65. Kapitel


Wo berichtet wird, wer der Ritter vom weißen Mond gewesen, wie auch Don Gaspár Gregorios Befreiung, nebst andern Begebnissen

Don Antonio Moreno folgte dem Ritter vom weißen Monde nach, und ebenso folgten ihm, ja verfolgten ihn viele Gassenjungen bis zu einem Wirtshaus in der Stadt, wo sie ihn förmlich belagerten. Don Antonio ging hinein, um ihn kennenzulernen. Ein Schildknappe kam dem Ritter entgegen, um ihn zu begrüßen und ihm die Rüstung abzunehmen; er zog sich in ein Zimmer des Erdgeschosses zurück, und mit ihm Don Antonio, der sich vor Neugier nicht lassen konnte, zu erfahren, wer er sei. Da nun Der vom weißen Monde sah, daß der Edelmann nicht von ihm weichen wollte, sagte er zu ihm: »Ich weiß wohl, Señor, warum Ihr kommt; Ihr wollt wissen, wer ich bin; und da kein Grund vorhanden ist, Euch Euren Wunsch zu versagen, so will ich, während mir mein Diener die Rüstung abnimmt, Euch die Geschichte erzählen, ohne von den Tatsachen nur einen Punkt auszulassen. Wisset, Señor, ich bin der Baccalaureus Sansón Carrasco. Ich bin aus dem gleichen Dorf wie Don Quijote von der Mancha, dessen Verrücktheit und Albernheit uns alle, die wir ihn kennen, tief bekümmert. Unter denen, die ihn am meisten bedauerten, war ich, und da ich glaubte, seine Genesung hänge davon ab, daß er sich ruhig verhalte und in seiner Heimat und zu Hause bleibe, so entwarf ich einen Anschlag, um ihn dazu zu zwingen. So mag es nun drei Monate her sein, daß ich ihm auf seinem Wege entgegentrat, als fahrender Ritter unter dem angenommenen Namen des Spiegelritters, um mit ihm zu kämpfen und ihn zu besiegen, ohne ihm einen Schaden zuzufügen, wobei ich als Bedingung unsres Kampfes bestimmte, daß der Besiegte dem freien Willen des Siegers anheimfallen solle; und was ich im Sinn hatte von ihm zu verlangen – denn ich hielt ihn bereits für besiegt –, war, daß er nach seinem Dorfe zurückkehren und es während eines ganzen Jahres nicht verlassen sollte, da er in dieser Frist geheilt werden könnte. Aber das Schicksal fügte es anders, denn er besiegte mich und warf mich vom Pferde, und so blieb mein Plan unausgeführt. Er setzte seinen Weg fort, und ich kehrte heim, besiegt, beschämt und zerschlagen von meinem Fall, der höchst gefährlich war; aber darum erlosch in mir keineswegs der Wunsch, ihn abermals aufzusuchen und zu besiegen, wie heute geschehen. Und da er so gewissenhaft in der Beobachtung aller Vorschriften des fahrenden Rittertums ist, so wird er ohne den geringsten Zweifel, um sein Wort zu erfüllen, auch diejenigen befolgen, die ich ihm gegeben habe. Dieses ist, Señor, der Verlauf der Sache, ohne daß ich sonst noch etwas beizufügen hätte. Ich bitte Euch dringend, verratet mich nicht und sagt Don Quijote nicht, wer ich bin, damit meine gute Absicht erreicht wird und ein Mann wieder in den Besitz seiner Geistesgaben gelangt, der einen so ausgezeichneten Verstand hat, sobald die Torheiten des Rittertums von ihm weichen.«

»O Señor!« sprach Don Antonio, »Gott verzeihe Euch die Unbill, die Ihr der ganzen Welt antut, wenn Ihr den kurzweiligsten Narren, den sie besitzt, wieder zu Verstand bringen wollt! Seht Ihr denn nicht, Señor, daß aller Nutzen, den Don Quijotes Verstand stiften würde, niemals an das Vergnügen heranreichen kann, das er mit seinen Narreteien der Welt verschafft? Aber ich glaube, daß alle Kunst und Mühe des Herrn Baccalaureus nicht ausreichen werden, um einen so durch und durch verrückten Menschen wieder gescheit zu machen, und wenn es nicht gegen die Nächstenliebe wäre, so würde ich sagen, niemals möge Don Quijote wieder genesen! Denn durch seine Gesundheit verlieren wir nicht allein seine ergötzlichen Possen, sondern auch die seines Knappen Sancho Pansa, von denen eine jede die Schwermut selber fröhlich stimmen könnte. Trotz alledem werde ich schweigen und ihm nichts sagen, damit ich sehe, ob meine Vermutung richtig war, daß das von dem Señor Carrasco gebrauchte Mittel ohne Erfolg bleiben wird.«

Dieser meinte, sicherlich sei das Unternehmen bereits in gutem Fortgang, und er hoffe auf dessen glücklichen Erfolg.

Nachdem Don Antonio ihm angeboten, alle seine etwaigen Aufträge auszuführen, verabschiedete sich Carrasco von ihm, ließ seine Waffen auf einen Maulesel binden, bestieg unverzüglich das Pferd, auf dem er zu dem Kampfe geritten, verließ die Stadt noch am nämlichen Tage und kehrte nach seiner Heimat zurück, ohne daß ihm etwas begegnete, was uns veranlassen könnte, es in dieser wahrhaften Geschichte zu berichten.

Don Antonio erzählte dem Vizekönig alles, was Carrasco ihm mitgeteilt hatte, und der Vizekönig freute sich nicht sonderlich darüber, denn durch Don Quijotes Abschließung von der Welt gehe all das Vergnügen verloren, das jetzt ein jeder genießen könne, der von seinen Narreteien vernehme.

Sechs Tage lang lag Don Quijote zu Bett, niedergeschlagen, betrübt, in tiefem Nachsinnen und in übler Stimmung, und ließ seine Gedanken beständig in der Betrachtung seiner unglückseligen Niederlage hin und her schweifen. Sancho sprach ihm Trost zu und sagte ihm unter andrem: »Herre mein, haltet doch den Kopf hoch und heitert Euch auf und sagt dem Himmel Dank, denn hat er Euch auch zu Boden geworfen, so habt Ihr doch keine Rippe gebrochen, und Ihr wißt ja, wer ausgibt, nimmt auch ein, und wo’s Haken gibt und Stangen, fehlt oft der Speck, ihn dranzuhängen. So schlaget dem Arzt ein Schnippchen, sintemal Ihr ihn nicht nötig habt, um Euch von dieser Krankheit zu heilen. Wir wollen nach Hause zurück und wollen das Abenteuersuchen sein lassen in Ländern und Gegenden, die wir nicht kennen. Wenn man es aber recht überlegt, bin ich’s, der am meisten dabei verliert, wenn Ihr auch dabei am schlimmsten seid zugerichtet worden. Ich, der ich mit der Statthalterschaft den Wunsch aufgesteckt habe, nochmals ein Statthalter zu werden, habe keineswegs der Lust entsagt, ein Graf zu werden, aber die Lust wird niemals ihr Ziel erreichen, wenn Euer Gnaden zugleich mit dem Aufgeben Eures ritterlichen Berufs es aufgibt, ein König zu werden. Und sonach gehen jetzt meine Hoffnungen in Rauch auf.«

»Schweig, Sancho«, erwiderte Don Quijote, »sintemal du siehst, daß meine Abschließung und Zurückgezogenheit von der Welt ein Jahr nicht überschreiten wird; and gleich nachher werde ich mich wieder zu meinem ehrenvollen Beruf wenden, und da wird es mir nicht an Königreichen fehlen und an einer Grafschaft für dich.«

»Das möge Gott hören und der Vater der Sünde dabei taub sein!« sprach Sancho; »ich habe immer sagen hören, ein gutes Hätt-ich ist besser als ein schlechtes Hab-ich.«

So weit waren sie in ihrem Gespräche gekommen, als Don Antonio eintrat und mit freudigstem Gesichte sagte: »Gebt mir Botenlohn, Señor Don Quijote; Don Gaspár Gregorio und der Renegat, der ausgesendet worden, ihn zu holen, sind schon am Strande angelangt; was sage ich am Strande? Sie sind schon im Hause des Vizekönigs und werden im Augenblick hier sein.«

Don Quijotes Gesicht heiterte sich ein wenig auf, und er sprach: »Wahrlich, ich möchte beinahe sagen, ich würde mich gefreut haben, wenn alles schlecht gegangen wäre, weil das mich gezwungen hätte, nach der Berberei zu ziehen, wo ich durch die Kraft meines Armes nicht nur Don Gaspár Gregorio, sondern allen Christensklaven in der Berberei die Freiheit verschafft hätte. Aber was sage ich Elender? Bin ich nicht der Besiegte? Bin ich nicht der, welcher ein ganzes Jahr lang an keine Waffe rühren darf? Was verspreche ich also? Wessen rühme ich mich, da es mir eher ziemt, mit dem Spinnrocken umzugehen als mit dem Schwerte?«

»Laßt das doch, Señor«, sprach Sancho. »Die Henne soll hochleben, auch wenn sie den Pips hat; heute dir, morgen mir. Bei solchen Gefechten und Balgereien weiß man nie, wie sie ausgehen; denn wer heute fällt, kann morgen aufstehen, wenn er nicht im Bett bleiben will, ich meine, wenn er sich seiner Schwäche hingeben will und keinen neuen Mut zu neuen Kämpfen faßt. Jetzt aber muß Euer Gnaden aufstehen und Don Gaspár Gregorio empfangen, denn mich dünkt, die Leute sind alle in Aufruhr, und er muß schon hier im Hause sein.«

Und so war es auch in der Tat, denn Don Gaspár und der Renegat hatten dem Vizekönig bereits über die Hinreise und die Rückkehr Bericht erstattet, und Gregorio, in seiner Sehnsucht, Ana Felix zu sehen, war mit dem Renegaten in Don Antonios Haus geeilt. Obwohl Gregorio, als er von Algier weggebracht wurde, noch in Frauentracht ging, so hatte er sie auf dem Schiffe mit den Kleidern eines Sklaven vertauscht, der zugleich mit ihm entflohen war. Indessen, in welcher Tracht er auch erschienen wäre, so hätte man ihm stets den Menschen angesehen, der geboren war, um Liebe, bereitwilliges Entgegenkommen und Achtung bei allen zu finden, denn er war über die Maßen schön und sein Alter anscheinend nicht höher als siebzehn bis achtzehn Jahre. Ricote und seine Tochter eilten zu ihm hinaus, um ihn zu begrüßen, der Vater mit Tränen und die Tochter mit züchtiger Scheu. Sie umarmten einander nicht, denn wo große Liebe ist, da pflegt man sich nicht leicht große Freiheiten herauszunehmen. Als diese beiden, Gregorio und Ana Felix, in ihrer Schönheit beisammenstanden, erregten sie die Bewunderung aller Anwesenden. Hier war es nur das Schweigen, das für die beiden Liebenden redete, und die Augen allein waren die Dolmetscher ihrer freudigen und reinen Gedanken.

Der Renegat erzählte die Künste und Mittel, die er zur Befreiung Gregorios angewendet. Gregorio berichtete von den Gefahren und Bedrängnissen, von denen er sich unter den Frauen, bei welchen er weilen mußte, bedroht gesehen; er erzählte sie nicht in ausführlicher Darlegung, sondern mit kurzen Worten, die bewiesen, daß sein Verstand seinen Jahren weit voraus war.

Ricote bezahlte nun und belohnte freigebig sowohl den Renegaten als auch die Leute, die auf den Bänken das Ruder geführt hatten. Der Renegat wurde der Kirche wiedergegeben und ihr aufs neue einverleibt; und aus einem kranken und faulen Gliede wurde er ein reines und gesundes durch Buße und Reue.

Zwei Tage darauf besprach sich der Vizekönig mit Don Antonio über die Frage, auf welche Weise sie bewirken könnten, daß Ana Felix und ihr Vater in Spanien bleiben dürften, da es nach ihrer Meinung keinen Nachteil mit sich brächte, wenn eine so gut christliche Jungfrau mit ihrem dem Anscheine nach so wohlgesinnten Vater auch fernerhin im Lande verweilte. Don Antonio erbot sich, nach der Residenz zu gehen, um darüber zu verhandeln, da er ohnehin wegen andrer Geschäfte notwendig dahin müßte, und er deutete an, daß dort durch Gunst und Geschenke viele schwierige Angelegenheiten glücklich zu Ende geführt würden.

»Nein«, sagte Ricote, der bei dieser Unterredung zugegen war, »auf Gunst und Geschenke ist nicht zu bauen; denn bei dem großen Don Bernardino de Velasco, Grafen von Salazár, welchem Seine Majestät unsre Austreibung aufgetragen hat, helfen weder Bitten noch Versprechungen noch Geschenke noch Wehklagen; und wenn er auch zwar Barmherzigkeit mit Gerechtigkeit vereint, so sieht er doch, daß der ganze Körper unsres Volkes angesteckt und angefault ist, und er behandelt ihn lieber mit dem glühenden Eisen, das ausbrennt, als mit der Salbe, die aufweicht und lindert; und so hat er mit Klugheit, mit Einsicht, mit Tätigkeit, mit der Furcht, die er den Schlechten einflößt, die Last dieses großen Unternehmens auf seinen starken Schultern zu tragen gewußt, bis er seinen Auftrag zur gebührenden Ausführung gebracht, ohne daß unsre Anschläge, Künste, Bitten und Betrügereien seine Argusaugen wenden konnten, die er immer wachsam hält, damit keiner von den Unsern zurückbleiben oder sich vor ihm verstecken könne, um als verborgene Wurzel künftig neu auszuschlagen und giftige Früchte in Spanien hervorzubringen, das jetzt gereinigt und von der Furcht erlöst ist, in der unsre große Anzahl es lange Zeit hielt. Ein heldenmütiger Entschluß des großen Philipp des Dritten! Und außergewöhnlich weise, daß er mit der Ausführung diesen Don Bernardino de Velasco beauftragt hat.«

»Jedenfalls werde ich«, sagte Don Antonio, »wenn ich einmal dort bin, alle möglichen Schritte tun, und dann mag der Himmel es fügen, wie er es für am besten hält. Don Gaspár soll mit mir gehen, um seinen Eltern Trost zu bringen nach dem Kummer, den seine Abwesenheit ihnen bereitet hat; Ana Felix soll bei meiner Frau in meinem Hause oder in einem Kloster leben, und ich bin überzeugt, der Herr Vizekönig wird es gern sehen, daß der brave Ricote in seinem Hause bleibt, bis wir sehen, ob ich mit Glück unterhandle.«

Der Vizekönig war mit allen diesen Vorschlägen einverstanden, aber als Don Gaspár Gregorio erfuhr, was im Werk war, erklärte er, er könne oder wolle unter keiner Bedingung Doña Ana Felix verlassen. Da er indessen die Absicht hatte, seine Eltern zu besuchen und dann Vorkehrungen zu treffen, Ana nachzuholen, so willigte er zuletzt in den vereinbarten Plan. Ana Felix blieb bei Don Antonios Gemahlin und Ricote im Hause des Vizekönigs.

Es kam der Tag der Abreise Don Antonios und zwei Tage später der Don Quijotes und Sanchos; der Sturz mit dem Pferde erlaubte dem Ritter nicht, sich früher auf den Weg zu begeben. Es gab Tränen, es gab Seufzer, Ohnmächten und Schluchzen, als Don Gaspár von Ana Felix Abschied nahm. Ricote bot ihm tausend Goldtaler an, wenn er sie wünsche, aber er nahm nichts von ihm, sondern nur fünf, die ihm Don Antonio lieh und deren Rückzahlung in der Residenz er versprach. Und so reisten denn die beiden ab und später, wie gesagt, Don Quijote und Sancho, Don Quijote ohne Wehr und Waffen und in Reisekleidern, Sancho zu Fuß, weil der Esel mit Wehr und Waffen beladen war.

66. Kapitel


Welches von Dingen handelt, die der ersehen wird, der sie lieset, oder hören wird, der sie sich vorlesen läßt

Als Don Quijote von Barcelona schied, betrachtete er sich noch einmal die Stelle, wo er gestürzt war, und sagte: »Hier stand einst Troja; hier hat mein Unglück und nicht meine Feigheit mir den erworbenen Ruhm entrissen, hier hat das Glück seinen Wankelmut an mir erwiesen; hier wurden meine Heldentaten mit Dunkel umzogen; hier, mit einem Wort, stürzte mein Glück zusammen, um sich nie mehr zu erheben.«

Als Sancho diese Wehklage hörte, sagte er: »Tapferen Herzen, Herre mein, ist es ebenso eigen, Geduld im Unglück zu haben wie Freudigkeit im Glücke. Das kann ich an mir selbst erkennen; wenn ich mich vergnügt fühlte, als ich Statthalter war, so bin ich jetzt, wo ich Schildknappe zu Fuß bin, darum nicht traurig; denn ich habe sagen hören, was man in der Welt Fortuna nennt, das sei ein betrunkenes und launisches und obendrein blindes Weib und sehe darum nicht, was es tut, und wisse nicht, wen es niederwirft und wen es erhebt.«

»Du bist ja ein ganzer Philosoph, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »du sprichst wie ein vernünftiger Mensch; ich weiß nicht, wer dich das lehrt. Ich muß dir aber sagen, daß es keine Fortuna auf der Welt gibt und daß alles, was auf Erden geschieht, mag es böse oder gut sein, nicht durch Zufall kommt, sondern durch besondere Schickung des Himmels; und darum pflegt man auch zu sagen: jeder ist seines Glückes Schmied. Ich bin des meinigen Schmied gewesen, aber nicht mit der nötigen Vorsicht, und so ist mich mein Dünkel teuer zu stehen gekommen, da ich hätte bedenken müssen, daß der gewaltigen Größe des Rosses, das den Ritter vom weißen Mond trug, die Schwächlichkeit Rosinantes nicht widerstehen konnte. Ich wagte es dennoch, ich tat, was ich vermochte, ich ward niedergeworfen, und habe ich auch die Ehre eingebüßt, so habe ich doch die Tugend des Worthaltens nicht eingebüßt und kann sie nicht einbüßen. Als ich ein fahrender Ritter, ein kühner und mannhafter, war, habe ich mit meinen Werken und mit meiner Hände Kraft den Wert meiner Taten erwiesen; und jetzt, wo ich ein fußwandernder Knappe bin, werde ich den Wert meiner Worte erweisen durch die Erfüllung des Versprechens, das ich gegeben. Wandere demnach fürbaß, Freund Sancho; wir wollen in unsrer Heimat das Probejahr aushalten und werden durch die Abgeschlossenheit unsres Lebens neue Kraft gewinnen, um dann zu dem Waffenhandwerk zurückzukehren, das ich nie aufgeben werde.«

»Señor«, versetzte Sancho, »zu Fuße wandern ist kein so vergnügliches Ding, daß es mich bewegen und anreizen sollte, große Tagereisen zu machen. Lassen wir diese Wehr und Waffen an einem Baume hängen wie einen zum Strick Verurteilten; und wenn ich alsdann wieder auf dem Rücken meines Grauen sitze und die Beine nicht auf die Erde setzen muß, da wollen wir lange Tagereisen machen, so lang, als Ihr sie begehren und abmessen wollt. Wenn Ihr aber glaubt, daß ich zu Fuß gehen und große Tagereisen machen werde, das heißt das Unglaubliche glauben.«

»Wohlgesprochen, Sancho«, entgegnete Don Quijote. »Meine Waffen sollen als Siegesmal aufgehängt werden, und unter ihnen oder rings um sie her wollen wir in die Bäume eingraben, was am Waffenmal Roldáns geschrieben stand:

Es rühre keiner diese Waffen an,
Der nicht Roldán im Streit bestehen kann.«

»Alles das scheint mir wunderschön«, versetzte Sancho, »und wenn’s nicht deshalb wäre, weil uns Rosinante für die Reise fehlen würde, so wäre es gut, auch ihn mit aufzuhängen.«

»Nein, weder ihn noch die Waffen will ich aufhängen lassen«, entgegnete Don Quijote, »damit man nicht sage: für gute Dienste schlechter Lohn.«

»Euer Gnaden hat sehr wohl gesprochen«, versetzte Sancho, »denn gescheite Leute sagen, man soll des Esels Schuld nicht auf den Sattel schieben; und da Euer Gnaden die Schuld an diesem Vorfall hat, so mögt Ihr Euch immerhin selbst bestrafen und Euern Zorn nicht an den ohnehin schon zerbrochenen und blutigen Rüstungsstücken noch an Rosinantes Sanftmütigkeit auslassen noch an der Weichheit meiner Füße, wenn Ihr verlangt, daß sie mehr, als recht ist, wandern sollen.«

Unter solchen Gesprächen und Unterhaltungen verging ihnen dieser ganze Tag und so noch vier andre, ohne daß ihnen etwas begegnete, was ihre Reise aufgehalten hätte. Am fünften Tage aber fanden sie beim Einzug in ein Dorf vor der Tür eines Wirtshauses eine Menge Leute, die sich da, weil es Festtag im Orte war, die Zeit vertrieben. Als Don Quijote sich ihnen näherte, erhob ein Bauer die Stimme und sagte: »Einer von diesen beiden Herren, die da kommen, da sie die Parteien nicht kennen, soll sagen, was bei unsrer Wette anzufangen ist.«

»Gewiß will ich das sagen«, entgegnete Don Quijote, »und zwar ganz nach dem Rechte, falls ich nur imstande bin, eure Wette richtig zu verstehen.«

»Der Fall ist der«, erklärte der Bauer, »mein guter Herr, daß ein Einwohner dieses Ortes, der so dick ist, daß er fast drei Zentner wiegt, einen andern, der nicht mehr als eineinviertel Zentner wiegt, zum Wettlauf herausgefordert hat. Bedingung war, daß sie einen Weg von hundert Schritten mit gleichem Gewichte laufen sollten; und als man den Herausforderer fragte, wie das Gewicht ausgeglichen werden solle, sagte er: der Herausgeforderte, der nur einhundertfünfundzwanzig Pfund wiegt, solle sich einhundertfünfundsiebzig Pfund Eisen aufladen, dann seien die drei Zentner des Dicken ausgeglichen.«

»Nichts da«, fiel hier Sancho ein, ehe noch Don Quijote eine Antwort geben konnte; »mir, der ich erst vor wenigen Tagen aus Statthalterschaft und Richteramt geschieden bin, wie die ganze Welt weiß, mir kommt es zu, derlei Zweifelsfragen auf den Grund zu kommen und bei jedem Prozeß den Spruch zu fällen.«

»Antworte denn in Gottes Namen, Freund Sancho«, sagte Don Quijote; »ich bin jetzt nicht imstande, einen Hund hinter dem Ofen hervorzulocken, so zerrüttet und verdreht ist mir der Kopf.«

Auf diese Erlaubnis hin sprach Sancho zu den Bauern, deren viele mit offenem Munde um ihn herumstanden und aus seinem Munde den Spruch erwarteten: »Freunde, was der Dicke verlangt, hat keinen Sinn und nicht den geringsten Schatten von Recht; denn wenn es wahr ist, daß der Herausgeforderte die Waffen wählen kann, so darf der Herausforderer keine solchen wählen, die den andern hindern oder gänzlich abhalten, als Sieger aus dem Kampfe hervorzugehen. Und sonach ist mein Urteil dieses: daß der dicke Forderer sich ausputzen, säubern, abreiben, striegeln und abschaben und solcherweise einhundertfünfundsiebzig Pfund seines Fleisches wegnehmen soll von dieser oder jener Stelle seines Körpers, wie es ihm am besten dünkt oder am besten ist; und da ihm so ein Gewicht von einhundertfünfundzwanzig Pfund übrigbleibt, wird er den einhundertfünfundzwanzig Pfund seines Gegners gleichkommen, und so werden sie unter gleichen Bedingungen miteinander laufen.«

»Hol mich der und jener«, sprach da ein Bauer, der Sanchos Spruch zugehört hatte, »der Herr hat geredet wie ein Heiliger und geurteilt wie ein Domherr. Aber gewiß wird der Dicke sich nicht zwei Lot von seinem Fleische wegnehmen wollen, geschweige denn einhundertfünfundsiebzig Pfund.«

»Das beste ist, wenn sie gar nicht laufen«, meinte ein andrer, »damit der Magere sich nicht mit dem Gewicht überlastet und der Dicke nicht nötig hat, sich zu zerfleischen. Die Hälfte der Wette soll auf Wein verwendet werden, und wir wollen diese Herren in die Schenke mitnehmen, wo man den Guten schenkt, und solltet ihr dabei beregnet werden, so werft mir ’nen Mantel um.«

»Ich meinesteils, meine Herren«, antwortete Don Quijote, »muß dafür danken; ich kann mich keinen Augenblick aufhalten, denn Gedanken und Erlebnisse schmerzlicher Art zwingen mich, unhöflich zu erscheinen und rascher als gewöhnlich zu reisen.«

Hiermit gab er Rosinante die Sporen und ritt weiter, und sie alle blieben verwundert stehen über sein seltsames Aussehen und über die Gescheitheit seines Dieners, denn dafür hielten sie Sancho. Und ein andrer von den Bauern sagte: »Wenn ein Diener so gescheit ist, wie muß erst der Herr sein? Ich will wetten, wenn sie nach Salamanca studieren gehen, so werden sie im Handumdrehen Oberhofrichter; denn alles ist Narretei, außer studieren und immer wieder studieren und Gunst und Glück haben, und ehe einer sich’s versieht, steht er da mit einem Richterstab in der Hand oder mit einer Bischofsmütze auf dem Kopf.«

Diese Nacht verbrachten Herr und Diener mitten auf dem Felde unter freiem sternhellem Himmel. Als sie am nächsten Tage ihren Weg fortsetzten, sahen sie einen Mann zu Fuß ihnen entgegenkommen, einen Zwerchsack am Halse hängend und eine Pike oder einen kleinen Spieß in der Hand, ganz nach der Art eines Eilboten zu Fuß. Dieser, als er Don Quijote von weitem erblickte, beschleunigte seine Schritte, eilte halb laufend auf ihn zu, schlang ihm den Arm um den rechten Schenkel, denn höher hinauf reichte er nicht, und sprach zu ihm mit Bezeigungen lebhaftester Freude: »O Señor Don Quijote von der Mancha, wie große Freude wird meinem Herrn, dem Herzog, ins Gemüt einziehen, wenn er erfährt, daß Euer Gnaden nach seinem Schlosse zurückkehrt, denn dort verweilt er noch immer mit der gnädigen Frau Herzogin.«

»Ich kenne Euch nicht, Freund«, antwortete Don Quijote, »und weiß nicht, wer Ihr seid, wenn Ihr es mir nicht sagt.«

»Ich, Señor Don Quijote«, antwortete der Eilbote, »bin Tosílos, der Lakai unsres gnädigen Herzogs, derselbe, der mit Euer Gnaden nicht kämpfen wollte von wegen der Heirat mit der Tochter der Doña Rodríguez.«

»Gott steh mir bei!« sagte Don Quijote, »ist’s möglich, daß Ihr derselbe seid, den die mir feindlichen Zauberer in jenen Lakaien verwandelt haben, den Ihr nennt, um mich um die Ehre jenes Kampfes zu betrügen?«

»Schweigt mir doch, lieber Herr«, entgegnete der Bote; »es hat gar keine Verzauberung stattgefunden, gar keine Verwandlung der Gesichter; ich bin geradeso als Lakai Tosílos in die Schranken geritten, wie ich als Tosílos der Lakai aus ihnen herauskam. Ich dachte, ich könnte mich verheiraten, ohne zu kämpfen, weil mir das Mädchen wohl gefallen hatte, aber es ging mir ganz anders, als ich erwartet hatte; denn sobald Euer Gnaden aus unsrem Schloß abgereist war, ließ mir der Herzog, mein Herr, hundert Prügel aufzählen, weil ich den Befehlen zuwiderhandelte, die er mir vor Beginn des Kampfes erteilt hatte; und das Ganze ist damit zum Abschluß gekommen, daß das Mädchen jetzt eine Nonne und Doña Rodríguez nach Kastilien zurückgekehrt ist; und ich gehe jetzt nach Barcelona, um dem Vizekönig ein Päckchen Briefe zu überbringen, die mein Herr ihm sendet. Wenn Euer Gnaden ein Schlückchen nehmen will, zwar etwas warm, aber rein, so habe ich hier eine Kürbisflasche vom Besten, nebst ich weiß nicht wieviel Schnittchen Käse von Tronchón, die dazu dienlich sind, den Durst zu reizen und zu wecken, wenn er vielleicht noch schläft.«

»Die Einladung laß ich mir gefallen«, sagte Sancho, »setzt alles, was Euch von Höflichkeit noch übrig, guter Tosílos, und schenket ein, zum Trotz und Ärger allen den Zauberern, soviel es ihrer nur in Westindien geben mag.«

»Du bist doch der größte Schlemmer auf der Welt, Sancho«, sprach Don Quijote, »und der größte Dummkopf auf Erden, weil du nicht einsiehst, daß dieser Bote verzaubert und dieser Tosílos unecht ist. Bleibe du bei ihm und iß dich voll; ich will langsam vorausreiten und warten, bis du nachkommst.«

Der Lakai lachte, zog seine Kürbisflasche, holte die Käseschnittchen aus dem Zwerchsack, nahm ein kleines Brot hervor und setzte sich mit Sancho ins grüne Gras, und beide verzehrten in Frieden und Kameradschaft den ganzen Vorrat des Zwerchsackes und leerten ihn bis auf den Grund, und zwar mit so gesundem Appetit, daß sie sogar das Päckchen mit den Briefen ableckten, bloß weil es nach Käse roch. Tosílos sprach zu Sancho: »Dein Herr da, Freund Sancho, macht sich gar vieler Narrheiten schuldig.«

»Was heißt schuldig?« entgegnete Sancho; »er ist keinem was schuldig, er bezahlt alles, besonders wenn die Münze in Narretei besteht. Ich sehe das wahrlich ein und sage es ihm wahrlich auch; aber was nützt es? Zumal jetzt, wo es ganz mit ihm aus ist, weil er von dem Ritter vom weißen Mond besiegt worden ist.«

Tosílos bat, ihm zu erzählen, was es mit dem Ritter auf sich habe, aber Sancho meinte, es sei unhöflich, seinen Herrn warten zu lassen; ein andermal, wenn sie einander wieder begegnen sollten, würde noch Zeit dafür sein.

Damit stand er auf, schüttelte seinen Rock aus und die Krumen aus dem Barte, trieb den Esel vor sich her, sagte Lebewohl, schied von Tosílos und holte seinen Herrn ein, der im Schatten eines Baumes hielt, um ihn zu erwarten.

67. Kapitel


Von dem Entschlusse Don Quijotes, Schäfer zu werden und sich dem Landleben zu widmen, bis das Jahr seines Gelübdes um sein würde, nebst andern wahrhaft ergötzlichen und fürtrefflichen Dingen

Wenn gar viele Gedanken Don Quijote quälten, schon ehe er mit dem Pferde gestürzt war, so waren es ihrer noch viel mehr nach seinem Fall. Er hielt, wie gesagt, im Schatten des Baumes, und dort überfielen ihn all die Gedanken wie Fliegen den Honig. Die einen waren auf Dulcineas Entzauberung gerichtet, die andern auf die Frage, welches Leben er bei seiner erzwungenen Zurückgezogenheit führen sollte. Sancho kam hinzu und rühmte ihm den freigebigen Sinn des Lakaien Tosilos. »Meinst du denn wirklich, Sancho«, sagte Don Quijote zu ihm, »das sei der wirkliche Lakai? Du hast wohl vergessen, daß du Dulcinea in eine Bäuerin verwandelt gesehen hast und den Spiegelritter in den Baccalaureus Carrasco; alles das Werk der Zauberer, die mich verfolgen. Aber sage mir jetzt, hast du diesen Tosílos, den du nennst, gefragt, was der Himmel über Altisidora verhängt hat? Ob sie meine Abwesenheit beweint oder die Liebesgedanken, die sie in meiner Gegenwart quälten, schon in den Händen der Vergessenheit gelassen hat?«

Sancho antwortete: »Meine Gedanken waren nicht derart, daß sie mir Zeit gelassen hätten, nach so einfältigen Kindereien zu fragen. Herr Gott Sapperment, Señor! Was treibt Euer Gnaden, Euch jetzt nach fremden und gar nach verliebten Gedanken zu erkundigen?«

»Bedenke, Sancho«, versetzte Don Quijote, »es ist ein großer Unterschied zwischen den Werken, die aus Liebe, und denen, die aus Dankbarkeit vollbracht werden. Dem Anscheine nach liebte mich Altisidora, sie gab mir die drei Hauben, von denen du weißt; sie weinte bei meiner Abreise, sie verwünschte mich, schmähte mich und beklagte sich über mich öffentlich, aller Schamhaftigkeit zum Trotz; alles deutliche Zeichen, daß sie mich anbetete, denn das Zürnen der Liebenden äußert sich immer zuletzt in Verwünschungen. Ich hatte keine Hoffnungen ihr zu gewähren, keine Schätze ihr zu bieten, denn meine Hoffnungen habe ich sämtlich Dulcineen anheimgestellt, und die Schätze der fahrenden Ritter sind, wie die der Kobolde, nur Schein und Trug. Ich kann ihr nichts geben als dies mein Andenken an sie, unbeschadet jedoch meines Andenkens an Dulcinea, welche du schwer kränkst durch die Lässigkeit in deiner Selbstgeißelung und in der Züchtigung dieses deines Fleisches – o sah ich doch die Wölfe es fressen! –, das lieber für die Würmer aufgespart werden will als für die Rettung dieses armen Fräuleins.«

»Señor«, entgegnete Sancho, »wenn ich die Wahrheit sagen soll, so kann ich mir nicht einreden, daß das Geißeln meiner Sitzteile etwas mit der Entzauberung verzauberter Personen zu tun haben kann; das ist gerade, als sagten wir: wenn dir der Kopf weh tut, so reib dir die Knie mit Salben ein. Mindestenfalls wollte ich darauf schwören, daß Ihr in all den Geschichten, die Ihr von fahrender Ritterschaft gelesen, nie einen gefunden habt, der durch Geißelhiebe entzaubert worden wäre. Indessen, es mag sein, wie es will, ich werde sie mir geben, wann ich Lust habe, und zu einer Zeit, wo es mir gerade paßt, mich zu prügeln.«

»Das gebe Gott!« entgegnete Don Quijote, »und der Himmel verleihe dir seine Gnade, daß du zur Einsicht kommst und die Verpflichtung erkennst, die dir obliegt, meiner Gebieterin zu helfen, die auch die deinige ist, da ich dein Herr bin.«

Unter diesen Gesprächen zogen sie ihres Weges weiter, bis sie zu der nämlichen Gegend und Stelle kamen, wo sie von den Stieren überrannt worden waren. Don Quijote erkannte den Ort und sprach zu Sancho: »Dies ist das Gefilde, wo wir die reizenden Schäferinnen und die stattlichen Schäfer fanden, die hier das arkadische Hirtenleben nachahmen und erneuen wollten, ein ebenso wundersamer wie kluger Gedanke; und nach diesem Vorbild möchte ich, Sancho, wenn du damit einverstanden bist, daß wir uns in Schäfer verwandelten, wenigstens so lange Zeit, als ich zurückgezogen leben muß. Ich will etliche Schafe kaufen nebst allem andern, was zum Hirtenleben nötig ist; dann nenne ich mich Schäfer Quijotiz und dich Schäfer Pansino, und wir durchziehen die Waldberge, die Haine und die Wiesen, hier singend, dort wehklagend und trinkend von den flüssigen Kristallen der Quellen oder auch der klaren Bächlein oder der wasserreichen Ströme. Mit reichgefüllten Händen bieten uns dann die Eichen ihre süße Frucht, einen Sitz die Stämme der harten Korkbäume, Schatten die Weiden am Bach, Wohlgeruch die Rosen, Teppiche in tausend Farben schillernd die weitgedehnten Wiesen; die Lüfte ihren heiteren reinen Atem, Mond und Sterne ihr Licht, wenn auch die Dunkelheit der Nacht es wehren möchte; freudigen Genuß gibt der Gesang, heitere Stimmung fließt aus unsern Tränen, Apollo wird uns Verse eingeben und die Liebe geistreiche Gedanken, mit denen wir uns unsterblichen Ruhm erwerben, nicht nur in den jetzigen Zeiten, sondern auch für alle zukünftigen.«

»So mir Gott helfe!« sagte Sancho, »solch eine Lebensweise kommt mir zupaß und zu Spaß; um so mehr, als ich gedenke, sobald sie der Baccalaur Sansón Carrasco und Meister Nikolas der Barbier einmal mit angesehen haben, so werden sie sie gleich mitmachen und mit uns Schäfer werden wollen; ja, Gott gebe, daß es dem Pfarrer nicht einfällt, auch in den Pferch zu kommen, da er so heiter gelaunt ist und sich so gern erlustigt.«

»Sehr gut gesprochen«, sagte Don Quijote, »und wenn der Baccalaureus sich in den Schoß des Schäfertums begibt, wie er es ohne Zweifel tun wird, so kann er sich den Schäfer Sansonino nennen oder den Schäfer Carrascón; der Barbier Nikolas kann sich Niculoso heißen, wie schon der alte Boscán sich Nemoroso nannte; für den Pfarrer weiß ich keinen Namen, wenn nicht etwa eine Ableitung von seinem Amtstitel als Curat, so daß wir ihn den Schäfer Curiambro nennen. Die Schäferinnen, in die wir verliebt sein müssen, für sie können wir Namen zu Dutzenden auslesen wie Birnen vom Baum, und da der Name meiner Geliebten für eine Schäferin ebensogut paßt wie für eine Prinzessin, so brauche ich mich nicht zu bemühen, um einen besseren für sie zu finden. Du, Sancho, kannst die deinige nennen, wie du Lust hast.«

»Ich gedenke ihr keinen andern zu geben«, entgegnete Sancho, »als Teresarunda, der gut zu ihrem runden Körper paßt sowie zu dem Namen, den sie schon trägt, da sie Teresa heißt. Und zudem, wenn ich sie in meinen Versen preise, darf ich meine keuschen Wünsche an den Tag legen, da ich nicht erst in fremde Häuser nach feineren Semmeln gehe. Der Pfarrer aber, das gehört sich nicht, daß er eine Schäferin hat, weil er ein gutes Beispiel geben muß; und will der Baccalaur eine haben, so mag er sehen, wie er mit seinem Gewissen fertig wird.«

»Weiß Gott«, sagte Don Quijote, »welch ein Leben werden wir führen, Freund Sancho! Wieviel Schalmeien werden wir vernehmen, wieviel zamoranische Mandolinen, wieviel Tamburine, wieviel Schellentrommeln, wieviel Fiedeln! Und wie erst, wenn unter dieser Mannigfaltigkeit von Tönen der Musik auch noch die der Alboguen erschallt? Dann wird man schier alle schäferlichen Instrumente dort zusammen sehen.«

»Was sind Alboguen?« fragte Sancho; »ich habe sie noch niemals nennen gehört und in meinem ganzen Leben nie gesehen.«

»Alboguen«, antwortete Don Quijote, »sind Becken nach Art messingner Leuchterfüße. Wenn man sie mit der hohlen Seite aneinanderschlägt, so geben sie einen Ton von sich, der, wenn auch nicht besonders wohllautend oder harmonisch, so doch nicht unangenehm ist und gut zu der bäurischen Art der Mandoline und des Tamburins paßt. Dieses Wort Alboguen ist maurisch wie alle, die in unsrer kastilianischen Sprache mit Al anfangen, zum Beispiel almohaza der Striegel, almorzar frühstücken, alhombra der Teppich, alguacil der Gerichtsdiener, alhucema der Lavendel, almacén das Magazin, alcancía die irdene Sparbüchse, und andre ähnliche Worte; es werden ihrer nicht viel mehr sein. Nur drei hat unsre Sprache, die maurisch sind und auf i endigen; es sind borceguí der Halbstiefel, zaquizamí der Dachboden, und maravedí. Alhelí die Levkoje und alfaquí der maurische Priester lassen sich sowohl durch das voranstellende Al als auch durch das i, womit sie endigen, als ebenfalls arabisch erkennen. Dies habe ich dir im Vorbeigehen gesagt, weil der Umstand, daß ich Alboguen erwähnte, es mir wieder ins Gedächtnis rief. Was uns aber viel dabei helfen wird, unsern neuen Beruf in höchster Vollkommenheit zu üben, das ist, daß ich, wie du weißt, ein wenig Dichter bin und daß der Baccalaureus Sansón Carrasco es in vorzüglicher Weise ist. Vom Pfarrer sage ich nichts, aber ich wette, daß er gewiß nicht wenig vom Dichter an sich hat; und daß es mit Meister Nikolas ebenso ist, daran zweifle ich nicht, denn alle oder die meisten Barbiere klimpern die Gitarre und schmieden ihre Reime. Ich werde Klagelieder über die Abwesenheit der Geliebten singen, du wirst dich als einen treu Liebenden preisen; der Schäfer Carrascón sich als einen Verschmähten und der Pfarrer Curiambro als das, was ihn am passendsten dünkt; und auf solche Weise wird die Sache gehen, daß man es sich nicht besser wünschen kann.«

Darauf entgegnete Sancho: »Ich, Señor, habe so viel Unglück, daß ich fürchte, nie wird der Tag kommen, an dem ich mich solchem Beruf hingeben kann. Oh, wie niedliche Löffel will ich schnitzen, wenn ich nur erst ein Schäfer bin! Wieviel gute Bröckchen, wieviel Rahm will ich bereiten, wieviel Laubgewinde, wieviel schäferliche Kindereien! Wenn mir dies alles auch nicht den Ruf eines gescheiten Menschen eintragen sollte, so muß es mir doch auf alle Fälle den eines sinnreichen Kopfes verschaffen. Sanchica, meine Tochter, soll uns das Essen auf den Weideplatz bringen. Doch halt! Sie sieht ganz hübsch aus, und es gibt Schäfer, die weit eher Schelme als einfältig sind; und ich möchte nicht, sie ging‘ nach Wolle aus und käm‘ geschoren nach Haus. Es pflegen ja auch Liebeshändel und arge Gelüste auf dem Land daheim zu sein wie in den Städten, in den schäferlichen Hütten wie in königlichen Palästen; und schließt man der Gelegenheit die Tür, so schließt man der Sünde die Tür; und sieht das Auge nicht, bricht das Herz nicht; und besser ein Buschklepper in Wald und Auen, als auf barmherzige Fürbitter bauen.«

»Keine Sprichwörter mehr, Sancho«, sagte Don Quijote; »denn schon eines von denen, die du vorgebracht hast, genügt, um deine Gedanken verständlich zu machen. Oft schon habe ich dir geraten, du solltest nicht so verschwenderisch mit Sprichwörtern und bei ihrem Gebrauche zurückhaltend sein. Aber mich dünkt, es ist die Stimme des Predigers in der Wüste, und meine Mutter zankt mich, und ich tanze ihr auf der Nase herum.«

»Es kommt mir vor«, entgegnete Sancho, »Ihr seid gerade, wie es im Sprichwort heißt: Die Pfanne sagt zum Kessel, hebe dich weg, Schwarzmaul! Ihr scheltet mich, ich soll keine Sprichwörter sagen, und Ihr reihet sie paarweise aneinander.«

»Ja sieh, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »ich bringe die Sprichwörter sachgemäß an, und wenn ich sie zum besten gebe, passen sie wie der Ring an den Finger; aber du ziehst sie an den Haaren herbei, du bringst sie nicht vor, sondern zerrst sie herbei. Wenn ich mich recht entsinne, so habe ich dir schon einmal gesagt, die Sprichwörter sind kurzgefaßte Denksprüche, der Erfahrung und dem Nachdenken unsrer alten Weisen entnommen, und ein Sprichwort am falschen Platz ist eher ein Unsinn als ein Sinnspruch. Aber lassen wir das und gehen wir von der Landstraße ein wenig abseits, um irgendwo die Nacht zu verbringen; was morgen kommt, weiß Gott allein.«

Sie zogen sich seitwärts und speisten spät und schlecht, sehr gegen den Wunsch Sanchos, welchem sich aufs neue das ärmliche Leben des fahrenden Rittertums vergegenwärtigte, wie es im Walde und Gebirge üblich, wenn auch manchmal in Schlössern und Häusern die Hülle und Fülle zum Vorschein kam, wie bei Don Diego de Miranda, bei der Hochzeit des reichen Camacho und bei Don Antonio Moreno. Allein er bedachte, daß es nicht immer Tag und nicht immer Nacht sein könne, und so verbrachte er diese Nacht schlafend, während sein Herr wachte.

62. Kapitel


Das von dem Abenteuer mit dem Zauberkopf und von anderen Kindereien handelt, die unbedingt hier berichtet werden müssen

Don Antonio Moreno hieß der gastliche Wirt Don Quijotes, ein reicher und geistvoller Edelmann und ein Freund eines anständigen und harmlosen Spaßes. Als er jetzt Don Quijote in seinem Hause sah, sann er auf Mittel, dessen Narreteien ans Licht des Tages zu ziehen, ohne ihm jedoch damit zu schaden; denn Possenstreiche hören auf, es zu sein, wenn sie weh tun, und kein Zeitvertreib ist statthaft, wenn er einem Dritten zum Nachteil gereicht.

Das erste, was er tat, war, daß er Don Quijote die Rüstung abnehmen ließ und ihn in seiner engen gemsledernen Kleidung, wie wir ihn schon manchmal beschrieben und geschildert haben, auf einen Balkon hinausführte, der auf eine der Hauptstraßen der Stadt ging, so daß er allen Leuten und den Gassenbuben zur Schau stand, die ihn anstarrten wie einen Affen. Die Herren in Rittertracht hielten aufs neue ihr Rennen vor ihm, als hätten sie sich allein für ihn so geschmückt und nicht, um den festlichen Tag froh zu begehen. Sancho aber war höchst vergnügt, weil er glaubte, er habe, ohne zu wissen wann und wie, wieder eine Hochzeit des Camacho gefunden, wieder ein Haus wie das des Don Diego de Miranda und wieder ein Schloß wie das des Herzogs. An diesem Tage speisten bei Don Antonio einige seiner Freunde, und alle behandelten und ehrten Don Quijote als einen fahrenden Ritter, worüber er, eitel und aufgeblasen, vor lauter Vergnügen schier aus dem Häuschen war. Sanchos spaßhafte Einfälle ergossen sich so reichlich, daß die Diener des Hauses an seinem Munde hingen wie alle, die ihn hörten.

Während sie noch bei Tische saßen, begann Don Antonio zu Sancho: »Wir haben hier gehört, mein wackrer Sancho, Ihr seid ein so großer Freund von gehackten Hühnerbrüsten und Fleischklößchen, daß Ihr, wenn Euch welche übrigbleiben, sie für den andern Tag im Busen aufhebt.«

»Nein, Señor, das ist nicht wahr«, entgegnete Sancho; »ich halte auf Reinlichkeit mehr als aufs gute Essen, und mein Herr Don Quijote, den Ihr hier vor Euch seht, weiß, daß wir beide oft acht Tage mit einer Handvoll Eicheln oder Nüssen aushalten. Freilich trägt es sich einmal zu, und schenkt man mir die Kuh, lauf ich mit dem Strick herzu; ich meine, ich esse, was man mir vorsetzt, und benutze Zeit und Gelegenheit, wie ich sie finde. Wer aber auch immer erzählt haben mag, ich sei ein ganz besonderer und dazu unsauberer Fresser, der mag sich’s gesagt sein lassen, er hat nicht das Rechte getroffen; und das würde ich noch ganz anders ausdrücken, wenn ich nicht vor den ehrenwerten Herren im Bart da am Tisch zuviel Achtung hätte.«

»Gewiß«, sagte Don Quijote, »die Genügsamkeit und Reinlichkeit, die Sancho beim Essen beobachtet, darf man auf eherne Tafeln schreiben und eingraben, damit sie zu ewigem Gedächtnis bleiben in den kommenden Jahrhunderten. Allerdings, wenn er Hunger hat, sieht’s aus, als schlucke er große Bissen hinunter, denn alsdann ißt er eilig und kaut mit beiden Backen; aber er hält immer die Reinlichkeit hoch, und zur Zeit, wo er Statthalter war, lernte er sogar auf gezierte Manier essen, dergestalt, daß er die Trauben und selbst die Granatkerne mit der Gabel aß.«

»Wie«, fragte Don Antonio, »Statthalter ist Sancho gewesen?«

»Freilich«, antwortete Sancho, »und zwar über eine Insul des Namens Baratária. Zehn Tage habe ich sie regiert, so trefflich, Herz, was begehrst du; dazumalen habe ich meine Ruhe verloren und habe gelernt, alle Statthalterschaften der Welt zu verachten. Ich habe mich von dort geflüchtet, bin in eine Höhle gefallen und habe mich da schon für tot gehalten, bin aber durch ein Wunder wieder lebendig herausgekommen.«

Don Quijote erzählte nun in allen Einzelheiten die ganze Geschichte von Sanchos Statthalterschaft, woran sich die Zuhörer höchlichst ergötzten.

Nachdem abgedeckt war, nahm Don Antonio den Ritter Don Quijote an der Hand und begab sich mit ihm in ein abgelegenes Zimmer, welches mit nichts anderem ausgestattet war als einem Tische, dem Aussehen nach von Jaspis, der auf einem Fuße von demselben Stein ruhte; darauf stand eine Büste nach Art der Brustbilder der römischen Kaiser, welche von Erz zu sein schien. Don Antonio ging mit Don Quijote im ganzen Zimmer hin und her und öfters um den Tisch herum, worauf er sagte: »Jetzt, Señor Don Quijote, wo ich sicher bin, daß uns keiner hört und belauscht und die Tür verschlossen ist, will ich Euer Gnaden eines der seltsamsten Abenteuer oder vielmehr eines der unerhörtesten Wunder zeigen, die man sich vorstellen kann, unter der Bedingung, daß Ihr, was ich Euch sagen werde, in die tiefste Gruft des Geheimnisses verschließt.«

»Das schwör ich«, entgegnete Don Quijote, »ja zu größerer Sicherheit will ich noch eine Steinplatte auf diese Gruft legen; denn ich muß Euch sagen, Señor Don Antonio« – er wußte nämlich schon seinen Namen –, »daß Ihr mit einem Manne redet, der zwar Ohren hat, zu hören, aber keine Zunge, zu sprechen; und daher könnt Ihr mit voller Sicherheit, was Ihr in Eurer Brust hegt, der meinigen anvertrauen und darauf zählen, daß Ihr es in den Abgrund des Stillschweigens versenkt habt.«

»Im Vertrauen auf diese Zusage«, versetzte Don Antonio, »will ich Euch Dinge sehen und hören lassen, die Euch in Verwunderung setzen werden, und will mir zu gleicher Zeit das unangenehme Gefühl erleichtern, daß ich niemanden habe, dem ich meine Geheimnisse mitteilen könnte, da diese nicht derart sind, daß man sie jedem anvertrauen möchte.«

Don Quijote war höchst gespannt, wohin so viele Einleitungen hinauswollten. Indem ergriff Antonio seine Hand und führte sie über den ehernen Kopf, über den ganzen Tisch und über dessen Fuß von Jaspis und sagte dann: »Dieser Kopf, Señor Don Quijote, ist die Arbeit eines der größten Zauberer und Hexenmeister, den die Welt je gekannt; er war, glaub ich, ein Pole und ein Schüler des berühmten Escotillo, von dem so viele Wunder erzählt werden; er war bei mir in meinem Hause, und um den Preis von tausend Goldtalern, die ich ihm gab, verfertigte er diesen Kopf, der die Eigenschaft und Kraft besitzt, auf alle Fragen Antwort zu geben, die man ihm ins Ohr sagt. Der Künstler beobachtete die Richtungen des Windes, zeichnete Zauberfiguren, studierte die Gestirne, beobachtete astrologische Punkte, und nach alledem brachte er das Werk fertig mit der Vollkommenheit, die wir morgen sehen werden, denn freitags ist er stumm, und heute, wo Freitag ist, wird er uns bis morgen warten lassen. Bis dahin könnt Ihr Euch vorbereiten, was Ihr ihn fragen wollt, denn ich weiß aus Erfahrung, daß er bei all seinen Antworten die Wahrheit sagt.«

Don Quijote staunte ob der zauberischen Kraft und Eigenschaft des Kopfes, und beinahe hätte er Don Antonio keinen Glauben geschenkt; aber da er bedachte, wie wenig Zeit nur noch fehle, um den Versuch anzustellen, wollte er ihm nichts weiter sagen, als daß er ihm dafür danke, ein so großes Geheimnis ihm entdeckt zu haben. Sie verließen das Gemach, Don Antonio schloß die Tür mit dem Schlüssel ab, und sie begaben sich nach dem Saal, wo die andern Edelleute sich befanden. Diesen hatte Sancho inzwischen viel von den Abenteuern und Begebnissen erzählt, die seinem Herrn zugestoßen waren.

Am Nachmittag nahmen sie Don Quijote zu einem Spazierritt mit, nicht in Rüstung, sondern im bürgerlichen Straßenanzug, mit einem weiten Überrock von hellbraunem Tuch, der in dieser Jahreszeit den Frost selber zum Schwitzen gebracht hätte. Sie wiesen ihre Diener an, Sancho zu unterhalten und ihn nicht aus dem Hause zu lassen.

Don Quijote ritt nicht auf Rosinante. sondern auf einem hochbeinigen, glänzend aufgeputzten Maulesel mit sanftem Gang. Als sie dem Ritter den Überrock anzogen, hefteten sie ihm, ohne daß er es bemerkte, auf den Rücken ein Pergament, auf das sie mit großen Buchstaben geschrieben hatten: »Dies ist Don Quijote von der Mancha.« Gleich beim Beginn des Rittes zog der Zettel die Augen aller Vorübergehenden auf sich, und da sie die Inschrift lasen, war Don Quijote in beständiger Verwunderung, daß alle, die ihn ansahen, ihn kannten und nannten. Er wendete sich zu Don Antonio, der ihm zur Seite ritt, und sprach: »Groß ist doch der Vorzug des fahrenden Rittertums, daß es den, welcher sich ihm widmet, in allen Landen des Erdenrundes bekannt und berühmt macht. Seht doch nur, Señor Don Antonio, selbst die Gassenjungen in dieser Stadt kennen mich, ohne mich je gesehen zu haben.«

»So ist es, Señor Don Quijote«, erwiderte Don Antonio; »wie das Feuer nicht verborgen und verschlossen bleiben kann, so kann es nicht fehlen, daß die Tugend allbekannt ist, und die Tugend, die sich im Dienste der Waffen bewährt hat, strahlt und thront über allen andern.«

Während nun Don Quijote unter dem ständigen Jubelrufen einherritt, begab es sich, daß ein Kastilianer, der die Inschrift auf dem Rücken gelesen, seine Stimme erhob und rief: »Hol dich der Teufel, wenn du doch Don Quijote von der Mancha bist! Wie hast du nur bis hierher kommen können, ohne daß dich die zahllosen Prügel umgebracht haben, die du auf dem Buckel trägst? Du bist ein Narr, und wärst du es für dich allein und bliebst an der heimatlichen Wohnstätte deiner Narrheit, so wär es noch nicht so arg; aber du hast die Eigentümlichkeit, alle andern, die mit dir umgehen und verkehren, auch zu Narren und zu Verrückten zu machen. Man sehe sich doch nur einmal die Herren an, die neben dir herziehen! Geh heim, verrückter Kerl, zu deinem Hause und kümmre dich um dein Hab und Gut, dein Weib und deine Kinder und laß diese albernen Possen, die dir das Gehirn anfressen und den Rahm von deinem Verstand abschöpfen!«

»Guter Freund«, sagte Don Antonio, »geht Eurer Wege und gebt keinem Euren Rat, der ihn nicht von Euch verlangt. Der Señor Don Quijote von der Mancha ist durchaus verständig, und wir, die wir ihn begleiten, sind auch keine Narren. Man muß das Verdienst ehren, wo es sich findet; und nun geht zum Teufel! Und wo man Euch nicht hinruft, da steckt die Nase nicht hinein.«

»So wahr mir Gott helfe! Euer Gnaden hat recht«, antwortete der Kastilianer; »diesem Biedermann einen Rat geben heißt wider den Stachel locken. Aber trotz alledem tut mir es leid, daß der klare Verstand, den dieser Narr, wie man sagt, in allen andern Dingen zeigt, durch den Kanal seines fahrenden Rittertums abfließt und versickert, und ich und alle meine Nachkommen mögen nach Eurem Wunsche zum Teufel gehen, wenn ich künftig wieder, und würde ich älter als Methusalem, irgendeinem einen Rat gebe, selbst wenn er es von mir verlangt.«

Der Ratgeber zog ab, der Spazierritt nahm seinen weiteren Verlauf; aber der Andrang der Gassenjungen und des andern Volks, um den Zettel zu lesen, war so groß, daß Don Antonio sich genötigt sah, ihn Don Quijote unvermerkt, als wäre es sonst etwas andres, wieder abzunehmen.

Der Abend kam, sie kehrten nach Hause; dort gab es einen Ball, da Don Antonios Gattin, eine feingebildete, heitere, schöne und kluge Dame, ihre Freundinnen eingeladen hatte, um ihrem Gast Ehre zu erweisen und sich an seinen noch nie erlebten Narreteien zu belustigen. Verschiedene von ihnen waren erschienen, es gab ein prachtvolles Abendessen, und etwa um zehn Uhr begann der Ball. Unter den Damen waren zwei, die Scherz und Witz liebten und, obschon von sittsamstem Charakter, sich manchmal einige Freiheiten gestatteten, um dem Scherze Raum zu geben und heitere Stimmung ohne Überdruß zu verbreiten. Diese Damen waren so unablässig bemüht, Don Quijote zum Tanze zu holen, daß er sich zuletzt nicht nur körperlich, sondern auch geistig ganz zerschlagen fühlte. Es war der Mühe wert, Don Quijotes Gestalt zu sehen, lang, ausgestreckt, schlotternd, blaßgelb, eingezwängt in seine Kleidung, linkisch und vor allem nichts weniger als leichtfüßig. Die Dämchen warfen ihm verstohlene Liebesblicke zu, und er zeigte ihnen ebenfalls verstohlen seine Ablehnung; als er sich aber von Zärtlichkeiten zu sehr bedrängt sah, erhob er die Stimme und rief: »Fugite, partes adversae! Laßt mich in Ruhe, ihr argen Gedanken; macht euch von dannen, holde Damen, mit euren Wünschen, denn sie, die meiner Wünsche Königin ist, die unvergleichliche Dulcinea von Toboso, duldet nicht, daß andre als die ihrigen mich unterjochen und knechten.«

Mit diesen Worten setzte er sich mitten im Saal zu Boden, zermalmt und zerschlagen von so unendlicher Tanzübung. Don Antonio hieß ihn aufheben und in sein Bett tragen, und der erste, der Hand anlegte, war Sancho, der zu ihm sprach: »In des Kuckucks Namen, allerliebster Herr, nun habt Ihr mal getanzt! Meint Ihr, alle Helden seien Tänzer und alle fahrenden Ritter Luftspringer? Ich sage Euch, wenn Ihr das denkt, so seid Ihr im Irrtum; mancher mag es wagen, einen Riesen umzubringen, ehe er nur einen Bocksprung macht. Hättet Ihr den Bauerntanz zu tanzen gehabt, da hätte ich für Euch eintreten können, denn den tanze ich wie ein Böcklein; aber was das Balltanzen anbelangt, da laß ich mich nicht drauf ein.«

Mit diesen und ähnlichen Äußerungen brachte Sancho die Ballgäste zum Lachen und seinen Herrn ins Bett; er deckte ihn zu, damit er die Erkältung nach seinem Tanz ausschwitzte.

Am nächsten Tage schien es Don Antonio angemessen, den Versuch mit dem verzauberten Kopf anzustellen, und so schloß er sich denn mit Don Quijote, Sancho und noch zwei Freunden nebst den beiden Damen, welche den Ritter so müde getanzt hatten und diese Nacht bei Don Antonios Gemahlin geblieben waren, in das Zimmer ein, wo der verzauberte Kopf stand. Er erzählte ihnen, welche Eigenschaft der Kopf besitze, erlegte ihnen Stillschweigen auf und bemerkte ihnen, dies sei das erstemal, daß die Kraft des Zauberkopfes erprobt werden solle. Mit Ausnahme der beiden Freunde Don Antonios kannte niemand sonst das Geheimnis dieser Zauberkunst; und hätte Don Antonio es ihnen nicht vorher entdeckt, so wären sie unbedingt in dasselbe Staunen geraten wie die andern, mit solcher Kunst und solchem Geschick war der Kopf eingerichtet.

Der erste, der sich dem Ohr des ehernen Kopfes näherte, war Don Antonio selbst; er fragte ihn mit gedämpfter Stimme, doch so, daß er von allen vernommen werden konnte: »Sage mir, Kopf, vermöge der Kraft, die in dir verborgen ist, welche Gedanken habe ich jetzt?«

Und der Kopf antwortete, ohne die Lippen zu bewegen, mit heller, deutlicher Stimme, so daß seine Worte von allen vernommen wurden: »Über Gedanken habe ich kein Urteil.«

Alle Hörer waren starr vor Erstaunen, zumal sie sahen, daß in dem ganzen Zimmer und rings um den Tisch kein menschliches Wesen war, das hätte antworten können.

»Wieviel sind unser hier?« fragte wiederum Don Antonio, und die Antwort kam ebenso leise: »Hier bist du und deine Frau, mit zwei Freunden von dir und zwei Freundinnen von ihr, und ein weltberühmter Ritter, namens Don Quijote von der Mancha, und ein Schildknappe von ihm, der den Namen Sancho Pansa führt.«

Jetzt begann das Staunen aufs neue; jetzt standen vor Schreck allen die Haare zu Berge. Don Antonio trat von dem Kopfe zurück und sagte: »Dies genügt, um mich zu überzeugen, daß ich von dem Manne nicht betrogen worden bin, der dich mir verkaufte, du weiser Kopf, du redekundiger, orakelspendender, du bewundernswerter Kopf. Jetzt wolle ein andrer hierhertreten und ihn fragen, was er Lust hat.«

Und da die Frauen gewöhnlich alles gern möglichst geschwind wissen möchten, so näherte sich nun zuerst eine der beiden Freundinnen von Don Antonios Gemahlin und fragte: »Sage mir, Kopf, was soll ich tun, um recht schön zu sein?«

»Sei recht sittsam«, lautete die Antwort.

»Ich werde dich nicht wieder fragen«, sagte die Fragerin.

Sofort trat ihre Begleiterin herzu und sprach: »Ich möchte wissen, Kopf, ob mein Gemahl mich liebhat oder nicht.«

Und es kam ihr die Antwort: »Gib acht, wie er sich gegen dich benimmt, dann weißt du es.«

Die junge Frau trat zurück und sagte: »Zu einer solchen Antwort bedurfte es keiner Frage, denn in der Tat erkennen wir die Gesinnung des Menschen an seinem Benehmen gegen uns.«

Hierauf trat einer von Don Antonios zwei Freunden heran und fragte: »Wer bin ich?«

Und es wurde ihm geantwortet: »Du weißt es.«

»Das frage ich dich nicht«, antwortete der Edelmann, »sondern du sollst mir sagen, ob du mich kennst.«

»Allerdings kenne ich dich«, wurde ihm geantwortet, »du bist Don Pedro Noriz.«

»Mehr will ich nicht wissen«, erwiderte Don Pedro, »weil dies mir schon genügt, um einzusehen, o Kopf, daß du alles weißt.«

Er trat beiseite; der andre Freund näherte sich und fragte: »Sage mir, Kopf, was für Wünsche hegt mein Sohn, der Majoratserbe?«

»Ich habe schon gesagt«, wurde ihm geantwortet, »daß ich über Wünsche kein Urteil habe; indessen kann ich dir doch sagen, die deines Sohnes gehen dahin, dich ins Grab zu legen.«

»Das sehe ich mit den Augen und greife es mit den Händen«, sagte der Edelmann, »ich frage nichts weiter.«

Nun trat Don Antonios Gemahlin heran und sagte: »Ich weiß nicht, Kopf, was ich dich fragen soll; nur möchte ich von dir wissen, ob ich mich noch viele Jahre meines guten Mannes erfreuen werde.«

Und es wurde ihr geantwortet: »Ja, du wirst es, denn seine Gesundheit und seine mäßige Lebensweise versprechen ihm ein langes Leben, während viele es durch ihre Unmäßigkeit verkürzen.«

Jetzt trat Don Quijote herzu und sprach: »Sage mir, der du auf alles antwortest, war es Wahrheit oder Traum, was ich von meinen Erlebnissen in der Höhle des Montesinos erzählt habe? Werden die Geißelhiebe meines Schildknappen Sancho zur Wahrheit werden? Wird Dulcineas Entzauberung erfolgen?«

»Über die Geschichte mit der Höhle«, antwortete der Kopf; »läßt sich viel sagen, es ist von allem was daran; mit Sanchos Hieben wird es langsam gehen; Dulcineas Entzauberung wird zu gebührender Vollendung kommen.«

»Mehr will ich nicht wissen«, sagte Don Quijote; »wenn ich nur Dulcinea entzaubert sehe, so ist es mir, als käme auf einen Schlag alles Glück, das ich nur wünschen kann.«

Der letzte Frager war Sancho, und er fragte folgendes: »Bekomme ich, o Kopf, vielleicht noch eine Statthalterschaft zu regieren? Werde ich jemals die Schindereien des Knappenstandes loswerden? Werde ich Weib und Kinder wiedersehen?«

Darauf wurde geantwortet: »Regieren wirst du in deinem Hause, und wenn du heimkehrst, wirst du Frau und Kinder wiedersehen, und wenn du aus deinem Dienste trittst, wirst du des Knappenstandes ledig sein.«

»Sehr gut, beim Himmel!« sagte Sancho Pansa; »das hätte ich mir selber auch sagen können; besser hätte es der Prophet Perogrullo auch nicht gesagt.«

»Dummer Kerl«, sagte Don Quijote, »was willst du denn geantwortet haben? Ist’s nicht genug, daß die Antworten, die dieser Kopf gibt, auf die Fragen passen, die man ihm stellt?«

»Freilich ist es genug«, antwortete Sancho; »indessen wollte ich doch, er hätte sich deutlicher erklärt und mir mehr gesagt.«

Hiermit hatten die Fragen und Antworten ein Ende, nicht aber die Bewunderung, die sich aller bemächtigt hatte, ausgenommen die beiden Freunde Don Antonios, die das Geheimnis kannten. Dieses hat Sidi Hamét Benengelí auch sogleich erklären wollen, um die Welt nicht in Spannung und in dem Glauben zu erhalten, daß der Kopf irgendein zauberhaftes und außerordentliches Geheimnis in sich berge. Er sagt daher, daß Don Antonio Moreno nach dem Muster eines andern von einem Holzschnitzer angefertigten Kopfes, den er in Madrid gesehen, diesen in seinem Hause hatte machen lassen, um sich damit zu unterhalten und die Uneingeweihten in Staunen zu setzen. Die Vorrichtung war folgende: die Tischplatte war von Holz, wie Jaspis gemalt und gefirnißt, und ebenso das Fußgestell, an welchem vier Adlerklauen hervorsprangen, um die Last besser zu tragen. Der Kopf, der einer Schaumünze oder vielmehr der Büste eines römischen Kaisers glich und die Farbe des Erzes trug, war hohl, ebenso wie die Tischplatte, in die der Kopf so fest eingelassen war, daß man keine Spur einer Fuge bemerkte. Der Tischfuß war ebenfalls hohl und hing mit Brust und Hals des Kopfes zusammen; und das Ganze stand in Verbindung mit einem andern Gemach, das sich gerade unter dem Zimmer mit dem Kopf befand. Durch diese ganze Höhlung von Fußgestell und Tisch, von Brust und Hals der erwähnten Büste lief eine Blechröhre, die so genau eingefügt war, daß niemand sie bemerken konnte. In dem unteren Zimmer, das mit dem obern in Verbindung stand, befand sich derjenige, der die Antworten zu geben hatte, und hielt den Mund dicht an die Röhre, so daß wie durch ein Sprachrohr die Stimme von oben nach unten und von unten nach oben drang und deutlich vernehmbare Worte mitteilte; auf diese Art war es nicht möglich, hinter die Täuschung zu kommen. Ein Neffe Don Antonios, ein gescheiter und geistreicher Student, gab die Antworten, und da sein Herr Oheim ihn in Kenntnis gesetzt hatte, wer an diesem Tage mit ihm das Zimmer mit dem Kopf besuchen würde, so war es ihm leicht, auf die erste Frage geschwind und richtig zu antworten; die andern beantwortete er mit Hilfe von Vermutungen und als ein kluger Mann auf kluge Weise.

Sidi Hamét sagt ferner, daß dieses wunderbare Kunstwerk etwa zehn oder zwölf Tage lang befragt wurde; nachher aber habe es sich in der Stadt verbreitet, Don Antonio besitze in seinem Haus einen verzauberten Kopf, der jedem auf seine Fragen antworte, und da habe er gefürchtet, die Sache könnte zu den Ohren der wachsamen Hüter unseres Glaubens gelangen. Nachdem er hierauf den Herren Inquisitoren den Sachverhalt dargelegt, geboten sie ihm, den Kopf zu zerstören und sich nicht weiter damit zu befassen, damit die unwissende Menge nicht Ärgernis daran nähme. Aber für Don Quijote und Sancho Pansa blieb der Kopf ein Zauberwerk und Orakelspender; nur war Don Quijote zufriedener mit ihm als Sancho Pansa.

Um Don Antonio gefällig zu sein und um Don Quijote zu ehren, aber auch um diesem Gelegenheit zu geben, seine Torheiten an den Tag zu legen, beschlossen die Edelleute in der Stadt, nach sechs Tagen ein Ringelrennen zu veranstalten; es fand jedoch nicht statt, aus einem Grunde, der später erzählt werden wird.

Don Quijote bekam Lust, die Stadt in einfacher Kleidung und zu Fuße zu durchwandern, da er befürchtete, wenn er zu Pferde käme, würden ihn die Gassenjungen verfolgen; und so ging er denn mit Sancho und zwei Dienern spazieren, die ihm Antonio mitgab. Da geschah es nun, daß er, beim Durchwandern einer Straße zufällig in die Höhe blickend, über einer Tür mit sehr großen Buchstaben angeschrieben sah: »Hier werden Bücher gedruckt.« Darob freute er sich sehr, denn er hatte bis dahin noch nie eine Druckerei gesehen und wollte gern wissen, wie es darin zuging. Er begab sich mit seiner ganzen Begleitung hinein, sah an einer Stelle Druckbogen abziehen, an einer andern korrigieren, hier setzen, dort den Satz verbessern, kurz, die ganze Einrichtung einer großen Druckerei. Don Quijote trat zu einem Setzkasten und fragte, was denn eigentlich hier vorgenommen werde. Die Gehilfen gaben ihm Auskunft; er war voller Bewunderung und ging weiter. Dann trat er zu einem andern Gehilfen und fragte ihn, was er tue; dieser antwortete: »Señor, der Herr hier« – und er zeigte ihm einen Mann von schöner Gestalt und feinem Aussehen und zugleich von würdiger Haltung – »hat ein italienisches Buch in unsre kastilianische Sprache übertragen, und ich setze es für ihn, um es zur Presse zu geben.«

»Welchen Titel hat das Buch?« fragte Don Quijote.

Der Schriftsteller antwortete: »Señor, das Buch heißt auf italienisch Le bagatelle.«

»Und was bedeutet ›Le bagatelle‹ in unsrer Sprache?« fragte Don Quijote.

»›Le bagatelle‹«, sagte der Schriftsteller, »heißt in unsrer Sprache soviel wie ›Kleinigkeiten‹ oder ›Spielereien‹; und obwohl dieses Buch so bescheiden in seinem Namen ist, so enthält und bietet es doch sehr gute Dinge von wesentlichem Wert.«

»Ich verstehe ein wenig Italienisch«, sagte Don Quijote, »und bin stolz darauf, einige Stanzen aus dem Ariost singen zu können. Aber sagt mir doch, mein verehrter Herr – und ich frage das nicht, um Euer Talent auf die Probe zu stellen, sondern nur aus Neugierde –, habt Ihr in Eurem Buch ein oder das andremal das Wort ›pignata‹ gefunden?«

»Gewiß, mehrmals«, antwortete der Schriftsteller.

»Und wie übersetzt Ihr es in unsre Sprache?« fragte Don Quijote.

»Wie soll ich es übersetzen«, entgegnete der Schriftsteller, »als mit ›Topf‹?«

»Nun, beim Himmel droben«, sagte Don Quijote, »wie weit habt Ihr’s doch im Italienischen gebracht! Ich wette um etwas ganz Erkleckliches, wo es im Italienischen ›piace‹ heißt, da sagt Ihr in unsrer Sprache ›es gefällt‹, und wo es ›piu‹ heißt, da sagt Ihr ›mehr‹, und das ›su‹ übersetzt Ihr mit ›hinauf‹ und das ›giu‹ mit ›hinab‹.«

»Ganz gewiß übersetze ich es so«, sagte der Schriftsteller, »denn das sind die entsprechenden Ausdrücke.«

»Ich wollte drauf schwören«, sagte Don Quijote, »daß Euch die Welt gar nicht kennt, die sich immer dagegen sträubt, talentvolle Köpfe und preiswürdige Arbeiten zu belohnen. Wie viele Talente gehen weit und breit verloren! wie viele gute Köpfe bleiben im Winkel verborgen! wie viele schöne Gaben werden verkannt! Und trotz alledem scheint es mir, daß es sich mit dem Übersetzen von einer Sprache in die andre – es wäre denn aus den Königinnen unter den Sprachen, der griechischen und lateinischen – so verhält, wie wenn einer flandrische Tapeten von der Rückseite betrachtet; man sieht zwar die Figuren, aber sie werden durch die Menge von Fäden ganz entstellt, und man sieht sie nicht in der Glätte und Farbenfrische der Vorderseite. Das Übersetzen aus nah verwandten Sprachen beweist weder Geist noch Sprachgewandtheit, sowenig wie das Übertragen oder Abschreiben von einem Papier auf das andre. Ich will aber aus dem Gesagten nicht die Schlußfolgerung ziehen, daß die Arbeit des Übersetzens keine löbliche sei, denn der Mensch könnte sich mit noch schlechteren Dingen beschäftigen und mit solchen, die ihm weniger Nutzen bringen. Davon muß man aber die beiden berühmten Übersetzer ausnehmen, nämlich den Doktor Cristóbal de Figueroa mit seinem Pastor Fido und den andren, Don Juan de Jauregui mit seinem Aminta, deren glücklich gelungene Arbeiten zweifeln lassen, was die Übersetzung ist und was die Urschrift. Aber sagt mir, werter Herr, wird dies Buch auf Eure Kosten gedruckt, oder habt Ihr das Verlagsrecht bereits an einen Buchhändler verkauft?«

»Ich lasse es auf meine Kosten drucken«, antwortete der Schriftsteller, »und denke wenigstens tausend Taler bei dieser ersten Auflage zu verdienen; sie wird aus zweitausend Stücken bestehen, die, zu sechs Realen ein jedes, im Handumdrehen verkauft werden müssen.«

»Ihr versteht Euch vortrefflich auf dies Geschäft!« entgegnete Don Quijote; »man sieht wohl, daß Ihr nicht wißt, was die Buchdrucker Euch ankreiden werden und in welchem Verkehr sie miteinander stehen. Ich sage Euch zum voraus, wenn Ihr Eure zweitausend Stücke auf dem Halse habt, wird Euch das den Hals so zusammenschnüren, daß Ihr von Sinnen kommt, zumal wenn das Buch ein bißchen trocken ist und nichts hat, um die Neugierde zu reizen.«

»Wie denn, verehrter Herr?« sagte der Schriftsteller; »wollt Ihr, ich soll es einem Buchhändler geben, damit er mir für das Verlagsrecht drei Maravedis bezahlt und noch meint, er erweise mir dadurch eine große Gnade? Ich lasse meine Bücher nicht drucken, um Ruhm in der Welt zu erlangen, ich bin ihr schon durch meine Werke bekannt; Nutzen will ich haben, denn ohne den ist der Ruhm nicht einen Pfennig wert.«

»Gott gebe, daß Ihr eine glückliche Hand dabei habt«, entgegnete Don Quijote und ging weiter zu einem andern Setzkasten, wo er einen Bogen eines andern Buches korrigieren sah, das den Titel Licht der Seele trug. »Das sind die Bücher«, sagte er, »obwohl es schon viele dieser Art gibt, die man drucken soll; denn der Sünder sind auch gar viele, die heutzutage leben, und für so viele, die in der Finsternis wandeln, bedarf es unendlicher Erleuchtung.«

Er ging weiter und sah, daß man eben noch ein andres Buch korrigierte; auf seine Frage nach dem Titel antwortete man ihm, es heiße Der zweite Teil des sinnreichen Junkers Don Quijote von der Mancha, verfaßt von einem Gewissen, wohnhaft zu Tordesillas. »Von diesem Buche habe ich schon gehört«, sagte Don Quijote; »und wahrlich, ich sage es aus voller Überzeugung, ich glaubte, dies ungereimte Zeug wäre längst verbrannt und zu Staub zermahlen. Aber sein Sankt-Martins-Tag wird ihm kommen wie jedem Schwein. Erdichtete Erzählungen sind insoweit gut und ergötzlich, als sie sich der Wahrheit oder der Wahrscheinlichkeit nähern, und die wahren sind um so besser, je wahrer sie sind.«

Mit diesen Worten verließ er die Druckerei, nicht ohne einigen Ärger an den Tag zu legen.

Noch am nämlichen Tage traf Don Antonio Anstalt, ihn zur Besichtigung der Galeeren zu führen, die am Strande vor Anker lagen, und Sancho freute sich sehr hierüber, weil er in seinem Leben noch keine gesehen. Don Antonio benachrichtigte den Oberbefehlshaber der Galeeren, er werde an diesem Nachmittage seinen Gast hinführen, den berühmten Don Quijote von der Mancha, von dem der Befehlshaber sowie alle Bewohner der Stadt schon gehört hatten. Was ihm auf den Galeeren begegnete, wird im folgenden Kapitel erzählt werden.

63. Kapitel


Von der Unannehmlichkeit, die Sancho Pansa bei dem Besuch der Galeeren erlitt, und von dem sonderlichen Abenteuer mit der schönen Moriskin

Über die Antwort des verzauberten Kopfes stellte Don Quijote vielfache Betrachtungen an, aber mit keiner von allen kam er hinter den Betrug, und alle fanden ihren Abschluß in der Verheißung, die er für untrüglich hielt, Dulcinea werde entzaubert werden. Darum drehten sich alle seine Gedanken, und darüber freute er sich in seinem Herzen, weil er hoffte, die Erfüllung baldigst zu sehen. Sancho aber, sosehr er, wie gesagt, einen Abscheu davor hatte, Statthalter zu sein, wünschte doch wieder zu befehlen und Gehorsam zu finden; – das ist die unheilvolle Folge der Macht, mag sie auch nur eine scheinbare sein.

Indessen begaben sich an demselben Nachmittag Don Antonio Moreno, sein Wirt, und dessen beide Freunde mit Don Quijote und Sancho zu den Galeeren. Der Oberbefehlshaber, von ihrer Ankunft benachrichtigt, freute sich sehr, die beiden so berühmten Männer Quijote und Sancho kennenzulernen; und kaum waren sie am Hafen angelangt, als alle Galeeren ihre Sonnenzelte einzogen und die Schiffsmusik ertönte. Sogleich wurde das Boot ausgesetzt, es war mit reichen Teppichen und Kissen von karmesinrotem Samt belegt; und sobald Don Quijote den Fuß daraufsetzte, feuerte die Admiralsgaleere ihr Vordergeschütz ab, und die andern Galeeren taten dasselbe. Als er die Treppe am Steuerbord hinaufstieg, begrüßte ihn die ganze Rudermannschaft mit dem dreimaligen Rufe Hu! Hu! Hu! wie es Brauch ist, wenn eine vornehme Person an Bord kommt. Der General – so wollen wir ihn nennen –, ein vornehmer valencianischer Edelmann, umarmte Don Quijote und sprach: »Diesen Tag werde ich mit einem roten Strich im Kalender bezeichnen als einen der schönsten, die ich wohl je erleben werde, da ich heute den Señor Don Quijote von der Mancha gesehen, den Mann, in dem aller Glanz des fahrenden Rittertums enthalten und inbegriffen ist.«

In nicht weniger höflichen Ausdrücken antwortete ihm Don Quijote, über die Maßen vergnügt, sich so ganz als großen Herrn behandelt zu sehen. Nun begaben sich alle nach dem Achterdeck der Galeere, das schön geschmückt war, und nahmen auf den Seitenbänken Platz; der Galeerenvogt ging durch den Mittelgang nach der Vorderschanze und gab mit der Pfeife der Rudermannschaft das Zeichen, die Kleider abzulegen, was in einem Augenblick geschehen war. Sancho war starr vor Staunen, soviel pudelnackte Burschen zu sehen, und staunte noch mehr, als er die Sonnenzelte mit solcher Geschwindigkeit aufziehn sah, daß er meinte, es hätten alle Teufel dabei geholfen. Aber alles dieses war nur Zuckerbrot gegen andres, was ich jetzt erzählen will.

Sancho saß ganz still auf der Laufplanke neben dem Vormann auf der Steuerbordseite, als dieser, von seiner Rolle bereits unterrichtet, Sancho um den Leib faßte und ihn mit den Armen in die Höhe schwang; das ganze Rudervolk war auf den Beinen und auf der Lauer und schwang und warf ihn, auf der Steuerbordseite anfangend, von Ruderbank zu Ruderbank, mit solcher Geschwindigkeit, daß es dem armen Sancho vor den Augen nebelte und er glaubte, die Teufel in eigner Person führten ihn von dannen; die Ruderleute aber machten nicht eher halt, bis sie ihn die ganze Backbordseite entlang zurückgeschleudert und auf dem Achterdeck säuberlich hingesetzt hatten. Der arme Mensch war ganz zerschlagen; er keuchte und schwitzte und wußte überhaupt nicht, wie ihm geschehen war.

Als Don Quijote seinen Sancho ohne Flügel so fliegen sah, fragte er den General, ob das die Begrüßung sei, die jedem zuteil werde, der zum erstenmal die Galeeren besuche; denn wenn dies der Fall wäre, so wolle er Seinesteils, da er nicht beabsichtige, sich dem Schiffsdienste zu widmen, keineswegs derlei Übungen mitmachen, und er schwöre zu Gott, wenn jemand ihn anfassen wolle, um Fangball mit ihm zu spielen, so werde er ihm mit Fußtritten die Seele aus dem Leib herausstampfen. Mit diesen Worten stand er auf und legte die Hand ans Schwert. In diesem Augenblick zog man die Sonnenzelte wieder ein und ließ mit ungeheurem Krach die Hauptrah von hoch oben herunterfallen. Sancho meinte, der Himmel ginge aus den Angeln und stürze ihm gerade auf seinen Kopf; vor Angst duckte er sich und steckte den Kopf zwischen die Beine. Auch Don Quijote behielt seine Fassung nicht völlig; auch er entsetzte sich, zog den Kopf zwischen die Schultern und verlor alle Farbe aus dem Gesicht. Die Mannschaft hißte die Rahe mit demselben Hasten und Tosen auf, wie sie sie eingezogen hatte, und alles das in tiefem Schweigen, als ob die Leute weder Stimme noch Atem hätten. Der Schiffsvogt gab das Zeichen, den Anker zu lichten, sprang dann mitten in den Gang zwischen den Bänken mit seinem Farrenschwanz, der Sklavengeißel, und begann damit über die Rücken der Ruderknechte hinzufahren, und die Galeere stach langsam in die See.

Als Sancho so viele rotbemalte Füße, denn dafür hielt er die Ruder, sich auf einmal in Bewegung setzen sah, sagte er zu sich selber: Das sind wirklich Zaubergeschichten, nicht aber, was mein Herr für solche ausgibt. Was haben diese Unglücklichen getan, daß man sie so peitscht? Und wie kann dieser Mensch ganz allein, der da umhergeht und pfeift, die Frechheit haben, so viele Leute durchzuhauen? Da sag ich wahrlich, das ist die Hölle oder wenigstens das Fegfeuer.

Don Quijote, der sah, mit welcher Aufmerksamkeit Sancho den Vorgang betrachtete, sprach zu ihm: »Ha, Freund Sancho, wie geschwind und mit wie wenig Mühe könntest du, wenn du wolltest, deinen Oberkörper entkleiden und dich mit unter diese Herrschaften setzen und auf diese Weise Dulcineas Entzauberung vollenden! Denn bei dem Leid und Schmerz so vieler würdest du das deine nicht sonderlich spüren; und zumal könnt es auch sein, daß der weise Merlin jeden von diesen Hieben, da sie von so kräftiger Hand ausgeteilt werden, für zehn von denen anrechnete, die du dir doch am Ende aufzählen mußt.«

Der General wollte gerade fragen, was das für Hiebe seien und was es mit der Entzauberung Dulcineas auf sich habe, als der wachhabende Matrose rief: »Festung Monjuich meldet ein Ruderschiff an der Küste westwärts in Sicht.«

Bei diesen Worten sprang der General auf die Laufplanke und rief: »Drauflos, Kinder! daß es uns nicht entkommt! Es muß eine Brigantine von algerischen Korsaren sein, die uns der Wartturm meldet.«

Sogleich steuerten die andren drei Galeeren zum Admiralsschiff heran, um Befehle einzuholen. Der General befahl, zwei von ihnen sollten in See stechen; er selbst wolle mit der dritten die Küste entlangfahren, da ihnen auf solche Weise das Schiff nicht entkommen könne. Das Schiffsvolk schlug die Ruder mächtig ins Wasser und trieb die Galeeren mit solcher Gewalt vorwärts, daß sie zu fliegen schienen. Die beiden, die in See gestochen waren, entdeckten auf ungefähr zwei Meilen Entfernung ein Schiff, das sie dem Augenmaß nach auf ein Fahrzeug von etwa vierzehn bis fünfzehn Ruderbänken schätzten, wie es auch wirklich der Fall war; sobald das Schiff die Galeeren gewahr wurde, setzte es alle Ruder bei, in der Absicht und Hoffnung, durch seine Leichtigkeit zu entkommen. Aber dies geriet ihm schlecht, denn die Admiralsgaleere war eines der leichtesten Fahrzeuge auf See und bedrängte es so, daß die Leute auf der Brigantine einsahen, daß an ein Entrinnen nicht zu denken war. Ihr Schiffshauptmann oder Arráez wollte daher, sie sollten die Ruder fallen lassen und sich ergeben, um den Befehlshaber unsrer Galeere nicht zu reizen; allein das Schicksal hatte es anders beschlossen, und als die Admiralsgaleere schon so nah war, daß die Leute auf dem Schiff die Stimmen hören konnten, die ihnen zuriefen, sich zu ergeben, da geschah es, daß zwei Torakis, was ungefähr soviel bedeutet wie zwei besoffene Türken, die mit zwölf andren die Besatzung der Brigantine bildeten, ihre Büchsen abfeuerten und mit ihren Schüssen zwei Soldaten auf unserem Vordersteven töteten. Bei diesem Anblick schwur der General, keinen von allen, die er auf dem Schiffe fangen würde, am Leben zu lassen; er griff mit höchster Wut an, aber das Schiff entschlüpfte ihm unter den Rudern weg. Indessen überholte die Galeere es bald um eine tüchtige Strecke, und die Leute im Schiff sahen sich verloren; noch setzten sie alle Segel, während die Galeere wendete, und taten abermals ihr Äußerstes mit Segeln und Rudern, aber alle ihre Anstrengung half ihnen nicht soviel, als ihre Verwegenheit ihnen schadete, denn die Admiralsgaleere holte sie eine halbe Meile später ein, warf die Enterhaken aus und machte die ganze Besatzung lebendig zu Gefangenen. Inzwischen waren die zwei andern Galeeren herangekommen, und alle vier kehrten mit dem genommenen Schiff nach dem Strande zurück, wo eine unzählige Menge Volk es sie erwartete, begierig zu sehen, was sie mitbrächten.

Der General ging nah am Land vor Anker, wo er erfuhr, daß der Vizekönig von Barcelona am Hafenplatz anwesend war. Er ließ das Boot aussetzen, um ihn an Bord zu holen, und befahl, die Rah herunterzulassen, um auf der Stelle den Arráez und die übrigen Türken, die er auf dem Schiff gefangengenommen, zu hängen; es mochten ihrer gegen sechsunddreißig Mann sein, alles rüstige Leute und meistens türkische Scharfschützen. Der General fragte, wer der Arráez auf der Brigantine sei, und einer der Gefangenen, der nachher als ein spanischer Renegat erkannt wurde, antwortete ihm auf kastilianisch: »Der junge Mann hier ist unser Arráez, Señor.« Und hierbei zeigte er auf einen Jüngling, einen der schönsten und stattlichsten, die die menschliche Phantasie sich nur hätte malen können. Seinem Aussehen nach war er noch keine zwanzig Jahre alt. Der General fragte ihn: »Sag mir, frecher Hund, was bewog dich, mir meine Soldaten zu töten, da du doch sahst, daß es unmöglich war zu entkommen? Ist das die Achtung, die man einer Admiralsgaleere schuldet? Weißt du nicht, daß Tollkühnheit keine Tapferkeit ist? Zweifelhafte Aussichten dürfen den Menschen kühn, aber nicht tollkühn machen.«

Der Arráez wollte antworten, aber der General konnte ihn für den Augenblick nicht anhören, weil er dem Vizekönig zur Begrüßung entgegengehen mußte, der soeben mit mehreren Dienern und einigen Personen aus der Stadt an Bord gestiegen war.

»Die Beute war gut, Herr General«, sagte der Vizekönig.

»Wie gut sie war«, antwortete der General, »werden Euer Exzellenz sogleich sehen, wenn sie an dieser Rah hängt.«

»Warum das?« fragte der Vizekönig.

»Weil sie mir«, antwortete der General, »gegen alles Recht und gegen Vernunft und Kriegsbrauch zwei von den besten Soldaten umgebracht haben, die ich auf diesen Galeeren hatte, und ich habe geschworen, alle Gefangenen aufzuknüpfen, besonders diesen Burschen, welcher der Arráez der Brigantine ist.«

Hierbei zeigte er ihm den jungen Mann, der schon die Hände gebunden und den Strick um die Kehle hatte und den Tod erwartete. Der Vizekönig betrachtete ihn, und da er ihn so schön und so stattlich und so demütig dastehen sah und seine Schönheit ihm in diesem Augenblick höchster Gefahr einen Empfehlungsbrief gab, so stieg in dem Vizekönig der Wunsch auf, ihn dem Tod zu entreißen; er fragte ihn daher: »Sag mir, Arráez, bist du ein Türke oder ein Maure oder ein Renegat?«

Darauf antwortete der Jüngling, ebenfalls auf kastilianisch: »Ich bin weder ein Türke noch ein Maure noch ein Renegat.«

»Was bist du denn dann?« entgegnete der Vizekönig.

»Ein Weib, eine Christin«, antwortete der Jüngling.

»Ein Weib, eine Christin, und in solcher Tracht und in solcher Lage? Über so etwas kann man sich eher wundern als es glauben.«

»Verschiebt, o liebe Herren, die Vollstreckung meines Todesurteils«, sagte der Jüngling; »es kann nicht viel verlorengehen, wenn Eure Rache so lange zögert, bis ich Euch meine Lebensgeschichte erzählt habe.«

Wer wäre so harten Herzens gewesen, daß er sich durch diese Worte nicht hätte erweichen lassen oder wenigstens hätte anhören wollen, was der betrübte und kummervolle Jüngling zu sagen wünschte? Der General gestattete ihm vorzubringen, was er zu sagen habe; er möge aber nicht hoffen, Vergebung für seine erwiesene Schuld zu erlangen. Der Jüngling benutzte diese Erlaubnis zu folgender Erzählung: »Ich stamme von jenem Volke, dessen Unglück größer ist als seine Besonnenheit und auf welches in diesen Tagen ein Meer des Unheils herabgeströmt ist; meine Eltern sind Morisken. Im Verlauf ihres unglücklichen Geschickes wurde ich von zweien meiner Oheime nach der Berberei gebracht, ohne daß es mir etwas half, als ich ihnen erklärte, daß ich eine Christin sei, wie ich es wirklich bin, und zwar keine Scheinchristin, sondern eine wahre und echte. Bei den Beamten, die unsre jammervolle Austreibung zu überwachen hatten, half es mir nichts, dieses wahrhafte Bekenntnis abzulegen, und ebensowenig wollten ihm meine Oheime Glauben schenken; vielmehr hielten sie es für eine Lüge, erfunden zu dem Zwecke, daß ich in dem Lande meiner Geburt bleiben könnte; und so schleppten sie mich mit Gewalt fort. Ich hatte eine Christin zur Mutter und einen Vater, der verständig und nicht minder dem Christentum ergeben war; ich sog den katholischen Glauben mit der Muttermilch ein und war im sittlichen Wandel erzogen, und weder hierin, wie ich glaube, noch in der Sprache verriet ich jemals die Moriskin. Mit diesen Tugenden – denn ich glaube, daß es solche sind – hielten meine Reize, wenn ich einige besitze, gleichen Schritt und wuchsen mit ihnen, und obwohl mein Leben gewiß ein sehr sittsames und eingezogenes war, so genügte meine Zurückgezogenheit doch wohl nicht, um einem jungen Edelmann namens Don Gaspár Gregorio die Gelegenheit zu versagen, mich zu sehen. Er war der Sohn und Majoratserbe eines Herrn, der nah bei unsrem Dorfe seinen Edelsitz hatte. Wie er dazu gelangte, mich zu sehen und mich zu sprechen, wie er sich sterblich in mich verliebte und wie ich mich dennoch nicht ganz von ihm gewinnen ließ, das wäre zu weitläufig zu erzählen, zumal in einem Augenblick, wo ich fürchten muß, daß der grausame Strick, der mich bedroht, sich mir zwischen Zunge und Kehle zusammenschnüren wird; und so will ich nur sagen, daß Don Gaspár mich bei unsrer Auswanderung begleiten wollte. Er mischte sich unter die Morisken, die aus andern Orten auszogen, da er deren Sprache sehr gut verstand, und während der Reise schloß er Freundschaft mit meinen beiden Oheimen, die mich mitgenommen hatten; denn mein Vater, ein kluger und vorsichtiger Mann, hatte bereits nach der ersten Bekanntmachung des Ausweisungsbefehls unser Dorf verlassen und suchte in fremden Landen, wer uns aufnehmen möchte. Er hatte an einer Stelle, die ich allein kenne, viele Perlen und Steine von hohem Wert nebst einigem Barvorrat an goldenen Cruzados und Dublonen vergraben und verborgen zurückgelassen. Er gebot mir, unter keiner Bedingung jemals an diesen Schatz zu rühren, wenn man uns etwa vor seiner Rückkehr vertreiben sollte. Ich gehorchte und zog, wie gesagt, mit meinen Oheimen und andren Verwandten und Bekannten nach der Berberei, und der Ort, wo wir uns niederließen, war Algier; es war, als wären wir in die Hölle gekommen.

Der König erhielt von meiner Schönheit unverzüglich Nachricht, und der Ruf gab sie ihm auch von meinen Reichtümern, was teilweise mir zum Glück ausschlug. Er berief mich zu sich und fragte mich, aus welcher Gegend von Spanien ich sei und was für Geld und Kleinodien ich mitbrächte. Ich nannte ihm das Dorf und fügte bei, Geld und Kleinodien seien dort vergraben; sie seien aber mit Leichtigkeit in Besitz zu nehmen, wenn ich selber zurückkehrte, sie zu holen. Alles dieses sagte ich ihm aus Furcht, daß meine Schönheit, und in der Absicht, daß vielmehr seine Habsucht ihn verblenden möchte. Während er sich so mit mir unterhielt, meldete man ihm, mit mir zusammen sei einer der stattlichsten und schönsten Jünglinge gekommen, die man sich denken könne. Es war mir sogleich klar, daß damit Don Gaspár Gregorio gemeint sei, dessen Schönheit in der Tat die herrlichste und gepriesenste übertrifft. Ich geriet in Bestürzung, da ich die Gefahr erwog, in welcher Don Gáspar schwebte; denn unter jenen türkischen Barbaren wird ein schöner Knabe oder Jüngling höher gehalten und geschätzt als ein Weib, und wenn es noch so reizend wäre. Der König befahl sogleich, den Jüngling herbeizuführen, um ihn zu sehen, und fragte mich, ob es wahr sei, was man von dem jungen Mann sage. Ich nun, als hätte ich plötzlich vom Himmel eine Eingebung erhalten, sagte, es sei allerdings so, aber ich müsse ihm mitteilen, er sei kein Mann, sondern ein Weib wie ich, und ich bäte ihn, mir zu gestatten, daß ich ihm die Kleidung seines Geschlechts anlege, damit seine Schönheit sich in ihrem vollen Glanze zeigen und er ohne Verlegenheit vor seinen Augen erscheinen könne. Er antwortete mir, ich möchte nur immer hingehen und dies tun, und am nächsten Tage wollten wir besprechen, wie man es anfangen solle, daß ich nach Spanien zurückkehren könne, um den verborgenen Schatz zu heben. Ich sprach mit Don Gaspár, erzählte ihm die Gefahr, die ihm drohe, wenn er sich als Mann zeige, kleidete ihn in die Tracht einer Maurin und führte ihn noch an dem nämlichen Nachmittag vor den König, welcher das vermeinte Mädchen voll Bewunderung sah und sich vornahm, es als Geschenk für den Großherrn zu behalten. Da er die Gefahr vermeiden wollte, die ihr im Serail seiner Frauen drohen konnte, und da er sich vor sich selbst fürchtete, befahl er, sie zu vornehmen maurischen Damen zu bringen, welche sie bewachen und bedienen sollten, und so geschah es unverzüglich. Was wir beide empfanden – denn ich leugne nicht, daß ich ihn liebe –, mögen diejenigen würdigen, welche voneinander scheiden mußten, wenn sie sich von Herzen liebten.

Der König befahl sogleich, ich solle auf dieser Brigantine nach Spanien zurückkehren, begleitet von zwei seiner türkischen Soldaten; es waren dieselben, die Eure Soldaten erschossen haben. Auch fuhr dieser spanische Renegat mit mir herüber – und hierbei deutete sie auf den, welcher zuerst gesprochen hatte –; »ich kenne ihn als einen heimlichen Christen, der weit lieber in Spanien bleiben als nach der Berberei zurückkehren möchte. Die übrige Mannschaft der Brigantine besteht aus Mauren und Türken, die nur zum Rudern zu gebrauchen sind. Die beiden Türken, habgierige und freche Leute, wollten dem Befehl nicht Folge leisten, mich und diesen Renegaten an der nächsten spanischen Küste in der Tracht von Christen, mit welcher wir versehen sind, an Land zu setzen; vielmehr beabsichtigten sie, erst an dieser Küste auf Kaperei zu kreuzen und womöglich irgendein Schiff zu erbeuten. Sie fürchteten, wenn sie uns vorher ans Land setzten, so könnten wir zwei durch irgendeinen Zufall verraten, daß die Brigantine noch auf See kreuze, und wenn etwa Galeeren an der Küste wären, würden diese das Schiff aufbringen. In letzter Nacht kam uns der Strand hier in Sicht, und ohne diese vier Galeeren zu bemerken, wurden wir von ihnen aufgespürt, und dann geschah, was Ihr gesehen habt. Es ist mithin so gekommen, daß Don Gaspár Gregorio in Frauenkleidern unter Frauen weilt, in augenscheinlicher Gefahr, ins Verderben zu geraten, und daß ich hier mit gebundenen Händen stehe, in der Erwartung, mein Leben zu verlieren, welches mir ohnehin schon zur Last wird. Dies ist, meine Herren, das Ende meiner traurigen Geschichte, die ebenso wahr als traurig ist. Ich bitte Euch: laßt mich als Christin sterben; denn, wie ich schon gesagt, in keinem Punkt war ich mitschuldig an der Schuld, in welche die Angehörigen meines Volkes gefallen sind.«

Hier schwieg sie, ihre Augen füllten sich mit schmerzlichen Tränen, und viele von den Anwesenden weinten mit ihr. Der Vizekönig, gerührt und voll Mitleid, trat zu ihr hin, ohne ein Wort zu sagen, und löste mit seinen eignen Händen den Strick von den schönen Händen der Maurin, der sie zusammengebunden hielt.

Während aber die christliche Moriskin ihre merkwürdige Geschichte erzählte, hielt ein alter Pilger, der zugleich mit dem Vizekönig an Bord der Galeere gekommen, die Augen auf sie geheftet, und kaum hatte die Moriskin ihre Rede beendet, als er sich vor ihr niederwarf, ihre Füße mit den Armen umfaßte und, von Schluchzen und Seufzen tausendmal unterbrochen, zu ihr sprach: »O Ana Felix, meine unglückliche Tochter, ich bin dein Vater Ricote, der zurückgekehrt ist, um dich aufzusuchen, weil ich ohne dich nicht leben kann, die du meine Seele bist!«

Bei diesen Worten riß Sancho seine Augen weit auf und hob den Kopf in die Höhe, den er im Nachsinnen über das Mißgeschick seiner Luftfahrt bisher gesenkt hielt, sah den Pilger aufmerksam an, erkannte in ihm denselben Ricote, den er an dem Tage angetroffen, wo er seine Statthalterschaft verließ, und erkannte nun auch seine Tochter, welche, jetzt ihrer Bande ledig, ihren Vater umarmte und ihre Tränen mit den seinigen mischte.

Ricote sprach zu dem General und dem Vizekönig: »Dies, verehrte Herren, ist meine Tochter, die minder glücklich in ihren Schicksalen als in ihrem Namen ist. Ana Felix heißt sie, mit dem Familiennamen Ricote, und war weitbekannt um ihrer Schönheit wie um meines Reichtums willen. Ich habe mein Vaterland verlassen, um in fremden Reichen zu suchen, wer uns Herberge und Aufnahme gewähren wolle, und als ich dies in Deutschland gefunden, kehrte ich in dieser Pilgertracht in Gesellschaft andrer Deutscher zurück, meine Tochter zu suchen und die großen Reichtümer auszugraben, die ich versteckt zurückgelassen hatte. Meine Tochter fand ich nicht, ich fand nur den Schatz, den ich bei mir habe, und jetzt, auf dem seltsamen Umweg, den Ihr mit angesehen, habe ich den Schatz gefunden, der mich am reichsten macht, meine geliebte Tochter. Wenn unsre Schuldlosigkeit und ihre Tränen und die meinigen in Eurem strengen Gerechtigkeitsgefühle dem Erbarmen eine Pforte zu öffnen vermögen, so lasset es uns zuteil werden, die wir niemals daran gedacht haben, Euch zu beleidigen, und niemals an den Anschlägen der Unsrigen teilgenommen, die mit Recht des Landes verwiesen wurden.«

Hier fiel Sancho ein: »Ich kenne den Ricote ganz gut und weiß, daß er die Wahrheit sagt in betreff dessen, daß Ana Felix seine Tochter ist; was aber die anderen Lappalien betrifft mit dem Fortreisen und Wiederkommen, mit den guten und bösen Anschlägen, das geht mich nichts an.«

Alle Anwesenden waren über den merkwürdigen Fall hocherstaunt, und der General sagte: »Ganz gewiß hindern mich Eure Tränen an der Erfüllung meines Schwures; lebet, schöne Ana Felix, soviel Lebensjahre Euch der Himmel beschieden hat. Aber jene zwei frechen, zuchtlosen Kerle sollen das Verbrechen büßen, das sie begangen haben.«

Sogleich befahl er, die beiden Türken, die seine Soldaten erschossen hatten, an der höchsten Rah aufzuknüpfen, aber der Vizekönig bat ihn inständig, sie nicht hängen zu lassen, da ihre Tat eher von Verrücktheit als von Rauflust zeuge. Der General erfüllte den Wunsch des Vizekönigs, denn Rache wird selten bei kaltem Blute geübt.

Dann beriet man, auf welche Weise Don Gaspár Gregorio aus der Gefahr, in der er schwebte, gerettet werden könnte. Ricote bot dafür eine Summe von über zweitausend Talern an, die er in Perlen und Kostbarkeiten bei sich hatte. Man ersann mancherlei Anschläge, aber keiner erschien so zweckmäßig wie der, welchen der vorher erwähnte spanische Renegat angab. Dieser erbot sich nämlich, in einer kleinen Barke von etwa sechs Ruderbänken mit christlichen Ruderern nach Algier zu fahren, da er wisse, wo, wie und wann er landen könne und müsse; auch sei ihm das Haus wohlbekannt, in dem Don Gaspár sich aufhalte. Der General und der Vizekönig hatten Bedenken, sich auf den Renegaten zu verlassen und ihm die Christen anzuvertrauen, welche die Ruder führen sollten, aber Ana Felix verbürgte sich für ihn, und ihr Vater Ricote erklärte, er werde das Lösegeld für die Christen bezahlen, falls ihnen etwa ein Unglück begegnen sollte. Nachdem sie sich für diesen Plan entschlossen hatten, fuhr der Vizekönig wieder an Land, und Don Antonio Moreno nahm die Moriskin und ihren Vater mit nach seinem Hause, wobei der Vizekönig ihm auftrug, sie nach bestem Vermögen zu bewirten und liebevoll zu pflegen, und ihm seinerseits alles anbot, was sich zu diesem Zwecke in seinem eigenen Hause finden würde. So groß war das Wohlwollen und das Mitgefühl, das die Schönheit der Ana Felix in seiner Brust erweckt hatte.

64. Kapitel


Welches von dem Abenteuer handelt, das von allen, die Don Quijote bisher erlebt, ihm am meisten Kummer machte

Don Antonio Morenos Gemahlin, so erzählt die Geschichte, war hocherfreut, Ana Felix in ihrem Hause zu sehen. Sie nahm sie mit großer Freundlichkeit auf und verliebte sich schier in ihre Schönheit sowie in ihren Verstand, denn mit beidem war die Moriskin ungewöhnlich von der Natur begünstigt, und alle Leute aus der Stadt, als hätte man sie mit Glocken herbeigeläutet, kamen, um sie zu sehen.

Don Quijote äußerte gegen Don Antonio, das Mittel, das man zur Befreiung Don Gaspár Gregorios gewählt habe, sei nicht das richtige, denn es sei mehr gefährlich als zweckmäßig; am besten wäre es, wenn man ihn mit seinen Waffen hoch zu Roß nach der Berberei brächte; er würde ihn dem ganzen Maurenvolke zum Trotz der Gefangenschaft entreißen, wie Don Gaiféros seine Gattin Melisendra befreit habe.

»Bedenket, Euer Gnaden«, sagte Sancho, als er dies hörte, »daß der Señor Don Gaiféros seine Gattin auf festem Lande befreite und sie auf dem festen Lande nach Frankreich brachte; aber hier, wenn wir vielleicht den Don Gaspár Gregorio befreien, wie sollen wir ihn nach Spanien bringen, wo doch die See dazwischenliegt?«

»Für alles gibt es ein Mittel außer gegen den Tod«, entgegnete Don Quijote; »denn wenn nur die Barke zum Strande gelangt, können wir uns darin einschiffen, und wollte auch die ganze Welt es verwehren.«

»Euer Gnaden malt sich dies gut aus und macht sich’s leicht«, sagte Sancho; »aber zwischen gesagt und getan streckt sich eine lange Bahn, und ich halte es mit dem Renegaten; der scheint mir ein anständiger und guter Mann zu sein.«

Don Antonio bemerkte, wenn der Renegat mit der Sache nicht fertigwerde, so könne man ja immer noch das Auskunftsmittel ergreifen, den großen Don Quijote nach der Berberei hinübergehen zu lassen.

Zwei Tage später schiffte sich der Renegat auf einer leichten Barke mit sechs Ruderbänken an jeder Seite ein, die mit dem tapfersten Schiffsvolk bemannt war; und wieder zwei Tage später fuhren die Galeeren nach der Levante ab, nachdem der General den Vizekönig ersucht hatte, ihn freundlichst von der Befreiung des Don Gaspár Gregorio und allen weiteren Schicksalen der Ana Felix zu benachrichtigen. Der Vizekönig versprach, diesen Wunsch zu erfüllen.

Eines Morgens ritt Don Quijote am Strande spazieren, vollständig gerüstet und gewappnet, denn, wie er häufig sagte: Meine Zierde sind die Waffen, und mein Ausruhn ist der Kampf; und daher ging er keinen Augenblick ohne Rüstung aus. Da sah er einen ebenfalls von Kopf bis Fuß gewaffneten Ritter auf sich zukommen, der einen hellglänzenden Mond im Schilde führte; und als dieser nah genug war, daß man ihn hören konnte, rief er mit lauter Stimme, seine Worte an Don Quijote richtend: »Erlauchter Ritter und nie nach Gebühr gepriesener Don Quijote von der Mancha, ich bin der Ritter vom weißen Monde, dessen unerhörte Heldentaten dir diesen Namen vielleicht ins Gedächtnis zurückgerufen haben. Ich komme, mit dir zu kämpfen und die Kraft deiner Arme zu erproben, damit du erkennest und gestehest, daß meine Dame, wer sie auch immer sei, ohne allen Vergleich schöner ist als deine Dulcinea von Toboso. Wenn du diese zweifellose Tatsache ohne viel Umstände bekennest, so wirst du dir den Tod ersparen und mir die Mühsal, dir den Tod zu geben; wenn du aber kämpfen willst und ich dich besiege, so verlange ich keine andere Genugtuung, als daß du ein volles Jahr hindurch die Waffen ablegst, dich enthältst, auf die Suche nach Abenteuern zu gehen, dich in dein Dorf heimbegibst und zurückziehst, wo du leben sollst, ohne Hand ans Schwert zu legen, in stillem Frieden und ersprießlicher Ruhe, denn also wird es dir gut sein zur Mehrung von Hab und Gut und zum Heil deiner Seele. Wenn du jedoch mich besiegst, so sollst du über mein Leben verfügen, und meine Waffen und mein Roß sollen deine Beute sein, und der Ruhm meiner Taten soll auf dich und deinen Ruhm übergehen. Nun erwäge, was dir am besten scheint, und antworte mir alsbald; diesen ganzen heutigen Tag habe ich mir zur Frist gesetzt, um diesen Handel zu Ende zu führen.«

Don Quijote war betroffen und staunte höchlich, sowohl ob der Vermessenheit des Ritters vom weißen Mond als auch ob des Grundes dieser Herausforderung; und mit Gelassenheit und strenger Miene gab er ihm zur Antwort: »Ritter vom weißen Monde, dessen Großtaten mir bis jetzt noch nicht zur Kenntnis gelangt sind, ich werde Euch schon zum Eidschwur zwingen, daß Ihr die erlauchte Dulcinea niemals gesehen habt. Wenn Ihr sie gesehen hättet, so weiß ich, Ihr würdet Euch hüten, Euch in eine solche Fehde einzulassen, denn ihr Anblick würde Euch der Selbsttäuschung entreißen und Euch belehren, daß es nie eine Schönheit gegeben hat noch geben kann, die da vermöchte, sich mit der ihrigen zu vergleichen. Und indem ich Euch sonach sage, nicht daß Ihr lüget, sondern daß Ihr in Eurem Vorhaben fehlgeht, nehme ich Eure Forderung an unter den Bedingungen, die Ihr dargelegt habt, und zwar auf der Stelle, damit der Tag, den Ihr dazu bestimmt habt, nicht vorübergehe; von Euren Bedingungen aber nehme ich nur die aus, daß der Ruhm Eurer Heldentaten auf mich übergehen soll, denn ich weiß nicht, worin sie bestehen und welcher Art sie sind; ich bin mit den meinigen begnügt, wie sie nun auch sein mögen. Nehmt also soviel Feld zum Anrennen, als Ihr wünschet, ich werde dasselbe tun, und wem es Gott verleiht, dem gebe Sankt Peter seinen Segen dazu.«

Man hatte von der Stadt aus den Ritter vom weißen Mond bemerkt und dem Vizekönig mitgeteilt, daß er mit Don Quijote von der Mancha Zwiesprache halte. Der Vizekönig glaubte, es sei irgendein neues Abenteuer, das Don Antonio Moreno oder sonst ein Edelmann aus der Stadt ausgeheckt habe, begab sich sogleich mit Don Antonio und mehreren andern Edelleuten seines Gefolges nach dem Strande und kam eben an, als Don Quijote Rosinante umwendete, um den nötigen Anlauf zu nehmen. Als nun der Vizekönig sah, daß die beiden Miene machten, zu wenden und aufeinander anzurennen, warf er sich dazwischen und fragte sie nach dem Grunde, der sie so unversehens zum Kampfe veranlasse. Der Ritter vom weißen Monde antwortete, es handle sich um den Vorrang der Schönheit, und wiederholte ihm in kurzen Worten, was er Don Quijote gesagt, nebst der Annahme der von beiden Teilen aufgestellten Bedingungen der Herausforderung. Der Vizekönig näherte sich Don Antonio und fragte ihn leise, ob er wisse, wer dieser Ritter vom weißen Monde sei, oder ob es eine Posse sei, die man Don Quijote spielen wolle. Don Antonio antwortete ihm, er wisse weder, wer er sei, noch ob die Forderung zum Scherz oder ernst gemeint sei.

Diese Antwort brachte den Vizekönig in Verlegenheit; er wußte nicht, ob er den Kampf vor sich gehen lassen sollte oder nicht. Da er jedoch unmöglich annehmen konnte, daß es etwas andres als Scherz sei, entfernte er sich mit den Worten: »Meine Herren Ritter, wenn es hier kein andres Mittel gibt, als zu bekennen oder zu sterben, und der Señor Don Quijote auf seinem Sinn und Ihr, Ritter vom weißen Mond, auf Eurem Unsinn beharrt, dann sei es so in Gottes Namen, und drauflos!«

Der vom weißen Mond dankte mit höflichen und verständigen Worten dem Vizekönig für die ihnen gewährte Erlaubnis, und Don Quijote tat desgleichen. Der letztere befahl sich von ganzem Herzen dem Himmel und seiner Dulcinea, wie er beim Beginn jedes sich ihm darbietenden Kampfes gewohnt war, nahm hierauf noch etwas mehr Feld zum Anrennen, weil er sah, daß sein Gegner das nämliche tat, und ohne daß eine Trompete oder ein andres kriegerisches Instrument erklang, um ihnen das Zeichen zum Angriff zu geben, wandten sie beide in ein und demselben Augenblick ihre Rosse, und da das des Mondritters schneller war, traf er bei zwei Dritteilen der Kampfbahn mit Don Quijote zusammen und rannte ihn mit so gewaltiger Kraft an, daß er, ohne ihn mit dem Speer zu berühren, welchen er anscheinend absichtlich in die Höhe hielt, Rosinante samt Don Quijote in gefährlichem Fall zu Boden warf. Sogleich stürzte er über ihn her, setzte ihm den Speer auf das Visier und sagte: »Ihr seid besiegt, Ritter; ja Ihr seid des Todes, wenn Ihr nicht bekennet gemäß den Bedingungen unsrer Herausforderung.«

Don Quijote, zerschlagen und betäubt, sprach mit schwacher, kraftloser Stimme, welche, da er das Visier nicht hob, wie aus einem Grabe hervorklang: »Dulcinea von Toboso ist das schönste Weib auf der Welt, und ich bin der unglücklichste Ritter auf Erden, und es wäre nicht recht, wenn diese Wahrheit durch meine Schwäche Eintrag erlitte, stoß zu, Ritter, mit deinem Speer und nimm mir das Leben, da du mir die Ehre genommen.«

»Das werde ich sicherlich nicht tun«, sagte Der vom weißen Mond; »es lebe, es lebe in seinem ungeschmälerten Glanze der Ruhm der Schönheit des Fräuleins Dulcinea von Toboso! Ich begnüge mich schon damit, daß der große Don Quijote sich auf ein Jahr oder bis zu der Frist, die ich ihm setzen werde, auf sein Dorf zurückziehe, wie wir übereingekommen, bevor wir uns in diesen Kampf begaben.«

Der Vizekönig und Don Antonio und viele andere, die zugegen waren, vernahmen dies alles und hörten auch Don Quijote antworten, wenn er nichts von ihm begehre, was zu Dulcineas Nachteil gereiche, so werde er alles andre erfüllen als gewissenhafter und rechter Ritter.

Nach dieser Zusicherung wendete Der vom weißen Mond sein Pferd, verbeugte sich vor dem Vizekönig und ritt in kurzem Galopp in die Stadt. Der Vizekönig befahl Don Antonio, ihm nachzueilen und unter jeder Bedingung zu erforschen, wer er sei. Man hob Don Quijote auf, löste ihm das Visier vom Gesicht und fand ihn bleich und in Schweiß zerfließend. Rosinante war so übel zugerichtet, daß er sich für jetzt nicht rühren konnte. Sancho, tief betrübt und von Kummer ganz niedergedrückt, wußte nicht, was er sagen noch was er tun sollte. Es war ihm, als sei dieses ganze Begebnis im Traum an ihm vorübergegangen und dies ganze Schauspiel nur ein wüster Spuk. Er sah seinen Herrn besiegt und verpflichtet, ein Jahr lang die Waffen nicht anzurühren. Das Ruhmeslicht seiner Heldentaten erschien ihm verdunkelt, die Hoffnung auf seine neuen Versprechungen zu nichts geworden, wie der Rauch im Winde in nichts verweht. Er war in ängstlichen Zweifeln, ob Rosinante lahm bleiben würde oder nicht und ob man seinem Herrn die verdrehten Glieder je wieder einrenken könnte – wiewohl es ein rechtes Glück gewesen wäre, wenn man ihm nur den verdrehten Kopf wieder einrichten könnte.

Endlich wurde Don Quijote in einer Sänfte, die der Vizekönig herbeiholen ließ, nach der Stadt gebracht, und der Vizekönig kehrte ebenfalls dahin zurück, voll Begierde, zu erfahren, wer der Ritter vom weißen Mond sei, der Don Quijote so übel mitgespielt hatte.

61. Kapitel


Von den Erlebnissen Don Quijotes beim Einzug in Barcelona, nebst mancherlei, worin mehr Wahres als Gescheites enthalten

Drei Tage und drei Nächte verweilte Don Quijote bei Roque, und wenn er dreihundert Jahre verweilt hätte, so hätte er an dessen Lebensweise immer mehr als genug zu beobachten und zu bewundern gefunden. An einem Orte erwarteten sie den Sonnenaufgang, an dem andern aßen sie zu Mittag; einmal flohen sie, ohne zu wissen wovor, ein andermal harrten sie lange, ohne zu wissen worauf. Sie schliefen stehend, dann unterbrachen sie ihren Schlummer, um von einem Orte zum andern zu ziehen. Beständig galt es, Kundschafter aufzustellen, Schildwachen abzuhören, die Lunten ihrer Büchsen anzublasen, obschon sie deren nicht viel hatten, da sie Stutzen mit Feuersteinschlössern benützten. Roque verbrachte die Nächte getrennt von den Seinigen an Orten, die sie nicht erraten konnten; denn die vielen Achtserklärungen, die der Vizekönig in Barcelona gegen ihn erlassen hatte, hielten ihn in beständiger Unruhe und Besorgnis; er wagte sich niemandem anzuvertrauen und fürchtete, daß seine eignen Leute ihn entweder umbringen oder der Gerechtigkeit überliefern würden: gewiß ein elendes, qualvolles Leben.

Endlich zogen Roque, Don Quijote und Sancho mit sechs von den Knappen auf unbetretenen Wegen, auf Nebenpfaden und verborgenen Stegen nach Barcelona. Sie kamen in der Nacht vor dem Johannisfeste am Strande an, Roque umarmte Don Quijote und Sancho, gab letzterem die zehn versprochenen Goldtaler, die er ihm bis jetzt noch nicht ausgehändigt hatte, und verließ sie unter tausend gegenseitigen Höflichkeitsbezeigungen und Freundschaftsversicherungen.

Roque ritt zurück, Don Quijote erwartete so zu Pferde, wie er gekommen, den Tag, und in der Tat dauerte es nicht lange, bis von den Balkonen des Ostens her das Gesicht der hellen Morgenröte sich entschleierte, die Kräuter und Blumen erfreuend, aber freilich nicht das Gehör der Menschen. Indessen bekamen im nämlichen Augenblick die Ohren doch genug des Genusses am Getöse zahlreicher Schalmeien und Mohrentrommeln, man hörte Schellen klingen und das Trapp-Trapp, das »Macht-Platz! Macht Platz!« der Reiter, die offensichtlich aus der Stadt kamen. Die Morgenröte wich der Sonne, die mit einem Angesicht, größer als das Rund eines Schildes, vom tiefsten Horizont allmählich emporstieg. Don Quijote und Sancho ließen ihre Blicke nach allen Seiten schweifen, sie erblickten das Meer, das von ihnen noch nie erschaut worden, und es schien ihnen weit, unermeßlich zu sein, viel größer als die Teiche der Ruidera, die sie in der Mancha gesehen hatten. Sie erblickten die Galeeren, die am Strande vor Anker lagen, ihre Schirmdächer herabließen und sich dann mit Wimpeln und Fähnchen bedeckt zeigten, die im Winde flatterten und die Wogen streiften und küßten; im Innern ertönten Oboen, Trompeten und Schalmeien, welche die Luft nah und fern mit lieblichen und kriegerischen Klängen erfüllten. Die Schiffe begannen sich in Bewegung zu setzen und eine Art von Seegefecht auf den ruhigen Gewässern aufzuführen, und schier ein Seitenstück dazu führten die zahllosen Reiter auf, die auf schönen Rossen und in glänzenden Trachten aus der Stadt herausgeritten kamen. Die Soldaten auf den Galeeren feuerten zahlloses Geschütz ab, worauf die Mannschaften auf den Mauern und Schanzen der Stadt antworteten; das schwere Geschütz krachte mit furchtbarem Donner durch die Lüfte, und ihm antworteten die Kanonen auf dem Verdeck der Galeeren. Das ruhig heitere Meer, das froh bewegte Gestade, die reine Luft, die nur zuweilen durch den Rauch des Geschützes getrübt wurde, schienen aller Welt plötzlich eine freudige Stimmung einzuflößen und neu zu wecken. Sancho konnte nicht begreifen, wie diese mächtigen Körper, die sich im Meere hinbewegten, so viele Füße haben konnten.

Mittlerweile kamen die Männer in Rittertracht mit wildem Rufen, Schlachtgeschrei und Jauchzen herangesprengt bis zu der Stelle, wo Don Quijote voll Staunen und Verwunderung hielt, und einer von ihnen, derselbe, dem Roque die Nachricht hatte zukommen lassen, rief Don Quijote mit lauter Stimme an: »Willkommen sei er in unsrer Stadt, der Spiegel, der Leuchtturm, die Sonne, der Leitstern der gesamten fahrenden Ritterschaft, wie es andern Ortes ausführlicher geschrieben steht! Willkommen sei, sag ich, der streitbare Don Quijote von der Mancha! Nicht der unechte, der gefälschte, der untergeschobene, welchen man uns dieser Tage in erlogenen Geschichten vorgeführt hat, sondern der wahre, rechtmäßige und echte, den uns Sidi Hamét Benengelí beschrieben hat, die Blume aller Geschichtsschreiber.«

Don Quijote erwiderte kein Wort, auch warteten die Reiter nicht auf eine Antwort, sondern sie ritten mit ihrem Gefolge in allerhand Wendungen hin und wider und tummelten sich im Kreise rings um Don Quijote; und dieser wendete sich zu Sancho und sprach: »Diese Herren haben uns richtig erkannt; ich wette, sie haben unsre Geschichte gelesen, ja auch die kürzlich gedruckte des Aragonesen.«

Der Reiter, welcher Don Quijote angeredet hatte, kehrte wieder zu ihm zurück und sagte: »Señor Don Quijote, seid so freundlich, mit uns zu kommen, wir sind insgesamt Eure Diener und nah befreundet mit Roque Guinart.«

Don Quijote antwortete: »Wenn feine Lebensart wiederum feine Lebensart erzeugt, so ist die Eure, Herr Ritter, eine Tochter oder nahe Verwandte derjenigen des großen Roque. Führt mich, wohin es Euch beliebt; ich habe keinen andern Willen als den Eurigen, zumal wenn Ihr ihn für Eure Dienste in Anspruch nehmen wollt.«

Mit nicht weniger höflichen Worten antwortete ihm der Edelmann; dann nahmen sie alle Don Quijote in die Mitte und ritten beim Klange der Schalmeien und Mohrentrommeln mit ihm nach der Stadt. Beim Einzug aber in dieselbe trieb der Böse sein Spiel, der alles Böse anstiftet, im Verein mit den Gassenbuben, die noch böser sind als der Böse; zwei derselben, mutwillig und frech, drängten sich durch die Menge hindurch, einer von ihnen hob dem Esel und der andre dem Rosinante den Schwanz in die Höhe, und sie schoben und befestigten darunter ein paar Büschel Stachelginster. Die armen Tiere spürten diese neue Art von Sporen, und da sie die Schwänze fest andrückten, steigerten sie selbst ihren Schmerz, so daß sie sich bäumten und mit tausend Seitensprüngen ihre Reiter abwarfen. Don Quijote, erzürnt und beschämt, eilte, den Federbusch unter dem Schwanz seiner Mähre hervorzureißen, und ebenso Sancho unter dem seines Grautiers. Don Quijotes Begleiter wollten die Frechheit der Gassenbuben bestrafen, aber das war nicht möglich, da es diesen leicht gelang, sich inmitten von mehr als tausend ihresgleichen, die ihnen nachliefen, zu verbergen. Don Quijote und Sancho stiegen wieder auf, und unter denselben Jubelrufen und Klängen der Musik gelangten sie zum Hause ihres Führers;, dem man an seiner Größe und Schönheit ansah, daß es einem reichen Edelmann gehörte. Hier wollen wir ihn für jetzt lassen, da Sidi Hamét es so will.

58. Kapitel


Welches berichtet, wie so viel Abenteuer auf Don Quijote einstürmten, daß eines dem andern gar keinen Raum ließ

Als Don Quijote sich in freiem Felde sah, ledig und erlöst von den Liebeswerbungen Altisidoras, fühlte er sich ganz in seinem Elemente, als wenn all seine Lebensgeister sich in ihm erneuten, um aufs neue dem Berufe seines Rittertums nachzugehen. Er wendete sich zu Sancho und sprach zu ihm: »Die Freiheit, Sancho, ist eine der köstlichsten Gaben, die der Himmel dem Menschen verliehen; mit ihr können sich nicht die Schätze vergleichen, welche die Erde in sich schließt noch die das Meer bedeckt. Für die Freiheit wie für die Ehre darf und muß man das Leben wagen; Gefangenschaft dagegen ist das größte Unglück, das den Menschen treffen kann. Dies sage ich, Sancho, weil du wohl gesehen hast, welche Gastlichkeit, welchen Überfluß wir in diesem Schloß gefunden haben, das wir jetzt verlassen; und dennoch: bei all jenen üppigen Festmahlen und jenen in Schnee gekühlten Getränken war mir geradeso zumute, als säße ich mitten in den Bedrängnissen des Hungers, denn ich genoß es nicht mit der Freiheit, mit der ich es genossen hätte, wenn alles mein Eigentum gewesen wäre. Die Verpflichtungen, die uns empfangene Wohltaten und Gunstbezeigungen auferlegen, sind Fesseln, die den Geist nicht frei walten lassen. Glücklich, wem der Himmel ein Stück Brot gegeben, ohne daß ihm die Verpflichtung obliegt, einem andern als dem Himmel selbst dafür zu danken.«

»Bei alldem, was Euer Gnaden mir da gesagt hat«, meinte Sancho, »wäre es doch nicht recht, wenn die zweihundert Goldtaler ohne Dank unsrerseits blieben, welche der Haushofmeister des Herzogs mir gegeben und die ich als Magenpflaster und Stärkungsmittel für vorkommende Fälle auf dem Herzen trage; denn wir werden nicht immer Schlösser finden, wo man uns gastlich pflegt; manchmal werden wir auch Schenken antreffen, wo man uns mit Prügeln bewirtet.«

Unter diesen und andern Gesprächen zog der fahrende Ritter mit dem fahrenden Knappen dahin, und sie hatten wenig mehr als eine Meile zurückgelegt, als sie auf dem Gras eines grünen Angers ein Dutzend Männer in Bauerntracht erblickten, die auf ihren Mänteln saßen und speisten. Neben sich hatten sie weiße Leintücher, mit denen etwas zugedeckt war; die Tücher lagen hier aufgebauscht, dort flach ausgebreitet. Don Quijote näherte sich der tafelnden Gesellschaft, und nachdem er sie höflich gegrüßt, fragte er sie, was unter diesen Leintüchern verdeckt liege. Einer aus der Gesellschaft antwortete: »Unter diesen Tüchern haben wir Bildwerke in erhabener und geschnitzter Arbeit; sie sind für einen Altar bestimmt, den wir in unserem Dorfe errichten. Wir tragen sie verdeckt, damit sie ihre Frische nicht verlieren, und auf den Schultern, damit sie nicht zerbrechen.«

»Wenn es euch gefällig ist«, entgegnete Don Quijote, »würde ich mich freuen, sie zu sehen; denn Bilder, die man mit so großer Vorsicht befördert, müssen gewiß vortrefflich sein.«

»Ob sie es sind!« sagte ein andrer; »jedenfalls spricht ihr Preis dafür, denn wahrlich, es ist keines dabei, das nicht auf mehr als fünfzig Taler zu stehen kommt. Damit Euer Gnaden sehen kann, wie wahr dies ist, wartet einen Augenblick, und Ihr sollt mit Euren eignen Augen darüber urteilen.«

Er stand vom Essen auf, nahm die Decke von dem ersten Bilde, und es zeigte sich, daß es den heiligen Georg zu Pferde vorstellte, mit einem Lindwurm, der zu seinen Füßen den Schweif ringelte und dem er mit dem grimmigen Mute, wie man es gewöhnlich darstellt, den Speer in den Rachen stieß. Das ganze Bildwerk war einem goldschimmernden Kleinod zu vergleichen.

Don Quijote betrachtete es und sagte: »Dies war einer der trefflichsten unter den fahrenden Rittern der himmlischen Heerschar; er hieß Sankt Georg und war überdies ein Verteidiger der Jungfrauen. Laßt nun das andre hier sehen.«

Der Mann deckte es auf, und es zeigte sich, daß es der heilige Martin zu Pferde war, wie er seinen Mantel mit einem Armen teilte. Kaum hatte Don Quijote das Bild gesehen, als er sagte: »Auch dieser Ritter gehörte zu den frommen Christen, die auf Abenteuer auszogen, und ich glaube, seine Freigebigkeit war noch größer als seine Tapferkeit, wie du daran sehen kannst, Sancho, daß er seinen Mantel mit dem Armen teilt; er gibt ihm die Hälfte, und es muß damals Winter gewesen sein, sonst hätte er ihm den ganzen Mantel gegeben, so mildtätig war er.«

»Das wird nicht der Grund gewesen sein«, sagte Sancho, »sondern er wird sich an das Sprichwort gehalten haben: Beim Geben wie beim Behalten, Verstand muß da schalten und walten.«

Don Quijote lachte und bat die Leute, auch noch das andre Tuch wegzunehmen; unter diesem kam das Bild des Schutzheiligen Spaniens zum Vorschein, der hoch zu Rosse saß, das Schwert blutig gefärbt und über Schädeln hinreitend. Don Quijote sprach bei dem Anblick: »Auch dieser ist ein Ritter, einer von Christi Heerscharen, er heißt Don Santiago der Maurentöter, einer der streitbarsten Heiligen und Ritter, welche die Welt besessen hat und der Himmel jetzt besitzt.«

Alsbald deckten sie wieder ein andres Tuch auf, unter dem der Sturz des heiligen Paulus von seinem Pferde zu sehen war, nebst allen Umständen, mit denen man auf den Altartafeln seine Bekehrung darzustellen pflegt. Als Don Quijote ihn so lebenstreu abgebildet sah, daß man hätte sagen mögen, Christus rede mit ihm und Paulus antworte, da sprach er: »Dieser war der größte Feind, den die Kirche Gottes unsres Herrn seinerzeit hatte, und der größte Verteidiger, den sie jemals haben wird; für den Glauben war er ein fahrender Ritter im Leben, ein heiliger Streiter festen Fußes im Tode; ein unermüdlicher Arbeiter im Weinberg des Herrn, der Lehrer der Heiden, der zur hohen Schule den Himmel, zum Lehrer und Meister Jesum Christum selber hatte.«

Da keine weiteren Bilder da waren, bat Don Quijote, sie alle wieder zuzudecken, und sagte zu den Trägern: »Für ein gutes Vorzeichen habe ich es gehalten, meine Freunde, daß ich gesehen habe, was ihr mir gezeigt habt; denn diese Heiligen und Ritter haben sich demselben Werk gewidmet wie ich, nämlich dem Waffenwerk; nur mit dem Unterschied, daß sie Heilige waren und in göttlicher Weise kämpften, ich aber ein Sünder bin und auf menschliche Weise kämpfe. Sie errangen den Himmel durch ihrer Arme Gewalt; denn der Himmel erschließt sich zuweilen der Gewalt, ich aber weiß bis jetzt nicht, was ich durch die Gewalt meiner mühseligen Taten gewinne; doch wenn Dulcinea von ihren Leiden erlöst würde, dann würde mein Schicksal sich erfreulicher gestalten und mein Verstand so aufgehellt werden, daß ich vielleicht meine Schritte einen besseren Weg leiten könnte, als den ich jetzt gehe.«

»Möge Gott das hören und der Vater der Sünden taub sein!« fiel hier Sancho ein.

Die Landleute wunderten sich sehr über Don Quijotes Aussehen wie über seine Äußerungen, deren Sinn sie nicht zur Hälfte verstanden; sie beendeten ihr Mahl, luden ihre Bilder auf, nahmen Abschied von Don Quijote und zogen ihres Weges. Sancho stand da, als hätte er seinen Herrn nie gekannt, abermals staunend, daß er so vieles wisse, und es kam ihm vor, als könnte es keine Geschichte und keinen Vorgang auf der Welt geben, den er nicht an den Fingern herzählen könne und im Gedächtnis habe.

Er sagte zu ihm: »Wahrlich, guter, lieber Herr, wenn man das, was uns heute begegnet ist, ein Abenteuer nennen kann, so war es eines von den angenehmsten und allerliebsten, die uns im ganzen Verlauf unserer Pilgerschaft begegnet sind; aus diesem Abenteuer sind wir ohne Prügel und Angst davongekommen, haben keine Hand ans Schwert gelegt, haben den Boden nicht mit unsren Leibern gemessen und keinen Hunger leiden müssen. Gelobt sei Gott, der mich so etwas mit meinen eignen Augen hat sehen lassen!«

»Wohl gesprochen, Sancho«, erwiderte Don Quijote; »aber du mußt im Auge behalten, daß die Zeiten nicht alle gleich sind und nicht ein Tag ist wie der andere. Was der gemeine Mann gewöhnlich Vorzeichen nennt, die nicht auf natürlichen Vernunftgründen beruhen, die müssen von den Verständigen für Glücksfälle gehalten und als solche beurteilt werden. Einer von jenen abergläubischen Menschen steht morgens früh auf, ihm begegnet ein Bruder vom Orden des heiligen Franziskus, und gerade als wäre ihm ein Vogel Greif entgegengeflogen, wendet er den Rücken und kehrt nach Hause zurück. Ein anderer, ein zweiter Mendoza, verschüttet das Salz auf dem Tische, und gleich überschüttet ihm Trübsinn das ganze Herz, als wenn die Natur die Aufgabe hätte, künftiges Unglück mittels so unbedeutender Dinge wie der erwähnten im voraus anzuzeigen. Ein verständiger Mann und ein Christ hat nicht zu grübeln und nachzusinnen, was der Himmel beschlossen hat. Scipio landet in Afrika, er strauchelt, als er ans Land springt; seine Soldaten halten es für ein schlimmes Vorzeichen; er aber faßt den Boden mit den Händen und ruft: ›Du kannst mir nimmer entgehen, Afrika, denn ich halte dich umfaßt mit meinen Armen.‹ So ist es für mich also nur ein höchst glücklicher Zufall, daß ich diese Bilder auf meinem Weg getroffen habe, Sancho.«

»Das glaube ich auch«, entgegnete Sancho; »aber ich wünschte von Euch zu erfahren, aus welchem Grunde die Spanier, wenn sie in die Schlacht gehen, den Santiago, den Maurentöter, mit den Worten anrufen: ›Santiago, und halte fest, Spanien!‹ Ist Spanien vielleicht so schwach auf den Beinen, daß man es festhalten muß? Oder was ist das für ein seltsamer Brauch?«

»Du bist gar zu einfältig, Sancho«, antwortete Don Quijote. »Bedenke, diesen mächtigen Ritter vom roten Kreuze hat Gott unsrem Spanien als Schutzheiligen gegeben, zumal in den harten Kampfesnöten, die die Spanier mit den Mauren bestanden; und darum rufen sie ihn an und schreien zu ihm als ihrem Verteidiger in allen Schlachten, die sie schlagen, in denen man ihn oft mit Augen gesehen, wie er die Heerhaufen der Araber niederwarf, zu Boden trat, vernichtete und in den Tod schickte; hierfür könnte ich dir viele Beispiele beibringen, die in zuverlässigen spanischen Geschichtsbüchern erzählt werden.«

Sancho gab dem Gespräch eine andere Wendung, indem er zu seinem Herrn sagte: »Ich bin erstaunt, Señor, über die Keckheit Altisidoras, des Hoffräuleins der Herzogin. Der Bursche, den sie Amor heißen, muß sie doch tüchtig verwundet und durchbohrt haben; die Leute sagen, er sei ein blindes Jüngelchen, und obzwar er den Star oder, richtiger gesagt, überhaupt keine Augen hat, wenn er ein Herz, sei es auch noch so ein winziges, zum Ziel nimmt, so trifft er es und schießt es mit seinen Pfeilen durch und durch. Ich habe mir auch sagen lassen, an der Verschämtheit und Zurückhaltung der Jungfrauen täten die Liebespfeile ihre Spitze brechen und stumpf werden; aber an dieser Altisidora scheinen sie eher spitziger als stumpfer zu werden.«

»Du mußt eben bedenken, Sancho«, sprach Don Quijote, »daß die Liebe keine Rücksichten kennt noch sich in vernünftigen Grenzen hält und daß sie genau von derselben Art ist wie der Tod, der über die hohen Burgen der Könige ebenso herfällt wie über die demütigen Hütten der Schäfer. Wenn sie von einem Herzen völlig Besitz ergriffen hat, so ist das erste, was sie tut, daß sie ihm die Scheu und die Scham benimmt, und darum hat ohne Scham Altisidora ihren Wünschen Worte geliehen, die in meinem Busen eher Unmut als schmerzliches Mitgefühl erregten.«

»Das ist ja offenbare Grausamkeit«, sprach Sancho, »eine Undankbarkeit ohnegleichen! Von mir muß ich sagen, mich hätte das kleinste Liebeswort von ihr besiegt und unterworfen. O zum Kuckuck, was für ein Herz von Marmelstein, was für ein Gemüt von Erz, was für eine Seele von grobem Mörtel! Jedoch ich kann mir gar nicht vorstellen, was denn eigentlich das Fräulein an Eurer Person gefunden hat, daß Ihr sie so besiegt und Euch unterworfen habt. Was für ein stattliches Aussehen, was für Jugendglanz, was für Lieblichkeit, was für ein Gesicht, welcher von all diesen Reizen für sich, oder waren es alle zusammen, hat sie verliebt gemacht? Wahrlich, wahrlich, gar oft steh ich da und betrachte Euer Gnaden von der Fußspitze bis zum letzten Haar am Kopfe und sehe immer mehr Dinge zum Abschrecken als zum Verliebtmachen; und da ich auch gehört habe, Schönheit sei die erste und hauptsächlichste Eigenschaft, die verliebt macht, und da Euer Gnaden keine besitzt, so kann ich nicht herausbringen, worein das arme Ding sich verliebt hat.«

»Merke dir, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »daß es zweierlei Schönheiten gibt, die der Seele und die des Körpers. Die der Seele waltet und erscheint im Geiste, in der Sittsamkeit, im edlen Benehmen, in der Freigebigkeit, in der feinen Bildung, lauter Eigenschaften, die sich auch in einem häßlichen Manne finden können; und wenn der Blick sich auf diese Schönheit und nicht auf die des Körpers richtet, pflegen diese Eigenschaften die Liebe mit Ungestüm und größerer Macht als sonst zu entfachen. Ich, Sancho, sehe wohl, daß ich nicht schön bin, aber ich weiß auch, daß ich nicht mißgestaltet bin; und für einen braven Mann, wenn er nur die Gaben der Seele besitzt, die ich aufgezählt habe, genügt es schon, daß er kein Ungeheuer ist, um von Herzen geliebt zu werden.«

Unter solchen Reden und Gegenreden kamen sie in einen Wald abseits vom Wege; und plötzlich, und ohne daß er sich versah, fand sich Don Quijote in ein Netz von grünen Fäden verwickelt, die von einem Baum zum andern ausgespannt waren. Er konnte sich nicht vorstellen, was das sein sollte, und sagte zu Sancho: »Mich bedünkt, die Sache mit diesem Netz muß eines der unerhörtesten Abenteuer sein, die ich mir denken kann. Ich will des Todes sein, wenn die Zauberer, die mich verfolgen, mich nicht darein verwickeln und meinen Weg hemmen wollen, wie zur Rache für den harten Sinn, den ich gegen Altisidora bewiesen; aber ich tue ihnen zu wissen: wenn auch dieses Netz, so wie es aus grünen Fäden geschlungen ist, aus härtestem Demant oder stärker wäre als jenes, womit der eifersüchtige Gott der Schmiede Venus und Mars umstrickt hielt, so würde ich es doch zerreißen, als wäre es aus Seegras oder aus Baumwollfäden.«

Und als er nun vordringen und alles zerreißen wollte, da boten sich plötzlich seinen Blicken, zwischen den Bäumen hervortretend, zwei wunderschöne Schäferinnen; wenigstens waren sie als Schäferinnen gekleidet, nur was sonst Schäferpelze und Bauernröcke sind, das war alles vom feinsten Brokat, und der ganze Anzug bestand aus golddurchwirktem Taft. Ihre Haare hingen ihnen aufgelöst über die Schultern herab und konnten in blondem Schimmer mit den Strahlen der Sonne wetteifern; sie waren bekränzt mit Gewinden aus grünem Lorbeer und rotem Amarant und schienen nicht jünger als fünfzehn und nicht älter als achtzehn Jahre zu sein. Es war ein Anblick, der Sancho in Verwunderung setzte, Don Quijote mit Staunen erfüllte und die Sonne zum Stillstehen zwang, um die beiden Jungfrauen zu schauen; und alle vier standen in wundersamem Schweigen gefesselt.

Wer endlich zuerst zu sprechen begann, das war eine der beiden Hirtinnen, die Don Quijote so anredete: »Hemmt Euren Schritt, Herr Ritter, und zerreißt die Netze nicht, die nicht zu Eurem Schaden, sondern zu unserm Zeitvertreib hier ausgespannt sind; und da ich im voraus weiß, Ihr werdet uns fragen, zu welchem Zwecke wir sie ausgelegt haben und wer wir sind, so will ich es Euch in kurzen Worten sagen, In einem Dorfe, etwa zwei Meilen von hier, wo viele vornehme Familien und viele Junker und reiche Leute wohnen, ist unter einer Anzahl Freunden und Verwandten verabredet worden, mit Söhnen, Frauen und Töchtern, Nachbarn und Bekannten hierherzukommen, um an diesem Orte, der einer der angenehmsten in dieser ganzen Gegend ist, uns dadurch zu erlustigen, daß wir alle zusammen ein neues schäferliches Arkadien schaffen. Wir Mädchen kleiden uns alle als Schäferinnen, die jungen Männer als Hirten; wir haben zwei Schäferspiele einstudiert, das eine von dem weitgepriesenen Dichter Garcilaso, das andere von dem vortrefflichen Camoëns in seiner eigenen portugiesischen Sprache; wir haben sie aber bis jetzt noch nicht aufgeführt. Gestern sind wir hier eingetroffen; wir haben unter diesen Zweigen am Ufer eines wasserreichen Baches, der all diese Wiesen befruchtet, Zelte aufgeschlagen von der Art, die man Reisezelte nennt. In der verflossenen Nacht haben wir hier an den Bäumen diese Netze ausgespannt, um die einfältigen Vöglein zu berücken, damit sie, von unsrem Lärmen aufgeschreckt, hineinfliegen. Ist es Euch angenehm, unser Gast zu sein, Señor, so sollt Ihr freundlich und höflich aufgenommen werden; denn jetzt darf an diesem Ort weder Kummer noch Trübsinn Einlaß finden.«

Hiermit endete sie und schwieg. Don Quijote gab ihr zur Antwort: »Gewiß, schönstes Fräulein, größer konnten das Staunen und die Bewunderung Aktäons nicht sein, da er plötzlich Diana sich in den Fluten baden sah, als meine Überraschung war bei dem Anblick Eurer Reize. Ich lobe die Absicht, Euch hier so zu unterhalten, und für Euer Anerbieten danke ich Euch höflich. Wenn ich Euch dienen kann, so dürft Ihr nur befehlen und könnt sicher sein, Gehorsam zu finden; denn mein Beruf ist kein anderer, als mich dankbar und wohltätig zu erweisen gegen Leute aller Art, zumal gegen so hochgestellte, wie Ihr es offenbar seid. Wenn diese Netze, die wohl nur einen kleinen Raum umfassen können, das ganze Erdenrund umspannten, so würde ich neue Welten aufsuchen, um durch sie mir einen Weg zu bahnen, damit ich Eure Netze nicht zerreißen müßte. Damit Ihr aber meinen hochtönenden Äußerungen einigen Glauben schenket, so beachtet wohl, der Euch dieses verheißt, ist kein Geringerer als Don Quijote von der Mancha, wenn vielleicht dieser Name zu Euren Ohren gedrungen ist.«

»O Herzensfreundin«, sagte hier die andere Schäferin, »welch großes Heil ist uns widerfahren! Siehst du diesen Herrn, den wir vor unsern Augen haben? Wohl denn, so wisse, er ist der tapferste, der verliebteste, der höflichste Ritter von der Welt, wenn anders die Geschichte uns nicht belügt und betrügt, die von seinen Großtaten im Druck verbreitet ist und die ich gelesen habe. Ich will wetten, der wackere Mann, der ihn begleitet, ist ein gewisser Sancho Pansa, sein Schildknappe, mit dessen kurzweiliger Art sich nichts auf der Welt vergleichen läßt.«

»Freilich ist es so«, sprach Sancho; »ich bin der kurzweilige Geselle, der Schildknappe, von dem Euer Gnaden spricht, und dieser Ritter ist mein Dienstherr, derselbige Don Quijote von der Mancha, von dem in Geschichten und Berichten gesagt wird.«

»Ach, liebe Freundin«, rief die andere, »wir wollen ihn bitten zu bleiben, unsere Eltern und Brüder werden sich unendlich darüber freuen. Auch ich habe von seiner Tapferkeit und Liebenswürdigkeit dasselbe gehört, was du sagst, und insbesondere erzählt man von ihm, er sei der treueste und beständigste Liebhaber, den man kennt, und seine Dame sei eine gewisse Dulcinea von Toboso, der man in ganz Spanien die Palme der Schönheit zuerkennt.«

»Mit Recht erkennt man sie ihr zu«, versetzte Don Quijote, »wenn nicht etwa Eure unvergleichliche Schönheit es in Frage stellt. Bemüht euch nicht, meine Fräulein, mich aufzuhalten, denn die ausdrücklichen Vorschriften meines Berufes gestatten mir an keinerlei Stätte zu rasten.«

Inzwischen näherte sich ihnen der Bruder einer der beiden Schäferinnen, ebenfalls als Schäfer und mit einer Pracht und einem Reichtum gekleidet, welcher dem der Schäferinnen gleichkam. Sie erzählten ihm, daß der Mann bei ihnen der mannhafte Don Quijote von der Mancha und der andere sein Schildknappe Sancho sei, von denen er schon gehört habe, da er ihre Geschichte gelesen. Der stattliche Hirt erbot sich ihm zu allen Diensten und bat ihn, mit zu ihren Zelten zu kommen; Don Quijote mußte nachgeben und kam mit. Indem begannen die Jagdgehilfen auf die Büsche zu schlagen, die Netze füllten sich mit mannigfaltigen Vögelein, die, durch die Farbe der Netze getäuscht, sich in die Gefahr stürzten, vor der sie fliehen wollten. Mehr als dreißig Personen kamen nach und nach zusammen, alle prachtvoll als Schäfer und Schäferinnen gekleidet, und augenblicklich waren sie alle in Kenntnis gesetzt, wer Don Quijote und sein Schildknappe seien, und sie waren darob nicht wenig erfreut, da sie schon durch seine Geschichte von ihm erfahren hatten. Alles begab sich nun nach den Zelten; man fand die Tafeln gedeckt und reich, üppig und zierlich besetzt; man erwies Don Quijote alle Ehre, indem man ihm den obersten Platz an der Tafel gab; aller Augen waren auf ihn gerichtet, und alle wunderten sich über ihn.

Als sodann abgedeckt worden, erhob Don Quijote ernst und gelassen seine Stimme und sprach: »Unter den schwersten Sünden, die die Menschen begehen, bezeichnen etliche den Hochmut als die ärgste; ich aber sage, es ist die Undankbarkeit, und ich halte mich dabei an den üblichen Spruch, daß der Undankbaren die Hölle voll ist. Diese Sünde habe ich, soviel an mir lag, immer möglichst zu vermeiden gestrebt von dem Augenblicke an, wo mir der Gebrauch der Vernunft geworden, und wenn ich die guten Werke, die man mir erweist, nicht auch mit guten Werken vergelten kann, so setze ich an deren Stelle den innigen Wunsch, sie zu vollbringen; und wenn dies nicht genügt, so mache ich sie öffentlich bekannt; denn wer die Wohltaten, die er empfängt, öffentlich erzählt und verkündiget, der würde sie auch mit seinen Wohltaten vergelten, wenn er es vermöchte, denn großenteils stehen die, welche empfangen, weit unter denen, welche geben; und so ist Gott über allen, weil er allen der Geber ist, und die Gaben des Menschen können denen Gottes nimmer gleichkommen, da ein unendlicher Abstand dazwischen ist. Aber dieses Unvermögen, diese Armut wird gewissermaßen durch die Dankbarkeit ersetzt. Ich nun, der ich dankbar bin für die Gunst, die man mir hier erwies, und sie nicht im selben Maße vergelten kann, ich halte mich in den engen Grenzen meines Könnens und biete an, was ich vermag und was auf meinem eigenen Felde gewachsen ist; und somit erkläre ich, daß ich zwei Tage, vom Morgen zum Abend, mitten auf dieser Landstraße, die nach Zaragoza führt, gegen männiglich behaupten und verfechten werde, daß diese als Schäferinnen verkleideten Fräulein, die allhier weilen, die schönsten und feinsten Jungfräulein sind, so auf Erden zu finden, ausgenommen nur die unvergleichliche Dulcinea von Toboso, die alleinige Herrin meiner Gedanken; das sage ich mit Gunst und Verlaub aller Ritter und Damen, so mich hören.«

Sancho, der seinem Herrn mit größter Aufmerksamkeit zugehört hatte, schrie bei diesen Worten plötzlich auf und sagte: »Ist’s denn möglich, daß jemand auf der Welt sich erfrechen kann, zu sagen und zu beschwören, dieser mein Herr sei ein Narr? Sagt mir, ihr gnädigen Herren Schäfer, gibt’s einen Dorfpfarrer, und sei er auch noch so gescheit und studiert, der so reden könnte, wie mein Herr eben geredet hat? Oder gibt es einen fahrenden Ritter, mag er auch noch so sehr im Ruf eines Helden stehen, der so etwas anbieten könnte, was mein Herr eben hier geboten hat?«

Don Quijote wendete sich zu Sancho und sprach mit zornglühendem Gesicht: »Ha, Sancho, kann auf dem ganzen Erdenrund ein Mensch leugnen, daß du ein Dummkopf bist, mit Dummheit ausgefüttert und verbrämt mit allerhand Bosheit und Spitzbüberei? Wer heißt dich an meine Angelegenheiten rühren und erörtern, ob ich gescheit oder verrückt bin? … Schweig und antworte mir nicht, sondern sattle Rosinante, wenn er abgesattelt ist; wir wollen mein Anerbieten in Ausführung bringen, und da das Recht auf meiner Seite ist, so kannst du jeglichen, der dasselbe zu bestreiten wagen würde, zum voraus als besiegt ansehen.«

In stürmischer Wut und mit allen Zeichen der Entrüstung sprang er von seinem Sitze auf, daß alle Umstehenden staunten und in Zweifel gerieten, ob sie ihn für einen Narren oder für einen verständigen Menschen halten sollten. Indessen wollten sie ihm zureden, doch nicht auf ein derartiges Unternehmen auszuziehen; sie nähmen ja seine dankbare Gesinnung als völlig bekannt an, und es bedürfe keiner neuen Beweise für seinen streitbaren Mut, da diejenigen schon genügten, die in der Geschichte seiner Taten erzählt seien. Aber all dessen unerachtet beharrte er auf der Ausführung seines Vorhabens; er bestieg Rosinante, faßte seinen Schild in den Arm, ergriff seinen Speer und stellte sich mitten auf der Heerstraße hin, die nicht weit von der Flur vorbeiführte. Sancho folgte ihm auf seinem Esel und mit ihm die ganze schäferliche Sippschaft, alle begierig, zu sehen, was es mit seinem kühnen und unerhörten Anerbieten werden sollte.

Don Quijote also, wie gesagt, mitten auf dem Wege haltend, ließ die Lüfte von folgenden Worten widerhallen: »O ihr Wanderer und Wegefahrer, Ritter, Schildknappen, Leute zu Fuß und zu Roß, die ihr dieses Weges kommt oder in den zwei nächsten Tagen kommen werdet! Wisset, daß Don Quijote von der Mancha, ein fahrender Ritter, hier auf dieser Stelle hält, um seine Behauptung zu verfechten, daß alle Schönheit und Liebenswürdigkeit der Welt übertroffen wird von derjenigen, so an den Nymphen glänzet, welche diese Gefilde und Haine bewohnen, ausgenommen allein die holde Dulcinea von Toboso, die Gebieterin meines Herzens. Darum und von dessentwegen, wer entgegengesetzten Sinnes ist, der komme her, hier bin ich seiner gewärtig.«

Zweimal wiederholte er diese nämlichen Worte, und beide Male wurden sie von keinem abenteuernden Ritter vernommen. Jedoch das Schicksal, welches seine Angelegenheiten vom Guten zum Besseren lenken wollte, fügte es so, daß sich gleich nachher auf der Landstraße eine Menge Leute zu Pferd sehen ließen; viele von ihnen mit Speeren in den Händen, ritten sie alle in einem dichten Haufen und in größter Eile dahin. Kaum hatten Don Quijotes Begleiter jene erblickt, als sie die Flucht ergriffen und sich weit von der Straße entfernten; denn sie sahen wohl, daß sie sich einer großen Gefahr aussetzten, wenn sie zögerten. Nur Don Quijote hielt stand mit unerschrockenem Herzen, Sancho aber deckte sich mit Rosinantens Kruppe wie mit einem Schild. Der Trupp der Speerträger kam näher, und einer von ihnen, der voranritt, rief Don Quijote mit lauter Stimme zu: »Mach dich aus dem Wege, du Teufelskerl, sonst werden dich die Stiere dort in Stücke zerstampfen!«

»Ha, Gesindel!« erwiderte Don Quijote, »was gehen mich eure Stiere an, und wären es auch die wildesten, die der Jarama an seinen Ufern züchtet. Bekennet, ihr Schurken, jetzt gleich, bekennet alle auf einen Schlag, daß Wahrheit ist, was ich hier verkündet habe; wo nicht, so sage ich euch Fehde an.«

Der Ochsentreiber fand keine Zeit, zu antworten, und Don Quijote keine, um vom Wege zu weichen, wenn er auch gewollt hätte, und die ganze Herde der wilden Stiere und der zahmen Leitochsen, nebst der Menge von Treibern und andern Leuten, welche die Tiere an den Ort führen wollten, wo am nächsten Tage ein Stiergefecht sein sollte, überrannten Don Quijote und Rosinante, Sancho und den Esel und warfen sie alle zu Boden, daß sie über das Feld hinkugelten, Sancho war wie gerädert, Don Quijote von Entsetzen betäubt, der Esel zerschlagen und Rosinante nicht im besten Zustand; doch endlich rafften sie sich alle wieder auf, und Don Quijote begann in großer Hast, bald stolpernd und bald zu Boden stürzend, der Ochsenherde nachzulaufen und laut zu schreien: »Haltet stand und wartet, schurkisches Gesindel! Ein Ritter allein stellt sich euch, und der ist nicht so geartet und nicht so gesinnt wie die Leute, die da sagen: Man muß dem fliehenden Feind eine goldene Brücke bauen!«

Aber die eilig hinstürmenden Treiber ließen sich dadurch nicht aufhalten und machten sich aus seinen Drohungen nicht mehr als aus den Wolken vom vorigen Jahr. Die Ermattung zwang endlich Don Quijote zurückzubleiben, und vom Laufen geschwächt, jedoch nicht gerächt, setzte er sich am Wege nieder und wartete, bis Sancho, Rosinante und der Graue kamen. Und sie kamen; Herr und Diener stiegen wieder auf, und ohne erst umzukehren, um von dem nachgeahmten oder nachgeäfften Arkadien Abschied zu nehmen, und mehr beschämt als vergnügt, zogen sie ihres Weges weiter.

59. Kapitel


Worin der außerordentliche Vorfall erzählt wird, welcher Don Quijote begegnete und den man wohl für ein Abenteuer halten darf

Gegen den Staub und die Erschöpfung, welche Don Quijote und Sancho von der unhöflichen Behandlung der Stiere davontrugen, bot ein reiner klarer Quell ihnen Hilfe, den sie in einem kühlen Wäldchen fanden. An dessen Rande setzten sich die beiden Wegemüden, Herr und Diener, und ließen den Grauen und Rosinante frei laufen ohne Halfter und Zügel. Sancho machte sich an den Proviant in seinem Zwerchsack und nahm daraus »etwas Beikost«, wie er es zu nennen pflegte; er spülte sich den Mund aus, und Don Quijote wusch sich das Gesicht, und durch diese Abkühlung gewannen ihre entkräfteten Lebensgeister neue Kraft. Aber Don Quijote mochte vor lauter Verdruß nicht essen, und Sancho wagte aus lauter Höflichkeit nicht, an die Speisen zu rühren, die er vor sich hatte, und hoffte, sein Herr werde durch eigenes Zugreifen ihm das Zeichen zum Essen geben; aber als er sah, daß jener, in seinen Träumereien befangen, gar nicht daran dachte, das Brot zum Munde zu führen, tat er den Mund auf, aber nicht zum Reden, sondern er warf alle gute Lebensart beiseite und begann seinen Vorrat an Brot und Käse in den Magen einzusacken.

»Iß, Freund Sancho«, sprach Don Quijote; »friste das Leben, das dir mehr gilt als mir, mich aber laß sterben unter dem Ansturm meiner Gedanken und der feindlichen Gewalt meines Unglücks. Ich, Sancho, bin geboren, um beständig sterbend zu leben, und du, um essend zu sterben; und daß du erkennst, wie wahr ich rede, sieh mich in Geschichtsbüchern gedruckt, weitberufen im Waffenwerk, voll Anstands in meinem Tun, von Fürsten geehrt, von Jungfrauen umworben, und zuletzt, zuletzt, da ich Palmen, Triumphe und Siegeskränze erhoffte, die meine mannhaften Taten errangen und verdienten, habe ich mich heute morgen niedergetreten und zerstoßen und zermalmt gesehen von den Füßen schmutziger, unflätiger Tiere. Diese Betrachtung stumpft mir die Zähne, lähmt mir die Kinnladen, entkräftet mir die Hände und raubt mir ganz und gar die Lust zu essen, so daß ich gedenke, mich vom Hunger töten zu lassen, die grausamste unter allen Todesarten.«

»Demnach«, sagte Sancho, ohne mit seinem hastigen Kauen aufzuhören, »wird Euer Gnaden mit jenem Sprichwort nicht übereinstimmen: Wenn’s gestorben sein soll, eß ich mich erst voll. Ich für mein Teil gedenke mich bestimmt nicht umzubringen, sondern ich mache es lieber wie der Schuster, der mit den Zähnen am Leder zieht, bis er es so lang hat, als er es haben will. Ich will mein Leben mit Essen so lang hinziehen, bis es so weit gelangt, wie der Himmel ihm bestimmt hat. Laßt Euch sagen, Señor, es gibt keine größere Narretei als eine, die freiwillig aufs Verzweifeln ausgeht, wie Euer Gnaden tun will. Folgt mir, erst etwas gegessen, und dann legt Euch ein wenig schlafen auf den grünen Pfuhl des Grases hier, und Ihr sollt sehen, beim Erwachen werdet Ihr Euch nicht wenig erquickt fühlen.«

Don Quijote tat nach dem Rat, da es ihn bedünkte, Sanchos Worte seien eher die eines Weisen als eines Dummkopfs, und er sprach zu ihm: »Wenn du, mein Sancho, für mich tun wolltest, was ich dir jetzt sagen will, dann würde meine Erquickung um so gewisser und mein Kummer nicht so schwer sein; und zwar solltest du, während ich, deinem Rate folgend, schlafe, ein wenig abseits von hier gehen, deinen Leib den Lüften zur Schau stellen und dir auf selbigen mit Rosinantes Zügeln drei- oder vierhundert Geißelhiebe geben, auf Abrechnung der dreitausend und soundso viel, die du dir zur Entzauberung Dulcineas aufmessen sollst; wahrlich, es ist kein geringer Jammer, daß dies arme Fräulein durch deine Saumseligkeit und Vernachlässigung verzaubert bleiben muß.«

»Darüber läßt sich viel sagen«, versetzte Sancho; »für jetzt wollen wir zwei beide schlafen, und nachher steht’s bei Gott, was kommen wird. Euer Gnaden muß bedenken, daß es keine Kleinigkeit ist, wenn sich ein Mensch bei kaltem Blute geißeln soll, besonders wenn die Hiebe auf einen schlecht gepflegten und noch schlechter genährten Körper fallen. Unser Fräulein Dulcinea soll Geduld haben, und wenn sie sich’s am wenigsten versieht, wird sie’s erleben, daß meine Haut vor lauter Hieben zu einem Sieb geworden ist, und solang einer nicht gestorben ist, so lange hat er’s Leben; ich meine, auch ich habe noch das Leben nebst dem Wunsche, mein Versprechen zu halten.«

Don Quijote sagte ihm Dank dafür, aß ein wenig und Sancho viel, beide legten sich schlafen und ließen die zwei beständigen Kameraden und Freunde, Rosinante und den Grauen, nach ihrem freien Willen und ohne bestimmte Anweisung auf dem üppigen Grase weiden, das reichlich auf der Wiese wuchs. Sie erwachten etwas spät, stiegen wieder auf, setzten ihren Weg fort und eilten vorwärts, um eine Schenke zu erreichen, die dem Anscheine nach eine Meile von da entfernt sich zeigte; ich sage, es war eine Schenke, denn Don Quijote nannte sie so, ganz gegen seine Gewohnheit, alle Schenken Burgen zu nennen. So kamen sie denn zu der Schenke und fragten den Wirt, ob er sie aufnehmen könne. Dieser bejahte und versicherte sie aller Bequemlichkeit und Pflege, die sie in Zaragoza selbst finden würden. Sie stiegen ab, und Sancho schaffte seinen Proviantsack in ein Zimmer, zu dem ihm der Wirt den Schlüssel gab. Er führte die Tiere in den Stall, gab ihnen ihr Futter, ging dann, um Don Quijote, der auf einer Steinbank saß, nach seinen Befehlen zu fragen, und sagte dem Himmel besonderen Dank dafür, daß sein Herr diese Schenke nicht wieder für eine Burg gehalten habe.

Es kam die Stunde des Abendessens, sie zogen sich auf ihre Zimmer zurück; Sancho fragte den Wirt, was er ihnen zu essen geben könne. Der Wirt antwortete, sie würden nach Herzenslust bedient werden; er möge also nur bestellen, was er wolle, seine Schenke sei versehen mit den Vöglein aus den Lüften, mit dem Geflügel der Erde und mit den Fischen des Meeres.

»Soviel ist nicht nötig«, antwortete Sancho; »mit einem Paar zartgebratener Hähnchen haben wir genug, denn mein Herr ist ein bißchen wählerisch und mag nicht viel essen, und ich bin auch kein so arger Fresser.«

Der Wirt erwiderte, Hähnchen habe er nicht, die Hühnergeier hätten sie geraubt.

»Dann lasse der Herr Wirt ein Huhn braten«, sagte Sancho, »aber zart muß es sein.«

»Ein Huhn? O du meine Güte!« antwortete der Wirt.

»Wahrhaftig, wahrhaftig, gestern habe ich mehr als fünfzig zum Verkauf in die Stadt geschickt, aber außer Hühnern kann Euer Gnaden bestellen, was Ihr wollt.«

»Dann wird’s nicht an Kalb- und Ziegenfleisch fehlen«, meinte Sancho.

»Im Hause habe ich jetzt keines«, entgegnete der Wirt, »denn es ist ausgegangen; aber die nächste Woche wird übergenug dasein.«

»Damit kommen wir weit!« entgegnete Sancho; »ich will aber wetten, all dieser Mangel wird am Ende zum Überfluß an Schinken und Eiern, der doch dasein muß.«

»Bei Gott«, rief der Wirt, »es ist ein guter Witz, den mein Gast da macht! Wenn ich Euch gesagt habe, daß ich weder Hühner noch Hähnchen habe, wollt Ihr, ich soll Eier bringen? Denkt, ich bitt Euch, auf andre Leckerbissen und fragt nicht mehr nach Hühnern.«

»So kommt doch in Henkers Namen zur Sache«, schrie Sancho, »und sagt mir endlich, was Ihr habt, und laßt die Redensarten.«

»Herr Gast«, sagte der Wirt, »was ich wahr und wirklich habe, das sind ein paar Ochsenfüße, die wie Kalbsfüße aussehen, oder auch zwei Kalbsfüße, die wie Ochsenfüße aussehen; sie sind gekocht mit ihren zugehörigen Kichererbsen, Zwiebeln und Speck, und jetzt im Augenblick rufen sie beständig: Iß mich auf! Iß mich auf!«

»Die stemple ich auf der Stelle zu meinem Eigentum«, sagte Sancho, »und keiner rühre sie mir an! Ich zahle sie besser als jeder andre, denn für mich wüßte ich nichts, was besser schmeckte, und ich gebe keinen Deut darum, ob es Kalbs- oder Ochsenfüße sind, wenn’s nur Klauen sind.«

»Keiner wird daran rühren«, sagte der Wirt; »denn meine andern Gäste führen als vornehme Leute ihren Koch, Vorschneider und Speisevorrat mit sich.«

»Wenn es sich ums Vornehmsein handelt«, versetzte Sancho, »so ist keiner vornehmer als mein Herr; allein der Beruf, dem er obliegt, erlaubt weder Küche noch Keller mitzuführen; wir lagern auf grünem Anger und essen uns satt an Eicheln oder Mispeln.«

So besprach sich Sancho mit dem Wirt; er wollte ihm aber nicht weiter antworten, als der Wirt ihn fragte, welches denn das Amt oder der Beruf seines Herrn sei.

Nun kam die Stunde des Abendessens, Don Quijote zog sich auf sein Zimmer zurück, der Wirt brachte das Gericht, wie er es beschrieben, und setzte sich, um allen Ernstes mitzuessen. Nun geschah es, daß im Zimmer nebenan, welches von dem Don Quijotes nur durch eine dünne Wand von Fachwerk getrennt war, der Ritter folgendes sagen hörte: »Ich bitte Euch um alles, Señor Don Gerónimo, bis man uns das Essen bringt, wollen wir noch ein Kapitel im zweiten Teil des Don Quijote von der Mancha lesen.«

Kaum hörte Don Quijote seinen Namen, als er aufsprang und aufmerksamen Ohres horchte, was von ihm gesprochen werde; und er hörte den erwähnten Don Gerónimo antworten: »Warum wollt Ihr, Señor Don Juan, daß wir den Unsinn lesen, da doch ganz unmöglich, wer den ersten Teil der Geschichte des Don Quijote von der Mancha, gelesen hat, Vergnügen daran finden kann, diesen zweiten zu lesen.«

»Trotzdem mag es nützlich sein, ihn zu lesen«, sagte der Herr, der Don Juan genannt wurde; »denn kein Buch ist so schlecht, daß nicht etwas Gutes darin wäre. Was mir aber in diesem Buche am meisten mißfällt, ist, daß es uns den Don Quijote schildert als einen Mann, der sich seiner Liebe zu Dulcinea von Toboso bereits entschlagen hat.«

Als Don Quijote das hörte, erhob er voll Zorn und Ingrimm seine Stimme und rief: »Wer da auch immer sagt, Don Quijote habe Dulcinea von Toboso vergessen oder könne sie vergessen, dem will ich Schwert gegen Schwert beweisen, daß er weit von der Wahrheit abweicht; denn weder kann die unvergleichliche Dulcinea von Toboso vergessen werden, noch kann in Don Quijotes Busen Vergessenheit Raum finden. Sein Wahlspruch ist die Beständigkeit, und sein Beruf ist, sie zu wahren, mit Freudigkeit, und ohne sich Zwang anzutun.«

»Wer spricht da mit uns?« rief man aus dem andern Zimmer.

»Wer wird’s sein«, antwortete Sancho, »als Don Quijote von der Mancha selber, der für alles einstehen wird, was er gesagt hat und auch was er noch künftig sagen wird, denn den guten Zahler drückt kein Pfand.«

Kaum hatte Sancho dies gesprochen, als zwei Edelleute, denn nach ihrem Aussehen mußten es solche sein, zur Tür des Zimmers eintraten; und einer von ihnen schlang die Arme um Don Quijotes Hals und sprach zu ihm: »Euer Aussehen kann Euren Namen nicht Lügen strafen, und Euer Name kann nicht verfehlen, Eurem Aussehen die rechte Bedeutung zu geben. Ihr, Señor, seid ohne Zweifel der wahre Don Quijote von der Mancha, der Polar- und Morgenstern des fahrenden Rittertums, jenem zu Trutz und Ärger, der sich Euren Namen anmaßen und Eure Taten zunichte machen wollte, wie es der Verfasser dieses Buches getan, welches ich Euch hier überreiche.«

Er gab ihm ein Buch in die Hand, das sein Gefährte bei sich hatte; Don Quijote nahm es, und ohne ein Wort zu entgegnen, begann er es durchzublättern; nach kurzer Weile gab er es ihm zurück mit den Worten: »In dem wenigen, was ich hier gesehen, habe ich drei Dinge gefunden, in denen dieser Schriftsteller Tadel verdient. Das erste sind einige Worte, die ich in der Vorrede gelesen; das andre, daß die Sprache Aragonesisch ist, da er manchmal die Artikel ausläßt; und das dritte, was ihn am meisten als unwissenden Menschen kennzeichnet, daß er in dem wichtigsten Punkte der Geschichte irrt und von der Wahrheit abweicht; denn er sagt hier, die Frau meines Schildknappen Sancho Pansa heiße Mari-Gutiérrez, während sie doch Teresa Pansa heißt; und wer in einem solchen Hauptpunkt irrt, von dem kann man auch wohl besorgen, daß er in allen übrigen Punkten der Geschichte irrt.«

Hier fiel Sancho ein: »Ein schöner Kerl von einem Geschichtsschreiber, wahrhaftig! Der muß gut in unsren Erlebnissen zu Hause sein, da er Teresa Pansa, meine Frau, Mari-Gutiérrez nennt. Nehmt das Buch noch einmal, Señor, und seht nach, ob auch ich darin vorkomme und ob er meinen Namen verändert hat.«

»Nach dem, was ich hier eben gehört habe, guter Freund«, sprach Don Gerónimo, »müßt Ihr sicherlich Sancho Pansa sein, der Schildknappe des Señor Don Quijote.«

»Freilich bin ich’s«, antwortete Sancho, »und bin stolz darauf.«

»Nun wahrhaftig«, sagte der Edelmann, »dieser neue Schriftsteller behandelt Euch nicht so manierlich, wie Ihr Euch selber zeigt; er schildert Euch als Vielfraß, als einfältigen und keineswegs kurzweiligen Menschen und ganz anders als den Sancho, der im ersten Teil der Geschichte Eures Herrn beschrieben wird.«

»Gott verzeih es ihm«, entgegnete Sancho; »er hätte mich in meinem Winkel sitzen lassen sollen, ohne meiner zu gedenken; denn nur wer Musik kann, soll aufspielen, und Sankt Peter fühlt sich nirgends wohler als in Rom.«

Die beiden Edelleute luden Don Quijote ein, auf ihr Zimmer zu kommen und das Abendessen mit ihnen einzunehmen, denn sie wüßten, daß es in dieser Schenke nichts gebe, was sich für ihn zu essen schicke.

Don Quijote, stets höflich, fügte sich ihrer Bitte und speiste mit ihnen; Sancho blieb zurück als unumschränkter Herrscher über sein kälbernes Gericht, setzte sich am Tisch obenan und neben ihn der Wirt, der nicht weniger als Sancho ein Liebhaber seiner Kalbsfüße oder Ochsenklauen war.

Während des Mahles fragte Don Juan unsern Don Quijote, welche Kunde er von dem Fräulein Dulcinea von Toboso habe, ob sie verheiratet sei und schon Kinder habe oder erst in gesegneten Umständen sei oder ob sie sich noch im Stand einer reinen Jungfrau befinde und unter Wahrung ihrer Keuschheit und guten Sitte der Liebessehnsucht des Señor Don Quijote gedenke.

Darauf antwortete er: »Dulcinea ist Jungfrau und meine Liebe beständiger denn je, unser Gedankenaustausch so spärlich wie immer, ihre Schönheit in die einer unsaubern Bäuerin verwandelt.«

Und sofort erzählte er ihnen Punkt für Punkt die Verzauberung des Fräuleins Dulcinea, sein Abenteuer in der Höhle des Montesinos nebst der Anweisung, die ihm der weise Merlin gegeben, um sie zu entzaubern, nämlich der Anweisung an Sancho, sich zu geißeln. Die beiden Edelleute fanden das höchste Vergnügen daran, Don Quijote die seltsamen Begebnisse seiner Geschichte erzählen zu hören, und sie staunten ebensosehr über seine Narreteien wie über die feingebildete Art, wie er sie erzählte. Bald hielten sie ihn für einen verständigen Menschen, bald sank er vor ihren Augen bis zur Verrücktheit herab, und sie konnten sich nicht entscheiden, welche Stufe sie ihm zwischen Gescheitheit und Tollheit zuweisen sollten.

Als Sancho mit seinem Essen fertig war, verließ er den Wirt, der nur noch torkelte, begab sich zu seinem Herrn aufs Zimmer und sprach beim Eintreten: »Ich will mich totschlagen lassen, meine Herren, wenn der Verfasser dieses Buches, das Euer Gnaden da haben, nicht will, daß wir ein Hühnchen zusammen rupfen sollen. Wenn er mich nun doch einmal einen Vielfraß nennt, wie Euer Gnaden sagen, so möchte ich doch wenigstens, daß er mich nicht auch noch einen Trunkenbold hieße.«

»Doch, er heißt Euch so«, sagte Don Gerónimo; »aber ich erinnere mich nicht mehr genau, mit welchen Ausdrücken er das tut, wenn ich auch ganz genau weiß, daß seine Äußerungen gar schlecht lauten und zudem lügenhaft sind, wie ich das an den Gesichtszügen des wackern Sancho hier deutlich erkenne.«

»Euer Gnaden können mir glauben«, erklärte Sancho, »der Sancho und der Don Quijote in dieser Geschichte müssen ganz andere sein, als die in dem Buche vorkommen, das Sidi Hamét Benengelí verfaßt hat; die letzteren sind wir nämlich selbst: mein Herr, tapfer, verständig und verliebt; und ich, einfältigen Gemüts, kurzweilig und weder ein Fresser noch ein Trunkenbold.«

»Ja, das glaube ich«, sagte Don Juan, »und wenn es möglich wäre, müßte eine Verordnung ergehen, daß niemand sich erdreisten dürfe, über den großen Don Quijote und alles, was ihn betrifft, zu schreiben, außer Sidi Hamét Benengelí, sein erster Geschichtsschreiber, geradeso wie Alexander anordnete, daß keiner sich erkühnen solle, ihn zu malen, außer Apelles.«

»Malen mag mich, wer da will«, bemerkte Don Quijote, »aber mißhandeln lasse ich mich nicht; denn gar manchmal bricht die Geduld danieder, wenn man sie mit Beleidigungen überlastet.«

»Keine Beleidigung«, erwiderte Don Juan, »kann man dem Señor Don Quijote zufügen, die er nicht zu rächen wüßte, falls er sie nicht mit dem Schilde seiner Geduld abwehrt, der meines Dafürhaltens stark und groß ist.«

Unter diesen und andern Gesprächen verging ein großer Teil der Nacht, und obwohl Don Juan wünschte, daß Don Quijote noch mehr in dem Buche lese, um zu sehen, wie er sich darüber auslassen würde, konnte man ihn doch nicht dazu bewegen; er sagte, er nähme es als gelesen an, und erklärte es wiederholt für ein durchaus albernes Buch; er wünsche nicht, daß der Verfasser, wenn er vielleicht erführe, daß er es in Händen gehabt, in der Vorstellung schwelge, daß er es gelesen, weil von unzüchtigen und schändlichen Dingen die Gedanken sich abwenden müßten, wieviel mehr die Augen.

Die beiden fragten ihn, wohin er seine Fahrt zu richten beschlossen habe. Er antwortete, nach Zaragoza, weil er dem Turnier um den Siegespreis des Harnischs beiwohnen wolle, welches in jener Stadt jedes Jahr abgehalten wird. Don Juan machte ihn darauf aufmerksam, diese neue Geschichte erzähle, daß Don Quijote, möge er nun sein, wer er wolle, dort bei einem Ringelrennen zugegen gewesen, dessen Beschreibung ohne alle Erfindungsgabe sei, dürftig an Wappensprüchen, höchst ärmlich an Rittertrachten, doch reich an Albernheiten.

»In diesem Falle«, entgegnete Don Quijote, »werde ich keinen Fuß in die Stadt Zaragoza setzen und auf solche Weise vor der ganzen Welt die Lüge dieses neuen Geschichtsschreibers offenbar machen; dann sollen die Leute sehen, daß ich nicht der Don Quijote bin, von dem jener spricht.«

»Daran werdet Ihr sehr wohl tun«, sagte Don Gerónimo; »es gibt ja auch ein Turnier in Barcelona, bei welchem der Señor Don Quijote seine Tapferkeit wird zeigen können.«

»So gedenke ich zu tun«, sprach Don Quijote; »und nun, weil es Zeit ist, wollet mir Urlaub geben, zu Bette zu gehen, und nehmt mich auf unter die Zahl Eurer ergebensten Freunde und Diener.«

»Mich auch«, sagte Sancho; »vielleicht bin ich künftig einmal auch zu etwas gut.«

Hiermit schieden sie voneinander; Don Quijote und Sancho zogen sich auf ihr Zimmer zurück und ließen Don Juan und Don Gerónimo in großer Verwunderung über die Vermischung von Verstand und Torheit, die der Ritter gezeigt. Jetzt waren sie fest überzeugt, daß dies der echte Don Quijote und der echte Sancho waren, nicht aber jene, die ihr aragonischer Erfinder beschreibt.

Don Quijote stand früh am Morgen auf, klopfte an die Wand des nachbarlichen Zimmers und verabschiedete sich von den Herren, die ihn bewirtet. Sancho bezahlte den Gastwirt reichlich und riet ihm, den Speisevorrat seiner Schenke weniger zu rühmen oder sie mit besserem Vorrat zu versorgen.

6. Kapitel


Von den Begebenheiten zwischen Don Quijote und seiner Nichte und Haushälterin; eins der wichtigsten Kapitel in dieser ganzen Geschichte

Während Sancho Pansa und sein Weib Teresa Cascajo dieses ungereimte Gespräch miteinander führten, waren die Nichte und die Haushälterin Don Quijotes nicht müßig, da sie aus tausend Anzeichen schlossen, daß ihr Ohm und Herr zum drittenmal davongehen und zum Berufe seiner fahrenden Ritterschaft, bei der er nach ihrer Meinung so übel gefahren, zurückkehren wolle. Sie bemühten sich auf jede mögliche Weise, ihn von einem so unseligen Gedanken abzubringen; aber alles das war die Stimme des Predigers in der Wüste, alles hieß nur kaltes Eisen schmieden. Dessenungeachtet sagte die Haushälterin zu ihm unter vielen andern Vorstellungen, die sie ihm machte: »In der Tat, Señor, wenn Ihr Euch nicht ruhig auf den Beinen haltet und still im Hause bleibt und nicht davon ablasset, durch Berg und Tal zu schweifen wie eine Seele, die im Fegefeuer nicht Ruhe findet, und aufzusuchen, was die Welt, wie ich höre, Abenteuer heißt, was ich aber Not und Elend heiße, dann muß ich es mit Jammern und Schreien Gott und dem König klagen, daß er Abhilfe dagegen schafft.«

Darauf entgegnete Don Quijote: »Haushälterin, was Gott auf deine Klagen antworten wird, das weiß ich nicht, und ebensowenig, was Seine Majestät antworten mag. Ich weiß nur, wenn ich der König wäre, so würde ich es wohl bleiben lassen, auf eine solche Unmasse von Eingaben, wie man sie ihm täglich überreicht, einen Bescheid zu erteilen; denn unter den Mühsalen, die den Königen obliegen, ist eine der größten, daß sie genötigt sind, jedermann anzuhören und jedem Antwort zu erteilen. Daher möchte ich nicht, daß meine Angelegenheiten ihm Last und Ärger bereiten sollten.«

Die Haushälterin versetzte: »Saget uns, Señor, gibt es am Hofe Seiner Majestät nicht Ritter und Edelleute?«

»Gewiß«, antwortete Don Quijote, »und viele; und es hat seinen guten Grund, daß solche am Hofe vorhanden sind, dem hohen Stand der Fürsten zur Zierde und der königlichen Majestät zur Verherrlichung.«

»Warum also«, entgegnete sie, »könnte Euer Gnaden nicht einer von denen sein, die in aller Ruhe ihrem Herrn und König dienen und deshalb am Hofe leben?«

»Sieh, meine Liebe«, antwortete Don Quijote, »nicht alle Ritter können Hofleute sein, und nicht alle Hofleute können oder sollen fahrende Ritter sein. Es muß von aller Art Leute in der Welt geben, und wiewohl wir insgesamt Ritter sein mögen, so ist doch ein großer Unterschied zwischen den einen hier und den andern dort. Denn die Ritter vom Hof, ohne ihre Gemächer zu verlassen und die Schwelle des Königshauses zu überschreiten, die spazieren auf einer Landkarte durch die ganze Welt, und es kostet sie keinen Pfennig, und sie erdulden dabei nicht Hitze noch Kälte, weder Hunger noch Durst; wir aber, die wahren, die fahrenden Ritter, in Sonnenglut und Frost, in freier Luft und in allem Ungemach des Wetters, bei Tag und Nacht, zu Fuß und zu Pferde, wir durchmessen die weite Erde mit unsern eignen Füßen. Und nicht nur Feinde in Abbildungen kennen wir, sondern solche von Fleisch und Blut, und jeden Augenblick, wo es gilt, und bei jeder Gelegenheit greifen wir sie an, ohne uns um Kleinigkeiten oder um die Gesetze des Zweikampfs zu kümmern: ob der Gegner eine kürzere oder längere Lanze oder Schwertklinge führt; ob er Reliquien oder etwa einen geheimen Zaubertrug am Leibe verbirgt; ob die Sonne gleich geteilt und abgemessen werden soll oder nicht, nebst andern Bräuchen dieser Art, die bei Einzelkämpfen Mann gegen Mann üblich sind und die du nicht kennst, aber ich. Und ferner mußt du noch wissen, daß den echten rechten fahrenden Ritter, so er auch ein Dutzend Riesen ersähe, die mit ihren Häuptern die Wolken nicht nur berühren, sondern überragen, und deren jeder ungeheure Türme als Beine hat und deren Arme Mastbäumen von großen gewaltigen Schiffen gleichsehen, und jedes Auge wie ein Mühlrad und glühender als ein Glasofen, dennoch dies alles unter keinen Umständen in Schrecken setzen darf; vielmehr muß er mit edlem Anstand und unverzagtem Herzen sie angreifen und bestürmen und, sofern möglich, sie in einem kurzen Augenblick besiegen und daniederschlagen, wenn sie sogar mit den Schuppen eines gewissen Fisches gepanzert wären, die da härter sein sollen als von Demant, und wenn sie statt der Ritterschwerter scharfschneidende Klingen von Damaszenerstahl trügen oder Keulen, mit Spitzen von dem nämlichen Stahl beschlagen, wie ich sie mehr als einmal erschaut habe. All dieses hab ich dir gesagt, Haushälterin, auf daß du den Unterschied ersiehst, der zwischen der einen Art von Rittern und der andern besteht; und recht wäre es in der Tat, wenn kein Fürst wäre, der nicht diese zweite oder, besser gesagt, erste Art von fahrenden Rittern höher als die andre schätzte; denn wie wir in ihren Geschichten lesen, war mancher unter ihnen, der nicht nur eines Königreichs, sondern vieler Heil und Rettung geworden.«

»O mein lieber Ohm!« sagte hier die Nichte, »bedenket doch, daß alles; was Ihr von den fahrenden Rittern sagt, nur Fabel und Lüge ist; und ihre Geschichten, wenn man sie auch nicht verbrennen wollte, verdienten wenigstens, daß man einer jeden ein Bußkleid mit gelbem Kreuz oder sonst ein Abzeichen umhinge, damit man sie daran als ein unehrlich Ding und als einen Verderb für die guten Sitten erkennen könnte.«

»Bei dem Gotte, von dem ich das Leben habe!« rief Don Quijote, »wärst du nicht meine leibliche Nichte, meiner eignen Schwester Kind, ich würde für die Lästerung, die du gesprochen, eine solche Züchtigung über dich verhängen, daß sie in der ganzen Welt hin widerhallen sollte. Wie denn! Ist’s möglich, daß eine halbwüchsige Dirne, die kaum imstand ist, ihr Dutzend Spitzenklöppel zu handhaben, sich erdreistet, ihren Mund gegen die Ritterbücher aufzutun und sie zu bekritteln? Was würde der Herr Amadís sagen, wenn er so etwas hörte? Doch nein, er würde dir verzeihen; denn er war der langmütigste und höflichste Ritter seiner Zeit und überdies ein großer Beschützer der Jungfrauen. Allein es könnte dich einer gehört haben, bei dem es dir ob deines Geredes nicht gut ergangen wäre; denn nicht alle sind höflich oder freundlich von Gesinnung; manche sind böse Schelme und Grobiane. Und nicht alle, die sich Ritter nennen, sind es durch und durch, denn etliche sind von echtem Gold, andre aber von Tombak. Sie alle sehen aus wie Ritter, aber nicht jeder verträgt den Strich auf dem Prüfstein der Wahrheit. Es gibt gemeine Menschen, die vor Begierde bersten, als Ritter zu gelten; es gibt hochgestellte Ritter, die vorsätzlich danach zu ringen scheinen, als gemeine Menschen zu gelten. Jene steigen empor, entweder durch Ehrgeiz oder durch Tugend; diese sinken herab, entweder durch Schlaffheit oder durch Laster. Wir müssen mit verständiger Erkenntnis prüfen, um diese beiden Arten von Rittern zu unterscheiden, die im Namen so ähnlich, so gründlich verschieden in der Handlungsweise sind.«

»Gott steh mir bei!« sagte die Nichte, »wie mögt Ihr nur, Herr Ohm, so viel wissen, daß Ihr im Notfall auf die Kanzel steigen könntet und könntet auf den Gassen predigen gehen; und gleichwohl seid Ihr mit so völliger Blindheit geschlagen und in einem so handgreiflichen Unsinn befangen, daß Ihr Euch für einen streitbaren Mann haltet, während Ihr alt seid; für begabt mit Stärke, während Ihr gebrechlich seid; für einen Helden, der alles Ungerade wieder gerademacht, während Ihr vom Alter gekrümmt seid; und mehr als alles das, für einen Ritter, da Ihr es doch nicht seid? Denn wiewohl die Junker es werden können, so sind doch die armen nicht in dem Falle.«

»Es ist vieles in deinen Worten richtig«, entgegnete Don Quijote, »und ich könnte dir über die Abstammung der Menschengeschlechter manches sagen, was dich in Erstaunen setzen würde; aber ich sage es nicht, um nicht das Göttliche mit dem Menschlichen zu vermengen. Seht, Kinder, alle Geschlechter, die es auf Erden gibt – und hier hört mir aufmerksam zu –, kann man auf vier Arten zurückführen, nämlich auf folgende: Es gibt Geschlechter, die einen geringen Ursprung hatten, und sie haben sich nach und nach ausgebreitet und sind herangewachsen, bis sie die höchste Höhe erreichten; andre hatten einen hohen Ursprung und wußten sich diesen Standpunkt zu wahren und wahren und erhalten ihn noch heute in derselben Höhe, wie sie begonnen hatten; andre wieder gibt es, die zwar in ihrem Ursprung groß gewesen, aber nachher in einer winzigen Spitze endigen wie eine Pyramide, indem die Größe ihres Anfangs sich immer mehr verkleinerte und verringerte, bis sie in einem Nichts ausging wie bei einer Pyramide die Spitze, die im Verhältnis zur Grundfläche oder dem Fuß der Pyramide ein Nichts ist; andre endlich gibt es – und das ist die große Mehrzahl –, bei denen weder der Anfang groß noch die Mitte bedeutsam war und deren Ende sonach namenlos sein wird wie das Geschlecht der niederen, gewöhnlichen Masse. Von der ersten Art, jener, die einen geringen Anfang hatten und zu der Höhe emporstiegen, die sie noch jetzt innehaben, möge dir das ottomanische Haus zum Beispiel dienen, das, von einem geringen, niedrigen Hirten ausgehend, auf dem Gipfel steht, wo wir es heute sehen. Von der zweiten Art von Geschlechtern, die ihren Ursprung auf der Höhe hatten und sich auf ihr erhielten, ohne sie noch mehr zu steigern, können viele Fürsten ein Beispiel geben, welche ihren Rang erblich empfingen und sich in demselben forterhalten, ohne ihn zu erhöhen oder zu erniedrigen. Von denen, die groß begannen und in einer kleinen Spitze endigten, gibt es Tausende von Beispielen; denn all die Pharaonen und Ptolemäer Ägyptens, die Cäsaren Roms nebst dem ganzen Gewimmel, wenn man dieses Wort hier gebrauchen darf, von unzähligen Fürsten, Monarchen, Herrschern, von Medern, Assyrern, Persern, Griechen und Barbaren, all diese Geschlechter und Herrscherhäuser haben in einer Spitze, in einem Nichts geendet, sie ebenso wie jene, die ihnen einst den Ursprung gegeben; denn es ist undenkbar, heutzutage noch einen von ihren Abkömmlingen aufzufinden, und wenn wir einen fänden, so wäre es in niedrigem und geringem Stande. Von den Geschlechtern der gemeinen Masse brauche ich nichts zu sagen; denn diese dienen nur dazu, die Zahl der Lebenden zu vermehren, ohne sonst etwa auf Ruhm und Preis Anspruch machen zu können.

Aus all dem Gesagten mögt ihr nun entnehmen, meine lieben Törinnen, daß eine gewaltige Vermischung unter den Geschlechtern ist und daß nur diejenigen unsern Augen als groß und vornehm erscheinen, die sich als solche durch ihrer Sippen Tugend, Reichtum und Mildtätigkeit bewähren. Ich sage Tugend, Reichtum und Mildtätigkeit, denn der Große, der ein Schurke ist, wird ein großer Schurke sein, und der Reiche ohne Mildtätigkeit ist ein geiziger Bettler; denn den Besitzer von Reichtümern macht es nicht glücklich, daß er sie besitzt, sondern daß er sie verwendet, und nicht, daß er sie verwendet, wie es ihn gelüstet, sondern daß er versteht, sie gut zu verwenden. Dem besitzlosen Ritter bleibt kein andrer Weg, sich als Ritter zu bewähren, als der Weg der Tugend, indem er leutselig, wohlgesittet, höflich und fein und dienstfertig ist; nicht hochmütig, nicht anmaßend, nicht tadelsüchtig; vor allem aber sei er mildtätig; denn mit zwei Maravedís, die er freudigen Herzens dem Armen schenkt, zeigt er sich ebenso freigebig, als wer seine Almosenspende an die große Glocke hängt; und keiner, der ihn mit den erwähnten Tugenden geschmückt sieht, wird, wenn er ihn auch nicht näher kennt, umhinkönnen, ihn für einen Mann von edler Geburt zu halten und zu erklären; und es war ein Wunder, wenn das nicht der Fall wäre; denn stets war Lob und Preis der Tugend Lohn, und dem Tugendhaften kann das Lob nicht fehlen.

Zwei Wege gibt es, Kinder, auf denen der Mensch wandeln und zu Reichtum und Ehre gelangen kann; der eine ist der der Wissenschaften, der andre der des Waffenwerks. Ich weiß mehr vom Waffenwerk als von der Wissenschaft und bin, nach meiner Neigung zu den Waffen zu schließen, unter dem Einfluß des Planeten Mars geboren; und daher bin ich so gut wie gezwungen, seinen Wegen zu folgen, und auf diesen will ich aller Welt zum Trotze wandeln, und vergeblich würdet ihr euch abmühen, mich zu überreden, daß ich nicht wolle, was der Himmel will, das Schicksal gebeut und die Vernunft erheischt und was überdies und vor alledem mein Wunsch verlangt; denn wer da die unzähligen Mühsale kennt – und ich kenne sie –, die von dem fahrenden Rittertum unzertrennlich sind, der weiß auch, welch zahllose Menge hoher Güter es gewährt. Auch weiß ich, daß der Pfad der Tugend gar schmal und der Weg des Lasters breit und geräumig ist, und weiß, daß beider Zwecke und Endziele verschieden sind; denn der des Lasters, weit und bequem, endet mit dem Tode, und der der Tugend, eng und mühselig, endet mit schönerem Leben, nicht mit einem Leben, das da endet, sondern mit dem Leben, das ewig dauert. Auch weiß ich, was der große kastilianische Dichter sagt:

Auf diesem rauhen Pfad kannst du erreichen
Den hohen Thronsitz der Unsterblichkeit,
Wo nie anlangen, die vom Pfade weichen.«

»O ich Unglückliche!« rief die Nichte aus; »mein Ohm ist auch ein Dichter! Alles weiß er, alles versteht er. Ich will wetten, wenn er Lust hätte, Maurer zu werden, er könnte ein Haus so leicht herstellen wie einen Käfig.«

»Ich gebe dir mein Wort, Nichte«, entgegnete Don Quijote, »wenn die Rittertumsgedanken nicht alle meine Sinne mit sich fortrissen, so gäbe es nichts, das ich nicht fertigbrächte, keine künstliche Arbeit, die nicht aus meinen Händen hervorginge, vor allem Käfige und Zahnstocher.«

Da hörte man an der Tür pochen, und auf die Frage, wer da poche, antwortete Sancho Pansa, er sei es. Kaum hatte die Haushälterin seine Stimme erkannt, da lief sie und verbarg sich, so widerwärtig war er ihr. Die Nichte öffnete ihm, sein Herr Don Quijote eilte, ihn mit offenen Armen zu empfangen, und beide schlossen sich in sein Gemach ein und hielten daselbst ein neues Gespräch zusammen, das dem vorigen nicht nachsteht.