46. Kapitel


Von dem furchtbaren Schellen- und Katzenstreit, welchen Don Quijote im Verlauf des Liebeshandels der verliebten Altisidora ausstund

Wir verließen den großen Don Quijote in den Gedanken befangen, die das Ständchen des verliebten Fräuleins in ihm erweckt hatte. Er legte sich mit ihnen zu Bett, und wie wenn es Flöhe wären, ließen sie ihn keinen Augenblick schlafen noch zur Ruhe kommen, und dazu kamen noch die Maschen, die ihm an seinen Strümpfen fehlten. Aber da die Zeit flüchtig ist und nirgends ein tiefer Einschnitt auf ihrem Wege sie hemmt, so eilte sie von dannen wie auf den Stunden dahinreitend, und die Stunde des Morgens kam schleunigst heran. Als Don Quijote dies gewahrte, verließ er die weichen Federn, kleidete sich, nimmer lässig, in seine lederne Kleidung und legte seine Reisestiefel an, weil er das Mißgeschick seiner Strümpfe gerne verbergen mochte. Er warf seinen Scharlachmantel um, setzte auf sein Haupt eine Jägermütze von grünem Samt, mit silbernen Borten besetzt; er hing das Wehrgehenk über seine Schultern, mit seinem guten scharfen Schwert; er ergriff einen großen Rosenkranz, den er beständig bei sich führte, und schritt in großer Haltung und steifer Feierlichkeit nach dem Vorsaal, wo sich der Herzog und die Herzogin befanden, bereits angekleidet und wie in Erwartung des Ritters. Auf seinem Wege, der durch eine Galerie führte, hatten sich Altisidora und die andre Zofe, ihre Freundin, aufgestellt, um sein zu harren, und sobald Altisidora den Ritter erblickte, tat sie, als fiele sie in Ohnmacht; ihre Freundin fing sie in den Schößen ihres Gewandes auf und wollte ihr eiligst den Busen aufschnüren. Don Quijote sah dies, näherte sich ihnen und sagte: »Ich weiß schon, woher diese Zufälle kommen.«

»Ich aber weiß es nicht«, antwortete die Freundin, »Altisidora ist das gesündeste Mädchen im Hause, und ich habe nie ein Ach von ihr gehört all die Zeit, seit ich sie kenne. Daß doch des Himmels Strafe all die fahrenden Ritter treffe, die es auf Erden gibt! Das heißt, wenn sie alle undankbaren Herzens sind. Geht nur, Señor Don Quijote, denn das arme Kind kommt nicht wieder zu sich, solang Euer Gnaden hierbleibt.«

Darauf entgegnete Don Quijote: »Señora, laßt mir diese Nacht eine Laute in mein Zimmer legen, ich will diesem bekümmerten Fräulein Trost spenden, so gut ich es vermag; im Anfang einer Leidenschaft des Herzens ist unverzügliche Enttäuschung ein bewährtes Heilmittel.«

Mit diesen Worten entfernte er sich, damit er nicht von denen, die ihn etwa dort sähen, üble Nachrede zu erleiden hätte. Er hatte sich noch nicht weit entfernt, da kam die ohnmächtige Altisidora wieder zu sich und sagte zu ihrer Gefährtin: »Unbedingt muß man ihm die Laute hinlegen; ohne Zweifel will uns Don Quijote ein Ständchen bringen, und das kann nicht schlecht ausfallen, da es von ihm kommt.«

Sofort gingen sie zur Herzogin und meldeten ihr das Vorgefallene und Don Quijotes Verlangen nach einer Laute; sie freute sich darob über die Maßen und verabredete mit dem Herzog und ihren Zofen, ihm einen Possen zu spielen, der jedoch mehr zum Lachen als jemandem zum Schaden sein sollte. In heiterster Stimmung erwarteten sie die Nacht, die ebenso schnell kam, als der Tag gekommen war, welchen das herzogliche Paar in behaglichen Gesprächen mit Don Quijote verbrachte.

An dem nämlichen Tage sandte die Herzogin in Wahrheit und Wirklichkeit einen ihrer Edelknaben, denselben, der im Wald die Rolle der verzauberten Dulcinea gespielt hatte, zu Teresa Pansa mit dem Briefe ihres Mannes Sancho Pansa und dem Bündel Kleidungsstücke, die er dagelassen hatte, damit man sie ihr übersende, und mit dem Auftrag, ausführlichen Bericht über alles zurückzubringen, was zwischen ihm und ihr vorfallen werde.

Als dies geschehen und es elf Uhr nachts geworden, fand Don Quijote eine Gitarre in seinem Gemach; er stimmte sie, öffnete das Gitterfenster und bemerkte, daß Leute im Garten waren; nachdem er über die Saiten gefahren und die Gitarre so rein als möglich gestimmt hatte, räusperte er sich, machte sich die Kehle frei und begann alsbald mit einer etwas rauhen, aber doch rein klingenden Stimme folgende Romanze zu singen, die er selbst an diesem nämlichen Tage gedichtet hatte:

Aus den Angeln hebt den Geist oft
Die Gewalt des Liebesdranges,
Nimmt dabei zu ihrem Werkzeug
Süßigkeit des Müßigganges.

Nähn und weben und der Arbeit
Den Tribut allstündlich zahlen
Ist das beste Gegenmittel
Für das Gift der Liebesqualen.

Mägdlein, still und eingezogen,
Sehnt sich’s nach dem Ehebande,
So ist Züchtigkeit die Mitgift,
Die man preist im ganzen Lande.

Ritter, ob sie abenteuern
Oder Dienst am Hofe nahmen,
Liebeln mit den leichtgesinnten,
Freien nur die züchtgen Damen.

Oft geht morgens auf die Liebe,
Rasch, daß sie dem Gast behage,
Und am Abend geht sie unter,
Endet mit des Scheidens Tage.

Flüchtge Liebschaft, heut gekommen
Und dann morgen schon gegangen,
Läßt im Geist kein dauernd Bildnis
Und im Herzen kein Verlangen.

Malst ein Bild du auf das andre,
Wird’s verschwimmen und verflachen;
Macht die erste Schönheit Stiche,
Kann die zweite keine machen.

Dulcinea von Toboso
Steht im Herzen mein gemalet
Auf noch nie berührter Tafel,
Und nie löscht, was dorten strahlet.

Denn bei einem Liebespaare
Schätzt man feste Treu vor allen;
Für dies Paar tut Amor Wunder,
Hebt es zu des Ruhmes Hallen.

So weit war Don Quijote mit seinem Gesange gekommen, dem der Herzog und die Herzogin, Altisidora und fast alle Leute im Schloß zuhörten, als unversehens von einem Altan senkrecht über Don Quijotes Fenster ein Seil heruntergelassen wurde, an welchem über hundert Schellen befestigt waren, und gleich darauf ward ein Sack voll Katzen ausgeschüttet, denen ebenfalls Schellen, aber kleinere, an die Schwänze gebunden waren. So gewaltig erscholl das Gerassel der Schellen und das Miauen der Katzen, daß das herzogliche Paar, das doch selbst den Spaß ausgedacht hatte, darüber in Schrecken geriet und Don Quijote vor Entsetzen schier von Sinnen kam; und das Schicksal fügte es, daß zwei oder drei Katzen durchs Fenster in sein Zimmer hineinsprangen, hier von einer Ecke zur andern jagten, und es war, als ob ein ganzes Lager voll Teufel im Zimmer umginge; sie verlöschten die Kerzen, die im Gemache brannten, fuhren hin und her und suchten, wo sie entwischen könnten. Das Seil mit den großen Schellen wurde inzwischen unaufhörlich hinaufgezogen und herabgelassen; die meisten von den Leuten im Schlosse, die den wahren Sachverhalt nicht kannten, gerieten vor Erstaunen und Verwunderung ganz außer sich. Don Quijote fuhr in die Höhe, zog das Schwert und begann zum Fenster hinaus Stiche mit seiner Klinge auszuteilen und gewaltig laut zu rufen: »Fort mit euch, ihr boshaften Zauberer! Fort, du hexenmeisterlich Gesindel! Ich bin Don Quijote von der Mancha, gegen den euer böser Wille nichts vermag und sonder Gewalt ist!«

Jetzt wandte er sich gegen die Katzen, die in seinem Gemach umhertobten, und führte zahllose Schwerthiebe nach ihnen; sie liefen zum Fenster und sprangen hinaus. Eine aber, die sich von Don Quijotes Schwertstreichen arg in die Klemme gebracht sah, sprang ihm ins Gesicht, packte ihn mit Krallen und Zähnen an der Nase, und Don Quijote begann vor Schmerz darüber aus Leibeskräften zu schreien. Als der Herzog und die Herzogin das hörten, konnten sie sich wohl denken, was geschehen war; sie eilten mit größter Schnelligkeit nach seinem Zimmer, öffneten es mit dem Hauptschlüssel und erblickten den armen Ritter, wie er aus allen Kräften sich mühte, die Katze von seinem Gesicht loszureißen. Sie traten mit Lichtern hinein und sahen den ungleichen Kampf; der Herzog sprang hinzu, um die Gegner auseinanderzubringen; aber Don Quijote rief: »Keiner soll ihn von mir wegreißen! Laßt mich Mann gegen Mann mit diesem Teufel fertigwerden, mit diesem Hexenmeister, diesem Zauberer! Ich will ihn lehren, ich allein gegen ihn, wer Don Quijote von der Mancha ist!«

Aber die Katze kümmerte sich nicht um diese Drohungen, sondern fauchte und krallte sich fester an. Doch der Herzog riß sie endlich los und warf sie zum Fenster hinaus. Don Quijote stand da, das Gesicht zerkratzt und zerlöchert wie ein Sieb und die Nase nicht im besten Zustand, und dennoch sehr ärgerlich, weil man ihn den Kampf nicht zu Ende führen ließ, in welchen er mit jenem schurkischen Zauberer so eng verstrickt war.

Man ließ heilendes Wundöl bringen, und Altisidora selbst legte mit ihren schneeweißen Händen einen Verband auf jede verletzte Stelle, und beim Auflegen der Binden sagte sie ihm mit leiser Stimme: »All diese Widerwärtigkeiten begegnen dir, Ritter mit dem steinernen Busen, ob der Sünde deiner Hartherzigkeit und deines Starrsinns; wollte Gott, daß Sancho, dein Schildknappe, nimmer daran dächte, sich zu geißeln, damit deine so heißgeliebte Dulcinea niemals ihrer Verzauberung ledig werde und du ihrer weder genießest noch das Ehebett mit ihr besteigest, wenigstens solange ich lebe, die ich dich anbete.«

Auf all dies gab Don Quijote weiter keine Antwort als einen tiefen Seufzer, und alsbald streckte er sich auf sein Bett und dankte dem herzoglichen Paar für die erwiesene Gnade, nicht als ob er vor jenem katzenhaften Zauberer- und Schellenklingelgesindel sich gefürchtet, sondern weil er die freundliche Gesinnung erkannt habe, mit der sie ihm zu Hilfe gekommen. Herzog und Herzogin überließen ihn nun seiner Ruhe und entfernten sich, bekümmert über den schlechten Ausgang des gespielten Streiches. Sie hatten nicht gedacht, diese Aventüre werde ihn so schlimm und so teuer zu stehen kommen, und nun kostete sie ihn fünf Tage Haft in Zimmer und Bett; aber hierbei begegnete ihm ein anderes Abenteuer, das vergnüglicher war als das vorige und welches sein Geschichtsschreiber für jetzt nicht erzählen will, um sich nach Sancho Pansa umzusehen, der sich in seiner Statthalterschaft sehr tätig und sehr launig zeigte.

47. Kapitel


Wo weitererzählt wird, wie sich Sancho Pansa in seiner Statthalterschaft benommen

Es erzählt die Geschichte, daß Sancho Pansa aus der Gerichtsstube zu einem prachtvollen Palast geführt wurde, wo in einem weiten Saale eine königlich besetzte Tafel aufs feinste hergerichtet war. Sobald Sancho in den Saal trat, ertönte Oboenklang und erschienen vier jugendliche Diener, ihm Wasser für die Hände zu reichen, was Sancho mit großer Würde entgegennahm. Die Musik hörte auf, und Sancho setzte sich auf den Ehrenplatz an der Tafel, weil kein anderer Sitz und auf dem ganzen Tisch kein andres Gedeck vorhanden war. Ihm zur Seite stellte sich ein Mann, der sich nachher als Arzt zu erkennen gab, mit einem Fischbeinstäbchen in der Hand. Das reichgestickte weiße Leintuch wurde weggenommen, mit welchem das Obst und eine große Auswahl von Schüsseln mit mannigfachen Gerichten zugedeckt war. Einer, der wie ein studierter Mann aussah, sprach den Segen, und ein Hausdiener legte Sancho ein spitzenbesetztes Vorstecktuch um; ein anderer, der das Amt des Truchsessen versah, setzte eine Platte mit Obst vor ihn hin; aber kaum hatte er einen Bissen verzehrt, da berührte der Mann neben ihm die Platte mit dem Stäbchen, worauf sie mit größter Geschwindigkeit abgetragen wurde. Indes setzte der Truchseß dem Statthalter von einem andern Gerichte vor; Sancho machte sich daran, es zu versuchen; allein ehe er noch zur Schüssel gelangte oder sie versuchte, hatte das Stäbchen sie schon berührt und ein Diener sie ebenso schnell wie den Teller mit Obst abgetragen.

Als Sancho dies sah, war er starr vor Staunen, schaute einem nach dem andern ins Gesicht und fragte, ob dies Mahl in ähnlicher Weise verzehrt werden solle, wie bei der Taschenspielerei die Kügelchen verschwinden. Der mit dem Stäbchen antwortete: »Hier darf nicht anders gespeist werden, als wie es Brauch und Sitte auf allen andern Insuln ist, wo Statthalter regieren. Ich, Señor, bin Arzt und werde auf dieser Insul besoldet, um deren Statthalter ärztlich zu behandeln, und auf deren Gesundheit bin ich weit mehr bedacht als auf die meinige. Zu diesem Zweck studiere ich Tag und Nacht und erforsche und ergrüble die Leibesbeschaffenheit des Statthalters, um ihn in richtiger Weise zu behandeln, wenn er in Krankheit verfallen sollte; und meine Haupttätigkeit besteht darin, daß ich seinen Mittags- und Abendmahlzeiten beiwohne, um ihn von den Speisen genießen zu lassen, die ihm nach meiner Meinung heilsam sind, und ihm das wegzunehmen, was ich für ihn und seinen Magen als nachteilig und schädlich erachte. Deshalb auch habe ich die Platte mit Obst wegnehmen lassen, weil Obst allzuviel Feuchtigkeit enthält, und ebenso die Schüssel mit dem andern Gericht, weil es allzu heiß war und viel Gewürze enthielt, die den Durst mehren, und wer zuviel trinkt, der vernichtet und zerstört jene Urfeuchtigkeit, die der Grundstoff des Lebens ist.«

Don Quijote

»Dann wird jene Schüssel mit Rebhühnern, die dort gebraten zu sehn und meines Erachtens trefflich zubereitet sind, mir gewiß nicht schaden«, meinte Sancho.

Rasch entgegnete der Arzt: »Die soll der Herr Statthalter nicht zu essen bekommen, solange ich am Leben bin.«

»Aber warum?« fragte Sancho.

Der Arzt antwortete: »Weil unser aller Meister Hippokrates, der Leitstern und das Licht der Heilkunst, in einem seiner Lehrsprüche sagt: Omnis saturatio mala, perdices autem pessima; das heißt: Jede Sättigung ist schädlich, die Sättigung mit Rebhühnern aber am schädlichsten.«

»Wenn dem so ist«, versetzte Sancho, »so seht zu, Herr Doktor, welches unter all den Gerichten auf diesem Tische mir am zuträglichsten und welches mir am wenigsten schädlich ist, und laßt mich davon essen und schlagt mir mit Euerm Stecken nicht darauf, denn so wahr ich Statthalter bin und so wahr mein Leben mir von Gott noch lange soll erhalten bleiben, ich sterbe vor Hunger. Wenn man mich aber am Essen hindert, dann – und da mag der Herr Doktor sagen, was er will – raubt man mir eher das Leben, als es zu verlängern.«

»Euer Gnaden hat recht, Herr Statthalter«, entgegnete der Arzt, »und sonach halte ich dafür, daß Euer Gnaden nicht von dem Kaninchen-Ragout dort essen darf, denn es ist ein Gericht, in dem man leicht ein Haar findet. Von dem Kalbfleisch hier könntet Ihr schon was versuchen, wenn es nicht ein gedämpftes wäre; so aber darf es nicht sein.«

Und Sancho sprach: »Die große Schüssel, die dort vorne dampft, scheint mir Olla podrida zu sein, und da sich eine so große Mannigfaltigkeit von Eßbarem in derlei Ollas podridas findet, so kann mir’s ja nicht fehlen, daß ich irgendwas drin finde, das mir schmeckt und zuträglich ist.«

»Auf keinen Fall!« sagte der Arzt; »fern von uns bleibe ein so böser Gedanke; es gibt nichts in der Welt, das schwerer verdaulich wäre! Das ist recht für Domherren oder für Schulrektoren oder für Bauernhochzeiten, aber nichts für Statthalter, wo nur das Allerbeste und Allerleckerste hinkommen darf; und zwar deshalb, weil stets einfache Heilmittel den zusammengesetzten vorzuziehen sind; denn bei den einfachen kann man sich nicht irren, wohl aber bei den zusammengesetzten, indem man Gewicht und Menge der Bestandteile nicht richtig einhält. Indessen was nach meiner Erfahrung der Herr Statthalter essen soll, um seine Gesundheit zu erhalten und zu stärken, das ist ein Hundert Waffelröhrchen nebst dünnen Scheiben Quittenfleisch, die Euch den Magen in Ordnung bringen und die Verdauung befördern.«

Als Sancho das hörte, stemmte er seinen Rücken gegen die Lehne des Sessels, sah dem so trefflichen Arzt starr und unverwandt ins Gesicht und fragte ihn mit ernstem strengem Ton, wie er heiße und wo er studiert habe.

Er antwortete: »Ich, Herr Statthalter, heiße Doktor Peter Stark von Deutungen, bin gebürtig aus Machdichfort, einem Dorf, das zwischen Caracuel und Almodóvar del Campo zur rechten Hand liegt, und habe promoviert an der Universität Osuna.«

Da sprach Sancho, ganz von Zorn entbrannt: »Also denn, Herr Doktor Peter Stark von bösen Deutungen, gebürtig aus Machdichfort, einem Dorf, das zwischen Caracuel und Almodóvar del Campo zur rechten Hand liegt, der Ihr in Osuna promoviert habt, verschwindet auf der Stelle; andernfalls schwör ich beim Licht der Sonne, ich nehm einen Prügel und treibe zuerst Euch und dann alle anderen Ärzte mit Stockprügeln hinaus, daß mir keiner auf der Insul bleiben soll, wenigstens keiner von denen, welche ich als Dummköpfe erfinde, die nichts verstehen; die gelehrten, einsichtigen und verständigen Ärzte aber, vor denen will ich mein Haupt in Demut neigen und sie als göttliche Männer verehren. Und nun sag ich nochmals, Peter Stark soll verschwinden, sonst nehm ich den Sessel hier, auf dem ich sitze, und schlag ihn an seinem Kopf in tausend Stücke; und wenn meine Amtsführung zur Untersuchung kommt, mag man dafür Rechenschaft von mir fordern, da werde ich erklären, ich hätte Gott einen Dienst damit getan, daß ich einen schlechten Arzt, einen Henkersknecht und Verderber des Gemeinwesens aus der Welt geschafft habe. Aber nun gebt mir zu essen, andernfalls nehmt meine Statthalterschaft wieder an Euch; ein Amt, das seinen Mann nicht nährt, ist keine Bohne wert.«

Der Doktor geriet in Angst, als er den Statthalter so zornig sah, und wollte eben das Machdichfort aus dem Saal spielen, wenn nicht im nämlichen Augenblick ein Posthorn auf der Straße geblasen hätte; der Truchseß sah zum Fenster hinaus und wandte sich mit den Worten ins Zimmer zurück: »Da kömmt ein Eilbote von meinem Herrn, dem Herzog; er muß eine Meldung von Wichtigkeit bringen.«

Der Eilbote trat schwitzend und ängstlich in den Saal, nahm einen verschlossenen Brief aus dem Busen und überreichte ihn dem Statthalter; Sancho übergab ihn dem Haushofmeister und hieß ihn die Aufschrift lesen, welche lautete: An Don Sancho Pansa, Statthalter der Insul Baratária, zu eigenen Händen oder zu denen seines Geheimschreibers.

Als Sancho dies hörte, fragte er: »Wer ist hier mein Geheimschreiber?«

Einer der Anwesenden antwortete: »Ich, Señor, denn ich kann lesen und schreiben und bin ein Biskayer.«

»Damit könntet Ihr auch beim Kaiser selber Geheimschreiber sein«, sagte Sancho. »öffnet den Brief und seht nach, was er besagt.«

Der neugebackene Geheimschreiber tat so, und nachdem er den Inhalt gelesen, bemerkte er, es sei eine Angelegenheit, die unter vier Augen verhandelt werden müsse.

Sancho befahl, den Saal zu räumen; es solle niemand als der Haushofmeister und der Truchseß dableiben. Die andern entfernten sich, auch der Arzt; und sofort las der Geheimschreiber den Brief vor, welcher folgendermaßen lautete:

Es ist zu meiner Kenntnis gekommen, Señor Don Sancho Pansa, daß Feinde von mir und Eurer Insul einen schweren Angriff auf sie unternehmen wollen, ich weiß nicht in welcher Nacht; es gilt also, wachsam und auf der Hut zu sein, damit sie Euch nicht unvorbereitet überfallen. Ich erfahre auch durch zuverlässige Kundschafter, daß vier Leute verkleidet in Eure Stadt gekommen sind, um Euch das Leben zu rauben, weil sie sich vor Eurer geistigen Überlegenheit fürchten; haltet die Augen offen und beobachtet scharf, wer Euch zu sprechen kommt, und eßt von nichts, was man Euch vorsetzt. Ich werde darauf bedacht sein, Euch zu Hilfe zu kommen, wenn Ihr Euch in Nöten seht; Ihr aber werdet in allem handeln, wie von Eurer Einsicht zu erwarten steht.

Gegeben dahier, am sechzehnten August, um vier Uhr morgens.

Euer Freund, der Herzog

Sancho geriet in großen Schrecken, und die Umstehenden zeigten die gleiche Bestürzung. Er wandte sich zum Haushofmeister und sagte ihm: »Was jetzo zu tun ist, muß auf der Stelle geschehen: der Doktor Stark muß in ein Kerkerloch geworfen werden, denn wenn irgendeiner mich tot haben will, so ist er es sicherlich, und zwar mit dem langsamsten, ärgsten Tod, nämlich dem Hungertod.«

»Auch ich bin der Meinung«, sagte der Truchseß, »daß Euer Gnaden nichts von alldem essen soll, was hier auf der Tafel steht, denn Nonnen haben es hergeschickt, und wie man zu sagen pflegt, hinter dem Kreuze steht der Teufel auf der Lauer.«

»Das kann ich nicht leugnen«, erwiderte Sancho; »so gebt mir für jetzt ein Stück Brot und etwa vier Pfund Trauben, in denen kann kein Gift stecken; denn wahrlich, ich kann’s nicht aushalten, ohne was zu essen. Und wenn wir uns wirklich für die bewußten Schlachten bereithalten sollen, die uns dräuen, so müssen wir notwendigerweise gehörig genährt sein, denn der Magen hält das Herz aufrecht und nicht das Herz den Magen. Ihr aber, Geheimschreiber, verfaßt eine Antwort an den Herzog, meinen Herrn, und sagt ihm, es soll alles ausgeführt werden, was er befiehlt und wie er es befiehlt, ohne daß ein Tüpfelchen daran fehlt. Gebt auch der Herzogin, meiner gnädigen Frau, einen Handkuß von mir, und ich lasse sie bitten, sie möge nicht vergessen, meinen Brief und mein Bündel mit einem besonderen Boten an meine Frau Teresa Pansa zu senden; sie würde mir dadurch eine große Gnade erweisen, und ich würde mich bemühen, ihr in allem, was meine Kräfte vermögen, zu dienen. Ihr könnt auch einen Handkuß für meinen Herrn Don Quijote einflicken, damit er sieht, daß ich für sein Brot dankbar bin. Und als ein guter Geheimschreiber und ein guter Biskayer könnt Ihr noch beifügen, soviel Ihr Lust habt und was sich am besten schickt. Jetzt aber deckt ab oder gebt mir was zu essen, und ich meinesteils will schon mit allen Kundschaftern und Mördern und Zauberern fertigwerden, die etwa mich und meine Insul angreifen wollen.«

Indem trat ein Hausdiener ein und sagte: »Es ist ein Bauer da, der ein Anliegen hat, und er will über das Anliegen, das, wie er sagt, sehr wichtig ist, mit Euer Gnaden sprechen.«

»Das ist ein seltsam Ding mit den Leuten, die ein Anliegen haben«, sprach Sancho; »können sie so dumm sein und nicht einsehen, daß derlei Stunden wie die jetzige nicht die Zeit sind, wo man kommt und über ein Anliegen verhandelt? Sind vielleicht wir Statthalter, wir Richter nicht auch Menschen von Fleisch und Blut? Kann man uns denn nicht so lange ausruhen lassen, als unser Bedürfnis erfordert? Sollen wir denn aus Marmelstein sein? Bei Gott und meiner armen Seele, wenn meine Statthalterschaft länger dauert – sie wird aber nicht dauern, wie ich schon merke –, so will ich mehr als einen von denen, die mit Anliegen kommen, gehörig vornehmen. Jetzt sagt dem Menschen, er soll eintreten; aber man soll vorher achthaben, daß er nicht einer von den Kundschaftern ist oder gar mein Mörder.«

»Gewiß nicht, Señor«, antwortete der Diener, »denn er sieht aus wie einer, der das Pulver nicht erfunden hat, und ich müßte mich nicht drauf verstehen, wenn er nicht so unschuldig ist wie das liebe Brot.«

»Es ist nichts zu fürchten«, sagte der Haushofmeister, »wir sind ja alle hier zur Hand.«

»Ginge es nicht an, Truchseß«, sprach Sancho, »daß ich jetzt, wo der Doktor Stark nicht da ist, etwas Tüchtiges und Nahrhaftes zu mir nähme, wäre es auch nur ein Stück Brot und eine Zwiebel?«

»Diesen Abend beim Nachtmahl soll die Entbehrung des Mittagessens wiedergutgemacht und soll Euer Gnaden zufriedengestellt und schadlos gehalten werden«, sagte der Truchseß.

»Das gebe Gott«, entgegnete Sancho.

Indem trat der Bauer ein; er sah ganz anständig aus, und man konnte ihm auf tausend Meilen die Ehrlichkeit und Gutmütigkeit aus dem Gesichte lesen. Das erste, was er sagte, war: »Wer ist hier der Herr Statthalter?«

»Wer soll es sein«, antwortete der Geheimschreiber, »als der Herr, der auf dem Sessel sitzt!«

»Dann bücke ich mich in Ehrerbietung vor ihm«, sagte der Bauer, warf sich auf die Knie und erbat sich seine Hand, um sie zu küssen. Sancho verweigerte sie ihm und hieß ihn aufstehen und sagen, was er wolle. Der Bauer tat also und sprach sodann: »Ich, Señor, bin ein Bauer aus Miguel Turra, einem Ort zwei Meilen von Ciudad Real.«

»Haben wir schon wieder ein Machdichfort?« entgegnete Sancho. »Redet nur zu, mein Lieber; ich kann Euch sagen, daß ich Miguel Turra sehr gut kenne und daß es nicht weit von meinem Dorf ist.«

»Die Sache ist die, Señor«, fuhr der Bauer fort, »daß ich durch Gottes Barmherzigkeit mich seinerzeit im Licht und Angesicht der heiligen römisch-katholischen Kirche verheiratet habe; ich habe zwei Söhne, die studieren, und der jüngere studiert auf den Baccalaureus und der ältere auf den Lizentiaten. Ich bin Witwer, denn meine Frau ist gestorben, oder richtiger gesagt, ein schlechter Arzt hat sie mir umgebracht, indem er ihr etwas zum Abführen eingab, während sie schwanger war, und wäre es Gottes Wille gewesen, daß das Kind richtig zur Welt gekommen wäre, und es wäre ein Knabe gewesen, so hätt ich ihn auf den Doktor studieren lassen, damit er auf seine Brüder, den Baccalaur und den Lizentiaten, keinen Neid zu haben brauchte.«

»Demnach«, sagte Sancho, »wäre Eure Frau nicht ums Leben gekommen oder ums Leben gebracht worden, so wäret Ihr anitzo kein Witwer.«

»Nein, Señor, gewiß nicht«, antwortete der Bauer.

»Hiermit also wären wir im reinen«, versetzte Sancho. »Weiter, mein Lieber, es ist jetzt eher Zeit zum Schlafen, als derlei Anliegen zu erledigen.«

»Ich sage also«, sprach der Bauer, »daß mein Sohn, derjenige, der Baccalaur werden soll, sich in ein Mädchen in derselben Stadt verliebt hat namens Clara Perlerina, die Tochter des Andres Perlerino, eines sehr reichen Bauern; und diesen Namen Perlerino haben sie nicht ihrer Abstammung oder sonst ihrer Familie wegen, sondern weil alle aus diesem Hause perlatisch, das heißt gichtbrüchig sind, und damit der Name besser klingt, heißt man sie nicht Perlatische, sondern Perlerins. Allerdings ist auch das Mädchen, wenn man die Wahrheit sagen soll, wie eine Perle vom Morgenland, und wenn man sie auf der rechten Seite anschaut, sieht sie aus wie eine Blume im Feld; aber auf der linken ist’s nicht ganz so, denn es fehlt ihr das linke Auge, das ist ihr von den Blattern ausgelaufen. Und wiewohl die Pockennarben in ihrem Gesicht zahlreich und groß sind, so sagen doch die Leute, die die Clara liebhaben, es wären keine Narben, sondern Gräber, darin die Herzen ihrer Liebhaber begraben werden. Sie liebt die Reinlichkeit so sehr, daß sie, um ihr Gesicht nicht zu verunreinigen, die Nase sozusagen aufgestülpt trägt, so daß es ganz den Anschein hat, als wollte die Nase vor dem Mund davonlaufen. Trotz alledem sieht sie ausnehmend schön aus, denn sie hat einen großen Mund, und wenn nicht darin zehn oder zwölf Vorder- und Backenzähne fehlten, könnte der Mund unter den schönstgeformten mitgehen, ja sich hervortun. Von den Lippen habe ich nichts zu sagen, denn sie sind so dünn und fein, daß, wenn es der Brauch wäre, Lippen aufzuhaspeln, man sie zu einem Strang Zwirn brauchen könnte; doch da ihre Farbe verschieden von der sonst bei Lippen gewöhnlichen ist, so sehen sie gar wunderbar aus, blau und grün und violett gesprenkelt. Aber verzeiht mir, Herr Statthalter, wenn ich so ins einzelne die Züge des Mädchens male, das am Ende doch immerhin meine Tochter werden soll; ich habe sie sehr lieb, und sie mißfällt mir gar nicht.«

»Malt, was Ihr Lust habt«, entgegnete Sancho; »ich habe meine Freude an Eurem Gemälde, und wenn ich nur gegessen hätte, so gäb’s keinen besseren Nachtisch für mich als Eure Konterfeiung.«

»Dafür muß ich ergebensten Dank sagen«, erwiderte der Bauer; »aber was nicht ist, kann noch werden. Und ich sage Euch, Señor, wenn ich ihr liebreizendes Wesen und ihren hohen Wuchs malen könnte, so wäre es etwas Wunderbares; aber ich kann’s nicht, weil sie bucklig ist und der Hals ihr in den Schultern steckt und ihre Knie zum Mund heraufgezogen sind, und bei alledem kann man wohl sehen, daß sie, wenn sie sich aufrichten könnte, mit dem Kopf ans Dach stoßen würde. Auch würde sie meinem Baccalaur schon längst die Hand zur Ehe gereicht haben, nur daß sie sie nicht ausstrecken kann, weil sie lauter Knollen an den Gelenken hat; aber trotzdem sieht man an ihren breiten gerieften Nägeln, daß sie vom echten Schlag und von guter Art ist.«

»Gut jetzt«, fiel Sancho ein, »und bedenkt, daß Ihr sie bereits von Kopf zu Fuß abgeschildert habt. Was wollt Ihr eigentlich? Kommt zur Sache ohne Umwege und Nebenwege, ohne Lappalien und Anhängsel.«

»Ich wünschte, Señor«, erwiderte der Bauer, »Euer Gnaden möchte mir die Gnade erweisen, mir einen Empfehlungsbrief an meinen Gegenschwäher mitzugeben und ihn zu bitten, er möchte die Gewogenheit haben und in diese Heirat willigen, da wir an Gütern des Glücks und der Natur nicht ungleich sind; denn die Wahrheit zu sagen, Herr Statthalter, mein Sohn ist vom Teufel besessen, und es vergeht kein Tag, wo ihn die bösen Geister nicht drei- oder viermal heimsuchen. Und weil er einmal ins Feuer gefallen ist, davon hat er das Gesicht verrunzelt wie Pergament, und die Augen tränen und fließen ihm ein wenig. Aber er hat ein Gemüt wie ein Engel, und wenn er sich nicht manchmal selbst zerprügelte und sich Faustschläge gäbe, wäre er ein gottseliger Junge.«

»Wünscht Ihr sonst noch was, braver Mann?« sprach Sancho dagegen.

»Ich wünschte wohl noch was«, antwortete der Bauer, »nur wage ich es nicht zu sagen; indessen heraus damit, denn zuletzt soll mir’s doch nicht im Leibe verfaulen, mag’s nun glücken oder mißglücken. Ich sage also, Señor, Ich wünschte, Euer Gnaden gäbe mir dreihundert oder sechshundert Taler für die Ausstattung meines Baccalaur, ich meine für die Einrichtung seines Hauses, denn am Ende müssen sie doch selbständig für sich leben, ohne den bösen Launen der Schwiegereltern ausgesetzt zu sein.«

»Überlegt Euch, ob Ihr sonst noch was wollt«, sagte Sancho, »und laßt Euch nicht etwa durch Blödigkeit oder Verschämtheit abhalten, es zu sagen.«

»Nein, gewiß nicht«, antwortete der Bauer.

Und kaum hatte er das gesagt, als der Statthalter auf beide Füße sprang, den Sessel ergriff, auf dem er gesessen hatte, und ausrief: »Ich schwör’s bei dem und jenem, Er Klumpfuß, Er Bauernlümmel, Er Esel, wenn Er mir nicht gleich aus den Augen geht und verschwindet, so will ich Ihm mit diesem Stuhl den Kopf zerschlagen und entzweispalten! Du Schelm von einem Hurensohn, du Hofmaler beim Teufel selber! Jetzt kommst du und verlangst sechshundert Taler von mir? Wo soll ich sie denn hernehmen, du Rotzbub? Und warum soll ich sie dir geben, selbst wenn ich sie hätte, du Gauner, du hirnverbrannter Kerl? Was liegt mir an Miguel Turra und der ganzen Sippschaft der Perlerins? Fort mit dir, sag ich; oder, beim Leben des Herzogs, meines Herrn, ich tue, was ich gesagt. Du bist sicher nicht aus Miguel Turra, sondern bist so ein Spitzbube, den die Hölle hergeschickt hat, um mich zu versuchen. Sag mir doch, Verruchter, es ist noch nicht einmal anderthalb Tage her, seit ich Statthalter bin, und du willst, ich soll schon sechshundert Taler haben?«

Der Truchseß winkte dem Bauern, er solle den Saal verlassen; der ließ den Kopf hängen und ging, scheinbar voller Furcht, der Statthalter möchte seine Drohung ausführen; der arge Schelm wußte seine Rolle aufs beste zu spielen.

Aber lassen wir Sancho jetzt mit seinem Zorn, lassen wir Frieden im Kreise dort walten und kehren wir zurück zu Don Quijote, den wir mit verbundenem Gesicht verlassen haben, der Heilung seiner Kratzwunden obliegend, von welchen er in acht Tagen noch nicht völlig hergestellt war. An einem dieser acht Krankentage begegnete ihm etwas, was Sidi Hamét mit derselben Genauigkeit und Wahrheitsliebe zu erzählen verspricht, wie er alle Umstände in dieser Geschichte zu erzählen pflegt, so geringfügig sie auch seien.

48. Kapitel


Von der Begebenheit zwischen Don Quijote und Doña Rodríguez, der Kammerfrau der Herzogin, nebst andern Ereignissen, so des Niederschreiben und ewigen Gedächtnisses würdig sind

Äußerst traurig und niedergeschlagen saß der sehr wunde Don Quijote da; sein Gesicht war verbunden und nicht von Gottes Hand, sondern von Katzenkrallen gezeichnet; ein Mißgeschick solcher Art, wie es eben dem fahrenden Rittertum anhängt. Sechs Tage verbrachte er, ohne unter die Leute zu gehen. Während dieser Zeit lag er einmal eines Nachts wach und ruhelos und dachte an sein Unglück und an Altisidoras Verfolgungen; da hörte er, wie die Tür seines Gemaches mit einem Schlüssel geöffnet wurde, und sogleich kam er auf die Vermutung, das verliebte Fräulein nahe sich, um einen Sturm auf seine Keuschheit zu unternehmen und ihn in eine Lage zu bringen, daß er die Treue brechen müsse, die er seiner Herrin Dulcinea von Toboso schuldete.

»Nein«, sagte er, bereits fest glaubend, was seine Einbildung ihm vorspiegelte – und er sagte es so laut, daß man es draußen hören konnte –, »nicht die größte Schönheit auf Erden soll die Macht haben, daß ich die anzubeten aufhöre, die ich in meines Herzens Mitte und an der verborgensten Stelle meines Innern eingegraben und eingezeichnet trage; ob du nun, meine geliebte Herrin, in eine zwiebelrunde Bäuerin verwandelt seiest oder in eine Nymphe des goldenen Tajo, die da aus Gold und Seide Gewebe webt, oder ob Merlin oder Montesinos dich an einem Ort festgebannt halten, wo es sie gelüstet, denn allerorten, wo du sein magst, bist du mein, und allwärts, wo ich sein mag, bleibe ich der Deine.«

Im gleichen Augenblick, da er diese Worte zu Ende sprach, sah er die Tür aufgehen. Er stellte sich auf seinem Bette aufrecht, von oben bis unten in eine Decke von gelbem Atlas eingehüllt, ein Nachtkäppchen auf dem Kopf, das Gesicht und den Schnurrbart verbunden: das Gesicht wegen der Schrammen von den Katzenkrallen, den Schnurrbart, damit er sich nicht in Unordnung auflöse und herabfalle. In diesem Aufzug sah er aus wie der seltsamste Spuk, der sich erdenken läßt. Er heftete die Augen starr auf die Tür, und als er schon erwartete, die ihrem Sieger hingegebene liebeskranke Altisidora werde hereinschreiten, sah er eine äußerst ehrwürdige Kammerfrau eintreten, in einer weißen Haube mit so breiten und langen Säumen, daß sie damit von Kopf zu Füßen umhüllt und umschleiert war. In den Fingern der linken Hand hielt sie ein brennendes Kerzenstümpfchen, und mit der rechten beschattete sie ihr Gesicht, damit ihr das Licht nicht in die Augen schien, vor welchen sie eine große Brille trug. Sie schritt leise einher und setzte ihre Füße sachte auf.

Don Quijote schaute von seiner Warte auf sie hernieder, und als er ihren Aufzug sah und ihr Stillschweigen gewahrte, glaubte er, es komme eine Hexe oder Zauberin daher, um an ihm etwelche arge Freveltat zu verüben, und begann in aller Hast sich zu bekreuzen. Die Erscheinung trat näher, und als sie bis zur Mitte des Zimmers gekommen, erhob sie die Augen und sah, wie hastig Don Quijote sich bekreuzte; und wenn er erschrocken war, eine solche Gestalt zu sehen, so war sie ganz entsetzt, die seinige zu erblicken; und als sie ihn so hochgestreckt und so gelb von Gesicht sah, mit der Bettdecke und dem Verband, der ihn entstellte, schrie sie laut auf und rief: »Jesus! Was seh ich?«

Vor Schreck fiel ihr die Kerze aus der Hand, und als sie sich im Dunkeln fand, wendete sie den Rücken, um davonzulaufen, stolperte vor lauter Bestürzung über ihre Schleppe und tat einen schweren Fall. Don Quijote fing vor Angst zu schreien an: »Ich beschwöre dich, Gespenst, oder was du sein magst, sag mir, wer du bist, und sag mir, was du von mir willst. Bist du eine Seele aus dem Fegefeuer, so sage mir’s, ich will für dich tun, soviel meine Kräfte vermögen, denn ich bin ein katholischer Christ und tue gern Gutes an jedermann, und darum hab ich mir den Orden der fahrenden Ritterschaft erkoren, zu dem ich mich bekenne und dessen Amt sich selbst darauf erstreckt, den Seelen im Fegfeuer wohlzutun.«

Die von ihrem Fall gequetschte Kammerfrau, die sich also beschwören hörte, schloß aus ihrer Furcht auf die Don Quijotes und antwortete ihm mit schmerzlichem leisem Tone: »Señor Don Quijote – sofern etwa Euer Gnaden wirklich Don Quijote ist –, ich bin kein Gespenst und keine Erscheinung und keine Seele aus dem Fegfeuer, sondern Doña Rodríguez, die Ehrendame der gnädigen Frau Herzogin, und will in einer von jenen Nöten, denen Ihr Abhilfe zu schaffen pflegt, mich an Euer Gnaden wenden.«

»Sagt mir, Señora Doña Rodríguez«, sprach Don Quijote, »kommt Ihr vielleicht in der Absicht, hier eine Kuppelei zu versuchen? Denn ich tu Euch zu wissen, ich bin für niemand nütze, dank der unvergleichlichen Schönheit meiner Gebieterin Dulcinea von Toboso. Ich sag Euch also, Señora Doña Rodríguez, sofern Ihr jede Liebesbotschaft vermeidet und beiseite laßt, könnt Ihr Eure Kerze wieder anzünden, und dann kommt wieder, und dann wollen wir über alles sprechen, was Ihr mir auftragen wollt und wozu Ihr Lust habt, doch jede aufregende Süßrednerei ausgenommen.«

»Ich von jemandem Liebesbotschaft, verehrter Herr?« entgegnete die Kammerfrau. »Da kennt mich Euer Gnaden schlecht. Jawohl, noch bin ich nicht so alt, daß ich mich auf solche Kindereien einlassen sollte; Gott sei Dank habe ich noch meinen vollen Verstand im Leibe und habe all meine Vorder- und Backenzähne im Mund, ausgenommen etliche wenige, um die mich ein böses Flußfieber schändlich gebracht hat, wie es in unsrem aragonischen Lande so häufig vorkommt. Aber wartet ein wenig, Herr Ritter, ich geh hinaus und zünde eine Kerze an und komme in einem Augenblick zurück, um Euch meine Bekümmernisse zu klagen, als dem Manne, der allen Bekümmernissen auf der Welt Abhilfe schafft.«

Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ sie das Gemach, während Don Quijote dortblieb und sie geruhsam und nachdenklich erwartete. Aber bald bestürmten ihn tausend Gedanken ob dieses neuen Abenteuers; es schien ihm, er habe nicht recht gehandelt und noch weniger es recht bedacht, daß er sich in die Gefahr begebe, seiner Gebieterin die verheißene Treue zu brechen, und er sprach zu sich selbst: Wer weiß, ob nicht der Teufel, der schlau und voller Tücken ist, mich jetzt mit einer Kammerfrau berücken will, was er mit Kaiserinnen, Königinnen, Herzoginnen, Markgräfinnen und Gräfinnen nicht vermocht hat? Oftmals habe ich, und zwar von vielen einsichtsvollen Leuten, sagen hören, wenn er es nur irgendwie vermag, hat er dich lieber mit einer stumpfen Nase als mit einer Adlernase zum besten; und wer weiß, ob nicht diese Einsamkeit, diese Gelegenheit, diese Stille meine schlummernden Begierden aufwecken und bewirken werden, daß ich am Ende meiner Jahre da falle, wo ich noch nie gestrauchelt bin? In dergleichen Fällen ist fliehen besser als den Kampf erwarten. Doch ich muß wohl nicht recht bei Verstande sein, da ich solchen Unsinn sage und denke. Es ist nicht möglich, daß eine alte, weißbehaubte, lange und bebrillte Kammerfrau einen lüsternen Gedanken auch nur in dem ruchlosesten Herzen auf Erden erregen oder aufjagen kann. Gibt es vielleicht eine Kammerfrau auf dem weiten Erdenkreis, die anders als widerwärtig, sauertöpfisch und zieräffisch wäre? Fort also, du kammerfrauliche Sippschaft, untauglich zu jedem frohen Genuß der Menschheit! O wie recht hat jene Dame getan, von der man sagte, sie habe zwei alte Kammerfrauen, nämlich Puppen mit Lappen ausgestopft, mit ihren Brillen und Nähkissen neben ihrem Sessel stehen, gerade als ob sie Handarbeiten verrichteten, und diese Puppen hätten ihr für die Erhaltung der Hausordnung ganz dieselben Dienste geleistet wie leibhaftige Kammerfrauen.

Mit diesen Worten sprang er aus dem Bett, um die Tür abzuschließen und die Frau Rodríguez nicht hereinzulassen; aber gerade als er beim Zuschließen war, da kehrte schon Frau Rodríguez mit einer brennenden Kerze von weißem Wachs zurück, und als sie Don Quijote nun von nahem sah, eingewickelt in seine Bettdecke, mit seinem Verbande und seinem Nachtkäppchen oder Mützchen mit Ohrlappen, bekam sie abermals Furcht, zog sich etwa zwei Schritte zurück und sagte: »Sind wir Damen hier sicher, Herr Ritter? Denn ich erachte es nicht für ein Zeichen besonderer Züchtigkeit, daß Euer Gnaden vom Bett aufgestanden ist.«

»Das nämliche habe auch ich Anlaß zu fragen, Señora«, antwortete Don Quijote; »und sonach frage ich, ob ich sicher davor bin, daß ich nicht angefallen und mir Gewalt angetan werde.«

»Gegen wen oder von wem verlangt Ihr, Herr Ritter, diese Sicherheit?« entgegnete die Alte.

»Von Euch und gegen Euch verlange ich sie«, antwortete Don Quijote, »denn ich bin weder von Marmelstein, noch seid Ihr von Erz; und jetzt ist auch nicht zehn Uhr morgens, sondern Mitternacht und sogar noch was darüber, wie ich meine; und wir befinden uns in einem fester verschlossenen und heimlicheren Raum, als es jene Höhle sein mochte, wo der verräterische, vermessene Äneas die Liebe der schönen frommen Dido genoß. Aber reicht mir die Hand, Señora; ich will keine größere Sicherheit als die, so meine Enthaltsamkeit und Keuschheit und Eure höchst ehrwürdige Haube mir gewähren.«

Mit diesen Worten küßte er ihr die rechte Hand und bot ihr die seinige, und sie reichte ihm die ihre mit den nämlichen Umständlichkeiten.

Hier schaltet Sidi Hamét eine Äußerung zwischen Klammern ein; nämlich er versichert beim Mohammed, um die zwei, so innig Hand in Hand verschlungen, miteinander von der Tür nach dem Bett gehen zu sehen, würde er den besten Kaftan hergeben von den zweien, die er besitze.

Don Quijote legte sich alsdann in sein Bett, und Doña Rodríguez setzte sich etwas entfernt davon auf einen Stuhl, ohne die Brille oder die Kerze wegzulegen. Don Quijote kauerte sich zusammen, zog die Decke ganz über sich und ließ nichts weiter als das Gesicht frei. Nachdem beide sich nun völlig beruhigt, brach Don Quijote zuerst das Schweigen mit diesen Worten: »Meine verehrte Doña Rodríguez, Ihr könnt Euch jetzt offenbaren und alles von Euch geben, was Ihr auf Eurem bekümmerten Herzen und in Eurem betrübten Gemüte habt, und Ihr sollt von mir mit keuschen Ohren angehört und mit Werken der Barmherzigkeit unterstützt und errettet werden.«

»Das glaube ich gerne«, versetzte die alte Kammerfrau, »denn von dem edlen und freundlichen Aussehen Euer Gnaden ließ sich nur eine so christliche Erwiderung erwarten. Es ist die Sache nun die: Wiewohl mich Euer Gnaden auf diesem Stuhle, mitten im Königreich Aragon, in der Tracht einer demütigen und tiefbekümmerten Kammerfrau sieht, so bin ich doch aus der asturischen Landschaft Oviedo gebürtig und stamme von einem Geschlechte, mit welchem viele von den Vornehmsten jener Landschaft versippt sind; aber mein Unglück und die Lässigkeit meiner Eltern, welche vor der Zeit verarmten, ohne zu wissen wann und wie, führten mich in die Residenz nach Madrid, wo, in der allerbesten Absicht und um größeres Unheil zu verhüten, meine Eltern mich bei einer vornehmen Dame unterbrachten, um da als Haus- und Nähmädchen zu dienen. Und ich muß Euer Gnaden zu wissen tun, im Hohlsäumen und im Weißnähen hat es mir in meinem ganzen Leben nie eine andre zuvorgetan. Meine Eltern ließen mich im Dienst und kehrten nach ihrer Heimat zurück, und wenige Jahre nachher sind sie hingeschieden und gewiß in den Himmel eingegangen, denn sie waren gute katholische Christen. Ich war nun verwaist und mußte mit dem elenden Lohn auskommen und den erbärmlichen Geschenken, die man dergleichen Dienerinnen in einem vornehmen Hause zu geben pflegt.

Um diese Zeit, ohne daß ich Anlaß dazu gegeben hätte, verliebte sich einer unsrer Kammerjunker in mich, ein Mann schon bei Jahren, mit hübschem Bart und stattlichem Aussehen, insbesondere aber von so gutem Adel wie der König, denn er stammte aus dem Gebirge. Unser Liebesverhältnis blieb nicht so geheim, daß es nicht zur Kenntnis meiner gnädigen Frau hätte kommen müssen, und diese, um allem Geschwätz und Gerede vorzubeugen, verheiratete uns mit Zustimmung und angesichts unsrer hl. Mutter, der römisch-katholischen Kirche. Aus dieser Ehe entsproßte eine Tochter, um all meinem Glück, wenn ich je glücklich gewesen, den Todesstoß zu versetzen; nicht als ob ich an der Geburt des Kindes gestorben wäre, denn ich bekam es ganz in der Ordnung und zu rechter Zeit, sondern weil kurz nachher mein Gatte an einem gewissen Schreck, den er hatte, starb, und wäre es jetzt an der Zeit, den Vorfall zu erzählen, so weiß ich, Euer Gnaden würde sich höchlich wundern.«

Hierbei begann sie kläglich zu weinen und fuhr folgendermaßen fort: »Señor Don Quijote, Euer Gnaden wolle mich entschuldigen, ich kann nicht länger an mich halten, denn jedesmal, wenn ich an meinen unglücklichen Verstorbenen denke, füllen sich meine Augen mit Tränen. So wahr mir Gott helfe, wie vornehm sah er aus, wenn er meine gnädige Frau geleitete und sie hinter ihm auf der Kruppe eines mächtigen Maultieres ritt, das schwarz war wie Ebenholz. Damals gab es weder Kutschen noch Tragsessel, wie sie jetzt bräuchlich sein sollen, und die Damen ritten auf der Kruppe hinter ihren Kammerjunkern. Aber dies wenigstens kann ich nicht umhin Euch zu erzählen, damit Ihr seht, welch feine Lebensart mein guter Mann hatte und wie peinlich er in allem auf Anstand hielt. Beim Einbiegen in die Santiagostraße zu Madrid, die etwas eng ist, kam ihm ein Oberhofrichter mit zwei Gerichtsdienern entgegen, und sobald mein lieber Kammerjunker ihn erblickte, wendete er, so daß man sah, er wolle dem Herrn das Geleite geben. Meine Gebieterin, die auf der Kruppe ritt, sagte leise zu ihm: ›Was tut Ihr, einfältiger Mensch? Wißt Ihr nicht etwa, daß ich da bin?‹ Der Hofrichter hielt als höflicher Mann sein Pferd an und sprach zu ihm: ›Reitet nur Eures Weges weiter, Señor; mir kommt es zu, meiner gnädigen Frau Doña Casildéa‹ – so hieß meine Dienstherrin – ›das Geleite zu geben‹. Trotzdem bestand mein Mann darauf, seine Mütze in der Hand, dem Hofrichter das Geleite zu geben. Als meine Gnädige das sah, zog sie voll Zorn und Ärger eine große Stecknadel, oder, ich glaub, es war eine Ahle, aus ihrem Besteck und stach sie ihm in die Lenden, so daß mein Mann laut aufschrie und sich so winden und krümmen mußte, daß er seine Gebieterin zu Boden warf. Zwei ihrer Lakaien eilten herbei, um sie aufzuheben, und dasselbe tat der Hofrichter mit den Gerichtsdienern. Das ganze Guadalajar-Tor geriet in Aufruhr, ich meine das müßige Volk, das sich dort umhertrieb. Meine Gebieterin ging zu Fuß nach Hause, und mein Mann lief zu einem Barbier und klagte, ihm seien die Eingeweide durch und durch gestochen. Das höfliche Benehmen meines Mannes wurde bekannt, und zwar so allgemein, daß ihm die Jungen auf den Gassen nachliefen, und deshalb, und weil er kurzsichtig war, hat ihn meine Gebieterin verabschiedet; und von dem Kummer darüber, glaub ich ganz gewiß, ist ihm seine tödliche Krankheit gekommen.

Ich war nun Witwe, ohne Beschützer und mit einer Tochter auf dem Hals, die an Schönheit ständig zunahm wie der Schaum im Meer. Zuletzt, da ich im Ruf der vorzüglichsten Näherin stand, geruhte meine gnädige Frau, die Herzogin, die mit dem Herzog, meinem Herrn, erst kürzlich vermählt war, mich hierher in das Königreich Aragonien mitzunehmen, ja meine Tochter auch. Und wie die Tage kamen und gingen, wuchs meine Tochter heran und in ihr alle Reize der Welt; sie singt wie eine Lerche, tanzt, springt im Reigen wie der Gedanke so flüchtig und tanzt jeden Kunstreigen wie besessen; sie liest und schreibt wie ein Schulmeister und rechnet wie ein Geizhals; wie sie sich sauberhält, davon will ich gar nichts sagen, das fließende Wasser ist nicht sauberer; sie muß jetzt, wenn ich mich recht entsinne, sechzehn Jahre, fünf Monate und drei Tage alt sein, einen vielleicht mehr oder weniger. Kurz, in diese meine Tochter hat sich der Sohn eines sehr reichen Bauern verliebt; er wohnt in einem Dorf, nicht weit von hier, das dem Herzog, meinem Herrn, gehört. Zuletzt, ich weiß nicht wann noch wie, sind sie zusammengekommen, und mit einem Eheversprechen hat er dann meine Tochter betrogen und will ihr das Versprechen nicht halten. Und wiewohl der Herzog, mein Herr, es weiß, denn ich habe mich bei ihm nicht einmal, sondern oftmals beschwert und ihn gebeten, dem Bauern zu befehlen, daß er meine Tochter heiratet, so hat er für mich Ohren wie ein Handelsmann, dem man von seinen Schulden spricht; er hört mich kaum an, und der Grund ist, weil der Vater des Verführers so reich ist und ihm Geld leiht und ihm jeden Augenblick als Bürge einsteht für seine leichtsinnigen Schulden, so will er ihn nicht verärgern und ihm keine Unannehmlichkeiten bereiten.

Ich wünschte also, verehrter Herr, Ihr möchtet es auf Euch nehmen, diese Ungebühr abzustellen, sei es mittels Bitten, sei es mittels der Waffen, da, wie die ganze Welt sagt, Euer Gnaden zur Welt gekommen, um Ungebührlichkeiten abzustellen, Unrecht wieder zurechtbringen und die im Elend liegen zu schirmen. Stelle sich Euer Gnaden die Verwaistheit meiner Tochter vor, ihr reizendes Wesen, ihre Jugend und all ihre guten Eigenschaften, wie ich gesagt; ja bei Gott und meiner armen Seele, von allen Fräulein, die meine gnädige Frau hat, ist keine einzige, die ihr nur bis an die Schuhsohlen reicht. Da ist eine namens Altisidora, die sie für die aufgeweckteste und allerliebste halten, aber meiner Tochter kann sie sich nicht auf zwei Meilen nähern, denn Ihr müßt wissen, verehrter Herr, es ist nicht alles Gold, was gleißt, und diese Altisidora hat mehr Selbstüberhebung als Schönheit und ist mehr dreist als sittsam. Außerdem ist sie auch nicht recht gesund und hat so einen widerlichen Atem; daß man es keinen Augenblick bei ihr aushalten kann. Ja, auch meine gnädige Frau, die Herzogin … Aber ich will schweigen, denn, wie man zu sagen pflegt, die Wände haben Ohren.«

»Woran denn hapert es bei der Frau Herzogin? Bei meinem Leben beschwör ich Euch, Señora Doña Rodríguez?!« fragte Don Quijote.

»Nach solcher Beschwörung«, antwortete die Kammerfrau, »kann ich nicht umhin, auf die mir gestellte Frage nach voller Wahrheit zu antworten. Seht Ihr, Señor Don Quijote, die Schönheit meiner gnädigen Frau Herzogin? Den zarten Schmelz ihres Gesichts, der geradeso aussieht wie der Glanz eines geschliffenen polierten Schwertes? Die beiden Wangen von Milch und Blut, deren eine strahlt wie die Sonne und die andre wie der Mond? Und den lieblichen Anstand, mit dem sie über den Boden schreitet, ja ihn zu betreten verschmäht, so daß es aussieht, als gieße sie Gesundheit aus auf jede Stelle, über die sie hinwandelt? Nun, so hört denn, daß sie es zunächst zwar Gott zu danken hat, sodann aber zwei Fontänen, die sie an beiden Beinen hat und aus denen all die bösen Säfte abfließen, deren sie voll ist, wie die Ärzte sagen.«

»Heilige Maria!« sprach Don Quijote; »ist es möglich, daß die gnädige Frau Herzogin solche Abflußkanäle hat? Ich hätte es niemals geglaubt, selbst wenn es mir die Barfüßermönche gesagt hätten; allein wenn Señora Doña Rodríguez es sagt, so muß es wahr sein. Jedoch müssen solche Fontänen an solcher Stelle nicht böse Säfte, sondern flüssiges Ambra ausgießen. Wahrlich, jetzt erst bin ich völlig, überzeugt, daß der Besitz solcher Quellflüsse von hoher Wichtigkeit für die Gesundheit ist.«

Kaum hatte Don Quijote seinen Satz zu Ende gesprochen, als die Türen des Gemaches mit einem kräftigen Ruck aufgerissen wurden; vor plötzlichem Schreck fiel der Doña Rodríguez die Kerze aus der Hand, und es wurde so finster im Zimmer wie in einem Wolfsrachen, wie man zu sagen pflegt. Gleich darauf fühlte die arme Kammerfrau, wie jemand sie mit beiden Händen so fest an der Kehle packte, daß sie nicht einmal keuchen konnte, und wie eine andre Person mit größter Geschwindigkeit, ohne ein Wort zu reden, ihr den Rock aufhob und mit einem Ding, das ein Pantoffel schien, ihr alsbald so viel Hiebe aufzählte, daß es zum Erbarmen war. Und wiewohl Don Quijote dies Erbarmen wirklich mit ihr fühlte, rührte er sich nicht aus seinem Bette und blieb ruhig und still, ja sogar voller Furcht, es werde ein voll gerüttelt und geschüttelt Maß Prügel nun auch ihm zugute kommen.

Und seine Furcht war nicht vergebens; denn sobald die schweigsamen Peiniger die Kammerfrau, die nicht einmal zu jammern wagte, genugsam zerbleut hatten, machten sie sich an Don Quijote, wickelten ihn aus dem Bettlaken und der Decke heraus und kneipten ihn so unablässig und so stark, daß er nicht anders konnte, er mußte sich mit Faustschlägen verteidigen, und all dies in wunderbarem Schweigen. Der Kampf dauerte etwa eine halbe Stunde; die Spukgestalten entfernten sich; Doña Rodríguez nahm ihre Röcke zusammen und ging, ihr Mißgeschick beseufzend, zur Tür hinaus, ohne ein Wort zu Don Quijote zu sagen. Dieser aber, schmerzensreich und wohlgekneipt, in Unklarheit über alles und in tiefem Nachdenken, blieb allein zurück; und da wollen wir ihn lassen mit seinem sehnlichen Verlangen, zu erfahren, wer der verruchte Zauberer gewesen, der ihn so zugerichtet.

Aber dies wird sich seinerzeit schon finden; Sancho Pansa ruft uns, wie es der Zusammenhang der Geschichte verlangt.

49. Kapitel


Von dem, was unserm Sancho Pansa begegnete, da er auf seiner Insul die Runde machte

Wir verließen den großen Statthalter ärgerlich und aufgebracht über den verschmitzten Bauern, der so schön zu konterfeien wußte. Er war von dem Haushofmeister angeleitet, wie dieser von dem Herzog, um Sancho zum besten zu haben; aber dieser, obschon einfältig, plump und derb, war Manns genug gegen all und jeden. Er sprach zu den Umstehenden – auch zum Doktor Peter Stark, der, nachdem man mit dem Geheimnis im Brief des Herzogs fertiggeworden, wieder in den Saal gekommen war: »Jetzt sehe ich es in der Tat ein, daß Richter und Statthalter von Erz sein oder werden müssen, um nicht die Zudringlichkeit der Leute zu empfinden, die ein Anliegen haben und verlangen, daß man sie zu jeder Stunde und zu jeder Zeit anhören und abfertigen und sich bloß mit ihrem Anliegen beschäftigen soll, mag dazwischenkommen, was mag; und wenn der arme Kerl von Richter sie nicht anhört und abfertigt, entweder weil er nicht kann oder weil er gerade keine Sprechstunde hat, gleich verwünschen sie ihn und murren über ihn und zerreißen ihn bis auf die Knochen, ja sie hecheln sogar seine Familie durch. Du dummer Mensch mit deinem Anliegen! Hab doch nicht solche Eile, warte Zeit und Gelegenheit ab, um deine Sache zu betreiben! Komm doch nicht zur Essenszeit und nicht zur Schlafenszeit; die Richter sind auch von Fleisch und Blut und müssen der Natur den Zoll entrichten, den sie von ihnen nach dem Naturgesetz verlangt; ausgenommen ich, der ich meiner Natur nichts zu essen gebe, dank dem Herrn Doktor Peter Stark aus Machdichfort, der da vor mir steht und der mich Hungers sterben lassen will und behauptet, solch ein Sterben sei Leben. So gebe ihm Gott ein solches Leben, ihm und allen denen von seiner Sippschaft! Ich meine die Sippschaft der schlechten Ärzte, denn die guten verdienen Palmen und Lorbeer.«

Alle, die Sancho Pansa kannten, waren voll Verwunderung, ihn so gebildet reden zu hören, und wußten nicht, welchem Umstande dies zuzuschreiben, wenn nicht dem, daß wichtige Ämter und Dienstpflichten den Verstand schärfen, falls sie ihn nicht gänzlich lähmen. Zuletzt versprach der Doktor Peter Stark von Deutungen aus Machdichfort, ihm diesen Abend ein Nachtessen zu verabreichen, obwohl er damit alle Lehrsätze des Hippokrates übertrete.

Hiermit gab sich der Statthalter zufrieden und wartete mit großer Sehnsucht auf den Anbruch der Nacht und die Stunde des Abendessens; und obschon es ihm vorkam, als stünde die Zeit still und bewegte sich nicht von der Stelle, so kam doch endlich die ersehnte Stunde; er bekam gehacktes Rindfleisch mit Zwiebeln und ein paar gedämpfte Kalbsfüße, die schon etwas bei Jahren waren. Er machte sich über all dieses mit größerem Genusse her, als wenn man ihm Mailänder Haselhühner, römische Fasanen, Kalbfleisch von Sorrent, Rebhühner von Moron oder Gänse von Lavajos vorgesetzt hätte; und während des Essens wandte er sich an den Doktor und sagte zu ihm: »Merkt Euch, Herr Doktor, gebt Euch künftig keine Mühe, mir kostbare Sachen und ausgesuchte Gerichte zum Essen bringen zu lassen, denn damit würdet Ihr meinen Magen aus seinem Geleise bringen, da er an Ziegen- oder Rindfleisch, an Speck und Dörrfleisch, an Rüben und Zwiebeln gewöhnt ist, und vielleicht, wenn man ihm herrschaftliche Gerichte bietet, nimmt er sie mit Widerwillen zu sich, ja zuweilen mit Ekel. Was der Truchseß tun kann, ist, daß er mir öfter eine Olla podrida vorsetzt, wo alles wie Kraut und Rüben untereinander ist, und je ärger das Untereinander, desto besser schmeckt es, und er kann alles, was er will, wenn es nur was zu essen ist, hineintun und daruntermengen, und ich werd es ihm schon einmal danken und vergelten. Auch soll keiner sich unterstehen, mich zum Narren zu halten, denn entweder wir sind da oder wir sind nicht da. So wollen wir denn alle in Frieden und Freundschaft miteinander leben, denn wenn Gott die Sonne aufgehen läßt, so geht sie für jedermann auf. Ich will in dieser Insul als Statthalter regieren und lasse das Recht nicht brechen und mich nicht bestechen; und jedermänniglich soll die Augen auftun und Achtung geben, daß ihn keiner zum Hanswurst macht, denn ich sag ihm, bei mir sind alle Teufel los, und wenn man mich reizt, so soll man sein blaues Wunder erleben. Ja freilich, macht euch nur zu Honig, so fressen euch die Fliegen!«

»Gewiß, Herr Statthalter«, sagte der Truchseß, »Euer Gnaden hat vollkommen recht mit allem, was Ihr sagt; und im Namen aller Insulaner auf dieser Insul, die Euch aufs pünktlichste zu dienen stets bereit sind, biete ich Euch Liebe und Freundschaft dar; denn Eure milde Regierungsweise in diesen Anfängen Eurer Statthalterschaft läßt ihnen keine Möglichkeit, irgend etwas zu tun oder zu wollen, das gegen Euer Gnaden Bestes wäre.«

»Das glaub ich wohl«, entgegnete Sancho, »und sie wären Narren, wenn sie was anderes täten oder wollten; und ich wiederhole, man soll auf meinen Unterhalt wohl bedacht sein wie auch auf den meines Grauen, was bei diesem ganzen Handel das Wichtigste ist und worauf es am allermeisten ankommt. Sobald es aber Zeit ist, wollen wir die Runde machen; es ist meine Absicht, diese Insul von allem Unrat und von landstreicherischem, faulem und sittenlosem Gesindel zu säubern; denn ihr müßt wissen, Freunde, das unnütze träge Volk ist im Gemeinwesen ganz das nämliche wie die Drohnen im Bienenstock, die den Honig verzehren, den die Arbeitsbienen bereiten. Ich gedenke den Bauern aufzuhelfen, den Edelleuten ihre Vorrechte zu wahren, die Tugendhaften zu belohnen und vor allem die Religion und die Würde der Geistlichen in Ehren zu halten. Was meint ihr dazu, Freunde? Habe ich recht, oder habe ich Stroh im Hirn?«

»Euer Gnaden hat so sehr recht, Herr Statthalter«, antwortete der Haushofmeister, »daß ich erstaunt bin, wie ein Mann so ganz ohne Schulbildung wie Ihr – denn soviel ich glaube, habt Ihr gar keine – solches und so vieles sagen kann, was voller Kernsprüche und Belehrung ist, während dies doch so fernab liegt von allem, was diejenigen von Euer Gnaden Geistesgaben erwartet haben, welche uns hierhergesendet, und ebenso wir, die wir hierhergekommen sind. Jeden Tag erlebt man Neues auf der Welt; Spott und Scherz wird zu Ernst, und die Spötter werden am Ende selbst zum Spott.«

Es kam die Nacht, und der Statthalter hatte sich gesättigt, mit Erlaubnis des Herrn Doktor Stark. Man versah sich nun mit allem Erforderlichen zur Runde; Sancho verließ seine Wohnung mit dem Haushofmeister, dem Geheimschreiber und dem Truchseß, mit dem Chronisten, dem es oblag, Sanchos Taten zum steten Gedächtnis aufzuzeichnen, und mit so viel Häschern und Gerichtsschreibern, daß sie schon einen hübschen Trupp ausmachen konnten. Sancho ging in der Mitte mit seinem Richterstab; man konnte nichts Stattlicheres sehen. Nachdem sie einige Straßen durchzogen hatten, hörten sie Schwertergeklirr; sie eilten hinzu und fanden zwei Männer, die miteinander fochten. Als diese aber die Gerichtsbeamten kommen sahen, hielten sie inne, und einer von ihnen rief: »Hierher, in Gottes und des Königs Namen! Was, soll man es ertragen, daß mitten unter Menschen in dieser Stadt Raub getrieben wird und daß man mitten auf der Straße wie Wegelagerer die Leute anfällt?«

»Beruhigt Euch, braver Mann«, sprach Sancho, »und erzählt mir, warum Ihr Euch schlagt; ich bin der Statthalter.«

Der andre der zwei Streitenden sprach: »Herr Statthalter, ich will es Euch in kurzen Worten sagen. Euer Gnaden soll erfahren, daß dieser Biedermann soeben in dem Spielhause dort drüben über tausend Realen gewonnen hat, Gott weiß wie; ich war dabei und habe mehr als einen zweifelhaften Wurf mit meinem Schiedsspruch zu seinen Gunsten entschieden, gegen das Gebot meines eigenen Gewissens. Er stand mit seinem Gewinn auf, und während ich erwartete, er würde mir wenigstens so ein paar Tälerchen Gewinstanteil verehren, wie das Sitte und Brauch ist gegenüber angesehenen Leuten wie mir, die wir für alle Fälle, für gute wie böse, dem Spiele beiwohnen, um ungerechte Ansprüche zu unterstützen und Streitigkeiten zu verhüten, sackte er sein Geld ein und entfernte sich aus dem Hause. Aufgebracht lief ich ihm nach und bat ihn mit freundlichen und höflichen Worten, mir wenigstens acht Realen zu geben, da er weiß, daß ich ein Ehrenmann bin und zum Leben weder ein Gewerbe noch ein Vermögen habe, denn jenes haben meine Eltern mich nicht gelehrt und dieses mir nicht hinterlassen; und der Spitzbube, der als Dieb nicht hinter Kakus zurücksteht und als Falschspieler nicht hinter Andradilla, wollte mir nicht mehr als vier Realen geben, woraus Ihr, Herr Statthalter, ersehen könnt, wie der Mensch keine Scham und kein Gewissen hat. Aber wahrlich, wäre Euer Gnaden nicht dazugekommen, so hätte er mir seinen Gewinn schon wieder herauswürgen und lernen sollen, wieviel Gewicht nötig ist, damit das Zünglein der Waage einspielt.«

»Was sagt Ihr dazu?« fragte Sancho.

Der andre antwortete, es sei alles wahr, was sein Gegner gesagt habe, und er habe ihm nur vier Realen geben wollen, weil er ihm häufig soviel verabreiche; und die Leute, die auf einen Gewinnanteil ausgehen, müssen höflich sein und mit vergnügtem Gesicht annehmen, was man ihnen gibt, wenn sie nicht etwa bestimmt wissen, daß es Falschspieler sind, die ihren Gewinn auf unrechte Weise gemacht haben. Er aber sei ein ehrlicher Mann und keineswegs ein Dieb, wie jener sage, und dafür gebe es keinen besseren Beweis, als daß er ihm nichts habe geben wollen, während die Falschspieler immer den gewohnheitsmäßigen Zusehern, die sie kennen, zinspflichtig sind.

»Das ist richtig«, sagte der Haushofmeister; »wollet nun erwägen, Herr Statthalter, was mit diesen Leuten geschehen soll.«

»Was geschehen soll«, antwortete Sancho, »ist dies: Ihr, der Ihr gewonnen habt, ob auf rechtliche oder unrechtliche oder einerlei was für Weise, gebt auf der Stelle dem Angreifer hundert Realen von Eurem Geld, und außerdem habt Ihr für die armen Leute im Gefängnis dreißig Realen herauszurücken; Ihr aber, der Ihr ohne Gewerbe und Vermögen seid und als Faulenzer auf dieser Insul herumlungert, nehmt auf der Stelle die hundert Realen, und morgen habt Ihr den ganzen Tag Zeit, um von der Insul zu verschwinden, und seid auf zehn Jahre verbannt, bei Strafe, daß Ihr, wenn Ihr das Gebot brecht, die zehn Jahre in der andern Welt abmachen sollt, denn ich will Euch an einen hohen Galgen hängen, oder vielmehr der Henker soll es auf meinen Befehl tun. Und keiner soll mir was dagegensagen, sonst laß ich ihn meine Hand fühlen.«

Der eine zahlte, der andre sackte ein; dieser verließ die Insul, jener begab sich nach Hause, und der Statthalter blieb noch stehen und sagte: »Jetzt denke ich, entweder hab ich dazu nicht Macht genug, oder ich schaffe diese Spielhäuser ab, denn wie ich sehe, sind sie höchst verderblich.«

»Dies Spielhaus jedoch«, sprach ein Amtsschreiber, »wird Euer Gnaden nicht aufheben können, denn es wird von einem vornehmen Herrn gehalten, und er verliert ohne allen Vergleich jährlich mehr, als er aus den Karten an Einnahme zieht. Gegen andre Spielbuden geringerer Art kann Euer Gnaden Dero Macht zeigen, die schaden auch am meisten und bergen am meisten Unfug; in den Häusern ansehnlicher Edelleute und großer Herren wagen die Falschspieler nicht, von ihren Kniffen Gebrauch zu machen. Und da das Laster des Spiels zur allgemeinen Gewohnheit geworden, so ist es besser, wenn in einem vornehmen Hause gespielt wird als in dem irgendeines Handwerksmannes, wo sie einen Pechvogel nach Mitternacht und noch später einfangen und bei lebendigem Leibe schinden.«

»Allerdings, Gerichtsschreiber«, entgegnete Sancho, »ich weiß, darüber läßt sich viel sagen.«

Indem kam ein Nachtwächter herzu, der einen jungen Menschen gefangen führte, und sagte: »Herr Statthalter, dieser Bursche kam gerade auf uns zu, als er aber die Obrigkeit gewahrte, nahm er Reißaus und lief davon wie ein Wiesel, woraus zu ersehen, daß es ein Übeltäter sein muß. Ich war eilig hinter ihm her, wäre er aber nicht gestolpert und gefallen, so hätte ich ihn nie eingeholt.«

»Warum bist du weggelaufen, Mensch?« fragte Sancho.

Der junge Mann antwortete: »Señor, um den vielen Fragen zu entgehen, welche die Herren vom Gericht immer stellen.«

»Was hast du für ein Handwerk?«

»Weber.«

»Und was webst du?«

»Lanzenspitzen, mit Euer Gnaden Verlaub.«

»Du willst den Hanswurst spielen, willst den Possenreißer machen? Gut; aber wo wolltest du jetzt eben hin?«

»Ich wollte frische Luft schöpfen, Señor.«

»Und wo schöpft man frische Luft auf dieser Insul?«

»Wo sie weht.«

»Schön, Eure Antworten sind sehr treffend; Ihr habt Kopf, junger Mann; aber jetzt nehmt einmal an, ich sei die frische Luft und wehe Euch im Rücken an und treibe Euch voran bis ins Gefängnis. Greift ihn, holla, und führt ihn hin! Dort will ich ihn diese Nacht ohne frische Luft schlafen lassen.«

»Bei Gott«, sprach der junge Mann, »Ihr könnt es geradesowenig fertigbringen, mich im Gefängnis schlafen zu lassen, wie mich zum König zu machen.«

»Warum denn sollte ich es nicht fertigbringen, dich im Gefängnis schlafen zu lassen?« entgegnete Sancho. »Habe ich nicht die Macht, dich gefangenzunehmen und wieder loszulassen, wann und wie oft ich es will?«

»Mag Euer Gnaden auch noch soviel Macht haben«, sagte der junge Mann, »so werdet Ihr es doch niemals fertigbringen, mich im Gefängnis schlafen zu lassen.«

»Warum nicht?« versetzte Sancho; »führt ihn sogleich hin, er soll dort mit seinen eigenen Augen sehen, daß er sich geirrt hat, wenn auch der Gefängnisaufseher noch so gern seine übliche eigennützige Nachsicht gegen ihn zeigen möchte; dem setze ich eine Strafe von zweitausend Talern an, wenn er dir erlaubt, einen Schritt aus dem Gefängnis zu tun.«

»Alles das ist ja zum Lachen«, entgegnete der junge Mann, »die Sache ist die, daß alle Menschen insgesamt, soviel ihrer heute auf Erden leben, es nicht fertigbringen können, mich im Gefängnis schlafen zu lassen.«

»Sag mir, Teufelskerl«, sprach Sancho, »hast du einen Engel, der dich herausholt und dir die Handschellen abnimmt, die ich dir will anlegen lassen?«

»Nun, Herr Statthalter«, antwortete der junge Mann voll liebenswürdigster Laune, »wir wollen uns jetzt einmal verständigen und zu dem Punkte kommen, auf den es ankommt. Nehme Euer Gnaden einmal an, Ihr befehlt, mich ins Gefängnis zu setzen, und da legt man mir Handschellen und Ketten an und wirft mich in ein tiefes Loch, und dem Gefängnisaufseher werden schwere Strafen angesetzt, wenn er mich herausläßt, und er tut alles genau, wie ihm befohlen: trotz alledem, wenn ich nicht schlafen will und will die ganze Nacht wachbleiben, ohne ein Auge zuzutun, wird Euer Gnaden mit all Eurer Macht es fertigbringen, daß ich schlafe, wenn ich nicht will?«

»Gewiß nicht«, sagte der Geheimschreiber, »und der Mann hat seine Behauptung erwiesen.«

»Hiernach«, fiel Sancho ein, »würdest du dich aus keinem andern Grund Schlafens enthalten, als weil du einmal den Willen dazu hast, und nicht, weil du meinem Willen entgegenzuhandeln beabsichtigst?«

»Nein, Señor«, antwortete der Jüngling, »daran denke ich nicht im entferntesten.«

»So geht denn mit Gott«, sprach Sancho; »geht nach Hause und schlaft dorten, und Gott verleihe Euch einen gesunden Schlummer, ich will ihn Euch nicht rauben. Aber ich rate Euch, künftighin treibt keinen Spaß mehr mit dem Gericht; Ihr könntet einmal auf ein Gericht stoßen, das Euch den Spaß auf Euren Hirnschädel fallen ließe.«

Der Jüngling entfernte sich, und der Statthalter setzte seine Runde fort. Gleich darauf kamen zwei Häscher, die einen Mann herbeiführten und sagten: »Herr Statthalter, dies hier scheint ein Mann, ist es aber nicht, sondern ein Weib, und zwar kein häßliches, das sich als Mann verkleidet hat.«

Sie hielten ihr zwei oder drei Laternen unter die Augen, bei deren Schein man das Antlitz eines Mädchens erblickte, das sechzehn Jahre oder wenig mehr zählen mochte, die Haare in ein Netz von Gold und grüner Seide zurückgebunden, schön wie die Maienblumen. Man betrachtete sie von oben bis unten und sah, daß sie Strümpfe von rosa Seide trug mit Kniebändern von weißem Taft und Fransen von Gold mit kleinen Perlchen; die Pluderhosen waren von golddurchwirktem grünem Stoff, der Überwurf von demselben Zeug war offen, und darunter trug sie ein Wams vom feinsten Zeug, weiß mit Gold; als Fußbekleidung trug sie weiße Männerschuhe. Sie hatte kein Schwert umgegürtet, sondern einen reichverzierten Dolch, und an den Fingern trug sie viele und wertvolle Ringe.

Kurz, das Mädchen gefiel allen wohl, und es kannte sie keiner von allen, die sie sahen; auch die Leute aus dem Ort erklärten, sie hätten keine Ahnung, wer es sein könne. Die Mitwisser bei den Possenstreichen, die man mit Sancho vorhatte, fanden sich gerade am meisten überrascht, denn dieser Vorfall und die Festnahme dieses Mädchens war kein von ihnen angelegter Plan, und so standen sie in Ungewißheit da und in zweifelnder Erwartung, worauf die Sache hinauslaufen würde. Sancho war ganz außer sich ob der Schönheit des Mädchens und fragte sie, wer sie sei, wohin sie wolle und welcher Grund sie bewogen habe, diese Tracht anzulegen.

Mit niedergeschlagenen Augen und voll züchtiger Verschämtheit antwortete sie: »Señor, ich kann das nicht so öffentlich sagen, was mir so wichtig wäre geheimzuhalten. Eines jedoch wünsche ich Euch von vornherein zu bemerken, nämlich daß ich weder ein Dieb noch ein Missetäter bin, sondern ein unglückliches Mädchen, das sich von der Macht der Eifersucht gezwungen gesehen, die Schicklichkeit zu verletzen, welche die Sittsamkeit uns sonst auferlegt.«

Als der Haushofmeister dies hörte, sagte er: »Herr Statthalter, lasset die Leute beiseite treten, damit diese Dame sich nicht so in Verlegenheit finde, Euch mitzuteilen, was sie auf dem Herzen hat.«

Der Statthalter erteilte den Befehl dazu; alle traten beiseite außer dem Haushofmeister, dem Truchseß und dem Geheimschreiber. Als sie sich nun allein sahen, fuhr das Mädchen folgendermaßen fort: »Ich, meine Herren, bin die Tochter von Pedro Perez Mazorca, dem Schafwollpächter hier, der häufig in meines Vaters Haus zu kommen pflegt.«

»Das kann nicht richtig sein, Senorita«, sagte der Haushofmeister; »ich kenne den Pedro Perez sehr gut und weiß, daß er kein Kind hat, weder Sohn noch Tochter. Zudem sagt Ihr, er sei Euer Vater, und setzt gleich hinzu, daß er häufig in Eures Vaters Haus zu kommen pflegt.«

»Das ist mir auch aufgefallen«, sprach Sancho.

»Jetzt, meine Herren«, erwiderte das Mädchen, »bin ich so verwirrt, daß ich nicht weiß, was ich sage; aber die Wahrheit ist, daß ich die Tochter des Diego de la Llana bin, den Euer Gnaden wohl alle kennen.«

»Das allerdings kann richtig sein«, entgegnete der Haushofmeister. »Ich kenne den Diego de la Llana und weiß, daß er ein vornehmer und reicher Junker ist und einen Sohn und eine Tochter hat und daß keiner in der ganzen Stadt, seit er Witwer geworden, sagen kann, er habe jemals seine Tochter von Angesicht gesehen; er hält sie so abgeschlossen, daß er nicht einmal der Sonne ihren Anblick verstattet; aber trotz alledem rühmt das Gerücht sie als eine außerordentliche Schönheit.«

»Es ist wahr«, antwortete das Mädchen, »und diese Tochter bin ich, und ob in betreff meiner Schönheit der Ruf lügt oder nicht, darüber werdet Ihr jetzt bereits enttäuscht sein, da Ihr mich gesehen habt.«

Hier begann sie bitterlich zu weinen. Als der Geheimschreiber dies sah, trat er näher zu dem Truchseß heran und sagte ihm ganz leise ins Ohr: »Ohne Zweifel muß dem armen Mädchen etwas Besonderes zugestoßen sein, da sie in solchem Aufzug und zu solcher Stunde aus dem Hause läuft, wo sie aus so guter Familie ist.«

»Daran ist nicht zu zweifeln«, versetzte der Truchseß, »besonders da ihre Tränen Eure Vermutung bestärken.«

Sancho sprach ihr Trost zu mit den bestmöglichen Worten, die er finden konnte, und bat sie, ihnen ohne alle Scheu zu sagen, was ihr zugestoßen sei; sie alle würden bestrebt sein, ihr aufrichtig und auf jede mögliche Weise zu helfen.

»Die Sache ist die, meine Herren«, antwortete sie, »daß mein Vater mich seit zehn Jahren von aller Welt abgeschlossen hält, also seit meine Mutter im Grab liegt. Zu Hause wird in einem reichgeschmückten Betsaal Messe gelesen; und während dieser ganzen Zeit habe ich bei Tag nur die Sonne und bei Nacht nur den Mond und die Sterne gesehen. Ich weiß nicht, was Straßen, Plätze und Kirchen sind, nicht einmal, was Männer sind, ausgenommen meinen Vater und meinen Bruder und Pedro Perez den Pächter; und weil dieser so häufig in unser Haus kommt, kam ich auf den Gedanken, ihn für meinen Vater auszugeben, um den wirklichen nicht nennen zu müssen. Diese Einkerkerung, dieses Verbot jedes Gangs aus dem Hause und selbst zur Kirche macht mich seit vielen Tagen und Monden ganz untröstlich; ich wollte die Welt sehen oder wenigstens die Stadt, wo ich geboren bin, und es bedünkte mich, daß dieses Verlangen nicht gegen die gute Sitte und Schicklichkeit sei, die zu wahren ein Fräulein von Stande sich selbst schuldig ist. Als ich von Stiergefechten, Ringelrennen und Komödien hörte, bat ich meinen Bruder, der ein Jahr jünger ist als ich, mir zu sagen, was das für Dinge seien und ebenso noch vieles andere, was ich noch nie gesehen hatte; er setzte mir es auseinander, so gut er konnte, aber dies alles fachte nur meine Begierde, es selber zu sehen, noch heftiger an. Zuletzt, um die Erzählung von meinem Verderben abzukürzen, zuletzt, bekenne ich, verlangte und erbat ich von meinem Bruder … O hätte ich nie so etwas verlangt, nie so etwas erbeten!«

Hier begann sie aufs neue zu weinen. Der Haushofmeister sagte zu ihr: »Fahrt fort, Señorita, und erzählt uns alles zu Ende, was Euch begegnet ist; nach Euren Worten und Euren Tränen sind wir alle in gespannter Erwartung.«

»Wenige Worte habe ich noch zu sagen«, antwortete das Fräulein, »aber viele Tränen zu weinen, denn wenn Wünsche auf ein schlechtes Ziel gerichtet sind, so können sie nur arge Enttäuschungen wie diese nach sich ziehen.«

Die Schönheit des Mädchens war dem Truchseß tief ins Herz gedrungen; er hielt noch einmal seine Laterne näher hin, und es deuchte ihn, es seien nicht Tränen, die sie weinte, sondern Perlenstaub oder Tau von den Wiesen – ja, er hielt diese Tränen für noch Höheres und stellte sie Perlen aus dem Morgenlande gleich und wünschte beständig, ihr Unglück möchte doch nicht so groß sein, als ihre Tränen und Seufzer es anzudeuten schienen. Der Statthalter verzweifelte schier darüber, wie das Mädchen seine Erzählung immer weiter hinauszog, und sagte ihr, sie möchte endlich aufhören, sie noch länger in Spannung zu halten; es sei schon spät und noch ein großer Teil der Stadt übrig, wo er die Runde zu machen habe.

Stets von Schluchzen unterbrochen und unter halberstickten Seufzern sprach sie: »Mein Unglück ist kein andres, mein Mißgeschick ist kein andres, als daß ich meinen Bruder bat, er solle mich mit einem seiner Anzüge als Mann verkleiden und mich eines Nachts mit aus dem Hause nehmen, um den ganzen Ort zu sehen, während unser Vater schliefe. Von meinen Bitten gedrängt, gab er endlich meinen Wünschen nach; ich zog diese Kleidung an, er legte eine von mir an, die ihm paßt wie angegossen, denn er hat kein Härchen Bart und sieht aus wie ein wunderschönes Mädchen; und diese Nacht, es mag eine Stunde her sein, kaum mehr oder weniger, schlüpften wir aus dem Hause, und von unsrem kindlichen und unbesonnenen Vorhaben weitergeführt, sind wir durch die ganze Stadt gestreift. Als wir aber wieder nach Hause wollten, sahen wir einen großen Trupp Leute kommen, und mein Bruder sagte zu mir: ›Schwester, das wird die Runde sein; beschleunige deine Schritte und leg ihnen Flügel an und laufe eilig hinter mir her, damit man uns nicht erkenne, denn sonst ergeht es uns übel.‹

Mit diesen Worten wandte er den Rücken und fing an, ich sage nicht: zu laufen, sondern zu fliegen; ich, nach kaum sechs Schritten, falle vor Schreck zu Boden, und da kommt der Gerichtsdiener und bringt mich hierher vor euch Herren, wo ich vor so vielen Leuten in Schande stehe, als ob ich ein ungeratenes leichtfertiges Ding wäre.«

»Sonach, Señorita«, sprach Sancho, »hat Euch sonst keine Widerwärtigkeit betroffen und hat Euch auch keine Eifersucht, wie Ihr zu Anfang Eurer Erzählung gesagt, aus Eurem Hause hinausgetrieben?«

»Nichts hat mich betroffen, und nicht Eifersucht hat mich herausgetrieben, sondern nur das Verlangen, die Welt zu sehen, und auch nicht mehr als die Straßen dieser Stadt.«

Daß die Angaben des Mädchens auf Wahrheit beruhten, wurde vollends dadurch bestätigt, daß die Häscher nun auch mit ihrem inzwischen eingefangenen Bruder kamen, den einer von ihnen eingeholt, als er von seiner Schwester geflüchtet war. Er trug nur einen kostbaren Rock und einen Überwurf aus blauem Damast mit Tressen von feinstem Gold, den Kopf ohne Schleiertuch, mit nichts andrem geschmückt als mit seinen eigenen Haaren, die goldne Ringe schienen, so blond und gelockt waren sie. Der Statthalter, der Haushofmeister und der Truchseß gingen mit ihm beiseite und fragten ihn, ohne daß seine Schwester es hören konnte, warum er in dieser Tracht gehe, und er, mit nicht geringerer Scham und Verlegenheit als vorher sie, erzählte dasselbe wie seine Schwester, was dem verliebten Truchseß gar großes Vergnügen machte. Der Statthalter aber sagte zu ihnen: »Ganz gewiß, ihr jungen Leute, war dies alles eine große Kinderei, und um so einen törichten Streich zu erzählen, waren nicht so viele Weitläufigkeiten nötig und nicht so viele Tränen und Seufzer; denn hättet Ihr bloß gesagt, wir sind der und die und haben uns dieses Kunstgriffs bedient, um aus dem elterlichen Hause zu kommen und herumzuspazieren, bloß aus Neugier, ohne sonst einen Zweck, so wäre die Mär damit fertig gewesen ohne Seufzerei und Geflenn.«

»Das ist wahr«, entgegnete das Mädchen; »aber ihr müßt wissen, meine Herren, meine Verwirrung war so groß, daß sie mir gar nicht erlaubte, mich so zu benehmen, wie ich hätte sollen.«

»Das macht nichts«, versetzte Sancho; »wir wollen gehen und von euch beiden, sobald ihr im Hause eures Vaters seid, Abschied nehmen; vielleicht hat er euch noch nicht vermißt. Künftig aber benehmt euch nicht so kindisch und seid nicht so neugierig darauf, die Welt zu sehen; denn ein brav Mägdlein mag nicht hinaus, bricht lieber das Bein und bleibt zu Haus; und: Streichen sie draußen vor den Toren, ist ein Weib und ein Huhn gar bald verloren; und: Die es gelüstet zu sehen, die gelüstet’s auch, gesehen zu werden. Mehr sag ich nicht.«

Der Jüngling dankte dem Statthalter, daß er ihnen die Gnade erweisen wolle, sie wieder nach Hause zu bringen, und so nahmen sie ihren Weg dahin; es war nicht sehr weit. Als sie ankamen, warf der Bruder einen kleinen Kiesel gegen ein Fenstergitter, und alsbald kam eine Dienerin herunter, die auf sie gewartet hatte und ihnen die Tür öffnete; sie traten ein und ließen die ganze Gesellschaft in Verwunderung über ihre anmutige Art und ihre Schönheit wie über ihr Verlangen, die Welt zu sehen, und zwar bei Nacht und ohne aus der Stadt hinauszukommen. Indessen schrieben sie dies alles auf Rechnung ihres jugendlichen Alters.

Der Truchseß fühlte sich mitten ins Herz getroffen und nahm sich auf der Stelle vor, am nächsten Tage bei ihrem Vater um ihre Hand anzuhalten, da er es für sicher hielt, er würde sie ihm als einem Manne in des Herzogs Diensten nicht abschlagen. Ja auch in Sancho entstanden Wünsche und Pläne in unklaren Umrissen, den jungen Mann mit seiner Tochter Sanchica zu verheiraten, und er beschloß, dies seinerzeit zur Sprache zu bringen, da er nicht zweifelte, daß man einer Statthalterstochter keinen Gatten abschlagen könne.

Hiermit ging die Runde dieser Nacht zu Ende und ein paar Tage später auch die ganze Statthalterschaft, womit all seine Pläne über den Haufen geworfen und ausgelöscht wurden, wie man nachher ersehen wird.

45. Kapitel


Wie der große Sancho Pansa Besitz von seiner Insul ergriff und wie er zu statthaltern angefangen

O du, der du ständig die Gegenfüßler heimsuchst, Fackel der Welt, Auge des Himmels, du lieblicher Hin- und Herbeweger der Kühlgefäße! Thymbräer hier genannt, Phöbos dort, als Bogenschütze an jenem Ort verehrt, als Arzt an diesem! Vater der Poesie, Erfinder der Musik, du, der du immer aufgehst und, wenn es auch anders scheint, niemals untergehst! Dich rufe ich an, o Sonne, mit deren Beistand der Mensch den Menschen erzeugt, dich flehe ich an, mir hilfreich zu sein und das Dunkel meines Geistes zu erleuchten, damit ich die Erzählung von der Statthalterschaft des großen Sancho Pansa Punkt für Punkt vortragen kann; ohne dich fühle ich mich schwach, matt und voller Verwirrung.

Ich sage also, daß Sancho mit seiner ganzen Begleitung nach einem Orte von etwa tausend Bürgern kam, einem der ansehnlichsten, die der Herzog besaß. Man gab ihm an, es sei dies die Insul Baratária, entweder weil der Ort wirklich Baratária hieß oder weil er so wohlfeilen Kaufes, was in der Landessprache barato heißt, die Statthalterschaft bekommen hatte. Bei der Ankunft vor den Toren des Städtchens, das von Mauern umgeben war, kam ihm der Gemeinderat entgegen; die Glocken läuteten, die gesamte Einwohnerschaft erging sich in Freudenbezeigungen und führte ihn mit großem Pomp zur Hauptkirche, um Gott zu danken; und alsbald übergab man ihm unter wunderlichen Förmlichkeiten die Schlüssel der Stadt und erkannte ihn als immerwährenden Statthalter der Insel Baratária an. Der Anzug, der Bart, die dicke und kleine Gestalt des neuen Statthalters versetzte die Leute alle, die nicht wußten, wo die Sache ihren Knoten hatte, in große Verwunderung, ja auch alle, die es wußten, und deren waren viele.

Sodann führte man ihn aus der Kirche zum Richterstuhl, setzte ihn darauf, und der Haushofmeister des Herzogs sagte zu ihm: »Es ist alter Brauch auf dieser Insul, Herr Statthalter, daß der, so von dieser gepriesenen Insul Besitz ergreift, gehalten ist, eine Frage zu beantworten, die man ihm stellt und die einigermaßen verwickelt und schwierig sein muß; mittels selbiger Antwort fühlt die Stadt dem neuen Statthalter den Puls und kann sich mithin ob seines Hierherkommens freuen oder betrüben.«

Während dieser Worte des Haushofmeisters betrachtete Sancho eine Anzahl großer Buchstaben, die an die Wand gegenüber seinem Stuhl geschrieben waren, und da er nicht lesen konnte, fragte er, was die Malereien auf der Wand dort bedeuten sollten.

Man gab ihm zur Antwort: »Señor, dort steht der Tag geschrieben und verzeichnet, an welchem Euer Gnaden von dieser Insul Besitz ergriffen hat, und die Inschrift besagt: Heute, am soundsovielten in dem und dem Monat und dem und dem Jahr, hat Besitz von dieser Insul ergriffen der Señor Don Sancho Pansa, welcher sie lange Jahre beherrschen möge.«

»Und wen nennt man Don Sancho Pansa?« fragte Sancho.

»Euer Gnaden«, antwortete der Haushofmeister; »diese Insul hat kein andrer Pansa betreten als der, welcher auf diesem Stuhle sitzt.«

»So merkt Euch denn, Freund«, sprach Sancho, »daß ich kein Don führe und es in meiner ganzen Familie niemals einen Don gegeben hat; Sancho Pansa heiße ich kurzweg, und Sancho hieß mein Vater und Sancho mein Großvater, und sie alle waren Pansas ohne Hinzufügung von Dons oder Doñas, und mir scheint, auf dieser Insul gibt es mehr Dons als Kieselsteine. Aber genug damit, Gott versteht mich, und es kann geschehen, daß ich, wenn die Statthalterschaft nur vier Tage in meinen Händen bleibt, diese Dons ausjäte, die ob ihrer Menge so lästig fallen müssen wie die Stechfliegen. Der Herr Haushofmeister wolle nun mit seiner Frage kommen; ich will so gut antworten, wie ich nur immer kann, ob sich nun die Stadt darüber betrüben oder nicht betrüben wird.«

In diesem Augenblick traten zwei Männer in die Gerichtsstube, der eine in der Tracht eines Bauern, der andre in der eines Schneiders – er hatte nämlich eine große Schere in der Hand –; und der Schneider sprach: »Herr Statthalter, ich und dieser Bauersmann erscheinen deshalb vor Euer Gnaden, weil dieser wackre Mann gestern in meine Bude kam – ich bin nämlich, mit Verlaub der geehrten Gesellschaft, Gott sei Dank! ein gelernter und geprüfter Schneider – und mir ein Stück Tuch in die Hand gab und mich fragte: ›Señor, ist das wohl genug Tuch, um mir eine Mütze zu machen?‹ Ich überschlug, wieviel Tuch es wäre, und antwortete mit Ja. Er mußte nun wohl meinen, wie ich meine – und ich habe ganz richtig gemeint –, ich wolle ihm sicher ein Stück von dem Tuche stehlen, und darauf brachte ihn nur seine eigne Schlechtigkeit und der arge Ruf, in dem die Schneider stehen; so erwiderte er mir, ich möchte doch sehen, ob es nicht für zwei Mützen reiche. Ich erriet seine Gedanken und sagte ihm ja; er aber, der das Steckenpferd seines verwünschten ersten Argwohns ritt, legte eine Mütze nach der andern zu, und ich legte ein Ja nach dem andern zu, bis wir auf fünf Mützen kamen. Eben jetzt hat er sie abholen wollen, ich gebe sie ihm, und er will mir den Macherlohn nicht zahlen, verlangt vielmehr, ich soll ihm sein Tuch zahlen oder zurückgeben.«

»Verhält sich dies alles so, Freund?« fragte Sancho.

»Ja, Señor«, antwortete der Mann; »aber laßt Euch nur einmal die fünf Mützen zeigen, die er mir gemacht hat.«

»Sehr gern«, erwiderte der Schneider. Und sofort zog er die Hand unter dem Mantel hervor, wies an ihr die fünf Mützen, die auf den fünf Fingerspitzen saßen, und sagte: »Hier sind die fünf Mützen, die dieser wackere Mann bei mir bestellt hat, und bei Gott und meiner armen Seele, es ist mir nichts von dem Tuch übriggeblieben, und ich bin bereit, die Sache den Geschworenen des Handwerks zur Untersuchung vorzulegen.«

Alle Anwesenden lachten über die Menge der Mützen und über diesen neuartigen Rechtsstreit. Sancho überlegte sich die Sache eine kurze Weile und sprach dann: »Mich dünkt, in diesem Rechtsstreit braucht es keines langen Verzuges, sondern es kann ein sofortiger Spruch nach redlichem Gutbefinden erfolgen; und sonach ergeht mein Urteil dahin: der Schneider verliert seinen Macherlohn und der Bauer sein Tuch, und die Mützen sollen an die Sträflinge im Gefängnis abgegeben werden, und damit abgemacht.«

Wenn der Urteilsspruch, den er späterhin in betreff der Börse des Herdenbesitzers fällte, bei den Zuhörern Bewunderung erregte, so reizte dieser Spruch sie zum Lachen; aber zuletzt wurde des Statthalters Spruch doch vollzogen.

Jetzt erschienen vor ihm zwei alte Männer; der eine trug einen Rohrstock, und der ohne Stock sprach: »Señor, diesem wackern Mann habe ich vor manchen Tagen zehn Goldtaler geliehen, um ihm einen Gefallen und ein gutes Werk zu tun, unter der Bedingung, daß er sie mir wiedergebe, sobald ich sie von ihm verlangen würde. Nun sind viele Tage vergangen, ohne daß ich sie von ihm verlangte, weil ich ihn durch das Wiedergeben nicht in eine noch größere Not bringen wollte, als die er zu der Zeit erlitt, wo ich sie ihm lieh. Aber weil es mir vorkam, als denke er überhaupt nicht ans Zahlen, habe ich sie einmal und dann vielmals von ihm verlangt; aber er gibt sie mir nicht nur nicht wieder, sondern er leugnet sie mir ab und sagt, ich hätte ihm niemals zehn Goldtaler geliehen, und wenn ich sie ihm doch geliehen, so habe er sie mir bereits wiedergegeben. Zeugen habe ich keine, weder für das Darlehen noch für die Rückzahlung, weil er sie mir nicht wiedergegeben hat. Ich möchte nun, daß Euer Gnaden ihn unter Eid vernähme, und falls er schwören sollte, daß er mir sie wiedergegeben, so will ich, hier und vor Gottes Angesicht, sie ihm erlassen.«

»Was sagt Ihr dazu, Ihr braver Alter mit dem Stock?« sprach Sancho.

Darauf sagte der Alte: »Ich, Señor, bekenne, daß er sie mir geliehen hat; aber wollet nur Euern Richterstab senken, und da er es auf einen Eid stellt, so will ich schwören, daß ich sie ihm wahr und wirklich wiedergegeben und bezahlt habe.«

Der Statthalter senkte seinen Richterstab, und der Alte mit dem Stock gab diesen inzwischen dem andern, ihn während des Schwörens zu halten, als ob er ihm hinderlich wäre; dann legte er die Hand auf das Kreuz am Griff des Stabes und erklärte, es sei wahr, die geforderten zehn Goldtaler seien ihm geliehen worden, aber er habe sie dem andern mit eigner Hand in die seinige zurückgegeben, und weil jener nicht daran denke, fordere er sie immer aufs neue von ihm zurück.

Als der hohe Statthalter dies vernahm, fragte er den Gläubiger, was er auf die Behauptung seines Gegners zu antworten habe. Dieser erklärte, sein Schuldner werde jedenfalls die Wahrheit geredet haben, da er ihn für einen braven Mann und guten Christen halte; er müsse also vergessen haben, wie und wann jener das Geld ihm zurückerstattet habe, und er werde jetzt nie mehr etwas von ihm fordern. Der Schuldner nahm seinen Stock wieder, verbeugte sich und verließ die Gerichtsstube.

Als Sancho dies sah und bemerkte, wie der Beklagte ohne weiteres sich entfernte und der Kläger so geduldig und gelassen dastand, neigte er das Haupt auf die Brust, legte den Zeigefinger der rechten Hand an Augenbrauen und Nase, saß eine kurze Weile wie nachdenkend da, erhob dann den Kopf und gebot, man solle ihm den Alten mit dem Stock rufen, der sich schon entfernt hatte. Man brachte ihn herbei, und als Sancho ihn erblickte, sagte er zu ihm: »Guter Freund, gebt mir Euren Stock, ich brauche ihn.«

»Sehr gern«, antwortete der Alte; »hier ist er, Señor.« Und er gab ihn ihm in die Hand.

Sancho nahm den Stock, reichte ihn dem andern Alten und sagte zu diesem: »Geht mit Gott, Ihr seid nunmehr bezahlt.«

»Ich, Señor?« entgegnete der Alte; »ist denn dies Rohr zehn Goldtaler wert?«

»Allerdings«, sagte der Statthalter; »oder wenn nicht, so bin ich der größte Tölpel von der Welt. Jetzt soll’s zutage kommen, ob ich Grütze genug habe, ein ganzes Königreich zu regieren.«

Und sogleich befahl er, das Rohr vor aller Augen entzweizubrechen und aufzuspalten. Es geschah, und im Hohlraum des Stocks fand man zehn Taler in Gold. Alle staunten voll Bewunderung und hielten ihren Statthalter für einen neuen Salomo. Man fragte ihn, woraus er geschlossen habe, daß die zehn Goldtaler sich in dem Stocke befänden, und er antwortete: Weil er gesehen, wie der Alte seinem Gegner den Stock übergab, während er den Eid leistete und schwur, er habe die geliehenen Taler wahr und wirklich zurückgegeben, und nach der Eidesleistung den Stock von ihm zurückforderte, so sei es ihm deswegen in den Sinn gekommen, daß in dem Stock der geforderte Betrag sein müsse. Daraus könne man denn ersehen, daß Leute, die da regieren, auch wenn sie Dummköpfe sind, manchmal bei ihren Urteilssprüchen von Gott selbst geleitet werden. Außerdem habe er den Pfarrer seines Dorfs einen ähnlichen Fall wie diesen erzählen hören, und er habe ein so gutes Gedächtnis, daß, wenn er nicht gerade all das vergäße, was er behalten möchte, kein so gutes Gedächtnis auf der ganzen Insul zu finden sein würde.

Genug; die beiden Alten gingen von dannen, der eine beschämt, der andre bezahlt; die Anwesenden waren voll Verwunderung, und der Schreiber, der Sanchos Worte, Taten und ganzes Gebaren zu verzeichnen hatte, konnte nicht mit sich einig werden, ob er ihn unter die dummen oder gescheiten Köpfe rechnen und einschreiben sollte.

Don Quijote

Kaum war dieser Rechtsstreit zu Ende, so trat in die Gerichtsstube ein Weib, das einen Mann in der Tracht eines reichen Viehzüchters am Arme festhielt und laut schreiend rief: »Gerechtigkeit, Herr Statthalter, Gerechtigkeit! Und wenn ich sie auf Erden nicht finde, so will ich sie droben im Himmel suchen. Lieber Herr Herzens-Statthalter, dieser schlechte Mensch hat mich mitten im Felde dort gepackt und hat meinen Körper gebraucht, als wär es ein ungewaschener Lumpen, und, o ich Unglückliche, er hat mir geraubt, was ich seit mehr als dreiundzwanzig Jahren gehütet habe und hab es gegen Heiden und Christen, gegen Einheimische und Fremde verteidigt, und war immer hart wie eine Korkeiche und erhielt mich rein und unberührt wie der Salamander im Feuer oder wie die Wolle in den Dornen, damit jetzt der Kerl da kommt und mich mit seinen saubern Händen betastet!«

»Das ist erst noch festzustellen«, sagte Sancho, »ob der feine Junge saubere Hände hat oder nicht.«

Und sich zu dem Manne wendend, fragte er ihn, was er auf die Klage dieses Weibes zu antworten habe. Der aber entgegnete voller Bestürzung: »Meine Herren, ich bin ein unglücklicher Züchter von Borstenvieh, und heut morgen ging ich hier aus der Stadt, wo ich vier, mit Respekt zu vermelden, Schweine verkauft hatte, die mir für Viehzoll und Steuern kaum weniger Geld wegnahmen, als sie eingetragen hatten. Ich kehrte in mein Dorf zurück, traf unterwegs diese alte Schachtel, und der Teufel, der immer das Oberste zuunterst kehrt und bei allem die Hand im Spiel hat, der hat’s so gemacht, daß wir uns zusammen erlusteten; ich zahlte ihr, was sich gehört, sie aber war nicht zufrieden damit und packte mich und ließ mich nicht los, bis sie mich hierher vors Amt geschleppt hat. Sie sagt, ich hätte sie mit Gewalt geschwächt, und das lügt sie, bei dem Eid, den ich leiste oder zu leisten willens bin, und dies ist die ganze Wahrheit, ohne daß ein Deut daran fehlt.«

Nun fragte ihn der Statthalter, ob er etwas Silbergeld bei sich habe; er antwortete, er habe gegen zwanzig Taler in einem ledernen Beutel im Busen stecken. Sancho befahl ihm, den Beutel hervorzuholen und ihn, so wie er sei, der Klägerin zu übergeben. Er tat es mit Zittern; das Weib nahm ihn, machte allen ringsum tausend Bücklinge, bat Gott, den Herrn Statthalter bei Leben und Gesundheit zu erhalten, der so sehr für bedrängte jungfräuliche Waisen sorge, und ging hiermit zur Gerichtsstube hinaus; den Beutel hielt sie mit beiden Händen fest, doch nicht ohne erst nachzusehen, ob das Geld darin wirklich Silbermünze sei.

Kaum war sie draußen, da sagte Sancho zu dem Viehzüchter, dem schon die Tränen hervordrangen und Augen und Herz dem Beutel nachfolgten: »Guter Freund, geht dem Weibsstück nach und nehmt ihr den Beutel weg, wenn sie sich auch noch so sehr sträubt, und kommt mit ihm wieder hierher.«

Das hieß nicht tauben Ohren predigen, wie sich sogleich zeigte, denn der Mann eilte wie der Blitz hinaus und machte sich an die Ausführung des Befehls. Alle Anwesenden waren gespannt auf den Ausgang dieses Rechtsstreits, und kurz darauf kam der Mann mit dem Weibe zurück, beide fester aneinanderhängend und zusammengekettet als das erstemal; sie, mit aufgerafftem Rock, hielt den Beutel im Schoß, während der Mann sich aufs äußerste abmühte, ihn ihr zu entreißen. Aber dies gelang ihm nicht, so gut wußte sie den Beutel zu verteidigen, und heftig schreiend stieß sie die Worte aus: »Gerechtigkeit vor Gott und der Welt! Seht, Herr Statthalter, wie wenig der Bösewicht Scham und Furcht hat, denn mitten im Ort und mitten auf der Straße hat er mir den Beutel wegnehmen wollen, den Euer Gnaden mir zugesprochen hat!«

»Und hat er ihn Euch weggenommen?« fragte der Statthalter.

»Was heißt wegnehmen?« antwortete das Weib. »Eher ließ ich mir das Leben nehmen als den Beutel! Jawohl, so ein gutmütig Kind sollt ich sein! Da müßten mir ganz andre Katzen ins Gesicht springen als so ein jämmerlicher schmutziger Kerl! Da wären Zangen und Hämmer, Schlägel und Meißel nicht genug, um ihn mir aus den Krallen zu reißen, ja nicht einmal die Tatzen eines Löwen; eher meine Seele mitten aus dem Leibe heraus!«

»Sie hat recht«, sagte der Mann; »ich gebe mich überwunden; ich habe nicht Kraft genug und bekenne, daß die meinige nicht ausreicht, um ihr den Beutel zu nehmen.«

Und hiermit ließ er sie los.

Da sagte der Statthalter zu dem Weibe: »Zeigt einmal den Beutel her, züchtiges, tapferes Weib.«

Sie reichte ihm denselben sogleich, und der Statthalter gab ihn dem Manne zurück und sagte zu der so gewaltig Starken, aber keineswegs gewaltsam Geschwächten: »Werte Frau, wenn Ihr ebensoviel Mut und Tapferkeit, wie Ihr bei Verteidigung dieses Beutels bewiesen habt, ja auch nur die Hälfte davon bei Verteidigung Eures Körpers bewiesen hättet, so hätte alle Gewalt des Herkules Euch keine Gewalt antun können. Geht mit Gott oder zu allen Teufeln und kommt mir nicht mehr auf die Insul hierher noch auf sechs Meilen im Umkreis, bei Strafe von zweihundert Geißelhieben; packt Euch auf der Stelle, sag ich, Lügenmaul, unverschämte Person, Betrügerin.«

Das Weib schrak zusammen, ließ den Kopf hängen und entfernte sich höchst mißvergnügt; der Statthalter aber sagte zu dem Manne: »So, mein Lieber, geht in Gottes Namen nach Eurem Dorfe heim mit Eurem Gelde, und künftig, wenn Ihr es nicht einbüßen wollt, laßt Euch nicht wieder in den Sinn kommen, Euch mit jemandem zu erlusten.«

Der Mann dankte ihm so unbeholfen, als er nur konnte, und ging; und die Zuhörer standen abermals voll Bewunderung der Urteile und Sprüche ihres neuen Statthalters. Alles dies wurde von seinem Chronisten aufgezeichnet und dem Herzog schriftlich mitgeteilt, der mit großer Ungeduld darauf wartete. Hier verlassen wir nun den guten Sancho, denn es treibt uns mit großer Eile zu seinem von Altisidoras Ständchen freudig aufgeregten Herrn und Meister.

43. Kapitel


Von den guten Lehren, welche Don Quijote seinem Sancho Pansa noch ferner erteilte

Wer die vorigen Reden Don Quijotes gehört, hätte der ihn nicht für einen Mann von gutem Verstande und noch bessrem Herzen halten müssen? Allein wie es oftmals im Verlauf dieser Geschichte gesagt worden, er verfiel in Unsinn nur, wenn man bei ihm an das Ritterwesen rührte, und in all seinen Reden zeigte er einen hellen, offenen Kopf, so daß bei jeder Gelegenheit seine Taten seinen Verstand und sein Verstand seine Taten Lügen strafte. Aber in dieser seiner neuesten Tat, nämlich der Fortsetzung seiner Weisheitslehren, zeigte er liebenswürdigste Anmut und trieb seine Klugheit wie seine Narrheit auf den höchsten Grad. Mit gespannter Aufmerksamkeit hörte ihm Sancho zu und gab sich Mühe, seine Lehren im Gedächtnis festzuhalten als redlicher Schüler, der gewillt war, sie zu befolgen und, da er jetzt mit seiner Statthalterschaft schwanger ging, durch ihre Hilfe mit einer glücklichen Geburt gesegnet zu werden. Don Quijote fuhr also fort und sprach: »Was die Frage betrifft, wie du dich und dein Haus regieren sollst, so ist das erste, was ich dir rate, reinlich zu sein und dir die Nägel zu schneiden, nicht aber sie wachsen zu lassen, wie etliche tun, die in ihrer Ungebildetheit meinen, lange Nägel verschönern die Hände, als wenn dieser Auswuchs, dies Anhängsel, das sie wegzuschneiden verschmähen, wirklich Fingernägel wären, wo es doch vielmehr Krallen eines eidechsenfangenden Aasgeiers sind: eine schlechte Gewohnheit, schweinisch und unerhört widerwärtig.

Gehe nicht mit losem Gurt und schlampig einher, denn ein unordentlicher Anzug verrät immer einen schlaffen Geist, wenn nicht etwa solche Unordentlichkeit und Nachlässigkeit zu den Mitteln schlauer Verstellung gehört, wie man sie Julius Cäsar nachsagt.

Fühle deinem Amte mit Überlegung den Puls, was es abwerfen kann, und wenn es dir gestattet, deinen Dienern Livree zu geben, so gib sie ihnen lieber anständig und dauerhaft als in die Augen fallend und prunkvoll, und teile sie zwischen deiner Dienerschaft und den Armen; ich will damit sagen, wenn du sechs Hausdiener kleiden kannst, so kleide ihrer drei und dazu drei Arme; so wirst du Diener im Himmel und auf Erden haben.

Aber für diese neue Art, Livree zu geben, wird eitlen Prahlern immer das Verständnis fehlen.

Iß weder Knoblauch noch Zwiebeln, damit die Leute nicht am Geruch deine niedrige Herkunft erkennen. Geh mit langsamen Schritten, sprich mit ruhiger Gelassenheit, aber nicht so, daß es aussieht, als wolltest du dir selbst zuhören, denn alle Ziererei ist vom Übel.

Iß wenig zu Mittag und noch weniger zu Abend, denn die Gesundheit des ganzen Leibes wird in der Werkstätte des Magens bereitet.

Sei mäßig im Trinken und bedenke, daß Wein im Übermaß weder Geheimnisse bewahrt noch Wort hält.

Hüte dich, mit beiden Backen zugleich zu kauen und vor anderen Leuten zu eruktieren.«

»Das Ding mit dem Eruktieren, das versteh ich nicht«, sagte Sancho.

Don Quijote entgegnete: »Eruktieren, Sancho, heißt rülpsen. Dies Wort ist zwar sehr bezeichnend, jedoch eines der unschicklichsten Wörter in unserer Sprache; und darum haben die Leute, die auf feinen Ausdruck halten, ihre Zuflucht zum Latein genommen und sagen eruktieren für rülpsen und statt Rülpser Eruktation. Und wenn auch der und jener diese Ausdrücke nicht verstehen sollte, so macht das wenig aus; der Gebrauch wird sie mit der Zeit allmählich einführen, bis sie mit Leichtigkeit verstanden werden; und dies heißt die Sprache bereichern, über welche die gemeine Menge und der Gebrauch alle Macht haben.«

»Wahrhaftig, Señor«, sagte Sancho, »eine Eurer Ermahnungen und Belehrungen, die ich ernstlich im Gedächtnis behalten will, wird die sein, nicht zu rülpsen, denn ich pflege das häufig zu tun.«

»Eruktieren, nicht rülpsen«, fiel Don Quijote ein.

»Eruktieren will ich von nun an sagen«, entgegnete Sancho, »und wahrlich, ich werde es nicht vergessen.«

»Ferner, Sancho, sollst du in deine Rede nicht die Menge Sprichwörter einmischen, wie du zu tun pflegst. Sprichwörter sind zwar gute Sinnsprüche, ziehst du sie aber öfter bei den Haaren herbei, scheinen sie eher Ungereimtheiten als Sinnsprüche.«

»Da kann nur Gott helfen«, erwiderte Sancho; »denn ich weiß mehr Sprichwörter, als im Buch stehen; und wenn ich rede, kommen mir so viele auf einmal in den Mund, daß sie sich stoßen und drängen, um miteinander herauszukommen; aber die Zunge stößt eben diejenigen hinaus, die ihr zuerst in den Weg kommen, wenn sie auch nicht zur Sache passen. Ich will aber von jetzt an aufpassen, daß ich nur diejenigen herauslasse, die sich zur Würde meines Amtes schicken. In vollem Haus ist bald gerüstet der Schmaus, und wer die Karten abhebt, der hat nicht zu mischen; und wer Sturm läutet, ist sicher vor der Gefahr; und: Gib’s aus der Hand und behalt’s in der Hand, zu beidem brauchst du Verstand.«

»Immer drauf, Sancho!« fiel Don Quijote ein. »Nur immer Sprichwörter zusammengebracht, aneinandergeflickt, auf eine Schnur gezogen! Keiner wehrt es dir. Meine Mutter zankt mich, und ich tanze ihr auf der Nase herum! Eben erst sage ich dir, du sollst die Sprichwörter beiseite lassen, und im gleichen Augenblick gibst du wieder eine ganze Litanei davon zum besten, die zu dem Gegenstand unsrer Besprechung geradeso passen wie die Faust aufs Auge. Sieh, Sancho, ich sage ja nicht, daß ein am rechten Ort angewendetes Sprichwort sich übel ausnimmt; aber wenn man Sprichwörter kreuz und quer aufeinanderhäuft und aneinanderreiht, wird die Rede niedrig und gemein.

Wenn du reitest, lehne den Körper nicht auf den hinteren Sattelbogen zurück und halte die Beine nicht steif ausgestreckt und vom Bauch des Pferdes weg; hänge aber auch nicht so auf dem Sattel, daß es aussieht, als säßest du auf deinem Grauen, denn am Reiten zeigt es sich, ob einer ein Ritter oder ein Stallknecht ist.

Halte maß im Schlafen, denn wer nicht früh mit der Sonne aufsteht, genießt den Tag nicht; und merke dir, Sancho, Fleiß ist der Vater des Glücks, und Trägheit, seine Feindin, erreicht nie das Ziel redlichen Willens.

Die letzte Lehre, die ich dir jetzt geben will, hat zwar nichts mit der Anständigkeit der äußeren Erscheinung zu tun; du sollst sie aber doch wohl im Gedächtnis behalten, denn ich glaube, sie wird dir von nicht minderem Nutzen sein, als die ich dir bisher gegeben. Es ist nämlich folgende: Laß dich niemals darauf ein, über die Herkunft der Familien zu streiten, wenigstens nicht so, daß du sie miteinander vergleichst; denn unter den verglichenen muß notwendig eine die vornehmere sein, und die, welche du niedriger stellst, wird dich gründlich hassen, und die, welche du höher stellst, wird dir es nicht im geringsten lohnen.

Deine Kleidung sei eine lange Hose, ein weiter Leibrock und ein noch etwas weiterer Mantel; kurze Hosen unter keiner Bedingung, denn sie passen weder für Ritter noch für Statthalter.

Dies ist’s, was mir vorderhand an guten Lehren für dich in den Sinn gekommen ist; mit der Zeit wird sich andres finden, und ich werde dann nicht verfehlen, dir weitere Ratschläge zukommen zu lassen, ja nachdem du daran denken wirst, mich von deinen Umständen in Kenntnis zu setzen.«

»Señor«, entgegnete Sancho, »ich sehe wohl ein, was Euer Gnaden mir gesagt hat, ist alles gut und fromm und nützlich; aber wozu soll mir’s helfen, wenn ich mich an nichts von alledem erinnere? Es mag sein, daß die Geschichte mit den Nägeln, die ich mir nicht wachsen lassen soll, und mit dem Wiederverheiraten, wenn sich die Gelegenheit bietet, mir nicht aus dem Sinn kommen wird; was aber den übrigen Krimskrams und all den närrischen Schnickschnack angeht, darauf besinn ich mich nicht mehr und werde auch künftig mich ebensowenig darauf besinnen können wie auf die Wolken vom vorigen Jahr, und darum müßt Ihr sie mir schriftlich geben; wenn ich auch nicht lesen und schreiben kann, ich werde sie meinem Beichtvater geben, damit er sie mir einprägt und wieder ins Gedächtnis bringt, wo’s nötig ist.«

»Gott verzeih mir meine Sünden!« versetzte Don Quijote; »wie schlecht steht es um einen Statthalter, der nicht lesen noch schreiben kann! Denn du mußt wissen, mein Sancho, wenn ein Mensch nicht lesen kann oder linkshändig ist, so beweist das zweierlei: daß entweder seine Eltern zu arm und zu gering waren oder er so verkehrt und schlecht geartet, daß er nicht imstande war, gute Sitte und gute Lehre anzunehmen. Das ist ein großer Mangel an dir, und ich wünschte daher, daß du wenigstens unterschreiben lerntest.«

»Meinen Namen kann ich schon unterschreiben«, erwiderte Sancho; »denn als ich Einnehmer in meinem Dorfe war, lernte ich ein paar Buchstaben malen, wie man sie auf Warenballen macht, und die Leute sagten, die bedeuteten meinen Namen. Außerdem kann ich tun, als hätte ich die Gicht an der rechten Hand, und einen andern für mich unterzeichnen lassen; es gibt für alles ein Kraut, nur nicht für den Tod. Und wenn ich einmal den Befehl und den Stab in Händen habe, kann ich tun, was mir gut dünkt; zudem, wenn einer den Schultheiß zum Vater hat. … Und wenn ich Statthalter bin, was doch mehr als Schultheiß ist, da sollen sie mir nur kommen, sie sollen schon sehen! Oder sie sollen mich einmal schief ansehen und mir nachreden! Aber, aber, da gehen sie nach Wolle aus und kommen geschoren nach Haus. Und wen Gott liebhat, dem merkt es alle Welt an; und des Reichen dumme Redensarten gelten in der Welt für Sprüche Salomonis; und da ich reich sein werde, wenn ich Statthalter bin, und dazu freigebig sein will, so wird kein Fehler an mir zu sehen sein. Nein, macht euch nur zu Honig, so fressen euch die Fliegen; du giltst soviel, wie du hast, sagte meine Großmutter, und wer ein Rittergut hat und adlig Geschlecht, denk nicht, daß einer an dem dich rächt.«

»O daß dich Gott verdamme, Sancho!« fiel hier Don Quijote ein, »daß sechzigtausend Teufel dich und deine Sprichwörter holten! Schon seit einer Stunde häufst du eins aufs andre und trichterst sie mir ein wie Wasser auf der Folter. Ich versichere dir, diese Sprichwörter bringen dich noch eines Tages an den Galgen; um ihretwillen nehmen dir deine Untertanen die Statthalterschaft, oder es bilden sich Bündnisse unter den Ortschaften gegen dich. Sage mir nur, wo du sie her hast, du unwissender Mensch? Oder wie du sie anwendest, du Einfaltspinsel? Ich, wenn ich nur eines beibringen und richtig anwenden will, ich schwitze und mühe mich ab, als wäre ich ein Schatzgräber.«

»Um Gottes willen, lieber Herr und Gebieter«, antwortete Sancho, »wie regt sich Euer Gnaden doch über gar geringe Dinge auf! Was, zum Teufel, macht es Euch aus, wenn ich mein Eigentum ausnütze? Ich habe ja kein andres und weiter kein Vermögen als Sprichwörter und immer wieder Sprichwörter. Und jetzt eben kommen mir ihrer vier in den Sinn, die aufs Härchen hierhergehören wie Birnen in den Obstkorb; aber ich gebe sie nicht her, denn das Schweigen zur rechten Zeit ist ein großer Heiliger.«

»Dieser Heilige bist du nicht«, sagte Don Quijote, »denn das Schweigen zu rechter Zeit ist deine Sache nicht, wohl aber das Reden und immerfort Reden zu unrechter Zeit. Aber trotzdem möchte ich wohl wissen, welche vier Sprichwörter dir jetzt in den Sinn gekommen sind, die hierher passen sollten; ich wenigstens, der ich ein gutes Gedächtnis habe, suche überall darin herum, und kein passendes Sprichwort will mir einfallen.«

»Was kann es für bessere geben«, sagte Sancho, »als die: Man soll den Daumen nie zwischen die Backenzähne stecken, und: Auf ein ›Pack dich aus meinem Hause!‹ und ›Was willst du mit meinem Weib?‹ läßt sich nichts antworten; und: Ob Krug wider Stein oder Stein wider Krug, der Krug ist der Verlierer. Alle diese passen aufs Härchen. Mit dem Statthalter soll niemand anbinden, überhaupt mit keinem, der ihm zu befehlen hat, denn er wird den Schaden davon haben, gerade wie der, der den Finger zwischen die Backenzähne hinten steckt; und wenn sie auch nicht hinten sind, falls es nur Backenzähne sind, ’s ist kein Unterschied.

Und gegen das, was der Statthalter sagt, darauf läßt sich nichts antworten, so wenig wie auf das ›Pack dich!‹ und ›mein Weib laß ungeschoren!‹ Und was das mit dem Stein wider Krug betrifft, das kann ja ein Blinder sehen. Demnach muß notwendig, wer den Splitter im fremden Auge sieht, den Balken im seinigen sehen, damit man nicht von ihm sagt: Eine Gestorbene ist arg erschrocken, als sie eine Geköpfte zu sehen bekam. Auch weiß Euer Gnaden ja: Der Dummkopf weiß in seinem Hause mehr als der gescheite Kopf im fremden.«

»Das ist nicht so, Sancho«, entgegnete Don Quijote; »der Dummkopf, in seinem Haus wie im fremden, weiß nichts, weil auf der Grundmauer der Dummheit kein vernünftiges Gebäude stehen kann. Aber lassen wir das hier auf sich beruhen, Sancho. Wenn du ein schlechter Statthalter wirst, so hast du die Schuld und ich die Schande davon; aber ich tröste mich damit, daß ich meine Schuldigkeit getan, da ich so ernstlich und vernünftig, als ich vermochte, dir meinen guten Rat erteilt habe; und damit habe ich meine Pflicht und mein Versprechen gelöst. Gott geleite dich, Sancho, und regiere dich bei deiner Regierung, mich aber befreie er von der Angst, die ich im Gewissen fühle, du möchtest auf der ganzen Insul das Oberste zuunterst kehren, was ich hätte verhindern können, wenn ich dem Herzog offenbart hätte, was du für ein Mensch bist, und ihm gesagt hätte, daß dein ganzer Dickwanst und deine ganze zwerghafte Person weiter nichts als ein Sack voller Sprichwörter und Tücken ist.«

»Señor«, erwiderte Sancho, »wenn Euer Gnaden der Meinung ist, daß ich für selbige Statthalterschaft nicht tauge, so laß ich sie auf der Stelle fahren; denn von meiner Seele ist mir das Schwarze am Fingernagel schon allein weit lieber als mein ganzer Leib, und ich kann als Sancho von Brot und Zwiebeln ebensogut leben wie als Statthalter von Rebhühnern und Kapaunen; zumal die Menschen im Schlaf alle gleich sind, Große und Kleine, Arme und Reiche. Und wenn Euer Gnaden es recht bedenkt, werdet Ihr sehen, Ihr allein habt mich zum Statthaltern gebracht, denn ich versteh den Geier davon, wie man Statthalter über Insuln ist; und wenn Ihr glaubt, daß mich, wenn ich Statthalter werde, der Teufel holt, da will ich lieber als Sancho in den Himmel denn als Statthalter in die Hölle kommen.«

»Bei Gott, Sancho«, sprach Don Quijote hierauf, »ob dieser letzten Worte, die du geredet, erachte ich, daß du verdienst, über tausend Insuln Statthalter zu sein. Du hast ein gutes Herz, ohne das keinerlei Wissen Wert hat, befiehl dich Gott dem Herrn und trachte von Anfang an, bei deinen Vorsätzen nicht fehlzugehen; ich meine, du sollst stets die Absicht und den festen Vorsatz haben, bei allen Angelegenheiten, die dir vorkommen, das Rechte zu tun, denn der Himmel ist stets dem guten Wollen günstig. Jetzt aber gehen wir zum Mittagsmahl; ich glaube, die Herrschaften erwarten uns schon.«

44. Kapitel


Wie Sancho Pansa zu seiner Statthalterschaft gesendet wurde, und von dem merkwürdigen Abenteuer, das Don Quijote im Schlosse begegnete

Es heißt, daß in der eigentlichen Urschrift dieser Geschichte, da wo Sidi Hamét an die Abfassung dieses Kapitels kommt – welches sein Übersetzer nicht so wiedergegeben, wie er es geschrieben hatte –, daß da eine Art von Bedauern zum Ausdruck kam, das der maurische Verfasser über sich selbst empfunden, weil er eine Geschichte wie die des Don Quijote unter die Hände genommen, die so trocken und in so enge Grenzen gebannt sei, da er immer, wie es ihn bedünke, nur von dem Ritter und von Sancho sprechen müsse, ohne daß er wagen dürfe, sich in sonstigen Abschweifungen und Einschaltungen ernsteren und auch unterhaltenderen Inhalts zu verlieren. Er fügte bei, wenn Geist, Hand und Feder beständig daran gebunden seien, von einem einzigen Gegenstande zu schreiben und durch den Mund weniger Personen zu sprechen, so sei dies eine unerträgliche Mühsal, deren Ergebnis ohne Ergebnis für des Verfassers Ruhm bleibe, und um diesen Mißstand zu vermeiden, habe er sich im ersten Teile des Kunstgriffs bedient, etliche Novellen einzuflechten, wie die vom törichten Vorwitz und die vom Hauptmann in der Sklaverei, welche von der eigentlichen Geschichte so gut wie unabhängig sind, während die übrigen dort berichteten Vorgänge dem Ritter selbst begegnet sind, also unbedingt erzählt werden mußten. Allein er dachte sich auch, wie er sagt, daß viele Leser, hingerissen von der Teilnahme, welche Don Quijotes Heldentaten in Anspruch nehmen, den Novellen keine widmen und flüchtig oder widerwillig über sie hinwegeilen würden, ohne die feine Arbeit und Kunst in ihnen zu beachten, die man klar erkennen müßte, sobald sie für sich allein, ohne die Narreteien Don Quijotes und Sanchos Einfältigkeiten, ans Licht getreten wären. Daher wollte er in diesen zweiten Teil weder selbständige noch in die Geschichte verflochtene Novellen einfügen, sondern nur einige Episoden, die sich sofort als solche erkennen lassen und die aus den Begebenheiten selbst, wie sie unsre Geschichte darbietet, hervorgegangen sind; und auch diese nur in beschränktem Maße und ohne größeren Aufwand, an Worten, als gerade genügt, um sie vorzutragen. Da er sich mithin in den engen Grenzen seiner Erzählung hält, während er doch Geschick, hinlängliche Fähigkeit und Verstand hat, um über das ganze Weltall zu schreiben, so bittet er, man solle seine Arbeit nicht mißachten, vielmehr ihm Lob spenden, nicht für das, was er schreibt, sondern für das, was er zu schreiben unterlassen hat.

Und hierauf fährt er fort und sagt, daß Don Quijote, als er Sancho die Lehren erteilt hatte, ihm diese nach dem Essen noch am nämlichen Nachmittag schriftlich übergab, damit er jemanden suchen könne, der sie ihm vorlese. Aber kaum hatte er sie ihm gegeben, so verlor dieser sie wieder, und sie gelangten in die Hände des Herzogs, der sie der Herzogin mitteilte; und beide verwunderten sich aufs neue über Don Quijotes Verrücktheit und Verstand. Sie fuhren daher mit ihren lustigen Streichen fort und sandten noch denselben Abend Sancho mit zahlreicher Begleitung nach der Ortschaft, die für ihn eine Insul sein sollte.

Es traf sich nun, daß derjenige, dem Sanchos Überwachung aufgetragen worden, ein Haushofmeister des Herzogs, ein sehr gescheiter und witziger Mann war – denn es gibt keinen Witz ohne Gescheitheit –, derselbe, welcher die Rolle der Gräfin Trifaldi mit so vieler Laune gespielt hatte, wie berichtet; und mit diesen Geistesgaben und mit Anweisungen, die ihm seine Herrschaft darüber erteilt hatte, wie er sich Sancho gegenüber zu verhalten habe, gelang es ihm, den Plan wunderbar auszuführen.

Als nun Sancho diesen Haushofmeister erblickte, fiel ihm sofort das Gesicht der Trifaldi ein, und er wendete sich zu seinem Herrn und sprach: »Señor, entweder soll mich der Teufel auf dieser Stelle holen, so wahr ich ein gerechter und rechtgläubiger Mensch bin, oder Euer Gnaden muß mir zugestehen, daß das Gesicht dieses herzoglichen Haushofmeisters da vor uns das Gesicht der Schmerzenreich selber ist.«

Don Quijote betrachtete den Haushofmeister aufmerksam und sagte sodann zu Sancho: »Es ist kein Grund, daß dich der Teufel hole, weder als gerechten noch als rechtgläubigen Menschen – ich weiß zwar nicht, was du damit meinst –: das Gesicht der Schmerzenreich ist das des Haushofmeisters; aber der Haushofmeister ist darum noch nicht die Schmerzenreich. Wäre er es, so wäre das doch recht widersinnig, und es ist jetzt nicht Zeit, eine gründliche Untersuchung darüber anzustellen, denn das würde uns in ein verworrenes Labyrinth führen. Glaube mir, Freund, es tut uns not, inbrünstig zu Gott dem Herrn zu beten, daß er uns beide von bösen Hexenmeistern und Zauberern erlöse.«

»Es ist wirklich kein Spaß, Señor«, versetzte Sancho; »sondern ich hab ihn gerade sprechen hören, und es war genauso, als ob die Stimme der Trifaldi mir in die Ohren klänge. Nun gut, ich will für jetzt still sein; aber ich will künftighin doch genau Obacht geben, ob ich nicht noch ein Merkmal entdecke, das meinen Verdacht bestätigt oder gänzlich beseitigt.«

»Das mußt du tun, Sancho«, sprach Don Quijote, »und mir von allem Nachricht geben, was du in dieser Sache etwa entdecken magst, sowie von allem, was dir in deiner Statthalterschaft begegnet.«

Sancho reiste endlich ab, von großem Gefolge begleitet, in der Tracht eines richterlichen Beamten, darüber einen weiten Mantel von hellbraunem gewässertem Kamelott, mit einer Mütze von demselben Stoff. Er ritt auf einem Maulesel mit kurzgeschnallten Bügeln, und hinter ihm zog auf Befehl des Herzogs sein Grautier einher mit Eselsgeschirr und Aufputz, alles von Seide und hell erglänzend. Von Zeit zu Zeit wandte sich Sancho nach seinem Esel um und schaute ihn an und ritt in dessen Gesellschaft so vergnügt dahin, daß er nicht mit dem deutschen Kaiser getauscht hätte. Beim Abschied vom Herzog und von der Herzogin küßte er ihnen die Hände und bat seinen Herrn um seinen Segen; dieser gab ihn unter Tränen, und Sancho empfing ihn mit Flennen.

Laß nun, freundlicher Leser, den wackern Sancho in Frieden und in Gottes Namen ziehen und mache dich auf zwei Scheffel Gelächter gefaßt, welches die Kunde davon, wie er sich in seinem Amte benahm, bei dir sicherlich hervorrufen wird; inzwischen aber vernimm mit Bedacht, was seinem Herrn in dieser Nacht widerfuhr, und wenn du darüber nicht in helles Lachen ausbrichst, wirst du wenigstens den Mund zur spöttischen Miene eines Affen verziehen; denn Don Quijotes Erlebnisse müssen entweder mit Bewunderung oder mit Gelächter begrüßt werden.

Es wird also erzählt, daß Sancho kaum abgereist war, als Don Quijote schon sich einsam fühlte, und wäre es ihm möglich gewesen, die Bestallung widerrufen zu lassen und ihm die Statthalterschaft wieder abzunehmen, so hätte er es sicherlich getan. Die Herzogin bemerkte seinen Trübsinn und fragte ihn, weshalb er traurig sei; wenn es wegen Sanchos Abwesenheit wäre, so gäbe es Schildknappen, Kammerfrauen und Zofen in ihrem Hause, die ihn ganz seinem Wunsch entsprechend bedienen würden.

»Es ist wahr, Herrin mein«, antwortete Don Quijote, »daß ich Sanchos Abwesenheit schmerzlich fühle; aber dies ist nicht der Hauptgrund, daß ich niedergeschlagen aussehe, und von den vielen Anerbietungen, mit denen Euer Exzellenz mich beehrt, nehme ich nur eine an, nämlich die huldvolle Gesinnung, von der sie ausgehen, und im übrigen bitte ich Euer Exzellenz dringend, zu gestatten und zu erlauben, daß innerhalb meines Gemaches ich mich selbst bediene.«

»Wahrlich, Señor Don Quijote, das darf nicht sein; vier meiner Fräulein sollen Euch bedienen, alle vier schön wie die Blumen.«

»Mir wären sie nicht wie Blumen«, entgegnete Don Quijote, »sondern wie Dornen, die mir in die Seele stechen würden. Weder sie noch irgend jemand ihresgleichen soll in mein Zimmer kommen, geradesowenig, wie sie hineinfliegen können. Sofern Euer Hoheit fortfahren will, mir Gnade zu erweisen, wenn ich sie auch nicht verdiene, so gestattet, daß ich allein in meinem Zimmer bleibe und mich selbst bediene, auf daß ich eine Mauer ziehe zwischen meiner Begehrlichkeit und meiner Sittsamkeit, und ich will von dieser meiner Gewohnheit nicht abgehn um der hochherzigen Güte willen, die Euer Hoheit mir erzeigen will. Mit einem Wort, ich will lieber in meinen Kleidern schlafen als gestatten, daß mich jemand entkleidet.«

»Nicht weiter, nicht weiter, Señor Don Quijote«, erwiderte die Herzogin; »jetzt sage ich meinesteils, ich werde anordnen, daß nicht einmal eine Fliege in Euer Gemach kommt, geschweige eine Jungfrau. Ich bin nicht die Frau, durch deren Schuld die Züchtigkeit des Señor Don Quijote die mindeste Beeinträchtigung erleiden soll; denn wie es mich schier bedünken will, steht unter seinen vielen Tugenden die der Keuschheit obenan. Ihr mögt Euch ganz allein und nach Eurer gewohnten Weise auskleiden und anziehn, wie und wann Ihr’s wollet; niemand wird Euch daran hindern, und Ihr sollt in Eurem Gemache die Gefäße finden, deren einer bedarf, der bei verschlossenen Türen schläft, damit kein natürliches Bedürfnis Euch zwinge, sie zu öffnen. Es lebe die erhabene Dulcinea von Toboso tausend Jahrhunderte lang, und es verbreite sich ihr Name über das ganze Erdenrund, da sie würdig war, von einem so mannhaften und so keuschen Ritter geliebt zu werden; und möge der gütige Himmel dem Herzen Sancho Pansas, unsres Statthalters, das innige Verlangen einflößen, seine Geißelung baldigst zu vollenden, damit die Welt endlich der Schönheit einer so hohen Dame aufs neue genießen möge.«

Darauf sagte Don Quijote: »Eure Hoheit hat gesprochen als die würdige Herrin, die Ihr seid, denn von einer edlen Frau kann keine unedle in den Mund genommen werden; und Dulcinea wird durch das Lob Eurer Hoheit glücklicher und berühmter in der Welt werden als durch alle Lobpreisungen der größten Meister der Beredsamkeit.«

»Nun gut, Señor Don Quijote«, versetzte die Herzogin; »die Stunde des Abendessens naht heran, und der Herzog wird wohl schon warten; kommt, wir wollen das Abendmahl halten. Auch werdet Ihr Euch wohl zeitig niederlegen; Eure gestrige Reise nach Candaya war nicht so kurz, daß sie Euch nicht einigermaßen ermüdet hätte.«

»Ich fühle keine Müdigkeit, Señora«, erwiderte Don Quijote; »denn ich kann Euer Hoheit schwören, in meinem ganzen Leben hab ich kein ruhigeres und sanfter gehendes Tier geritten als den Holzzapferich, und ich weiß nicht, was den Malambruno bewogen haben kann, sich eines so leichten, sanften Gaules zu berauben und ihn so mir nichts, dir nichts zu verbrennen.«

»Vielleicht kann man annehmen«, antwortete die Herzogin, »daß er aus Reue ob des Bösen, das er der Trifaldi und ihren Genossen und andern Personen angetan, und ob der Missetaten, die er als Hexenmeister und Zauberer jedenfalls verübt haben muß, alle Werkzeuge seines bisherigen Treibens vernichten wollte; und als das hauptsächlichste, das, weil es von Land zu Land schweifte, ihn am meisten in Unruhe versetzte, hat er den Holzzapferich verbrannt. Durch dessen glühende Asche und durch das Siegeszeichen jener Inschrift aber lebt für alle Zeiten fort die Heldenkühnheit des großen Don Quijote von der Mancha.«

Aufs neue sprach Don Quijote der Herzogin seinen Dank aus, und nachdem er zu Abend gespeist, zog er sich allein in sein Gemach zurück, ohne jemandem den Eintritt zu seiner Bedienung zu gestatten; so sehr fürchtete er, daß eine etwaige Gelegenheit ihn verführen könnte, die treue Sittsamkeit einzubüßen, die er seiner Herrin Dulcinea um so mehr bewahrte, als die Tugend des Amadís, der fahrenden Ritter Blume und Spiegel, in seiner Vorstellung stets lebendig war. Er schloß die Tür hinter sich zu, zog sich beim Lichte zweier Wachskerzen aus, und als er sich seiner Fußbekleidung entledigte, o Mißgeschick, unwürdig einer solchen Persönlichkeit! da lösten sich ihm nicht Seufzer aus seinem Innern noch irgend etwas andres, das die Säuberlichkeit seiner feinen Lebensart hätte verdächtigen können, sondern es lösten sich ihm an einem Strumpfe zwei Dutzend Maschen auf, und der Strumpf wurde zu einem Fenstergitter. Das betrübte den wackern Herrn über die Maßen, und er hätte eine Unze Silber darum gegeben, ein Quentchen grüne Seide an Ort und Stelle zu haben, ich sage grüne Seide, denn die Strümpfe waren grün. Hier hat Benengelí ausgerufen und geschrieben: »O Armut! Armut! Ich weiß nicht, aus welchem Grunde der große Dichter aus Córdoba dich nannte:

Heilige, unbedankte Himmelsgabe!

Ich, wiewohl ein Maure, weiß von meinem Umgang mit Christen her, daß die Heiligkeit in Liebe, Demut, Glaube, Gehorsam und Armut besteht; aber trotzdem sage ich, der muß viele Gnade von Gott haben, der freudig in Armut lebt, wenn es nicht eine Armut jener Art ist, von welcher einer ihrer größten Heiligen sagt: ›Brauchet aller Dinge, als ob ihr ihrer nicht brauchet‹, und das nennt man die Armut im Geiste. Aber du andre Armut – von dir nämlich rede ich –, warum hängst du dich immer lieber an die Junker und Edelgebornen als an andere Leute? Warum nötigst du sie, die Löcher an ihren Schuhen schwarz zu überstreichen und an ihren Röcken Knöpfe zu haben, von denen die einen von Seide, die andern von Roßhaar und andre von Glas sind? Warum müssen meistens ihre Halskragen platt aufliegen mit unordentlichen Falten vom Waschen her und nicht frei stehn als gesteifte Krausen, denen mit dem Brenneisen die Hohlfalten gerundet wurden?«

Und hieraus ist zu ersehen, daß der Gebrauch der Stärke und der Kragen mit runden Hohlfalten schon alt ist.

Dann fährt er fort: »Oh, elend ist der Mann von guter Geburt, der seiner Ehre ein Krankentränklein eingibt, indem er bei verschlossener Tür ein schlechtes Mahl verzehrt und den Zahnstocher zum Heuchler macht, mit dem er auf die Straße hinausgeht, ohne daß er etwas gegessen hätte, das ihn nötigte, sich in den Zähnen zu stochern! Elend ist er, sage ich, der ein scheues, zaghaftes Ehrgefühl hat und immer meint, man sähe eine Meile weit die Flicken an seinen Schuhen, die durchgeschwitzten Stellen an seinem Hut, das Fadenscheinige an seinem Mantel und den Hunger in seinem Magen.«

All dieses trat auch vor Don Quijotes Seele, als ihm seine Maschen aufgingen; aber er schöpfte Trost, als er sah, daß Sancho ein Paar Reisestiefel zurückgelassen hatte, und diese gedachte er am nächsten Tage anzuziehen.

Endlich legte er sich nieder, nachdenklich und bekümmert, sowohl weil er Sancho entbehren mußte als auch wegen des unheilbaren Mißgeschicks seiner Strümpfe, deren Maschen er gern wieder aufgenommen hätte, wenn auch mit Seide von andrer Farbe, was doch eines der deutlichsten Zeichen von Elend ist, die ein Edelmann im Verlauf einer langwährenden Dürftigkeit von sich geben kann. Er löschte die Kerzen aus, aber es war heiß, und er konnte nicht schlafen; er erhob sich vom Bette und öffnete das Gitterfenster, das auf einen herrlichen Garten hinausging. Beim öffnen aber hörte er, daß Leute sich im Garten bewegten und miteinander sprachen. Er horchte aufmerksam; die Stimmen von unten wurden lauter, so daß er folgende Worte vernehmen konnte: »Dringe nicht weiter in mich, o Emerencia, daß ich singen soll; du weißt ja, seit dieser Fremde in unser Schloß gekommen ist und meine Augen ihn erblickt haben, kann ich nicht mehr singen, sondern nur weinen, zumal der Schlaf unsrer Herzogin eher leicht als schwer ist und ich um alle Schätze der Welt nicht möchte, daß sie uns hier fände. Und gesetzt den Fall, sie schliefe fest und würde nicht wach, so wäre dennoch mein Gesang vergeblich, wenn er doch schläft und ihn nicht hört, dieser mein Äneas, der in meine Lande gekommen, um mich zu verhöhnen und zu verlassen.«

»Laß dir doch so was nicht einfallen, Freundin Altisidora«, wurde geantwortet. »Ganz gewiß schläft die Herzogin jetzt und das ganze übrige Haus, ausgenommen der Gebieter und Auferwecker deines Herzens; denn eben habe ich bemerkt, daß er das Fenster seines Zimmers geöffnet hat, und er muß ganz gewiß wach sein; singe, mein armes Kind, mit leisem süßem Tone zum Klang deiner Harfe, und sollte die Herzogin uns hören, so geben wir der Hitze dieser Nacht die Schuld.«

»Darin liegt mein Bedenken nicht, o Emerencia«, gab Altisidora zur Antwort, »sondern darin, daß ich nicht möchte, daß mein Gesang mein Herz verriete und ich von denen, die Amors gewaltige Macht nicht kennen, für ein lüsternes und leichtfertiges Mägdlein gehalten würde. Aber komme, was kommen mag, besser ist Schamröte im Gesicht als eine Wunde im Herzen.«

Hiermit begann sie die Harfe in süßesten Tönen zu spielen. Als Don Quijote dies hörte, geriet er vor Staunen ganz außer sich, denn im Augenblick fielen ihm die zahllosen ähnlichen Abenteuer von Fenstern, Gittern und Gärten, Ständchen, Liebesgetändel und ähnlichen Narrheiten ein, die er in seinen törichten Ritterbüchern gelesen hatte. Sogleich stellte er sich vor, irgendein Fräulein der Herzogin sei in ihn verliebt und ihre Sittsamkeit zwinge sie, ihre Neigung geheimzuhalten. Er fürchtete, sie möchte ihn besiegen, und nahm sich in seinen Gedanken vor, sich nicht bezwingen zu lassen; und indem er aus vollem Herzen und mit den besten Vorsätzen sich seiner Herrin Dulcinea von Toboso anbefahl, beschloß er, der Musik zu lauschen; und damit man merke, daß er da sei, tat er, als müsse er niesen, worüber sich die Mädchen nicht wenig freuten, da sie nichts andres wünschten, als daß Don Quijote ihnen lausche.

Als nun die Harfe gestimmt und geprobt war, begann Altisidora folgende Romanze:

O du, der du dort auf feinstem
Linnen ohne Sorg und Plage
Schläfst mit ausgestreckten Beinen
All die Nacht bis hell am Tage;

Du, der kühnste aller Ritter,
Die zur Welt die Mancha sandte,
Du, geehrt mehr und gesegnet
Als das Gold aus Yemens Lande;

Hör ein Mägdlein an aus gutem
Hause, dem es schlecht ergangen,
Das am Lichte deiner beiden
Sonnen Feuer hat gefangen.

Schlagen willst du dich mit Rittern
Und hast Herzen wund geschlagen,
Und wen du verwundest, schnöde
Willst du Heilung ihm versagen.

Sag mir, heldenhafter Jüngling,
Dem Gott heile seine Plagen,
Ob in Libyen du geboren,
Ob, wo Jacas Berge ragen?

Sag, ob Schlangen dich gesäugt?
Sage, war wohl deine Amme
Waldes Schauer und das Grausen
Hoch auf des Gebirges Kamme?

Preisen darf sich Dulcinea,
Maid von vollen derben Wangen,
Daß sie eines Tigers, eines
Wilden Untiers Herz gefangen.

Darum wird ihr Ruhm ertönen
Vom Jarama zum Henares,
Vom Pisuerga zum Arlanza,
Vom Tajo zum Manzanares.

Gerne möcht ich mit ihr tauschen,
Gäb mein Wams, geschmückt mit Spangen,
Ihr noch gern heraus, das schönste,
Daran goldne Fransen hangen.

Oh, ruht‘ ich in deinen Armen,
Mindstens auf dem lieben Platze
Vor dem Bett, daß ich den Kopf dir
Und vom Haar die Schuppen kratze!

Viel begehr ich, und ich bin doch
Unwert solcher Gnadengaben;
Nur, und dies genügt mir Armen,
Möcht ich dir die Füße schaben.

Oh, wieviel Nachtmützen gäb ich,
Socken dir von feinstem Baste,
Mäntel aus holländschem Linnen,
Strumpf und Hosen von Damaste!

Und mit Perlen, wie Galläpfel
Dick, wollt ich dich gern begaben,
Die man Solitaire nennt,
Weil sie keinesgleichen haben.

Schau nicht vom Tarpeja auf mich,
Denn in Glut brech ich zusammen
Größter Nero aus der Mancha,
Fache nicht noch mehr die Flammen.

Ich, ein Kind, ein zartes Mägdlein,
Zähle noch nicht fünfzehn Jahre;
Vierzehn zähl ich und drei Monde,
So wahr Gott mich fromm bewahre!

Bin nicht lahm und nicht verkrüppelt,
Frisch und schön bin ich vor allen;
Meine Haare Lilienstengel,
Die bis auf den Boden wallen.

Meine Schönheit preist den Schöpfer,
Ob auch etwas platt die Nase;
Ist mein Mund wie Adlers Schnabel,
Sind die Zähne doch Topase.

Meine Stimme, wie du hörest,
Ist vom allersüßten Klange;
Unter Mittelgröße bin ich,
Fein von Wuchs und stolz von Gange.

Diese Reize sind zur Beute
Deinem Köcher jetzt gefallen,
Und ich heiß Altisidora,
Dien als Zof in diesen Hallen.

Hier endete der Gesang der herzenswunden Altisidora und begann das Entsetzen des liebesumworbenen Don Quijote, welcher mächtig aufseufzend zu sich selber sagte: Was muß ich doch für ein unseliger fahrender Ritter sein, daß es kein Fräulein geben kann, das sich nicht gleich in mich verliebt! Wie glückverlassen muß doch die unvergleichliche Dulcinea von Toboso sein, daß man sie meine Treue ohnegleichen nicht allein genießen lassen will! Was wollt ihr von ihr, o Königinnen? Zu welchem Zweck verfolgt ihr sie, ihr Kaiserinnen? Warum bedrängt ihr sie, ihr Mägdlein von vierzehn bis fünfzehn Jahren? Lasset doch, lasset doch die Arme triumphieren, sich erfreuen und stolz sein ob des Loses, das Amor ihr zuteilen wollte, indem er ihr mein Herz unterwarf und ihr meine Seele dahingab. Bedenke, o verliebte Schar, ich bin nur für Dulcinea von Teig und Zuckerkuchen und für alle andern von Marmelstein. Für sie bin ich Honig und für euch Wermut; für mich ist Dulcinea allein die Schöne, die Verständige, die Züchtige, die Edelgeborne, und die andern all sind die Häßlichen, die Dummen, die Leichtfertigen, die von niedrigster Geburt. Für sie, für keine andere hat mich die Natur auf die Welt geschleudert, ob nun Altisidora weine oder singe, ob nun die Dame verzweifle, um derentwillen man mich in der Burg des verzauberten Mohren durchgeprügelt hat; möge man mich kochen oder braten, ich gehöre Dulcinea an, stets lauter, adelig und keusch, trotz allen Zaubermächten auf Erden.

Hiermit schlug er das Fenster zu und legte sich mißmutig und gramvoll, als sei ihm ein großes Unglück begegnet, in sein Bett, wo wir ihn für jetzt lassen werden; denn bereits ruft uns der große Sancho Pansa, der gerade seine gepriesene Statthalterschaft antreten will.

4. Kapitel


Wo Sancho Pansa dem Baccalaureus auf seine Zweifel und Fragen Auskunft erteilt, benebst andern Begebnissen, so wissens- und erzählenswert sind

Sancho Pansa kehrte zum Hause Don Quijotes und zu dem vorigen Gespräch zurück und sprach: »Wie der Herr Sansón gesagt hat, wünschte man zu wissen, von wem und wie und wann der Esel mir gestohlen worden. Zur Antwort hierauf sag ich: In der nämlichen Nacht, wo wir auf der Flucht vor der Heiligen Brüderschaft uns in die Sierra Morena begaben, nach jenem Abenteuer mit den Galeerensklaven, das uns teuer zu stehen kam, und nach jenem andern mit dem Leichnam, den man gen Segovia führte, verbargen mein Herr und ich uns in einem Dickicht, wo wir beide – mein Herr auf seine Lanze gelehnt und ich auf meinem Grauen sitzend –, zerschlagen und gerädert von den erlebten Streithändeln, uns dem Schlaf ergaben, als ob wir auf einem halben Dutzend Matratzen lägen. Ich besonders schlief so fest, daß irgendeiner, wer es auch gewesen sein mag, Gelegenheit fand, sich heranzuschleichen und mir vier Knüppel unter die vier Seiten meines Sattels zu schieben, so daß ich darauf sitzen blieb wie auf einem Gaul, während er mir den Grauen unter dem Leibe wegmauste, ohne daß ich es merkte.«

»Das ist was Leichtes und nicht zum erstenmal geschehen«, fiel Don Quijote ein; »denn das nämliche geschah dem Sacripant, dem bei der Belagerung von Albraca der berüchtigte Dieb Brunell mit demselben Kunststück den Gaul zwischen den Beinen wegstahl.«

»Es wurde Morgen«, fuhr Sancho fort, »und kaum hatte ich mich ein wenig gestreckt, so fielen die Knüppel unter dem Sattel zusammen, und ich tat einen schweren Fall auf den Boden, Ich sah mich nach dem Esel um und fand ihn nirgends; Tränen traten mir in die Augen, und ich erhob ein solches Klagelied, daß der Verfasser unserer Geschichte, wenn er es nicht ins Buch gesetzt hat, sicher sein kann, daß er nie was Gutes hineingesetzt hat. Nach Verlauf von soundso viel Tagen, als wir mit der gnädigen Prinzessin Mikomikona des Weges zogen, gewahrte ich plötzlich meinen Esel wieder und sah, daß auf ihm in Zigeunertracht jener Ginés de Pasamonte ritt, jener Spitzbube und Erzschurke, den mein Herr und ich von der Kette frei gemacht hatten.«

»Nicht darin liegt der Fehler«, entgegnete Sansón, »sondern darin, daß, ehe der Esel wieder zum Vorschein gekommen, der Verfasser sagt, daß Sancho auf dem nämlichen Esel einherritt.«

»Darauf«, sagte Sancho, »kann ich nichts anderes sagen, als daß der Geschichtsschreiber sich geirrt hat oder daß der Setzer einen Fehler gemacht hat.«

»So ist es ohne Zweifel«, sprach Sansón, »aber was habt Ihr mit den hundert Goldtalern gemacht?«

»Vertan sind sie«, antwortete Sancho. »Ich habe sie zu meinem eigenen Nutzen und zu Nutz und Frommen von Frau und Kindern verwendet, und sie sind schuld daran, daß meine Frau die Wege und Fahrten, die ich in Diensten meines Herrn Don Quijote getan, geduldig erträgt; denn wäre ich nach Verfluß so langer Zeit ohne einen Pfennig und ohne den Esel heimgekehrt, so wäre es mir schlecht ergangen. Will nun einer noch mehr von mir wissen, hier steh ich und bin bereit, einem jeden, selbst dem König, Rede zu stehen, und niemanden geht es etwas an, ob ich was mitbrachte oder nichts mitbrachte, was ausgab oder nichts ausgab. Denn sollten die Prügel, die ich auf den Reisen bekam, mir in Geld bezahlt werden, und wenn jeder Hieb auch nur zu vier Maravedís taxiert würde, so wären noch einmal hundert Goldtaler nicht genug, um mir auch nur die Hälfte zu bezahlen; und es greife jeder in seinen Busen und lasse sich nicht beigehen, weiß für schwarz und schwarz für weiß auszugeben; denn am Ende ist jeder, wie Gott ihn geschaffen hat, und oftmalen noch viel schlechter.«

»Ich will den Verfasser der Geschichte darauf aufmerksam machen«, sprach Carrasco, »wenn er sie nochmals drucken läßt, daß er nicht vergißt, was der wackere Sancho gesagt hat; dadurch wird sie ein gut Stück mehr an Wert gewinnen, als sie jetzt hat.«

»Gibt es sonst noch was in dem Buche zu verbessern, Herr Baccalaureus?« fragte Don Quijote.

»Gewiß wird sich noch was finden«, antwortete jener; »allein es wird wohl nichts von solcher Wichtigkeit sein wie die erwähnten Stellen.«

»Ob der Verfasser wohl einen zweiten Teil verspricht?« fragte Don Quijote weiter.

»Freilich verspricht er ihn«, antwortete Sansón, »allein er sagt, er habe noch nicht herausgebracht, in wessen Händen sich die Handschrift befindet, und so wissen wir nicht, ob er herauskommen wird oder nicht. Und sowohl aus diesem Grunde als auch deshalb, weil einige sagen, die zweiten Teile taugen selten etwas, und andere, es ist schon genug von Don Quijotes Geschichten geschrieben, vermutet man, es werde überhaupt ein zweiter Teil nicht kommen; wiewohl andre, die mehr auf dem Altar des heitern Jovis als des finstern Saturn opfern, dagegen meinen: Nur immer her mit noch mehr Donquijoterien! Don Quijote soll nur immer auf Feinde anstürmen, und Sancho Pansa soll plaudern; und mag es sein, was und wie es sein mag, wir haben unsere Freude daran.«

»Und was hat der Verfasser vor?« fragte Don Quijote.

»Was?« entgegnete Sansón; »im Augenblick, wo er die Geschichte auffindet, der er allerorten mit außerordentlichstem Bemühen nachspürt, wird er sie auf der Stelle in Druck geben, und zwar mehr um des Vorteils willen, der ihm aus der Herausgabe erwächst, als durch irgendwelche Lobeserhebungen angetrieben.«

Darauf sagte Sancho: »Geld und Gewinn hat der Verfasser im Auge? Da wär’s ein Wunder, wenn ihm was Rechtes gelingen sollte; denn da wird er nichts tun als sich überhaspeln und hudeln wie ein Schneider am Vorabend des Osterfestes, und Arbeiten, die man in aller Eile fertigt, werden nie mit der Vollkommenheit zu Ende geführt, die sie erfordern. Der Herr Maure, oder was er sonst ist, soll sich ja recht genau überlegen, was er tun will; ich und mein Herr werden ihm so vielen Trödelkram von Abenteuern und mannigfachen Begebnissen an die Hand geben, daß er imstande sein soll, nicht nur den zweiten Teil, sondern deren hundert zu schreiben. Der gute Mann denkt sicher, wir liegen hier auf der Bärenhaut; aber er soll uns nur einmal auf den Zahn fühlen, da wird er schon sehen, ob einer wackelt. Ich aber sage nur so viel: Wenn mein Herr meinen Rat annähme, so müßten wir schon draußen auf freiem Felde einherziehen, um Unbilden wiedergutzumachen und Unrecht zurechtzubringen, wie es Sitte und Brauch der braven fahrenden Ritter ist.«

Sancho hatte noch nicht ausgeredet, da drang ihnen Rosinantes Gewieher in die Ohren; dies Wiehern nahm Don Quijote für eine glückliche Vorbedeutung und beschloß alsbald, nach drei oder vier Tagen eine neue Ausfahrt zu unternehmen. Er entdeckte sein Vorhaben dem Baccalaureus und bat ihn um Rat, in welchem Landstrich er seine Fahrten beginnen solle. Dieser antwortete ihm, seine Meinung sei, er solle nach dem Königreich Aragon, und zwar nach Zaragoza, ziehen, wo in wenigen Tagen festliche Kampfspiele zur Feier des Sankt-Georgen-Tages stattfinden sollten, und bei diesen könne er Ruhm gewinnen vor allen aragonischen Rittern, was soviel heißen würde, als vor allen Rittern auf Erden. Er pries seinen Entschluß als höchst ehrenvoll und mannhaft, warnte ihn aber, er möge, wenn er Gefahren entgegengehe, mehr auf seiner Hut sein, da sein Leben nicht ihm angehöre, sondern allen jenen, die seiner bedürften, um von ihm bei ihren Bedrängnissen in Schutz und Schirm genommen zu werden.

»Das gerade verwünsche ich ja immer, Herr Sansón«, fiel hier Sancho ein, »daß mein Herr auf hundert Männer in Waffen so losstürzt wie ein gefräßiges Jüngelchen auf ein halb Dutzend Marzipanpüppchen. Sackerlot, Herr Baccalaur! Ja, es gibt Zeiten, draufloszustürzen, und Zeiten, zurückzuweichen; und es darf nicht immer heißen: Santiago und Spanien, drauflos!, zumal ich habe sagen hören – und ich glaube, von meinem Herrn selbst, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht –, daß zwischen den beiden äußersten Gegensätzen, nämlich dem Feigling und dem tollkühnen Waghals, die Tapferkeit die rechte Mitte ist. Und wenn dem so ist, so will ich nicht, daß er ohne Grund fliehen soll, aber auch nicht, daß er zum Angriff stürzt, wenn die Übermacht ein anderes Verhalten erfordert. Vor allem aber tue ich meinem Herrn zu wissen: wenn er mich mitnehmen will, so kann das nur unter der Bedingung sein, daß er allein alles auszufechten hat und daß ich zu weiter nichts verpflichtet bin, als für seine Person zu sorgen, nämlich ihn sauberzuhalten und zu verpflegen; denn darin will ich gewiß das Menschenmögliche tun. Wenn aber einer glaubt, ich sollte je Hand ans Schwert legen, und wäre es auch gegen räuberische Bauernkerle mit Axt und Eisenhut, der ist auf dem Holzweg. Ich, Herr Sansón, denke gar nicht daran, Ruhm zu erwerben als ein großer Held, sondern als der beste und getreuste Schildknappe, der jemals in fahrenden Ritters Diensten gewesen, und wenn mein Herr Don Quijote in Anerkennung meiner vielen und treuen Dienste mir eine beliebige Insul von den vielen schenken will, die, wie er sagt, draußen in der Welt zu finden sind, so werde ich selbige als große Gnade annehmen, und wenn er sie mir nicht schenkt, nun gut, ich bin einmal auf der Welt, und es soll der Mensch sich nicht auf den Menschen verlassen, sondern auf Gott, und außerdem wird mein Brot auch ohne Statthaltern mir ebenso gut und vielleicht noch besser schmecken, als wenn ich Statthalter wäre. Und kann ich etwa wissen, ob der Teufel nicht schon daran ist, mir bei dem Statthaltern ein Bein zu stellen, daß ich strauchle und falle und mir die Backenzähne einschlage? Als Sancho bin ich geboren, als Sancho will ich sterben. Wenn aber bei alledem, so ganz im guten und im stillen, ohne viel Bemühen und ohne viele Fährlichkeit, der Himmel mir irgendwo eine Insul oder was anderes der Art bescheren wollte, so bin ich nicht so dumm, es abzulehnen; denn es heißt im Sprichwort: Schenkt dir einer die Kuh, so lauf mit dem Strick herzu; und: Kommt das Glück gegangen, so sollst du es dir einfangen.«

»Freund Sancho«, versetzte Carrasco, »Ihr habt wie ein Professor gesprochen; aber trotz alledem baut auf Gott und auf Señor Don Quijote, der Euch ein Königreich und nicht bloß eine Insul schenken wird.«

»Zuviel ist ganz dasselbe wie zuwenig«, erwiderte Sancho. »Jedoch kann ich dem Herrn Carrasco sagen: wenn mein Herr mir ein Königreich schenken sollte, so würde es nicht in einen durchlöcherten Sack gesteckt werden; denn ich habe mir den Puls gefühlt und mich gesund genug gefunden, um Königreiche zu regieren und über Insuln den Statthalter abzugeben. Auch hab ich das schon früher meinem Herrn des öftern gesagt.«

»Bedenkt aber, Sancho«, sprach Sansón, »ein anderes Amt, ein anderer Sinn; und es wäre ja möglich, wenn Ihr einmal Statthalter seid, so kennt Ihr die Mutter nicht mehr, die Euch geboren.«

»Das ist von jenen Leuten zu verstehen«, entgegnete Sancho, »die auf einem Strohbündel zur Welt gekommen sind, und nicht von solchen, die ein paar Zoll Fett vom echten alten Christen auf der Seele sitzen haben wie ich. Nein! Oder seht Euch doch mein ganzes Wesen näher an, ob es derart ist, gegen irgendwen Undank zu üben.«

»Gott geb es«, sprach Don Quijote; »es wird sich alles schon finden, wann die Statthalterei kommt, und es bedünkt mich, ich sehe sie schon ganz nahe winken.«

Hierauf wendete er sich an den Baccalaureus mit der Bitte, wenn er ein Dichter sei, so möge er ihm die Gunst erweisen, ihm über den Abschied, den er von seiner Gebieterin Dulcinea von Toboso zu nehmen gedenke, einige Verse zu dichten, und möge darauf bedacht sein, an den Anfang einer jeden Zeile einen Buchstaben aus ihrem Namen zu setzen, so daß zuletzt, wenn man die Buchstaben aneinanderreihe, der Name Dulcinea von Toboso zu lesen sei.

Der Baccalaureus antwortete, obschon er nicht zu den berühmten Dichtern gehöre, die es in Spanien gebe, deren, wie die Leute sagen, nur drei und ein halber an der Zahl seien, so würde er doch sicher nicht unterlassen, die Reimzeilen in der gewünschten Versart niederzuschreiben. Indessen finde er eine große Schwierigkeit, sie so abzufassen, weil die Buchstaben, die den Namen bildeten, siebzehn an der Zahl seien, und wenn er kastilianische Strophen zu je vier Versen schreiben wollte, so würde ein Buchstabe zuviel sein, und schriebe er Strophen zu je fünf Versen, die man Décimas oder Redondillas nennt, so wären es drei Buchstaben zuwenig. Aber dessenungeachtet wollte er sich alle Mühe geben, um einen Buchstaben so gut wie möglich zwischen die andern einzuschieben, so daß der Name Dulcinea von Toboso dennoch in die vier kastilianischen Vierzeiler ginge.

»Auf alle Fälle muß es so geschehen«, sprach Don Quijote, »denn wenn der Name nicht klar und unverkennbar dasteht, so wird kein Frauenzimmer glauben, daß die Verse für sie geschrieben worden sind.«

Sie ließen es dabei bewenden und kamen überein, daß die Ausfahrt in acht Tagen stattfinden solle. Don Quijote schärfte dem Baccalaureus ein, sie geheimzuhalten, besonders vor dem Pfarrer und Meister Nicolas und seiner Nichte und der Haushälterin, damit sie seinem rühmlichen und mannhaften Entschluß keine Hindernisse bereiteten. Carrasco versprach alles, nahm hiermit Abschied und forderte Don Quijote auf, ihm bei Gelegenheit von all seinen guten oder schlimmen Erlebnissen Nachricht zu geben. Hiermit sagten sie einander Lebewohl, und Sancho ging heim, um das für seine Reise Erforderliche herzurichten.

40. Kapitel


Von allerhand, was diese Aventüre und denkwürdige Geschichte angeht und betrifft

In Wahrheit und Wirklichkeit muß ein jeglicher, der an solcherlei Geschichten wie dieser Gefallen findet, dem Sidi Hamét, ihrem ursprünglichen Verfasser, dankbar sein ob der Sorgsamkeit, mit der er selbst die kleinsten Sechzehntelnoten von ihrer Melodie uns hören läßt und auch am Geringfügigsten nicht vorbeigeht, ohne es klar ans Licht zu ziehen. Er zeigt uns die Gedanken, zieht den Vorhang von den Gebilden der Phantasie, antwortet auf die stillen Einwürfe des Lesers, hellt die Zweifel auf, entscheidet im Streit der Meinungen und Behauptungen und läßt selbst den wißbegierigsten Menschen die Atome des Gewünschten deutlich erschauen. O berühmter Schriftsteller! O beglückter Don Quijote! O ruhmreiche Dulcinea! O Sancho, du witziger Kopf! Ihr alle miteinander, und jeder für sich, möchtet ihr unzählige Jahrhunderte leben zum Vergnügen und allgemeinen Zeitvertreib aller Lebenden!

Es sagt nun die Geschichte, daß Sancho, wie er die Schmerzenreich in Ohnmacht sinken sah, ausrief: »Bei meiner Ehre als ehrlicher Mann und bei der Seel und Seligkeit all meiner Vorvordern, der Pansas, schwör ich, ein Abenteuer wie dieses hab ich nie gehört noch gesehen, noch ist dergleichen mir von meinem Herrn je erzählt worden noch ihm jemals in den Sinn gekommen. Daß doch, denn ich will dir nicht fluchen, tausend Teufel dich holten, du Zauberer und Riese Malambruno! Hast du denn für diese armen Sünderinnen keine andre Art Bestrafung gefunden, als sie zu bebarten? Ei, wär es nicht besser und für sie viel passender gewesen, ihnen die Nase von unten bis oben zu schlitzen, wenn sie auch nachher beim Sprechen genäselt hätten, als ihnen Bärte anzusetzen? Ich will wetten, sie haben nicht einmal Geld, um einen Bartscherer zu bezahlen.«

»So ist es in der Tat, Señor«, antwortete eine von den zwölfen, »wir haben kein Geld, um uns den Bart putzen zu lassen; und darum sind etliche von uns aus Sparsamkeit auf gepichtes Linnen oder Pechpflaster gekommen, das wir fest ans Gesicht drücken; und wenn wir es dann mit einem Ruck abreißen, so sind wir auf der Stelle sauber und glatt wie der Boden eines steinernen Mörsers. Obschon es in Candaya Weiber gibt, die von Haus zu Haus gehen, um die Härchen aus der Haut zu zupfen und die Augenbrauen zu glätten und allerhand Salben, wie Frauen sie brauchen, zu besorgen, so haben doch wir, die Kammerfrauen unsrer Prinzessin, ihnen nie Zutritt ins Schloß gestatten mögen; denn meist sind es herabgekommene Weiber, die zu uns heraufkommen wollten, sie bieten allerhand Mittel feil und sind feile Vermittlerinnen. Wenn uns vom Señor Don Quijote nicht Hilfe wird, so wird man uns mit Bärten zu Grabe tragen.«

»Ich will mir den meinigen«, versetzte Don Quijote, »im Maurenlande ausraufen lassen, wenn ich euch nicht von den eurigen helfe.«

In diesem Augenblick kam die Trifaldi aus ihrer Ohnmacht wieder zu sich und sagte: »Das liebliche Geläut dieser Verheißung, mannhafter Ritter, ist mitten in meiner Ohnmacht mir ins Ohr gedrungen und hat bewirkt, daß ich wieder zu mir kam und all meiner Sinne mächtig wurde; und so flehe ich Euch abermals an, o ruhmbekränzter Fahrender, o unbezähmbarer Mann, Euer gnadenreiches Versprechen zur Tat zu machen.«

»An mir soll es nicht fehlen«, erwiderte Don Quijote; »sagt mir, Señora, was ich tun soll; der Geist ist willig und gleich bereit, Euch zu dienen.«

»Die Sache ist die«, antwortete die Schmerzenreich, »daß es von hier bis zum Königreich Candaya, wenn man zu Lande reist, fünftausend Meilen weit ist, etwa zwei mehr oder weniger, wenn man aber durch die Luft und in gerader Linie reist, so sind es dreitausendzweihundertundsiebenundzwanzig. Auch ist noch zu bemerken, daß Malambruno mir sagte, wenn das Schicksal mir den Ritter, unsern Befreier, bescheren würde, so wolle er ihm einen besonderen Reitgaul schicken, einen weit tüchtigeren und nicht so bösartigen, als sonst die Mietgäule sind, denn es soll jenes nämliche hölzerne Pferd sein, auf welchem der tapfere Peter die schöne Magelone entführte, welches Pferd mittels eines Zapfens gelenkt wird, den es auf der Stirn hat und der als Zaum dient, und es fliegt mit solcher Geschwindigkeit durch die Lüfte, daß es aussieht, als ob der Teufel selber es holte. Dieses besagte Pferd ist nach der alten Sage von dem Zauberer Merlin angefertigt. Er lieh es dem Peter, der sein Freund war, und der machte auf ihm große Reisen und raubte, wie gesagt, die schöne Magelone; er führte sie auf der Kruppe durch die Lüfte, und alle, die ihm vom Erdboden aus nachsahen, sperrten Mund und Nase auf. Aber er lieh das Pferd nur, wem er hold war oder wer ihn am besten bezahlte, und seit dem großen Peter haben wir bis heute von keinem vernommen, der das Pferd bestiegen hätte. Aus Merlins Besitz hat Malambruno es mit seinen Künsten entführt und hat es jetzt in seiner Gewalt und bedient sich seiner auf den Reisen, die er alle Augenblicke durch verschiedene Teile der Welt unternimmt; heut ist er hier und morgen in Frankreich und nächsten Tages in Potosi. Und das Gute dabei ist, daß das besagte Pferd weder frißt noch schläft noch beschlagen werden muß; und es geht ohne Flügel einen solchen Paßgang in den Lüften, daß der Reiter, den es trägt, eine Tasse Wasser in der Hand halten kann, ohne einen Tropfen zu verschütten, so sachte und ruhig zieht es seines Weges; weshalb auch die schöne Magelone soviel Vergnügen daran fand, auf ihm zu reiten.«

Hier fiel Sancho ein: »Was den ruhigen Gang anbetrifft, geht nichts über meinen Esel. Zwar geht er nicht durch die Lüfte, aber auf dem Erdboden, da will ich ihn mit jedem Paßgänger in der Welt um die Wette gehen lassen.«

Alles brach in Lachen aus, und die Schmerzenreich fuhr fort: »Und dies besagte Pferd wird, sofern Malambruno wirklich unser Unglück zu beenden gewillt ist, spätestens eine halbe Stunde nach Anbruch der Dunkelheit vor unsern Augen dastehen; denn er hat mir bedeutet, zum Zeichen, daß ich den von mir gesuchten Ritter gefunden habe, wolle er mir so rasch als möglich das Pferd dahin senden, wo dieser Ritter sich befinde.«

»Und wie viele haben auf dem Pferd Platz?« fragte Sancho.

Die Schmerzenreich antwortete: »Zwei Personen, eine auf dem Sattel und eine auf der Kruppe, und meistenteils sind diese zwei Personen Ritter und Schildknappe, falls es kein Fräulein zu entführen gilt.«

»Da möchte ich wohl wissen, Señora Schmerzenreich«, sagte Sancho, »wie das Pferd heißt.«

»Es heißt nicht Pegasus wie das Roß des Bellerophon«, antwortete die Schmerzenreich, »auch nicht Bukephalus wie das Pferd Alexanders des Großen oder Brigliadoro wie das des rasenden Roldán; auch nicht Bajardo wie das des Rinald von Montalbán oder Frontino wie das von Rüdiger; noch Bootes oder Peritoa wie die Rosse des Sonnengottes oder Orelia wie das Roß, auf welchem der unglückliche Don Rodrigo, der letzte Gotenkönig, in die Schlacht zog, wo er Leben und Thron verlor.«

»Ich will wetten«, sprach Sancho, »wenn man ihm keinen von den berühmten Namen jener weltbekannten Gäule gegeben hat, so heißt es auch sicher nicht wie meines Herrn Pferd Rosinante, das für sich allein alle bei weitem übertrifft, die Ihr genannt habt.«

»So ist’s«, entgegnete die Gräfin im Barte; »aber immerhin paßt sein Name sehr gut, denn es heißt Holzzapferich der Geflügelte, und dieser Name stimmt dazu, daß es von Holz ist, und auch zu dem Zapfen, den es auf der Stirn trägt, und zu der Leichtigkeit, mit der es von dannen fährt; und daher kann es, soviel den Namen betrifft, sich wohl mit dem berühmten Rosinante messen.«

»Der Name gefällt mir nicht schlecht«, versetzte Sancho; »aber mit was für einem Zaum oder was für einem Halfterstrick wird das Pferd gelenkt?«

»Ich habe es schon gesagt«, antwortete die Trifaldi, »mit dem Zapfen; je nachdem diesen der Ritter, der darauf reitet, nach der einen oder andern Seite dreht, muß das Pferd hin, wo er will, sei es hoch in den Lüften, sei es nah an der Erde, gewissermaßen den Boden fegend, sei es zwischen beidem in der richtigen Mitte, die man ja bei jedem wohlüberlegten Vorhaben suchen und einhalten muß.«

»Das möcht ich wohl mit ansehen«, entgegnete Sancho; »aber wenn einer meint, ich würde hinaufsteigen in den Sattel oder auf die Kruppe, da könnte er ebensogut Birnen vom Ulmenbaum holen wollen. Das wäre schön! Wenn ich mich kaum auf meinem Grauen halten kann, auf meinem Sattel, der weicher ist als Seide, und da sollten sie jetzt verlangen, ich soll mich auf einer bretternen Kruppe oben halten, ohne Kissen und Polster! Gott’s Blitz, es fällt mir gar nicht ein, mich rädern zu lassen, um jemandem seinen Bart abzunehmen, wer’s auch sei! Jeder soll sich den Bart scheren lassen, wie’s ihm am besten paßt, ich aber denke nicht dran, meinen Herrn auf einer so weiten Reise zu begleiten; zumal ich doch für das Abscheren dieser Bärte sicherlich nicht so nötig bin wie zur Entzauberung unsres Fräuleins Dulcinea.«

»Freilich seid Ihr es, Freund«, entgegnete die Trifaldi, »und so sehr, daß wir ohne Euch bestimmt nichts ausrichten würden.«

»Zu Hilfe, ihr Leute des Königs!« rief Sancho. »Was gehen die Abenteuer der Ritter die Schildknappen an? Wenn die Ritter solche glücklich bestehen, sollen sie den Ruhm davontragen, und wir, wir sollen die Mühsal tragen? Herrgott im Himmelreich! Ja, wenn es noch wenigstens bei den Geschichtsschreibern hieße: Der und jener Ritter hat dies und jenes Abenteuer glücklich bestanden, aber mit Hilfe des N. N., seines Schildknappen, ohne den er es nicht zu bestehen vermocht hätte! Aber was soll man sagen, wenn sie ganz kurz hinschreiben: ›Don Paralipómenon von den drei Sternen bestand glücklich das Abenteuer mit den sechs Ungeheuern‹, ohne daß die Person seines Schildknappen, der bei allem zugegen war, auch nur genannt wird, gerade als wäre er gar nicht auf der Welt gewesen! Jetzt, werte Herrschaften, sag ich noch einmal, mein Herr mag allein hinziehen, und wohl bekomm es ihm; ich aber bleibe hier bei meiner gnädigen Frau Herzogin. Auch wäre es ja möglich, daß er bei seiner Rückkehr die Angelegenheit des Fräulein Dulcinea ums Drittel oder ums Fünftel gebessert fände; denn ich gedenke, wenn ich Zeit und nichts zu tun habe, mir eine Tracht Hiebe zu geben, daß kein Härchen mehr auf der Haut wachsen soll.«

»Trotz alledem müßt Ihr ihn begleiten, wenn es nötig sein sollte, biederer Sancho«, erklärte die Herzogin, »weil Euch Biedermänner darum bitten werden. Wegen Eurer törichten Angst dürfen die Gesichter dieser Damen nicht so behaart bleiben; das wäre wirklich ein übler Kasus.«

»Hier sag ich nochmals: Zu Hilfe, ihr Leute des Königs!« entgegnete Sancho. »Wenn dieses Liebeswerk für züchtige Fräulein oder für Mädchen aus der Waisenschule getan werden sollte, könnte sich der Mensch auf jederlei Mühsal einlassen; aber um diesen Kammerfrauen den Bart wegzuschaffen, das ist zu stark! Säh ich sie doch lieber alle mit Bärten, alle, von der größten bis zur kleinsten, von der verzwicktesten Zimperliese bis zur aufgedonnertsten Madam!«

»Ihr steht Euch schlecht mit den Kammerfrauen, Freund Sancho«, sagte die Herzogin; »Ihr haltet es allzusehr mit dem Apotheker von Toledo. Ihr habt wahrlich nicht recht; es sind Kammerfrauen in meinem Hause, die ein Muster aller Kammerfrauen sein können, und hier ist meine Doña Rodríguez, die mir gewiß nicht die Möglichkeit lassen wird, was andres zu sagen.«

»Mag Euer Exzellenz immerhin was andres sagen«, versetzte die Rodríguez, »Gott weiß von allem das Wahre; und mögen wir Kammerfrauen nun gut oder böse, bärtig oder glatthäutig sein, auch uns haben unsre Mütter zur Welt geboren wie alle andern Weiber; und da Gott uns auf die Welt gesetzt hat, so weiß er schon warum, und an seine Barmherzigkeit halte ich mich und an niemandes Bart.«

»Nun gut, Señora Rodríguez und Señora Trifaldi nebst Gesellschaft«, sprach Don Quijote, »ich hoffe zum Himmel, er wird mit erbarmendem Auge auf Euer Leid herabsehen und Sancho wird tun, was ich ihm gebiete. Käme nur der Holzzapferich! Sähe ich mich schon dem Malambruno gegenüber! Ich weiß, es gibt kein Schermesser auf Erden, das Eure Herrlichkeiten leichter scheren könnte als mein Schwert dem Malambruno seinen Kopf von den Schultern. Gott duldet die Bösen, aber nicht ewig.«

»Ach!« sagte jetzt die Schmerzenreich, »mögen alle Sterne in den Himmelskreisen auf Eure Hoheit, mutbeseelter Ritter, mit gnädigen Augen herabsehen und in Euer Gemüt alles Heil und alle Tapferkeit eingießen, auf daß Ihr Schild und Schirm seiet des kammerfraulichen Geschlechtes, des vielgeschmähten und niedergedrückten, des von Apothekern verabscheuten, des von Schildknappen gelästerten, des von jugendlichen Hausdienern verhöhnten! Wehe der Schelmin, die in der Blüte ihres Alters nicht lieber eine Nonne werden wollte als eine Kammerfrau! Wir unglückliches Kammergesinde! Wenn wir auch in gerader Linie von Hektor dem Trojaner herkommen, so werden unsre Herrschaften doch nie aufhören, uns Worte wie ›will Sie wohl!‹ ins Gesicht zu schleudern, gerade als dächten sie, durch so etwas Königinnen zu werden. O du Riese Malambruno, der du, wenn auch ein Zauberer, doch in deinen Versprechungen höchst zuverlässig bist, sende uns alsbald den unvergleichlichen Holzzapferich, damit unser Unglück ein Ende nehme; denn wenn die Hitze hereinbricht und diese unsere Bärte noch stehen, weh dann unserm Geschicke!«

Die Trifaldi sagte das mit so schmerzlichem Ausdruck, daß sie allen Anwesenden Tränen aus den Augen entlockte und selbst diejenigen Sanchos mit Naß füllte; und er nahm sich in seinem Herzen vor, seinen Herrn bis an das äußerste Ende der Welt zu begleiten, falls es wirklich hierauf ankäme, um diese ehrwürdigen Angesichter von ihrem Werg zu erlösen.

41. Kapitel


Von der Ankunft des Holzzapferich, benebst dem Ausgang dieser weitläufigen Aventüre

Mittlerweilen kam die Nacht heran und mit ihr der vorbestimmte Augenblick, wo das berühmte Pferd Holzzapferich anlangen sollte, dessen langes Ausbleiben Don Quijote schon beunruhigte; denn es deuchte ihn, da Malambruno mit dessen Zusendung zögerte, so sei entweder er nicht der Ritter, dem dies Abenteuer vorbehalten sei, oder aber Malambruno wage nicht, sich mit ihm auf einen Zweikampf einzulassen. Aber siehe, da traten urplötzlich vier wilde Männer in den Garten, sämtlich mit grünem Efeu bekleidet, und auf ihren Schultern trugen sie ein großes hölzernes Pferd. Sie stellten es aufrecht auf den Boden, und einer von den wilden Männern sprach: »Auf dieses Holzgerüste steige der Ritter, der Mut dazu hat.«

»Also steige ich nicht darauf«, sagte Sancho, »denn ich habe keinen Mut und bin kein Ritter.«

Der wilde Mann fuhr fort: »Und auf die Kruppe setze sich der Schildknappe, sofern der Ritter einen hat, und er vertraue dem mannhaften Malambruno, denn wenn nicht von seinem Schwerte, wird er von keinem andern gefährdet werden, ebensowenig wie von sonst irgendwelcher Bosheit. Er braucht nur diesen Zapfen, den das Pferd auf seinem Nacken hat, zu drehen, und es wird sie beide durch die Lüfte hintragen, wo Malambruno sie erwartet; aber damit ihnen der Aufstieg und die Höhe des Weges keinen Schwindel verursachen, müssen sie sich die Augen verbinden, bis das Pferd wiehert; das wird das Zeichen sein, daß sie ihre Reise vollendet haben.«

Mit diesen Worten ließen die viere den Holzzapferich stehen und kehrten mit höflichem Gebaren zurück des Weges, woher sie gekommen. Als die Schmerzenreich das Pferd erblickte, sprach sie unter Tränen zu Don Quijote: »Heldenhafter Ritter, Malambruno hat Wort gehalten, das Pferd ist zur Stelle, unsre Bärte wachsen noch immer, und eine jegliche von uns, mit jedem Haar in unsern Bärten flehen wir zu dir, sie uns zu scheren und zu schneiden, da du nun ja nichts weiter zu tun hast, als mit deinem Knappen das Pferd zu besteigen und diese Reise von so neuer Art glücklich zu beginnen.«

»Das werde ich tun, Frau Gräfin Trifaldi«, sprach Don Quijote, »und zwar mit großer Bereitwilligkeit und noch größerer Freudigkeit, ohne daß ich mich erst damit aufhalte, ein Kissen zu nehmen oder Sporen anzuschnallen, weil ich mich nicht aufhalten mag; so großen Drang fühl ich, Euch, Señora, und diese sämtlichen Kammerfrauen glattgeschoren und mit sauberm Kinn zu sehen.«

»Ich aber werde das nicht tun«, versetzte Sancho, »weder mit großer noch mit kleiner Bereitwilligkeit, in keinerlei Weise; und wenn wirklich diese Schererei nicht vor sich gehen kann, ohne daß ich mich auf die Kruppe setze, so mag mein Herr sich nur nach einem andern Schildknappen als Begleiter umtun und diese Damen nach einer andren Manier, sich die Gesichter glattzuputzen. Ich bin kein Hexenmeister, der sein Vergnügen daran hat, in den Lüften herumzufahren. Und was werden meine Insulaner sagen, wenn sie erfahren, daß ihr Statthalter droben in den Lüften spazierenfährt? Und dann noch mehr, nämlich da es dreitausend und soviel mehr Meilen von hier bis Candaya sind, so wird es, wenn das Pferd müde oder der Riese ärgerlich wird, länger als ein halb Dutzend Jahre dauern, bis wir heimkehren, und da wird es keine Insuln und keine Insulten mehr in der Welt geben, die etwas von mir wissen wollen. Und sintemalen man gemeiniglich sagt: Wer zaudert, der scheitert, und: Schenkt dir einer die Kuh, lauf mit dem Strick herzu, so bitt ich die Bärte dieser Damen, mich zu entschuldigen. In Rom ist es dem heiligen Petrus am wohlsten; ich meine, mir ist es am wohlsten in diesem Hause, wo man mir soviel Gnaden erweist und von dessen Herrn ich das hohe Glück erhoffe, Statthalter zu werden.«

Darauf sagte der Herzog: »Freund Sancho, die Insul, die ich Euch versprochen habe, läuft oder schwimmt Euch nicht davon, sie hat so tiefe Wurzeln in die Abgründe der Erde getrieben, daß man sie mit aller erdenklichen Anstrengung nicht herausreißen oder an eine andre Stelle bringen kann. Und da Ihr wohl wißt, daß ich weiß, wie es unter den höheren Ämtern keines gibt, das man nicht gewissermaßen mittels einer Art von Bestechung erlangt, bei dem einen mit mehr, bei dem andern mit weniger, so besteht diejenige, die ich mir für Eure Statthalterschaft geben lassen will, darin, daß Ihr mit Eurem Herrn Don Quijote hinzieht, um dies denkwürdige Abenteuer zum Ende und Ziel zu führen. Und ob Ihr nun auf dem Holzzapferich in der kurzen Frist zurückkehrt, die seine Schnelligkeit verheißt, oder ob Euch Euer feindseliges Geschick zu Fuße zurückführt, als Pilger von Herberge zu Herberge und von Schenke zu Schenke ziehend, stets findet Ihr, wann auch Eure Rückkehr stattfinde, Eure Insul da, wo Ihr sie gelassen habt, und Eure Insulaner vom nämlichen Wunsche beseelt, den sie immer gehegt, Euch als ihren Statthalter zu begrüßen, und mein Wille wird der nämliche bleiben; und setzet keinen Zweifel in diese Versicherung, denn Ihr würdet sonst meinem Wunsch, Euch gefällig zu sein, damit zu nahe treten.«

»Nicht weiter, Señor«, sprach Sancho; »ich bin ein armer Schildknappe, und meine Schultern können soviel Freundlichkeit nicht tragen. So mag denn mein Herr aufsitzen, so mag man mir meine Augen verbinden und mich Gott dem Herrn befehlen; auch möge man mich wissen lassen, ob ich, wann wir in jenen Vogelflughöhen dahinziehen, mich Gott unsrem Herrn anbefehlen oder die Engel anrufen darf, mir beizustehen.«

Hierauf antwortete die Trifaldi: »Sancho, freilich dürft Ihr Euch Gott befehlen oder wem Ihr möget, denn Malambruno, obschon ein Zauberer, ist ein Christ und betreibt seine Zaubersachen mit vielem Verständnis und großer Einsicht, ohne sich mit jemandem zu überwerfen.«

»Wohlauf denn«, sagte Sancho, »Gott steh mir bei und die Heilige Dreifaltigkeit von Gaeta.«

»Seit der denkwürdigen Aventüre mit den Walkmühlen«, sprach Don Quijote, »hab ich Sancho nie in solcher Angst gesehen wie jetzt, und wenn ich so an Vorbedeutungen glaubte wie andre, würde mir sein Kleinmut allerhand Bedenklichkeit in den Kopf setzen. Aber komm Er einmal hierher, Sancho; mit Erlaubnis dieser Herrschaften habe ich Ihm ein paar Worte unter uns zu sagen.«

Damit führte er Sancho beiseite in ein Gebüsch des Gartens, ergriff seine beiden Hände und sagte zu ihm: »Du siehst nun, Freund Sancho, welch ferne Reise unser wartet, und Gott weiß, wann wir von ihr zurückkehren oder welche Gelegenheit und Zeit uns dieses Unternehmen lassen wird. Darum möchte ich, du zögest dich jetzt in dein Gemach zurück, als ob du etwas für die Reise Nötiges holen wolltest, und gäbst dir da im Handumdrehen auf Rechnung der dreitausenddreihundert Hiebe, zu denen du dich verpflichtet hast, mindestens fünfhundert; die hast du dann schon einmal hinter dir, und frisch gewagt ist halb gewonnen.«

»Bei Gott«, entgegnete Sancho, »Euer Gnaden ist wohl nicht recht bei Troste. Das klingt gerade, wie man gemeiniglich sagt: ›Du siehst, ich bin in Eile, und verlangst von mir die Jungfernschaft!‹ Jetzt, wo ich auf einem bloßen Brett reiten soll, will Euer Gnaden, ich soll meine Sitzteile erst verdonnern? Wahrlich, wahrlich, Euer Gnaden ist nicht bei Verstand. Ziehen wir jetzt hin, diese Kammerfrauen zu scheren, und bei der Rückkehr, das versprech ich Euer Gnaden als Ehrenmann, will ich meine Verpflichtung so schnell abdienen, daß Euer Gnaden zufrieden sein wird, und mehr brauche ich Euch nicht zu sagen.«

Don Quijote erwiderte: »Nun denn, mit diesem Versprechen, mein guter Sancho, will ich mich zufriedengeben; ich glaube, du wirst es erfüllen, denn wenn auch dein Witz oft gar dürr ist, so bleibt doch deine Wahrheitsliebe immer grün.«

»Ich bin nicht grün«, entgegnete Sancho, »sondern braun; wäre ich aber auch gescheckt, so würde ich doch mein Wort halten.«

Und hiermit gingen sie zurück zur Gesellschaft, um den Holzzapferich zu besteigen; und beim Aufsteigen sprach Don Quijote: »Verbinde Er sich die Augen, Sancho, und steige Er auf, Sancho; denn wer aus so fernen Landen nach uns sendet, der tut es nicht, um uns zu hintergehen, schon um des geringen Ruhmes willen, der ihm daraus erwachsen kann, jemanden zu hintergehen, der ihm vertraut. Wenn aber auch alles ganz gegen meine Erwartung ausfallen sollte, so kann der Ruhm, dies Heldenstück unternommen zu haben, durch keine Bosheit je verdunkelt werden.«

»Auf denn, Señor!« sprach Sancho; »die Bärte und Tränen dieser Damen sitzen mir tief im Herzen, und kein Bissen wird mir schmecken, bis ich sie wieder in ihrer ursprünglichen glatten Haut sehe. Sitzt auf, gnädiger Herr, und verbindet Euch zuerst die Augen, denn wenn ich auf der Kruppe sitzen soll, so ist klar, daß der zuerst aufsteigen muß, der in den Sattel kommt.«

»So ist es in der Tat«, erwiderte Don Quijote. Darauf nahm er ein Schnupftuch aus der Tasche und bat die Schmerzenreich, ihm die Augen gut zu verbinden. Nachdem sie jedoch dies getan, band er es sich wieder auf und sagte: »Wenn ich mich recht entsinne, habe ich im Vergil die Geschichte vom trojanischen Palladium gelesen, einem hölzernen Roß, das die Griechen der Göttin Pallas zur Opfergabe darbrachten und dessen Bauch mit gewaffneten Rittern angefüllt war, die nachher Troja den Untergang brachten; und so wird es geraten sein, erst einmal nachzusehen, was der Holzzapferich in seinem Magen hat.«

»Das ist nicht nötig«, versetzte die Schmerzenreich; »ich bürge für ihn und ich weiß, daß Malambruno nichts vom Heimtücker oder vom Verräter an sich hat. Steigt nur ohne die geringste Furcht auf, und wenn Euch etwas geschieht, so komme alles Böse auf mein Haupt.«

Don Quijote hatte das Gefühl, wenn er noch irgend etwas in betreff seiner persönlichen Sicherheit sagen würde, so könnte dies seinen Heldenmut in übles Licht stellen, und daher stieg er ohne weitere Worte auf den Holzzapferich und befühlte den Zapfen, der sich leicht herumdrehen ließ; da er keine Steigbügel hatte und ihm die Beine herunterhingen, sah er geradeso aus wie eine Figur aus einem römischen Triumphzug auf einem flämischen Teppich. Sehr widerwillig und zögernd, kam Sancho zum Aufsteigen herbei, und als er sich so gut wie möglich auf der Kruppe zurechtgesetzt, fand er sie ziemlich hart, wenigstens sicherlich nicht weich, und bat den Herzog, man möchte ihn womöglich mit einem Kissen oder einem Polster versorgen, und wenn es auch vom Staatssessel der Frau Herzogin oder aus dem Bett eines Hausdieners wäre, denn die Kruppe dieses Pferdes scheine eher von Marmelstein als von Holz.

Hierauf entgegnete die Trifaldi, Holzzapferich leide kein Sattelzeug und keinerlei Zierat auf sich; was er aber tun könnte, sei, nach Weiberart aufzusitzen, da werde er die Härte des Holzes nicht so sehr spüren.

Sancho tat also, sagte Lebewohl und ließ sich die Augen verbinden, band sie sich aber gleich wieder auf, schaute alle im Garten Anwesenden gerührt und mit Tränen an und bat sie, ihm in diesem gefahrvollen Augenblick mit etlichen Vaterunser und Avemarias beizuspringen, auf daß Gott auch ihnen jemanden sende, der diese Gebete für sie hersage, wenn sie dereinst in ähnliche Gefahr kämen.

Da sprach Don Quijote: »Du Erzdieb, stehst du etwa unter dem Galgen oder nah dem Ende deines Lebens, daß du solche flehentlichen Bitten gebrauchst? Sitzest du nicht, feiges Geschöpf, auf demselben Platz, den die schöne Magelone eingenommen hat und von welchem sie abstieg, nicht um ins Grab zu kommen, sondern um Königin von Frankreich zu werden, wenn die Geschichtsbücher nicht lügen? Und ich, der ich dir zur Seite sitze, kann ich mich nicht dem streitbaren Peter an die Seite stellen, der einst am selben Platz gesessen hat wie ich? Umhülle dir die Augen, umhülle sie dir, mutlose Bestie, und laß deine Furchtsamkeit nicht auf deine Lippen heraustreten, wenigstens nicht in meiner Gegenwart.«

»Verbindet mir also die Augen«, entgegnete Sancho, »und da man nicht will, daß ich mich Gott befehle oder ihm von andern anbefohlen werde, was Wunder, wenn ich fürchte, daß ein ganzes Heer von Teufeln hier umgeht und uns nach Peralvillo schleppen will?«

So ließen sie sich denn die Augen verbinden, und sobald Don Quijote spürte, daß er richtig saß, fühlte er an den Zapfen, und kaum hatte er die Finger an ihn gelegt, da erhoben die sämtlichen Kammerfrauen und anderen Anwesenden ihre Stimmen und riefen: »Gott sei dein Führer, heldenhafter Ritter! Gott sei mit dir, tapferer Knappe! Schon, schon zieht ihr in jenen Lüften hin und durchschifft sie rascher beflügelt als ein Pfeil; schon beginnt ihr Staunen und Verwunderung bei allen zu erregen, die euch von der Erde aus mit ihren Blicken folgen. Halte dich fest, heldenkühner Sancho, du beginnst zu wanken; gib acht, daß du nicht fällst, denn dein Fall wäre schrecklicher als der jenes vermessenen Knaben, der den Wagen des Sonnengottes, seines Vaters, lenken wollte.«

Sancho vernahm die Zurufe und drückte sich fest an seinen Herrn, umschlang ihn mit den Armen und sprach zu ihm: »Señor, wie können die dort sagen, daß wir so hoch hinziehen, wenn doch ihre Worte bis hierher schallen und es sich nicht anders anhört, als ob sie dicht neben uns sprächen?«

»Stoße dich nicht daran, Sancho«, erwiderte Don Quijote, »denn da all dieses und diese ganze Luftreise außerhalb des gewöhnlichen Laufs der Dinge liegen, wirst du tausend Meilen weit sehen und hören, was du nur immer willst. Drücke mich auch nicht so stark, du wirfst mich hinab; und ich weiß in der Tat nicht, worüber du dich so ängstigst und entsetzest, denn ich kann beschwören, ich habe all meiner Lebtag kein Tier von ruhigerem Gang bestiegen; es ist gerade, als ob wir uns nicht von der Stelle bewegten. Verbanne, Freund, die Furcht; denn die Sache geht aufs beste, und wir haben den Wind im Rücken.«

»Das ist wahr«, erwiderte Sancho; »von dieser Seite her weht ein so starker Wind, daß es geradeso ist, als bliesen mir tausend Blasebälge ins Gesicht.«

Und so war es wirklich; es wurde ihnen aus großen Blasebälgen Luft zugeweht. Dies Abenteuer war vom Herzog und der Herzogin und vom Haushofmeister so gut angelegt worden, daß nicht das geringste Erfordernis zu seiner Vollständigkeit fehlte.

Als nun Don Quijote sich vom Winde heftig angeweht spürte, sagte er: »Ohne Zweifel, Sancho, müssen wir schon in die zweite Luftregion gekommen sein, wo der Hagel und der Schnee erzeugt werden. Der Donner, Blitz und Wetterstrahl entstehen in der dritten Region, und wenn wir auf diese rasche Weise immer höher steigen, so müssen wir baldigst in die Region des Feuers gelangen, und ich weiß nicht, wie ich die Kraft dieses Zapfens mäßigen soll, damit wir nicht zu einer Höhe steigen, wo wir verbrennen.«

Don Quijote

Jetzt hielt man ihnen von weitem an einem Stabe Flocken Werg entgegen, die leicht anzuzünden und auszulöschen waren, und machte ihnen die Gesichter damit heiß. Sancho spürte die Hitze und schrie: »Ich will mich totschlagen lassen, wenn wir nicht schon in der Gegend des Feuers oder ganz nahe daran sind, denn ein groß Stück vom Bart ist mir schon angebrannt. Ich möchte mir am liebsten das Schnupftuch herunterreißen, um zu sehen, wo wir sind!«

»Tu das nicht«, versetzte Don Quijote, »und denk an die wahre Geschichte vom Lizentiaten Torralva, den die Teufel im Flug auf einem Rohrstab reitend und mit geschlossenen Augen durch die Luft führten, und in zwölf Stunden gelangte er nach Rom und stieg an der Torre di Nona hernieder, was eine Straße der Stadt ist, und da sah er all das Getümmel und den Sturm und den Tod des Konnetabel von Bourbon, und am Morgen war er schon wieder in Madrid zurück, wo er alles erzählte, was er gesehen hatte; er sagte auch, daß ihn beim Reiten durch die Luft der Teufel die Augen öffnen hieß, und er öffnete sie wirklich und sah sich nach seiner Meinung so nahe bei der Mondscheibe, daß er sie hätte greifen können und daß er nicht nach der Erde zu blicken wagte, um nicht schwindlig zu werden. Sonach, Sancho, ist gar kein Grund, unsre Binde abzunehmen; jener, der die Sorge für uns übernommen hat, hat die Verantwortung für uns zu tragen. Vielleicht auch machen wir jetzt Vorstöße in die Luft und steigen in die Höhe, um dann mit einem Male auf das Königreich Candaya hinabzustoßen, wie die Jagdfalken oder Habichte auf den Reiher herabstoßen, um ihn zu packen, wenn er auch noch so hoch in die Lüfte steigen will. Und wiewohl es uns so vorkommt, als seien wir noch keine halbe Stunde vom Garten weggeflogen, so müssen wir dennoch, glaube ich, einen weiten Weg zurückgelegt haben.«

»Mag das sein, wie es will«, entgegnete Sancho Pansa; »ich kann nur so viel sagen, wenn das Fräulein Magellan oder Magelone mit diesem Sitz auf der Kruppe zufrieden war, so muß sie nicht gar so zart von Gliedern gewesen sein.«

Diesem ganzen Gespräch der beiden Tapfern hörten der Herzog und die Herzogin zu sowie die andern im Garten Anwesenden, und alle hatten das größte Vergnügen daran, und da man jetzt das seltsame und trefflich angelegte Abenteuer zu Ende bringen wollte, so legte man mittels einiger Flocken Werg Feuer an den Schwanz des Holzzapferich, und da das Pferd mit prasselnden Raketen angefüllt war, so flog es mit gewaltigem Krachen in die Luft und warf Don Quijote und Sancho halb versengt zu Boden. Inzwischen war bereits die bärtige Schar der Kammerfrauen und die Trifaldi und alles aus dem Garten verschwunden, und die andern im Garten noch Weilenden lagen wie ohnmächtig auf der Erde hingestreckt. Don Quijote und Sancho erhoben sich in übler Verfassung vom Boden, schauten sich nach allen Seiten um und wurden von Bestürzung erfaßt, als sie so viele Leute auf der platten Erde liegen sahen; aber ihr Erstaunen stieg noch höher, als sie seitwärts auf einer Stelle des Gartens einen Speer im Boden und an ihm ein glänzend weißes Pergament an zwei grünseidenen Schnüren hängen sahen, worauf mit großen goldenen Buchstaben das Folgende geschrieben stand:

Der ruhmstrahlende Ritter Don Quijote von der Mancha hat die Aventüre mit der Gräfin Trifaldi, sonst auch genannt die Kammerfrau Schmerzenreich, und Genossen glücklich bestanden und schon dadurch zu Ende geführt, daß er sich vorgenommen, sie zu vollenden. Malambruno erklärt sich für befriedigt, und alles sei ganz nach seinem Wunsche erledigt, und die Gesichter der Kammerfrauen sind bereits wieder glatt und sauber, und das Königspaar Don Clavijo und Antonomásia befindet sich in seinem früheren Zustand. Und sobald die Geißelung des Schildknappen vollbracht ist, wird sich die weiße Taube von den pesthauchenden Jagdfalken, die sie verfolgen, befreit und in den geliebten Armen ihres girrenden Täuberichs sehen. Denn also ist es verordnet durch den gelahrten Merlin, den obersten Zaubermeister aller Zauberkünstler.

Als nun Don Quijote die Inschrift des Pergaments gelesen hatte, begriff er sofort, daß hier von Dulcineas Entzauberung die Rede war; und nachdem er dem Himmel vielfach dafür gedankt, daß er mit so wenig Gefahr ein so großes Heldenwerk vollbracht und den Gesichtern der ehrwürdigen Kammerfrauen – die bereits nicht mehr zu sehen waren – ihre frühere Glätte wiedergegeben, schritt er zu der Stelle hin, wo der Herzog und die Herzogin noch in tiefer Ohnmacht lagen, ergriff den Herzog bei der Hand und sprach zu ihm: »Frischauf, mein trefflicher Fürst, guten Mut, guten Mut! Denn alles ist nichts! Das Abenteuer ist schon beendet ohne jemandes Schaden, wie es deutlich die Schrift zeigt, die dort an der Stange hängt.«

Der Herzog kam allmählich, wie noch in schwerem Traum befangen, wieder zu sich, und auf dieselbe Art und Weise die Herzogin, und ebenso alle anderen, die im Garten hingestreckt lagen, mit so lebhaften Zeichen des Erstaunens, ja des Entsetzens, daß man schier meinte, es sei ihnen das im Ernste begegnet, was sie so gut im Scherz zu spielen wußten.

Der Herzog las den Zettel mit halb geschlossenen Augen, eilte sogleich mit offenen Armen auf Don Quijote zu, ihn zu begrüßen, und sagte ihm, er sei der beste Ritter, der je auf Erden gelebt habe. Sancho suchte mit den Augen ringsherum nach der Schmerzenreich, um zu sehen, wie ihr Gesicht sich ohne Bart ausnehme und ob sie ohne diesen wirklich so schön sei, wie ihr ganzes stattliches Wesen verhieß; man sagte ihm aber, als der Holzzapferich brennend aus der Luft herabgefahren und auf den Erdboden gestürzt sei, da sei der Trupp Kammerfrauen mit der Trifaldi verschwunden und sie seien nun bereits glattgeschoren und ohne Stoppeln.

Die Herzogin fragte Sancho, wie es ihm auf der weiten Reise ergangen sei. Sancho antwortete: »Ich, Señora, spürte, daß wir, wie mein Herr mir sagte, durch die Region des Feuers flogen, und da wollte ich mir die Augen ein wenig aufbinden; aber mein Herr, den ich um Erlaubnis dazu bat, gab es nicht zu. Ich indessen, der ich in mir, ich weiß nicht was für ein paar Körnlein Neugier und Wissensdrang habe, gerade das zu erfahren, was man mir verwehrt und verbietet, ich habe mir ganz sachte, und ohne daß einer es sehen konnte, das Tüchlein dicht an der Nase ein klein bißchen von den Augen geschoben und nach der Erde hinuntergeblickt, und da kam es mir vor, daß die ganze Erde nicht größer war als ein Senfkorn und die Leute, die sich auf ihr herumtrieben, wenig größer als eine Haselnuß, woraus man sehen kann, wie hoch wir damals geflogen sein mußten.«

Darauf sprach die Herzogin: »Freund Sancho, überlegt Euch, was Ihr sagt; wie es mich bedünkt, habt Ihr die Erde nicht gesehen, sondern nur die Menschen, die sich auf ihr bewegten; und es ist klar, wenn die Erde Euch wie ein Senfkorn vorkam und jeder Mensch wie eine Haselnuß, so mußte ja ein Mensch allein schon die ganze Erde bedecken.«

»Das ist wahr«, erwiderte Sancho, »aber trotzdem habe ich ein Eckchen von ihr erblickt und habe sie ganz gesehen.«

»Bedenket, Sancho«, entgegnete die Herzogin, »wer ein Eckchen von etwas erblickt, sieht nicht das Ganze von dem, was er betrachtet.«

»Von derlei Betrachtungen verstehe ich nichts«, versetzte Sancho; »ich weiß nur, daß es gut wäre, wenn Eure Herrlichkeit im Sinn hielte, daß wir mittels Zauberei geflogen sind und ich also mittels Zauberei ganz wohl die ganze Erde sehen konnte und die Menschen alle, von wo aus ich dieselben auch betrachtet haben mag. Und wenn mir das nicht geglaubt wird, so wird mir Euer Gnaden auch nicht glauben, daß ich, als ich mir einmal das Tuch dicht an den Augenbrauen wegschob, mich so nah beim Himmel gesehen habe, daß es von mir bis zu ihm anderthalb Spannen weit war, und ich kann’s beschwören, Señora, er ist groß über alle Maßen. Nun trug es sich auch zu, daß wir in die Gegend kamen, wo sich die sieben Zicklein befinden, und bei Gott und meiner Seelen Seligkeit, sowie ich sie sah, denn als Kind bin ich in meiner Heimat ein Ziegenhüter gewesen, befiel mich die Lust, mich eine Weile mit ihnen zu unterhalten, und hätte ich dem nicht nachgegeben, so glaub ich, es hätte mir das Herz abgedrückt. Ich mach mich also dran und drauflos, und was tu ich? Ohne jemandem ein Wort zu sagen, auch meinem Herrn nicht, bin ich sachte und still vom Holzzapferich abgestiegen und hab mich mit den Zicklein unterhalten. Das sind wahre Goldveigelein, wahre Blumen an Schönheit! Beinahe dreiviertel Stunden, und der Holzzapferich rührte sich nicht von der Stelle und tat keinen Schritt vorwärts.«

»Und während der wackere Sancho sich mit den Ziegen unterhielt«, fragte der Herzog, »womit unterhielt sich der Señor Don Quijote?«

Darauf antwortete Don Quijote: »Da all diese Dinge und die Vorgänge solcher Art außerhalb der natürlichen Ordnung der Dinge sind, so ist es nicht besonders zu verwundern, wenn Sancho sagt, was er sagt; von mir aber muß ich sagen, daß ich mir das Tuch weder nach oben noch nach unten wegschob und weder Himmel noch Erde, weder Meer noch Ufer erblickt habe. Allerdings spürte ich, daß ich durch die Region der Luft schwebte und sogar der des Feuers nahe kam; aber daß wir über diese hinausgekommen wären, das kann ich nicht glauben. Denn da die Region des Feuers zwischen dem Mondhimmel und der letzten Luftregion ist, so konnten wir zu dem Himmel, wo sich die sieben Zicklein befinden, nicht hingelangen, ohne zu verbrennen; und da wir nicht angebrannt sind, so hat Sancho entweder gelogen oder geträumt.«

»Ich lüge nicht und träume nicht«, entgegnete Sancho; »oder aber fragt mich nur nach den Merkzeichen der besagten Zicklein, und ihr werdet erkennen, ob ich die Wahrheit sage oder nicht.«

»So sagt die Merkzeichen, Sancho«, sprach die Herzogin.

»Zwei von ihnen«, erwiderte Sancho, »sind grün, zwei rot, zwei blau, und eines ist buntgefleckt.«

»Das ist eine neue Art Ziegen«, bemerkte der Herzog, »und auf dieser unserer Erde kommen solche Farben nicht vor, ich meine Ziegen von solchen Farben.«

»Das ist sehr klar«, sagte Sancho; »es muß doch ein Unterschied sein zwischen den himmlischen und denen auf Erden.«

»Sagt mir, Sancho«, fragte der Herzog, »habt Ihr dort unter jenen Ziegen auch einen Geißbock gesehen?«

»Nein, Señor«, antwortete Sancho; »aber ich habe sagen hören, es komme kein Bock über die Hörner des Mondes hinaus.«

Man mochte ihn nicht weiter über seine Reise ausfragen, denn es kam ihnen vor, als hätte Sancho einen hinreichend langen Faden gesponnen, um daran durch alle Himmel hindurchzuspazieren und von allem, was dort vorging, Bericht zu geben, ohne einen Fuß aus dem Garten gesetzt zu haben.

Genug, dies war das Ende des Abenteuers mit der Kammerfrau Schmerzenreich, das dem herzoglichen Paare nicht nur für jetzt, sondern für ihr ganzes Leben Stoff zum Lachen gab und Sancho Stoff, jahrhundertelang zu erzählen, wenn er so lang gelebt hätte. Don Quijote aber trat dicht an Sancho heran und flüsterte ihm ins Ohr: »Sancho, da Er will, ich soll Ihm glauben, was Er im Himmel gesehen hat, so will ich, Er soll mir glauben, was ich in der Höhle des Montesinos gesehen. Mehr sag ich Ihm nicht.«