Von dem, was dem Ritter Don Quijote begegnete, da er gen Barcelona zog

Der Morgen war kühl und ließ zum voraus erkennen, nicht minder kühl werde dieser Tag sein, an welchem Don Quijote aus dem Wirtshause schied. Er hatte sich vorher erkundigt, welches der nächste Weg nach Barcelona sei, ohne Zaragoza zu berühren; so sehr drängte es ihn, den neuen Geschichtsschreiber Lügen zu strafen, der, wie man ihm sagte, ihn so tief herabsetzte.

Es fügte sich nun, daß in mehr als sechs Tagen ihm nichts begegnete, was des Niederschreibens wert wäre. Am Abend des sechsten Tages, als er gerade abseits von der Landstraße dahinritt, überraschte ihn die Nacht unter dicht verwachsenen Eichen, oder waren es Korkbäume; hierin eben beobachtet Sidi Hamét nicht die Genauigkeit, die er bei andern Dingen einzuhalten pflegt. Herr und Diener stiegen ab und machten sich die Baumstämme zu Kopfkissen; Sancho, der an diesem Tage ein Vesperbrot eingenommen hatte, ging ohne weiteres zu den Pforten des Schlummers ein; aber Don Quijote, den seine Phantasien mehr als der Hunger wachhielten, konnte die Augen nicht schließen, und er schweifte mit seinen Gedanken an tausend verschiedenen Orten hin und her. Bald kam es ihm vor, als befände er sich in der Höhle des Montesinos; bald; als sehe er die in eine Bäuerin verwandelte Dulcinea umherhüpfen und auf ihre Eselin springen; bald, als tönten ihm ins Ohr die Worte des weisen Merlin, die ihm die Bedingungen und Bemühungen verkündeten, welche man zur Entzauberung Dulcineas erfüllen und beharrlich einhalten müsse. Er verzweifelte schier über die Lässigkeit seines Knappen Sancho und über dessen Mangel an Nächstenliebe, da dieser sich seines Wissens nur fünf Hiebe versetzt hatte, eine unschickliche und geringe Zahl im Verhältnis zu der großen Menge Hiebe, die noch fehlten; und hierüber betrübte und ärgerte er sich so sehr, daß er zu folgenden Erwägungen kam: Wenn Alexander der Große den gordischen Knoten mit den Worten durchgehauen hat: »Zerhauen ist ebensogut wie Aufknoten«, und darum dennoch Herr von ganz Asien wurde, so könnte es jetzt bei der Entzauberung Dulcineas ebensogut gehen, wenn ich selber Sancho wider seinen Willen die Hiebe gäbe; denn wenn diese Erlösung davon abhängt, daß Sancho die dreitausend und soundso viel Streiche bekommt, was liegt daran, ob er sie sich selbst gibt oder ob sie ihm ein andrer aufzählt, da doch das Wesentliche ist, daß er sie bekommt, woher sie auch kommen mögen?

Nach dieser Überlegung nahm er Rosinantes Zügel, legte sie sich so zurecht, daß er bequem damit hauen konnte, trat dann zu Sancho heran und begann ihm die Leibriemen zu lösen, wiewohl man allgemein sagt, daß Sancho nur einen hatte, nämlich den, der ihm die Hosen hinaufhielt. Doch kaum war Don Quijote ihm nahe gekommen, als Sancho zu vollem Bewußtsein erwachte und rief: »Was ist das? Wer rührt mich an und macht mir den Riemen auf?«

»Ich bin’s«, antwortete Don Quijote; »ich will deine Unterlassungssünde wiedergutmachen und meinen Drangsalen Abhilfe schaffen; ich will dich geißeln und dich von der Schuld, die du übernommen, wenigstens zum Teil entlasten. Dulcinea vergeht in Elend, du lebst unbekümmert, ich sterbe vor Sehnsucht; also löse deinen Hosenriemen aus eignem freiem Willen, denn ich bin gewillt, dir an diesem einsamen Orte mindestens zweitausend Geißelhiebe zu geben.«

»Daraus wird nichts, Euer Gnaden«, sagte Sancho; »haltet Ruh, sonst, bei dem wahrhaftigen Gott, schlage ich einen Lärm, daß Taube uns hören sollen. Die Hiebe, zu denen ich mich verpflichtet habe, müssen freiwillig und nicht erzwungen sein, und ich habe jetzt keine Lust, mich zu geißeln; genug, daß ich Euer Gnaden mein Wort gebe, mich zu hauen und mir das Fell zu gerben, sobald mir die Lust dazu kommt.«

»Dies deiner Dienstwilligkeit zu überlassen geht nicht an, Sancho«, erklärte Don Quijote, »denn du bist harten Herzens, und obwohl ein Bauer, hast du gar empfindliches Fleisch.«

Nun mühte er sich und rang mit ihm, um ihm den Hosenriemen aufzuschnallen; als aber Sancho diese Absicht merkte, sprang er auf die Füße, fiel über seinen Herrn her, faßte ihn um den Leib, stellte ihm ein Bein und warf ihn nieder, daß er den Mund gen Himmel aufsperrte; er setzte ihm das rechte Knie auf die Brust und hielt ihm die Hände mit seinen Händen, daß er sich weder rühren noch atmen konnte. Don Quijote aber rief: »Wie, du Bösewicht, gegen deinen Gebieter und angebornen Herrn lehnst du dich auf? Der dir sein Brot gibt, an dem vergreifst du dich?«

»Ich setze keinen König ab und setzte keinen König ein«, antwortete Sancho, »ich wehre mich nur meiner Haut, über die ich doch der angeborne Herr bin. Versprecht mir, daß Ihr Ruhe halten und für jetzt nicht darauf ausgehen wollt, mich zu hauen, dann lasse ich Euch frei und ledig; wo nicht:

Hier sollst du, Verräter, sterben,
Du der Feind von Doña Sancha!«

Don Quijote versprach es ihm und schwur beim Leben der Herrin seiner Gedanken, an kein Fädchen seines Kleides zu rühren und es gänzlich seinem Belieben und freien Willen zu überlassen, wann er sich geißeln wolle. Sancho erhob sich, ging eine gute Strecke von der Stelle weg und wollte sich an einen andern Baum anlehnen, da fühlte er, daß ihm etwas den Kopf berührte, er streckte die Hände empor und ergriff zwei Menschenfüße mit Schuhen und Strümpfen. Er zitterte vor Schreck, lief an einen andern Baum, wo ihm dasselbe widerfuhr; da rief er mit lauter Stimme Don Quijote zu Hilfe. Don Quijote kam, und als er fragte, was ihm zugestoßen sei und wovor er solche Angst habe, antwortete ihm Sancho, alle diese Bäume hingen voller Füße und Beine von Menschen. Don Quijote griff hinauf, erriet sogleich, was es sein müsse, und sagte zu Sancho: »Du brauchst keine Angst zu haben, denn diese Füße und Beine, die du berührst und nicht siehst, gehören sicherlich Buschkleppern und Räubern, die an diesen Bäumen aufgehängt sind; hier im Walde pflegt die Gerechtigkeit sie, wenn sie sie ergreift, zu zwanzigen oder dreißigen zu hängen, und daraus schließe ich, daß wir nahe bei Barcelona sein müssen.«

Es war auch in der Tat so, wie er vermutet hatte; als die Morgenröte erschien, erhoben sie ihre Augen und sahen, daß die Früchte jener Bäume wirklich Leichname von Räubern waren. Indem wurde es voller Tag, und wenn die Toten sie in Schrecken gesetzt hatten, so gerieten sie in nicht mindere Bestürzung bei dem Anblick von mehr als vierzig lebendigen Räubern, die plötzlich sie umringten und ihnen auf katalonisch zuriefen, stillzuhalten und zu warten, bis ihr Hauptmann käme. Don Quijote war zu Fuß, sein Roß nicht aufgezäumt, sein Speer war an einen Baum gelehnt und er, in einem Wort, wehrlos; und daher fand er es geraten, die Arme zu kreuzen und sein Haupt zu beugen, um sich für beßre Zeit und Gelegenheit aufzusparen. Die Räuber machten sich über den Grauen her und suchten ihn durch und ließen ihm nichts von allem, was er im Zwerchsack und im Felleisen trug, und es war ein Glück für Sancho, daß er die Goldtaler des Herzogs sowie die von Hause mitgebrachten in einer Katze um den Leib trug; aber trotzdem hätte die wackere Sippschaft ihn noch gründlicher durchsucht und sogar nachgesehen, was er etwa zwischen Haut und Fleisch verborgen trage, wenn nicht gerade jetzt ihr Hauptmann gekommen wäre. Dem Aussehen nach mochte es ein Mann von etwa vierunddreißig Jahren sein; er war kräftig gebaut, von mehr als mittlerer Größe, ernsten Blickes und braun von Gesichtsfarbe. Er ritt auf einem mächtigen Gaul, trug ein stählernes Panzerhemd und zu beiden Seiten vier Pistolen, die man in jener Gegend Stutzen nennt. Er sah, daß seine Knappen, denn so heißt man die Leute dieses Gewerbes, im Begriffe waren, Sancho Pansa auszuplündern; er befahl ihnen, es zu unterlassen, es wurde ihm sofort gehorcht, und so schlüpfte die Geldkatze durch. Er wunderte sich, den Speer an den Baum gelehnt zu sehen, den Schild auf dem Boden und Don Quijote in Rüstung und in tiefem Nachsinnen, mit dem traurigsten und schwermütigsten Gesicht, das leibhaftige Bild der Traurigkeit. Er näherte sich ihm und sagte: »Seid nicht so bekümmert, guter Freund; Ihr seid nicht in die Hände eines grausamen Busiris gefallen, sondern in die des Roque Guinart, in denen mehr das Mitleid als die Strenge waltet.«

»Nicht deshalb bin ich voll Kümmernis;«, entgegnete Don Quijote, »weil ich in deine Gewalt gefallen bin, o tapferer Roque, dessen Ruhm auf Erden keine Grenzen hat, sondern weil meine Sorglosigkeit so groß gewesen, daß deine Leute mich überraschen konnten, ohne daß mein Pferd aufgezäumt war, während ich doch gemäß dem Orden der fahrenden Ritterschaft, zu dem ich mich bekenne, verpflichtet bin, stets auf der Hut und zu jeder Stunde meine eigene Schildwache zu sein. Denn ich tue dir zu wissen, o großer Roque, wenn sie mich auf meinem Rosse mit meinem Speer und meinem Schild angetroffen hätten, so wäre es ihnen nicht sehr leicht geworden, über mich zu siegen, dieweil ich Don Quijote von der Mancha bin, der Mann, der mit seinen Großtaten das ganze Erdenrund erfüllt hat.«

Roque Guinart merkte sofort, daß Don Quijotes schwache Seite weit mehr die Narrheit als die Tapferkeit war, und obwohl er schon manchmal von ihm gehört, so hatte er doch seine Taten nie für Wirklichkeit gehalten und konnte sich nicht überreden, daß eine so verrückte Liebhaberei wirklich in der Seele eines Mannes herrschen könne; nun aber freute er sich außerordentlich, ihm begegnet zu sein, um mit den Händen zu greifen, was er bisher nur aus der Ferne über ihn vernommen hatte.

Daher sagte er zu ihm: »Tapferer Ritter, seid nicht unmutig und haltet das Los, das Euch zugefallen, nicht für ein unglückliches; denn wohl möchte es geschehen, daß gerade, wenn Euer Fuß hier strauchelt, der krumme Pfad Eures Geschickes sich wieder geraderichtete, sintemalen auf Umwegen, die oft gar seltsam und von Menschen noch nimmer erschaut und nimmer geahnt worden, der Himmel die Gefallenen zu erheben und die Armen reich zu machen pflegt.«

Don Quijote war schon im Begriff, ihm seinen Dank auszusprechen, als sie hinter sich ein Stampfen hörten wie von einem ganzen Trupp Pferde; es war jedoch nur ein einziges, auf welchem ein Jüngling in rasendem Sturm einhergejagt kam. Er schien gegen zwanzig Jahre alt zu sein, war in grünen Damast mit goldenen Tressen gekleidet, trug enge Beinkleider und einen Schiffermantel, einen Hut auf wallonische Art mit geschweiften Krempen, knapp anliegende gewichste Stiefel, Sporen, Dolch und Degen vergoldet, eine Stutzbüchse in der Hand und ein Paar Pistolen im Gürtel. Bei dem Pferdegestampf wandte Roque den Kopf und erblickte diese reizende Gestalt, die beim Näherkommen ihn so anredete: »Ich kam hierher, dich aufzusuchen, o tapferer Roque, um bei dir, wenn nicht Hilfe, doch Erleichterung meines Elends zu finden; und um dich nicht in Ungewißheit zu lassen, weil ich weiß, du hast mich nicht erkannt, will ich dir sagen, wer ich bin. Ich bin Claudia Gerónima, die Tochter von Simón Porte, der stets dein inniger Freund war und zugleich ein Todfeind von Clauquel Torrellas, der auch dein Feind ist, da er zu deiner Gegenpartei gehört; du weißt auch, daß dieser Torrellas einen Sohn hat, der Don Vicente Torrellas heißt oder wenigstens vor noch nicht zwei Stunden so hieß. Dieser nun – um die Erzählung meines Unglücks kurz zu fassen, will ich dir in wenigen Worten sagen, welches Leid er mir zugefügt hat. Er sah mich, er machte mir den Hof, ich hörte ihn an, ich verliebte mich hinter dem Rücken meines Vaters, denn es gibt kein Weib, so behutsam und zurückhaltend es auch sei, das nicht mehr als genug Zeit dazu fände, seine stürmischen Wünsche zur Tat werden zu lassen. Kurz, er versprach mir die Ehe, ich gab ihm darauf das Wort, ihm zu gehören, jedoch ohne daß wir weiter gingen. Gestern erfuhr ich, daß er, vergessend, was er mir schuldet, sich mit einer andren vermählen und heute morgen sich trauen lassen wollte, eine Nachricht, die mir die Besinnung und meine Geduld raubte; und da mein Vater nicht zu Hause war, so legte ich rasch die Tracht an, die du siehst, bestieg mein Pferd und trieb es zur Eile, erreichte Don Vicente ungefähr eine Meile von hier, und ohne mich damit aufzuhalten, Klagen auszustoßen und Entschuldigungen anzuhören, schoß ich diese Büchse auf ihn ab und obendrein diese zwei Pistolen, und ich glaube, ich habe ihm mehr Kugeln als nötig in den Leib gejagt und an seiner Brust Pforten geöffnet, aus denen, von seinem Blut umgossen, meine Ehre gerächt hervorging. Dort ließ ich ihn nun unter den Händen seiner Diener, die an seine Verteidigung zu denken weder wagten noch vermochten; ich komme zu dir, damit du mich hinüber nach Frankreich bringst, wo ich Verwandte habe, bei denen ich leben kann, und bitte dich zugleich, meines Vaters Verteidigung zu übernehmen, damit die zahlreichen Freunde Don Vicentes es nicht wagen, an ihm eine frevelhafte Rache zu üben.«

Roque, voll Verwunderung ob des Mutes, der glänzenden Tracht, der schönen Gestalt und der Schicksale der reizenden Claudia, sprach zu ihr: »Komm, Señora, wir wollen sehen, ob dein Feind tot ist, und dann wollen wir erwägen, was dir am meisten frommt.«

Don Quijote, der aufmerksam zugehört hatte, was Claudia gesagt und was Roque Guinart antwortete, sprach: »Niemand braucht sich mit der Verteidigung dieses Fräuleins zu bemühen, ich nehme sie auf mich; man gebe mir mein Roß und meine Waffen und erwarte mich hier; ich will jenen Ritter aufsuchen und will ihn tot oder lebendig zur Erfüllung des Wortes zwingen, das er einer so großen Schönheit gegeben.«

»Daran darf keiner zweifeln«, sprach Sancho, »denn mein Herr hat eine sehr glückliche Hand als Ehevermittler. Hat er doch vor wenigen Tagen erst einen andren zur Heirat gezwungen, der ebenfalls einer Jungfrau sein Wort nicht halten wollte; und wären nicht die Zauberer, die ihn verfolgen, gekommen und hätten dessen wahre Gestalt in die eines Lakaien verwandelt, so wäre schon jetzt die besagte Jungfrau keine solche mehr.«

Roque, dessen Gedanken sich mehr mit den Geschicken der schönen Claudia beschäftigten als mit dem Gerede des Herrn und des Dieners, hörte es nicht einmal, und nachdem er seinen Knappen befohlen, Sancho alles wiederzugeben, was sie vom Gepäck des Esels genommen, und sie angewiesen, an den Ort zurückzukehren, wo sie vergangene Nacht gelagert hatten, entfernte er sich in aller Eile mit Claudia, um den verwundeten oder toten Don Vicente aufzusuchen. Sie kamen an die Stelle, wo Claudia ihn angetroffen, und fanden dort nichts als frisch vergossenes Blut; aber als sie ihre Blicke nach allen Seiten hin aussendeten, entdeckten sie oben auf einem Hügel einige Leute und vermuteten, wie es auch wirklich der Fall war, es müsse Don Vicente sein, den seine Diener tot oder lebendig fortschafften, entweder um ihn verbinden zu lassen oder um ihn zu begraben. Sie beeilten sich, die Leute einzuholen, und da diese einen sehr langsamen Schritt einhielten, so konnte dies leicht geschehen. Sie fanden Don Vicente in den Armen seiner Diener, die er mit matter, schwacher Stimme bat, sie möchten ihn dort sterben lassen, weil der Schmerz der Wunden es ihm unmöglich mache weiterzukommen. Claudia und Roque sprangen von ihren Pferden und eilten zu ihm hin; die Diener erschraken vor Roques Anblick, und Claudia war über denjenigen Don Vicentes entsetzt; und halb zärtlich und halb ergrimmt trat sie ihm zur Seite, ergriff seine Hand und sagte: »Hättest du mir diese gereicht, unsrer Abrede gemäß, so wäre es nie so weit gekommen.«

Der verwundete Edelmann öffnete die halbgeschlossenen Augen, und als er Claudia erkannte, sprach er: »Wohl seh ich’s, meine schöne, meine betrogene Geliebte, du warst es, die mich getötet; du hast mir gelohnt, wie es mein liebendes Herz nimmer verdient und wie es ihm nie gebührte, denn weder mit Gedanken noch Taten habe ich dich je gekränkt oder dich kränken können.«

»Also ist es nicht wahr«, fragte Claudia, »daß du dich heut morgen mit Leonora vermählen wolltest, der Tochter des reichen Balbastro?«

»Wahrlich nicht«, antwortete Don Vicente; »mein Unstern muß dir eine solche Nachricht zugebracht haben, damit du mir aus Eifersucht das Leben rauben solltest, und dennoch preise ich mich glücklich, da ich dies Leben von deiner Hand, da ich es in deinen Armen verliere. Und willst du dich überzeugen, wie ernst und wahr meine Worte, so drücke mir die Hand und nimm mich als deinen Gatten an, falls du es wünschest; eine größere Genugtuung kann ich dir für die Kränkung nicht geben, die du wähnst von mir erlitten zu haben.«

Claudia drückte ihm die Hand, und so heftig krampfte sich ihr hierbei das Herz zusammen, daß sie über Don Vicentes blutende Brust ohnmächtig hinsank, und ihn überkam ein Anfall tödlichen Krampfes. Roque war bestürzt und wußte nicht, was tun. Die Diener eilten, Wasser zu holen, um es ihnen ins Gesicht zu spritzen; sie brachten es herbei und besprengten sie damit, Claudia kam aus ihrer Ohnmacht wieder zu sich, aber nicht Don Vicente von seinem Anfall; sein Leben war zu Ende. Als Claudia dies sah, als sie sich überzeugt hatte, daß ihr teurer Gatte nicht mehr lebe, erschütterte sie die Luft mit ihren Seufzern, ließ sie den Himmel von ihrem Jammer widerhallen, raufte sich die Haare und gab sie den Winden preis, zerfleischte ihr Gesicht mit ihren eignen Händen und ließ allen Schmerz und alles Weh schauen, wie man es von einem gequälten Herzen sich nur erdenken kann. »O du grausames, unbesonnenes Weib!« rief sie; »wie so leicht ließest du dich hinreißen, einem so argen Gedanken die Tat folgen zu lassen! O wahnsinnige Gewalt der Eifersucht, zu welch verzweiflungsvollem Ziele führst du den, der dir Einlaß in seinen Busen verstattet! O mein Gemahl, den sein Unglück, weil er der Geliebte meines Herzens war, vom Brautbett ins Grab gestürzt hat!«

So innig, so schmerzlich war Claudias Jammerklage, daß sie Tränen aus Roques Augen entlockte, die nicht gewohnt waren, sie um irgendeines Anlasses willen zu vergießen. Auch die Diener weinten, Claudia wurde immer von neuem ohnmächtig, und der ganze Umkreis schien ein Feld der Trauer und eine Stätte des Unheils.

Endlich gebot Roque Guinart den Dienern Don Vicentes, dessen Leiche zu dem nahen Wohnort des Vaters zu tragen, um ihn der Gruft zu übergeben. Claudia erklärte dem Roque, sie wolle in ein Kloster gehen, wo eine Tante von ihr Äbtissin sei, und dort gedenke sie ihr Leben an der Hand eines besseren, der Sterblichkeit nicht so unterworfenen Bräutigams zu beschließen; Roque pries ihren frommen Entschluß und erbot sich, sie zu begleiten, wohin sie auch wolle, und ihren Vater gegen die Verwandten Don Vicentes, ja gegen die ganze Welt zu verteidigen, wenn man ihn antasten wolle. Claudia wollte indes seine Begleitung unter keiner Bedingung annehmen, dankte ihm mit den herzlichsten Worten für sein Anerbieten und nahm unter Tränen von ihm Abschied. Die Diener Don Vicentes trugen seinen Leichnam von dannen, und Roque kehrte zu den Seinigen zurück.

So endete das Liebesabenteuer der Claudia Gerónima. Aber wie konnte es anders sein, da die Fäden ihrer jammervollen Geschichte von der unbesiegbaren und grausamen Gewalt ihrer Eifersucht gesponnen waren!

Roque Guinart fand seine Knappen, wohin er sie beschieden hatte, und den Ritter Don Quijote bei ihnen; er saß auf seinem Rosinante und hielt eine Ansprache an sie, um sie zu überreden, sie möchten von ihrer Lebensweise lassen, die so gefährlich für die Seele wie für den Körper sei. Aber da die meisten von ihnen Gaskogner waren, rohes, liederliches Gesindel, so ging ihnen Don Quijotes Rede nicht sehr zu Herzen.

Gleich nach seiner Ankunft fragte Roque den Schildknappen Sancho, ob seine Leute die Kostbarkeiten und Wertsachen, die sie dem Esel abgenommen, ihm wiedergegeben und zurückerstattet hätten. Sancho antwortete mit Ja, nur fehlten ihm drei Nachthauben, die soviel wert seien wie drei große Städte.

»Was sagst du, Bursche?« sagte einer der Anwesenden; »ich habe sie, und sie sind keine drei Realen wert.«

»Das ist allerdings wahr«, sagte Don Quijote: »aber mein Schildknappe schätzt sie so hoch, wie er gesagt hat, und zwar um des Gebers willen, dem ich sie verdanke.«

Roque Guinart befahl, sie ihm auf der Stelle wiederzugeben; dann ließ er die Seinigen sich in einer Reihe aufstellen und sämtliche Kleidungsstücke, Kostbarkeiten und baren Gelder sowie alles, was sie seit der letzten Teilung erbeutet, vor aller Augen an Ort und Stelle bringen. Er nahm kurzerhand eine Schätzung vor; was sich nicht teilen ließ, rechnete er in Geld um und verteilte das Ganze unter seine sämtlichen Kameraden so gerecht und einsichtig, daß er das Gesetz der austeilenden Gerechtigkeit nicht in einem Punkte verletzte. Nachdem dies geschehen und alle einverstanden, zufriedengestellt und ausbezahlt waren, sagte Roque zu Don Quijote: »Wenn man es mit diesen Leuten nicht genau nähme, so könnte man nimmer mit ihnen auskommen.«

Hierauf bemerkte Sancho: »Wie ich sehe, ist die Gerechtigkeit so was Gutes, daß sie selbst unter Spitzbuben geübt werden muß.«

Dieses hörte einer der Knappen, hob den Flintenkolben und hätte ganz sicher Sanchos Schädel damit zerschmettert, wenn Roque Guinart ihm nicht zugeschrien hätte, einzuhalten. Sancho wurde fast ohnmächtig vor Schrecken und nahm sich vor, den Mund nicht mehr aufzutun, solange er sich unter dieser Sippschaft befinde.

In diesem Augenblick kamen einer oder einige von den Knappen, die als Feldwachen auf den Wegen aufgestellt waren, um zu erspähen, was für Leute vorüberzogen, und ihrem Hauptmann alles zu melden. Der Kundschafter sagte: »Señor, nicht weit von hier auf der Straße, die nach Barcelona führt, kommt ein großer Trupp Leute.«

Roque erwiderte: »Hast du gesehen, ob sie zu den Leuten gehören, die uns suchen, oder zu denen, die wir suchen?«

»Nur zu denen, die wir suchen«, antwortete der Knappe.

»Dann zieht alle hin«, versetzte Roque, »und bringt mir sie sogleich hierher und lasset keinen entwischen!«

Sie taten wie befohlen. Don Quijote, Sancho und Roque blieben allein zurück und erwarteten, was für Gefangene die Knappen bringen würden. In der Zwischenzeit sprach Roque zu Don Quijote: »Unsre Lebensweise, Señor Don Quijote, muß Euch als eine ganz neue vorkommen, neu unsre Abenteuer, neu unsre Erlebnisse, alle aber gefahrvoll, und ich wundere mich nicht, wenn es Euch so vorkommt, denn ich gestehe, es gibt tatsächlich kein unruhigeres und aufgeregteres Leben. Zu ihm hat mich einst irgendein Drang nach Rache verlockt, ein Drang, dessen Macht das ruhigste Gemüt in Wallung bringen kann. Ich bin von Natur mitleidig und hege die besten Absichten; allein, wie gesagt, der Durst nach Rache für eine mir angetane Beleidigung wirft meine besseren Triebe so völlig danieder, daß ich meiner besseren Einsicht zum Trotz bei dieser Lebensweise verharre; und so wie ein Abgrund zum andern führt und eine Suade die andre nachzieht, so haben sich die Ringe an der Kette meiner Rachetaten so aneinandergefügt, daß ich nicht nur Rache für mich selbst, sondern auch Rache für dritte Personen auf mich nehme. Allein Gott ist so gnädig, daß ich, wiewohl mitten im Labyrinth meiner Verirrungen, doch nicht die Hoffnung aufgebe, aus ihm dereinst in einen sicheren Hafen zu gelangen.«

Don Quijote war höchlich verwundert, Roque so fromm und verständig reden zu hören, denn er hatte bei sich gedacht, daß unter den Leuten, die das Geschäft des Stehlens und Raubens und Mordens betreiben, keiner sein könnte, bei dem vernünftige Überlegung Raum fände. Er entgegnete ihm: »Señor Roque, der Anfang der Genesung besteht darin, daß die Krankheit erkannt wird und daß der Kranke die Heilmittel willig einnimmt, die der Arzt ihm verordnet. Ihr seid krank, Ihr kennt Euer Leiden, und der Himmel, oder richtiger gesagt Gott, der unser aller Arzt ist, wird bei Euch ärztliche Mittel anwenden, die Euch heilen, die aber in der Regel nur allmählich Heilung bringen, nicht mit einemmal auf wunderbare Weise. Zudem sind die einsichtigen Sünder der Besserung viel näher als die einfältigen; und da Ihr in Euern Äußerungen Euern verständigen Geist gezeigt habt, so braucht Ihr nur mutige Zuversicht zu hegen und fest auf Besserung der Krankheit Eures Gewissens zu hoffen. Wollt Ihr aber Euern Weg abkürzen und mühelos den Weg Eures Seelenheils einschlagen, so folget mir nach; ich will Euch lehren, ein fahrender Ritter zu werden, ein Beruf, den so viele Drangsale und Mißgeschicke heimsuchen, daß sie, wenn Ihr sie als Bußübung hinnehmt, Euch im Handumdrehen in den Himmel versetzen werden.«

Roque lachte hellauf über Don Quijotes guten Rat, und um dem Gespräch eine andre Wendung zu geben, erzählte er ihm den traurigen Vorgang mit Claudia Gerónima, worüber Sancho sich herzlich betrübte, denn die Schönheit, Entschlossenheit und Kühnheit des Mädchens hatten es ihm angetan.

Mittlerweile kamen die Knappen mit ihrem Fang; sie brachten zwei Edelleute zu Pferde, zwei Pilger zu Fuß und eine Kutsche mit Frauenzimmern nebst etwa einem Halbdutzend Dienern, welche die Damen teils zu Fuß, teils zu Pferde begleiteten; dann noch zwei Maultiertreiber, die zu den Edelleuten gehörten. Die Knappen hatten sie in die Mitte genommen, und Sieger und Besiegte beobachteten tiefes Schweigen und erwarteten, daß der große Roque Guinart das Wort nehme. Dieser fragte zuerst die Edelleute, wer sie seien, wohin sie reisten und wieviel Geld sie bei sich hätten. Einer von ihnen antwortete ihm: »Señor, wir sind Hauptleute vom spanischen Fußvolk, haben unsre Kompanien in Neapel und wollen uns auf einer von den vier Galeeren einschiffen, die in Barcelona liegen sollen, um nach Sizilien zu fahren; wir haben etwa zwei- bis dreihundert Goldtaler bei uns, womit wir uns reich und glücklich schätzen, denn der Soldat ist bei seinem dürftigen Sold keine größeren Schätze gewohnt.«

Roque fragte nun die Pilger das nämliche wie die Hauptleute; sie antworteten ihm, sie seien im Begriff, sich nach Rom einzuschiffen, und hätten beide zusammen etwa sechzig Realen bei sich. Jetzt wollte er auch hören, wer sich in der Kutsche befinde, wohin sie wollten und wieviel Geld sie mit sich führten. Einer von den Begleitern zu Pferd antwortete: »Meine gnädige Frau Doña Guiomar de Quiñones, die Gemahlin des Präsidenten am Gerichtshofe zu Neapel, nebst einem Töchterchen, einer Zofe und einer Kammerfrau sind in dieser Kutsche; wir sechs Diener begleiten sie, und wir haben sechshundert Goldtaler bei uns.«

»Demnach haben wir hier schon neunhundert Goldtaler und sechzig Realen«, sagte Roque Guinart; »meiner Leute werden etwa siebzig sein; seht, wieviel auf einen jeden kommt, denn ich bin ein schlechter Rechner.«

Bei diesen Worten erhoben die Räuber ihre Stimmen und riefen: »Tausend Jahre möge Roque Guinart leben, den schofeln Kerlen zum Trutz, die auf sein Verderben ausgehen.«

Die beiden Hauptleute zeigten große Betrübnis, die Frau Präsidentin war sehr niedergeschlagen, und die Pilger waren auch nicht besonders vergnügt, als sie sahen, daß ihr Vermögen beschlagnahmt werden sollte. Roque hielt sie einen Augenblick so in der Angst; er wollte aber ihre Betrübnis, die man ihnen auf Büchsenschußweite ansehen konnte, nicht länger dauern lassen und sprach, zu den Hauptleuten gewendet: »Meine Herren Hauptleute, wollet so freundlich sein, mir sechzig Goldtaler zu leihen, und die Frau Präsidentin achtzig, damit ich meine Leute zufriedenstellen kann, denn wovon soll der Pfaff essen, wenn nicht von der Messen? Dann könnt ihr frei und ledig eurer Wege ziehen. Ich werde euch einen Geleitbrief geben, damit man euch nichts Böses zufüge, wenn ihr auf einen andern von meinen Haufen stoßt, die ich in der ganzen Gegend verteilt habe; denn ich habe nicht vor, Soldaten zu kränken oder Frauen, zumal solche von Stande.«

Mit vielen und beredten Worten dankten die Hauptleute für Roques freundliche Art und Freigebigkeit; denn als solche betrachteten sie es, daß er ihnen ihr eignes Geld ließ. Die Señora Doña Guiomar de Quiñones wollte aus dem Wagen herausstürzen, um dem großen Roque Hände und Füße zu küssen, aber er ließ es nicht zu, bat sie vielmehr um Verzeihung für die ihr zugefügte Unbill, zu der er durch die strengen Obliegenheiten seines argen Berufes genötigt sei. Die Frau Präsidentin befahl einem ihrer Diener, sofort die achtzig Goldtaler herzugeben, die auf ihren Teil kamen, und die Hauptleute hatten bereits ihre sechzig abgeliefert. Die Pilger wollten eben ihr ganzes bißchen Armut hergeben, da sagte ihnen Roque, sie sollten es nur gut sein lassen. Hierauf wendete er sich zu den Seinigen und sagte ihnen: »Von diesen Goldtalern kommen zwei auf jeden von euch, bleiben zwanzig übrig, davon sollen zehn den Pilgern hier gegeben werden und die andern zehn diesem wackern Schildknappen, damit er diesem Abenteuer Gutes nachsagen kann.«

Man brachte ihm Schreibzeug, das er immer mit sich führte, und er schrieb ihnen einen Geleitbrief für die Führer seiner Räuberhaufen. Dann nahm er Abschied von ihnen und entließ sie in Freiheit und in Bewunderung seines edlen Anstands, seines feinen Benehmens und seines eigentümlichen Verfahrens, ob dessen sie ihn eher für einen Alexander von Mazedonien als für einen ausgemachten Straßenräuber hielten.

Einer von den Knappen aber sagte in seiner halb gaskognischen, halb katalanischen Mundart: »Unser Hauptmann da, der paßt besser zum Klosterpfaffen als zum Räuber; wenn er künftig den Freigebigen spielen will, dann soll er es mit seinem Gelde tun und nicht mit dem unsrigen.«

Der Unglückliche hatte dies nicht so leise gesagt, daß es Roques Ohr entgangen wäre; dieser zog sein Schwert und spaltete ihm den Kopf fast in zwei Hälften mit den Worten: »So züchtige ich freche böse Mäuler.«

Alle fuhren vor Schreck zusammen, und keiner wagte ein Wort zu sagen, so sehr wußte er sie in Zucht zu halten. Roque ging dann beiseite und schrieb einen Brief an einen seiner Freunde in Barcelona, worin er ihm mitteilte, der berühmte Don Quijote von der Mancha befinde sich bei ihm; es sei der kurzweiligste und verständigste Mensch von der Welt, und nach vier Tagen, auf Sankt Johannis, werde er ihn auf den Strand vor die Stadt bringen, in voller Wehr, auf seinem Rosse Rosinante, und zugleich auch seinen Knappen Sancho auf seinem Esel; er möge seine Freunde, die Niarros, davon in Kenntnis setzen, damit sie sich an ihm erlustigten; es wäre ihm zwar lieber, wenn seine Feinde, die Cadells, um dies Vergnügen kämen, aber dies sei unmöglich, weil Don Quijotes Narretei und Gescheitheit und die witzigen Einfälle seines Knappen Sancho Pansa jedenfalls der ganzen Welt Vergnügen machen müßten. Diesen Brief schickte er durch einen seiner Knappen ab, der die Tracht eines Räubers gegen die eines Bauern vertauschte, nach Barcelona kam und den Brief richtig dem Manne ablieferte, an den er gerichtet war.