erlauchter oder meinetwegen nicht erlauchter Leser, diesen Prolog erwarten! Da du glaubst, du werdest darin Rachetaten, Scheltworte und Schmähungen gegen den Verfasser des zweiten Don Quijote finden, ich meine jenes Don Quijote, der, wie man angibt, in Tordesillas erzeugt und in Tarragona geboren worden. Indessen, wahrlich, ich will dir dies Vergnügen nicht machen; denn wiewohl Beleidigungen auch in den demütigsten Herzen Zorn erwecken, soll in dem meinigen diese Regel eine Ausnahme erleiden. Du möchtest wohl, daß ich ihn mit Beinamen wie Esel, verrückter Kerl, frecher Bursch belegte; aber das kommt mir nicht in den Sinn. Mag seine Sünde über sein eigen Haupt kommen; mag er ausessen, was er sich eingebrockt; mag es ihm bekommen, wie er’s verdient. Was ich jedoch nicht umhinkonnte als Kränkung zu empfinden, ist, daß er mich ob meines Alters und meiner verstümmelten Hand schmäht, als ob es in meiner Macht gelegen hätte, die Zeit zurückzuhalten, daß sie nicht über mich hinwegschreite, und als ob meine Verstümmelung mir in irgendwelcher Kneipe zugekommen wäre und nicht vielmehr bei dem erhabensten Begebnis, welches die vergangenen und die jetzigen Zeiten erlebt haben und die künftigen jemals hoffen können zu erleben. Wenn auch meine Wunden nicht dem in die Augen glänzen, der sie anschaut, so haben sie wenigstens in der Achtung dessen ihren Wert, der da weiß, wo sie mir geschlagen wurden; denn einen schöneren Anblick bietet der Soldat, der in der Schlacht gefallen, als der Freiheit gewinnt auf der Flucht. Und diese Denkart steht so fest in mir, daß, wenn man mir heute das Unmögliche vorschlüge und möglich machte, ich dennoch vorzöge, an jener wunderherrlichen Waffentat teilgenommen zu haben, als jetzt ohne Wunden zu sein und nicht daran teilgenommen zu haben. Die Wunden, die der Soldat im Antlitz und auf der Brust zeigt, sind Sterne, die alle andern zur Himmelshöhe der Ehre und zum Erstreben gerechten Ruhms leiten; auch ist zu erwägen, daß man nicht mit den grauen Haaren, sondern mit dem Geiste schreibt, der mit den Jahren zu reifen pflegt.

Es hat mich auch dies gekränkt, daß er mich neidisch nennt und mir, als ob ich es nicht wüßte, auseinandersetzt, woher der Neid entstehe; während ich in Wirklichkeit von den zweierlei Arten des Neides, die es gibt, nur den reinen, edlen und das Gute erstrebenden kenne. Und wenn dem so ist – und es ist wahrlich nicht anders –, so bin ich auch nicht der Mann, irgendeinen Priester zu verfolgen, zumal wenn er zu dieser Eigenschaft noch die eines Familiars der heiligen Inquisition als Beigabe besitzt; und wenn jener es in bezug auf den Mann gesagt hat, den er dabei gemeint zu haben scheint, so irrt er ganz und gar, denn ich verehre tief dieses Mannes Geist, bewundre seine Werke und seine unaufhörliche und tugendsame Tätigkeit.

Indessen bin ich dem Herrn Verfasser dankbar für seinen Ausspruch, daß meine Novellen mehr satirisch als lehrreich, aber dennoch gut sind; und sie könnten das nicht sein, wenn sie nicht von beiden Eigenschaften etwas hätten.

Mich deucht, o Leser, du sagst mir, daß ich mich hier in zu engen Schranken bewege und mich zu sehr innerhalb der Grenzen meiner Bescheidenheit halte, weil ich weiß, daß man dem Betrübten nicht noch mehr Betrübnis schaffen darf; und der betrübte Zustand dieses Herrn muß allerdings sehr arg sein, da er nicht wagt, auf offener Kampfesbahn und bei hellem Tag hervorzutreten, vielmehr seinen Namen verbirgt und sich eine erdichtete Heimat beilegt, als habe er hochverräterisch eine Majestätsbeleidigung begangen. Solltest du einmal zufällig erfahren, wer er ist, so sage ihm in meinem Namen, daß ich mich keineswegs für beleidigt halte, da ich wohl weiß, was Versuchungen des Teufels sind, und weiß, daß es eine der schwersten ist, wenn er einem Manne in den Kopf setzt, daß er imstande sei, ein Buch zu schreiben und drucken zu lassen, mit dem er soviel Ruhm wie Geld und soviel Geld wie Ruhm gewinnen könne. Und zum Beweis dafür wünsche ich, daß du mit deiner heitern Laune und anmutigen Art ihm folgende Geschichte erzählst:

Es war einmal in Sevilla ein Narr, der verfiel auf die drolligste Ungereimtheit und seltsamste Grille, auf die je ein Narr verfallen. Er höhlte sich nämlich ein Rohr aus, das er am einen Ende zuspitzte, und wenn er auf der Straße oder sonstwo eines Hundes habhaft werden konnte, unterschlug er ihm ein Hinterbein mit seinem Fuß, hob ihm das andre mit der Hand in die Höhe, steckte, so gut es ging, sein ausgehöhltes Rohr in einen gewissen Ort und blies hinein, daß er ihm den Bauch rund anschwellte wie einen Lederball; und nachdem er ihn so zugerichtet, schlug er ihm ein paarmal mit der flachen Hand auf den Wanst, ließ ihn dann laufen und sagte zu den Umstehenden – deren immer viele waren –: »Meint ihr Herren jetzt noch, es koste wenig Mühe, einem Hund den Bauch aufzublasen?« Meint Ihr, werter Herr, etwa jetzt noch, es koste wenig Mühe, ein Buch zu verfassen?

Und wenn ihm diese Geschichte nicht angemessen erscheint, erzähle ihm, wertester Leser, die folgende, die ebenfalls von einem Hund und einem Narren handelt.

Es war einmal in Córdoba auch ein Narr, der hatte die Gewohnheit, ein Stück von einer Marmorplatte oder einen andern nicht gar leichten Stein auf dem Kopfe zu tragen, und wenn er einen Hund antraf, der nicht auf der Hut war, so trat er dicht an ihn heran und ließ die Ladung unversehens auf ihn herabfallen. Der Hund wurde wie toll, lief unter Bellen und Heulen davon und stand nicht eher still, bis er ein Dutzend Gassen hinter sich hatte. Es geschah nun einmal, daß unter den Hunden, auf die er seine Traglast fallen ließ, einer der Hund eines Mützenmachers war, auf den sein Herr sehr viel hielt. Der Stein fiel herab und traf ihn auf den Kopf, der schwer getroffene Hund erhob sein Geheul, sein Herr sah es und nahm es übel; er ergriff eine Elle, sprang auf den Narren los und ließ ihm keinen gesunden Knochen am Leibe, und bei jedem Schlag, den er ihm versetzte, schrie er: »Ha, du spitzbübischer Hund! Du wirfst meinen Jagdhund? Hast du bösartiger Kerl nicht gesehen, daß es ein Jagdhund ist?« Und unter hundertmaliger Wiederholung des Wortes Jagdhund ließ er den schier zu Pulver zerklopften Narren laufen. Der Narr führte sich die Lehre zu Gemüt, ging heim und wagte sich länger als einen Monat nicht hinaus. Nach Verfluß dieser Zeit kam er wieder mit seinem Kunststück und einer noch größeren Ladung, näherte sich dem Hunde, sah ihn scharf und unverwandten Auges an, und ohne daß er Lust hatte oder sich erkühnte, den Stein fallen zu lassen, rief er: »Das ist ein Jagdhund! Da muß ich mich in acht nehmen.« Und in der Tat, jeden Hund, der ihm begegnete, ob es nun eine Dogge oder ein Schoßhund war, den nannte er einen Jagdhund, und so ließ er seinen Stein nicht mehr fallen.

Vielleicht kann es jenem Romanschreiber ebenso gehen, daß er sich nicht wieder erdreistet, das von seinem Genius Erbeutete in Büchern auf das Publikum niederfallen zu lassen, welche, wenn schlecht, noch härter sind als Felssteine.

Sag ihm auch, daß seine Drohung, mir durch sein Buch allen Gewinst wegzunehmen, mich nicht einen Deut kümmert; denn ganz nach dem Vorbild des berühmten Zwischenspiels von der Perendenga sage ich: Solange mir nur mein gnädiger Herr, der Ratsherr, am Leben bleibt, für die andern alle sorgt unser Herr Jesus. So möge langes Leben haben der große Graf von Lemos, dessen christlicher Sinn, allbekannte Wohltätigkeit und Freigebigkeit mich gegen alle Schläge meines widerwärtigen Geschicks aufrechthält! Und lange lebe die hohe Milde des Hochwürdigsten von Toledo, Don Bernardo de Sandoval y Rojas. Und wenn es auch gar keine Druckereien in der Welt gäbe oder wenn man auch gegen mich mehr Bücher druckte, als die Strophen vom Mingo Revulgo Buchstaben haben! Diese beiden fürstlichen Herren, ohne daß ich mit Schmeichelei oder sonst irgendeiner Art von Lobeserhebung sie umworben, haben es lediglich aus eigener Güte sich angelegen sein lassen, mir Gunst und Hilfe zu gewähren, und damit erachte ich mich für höher beglückt und für reicher, als wenn das Glück mich auf gewöhnlichem Wege zu seinem höchsten Gipfel erhoben hätte.

Ehre kann auch der Arme besitzen, aber nicht der Lasterhafte; Armut kann den Adel umwölken, aber ihn nicht gänzlich verdunkeln. Jedoch wenn nur die Tugend etwas Licht von sich gibt, sei es auch durch die Engnisse und schmalen Ritzen der Armut hindurch, so wird sie doch zuletzt von erhabenen und edlen Geistern geschätzt und hilfreich begünstigt.

Weiter sollst du ihm nichts sagen, und auch ich will dir nichts weiter sagen, sondern dich nur erinnern, wohl im Auge zu behalten, daß dieser zweite Teil des Don Quijote, den ich dir hier überreiche, durch den nämlichen Werkmeister und von dem nämlichen Stoff zugeschnitten ist wie der erste und daß ich dir darin den Don Quijote in seinem weiteren Lebenslaufe und zuletzt gestorben und begraben darbiete, auf daß niemand sich erdreiste, abermals über ihn falsch Zeugnis abzulegen, da es an dem bisher abgelegten schon genug ist. Und es ist auch schon genug, daß ein ehrlicher Mann einmal Bericht von diesen verständigen Narreteien erstattet hat, so daß man sich nicht noch einmal damit befassen soll; denn das Allzuviel, sei es auch an Gutem, bewirkt, daß man das Gute nichts wert hält, und das Allzuwenig, sei es auch an Schlechtem, hat immer einigen Wert bei den Leuten.

1. Kapitel


Wie sich der Pfarrer und der Barbier mit Don Quijote über dessen geistige Krankheit besprachen

Es erzählt Sidi Hamét Benengelí im zweiten Teil dieser Geschichte, welcher die dritte Ausfahrt Don Quijotes enthält, daß der Pfarrer und der Barbier beinah einen Monat hingehen ließen, ohne ihn zu sehen, weil sie es vermeiden wollten, ihm die früheren Vorgänge aufzufrischen und ins Gedächtnis zurückzubringen. Allein sie unterließen darum nicht, seine Nichte und seine Haushälterin zu besuchen, und empfahlen diesen, auf seine sorgfältige Pflege wohl bedacht zu sein und ihm alles zu essen zu geben, was für Herz und Kopf stärkend und zuträglich sei, da aus diesen beiden, gründlicher Erwägung nach, sein ganzes Unglück gekommen. Sie versicherten, daß sie so täten und es auch fernerhin mit möglichster Bereitwilligkeit und Sorgfalt tun würden; denn sie sähen wohl, daß ihr Herr in einzelnen Augenblicken Beweise gebe, daß er bei vollem Verstande sei. Darob waren die beiden hocherfreut, da sie nunmehr sicher glaubten, das Richtige getroffen zu haben, als sie ihn verzaubert auf dem Ochsenkarren heimbrachten, wie dies im ersten Teile dieser ebenso großartigen wie höchst gründlichen Geschichte in dessen letztem Kapitel berichtet worden. So beschlossen sie denn, ihn zu besuchen und seine Besserung einer Probe zu unterwerfen, obschon sie dieselbe für beinahe unmöglich hielten; sie kamen überein, nicht das geringste von fahrender Ritterschaft verlauten zu lassen, damit seine Wunde, die kaum vernarbt war, nicht wieder aufgerissen würde.

Sie besuchten ihn also und fanden ihn im Bette sitzend, angetan mit einem Wämschen von grünem Flanell nebst einer roten Toledaner Mütze, so dürr und ausgetrocknet, daß er nicht anders aussah, als wenn er zur Mumie geworden wäre. Sie wurden von ihm sehr freundlich aufgenommen, erkundigten sich nach seiner Gesundheit, und er berichtete über diese und über sich mit klarem Verstand und in den gewähltesten Ausdrücken. Im Verlauf der Unterhaltung kamen sie auf jene Dinge zu sprechen, die man Politik und Regierungsformen nennt, wobei sie den einen Mißbrauch verbesserten und den andern gänzlich verurteilten, eine Sitte umgestalteten und eine andre aus dem Lande verbannten und jeder von den dreien einen neuen Gesetzgeber, einen zeitgemäßen Lykurg, einen neugebackenen Solon spielte. Und dergestalt schufen sie das Gemeinwesen um, daß es geradeso aussah, als hätten sie es in ein Schmiedefeuer gelegt und es in ganz anderm Zustand als vorher wieder herausgeholt. Don Quijote sprach so vernünftig über alle Gegenstände, die man berührte, daß die beiden Examinatoren es für zweifellos hielten, er sei gänzlich genesen und wieder im vollen Besitz seiner Vernunft.

Nichte und Haushälterin waren bei der Unterhaltung zugegen und wurden es nicht müde, Gott dafür zu danken, daß sie ihren Herrn wieder bei so gutem Verstande sahen. Allein der Pfarrer änderte jetzt seinen ersten Vorsatz, nämlich nicht das geringste von fahrender Ritterschaft vor ihm zu berühren, und wollte die Probe vollständig machen, ob Don Quijotes Genesung scheinbar oder echt sei; und so kam er, indem ein Wort das andre gab, allmählich auf verschiedene Neuigkeiten aus der Residenz zu sprechen und erzählte unter andrem, man halte für gewiß, daß der Türke mit einer gewaltigen Flotte gen Westen heranziehe; es wisse niemand, was seine Absichten seien noch wo ein so schweres Unwetter sich entladen werde; und angesichts dieser Besorgnis, mit welcher er uns schier jedes Jahr unter die Waffen rufe, halte die ganze Christenheit ihre Augen auf seine Flotte gerichtet und Seine Majestät habe die Küsten von Neapel und Sizilien und die Insel Malta in Verteidigungsstand setzen lassen.

Darauf versetzte Don Quijote: »Seine Majestät hat als ein einsichtsvoller Kriegsherr gehandelt, indem er seine Staaten rechtzeitig in Verteidigungsstand gesetzt hat, damit der Feind ihn nicht unvorbereitet finde; aber wenn man mich um Rat anginge, so würde ich dem Könige anraten, sich einer Maßregel zu bedienen, an welche zu denken Seiner Majestät bis zur gegenwärtigen Stunde wohl sehr fern gelegen hat.«

Kaum hörte dies der Pfarrer, als er bei sich selber sagte: Gott halte seine Hand über dir, armer Don Quijote, denn ich fürchte, du stürzest vom hohen Gipfel deiner Narrheit bis in den tiefsten Abgrund deiner Einfalt herab.

Der Barbier indessen, der schon auf denselben Gedanken gekommen war wie der Pfarrer, fragte Don Quijote, welches denn die vorgeschlagene Maßregel sei, die er für so sachdienlich erkläre; vielleicht sei sie derart, daß man sie auf die Liste der zahlreichen zweckwidrigen Vorschläge setzen müsse, mit denen die Fürsten häufig behelligt würden.

»Mein Vorschlag, Herr Bartkratzer«, sprach Don Quijote, »wird nicht zweckwidrig sein, sondern ganz zweckmäßig.«

»Ich habe es nicht so gemeint«, entgegnete der Barbier, »sondern weil die Erfahrung gezeigt hat, daß die Ratschläge, die man Seiner Majestät erteilt, alle oder doch in ihrer großen Mehrzahl entweder unausführbar oder ungereimt sind oder dem König oder dem Königreich zum Nachteil gereichen würden.«

»Der meinige aber«, versetzte Don Quijote, »ist weder unausführbar noch ungereimt, sondern der am leichtesten ausführbare, der angemessenste, der bequemste und rascheste, der nur immer einem erfinderischen Kopf einfallen kann.«

»Dann, Señor Don Quijote, zögert Ihr schon zu lang, ihn mitzuteilen«, sprach der Pfarrer.

»Es würde meinem Wunsche nicht entsprechen«, erwiderte Don Quijote, »wenn ich ihn heut hier mitteilte und er morgen in der Frühe den Herren Geheimräten zu Ohren käme und ein anderer den Dank und Lohn für meine Arbeit davontrüge.«

»Was mich betrifft«, sprach der Barbier dagegen, »vor der Welt sowie vor Gottes Antlitz geb ich das Versprechen: Was zu sagen Euch gelüstet, sag ich keinem wieder, Herre, weder König, weder Bauer noch sonst einem Erdenmenschen; ein Eidschwur, den ich aus der ›Romanze vom Pfarrer‹ gelernt habe, welcher in der Einleitung des Gedichtes dem Könige den Dieb anzeigte, der ihm die hundert Dublonen und seinen Maulesel, den Schnelltraber, gestohlen hatte.«

»Ich kenne derlei Geschichten nicht«, versetzte Don Quijote, »aber ich weiß, daß dieser Eidschwur gilt, sintemal ich weiß, daß der Herr Barbier ein braver Mann ist.«

»Wenn er es auch nicht wäre«, sprach der Pfarrer, »so bürge ich für ihn und stehe dafür ein, daß er über diese Sache nicht mehr reden soll als ein Stummer unter Androhung einer Geldbuße gemäß Urteil und Erkenntnis.«

»Und wer wird für Euer Gnaden bürgen, Herr Pfarrer?« fragte Don Quijote.

»Mein geistliches Amt«, antwortete der Pfarrer, »mit dem die Schweigepflicht verbunden ist.«

»Nun, bei Christi Leichnam!« sprach Don Quijote jetzt, »was braucht es weiter, als daß Seine Majestät durch öffentlichen Aufruf verordne, es sollen auf einen bestimmten Tag alle fahrenden Ritter, die durch Spanien streifen, in der Residenz zusammenkommen? Denn wenn ihrer auch nur ein halb Dutzend kämen, so könnte einer unter ihnen sein, der allein schon genügen würde, die ganze Macht des Türken zu vernichten. Schenkt mir eure Aufmerksamkeit und folgt meiner Darlegung: ist es vielleicht etwas Neues, daß ein einziger fahrender Ritter ein Heer von zweimalhunderttausend Mann in Stücke haut, als ob alle zusammen nur einen einzigen Hals hätten oder aus Zuckerteig geformt wären? Oder sagt mir doch: wie viele Geschichten sind nicht voll solcher Wundertaten? Es sollte nur – wenn es auch mir zum argen Nachteil wäre, ob anderen, will ich unberührt lassen –, es sollte nur heutzutage der weitberufene Don Belianís leben oder einer aus dem zahllosen Geschlechte des Amadís von Gallien! Denn wenn einer von diesen am Leben wäre und sich dem Türken gegenüberstellte, dann möchte ich nicht in der Haut des Türken stecken. Aber Gott wird sich seines Volkes annehmen und wird ihm einen Mann bescheren, der, wenn nicht so gewaltig wie die früheren fahrenden Ritter, ihnen wenigstens an mutigem Sinne nicht nachsteht; und Gott weiß wohl, wie ich’s meine, und mehr sag ich nicht.«

»O weh!« rief hier die Nichte, »ich will des Todes sein, wenn mein Herr nicht aufs neue ein fahrender Ritter werden will!«

Darauf sagte Don Quijote: »Als fahrender Ritter will ich leben und sterben, und ob der Türke nun herab- oder hinaufzieht, wann immer er es will und mit wie großer Macht er es kann, so sag ich noch einmal, Gott weiß, wie ich es meine.«

Hier aber sprach der Barbier: »Ich bitte Euch, meine Herren, daß mir gestattet werde, ein kurzes Geschichtchen zu erzählen, das sich in Sevilla zugetragen hat und das ich Lust habe mitzuteilen, weil es hierher paßt wie angegossen.«

Don Quijote gewährte die Erlaubnis, der Pfarrer und die andern hingen aufmerksam an seinen Lippen, und so begann er folgendermaßen:

Im Narrenhause zu Sevilla befand sich ein Mann, den seine Verwandten dahin gebracht hatten, weil er nicht bei Verstande war. Er war zu Osuna zum Grade eines Lizentiaten des Kirchenrechts befördert worden; aber wäre er es auch zu Salamanca geworden, so würde er nach der Meinung der Welt nichtsdestoweniger ein Narr geblieben sein. Dieser besagte Lizentiat kam nach einigen Jahren Einsperrung auf die Meinung, er sei wieder gesunden Geistes und bei vollem Verstande, und in dieser Überzeugung schrieb er an den Erzbischof und bat ihn dringend und mit durchaus verständigen Ausdrücken, er möchte ihn aus dem Elend, in dem er lebe, befreien, da er durch Gottes Erbarmen seinen vollen Verstand bereits wiedererlangt habe, während jedoch seine Verwandten, um auch fernerhin den Genuß seines Vermögens zu haben, ihn dort festhielten und der Wahrheit zum Trotz verlangten, daß er bis zu seinem Tod ein Narr bleibe. Der Erzbischof, durch zahlreiche wohlgesetzte und verständige Briefe endlich bewogen, befahl einem seiner Kapläne, sich bei dem Verwalter des Hauses zu erkundigen, ob auf Wahrheit beruhe, was jener Lizentiat ihm geschrieben, und er solle ebenfalls mit dem Narren sprechen, und wenn dieser nach seiner Ansicht bei Verstande sei, so solle er ihn entlassen und in Freiheit setzen. Der Kaplan tat also, und der Hausverwalter erklärte ihm, der Mann sei noch immer verrückt, denn wiewohl er sehr oft als ein Mensch von großem Verstande rede, so komme er am Ende plötzlich wieder mit Torheiten zum Vorschein, die ebenso groß und zahlreich wie vorher seine verständigen Äußerungen, wovon man sofort die Probe machen könne, wenn man sich mit ihm unterhalte.

Der Kaplan wollte diese Probe anstellen; man brachte ihn zu dem Verrückten, er sprach mit ihm eine Stunde und länger, und während dieser ganzen Zeit sagte der Verrückte nicht ein einziges verkehrtes oder ungereimtes Wort; vielmehr redete er mit solcher Besonnenheit, daß der Kaplan sich zu glauben gezwungen sah, der Narr sei ein durchaus vernünftiger Mensch. Unter anderm äußerte der Verrückte, der Hausverwalter sei ihm übel gesinnt, weil er die Geschenke nicht einbüßen wolle, die seine Verwandten ihm dafür zukommen ließen, daß er angebe, er, der Eingesperrte, sei ein Verrückter mit lichten Augenblicken; und der größte Feind, den er in seinem Unglück habe, sei eben sein Reichtum; denn um diesen zu genießen, gebrauchten sie Hinterlist und Tücke und äußerten Zweifel an der Gnade, die ihm Gott dadurch erwiesen, daß er ihn aus einem vernunftlosen Tier wieder zu einem Menschen umgewandelt habe. Kurz, seine Äußerungen waren derartig, daß er den Hausverwalter als verdächtig, seine Verwandten als habgierig und erbarmungslos und sich als so verständig darzustellen wußte, daß der Kaplan beschloß, ihn mitzunehmen, damit der Erzbischof selbst ihn sähe und die Wahrheit in diesem Handel mit Händen griffe.

In diesem guten Glauben ersuchte der biedere Kaplan den Verwalter, dem Lizentiaten die Kleider wiedergeben zu lassen, die er bei seinem Eintritt in die Anstalt getragen. Der Verwalter bat den Kaplan zu bedenken, was er tue, da der Lizentiat ohne den geringsten Zweifel noch immer verrückt sei. Die Warnungen und Vorstellungen des Verwalters, er möge davon abstehen, den Mann mitzunehmen, blieben aber bei dem Kaplan erfolglos; der Verwalter gehorchte, da er sah, daß es der Befehl des Erzbischofs sei. Man legte ihm seine Kleider an, die neu und anständig waren, und als er den Narren ausgezogen und den vernünftigen Menschen wieder angezogen hatte, bat er den Kaplan, ihm aus christlicher Liebe zu erlauben, von seinen bisherigen Genossen, den Narren, Abschied zu nehmen. Der Kaplan erwiderte, er selbst wolle ihn begleiten und sich die Narren ansehen, die sich im Hause befänden. Sie gingen denn wirklich hinauf und mit ihnen verschiedene Leute, die eben anwesend waren, und als der Lizentiat zu einer Zelle kam, in der sich ein Rasender befand, der aber jetzt still und ruhig war, sprach er zu diesem: »Lieber Freund, überlegt Euch, ob Ihr mir etwas aufzutragen habt, denn ich gehe nach Hause, weil Gott in seiner unendlichen Güte und Barmherzigkeit die Gnade gehabt hat, mir Unwürdigem meinen Verstand wiederzuschenken. Ich bin nun genesen und bei voller Vernunft, denn bei Gottes Allmacht ist kein Ding unmöglich. Setzet auch Ihr alles Hoffen und Vertrauen auf Gott, denn da er mich wieder in meinen früheren Zustand gebracht hat, so wird er auch Euch wieder dazu bringen, wenn Ihr ihm vertraut. Ich werde darauf bedacht sein, Euch etliches Gute zu essen zu schicken, und auf alle Fälle eßt es, denn ich tu Euch zu wissen, ich glaube als einer, der es an sich selbst erlebt hat, alle unsere Torheiten kommen davon her, daß man den Magen leer und das Gehirn voller Wind hat. Fasset Mut, fasset Mut, denn Niedergeschlagenheit im Unglück mindert die Gesundheit und führt den Tod herbei.«

All diesen Äußerungen des Lizentiaten hatte ein andrer Narr zugehört, der sich in einer anderen Zelle dem Rasenden gegenüber befand; er erhob sich von der zerschlissenen Schilfmatte, auf der er splitternackt lag, und fragte mit lautem Schreien, wer denn der Mann sei, der da genesen und bei Verstand von dannen gehe.

Der Lizentiat antwortete: »Ich bin’s, lieber Freund, der weggeht; denn ich habe es nicht mehr nötig hierzubleiben, wofür ich dem Himmel unendlich danke, der mir eine so große Gnade erwiesen hat.«

»Bedenket wohl, was Ihr sagt, Lizentiat, laßt Euch vom Teufel nicht verblenden«, entgegnete der Verrückte; »gebietet Eurem Fuße Halt, und bleibt mir hübsch ruhig an Eurer Wohnstätte, dann erspart Ihr Euch das Wiederkommen.«

»Ich weiß, daß ich gesund bin«, versetzte der Lizentiat; »es wird nicht nötig sein, diesen Leidensweg noch einmal zu gehen.«

»Ihr gesund?« sagte der Verrückte; »nun gut, es wird sich zeigen, geht mit Gott; aber ich schwöre Euch bei Jupiter, dessen Majestät ich auf Erden vertrete, um dieser alleinigen Sünde willen, die Sevilla heute dadurch begeht, daß es Euch aus diesem Hause freiläßt und Euch für vernünftig hält, werde ich über die Stadt eine solche Strafe verhängen, daß deren Angedenken währen soll bis in die spätesten Zeiten der spätesten Zeiten, Amen. Weißt du nicht, armseliges Ding von einem Lizentiaten, daß ich das zu tun vermag, da ich, wie ich gesagt, der Donnerer Jupiter bin und in meinen Händen die zündenden Blitze halte, mit denen ich die Welt zu bedräuen und zu zerstören imstande und gewohnt bin? Jedoch ich will diese unverständige Stadt nur mit einer Züchtigung heimsuchen, nämlich ich werde es in ihr und in ihrem ganzen Bezirk und Umkreis nicht regnen lassen, drei ganze Jahre hindurch, welche von dem Tag und Augenblick an, wo ich diese Drohung ausspreche, zu berechnen sind. Du frei, du gesund, du bei Verstand? Und ich ein Narr, und ich geisteskrank, und ich in Banden? Ich will inskünftig nicht mehr regnen lassen, so gewiß als ich mich nicht hängen will.«

Das Geschrei und die Äußerungen des Verrückten erregten allgemeine Aufmerksamkeit bei den Umstehenden; aber unser Lizentiat wendete sich zu unserm Kaplan, ergriff ihn bei den Händen und sprach zu ihm: »Seid darüber ohne Sorgen, werter Herr, und achtet nicht auf das, was dieser Narr gesagt hat, denn wenn er auch Jupiter ist und es nicht regnen lassen will, ich, ich bin Neptun, der Vater und Gott der Gewässer, und ich werde so oft regnen lassen, als es mich gelüstet und notwendig ist.«

Darauf entgegnete der Kaplan: »Trotz alledem wäre es nicht recht, den Herrn Jupiter zu erzürnen. Bleibt an Eurer Wohnstätte; ein andermal, wenn sich bequemere Gelegenheit und mehr Zeit findet, werden wir kommen, Euer Gnaden abzuholen.«

Der Verwalter lachte wie alle Anwesenden, und darüber ward der Kaplan etwas ärgerlich und beschämt; man zog dem Lizentiaten seine schönen Kleider vom Leibe; er blieb im Narrenhaus, und die Geschichte ist aus.

»Das ist also die Geschichte, Herr Barbier«, sprach Don Quijote, »die Ihr nicht umhinkonntet zu erzählen, weil sie mir paßt wie angegossen? O Herr Bartkratzer, Herr Bartkratzer, wie blind müßte der sein, der nicht durch ein Sieb sehen könnte! Und ist es möglich, daß Euer Gnaden nicht weiß, wie gehässig und verpönt Vergleichungen zwischen Naturanlagen und Naturanlagen, zwischen Tapferkeit und Tapferkeit, zwischen Schönheit und Schönheit, zwischen Familie und Familie sind? Ich, Herr Barbier, bin nicht Neptun, der Gott der Gewässer, und bewerbe mich nicht darum, daß irgendwer mich für verständig halte, wo ich es nicht bin, nur darum mühe ich mich, daß die Welt einsehen lerne, in welchem Irrtum sie sich befindet, daß sie nicht versteht, in ihrer Mitte jene Blütezeit zu erneuern, wo der Orden der fahrenden Ritterschaft das Feld behauptete. Aber unser verderbtes Jahrhundert ist nicht würdig eines so hohen Glückes, wie es die Zeiten genossen, da die fahrenden Ritter sich der Pflicht unterzogen und die Bürde auf ihre Schultern nahmen, die Königreiche zu verteidigen, die Jungfrauen zu beschützen, den Waisen und Minderjährigen beizustehen, die Hochmütigen zu züchtigen und die Demütigen zu belohnen. An den meisten der Ritter, wie man sie heute sieht, hört man eher Damast, Goldstoff und andre reiche Gewebe rauschen, in die sie sich kleiden, als die Panzerringe, mit denen sie sich rüsten. Jetzo gibt es keinen Ritter mehr, der da schliefe auf freiem Felde, dem Ungemach des Wetters ausgesetzt, bewehrt mit all seiner Wehr vom Kopf bis zu den Füßen; jetzo gibt es keinen mehr, der, ohne die Füße aus den Bügeln zu ziehen, auf seine Lanze gelehnt, dem Schlafe nur ein weniges vergönnen will, wie die fahrenden Ritter zu tun pflegten; keinen mehr, der, aus dem Walde hier hervorstürmend, in das Gebirge dort eindringen würde und von da aus ein unfruchtbares, wüstes Gestade beschreiten am Rande der See, der fast immer stürmischen und wildbewegten, und der sich am Meeresstrande unverzagten Herzens in einen kleinen Kahn ohne Ruder, Segel, Mast und Tauwerk, den er dort gefunden, hineinwerfen würde und sich preisgäbe den unerbittlichen Wogen des tiefen Meeres, die ihn bald zum Himmel emporschleudern, bald in den Abgrund hinabreißen. Und er, die Brust dem unwiderstehlichen Sturmestoben bietend, plötzlich, im Augenblick, wo er sich dessen am wenigsten versieht, findet sich über dreitausend und mehr Meilen entfernt von dem Orte, wo er zu Schiff gegangen; und wie er nun ans Land springt, ein entlegenes und unbekanntes Land, da begegnet ihm gar vieles, das würdig ist, nicht auf Pergament, sondern auf Erz niedergeschrieben zu werden. Aber heutzutage triumphiert die Trägheit über die Unverdrossenheit, der Müßiggang über die Arbeit, das Laster über die Tugend, die Anmaßung über die Tüchtigkeit, die Theorie über die Praxis des Waffenwerks, das nur im Goldnen Zeitalter unter den fahrenden Rittern gelebt und geglänzt hat.

Oder sagt mir doch: wer war je biederer und mannhafter als Amadís von Gallien? Wer verständiger als Palmerín von England? Wer war gerechter in allen Sätteln und umgänglicher als Tirante der Weiße? Wer ein Mann von besserer Lebensart als Lisuarte von Griechenland? Wer empfing und teilte mehr Schwerthiebe aus als Don Belianís? Wer war unverzagter als Perión von Gallien? oder wer stürzte sich häufiger in Gefahren als Felixmarte von Hyrkanien? oder war aufrichtigeren Gemütes als Esplandián? wer ungestümer als Don Cirongilio von Thrakien? wer schrecklicher im Kampf als Rodornont? wer umsichtiger als der König Sobrino? wer verwegener als Rinald? wer unbesieglicher als Roldán? und wer tapferer und edler von Gebaren als Rüdiger, von dem die heutigen Herzoge von Ferrara abstammen, wie Turpin in seiner Weltbeschreibung sagt? All diese Männer und viele andere, die ich aufführen könnte, Herr Pfarrer, waren fahrende Ritter, waren des Rittertums Glanz und Glorie. Aus ihnen erlesen oder Männer wie sie, so wünschte ich, sollten diejenigen sein, die ich mit meinem Vorschlag meine, und wenn sie es wären, dann würden Seiner Majestät treffliche Dienste geleistet und große Kosten erspart werden, und der Türke könnte sich den Bart ausraufen. Und hiermit sei’s gesagt, ich gedenke nicht an meiner Wohnstätte zu verbleiben, da mich doch der Kaplan nicht aus ihr fortnehmen will. Und wenn Jupiter, wie der Barbier gesagt hat, es nicht regnen lassen will, so bin ich da und lasse es regnen, wann es mich gelüstet; ich sage das, damit der Herr Bartschüssel wisse, daß ich ihn verstehe.«

»In der Tat, Señor Don Quijote«, entgegnete der Barbier, »so habe ich es nicht gemeint – und so wahr mir Gott helfe, meine Absicht war gut, und Euer Gnaden hat keinen Grund, empfindlich zu sein.«

»Ob ich empfindlich sein soll oder nicht«, erwiderte Don Quijote, »das weiß ich schon selbst.«

Darauf sagte der Pfarrer: »Bis zu diesem Augenblick habe ich noch kaum ein Wort gesprochen; ich möchte aber nicht gern in einem Bedenken befangen bleiben, das mich am Gewissen nagt und peinigt und das gerade aus den jetzigen Äußerungen des Señor Don Quijote in mir entstanden ist.«

»Noch ganz andre Dinge sind dem Herrn Pfarrer verstattet«, antwortete Don Quijote, »und so mögt Ihr denn Euer Bedenken aussprechen; es ist nicht gar angenehm, mit einem Bedenken auf dem Gewissen herumzugehen.«

»Mit dieser Genehmigung also«, entgegnete der Pfarrer, »sage ich: mein Gewissensbedenken ist, daß ich mir auf keinerlei Weise einreden kann, der ganze Haufen fahrender Ritter, die Euer Gnaden, Herr Don Quijote, aufgezählt hat, seien wahr und wirklich hienieden Menschen von Fleisch und Bein gewesen; vielmehr meine ich, alles sei nur Erdichtung, Fabel, Lug und Trug, Träume, von Leuten erzählt, die eben aus dem Schlafe erwacht, oder richtiger gesagt, noch halb im Schlafe sind.«

»Das ist abermals ein Irrtum«, versetzte Don Quijote, »ein Irrtum, in den gar viele verfallen sind, die da nicht glauben, es habe derartige Ritter auf Erden gegeben. Ich aber habe mich oft und bei den verschiedensten Leuten und Gelegenheiten bestrebt, diesen so ziemlich allgemeinen Irrtum mit dem Lichte der Wahrheit zu beleuchten; manches Mal indessen habe ich meinen Zweck nicht erreicht, hingegen andre Male ist es mir gelungen, indem ich ihn auf die Schultern der Wahrheit stützte. Diese Wahrheit ist so gewiß, daß ich beinahe sagen könnte, ich hätte Amadís von Gallien mit meinen eignen Augen gesehen: er war ein Mann von hoher Leibesgestalt, hell von Gesichtsfarbe, den Bart wohlgepflegt, wenn auch schwarz, im Blick eine Mischung von Sanftmut und Strenge, karg mit Worten, langsam zum Zorne und rasch zu versöhnen. Und so wie ich den Amadís gezeichnet habe, könnte ich meines Bedünkens die fahrenden Ritter, die auf dem ganzen Weltkreis in den Geschichten leben, samt und sonders malen und beschreiben; denn da ich mir vorstelle, daß sie so waren, wie ihre Geschichten uns erzählen, so kann aus ihren Taten und Eigenheiten mittels richtiger Schlußfolgerung entnommen werden, welches ihre Züge, Gesichtfarbe und Gestalt gewesen.«

»Wie groß denn, meint Euer Gnaden Señor Don Quijote, mag der Riese Morgante gewesen sein?« So fragte der Barbier.

»In betreff der Riesen«, antwortete Don Quijote, »sind die Meinungen verschieden, ob es solche auf der Welt gegeben habe oder nicht; allein die Heilige Schrift, die nicht um ein Jota von der Wahrheit abweichen kann, zeigt uns, daß es solche gegeben hat, da sie uns die Geschichte von jenem ungeheuren Philister Goliath erzählt, der achthalb Ellen hoch war, was eine übermäßige Größe ist. Auch hat man auf der Insel Sizilien mächtige Armknochen und Schulterblätter gefunden, deren Größe beweist, daß sie Riesen, und zwar turmhohen Riesen, angehört haben; die Meßkunst stellt diese Tatsache außer Zweifel. Aber trotzdem kann ich nicht mit Gewißheit sagen, wie groß Morgante war, wiewohl ich meine, er kann nicht allzu groß gewesen sein. Was mich zu dieser Ansicht veranlaßt, ist der Umstand, daß ich in der Geschichte, wo seiner Taten ausführliche Erwähnung geschieht, finde, wie er oftmalen unter Dach geschlafen hat; und wenn er Häuser fand, darin er Platz hatte, so ist seine Größe offenbar nicht übermäßig gewesen.«

»Das ist richtig«, sagte der Pfarrer; und da er Vergnügen daran fand, ihn so ungereimtes Zeug vorbringen zu hören, so fragte er ihn um seine Meinung über die Gesichtszüge des Rinald von Montalbán, des Don Roldán und der übrigen zwölf Pairs von Frankreich, da sie doch sämtlich fahrende Ritter gewesen seien.

»Von Rinald«, antwortete Don Quijote, »wage ich zu sagen, daß er ein breites und stark gerötetes Gesicht hatte, die Augen stets beweglich und etwas hervorstehend, reizbar und zornsüchtig über die Maßen, ein großer Freund von Räubern und schlechtem Gesindel. Über Roldán oder Hruotland oder Roland – denn mit all diesen Namen bezeichnet ihn die Geschichte – bin ich der Meinung, ja ich bin überzeugt, daß er von mittelhoher Gestalt war, breitschultrig, etwas krummbeinig, braun von Gesicht und mit struppigem Bart, dichtbehaart am Körper, dräuenden Blickes, karg mit Worten, doch im übrigen sehr höflich und wohlgesittet.«

»Wenn Roldán nicht zierlicher aussah, als Euer Gnaden gesagt«, entgegnete der Pfarrer, »so war’s kein Wunder, daß Fräulein Angelika die Schöne ihn verschmähte und ihn im Stiche ließ um der Anmut, Seelenglut und Liebenswürdigkeit willen, die der flaumbärtige Mohrenjunge ohne Zweifel besaß, dem sie sich hingab; und sie handelte verständig, daß sie lieber für die Weichheit Medoros entbrannte als für die Rauheit Roldáns.«

»Diese Angelika«, versetzte Don Quijote, »Herr Pfarrer, war ein ausschweifendes, in der Welt herumlaufendes und ziemlich launenhaftes Ding und erfüllte die Welt ebensosehr mit ihren unbesonnenen Streichen als mit dem Ruf ihrer Schönheit. Sie verschmähte tausend vornehme Herren, tausend Helden und tausend Männer von hohem Geiste und begnügte sich mit einem rotwangigen Edelknaben ohne Vermögen, ohne Ruf und Namen als höchstens den eines dankbaren Menschen – ein Name, den ihm die Treue zu seinem Freunde einbrachte. Der große Sänger ihrer Schönheit, der ruhmreiche Ariost, der sich nicht getraute oder nicht Lust hatte, zu besingen, was dieser Dame nach ihrer unwürdigen Hingebung an den Knaben weiter begegnete – was nicht allzu tugendsame Geschichten sein mochten –, ließ die Sache mit den Worten auf sich beruhen:

Und wie sie, um zur Heimat zu gelangen,
Ein gutes Schiff und bestes Wetter fand
Und endlich gab Medoren Indiens Krone,
Das singt ein andrer wohl, in besserm Tone.

Und ohne Zweifel war dies eine Art Prophezeiung, denn die Dichter nennen sich auch Priester Apollos, das heißt Propheten. Und wie wahr dies ist, kann man deutlich ersehen, denn späterhin hat ein berühmter andalusischer Dichter ihre ›Tränen‹ geweint und gesungen, und ein andrer berühmter, ja einziger kastilischer Dichter hat ihre ›Schönheit‹ besungen.«

»Sagt mir, Señor Don Quijote«, sprach hier der Barbier, »hat es nicht etwa einen Dichter gegeben, der neben den vielen, die dies Fräulein Angelika gepriesen, eine Satire auf sie geschrieben hat?«

»Wohl glaube ich«, antwortete Don Quijote, »wenn Sakripant oder Roldán Dichter gewesen wären, so würden sie dem Mägdlein gehörig den Kopf gewaschen haben; denn es ist die Eigenheit und Natur der Poeten, daß sie, wenn verschmäht und nicht erhört von ihren erdichteten oder nicht erdichteten Geliebten, sich an den Damen, die sie zu Herrinnen ihrer Gedanken erkoren haben, in allem Ernste mit Satiren und Schmähschriften rächen, eine Rache, die gewiß edelsinniger Gemüter unwürdig ist. Allein bis jetzt ist kein ehrenrühriger Vers gegen das Fräulein Angelika zu meiner Kenntnis gelangt, das doch die ganze Welt in Aufruhr gebracht hat.«

»Ein Wunder!« rief der Pfarrer.

Indem hörten sie die Haushälterin und die Nichte, die sich vorher schon von der Unterhaltung zurückgezogen hatten, im innern Hofe gewaltig schreien, und sie alle eilten dem Lärmen nach.

52. Kapitel

Von dem Kampfe, so Don Quijote mit dem Ziegenhirten bestand, nebst dem ungewöhnlichen Abenteuer mit den Pilgern auf der Bußfahrt, das er im Schweiße seines Angesichts zu Ende führte

Die Erzählung des Ziegenhirten machte sämtlichen Zuhörern viel Vergnügen, besonders dem Domherrn, der mit ungewöhnlicher Aufmerksamkeit die eigentümliche Art beobachtete, wie jener erzählte, der, weit entfernt, sich als ein bäurischer Hirte zu zeigen, beinahe für einen feinen Hofmann gelten konnte. Daher sagte der Domherr, der Pfarrer habe recht gehabt mit seiner Behauptung, daß das Waldgebirge Leute von Bildung auferzieht. Alle erboten sich dem Hirten Eugenio zu Dienstleistungen; wer sich aber darin am freigebigsten zeigte, war Don Quijote, der zu ihm sprach: »Gewiß, Freund Ziegenhirt, wenn ich mich in der Möglichkeit fände, irgendwelch Abenteuer zu beginnen, gleich auf der Stelle würde ich mich auf den Weg begeben, auf daß Euer Abenteuer zu glücklichem Ziele käme, und aus dem Kloster, worin sie zweifelsohne wider ihren Willen weilet, würde ich Leandra reißen, trotz der Äbtissin und trotz jeglichem, der es verwehren möchte, und würde sie Euch in die Hände geben, auf daß Ihr mit selbiger ganz nach Eurem Willen und Begehr verfahret – unter Wahrung jedoch der Gesetze des Rittertums, welche vorschreiben, daß keinem Fräulein irgendeine Ungebühr angetan werde. Indessen hoffe ich zu Gott dem Herrn, es werde die Macht eines boshaften Zauberers nicht so viel vermögen, daß nicht die eines andern, günstiger gesinnten Zauberers weit mehr vermöchte, und für alsdann verheiße ich Euch meinen Schutz und Beistand, wie mich mein Beruf zu tun verpflichtet, welcher kein andrer ist, denn den Hilflosen und Bedrängten zu Hilfe zu kommen.«

Der Ziegenhirt schaute ihn an, und als er Don Quijotes schlechten Aufzug und jämmerliches Angesicht bemerkte, verwunderte er sich und sprach zu dem Barbier, den er in seiner Nähe sah: »Señor, wer ist der Mann, der so wunderlich aussieht und solcherlei Reden führt?«

»Wer wird es anders sein«, antwortete der Barbier, »als der weitberühmte Don Quijote von der Mancha, der Mann, der alle Ungebühr abstellt, alles Unrecht wieder zurechtbringt, der Schirmer aller Jungfrauen, der Schrecken aller Riesen und der Sieger in allen Kämpfen!«

»Ei«, sagte der Ziegenhirt, »das klingt mir ganz nach dem, was man in den Büchern von den fahrenden Rittern liest, die all dies taten, was Euer Gnaden von diesem Manne sagt; wiewohl ich der Meinung bin, daß entweder Euer Gnaden einen Spaß macht oder daß es bei diesem Edelmann leer im Oberstübchen aussieht.«

»Ihr seid ein ausbündiger Schelm«, rief hier Don Quijote, »Ihr, Ihr seid der dumme Tölpel, bei Euch ist es leer und schwach im Kopf; bei mir ist es voller, als es jemals bei der niederträchtigen Hure war, der schlechten Hure, die Euch auf die Welt gesetzt hat!«

Kaum gesagt, riß er ein Brot vom Tische, das gerade neben ihm lag, und schleuderte es dem Ziegenhirten so wild ins Gesicht, daß er ihm schier die Nase plattschlug. Allein als der Ziegenhirt, der keinen Spaß verstand, sah, wie man allen Ernstes ihm übel mitspielte, setzte er alle Rücksicht auf den Teppich, auf das Tischtuch und die ganze tafelnde Gesellschaft beiseite, sprang auf den Ritter los, packte ihn mit beiden Händen am Halse und hätte ihn ohne Zweifel erwürgt, wenn nicht gerade im Augenblick Sancho Pansa gekommen wäre, ihn an den Schultern gepackt und ihn über den Tisch, hingeworfen hätte, wobei Schüsseln zerschlagen, Trinkschalen zerbrochen und alles, was auf dem Tische war, verschüttet und umhergeworfen wurde. Don Quijote, der sich jetzt frei sah, stürzte sofort über den Ziegenhirten her, und dieser, voll Blut im Gesichte, von Sancho mit Fußtritten bearbeitet, zappelte auf allen vieren nach einem Messer vom Tische, um sich blutig zu rächen; allein der Domherr und der Pfarrer hinderten ihn daran. Der Barbier jedoch wußte es anzustellen, daß der Hirt den Ritter unter sich brachte, und nun ließ er auf diesen eine solche Unzahl von Faustschlägen regnen, daß vom Gesichte des armen Don Quijote ebensoviel Blut troff wie von dem seinigen. Der Domherr und der Pfarrer wollten vor Lachen bersten, die Landreiter sprangen in die Höhe vor lauter Lust, und diese wie jene hetzten drauflos, wie man mit Hunden tut, wenn sie heftig aneinandergeraten sind. Nur Sancho Pansa war schier in Verzweiflung, weil er sich nicht von einem Diener des Domherrn losmachen konnte, der ihn festhielt und ihn hinderte, seinem Herrn zu Hilfe zu kommen.

Während sie nun alle so in tollem Jubel waren, mit Ausnahme der zwei Faustkämpfer, die miteinander balgten, vernahmen sie den Klang einer Trompete, einer so trübselig tönenden, daß sich alle Blicke nach der Seite hinwendeten, von wo der Klang ihnen herzukommen schien. Wer aber am meisten darüber in Aufregung geriet, war Don Quijote, der zwar noch, freilich sehr gegen seinen Willen und mehr als nur mäßig zerbleut, unter dem Ziegenhirten lag, aber dennoch ihn ansprach: »Lieber guter Teufel, denn was andres kannst du nicht sein, da deine Tapferkeit und Kraft so groß ist, um die meinige zu bewältigen, ich bitte dich, laß uns einen Waffenstillstand schließen, nicht länger als auf eine Stunde; denn der jammervolle Klang jener Drommete, der zu unsern Ohren dringt, scheint mich zu einem neuen Abenteuer zu rufen.«

Der Ziegenhirt, bereits müde, zu prügeln und geprügelt zu werden, ließ ihn auf der Stelle los, und Don Quijote erhob sich, wendete nun ebenfalls das Gesicht dahin, wo man den Ton vernahm, und sah plötzlich, wie von einem Hügel eine Menge von Leuten herabkam, alle wie Pilger auf einer Bußfahrt weiß gekleidet. In diesem Jahre hatten nämlich die Wolken der Erde ihr Naß versagt, und in allen Ortschaften dieser Gegend wurden Wallfahrten, Bittgänge und Bußübungen abgehalten, um Gott zu bitten, daß er die Hände seiner Barmherzigkeit auftue und Regen spende, und zu diesem Zwecke kamen die Leute aus einem nahegelegenen Dorfe wallfahrend zu einer heiligen Einsiedelei gezogen, die auf einer Höhe bei diesem Tale lag.

Don Quijote erblickte die seltsamen Trachten der Bußfahrer, ohne daß ihm ins Gedächtnis kam, wie oft er sie schon gesehen haben mußte, und bildete sich ein, dies sei so etwas von einem Abenteuer und ihm allein als fahrendem Ritter komme es zu; sich an dasselbe zu wagen. Und was ihn in dieser Einbildung noch mehr bestärkte, war, daß er sich einredete, eine Bildsäule, die sie in Trauerhüllen einhertrugen, sei eigentlich eine vornehme Dame, die von diesen Bösewichtern und schamlosen Wegelagerern mit Gewalt entführt werde. Und sobald ihm dies in den Kopf kam, stürzte er leichtfüßig auf Rosinante los, der dort weiden ging, nahm ihm vom Sattelbogen den Zügel und die Tartsche, zäumte ihn im Nu auf, und sein Schwert von Sancho fordernd, stieg er auf Rosinante, nahm die Tartsche in den Arm und sprach zu den Anwesenden allen mit erhobener Stimme: »Itzo, mannhafte Gesellschaft, sollet Ihr erschauen, wie hochwichtig es ist, daß es auf Erden Ritter gibt, die sich zum Orden der fahrenden Ritterschaft bekennen; itzo, also sag ich, sollet ihr an der Befreiung dieser trefflichen Dame, die sich dort in Banden zeigt, erkennen, ob die fahrenden Ritter hoher Achtung wert sind.«

Und also redend gab er dem Rosinante die Schenkel, denn Sporen hatte er nicht an, und rannte in kurzem Galopp – denn daß sich Rosinante jemals zu gestreckter Karriere verstiegen, das liest man nirgends in dieser ganzen wahrhaftigen Geschichte – auf die Bußfahrer los, wiewohl der Pfarrer und der Domherr hinliefen, um ihn zurückzuhalten; aber es war ihnen nicht möglich, und ebensowenig hielt ihn das Geschrei Sanchos zurück, der ihm zurief: »Wo wollt Ihr hin, Señor Don Quijote? Was für Teufel habt Ihr im Leib, die Euch antreiben, gegen unsern katholischen Glauben vorzugehen? Habt doch acht, o weh meiner armen Seele! daß es eine Wallfahrt von Büßern ist, und die Dame, die dort auf dem Gestell getragen wird, ist das gebenedeite Bild der unbefleckten Jungfrau; bedenket, Señor, was Ihr tut, denn diesmal kann man wirklich sagen, daß Ihr nicht tut, was Eures Berufes ist!«

Vergeblich mühte sich Sancho ab, denn sein Herr hatte es so fest im Sinn, auf die Leute in den weißen Hüllen heranzustürmen und die Dame in Trauer zu befreien, daß er kein Wort hörte, und hätte er es auch gehört, so wäre er doch nicht umgekehrt, und wenn der König selbst es ihm geboten hätte. Er erreichte also den Zug, hielt Rosinante an, der ohnehin schon große Lust hatte, ein wenig auszuruhen, und rief mit heftig erregter, heiserer Stimme: »Ihr, die ihr, vielleicht weil ihr tugendlose Leute seid, das Angesicht verhüllt traget, harret still und horchet auf die Worte, die ich Euch zu sagen habe.«

Die ersten, die anhielten, waren die Träger des Bildes. Und als einer der vier Geistlichen, welche die Litaneien sangen, das seltsame Aussehen Don Quijotes, die Magerkeit Rosinantes und andre Umstände, die zum Lachen waren, an dem Ritter bemerkte, entgegnete er ihm folgende Worte: »Lieber Herr und Freund, wenn Ihr uns etwas zu sagen habt, so sagt es rasch, denn diese frommen Brüder zergeißeln sich den Leib, und wir können und dürfen uns vernünftigerweise nicht aufhalten, irgend etwas anzuhören, wenn es nicht etwa so kurz ist, daß man es in zwei Worten sagen kann.«

»In einem Worte werde ich es euch sagen«, erwiderte Don Quijote, »und so lautet es: Ihr sollt gleich auf der Stelle diese schöne Dame freigeben, deren Tränen und betrübtes Antlitz deutlich zeigen, daß ihr sie wider ihren Willen fortschleppt und daß ihr eine offenbare Ungebühr an ihr verübt habt. Und ich, der ich zur Welt geboren bin, um dergleichen Freveltaten abzustellen, ich werde nicht gestatten, daß sie einen einzigen Schritt weiterziehe, ohne ihr die ersehnte Freiheit wiederzugeben, deren sie würdig ist.«

An diesen Worten merkten alle Hörer, Don Quijote müsse verrückt sein, und brachen in herzliches Lachen aus; aber hier zu lachen hieß Pulver auf Don Quijotes Zorneswut schütten, und ohne ein Wort weiter zu sagen, zog er das Schwert und sprengte auf die Tragbahre los. Einer der Träger stürzte, die Bürde sofort seinen Gefährten überlassend, Don Quijote entgegen, schwang als Waffe eine jener Gabelstützen, auf welche man beim Ausruhen die Bahre setzt, und nachdem er mit dieser Wehr einen gewaltigen Schwerthieb aufgefangen, der sie in zwei Stücke schlug, versetzte er mit dem letzten Drittel, das ihm in der Hand blieb, dem Ritter einen solchen Schlag über die Schulter auf der Schwertseite, die der Schild gegen die rohe bäurische Kraft nicht schützen konnte, daß der arme Don Quijote gar übel zugerichtet niederstürzte.

Als Sancho Pansa, der ihm keuchend nachgeeilt war, ihn am Boden liegen sah, schrie er dem Zerbleuer seines Herrn zu, er solle vom Prügeln ablassen, denn der sei ein armer verzauberter Ritter, der all sein Lebtag keinem ein Leides getan. Aber was den Bauern zurückhielt, war nicht Sanchos Geschrei, sondern ein Blick auf den Ritter, der weder Hand noch Fuß rührte, und da er nun glaubte, er habe diesen totgeschlagen, raffte er in aller Eile seinen Kittel bis zum Gürtel auf und machte sich hurtig wie ein Gemsbock über das Gefilde von dannen.

Don Quijote

Inzwischen waren alle übrigen aus Don Quijotes Gesellschaft zu der Stelle gekommen, wo er lag. Aber die Leute von der Bußfahrt, die sahen, wie all die Herren dort und dabei die Landreiter mit ihren Armbrüsten herzueilten, gerieten in Furcht vor einem schlimmen Ausgang der Sache, drängten sich insgesamt im Kreis um das Bild her, schlugen ihre Kapuzen über den Kopf und faßten ihre Geißeln fest in die Fäuste. Desgleichen taten auch die Geistlichen mit ihren Altarleuchtern, und so erwarteten sie den Ansturm, mutig entschlossen zu Schutz und womöglich auch zu Trutz gegen die Angreifer.

Allein das Glück fügte es besser, als man dachte; denn Sancho tat nichts weiter, als daß er sich über den Körper seines Herrn warf und, im Glauben, er sei wirklich tot, über ihn die schmerzlichste und zugleich lächerlichste Klage erhob, die sich denken läßt.

Der Pfarrer ward von einem andern Pfarrer erkannt, der mit bei der Bußfahrt war, und diese Bekanntschaft beschwichtigte die Besorgnis im Gemüte beider Geschwader. Der erste Pfarrer erklärte dem zweiten mit ein paar Worten, wer Don Quijote sei, und der ganze Haufe der Bußfahrer kam herbei, um zu sehen, ob der arme Ritter tot sei. Da hörten sie, wie Sancho Pansa mit Tränen in den Augen sprach: »O du Blume des Rittertums, der du mit einem einzigen Knüppelhieb die Bahn deiner so trefflich verwendeten Jahre abgeschlossen! O du Preis deines Geschlechtes, Ehre und Ruhm der ganzen Mancha, ja der ganzen Welt, welche nun, da du ihr gebrichst, voller Übeltäter bleiben wird, die da nicht mehr fürchten müssen, für ihre Missetaten gezüchtigt zu werden! O du, freigebig über alle Alexanders hinaus, sintemal du mir für nicht mehr als acht Monde Dienstes die beste Insul gegeben hattest, die das Meer umgürtet und umfleußt! O du, demütig gegen die Hochmütigen und stolz gegen die Demütigen, trotzbietend den Gefahren, Erdulder feindlichen Schimpfes, verliebt ohne allen Grund, Nachahmer der Guten, Geißel der Bösen, Feind der Schlechten; in einem Wort, fahrender Ritter! Was alles enthält, was sich sagen läßt!«

Von Sanchos Schreien und Ächzen lebte Don Quijote wieder auf, und das erste Wort, das er sprach, war dieses: »Wer ferne von Euch lebt, süßeste Dulcinea, ist noch größerem Elend als diesem preisgegeben. Hilf mir, Freund Sancho, mich auf den verzauberten Karren zu setzen, denn ich bin nicht mehr imstande, Rosinantes Sattel zu belasten, sintemal mir diese ganze Schulter zu Stücken zerschlagen ist.«

»Das will ich sehr gerne tun, Herre mein«, antwortete Sancho, »und laßt uns in unser Dorf heimkehren, in Gesellschaft dieser Herren, die Euer Bestes wollen; und dort wollen wir Anstalt zu einer neuen Ausfahrt treffen, die uns zu größerem Vorteil und Ruhm gereichen soll.«

»Wohlgesprochen, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »und es wird sehr klug sein, den übeln Einfluß der Gestirne, der jetzt waltet, vorübergehen zu lassen.«

Der Domherr, der Pfarrer und der Barbier erklärten ihm, er würde sehr gut daran tun, so zu handeln, wie er gesagt; und höchlich belustigt von Sanchos einfältigen Redensarten setzten sie Don Quijote auf den Karren, darauf er vorher gefahren war. Die Bußfahrt wurde wieder in die rechte Ordnung gebracht und setzte ihren Weg fort; der Ziegenhirt verabschiedete sich von allen; die Landreiter wollten nicht weiter mitziehen, und der Pfarrer zahlte ihnen, was man ihnen schuldig war. Der Domherr bat den Pfarrer, ihn zu benachrichtigen, wie es mit Don Quijote erginge, ob er von seiner Narrheit genesen oder ob er auch fernerhin bei ihr beharren werde; und hiermit nahm er Urlaub, um seine Reise weiter zu verfolgen. Kurz, alle trennten sich und schieden voneinander; es blieb niemand als nur der Pfarrer und der Barbier, Don Quijote und Pansa und der gute Kerl von Rosinante, der bei allem, was er erlebt hatte, ebensoviel Geduld bewahrte wie sein Herr.

Der Ochsenkärrner spannte seine Ochsen ein, machte Don Quijote auf einer Schicht Heu ein Lager zurecht, und langsam und gelassen, wie gewohnt, verfolgte er den Weg, den der Pfarrer vorschrieb; und nach Verfluß von sechs Tagen kamen sie in Don Quijotes Dorf, wo sie um Mittag einzogen. Es war gerade Sonntag, und die Einwohner standen alle auf dem Marktplatz umher, über den Don Quijotes Karren mitten darüberfuhr. Alle liefen herbei und wollten sehen, was auf dem Karren war, und als sie ihren Landsmann erkannten, waren sie höchlich verwundert; und ein Junge lief eilends hin, um seiner Haushälterin und seiner Nichte anzusagen, daß ihr Oheim und Herr ankomme, abgemagert und bleich und auf einem Heubündel ausgestreckt und auf einem Ochsenkarren. Es war ein Jammer, zu hören, wie die zwei guten Frauenzimmer ein Geschrei erhoben, sich vor den Kopf schlugen und wiederum Verwünschungen gegen die verwünschten Ritterbücher ausstießen. Und das alles fing aufs neue an, als sie Don Quijote ins Tor seines Hauses einfahren sahen.

Auf die Nachricht von seiner Ankunft eilte auch Sancho Pansas Frau herbei, die längst erfahren hatte, ihr Mann sei mit dem Ritter als dessen Schildknappe fortgezogen; und als sie Sancho erblickte, war das erste, was sie fragte, ob es dem Esel wohlgehe. Sancho antwortete, es gehe ihm besser als seinem Herrn.

»Gott sei Lob und Dank«, sprach sie dagegen, »daß er mir diese Gnade erwiesen hat! Aber erzählet mir nun, mein Lieber, was für einen Gewinn habt Ihr aus Eurer Schildknapperei gezogen? Was für einen neuen Rock bringt Ihr mir mit? Was für Schühchen für Eure Kinder?«

»Nichts dergleichen bring ich mit, mein Weib«, versetzte Sancho, »wiewohl ich andere Sachen von größerer Wichtigkeit und Bedeutung mitbringe.«

»Das soll mir recht sein«, entgegnete die Frau; »zeigt mir doch diese Sachen von größerer Bedeutung und Wichtigkeit, denn ich brenne darauf, sie zu sehen, damit ich darob mein Herz erheitere, das alle die Jahrhunderte Eurer Abwesenheit hindurch traurig und mißvergnügt war.«

»Zu Hause will ich sie Euch zeigen, Frau«, sprach Pansa, »und für jetzt seid vergnügt, denn wenn es Gott beliebt, daß wir noch einmal auf die Suche nach Abenteuern ausziehen, werdet Ihr mich bald als Grafen sehen oder als Statthalter einer Insul, und zwar nicht einer solchen Insul, wie sie da und dort herumliegen, sondern der allerbesten, die zu finden ist.«

»Das gebe Gott, lieber Mann, denn wir haben’s wahrlich nötig. Aber sagt mir doch, was ist das mit den Insuln? Ich verstehe es nicht.«

»Der Honig ist nicht da für Esels Maul«, antwortete Sancho; »seiner Zeit wirst du es schon erleben, Frau; ja du wirst dich wundern, wenn du hörst, wie dich all deine Vasallen mit Euer Herrlichkeit anreden.«

»Was sagst du, Sancho, von Herrlichkeiten, Insuln und Vasallen?« entgegnete Hanne Pansa; denn so hieß Sanchos Frau, nicht als ob sie Blutsverwandte gewesen wären, sondern weil es in der Mancha bräuchlich ist, daß die Frau den Familiennamen des Mannes annimmt.

»Steife dich doch nicht darauf, Hanne, daß du alles so eilig erfahren mußt; genug, daß ich dir die Wahrheit sage, und jetzt nähe dir den Mund zu. Ich kann dir nur so im Vorübergehen sagen, es gibt nichts Vergnüglicheres auf Erden, als wenn man ein angesehener Mann und Schildknappe eines fahrenden Ritters ist, der auf Abenteuer auszieht. Zwar gehen sie meistens nicht so nach Wunsch aus, wie man eben möchte, denn von hundert, auf die man stößt, pflegen neunundneunzig verkehrt und schief zu gehen. Ich weiß das aus Erfahrung, denn aus etlichen bin ich gewippt und aus anderen zerbleut davongekommen. Aber trotz alledem ist es prächtig, wenn man die Gegebenheiten an sich herankommen läßt und dabei Waldgebirge durchwandert, Forsten durchsucht, Felsen besteigt, Burgen besucht, in Schenken frei nach Belieben herbergt, und der Pfennig, den man da bezahlt, den soll der Teufel holen!«

Diese ganze Unterhaltung fand zwischen Sancho Pansa und Hanne Pansa, seiner Frau, statt, während die Haushälterin und Nichte Don Quijotes diesen empfingen und auszogen und ihn auf sein altväterliches Bett streckten. Er betrachtete sie mit verdrehten Augen und konnte es nicht fassen, an welchem Ort er sich befinde. Der Pfarrer trug der Nichte auf, die möglichste Sorge auf die Verpflegung ihres Oheims zu wenden und aufzupassen, daß er ihnen nicht nochmals entkomme; wobei er ihnen erzählte, was alles vonnöten gewesen, um ihn nach Hause zu bringen. Nun erhob sich aufs neue das Jammergeschrei der beiden gen Himmel; nun erklangen die Verwünschungen gegen die Ritterbücher von neuem; nun flehten sie zum Himmel, er wolle die Schreiber so vieler Lügen und Ungereimtheiten zum tiefsten Abgrund der Hölle verdammen. Und zum Ende wurden sie von größter Bestürzung und Angst ergriffen, sich von ihrem Herrn und Oheim wieder verlassen zu sehen, sobald er einige Besserung verspüren werde. Und in der Tat geschah es so, wie sie es sich vorstellten.

Allein der Verfasser dieser Geschichte, wiewohl er achtsam und beflissen den Taten nachspürte, die Don Quijote bei seiner dritten Ausfahrt vollbracht, konnte von derselben keine Nachricht auffinden, wenigstens nicht in beglaubigten Aufzeichnungen. Nur das Gerücht hat in den Erinnerungen der Mancha den Umstand aufbewahrt, daß Don Quijote, als er zum drittenmal von daheim auszog, sich nach Zaragoza verfügte und sich dort bei einem großen Turnier einfand, welches in jener Stadt abgehalten wurde, und daß dort sich manches zutrug, was seinem Heldensinn und seinem verständigen Geiste in würdiger Weise entsprach.

Auch über sein Ende und Hinscheiden hat der Verfasser keine Nachricht erlangen können und hätte nie eine erlangt noch etwas darüber erfahren, wenn nicht ein glücklicher Zufall ihm einen alten Arzt zugeführt hätte, der eine bleierne Kiste im Besitz hatte, welche nach seiner Angabe sich in den zerfallenen Grundmauern einer alten, in der Wiederherstellung begriffenen Einsiedelei gefunden habe. In dieser Kiste hatte man Pergamentrollen entdeckt, ganz beschrieben mit gotischen Buchstaben. Es waren jedoch kastilianische Verse, und diese schilderten viele von Don Quijotes Heldentaten und gaben Bericht über die Schönheit der Dulcinea von Toboso, über Rosinantes Gestalt und Aussehen, über Sancho Pansas Treue und über das Grab Don Quijotes selbst, mit verschiedenen Grabschriften und Lobgedichten auf sein Leben und Treiben. Diejenigen Verse, die es möglich war zu lesen und ins reine zu schreiben, sind die folgenden, die der glaubwürdige Verfasser dieser ganz neuen und nie erhörten Geschichte hierhersetzt.

Besagter Verfasser aber, zum Lohn der unermeßlichen Arbeit, die es ihn gekostet, alle geheimen Urkundengewölbe der Mancha zu untersuchen und zu durchforschen, um sotane Geschichten ans Licht zu ziehen, bittet die Leser um nichts weiter, als daß sie ihm dieselbe Glaubwürdigkeit zuerkennen wie alle verständigen Leute den Ritterbüchern, die in der Welt allgemein so hohe Gunst genießen. Damit wird er sich für wohlbelohnt und zufriedengestellt erachten und sich ermutigt fühlen, noch andere Geschichten aufzusuchen und ans Licht zu ziehen, die, wenn auch nicht so wahr, wenigstens ebenso reich an Erfindungsgabe sein und ebensoviel Zeitvertreib bieten sollen.

Die ersten Worte, die auf dem in der bleiernen Kiste gefundenen Pergament geschrieben standen, waren diese:

DIE AKADEMIKER VON ARGAMASILLA, EINEM ORTE IN DER MANCHA, AUF LEBEN UND TOD DES MANNHAFTEN DON QUIJOTE VON DER MANCHA

HOC SCRIPSERUNT

Der Schwarzaffe, Akademiker zu Argamasilla, auf die Grabstätte Don Quijotes

Grabschrift

Der hohle Fratz, der mehr mit Siegeszeichen,
Als Jason Kreta einst, die Mancha schmückte;
Der seltne Geist, der kluge, der verrückte,
Schier einer Wetterfahne zu vergleichen;

Der Arm, der von Gaeta zu den Reichen
Katais‘ den Schild trug und das Schlachtschwert zückte;
Der tollste Musenzögling, dem’s je glückte,
Auf Erze seinen Ruhm herauszustreichen;

Der weit ließ hinter sich die Amadíse;
Dem, weil er nur für Lieb und Ruhm entbrannte,
In Galaor verhaßt war das Gemeine;

Vor dem verstummten selbst die Belianise:
Der Held, der irrend ritt auf Rosinante,
Der liegt hier unter diesem kalten Steine.

Vom Tellerlecker, Akademiker zu Argamasilla, in laudem der Dulcinea von Toboso

Sonett

Seht hier, das Antlitz ganz in Fett verschwommen,
Läßt sich hochbrüstig, feurig von Gebaren,
Tobosos Königin Dulcinee gewahren,
Für die der Held Quijote in Lieb entglommen.

Für sie hat er das Schwarzgebirg erklommen
Nordwärts und südwärts, trieb den Feind zu Paaren
Im Feld von Montiel, zog in Gefahren
Bis Aranjuez, zu Fuß und schier verkommen

Durch Rosinantes Schuld. O Schicksal, bitter
Strafst du die Mancha-Königin und diesen
Fahrenden Ritter! Denn in jungen Jahren

Starb mit ihr ihre Schönheit, und der Ritter,
Obschon auf Marmor ewiglich gepriesen,
Nie konnt er sich vor Lieb und Täuschung wahren.

Vom Grillenfänger, dem höchst geistvollen Akademiker zu Argamasilla, zum Preise Rosinantes, Schlachtrosses des Helden Don Quijote von der Mancha

Sonett

Am Thron von Demant, wo auf blutig heißen
Fußspuren Mars, der wilde, siegreich waltet,
Hat der Manchaner Held tollkühn entfaltet
Sein Banner, läßt es stolz im Winde kreisen.

Da hängt er auf die Rüstung und das Eisen,
Das scharfe, das zerstückt, zerstört, zerspaltet:
Großtaten neuer Art! Doch Kunst gestaltet
Dem neuen Paladin auch neue Weisen.

Ruht Galliens Ruhm auf seinem größten Sohne,
Dem Amadís, durch dessen Enkelkinder
Der Griechen Lande sich mit Ruhm bedecken –

Quijoten reicht Bellonas Hof die Krone
Anitzt; die Mancha rühmt sich sein nicht minder
Als Griechenland und Gallien ihrer Recken.

Des Ruhm wird nie Vergessenheit beflecken,
Da Rosinante schon, der wenig wagte,
Den Brillador und Bayard überragte.

Vom Spötter, Argamasillanischen Akademiker, auf Sancho Pansa

Sonett

Schaut Sancho Pansa hier, der Knappen Krone,
An Körper klein, doch Wunder! groß an Geiste;
Ein Knappe frei von Witz, der allermeiste
Von jedem Falsch, ich schwör’s beim höchsten Throne.

Fast war er Graf geworden, ’s war nicht ohne,
Wenn sich nicht gegen ihn verschwur die feiste
Gemeinheit und die Ränkesucht, die dreiste,
Zu boshaft, daß sie nur ein Eslein schone!

Auf diesem Tier zog, mit Verlaub zu sagen,
Der gute Knappe hinter jenem guten
Gaul Rosinante her und seinem Reiter.

O leere Hoffnungen, die Frucht nie tragen!
Ihr flieht vorüber, wo wir gerne ruhten,
Und werdet Schatten, Träume, Rauch – nichts weiter!

Vom Teufelsfratz, Akademiker zu Argamasilla, auf Don Quijotes Grabstätte

Grabschrift

Hier tät man zur Ruhe legen
Einen Ritter wohlzerschlagen,
Übelfahrend, den getragen
Rosinant‘ auf manchen Wegen.

Sancho Pansa liegt daneben,
Dumm von Geist, grob von Gebärden,
Doch der Treuste, den’s auf Erden
Je im Knappendienst gegeben.

Vom Kunterbunt, Akademiker zu Argamasilla, auf das Grab Dulcineas von Toboso

Grabschrift

Hier ruht Dulcinea; loben
Mußte man die drallen Glieder;
Und doch warf der Tod sie nieder,
Daß zu Asche sie zerstoben.

Sie, von christlich reinem Stamme,
Tat, als ob sie adlig wäre;
Sie war Held Quijotes Flamme
Und des Dorfes Stolz und Ehre.

Dies waren die Verse, die noch zu lesen waren; die übrigen übergab man, weil die Schrift von Würmern zerfressen war, einem Akademiker, damit er sie mittels seiner gelahrten Konjekturen entziffern möchte. Man hat Kunde davon, daß er es mit Hilfe vieler durchwachter Nächte und großer Mühsal vollbracht hat und daß er beabsichtigt, in Hoffnung einer dritten Ausfahrt Don Quijotes sie ans Licht zu ziehen.

Forse altri canterà con miglior plettro.

6. Kapitel

Von der heiteren und gründlichen Untersuchung, welche der Pfarrer und der Barbier in der Bücherei unsres sinnreichen Junkers anstellten

Der aber schlief noch immer. Der Pfarrer forderte der Nichte die Schlüssel des Gemaches ab, wo die Bücher, die Anstifter des Unheils, sich befanden, und sie gab sie ihm mit gar vielem Vergnügen. Sie traten alle hinein, und die Haushälterin mit ihnen, und fanden mehr als hundert Bände großer, gut gebundener Bücher nebst andern, kleineren; und sobald die Haushälterin sie sah, ging sie in großer Eile wieder aus dem Zimmer hinaus, kehrte bald mit einem Näpfchen Weihwasser und einem Weihwedel zurück und sagte: »Nehmet, Euer Gnaden, Herr Lizentiat, besprengt dieses Zimmer, damit kein Zauberer von den vielen, die diese Bücher enthalten, hierbleibe und uns verzaubere, um uns zu strafen für die Strafe, mit der wir sie belegen wollen, indem wir sie aus der Welt schaffen.«

Den Lizentiaten brachte die Einfalt der Haushälterin zum Lachen, und er wies den Barbier an, er solle ihm von den Büchern eins nach dem andern reichen, um zu sehen, wovon sie handelten, da es doch sein könnte, daß man einige fände, welche die Strafe des Feuers nicht verdienten. »Nein«, sagte die Nichte, »es ist kein Grund, irgendeines zu verschonen; denn sie alle sind die Unheilstifter gewesen. Am besten wird es sein, sie zum Fenster hinaus in den Vorhof zu schleudern, sie zu einem Haufen zu schichten und Feuer an sie zu legen oder, wenn nicht, sie in den großen Hof zu werfen; dort soll der Scheiterhaufen errichtet werden, und so wird der Rauch nicht beschwerlich fallen.«

Das nämliche sagte die Haushälterin, so groß war das Verlangen, das die beiden nach dem Tode dieser unschuldigen Kindlein trugen. Allein der Pfarrer wollte nicht darauf eingehen, ohne wenigstens erst die Titel zu lesen.

Das erste, was ihm Meister Nikolas in die Hände gab, waren Die vier Bücher des Amadís von Gallien, und der Pfarrer sprach: »Es scheint hierbei etwas Wundersames zu walten; denn wie ich habe sagen hören, war dieses Werk das erste Ritterbuch, das in Spanien gedruckt wurde, und alle übrigen haben ihren Ausgang und Ursprung von diesem genommen; und also ist meine Meinung, daß wir den Amadís als den Irrlehrer und Stifter einer so schlimmen Sekte, ohne Zulassung irgendeines Milderungsgrundes, zum Feuer verurteilen müssen.«

»Nein, Herr Pfarrer«, entgegnete der Barbier, »denn ich habe auch sagen hören, es sei das beste aller Bücher, die in dieser Art verfaßt worden, und so muß ihm, als einzig in seiner Kunstgattung, Gnade zuteil werden.«

»Das ist richtig«, sagte der Pfarrer, »und aus diesem Grunde wird ihm für jetzt das Leben gewährt. Sehen wir jenes andere an, das neben ihm steht.«

»Das«, sagte der Barbier, »sind die Geschichten von Esplandian, dem ehelichen Sohn des Amadís von Gallien.«

»Nun, in der Tat«, versetzte der Pfarrer, »dem Sohne soll die Trefflichkeit des Vaters nicht zugute kommen; nehmt, Jungfer Haushälterin, öffnet das Fenster dort und werft ihn in den Hof; mit ihm soll die Aufschichtung des Scheiterhaufens begonnen werden, den wir errichten wollen.«

Mit großem Behagen tat die Haushälterin also, und der gute von Esplandian nahm seinen Flug in den Hof und harrte daselbst in aller Geduld des Feuers, das ihm drohte.

»Weiter!« sprach der Pfarrer.

»Der hier kommt«, sagte der Barbier, »ist Amadís von Griechenland; ja alle auf dieser Seite, wie ich glaube, sind aus der nämlichen Sippschaft des Amadís.«

»So mögen sie alle in den Hof hinabwandern«, sprach der Pfarrer; »denn um die Königin Pintiquiniestra verbrennen zu dürfen, nebst dem Schäfer Darinel und seinen Hirtengedichten und den verteufelten und verdrehten Redensarten ihres Verfassers, würde ich mit ihnen meinen eigenen Vater verbrennen, wenn er in der Gestalt eines fahrenden Ritters aufträte.«

»Dieser Meinung bin ich auch«, versetzte der Barbier.

»Und ich auch«, fügte die Nichte bei.

»Da dem so ist«, sprach die Haushälterin, »her damit und in den Hof mit ihnen!«

Man reichte sie ihr, es waren deren viele, und sie ersparte sich die Treppe und warf sie zum Fenster hinaus.

»Wer ist jenes Stückfaß?« fragte der Pfarrer.

»Es ist dies«, antwortete der Barbier, » Don Olivante de Laura

»Der Verfasser dieses Buches«, sprach der Pfarrer, »war derselbe, welcher den Blumengarten schrieb, und in der Tat, ich könnte nicht entscheiden, welches von beiden Büchern wahrhafter, oder richtiger gesagt, minder lügenhaft ist; ich kann nur sagen, daß dieses, weil es ungereimt und frech, in den Hof wandern wird.«

»Dieses folgende Buch ist Florismarte von Hyrkanien«, sagte der Barbier.

»Ist der Herr Florismarte da?« entgegnete der Pfarrer. »Auf mein Wort denn, er soll baldigst seine Bestimmung im Hofe finden, trotz seiner wundersamen Geburt und seiner chimärischen Abenteuer; denn die Härte und Trockenheit seines Stils gestattet nichts anderes. In den Hof mit ihm und mit jenem andern, Jungfer Haushälterin.«

»Mir recht, Herr Pfarrer«, antwortete sie und vollstreckte mit vielen Freuden, was ihr aufgetragen worden.

»Dies ist Der Ritter Platir«, sagte der Barbier.

»Es ist ein altes Buch«, versetzte der Pfarrer, »und ich finde nichts darin, das Gnade verdiente; es begleite die andern ohne Widerrede.«

Und so geschah es.

Ein andres Buch ward aufgeschlagen, und sie sahen, daß es den Titel hatte Der Ritter vom Kreuz.

»Um eines so heiligen Namens willen, wie dieses Buch trägt, hätte man ihm seine Dummheit verzeihen können; allein man pflegt auch zu sagen: ›Hinter dem Kreuze lauert der Teufel.‹ Ins Feuer mit ihm!«

Der Barbier nahm ein andres Buch und sprach: »Dieses ist der Spiegel des Rittertums

»Wohl kenn ich Seine Gnaden«, sagte der Pfarrer. »Dort treten Herr Rinaldo von Montalban auf mit seinen Freunden und Gefährten, die räuberischer sind als Cacus, und die zwölf Pairs mit dem wahrheitsliebenden Geschichtsschreiber Turpin; und wirklich, ich bin geneigt, sie zu nicht mehrerem als zu ewiger Verbannung zu verurteilen, wenn es auch nur deshalb wäre, weil sie einen Anteil an der Dichtung des berühmten Mateo Bojardo haben, aus welcher hinwiederum der christliche Dichter Ludovico Ariosto sein Gewebe entnommen. Und wenn ich diesen hier finde und er in einer anderen Sprache als der seinigen redet, so werde ich ihm keinerlei Achtung bezeigen; wenn er aber in seiner eigenen Zunge spricht, dann werde ich ihm mein Haupt mit Verehrung beugen.«

»Wohl, ich habe ihn auf italienisch«, sagte der Barbier, »aber ich verstehe ihn nicht.«

»Es wäre auch nicht einmal gut, daß Ihr ihn verstündet«, antwortete der Pfarrer, »und daher hätten wir es jenem Herrn Hauptmann gern erlassen, wenn er ihn nicht nach Spanien herübergebracht und zum Kastilier umgeschaffen hätte; denn er hat ihm viel von seinem ursprünglichen Werte benommen. Und dasselbe wird jedem begegnen, der in Versen geschriebene Werke in eine andere Sprache übertragen will; denn wie viele Sorgfalt er anwende und wieviel Geschicklichkeit er an den Tag lege; nie wird er die Vollendung erreichen, die sie in ihrer ersten Gestaltung besitzen. Ich bestimme also, daß dies Buch und alle, die über jene französischen Geschichten handeln, in eine trockene Brunnengrube geworfen und verwahrt werden sollen, bis man mit mehr Überlegung beurteilen kann, was mit ihnen zu tun ist; wobei ich jedoch einen gewissen Bernardo del Carpio, der sich in der Welt herumtreibt, und ein andres Buch, des Titels Roncesvalles, ausnehme; denn diese, sobald sie in meine Gewalt gelangen, sollen sogleich in die der Haushälterin kommen und aus dieser in die des Feuers, ohne Gnade und Erbarmen.«

Dieses Urteil bestätigte der Barbier und erachtete es für recht und durchaus sachgemäß; denn ihm war wohl bewußt, daß der Pfarrer ein so guter Christ und so großer Freund der Wahrheit war, daß er um aller irdischen Dinge willen nie etwas als eben die Wahrheit gesagt hätte.

Und ein andres Buch aufschlagend, fand er, es sei Palmerin de Oliva, und nebenan stand eines, das Palmerin von England hieß. Als der Lizentiat das sah, sprach er: »Jenen Olivenbaum schlage man zu Splittern und verbrenne ihn, daß auch nicht die Asche von ihm übrigbleibe; aber jene Palme von England hebe man auf und bewahre sie als etwas Einziges, und man mache für sie ein solches Kästchen wie jenes, das Alexander unter der Beute des Darius fand und das er bestimmte, darin die Werke des Dichters Homer aufzubewahren. Dies Buch, Herr Gevatter, steht aus zwei Gründen in Hochachtung: der eine, weil es an sich ein sehr gutes Buch ist, der andere, weil der Ruf geht, daß ein geistvoller König von Portugal es verfaßt hat. Die sämtlichen Abenteuer im Schlosse der Prinzessin Miraguarda sind vortrefflich und mit großer Kunst entworfen; die Gespräche, in gutem Ton und klarem Stil, beobachten und bezwecken stets das für die sprechende Person Geziemende in angemessenster Weise und mit großem Verständnis. Ich tue sonach den Ausspruch, vorbehaltlich Eures Gutbefindens, Meister Nikolas, daß dieses Buch und Amadís von Gallien des Feuers ledig bleiben und die anderen ohne langes Probieren und Examinieren sämtlich umkommen sollen.«

»Nein, Herr Gevatter«, entgegnete der Barbier, »denn dieser, den ich hier habe, ist der weitberühmte Don Belianís

»Der freilich«, versetzte der Pfarrer, »mit dem zweiten, dritten und vierten Teile, bedarf einiges Rhabarbers, um seinen übermäßigen Jähzorn abzuführen, und es ist unerläßlich, aus ihnen all jenes von der Burg des Ruhms und andere Ungereimtheiten von größerem Belang fortzuschaffen. Dazu wird ihnen dieselbe Frist gewährt wie für gerichtliche Vorladungen über See, und je nachdem sie sich bessern sollten, je nachdem wird ihnen Gnade oder Recht widerfahren. Und Ihr mittlerweile behaltet sie, Gevatter, in Eurem Hause, aber lasset niemand sie lesen.«

»Dem stimme ich bei«, sagte der Barbier. Und ohne sich mehr mit dem Durchsehen von Ritterbüchern langweilen zu wollen, wies der Pfarrer die Haushälterin an, sie solle alle die großen Bände nehmen und sie in den Hof werfen. Dies war nicht tauben Ohren gepredigt; denn die alte Jungfer hatte ohnehin noch größere Lust, die Bücher zu verbrennen, als ein ganzes Stück Leinwand für den Weber zurechtzumachen, und wäre es auch noch so groß und fein; sie ergriff etwa acht auf einmal und warf sie zum Fenster hinaus.

Don Quijote

Da sie zu viele zusammen nahm, fiel ihr eins zu den Füßen des Barbiers nieder; den überkam das Verlangen zu sehen, von wem es sei, und er fand, daß es besagte: Geschichte des berühmten Ritters Tirante des Weißen.

»Helf mir Gott!« sprach der Pfarrer mit lautem Aufschrei. »So wäre denn Tirante der Weiße auch hier? Gebt mir ihn her, Gevatter, denn ich meine, ich habe in ihm einen Schatz von Vergnügen und eine Fundgrube von Zeitvertreib gefunden. Hier finden sich Don Kyrieleisón von Montalbán, der tapfere Ritter, und sein Bruder Tomás von Montalbán und der Ritter Fonseca und der Kampf, den der Haudegen von Tirante gegen den Bullenbeißer bestand, und die klugen Einfälle des Fräuleins Meineslebenslust, nebst der Liebesmühe und der Heimtücke der Witwe Geruhsam, und die Frau Kaiserin, so in den Schildknappen Hippolyt verliebt ist. Ich sag Euch in Wahrheit, Herr Gevatter, daß es in seiner Art das beste Buch der Welt ist. Hier wenigstens essen doch die Ritter und schlafen und sterben in ihrem Bette und machen Testamente vor ihrem Tode, nebst andern Dingen, deren alle übrigen Bücher dieser Sorte ermangeln. Trotz alledem, sage ich Euch, verdiente der Verfasser, da er absichtlich so große Albernheiten geschrieben, daß man ihn, wenn auch nicht wie die andern zum Feuertode, doch wenigstens für zeitlebens auf die Galeeren schicken sollte. Nehmt ihn fort nach Hause und leset ihn, und Ihr werdet sehen, daß alles, was ich Euch von ihm gesagt habe, Wahrheit ist.«

»So soll’s geschehen«, sagte der Barbier. »Aber was werden wir mit diesen kleinen Bänden anfangen, die noch übrig sind?«

»Diese«, versetzte der Pfarrer, »dürften nicht Ritterbücher, sondern Dichtwerke sein.«

Er schlug eines auf und sah, daß es Die Diana von Georg von Montemayor war, und sagte, in der Meinung, alle übrigen seien von derselben Art: »Diese verdienen nicht, verbrannt zu werden wie die andern; denn sie stiften nicht solchen Schaden und werden ihn nie stiften, wie ihn die Rittergeschichten angerichtet haben; sie sind Bücher von Verständnis und Einsicht, die keinem Dritten schaden können.«

»Ach, Herr Pfarrer«, versetzte die Nichte, »immerhin könnte Euer Gnaden sie verbrennen lassen wie die andern; denn es wäre nicht zu verwundern, daß meinen Oheim, wenn er von der Ritterkrankheit genesen, beim Lesen dieser Bücher die Lust ankäme, ein Schäfer zu werden und singend und musizierend durch die Wälder und Wiesen zu wandeln und, was noch schlimmer wäre, ein Dichter zu werden, was, wie die Leute sagen, eine unheilbare und ansteckende Krankheit sein soll.«

»Dieses Mädchen redet die Wahrheit«, sagte der Pfarrer, »und es wird gut sein, diese Gelegenheit und Veranlassung zum Straucheln unsrem Freunde vor den Füßen wegzuräumen. Und da wir mit der Diana Montemayors angefangen haben, so bin ich des Erachtens, daß man sie nicht verbrenne, sondern ihr alles wegschneide, was von der weisen Felicia und dem verzauberten Wasser handelt, sowie die meisten Verse in längeren Silbenmaßen, und es verbleibe ihm in Gottes Namen die Prosa und die Ehre, der erste in solcherlei Werken zu sein.«

»Dies folgende«, sagte der Barbier, »ist der zweite Teil der Diana, gewöhnlich Die zweite Diana von dem Salmantiner geheißen, und dieses ist ein andres, das denselben Titel trägt und dessen Verfasser Gil Polo ist.«

»So soll die des Dichters aus Salamanca«, antwortete der Pfarrer, »die Anzahl der zum Sturz in den Hof Verurteilten begleiten und vermehren, und die des Gil Polo soll aufbewahrt werden, als wenn sie von Apollo selbst wäre; und geht weiter, Herr Gevatter, denn es wird allgemach spät.«

»Dieses Buch«, sagte der Barbier, indem er ein anderes aufschlug, »heißt Die zehen Bücher von den Schicksalen der Liebe, verfaßt von Antonio de Lofraso, einem sardinischen Dichter.«

»Bei den Weihen, die ich empfangen«, versetzte der Pfarrer, »ich sag Euch, daß, seit Apollo Apollo ist und die Musen Musen und die Poeten Poeten, ein so unterhaltendes und närrisches Buch wie dies nicht geschrieben worden, und in seiner Weise ist es das beste und erlesenste von allen, die in dieser Dichtungsart ans Licht der Welt getreten sind; und wer es nicht gelesen hat, darf wohl glauben, daß er nie etwas Ergötzliches gelesen hat. Gebt mir es her, Gevatter, denn diesen Fund schätze ich höher, als wenn man mir einen Chorrock aus florentinischen Stücken geschenkt hätte.«

Er legte es mit absonderlichem Vergnügen beiseite, und der Barbier fuhr fort: »Diese folgenden sind Der Schäfer von Iberien, die Nymphen und Hirten des Henares und die Genesung von der Eifersucht

»Wohl, da ist nichts weiter zu tun«, sagte der Pfarrer, »als sie dem weltlichen Arm der Haushälterin zu übergeben, und man frage mich nicht nach dem Warum; denn das hieße, niemals zu Ende zu kommen.«

»Dieses, das jetzt kommt, ist Filidas Schäfer

»Der ist kein Schäfer«, sagte der Pfarrer, »sondern ein höchst geistreicher Hofmann; man hebe es auf als ein kostbares Juwel.«

»Dieses große, das hier kommt«, sagte der Barbier, »betitelt sich Schatz von Gedichten verschiedener Art

»Wenn ihrer nicht so viele wären«, bemerkte der Pfarrer, »würden sie in höherem Werte stehen; es wäre erforderlich, ihm das Unkraut auszujäten und es von einigen ordinären Sachen zu reinigen, die sich unter seinen großartigen Schönheiten finden. Es soll aufbewahrt werden, weil sein Verfasser mein Freund ist, und aus Rücksicht auf andere, bedeutsamere und erhabenere Werke, die er geschrieben.«

»Dieses ist«, fuhr der Barbier fort, » Das Liederbuch des Lopez Maldoñado

»Auch der Verfasser dieses Buches«, entgegnete der Pfarrer, »ist ein großer Freund von mir, und in seinem Munde setzen seine Verse jeden, der sie hört, in bewunderndes Erstaunen, und so süß ist die Lieblichkeit seiner Stimme, daß, was aus seiner Kehle klingt, tief in die Seele dringt. Er ist etwas weitschweifig in den Hirtengedichten, aber des Guten kann man nie zuviel bringen; hebt es bei den auserwählten auf. Aber was für ein Buch ist jenes, das danebensteht?«

»Die Galatea von Miguel de Cervantes«, sagte der Barbier.

»Viele Jahre ist es her, daß dieser Cervantes mir sehr befreundet ist, und ich weiß, daß er erfahrener ist im Leid als im Lied. Sein Buch hat einiges von guter Erfindung, legt einiges an und führt nichts durch. Man muß den zweiten Teil abwarten, den er verspricht; vielleicht wird er durch nachträgliche Besserung das milde Urteil völlig verdienen, das ihm jetzt versagt wird; und mittlerweile haltet ihn eingesperrt in Eurer Wohnung, Herr Gevatter!«

»Einverstanden«, antwortete der Barbier. »Und hier kommen drei miteinander: Die Araucana von Don Alonso de Ercilla, Die Austríada von Juan Rufo, dem Stadtrat zu Córdoba, und Der Monserrate von dem valencianischen Dichter Christóbal de Virués.«

»Alle diese drei Bücher«, sagte der Pfarrer, »sind die besten, die in achtzeiligen Stanzen in spanischer Sprache geschrieben sind, und können sich mit den berühmtesten Italiens messen; sie sollen aufbewahrt werden als die reichsten Pfänder der Dichtkunst, die Spanien besitzt.«

Der Pfarrer war es müde, noch länger Bücher anzusehen, und so verlangte er, alle übrigen sollten auf einen Schlag verbrannt werden; aber schon hatte der Barbier eines aufgeschlagen, welches den Titel trug: Die Tränen der Angelika.

»Tränen würde ich selber weinen«, sagte der Pfarrer, als er den Namen hörte, »wenn ich angeordnet hätte, ein solches Buch zu verbrennen; denn sein Verfasser war einer der berühmtesten Dichter auf Erden und war auch in der Übersetzung einiger Ovidischer Erzählungen sehr glücklich.«