60. Kapitel


Von dem, was dem Ritter Don Quijote begegnete, da er gen Barcelona zog

Der Morgen war kühl und ließ zum voraus erkennen, nicht minder kühl werde dieser Tag sein, an welchem Don Quijote aus dem Wirtshause schied. Er hatte sich vorher erkundigt, welches der nächste Weg nach Barcelona sei, ohne Zaragoza zu berühren; so sehr drängte es ihn, den neuen Geschichtsschreiber Lügen zu strafen, der, wie man ihm sagte, ihn so tief herabsetzte.

Es fügte sich nun, daß in mehr als sechs Tagen ihm nichts begegnete, was des Niederschreibens wert wäre. Am Abend des sechsten Tages, als er gerade abseits von der Landstraße dahinritt, überraschte ihn die Nacht unter dicht verwachsenen Eichen, oder waren es Korkbäume; hierin eben beobachtet Sidi Hamét nicht die Genauigkeit, die er bei andern Dingen einzuhalten pflegt. Herr und Diener stiegen ab und machten sich die Baumstämme zu Kopfkissen; Sancho, der an diesem Tage ein Vesperbrot eingenommen hatte, ging ohne weiteres zu den Pforten des Schlummers ein; aber Don Quijote, den seine Phantasien mehr als der Hunger wachhielten, konnte die Augen nicht schließen, und er schweifte mit seinen Gedanken an tausend verschiedenen Orten hin und her. Bald kam es ihm vor, als befände er sich in der Höhle des Montesinos; bald; als sehe er die in eine Bäuerin verwandelte Dulcinea umherhüpfen und auf ihre Eselin springen; bald, als tönten ihm ins Ohr die Worte des weisen Merlin, die ihm die Bedingungen und Bemühungen verkündeten, welche man zur Entzauberung Dulcineas erfüllen und beharrlich einhalten müsse. Er verzweifelte schier über die Lässigkeit seines Knappen Sancho und über dessen Mangel an Nächstenliebe, da dieser sich seines Wissens nur fünf Hiebe versetzt hatte, eine unschickliche und geringe Zahl im Verhältnis zu der großen Menge Hiebe, die noch fehlten; und hierüber betrübte und ärgerte er sich so sehr, daß er zu folgenden Erwägungen kam: Wenn Alexander der Große den gordischen Knoten mit den Worten durchgehauen hat: »Zerhauen ist ebensogut wie Aufknoten«, und darum dennoch Herr von ganz Asien wurde, so könnte es jetzt bei der Entzauberung Dulcineas ebensogut gehen, wenn ich selber Sancho wider seinen Willen die Hiebe gäbe; denn wenn diese Erlösung davon abhängt, daß Sancho die dreitausend und soundso viel Streiche bekommt, was liegt daran, ob er sie sich selbst gibt oder ob sie ihm ein andrer aufzählt, da doch das Wesentliche ist, daß er sie bekommt, woher sie auch kommen mögen?

Nach dieser Überlegung nahm er Rosinantes Zügel, legte sie sich so zurecht, daß er bequem damit hauen konnte, trat dann zu Sancho heran und begann ihm die Leibriemen zu lösen, wiewohl man allgemein sagt, daß Sancho nur einen hatte, nämlich den, der ihm die Hosen hinaufhielt. Doch kaum war Don Quijote ihm nahe gekommen, als Sancho zu vollem Bewußtsein erwachte und rief: »Was ist das? Wer rührt mich an und macht mir den Riemen auf?«

»Ich bin’s«, antwortete Don Quijote; »ich will deine Unterlassungssünde wiedergutmachen und meinen Drangsalen Abhilfe schaffen; ich will dich geißeln und dich von der Schuld, die du übernommen, wenigstens zum Teil entlasten. Dulcinea vergeht in Elend, du lebst unbekümmert, ich sterbe vor Sehnsucht; also löse deinen Hosenriemen aus eignem freiem Willen, denn ich bin gewillt, dir an diesem einsamen Orte mindestens zweitausend Geißelhiebe zu geben.«

»Daraus wird nichts, Euer Gnaden«, sagte Sancho; »haltet Ruh, sonst, bei dem wahrhaftigen Gott, schlage ich einen Lärm, daß Taube uns hören sollen. Die Hiebe, zu denen ich mich verpflichtet habe, müssen freiwillig und nicht erzwungen sein, und ich habe jetzt keine Lust, mich zu geißeln; genug, daß ich Euer Gnaden mein Wort gebe, mich zu hauen und mir das Fell zu gerben, sobald mir die Lust dazu kommt.«

»Dies deiner Dienstwilligkeit zu überlassen geht nicht an, Sancho«, erklärte Don Quijote, »denn du bist harten Herzens, und obwohl ein Bauer, hast du gar empfindliches Fleisch.«

Nun mühte er sich und rang mit ihm, um ihm den Hosenriemen aufzuschnallen; als aber Sancho diese Absicht merkte, sprang er auf die Füße, fiel über seinen Herrn her, faßte ihn um den Leib, stellte ihm ein Bein und warf ihn nieder, daß er den Mund gen Himmel aufsperrte; er setzte ihm das rechte Knie auf die Brust und hielt ihm die Hände mit seinen Händen, daß er sich weder rühren noch atmen konnte. Don Quijote aber rief: »Wie, du Bösewicht, gegen deinen Gebieter und angebornen Herrn lehnst du dich auf? Der dir sein Brot gibt, an dem vergreifst du dich?«

»Ich setze keinen König ab und setzte keinen König ein«, antwortete Sancho, »ich wehre mich nur meiner Haut, über die ich doch der angeborne Herr bin. Versprecht mir, daß Ihr Ruhe halten und für jetzt nicht darauf ausgehen wollt, mich zu hauen, dann lasse ich Euch frei und ledig; wo nicht:

Hier sollst du, Verräter, sterben,
Du der Feind von Doña Sancha!«

Don Quijote versprach es ihm und schwur beim Leben der Herrin seiner Gedanken, an kein Fädchen seines Kleides zu rühren und es gänzlich seinem Belieben und freien Willen zu überlassen, wann er sich geißeln wolle. Sancho erhob sich, ging eine gute Strecke von der Stelle weg und wollte sich an einen andern Baum anlehnen, da fühlte er, daß ihm etwas den Kopf berührte, er streckte die Hände empor und ergriff zwei Menschenfüße mit Schuhen und Strümpfen. Er zitterte vor Schreck, lief an einen andern Baum, wo ihm dasselbe widerfuhr; da rief er mit lauter Stimme Don Quijote zu Hilfe. Don Quijote kam, und als er fragte, was ihm zugestoßen sei und wovor er solche Angst habe, antwortete ihm Sancho, alle diese Bäume hingen voller Füße und Beine von Menschen. Don Quijote griff hinauf, erriet sogleich, was es sein müsse, und sagte zu Sancho: »Du brauchst keine Angst zu haben, denn diese Füße und Beine, die du berührst und nicht siehst, gehören sicherlich Buschkleppern und Räubern, die an diesen Bäumen aufgehängt sind; hier im Walde pflegt die Gerechtigkeit sie, wenn sie sie ergreift, zu zwanzigen oder dreißigen zu hängen, und daraus schließe ich, daß wir nahe bei Barcelona sein müssen.«

Es war auch in der Tat so, wie er vermutet hatte; als die Morgenröte erschien, erhoben sie ihre Augen und sahen, daß die Früchte jener Bäume wirklich Leichname von Räubern waren. Indem wurde es voller Tag, und wenn die Toten sie in Schrecken gesetzt hatten, so gerieten sie in nicht mindere Bestürzung bei dem Anblick von mehr als vierzig lebendigen Räubern, die plötzlich sie umringten und ihnen auf katalonisch zuriefen, stillzuhalten und zu warten, bis ihr Hauptmann käme. Don Quijote war zu Fuß, sein Roß nicht aufgezäumt, sein Speer war an einen Baum gelehnt und er, in einem Wort, wehrlos; und daher fand er es geraten, die Arme zu kreuzen und sein Haupt zu beugen, um sich für beßre Zeit und Gelegenheit aufzusparen. Die Räuber machten sich über den Grauen her und suchten ihn durch und ließen ihm nichts von allem, was er im Zwerchsack und im Felleisen trug, und es war ein Glück für Sancho, daß er die Goldtaler des Herzogs sowie die von Hause mitgebrachten in einer Katze um den Leib trug; aber trotzdem hätte die wackere Sippschaft ihn noch gründlicher durchsucht und sogar nachgesehen, was er etwa zwischen Haut und Fleisch verborgen trage, wenn nicht gerade jetzt ihr Hauptmann gekommen wäre. Dem Aussehen nach mochte es ein Mann von etwa vierunddreißig Jahren sein; er war kräftig gebaut, von mehr als mittlerer Größe, ernsten Blickes und braun von Gesichtsfarbe. Er ritt auf einem mächtigen Gaul, trug ein stählernes Panzerhemd und zu beiden Seiten vier Pistolen, die man in jener Gegend Stutzen nennt. Er sah, daß seine Knappen, denn so heißt man die Leute dieses Gewerbes, im Begriffe waren, Sancho Pansa auszuplündern; er befahl ihnen, es zu unterlassen, es wurde ihm sofort gehorcht, und so schlüpfte die Geldkatze durch. Er wunderte sich, den Speer an den Baum gelehnt zu sehen, den Schild auf dem Boden und Don Quijote in Rüstung und in tiefem Nachsinnen, mit dem traurigsten und schwermütigsten Gesicht, das leibhaftige Bild der Traurigkeit. Er näherte sich ihm und sagte: »Seid nicht so bekümmert, guter Freund; Ihr seid nicht in die Hände eines grausamen Busiris gefallen, sondern in die des Roque Guinart, in denen mehr das Mitleid als die Strenge waltet.«

»Nicht deshalb bin ich voll Kümmernis;«, entgegnete Don Quijote, »weil ich in deine Gewalt gefallen bin, o tapferer Roque, dessen Ruhm auf Erden keine Grenzen hat, sondern weil meine Sorglosigkeit so groß gewesen, daß deine Leute mich überraschen konnten, ohne daß mein Pferd aufgezäumt war, während ich doch gemäß dem Orden der fahrenden Ritterschaft, zu dem ich mich bekenne, verpflichtet bin, stets auf der Hut und zu jeder Stunde meine eigene Schildwache zu sein. Denn ich tue dir zu wissen, o großer Roque, wenn sie mich auf meinem Rosse mit meinem Speer und meinem Schild angetroffen hätten, so wäre es ihnen nicht sehr leicht geworden, über mich zu siegen, dieweil ich Don Quijote von der Mancha bin, der Mann, der mit seinen Großtaten das ganze Erdenrund erfüllt hat.«

Roque Guinart merkte sofort, daß Don Quijotes schwache Seite weit mehr die Narrheit als die Tapferkeit war, und obwohl er schon manchmal von ihm gehört, so hatte er doch seine Taten nie für Wirklichkeit gehalten und konnte sich nicht überreden, daß eine so verrückte Liebhaberei wirklich in der Seele eines Mannes herrschen könne; nun aber freute er sich außerordentlich, ihm begegnet zu sein, um mit den Händen zu greifen, was er bisher nur aus der Ferne über ihn vernommen hatte.

Daher sagte er zu ihm: »Tapferer Ritter, seid nicht unmutig und haltet das Los, das Euch zugefallen, nicht für ein unglückliches; denn wohl möchte es geschehen, daß gerade, wenn Euer Fuß hier strauchelt, der krumme Pfad Eures Geschickes sich wieder geraderichtete, sintemalen auf Umwegen, die oft gar seltsam und von Menschen noch nimmer erschaut und nimmer geahnt worden, der Himmel die Gefallenen zu erheben und die Armen reich zu machen pflegt.«

Don Quijote war schon im Begriff, ihm seinen Dank auszusprechen, als sie hinter sich ein Stampfen hörten wie von einem ganzen Trupp Pferde; es war jedoch nur ein einziges, auf welchem ein Jüngling in rasendem Sturm einhergejagt kam. Er schien gegen zwanzig Jahre alt zu sein, war in grünen Damast mit goldenen Tressen gekleidet, trug enge Beinkleider und einen Schiffermantel, einen Hut auf wallonische Art mit geschweiften Krempen, knapp anliegende gewichste Stiefel, Sporen, Dolch und Degen vergoldet, eine Stutzbüchse in der Hand und ein Paar Pistolen im Gürtel. Bei dem Pferdegestampf wandte Roque den Kopf und erblickte diese reizende Gestalt, die beim Näherkommen ihn so anredete: »Ich kam hierher, dich aufzusuchen, o tapferer Roque, um bei dir, wenn nicht Hilfe, doch Erleichterung meines Elends zu finden; und um dich nicht in Ungewißheit zu lassen, weil ich weiß, du hast mich nicht erkannt, will ich dir sagen, wer ich bin. Ich bin Claudia Gerónima, die Tochter von Simón Porte, der stets dein inniger Freund war und zugleich ein Todfeind von Clauquel Torrellas, der auch dein Feind ist, da er zu deiner Gegenpartei gehört; du weißt auch, daß dieser Torrellas einen Sohn hat, der Don Vicente Torrellas heißt oder wenigstens vor noch nicht zwei Stunden so hieß. Dieser nun – um die Erzählung meines Unglücks kurz zu fassen, will ich dir in wenigen Worten sagen, welches Leid er mir zugefügt hat. Er sah mich, er machte mir den Hof, ich hörte ihn an, ich verliebte mich hinter dem Rücken meines Vaters, denn es gibt kein Weib, so behutsam und zurückhaltend es auch sei, das nicht mehr als genug Zeit dazu fände, seine stürmischen Wünsche zur Tat werden zu lassen. Kurz, er versprach mir die Ehe, ich gab ihm darauf das Wort, ihm zu gehören, jedoch ohne daß wir weiter gingen. Gestern erfuhr ich, daß er, vergessend, was er mir schuldet, sich mit einer andren vermählen und heute morgen sich trauen lassen wollte, eine Nachricht, die mir die Besinnung und meine Geduld raubte; und da mein Vater nicht zu Hause war, so legte ich rasch die Tracht an, die du siehst, bestieg mein Pferd und trieb es zur Eile, erreichte Don Vicente ungefähr eine Meile von hier, und ohne mich damit aufzuhalten, Klagen auszustoßen und Entschuldigungen anzuhören, schoß ich diese Büchse auf ihn ab und obendrein diese zwei Pistolen, und ich glaube, ich habe ihm mehr Kugeln als nötig in den Leib gejagt und an seiner Brust Pforten geöffnet, aus denen, von seinem Blut umgossen, meine Ehre gerächt hervorging. Dort ließ ich ihn nun unter den Händen seiner Diener, die an seine Verteidigung zu denken weder wagten noch vermochten; ich komme zu dir, damit du mich hinüber nach Frankreich bringst, wo ich Verwandte habe, bei denen ich leben kann, und bitte dich zugleich, meines Vaters Verteidigung zu übernehmen, damit die zahlreichen Freunde Don Vicentes es nicht wagen, an ihm eine frevelhafte Rache zu üben.«

Roque, voll Verwunderung ob des Mutes, der glänzenden Tracht, der schönen Gestalt und der Schicksale der reizenden Claudia, sprach zu ihr: »Komm, Señora, wir wollen sehen, ob dein Feind tot ist, und dann wollen wir erwägen, was dir am meisten frommt.«

Don Quijote, der aufmerksam zugehört hatte, was Claudia gesagt und was Roque Guinart antwortete, sprach: »Niemand braucht sich mit der Verteidigung dieses Fräuleins zu bemühen, ich nehme sie auf mich; man gebe mir mein Roß und meine Waffen und erwarte mich hier; ich will jenen Ritter aufsuchen und will ihn tot oder lebendig zur Erfüllung des Wortes zwingen, das er einer so großen Schönheit gegeben.«

»Daran darf keiner zweifeln«, sprach Sancho, »denn mein Herr hat eine sehr glückliche Hand als Ehevermittler. Hat er doch vor wenigen Tagen erst einen andren zur Heirat gezwungen, der ebenfalls einer Jungfrau sein Wort nicht halten wollte; und wären nicht die Zauberer, die ihn verfolgen, gekommen und hätten dessen wahre Gestalt in die eines Lakaien verwandelt, so wäre schon jetzt die besagte Jungfrau keine solche mehr.«

Roque, dessen Gedanken sich mehr mit den Geschicken der schönen Claudia beschäftigten als mit dem Gerede des Herrn und des Dieners, hörte es nicht einmal, und nachdem er seinen Knappen befohlen, Sancho alles wiederzugeben, was sie vom Gepäck des Esels genommen, und sie angewiesen, an den Ort zurückzukehren, wo sie vergangene Nacht gelagert hatten, entfernte er sich in aller Eile mit Claudia, um den verwundeten oder toten Don Vicente aufzusuchen. Sie kamen an die Stelle, wo Claudia ihn angetroffen, und fanden dort nichts als frisch vergossenes Blut; aber als sie ihre Blicke nach allen Seiten hin aussendeten, entdeckten sie oben auf einem Hügel einige Leute und vermuteten, wie es auch wirklich der Fall war, es müsse Don Vicente sein, den seine Diener tot oder lebendig fortschafften, entweder um ihn verbinden zu lassen oder um ihn zu begraben. Sie beeilten sich, die Leute einzuholen, und da diese einen sehr langsamen Schritt einhielten, so konnte dies leicht geschehen. Sie fanden Don Vicente in den Armen seiner Diener, die er mit matter, schwacher Stimme bat, sie möchten ihn dort sterben lassen, weil der Schmerz der Wunden es ihm unmöglich mache weiterzukommen. Claudia und Roque sprangen von ihren Pferden und eilten zu ihm hin; die Diener erschraken vor Roques Anblick, und Claudia war über denjenigen Don Vicentes entsetzt; und halb zärtlich und halb ergrimmt trat sie ihm zur Seite, ergriff seine Hand und sagte: »Hättest du mir diese gereicht, unsrer Abrede gemäß, so wäre es nie so weit gekommen.«

Der verwundete Edelmann öffnete die halbgeschlossenen Augen, und als er Claudia erkannte, sprach er: »Wohl seh ich’s, meine schöne, meine betrogene Geliebte, du warst es, die mich getötet; du hast mir gelohnt, wie es mein liebendes Herz nimmer verdient und wie es ihm nie gebührte, denn weder mit Gedanken noch Taten habe ich dich je gekränkt oder dich kränken können.«

»Also ist es nicht wahr«, fragte Claudia, »daß du dich heut morgen mit Leonora vermählen wolltest, der Tochter des reichen Balbastro?«

»Wahrlich nicht«, antwortete Don Vicente; »mein Unstern muß dir eine solche Nachricht zugebracht haben, damit du mir aus Eifersucht das Leben rauben solltest, und dennoch preise ich mich glücklich, da ich dies Leben von deiner Hand, da ich es in deinen Armen verliere. Und willst du dich überzeugen, wie ernst und wahr meine Worte, so drücke mir die Hand und nimm mich als deinen Gatten an, falls du es wünschest; eine größere Genugtuung kann ich dir für die Kränkung nicht geben, die du wähnst von mir erlitten zu haben.«

Claudia drückte ihm die Hand, und so heftig krampfte sich ihr hierbei das Herz zusammen, daß sie über Don Vicentes blutende Brust ohnmächtig hinsank, und ihn überkam ein Anfall tödlichen Krampfes. Roque war bestürzt und wußte nicht, was tun. Die Diener eilten, Wasser zu holen, um es ihnen ins Gesicht zu spritzen; sie brachten es herbei und besprengten sie damit, Claudia kam aus ihrer Ohnmacht wieder zu sich, aber nicht Don Vicente von seinem Anfall; sein Leben war zu Ende. Als Claudia dies sah, als sie sich überzeugt hatte, daß ihr teurer Gatte nicht mehr lebe, erschütterte sie die Luft mit ihren Seufzern, ließ sie den Himmel von ihrem Jammer widerhallen, raufte sich die Haare und gab sie den Winden preis, zerfleischte ihr Gesicht mit ihren eignen Händen und ließ allen Schmerz und alles Weh schauen, wie man es von einem gequälten Herzen sich nur erdenken kann. »O du grausames, unbesonnenes Weib!« rief sie; »wie so leicht ließest du dich hinreißen, einem so argen Gedanken die Tat folgen zu lassen! O wahnsinnige Gewalt der Eifersucht, zu welch verzweiflungsvollem Ziele führst du den, der dir Einlaß in seinen Busen verstattet! O mein Gemahl, den sein Unglück, weil er der Geliebte meines Herzens war, vom Brautbett ins Grab gestürzt hat!«

So innig, so schmerzlich war Claudias Jammerklage, daß sie Tränen aus Roques Augen entlockte, die nicht gewohnt waren, sie um irgendeines Anlasses willen zu vergießen. Auch die Diener weinten, Claudia wurde immer von neuem ohnmächtig, und der ganze Umkreis schien ein Feld der Trauer und eine Stätte des Unheils.

Endlich gebot Roque Guinart den Dienern Don Vicentes, dessen Leiche zu dem nahen Wohnort des Vaters zu tragen, um ihn der Gruft zu übergeben. Claudia erklärte dem Roque, sie wolle in ein Kloster gehen, wo eine Tante von ihr Äbtissin sei, und dort gedenke sie ihr Leben an der Hand eines besseren, der Sterblichkeit nicht so unterworfenen Bräutigams zu beschließen; Roque pries ihren frommen Entschluß und erbot sich, sie zu begleiten, wohin sie auch wolle, und ihren Vater gegen die Verwandten Don Vicentes, ja gegen die ganze Welt zu verteidigen, wenn man ihn antasten wolle. Claudia wollte indes seine Begleitung unter keiner Bedingung annehmen, dankte ihm mit den herzlichsten Worten für sein Anerbieten und nahm unter Tränen von ihm Abschied. Die Diener Don Vicentes trugen seinen Leichnam von dannen, und Roque kehrte zu den Seinigen zurück.

So endete das Liebesabenteuer der Claudia Gerónima. Aber wie konnte es anders sein, da die Fäden ihrer jammervollen Geschichte von der unbesiegbaren und grausamen Gewalt ihrer Eifersucht gesponnen waren!

Roque Guinart fand seine Knappen, wohin er sie beschieden hatte, und den Ritter Don Quijote bei ihnen; er saß auf seinem Rosinante und hielt eine Ansprache an sie, um sie zu überreden, sie möchten von ihrer Lebensweise lassen, die so gefährlich für die Seele wie für den Körper sei. Aber da die meisten von ihnen Gaskogner waren, rohes, liederliches Gesindel, so ging ihnen Don Quijotes Rede nicht sehr zu Herzen.

Gleich nach seiner Ankunft fragte Roque den Schildknappen Sancho, ob seine Leute die Kostbarkeiten und Wertsachen, die sie dem Esel abgenommen, ihm wiedergegeben und zurückerstattet hätten. Sancho antwortete mit Ja, nur fehlten ihm drei Nachthauben, die soviel wert seien wie drei große Städte.

»Was sagst du, Bursche?« sagte einer der Anwesenden; »ich habe sie, und sie sind keine drei Realen wert.«

»Das ist allerdings wahr«, sagte Don Quijote: »aber mein Schildknappe schätzt sie so hoch, wie er gesagt hat, und zwar um des Gebers willen, dem ich sie verdanke.«

Roque Guinart befahl, sie ihm auf der Stelle wiederzugeben; dann ließ er die Seinigen sich in einer Reihe aufstellen und sämtliche Kleidungsstücke, Kostbarkeiten und baren Gelder sowie alles, was sie seit der letzten Teilung erbeutet, vor aller Augen an Ort und Stelle bringen. Er nahm kurzerhand eine Schätzung vor; was sich nicht teilen ließ, rechnete er in Geld um und verteilte das Ganze unter seine sämtlichen Kameraden so gerecht und einsichtig, daß er das Gesetz der austeilenden Gerechtigkeit nicht in einem Punkte verletzte. Nachdem dies geschehen und alle einverstanden, zufriedengestellt und ausbezahlt waren, sagte Roque zu Don Quijote: »Wenn man es mit diesen Leuten nicht genau nähme, so könnte man nimmer mit ihnen auskommen.«

Hierauf bemerkte Sancho: »Wie ich sehe, ist die Gerechtigkeit so was Gutes, daß sie selbst unter Spitzbuben geübt werden muß.«

Dieses hörte einer der Knappen, hob den Flintenkolben und hätte ganz sicher Sanchos Schädel damit zerschmettert, wenn Roque Guinart ihm nicht zugeschrien hätte, einzuhalten. Sancho wurde fast ohnmächtig vor Schrecken und nahm sich vor, den Mund nicht mehr aufzutun, solange er sich unter dieser Sippschaft befinde.

In diesem Augenblick kamen einer oder einige von den Knappen, die als Feldwachen auf den Wegen aufgestellt waren, um zu erspähen, was für Leute vorüberzogen, und ihrem Hauptmann alles zu melden. Der Kundschafter sagte: »Señor, nicht weit von hier auf der Straße, die nach Barcelona führt, kommt ein großer Trupp Leute.«

Roque erwiderte: »Hast du gesehen, ob sie zu den Leuten gehören, die uns suchen, oder zu denen, die wir suchen?«

»Nur zu denen, die wir suchen«, antwortete der Knappe.

»Dann zieht alle hin«, versetzte Roque, »und bringt mir sie sogleich hierher und lasset keinen entwischen!«

Sie taten wie befohlen. Don Quijote, Sancho und Roque blieben allein zurück und erwarteten, was für Gefangene die Knappen bringen würden. In der Zwischenzeit sprach Roque zu Don Quijote: »Unsre Lebensweise, Señor Don Quijote, muß Euch als eine ganz neue vorkommen, neu unsre Abenteuer, neu unsre Erlebnisse, alle aber gefahrvoll, und ich wundere mich nicht, wenn es Euch so vorkommt, denn ich gestehe, es gibt tatsächlich kein unruhigeres und aufgeregteres Leben. Zu ihm hat mich einst irgendein Drang nach Rache verlockt, ein Drang, dessen Macht das ruhigste Gemüt in Wallung bringen kann. Ich bin von Natur mitleidig und hege die besten Absichten; allein, wie gesagt, der Durst nach Rache für eine mir angetane Beleidigung wirft meine besseren Triebe so völlig danieder, daß ich meiner besseren Einsicht zum Trotz bei dieser Lebensweise verharre; und so wie ein Abgrund zum andern führt und eine Suade die andre nachzieht, so haben sich die Ringe an der Kette meiner Rachetaten so aneinandergefügt, daß ich nicht nur Rache für mich selbst, sondern auch Rache für dritte Personen auf mich nehme. Allein Gott ist so gnädig, daß ich, wiewohl mitten im Labyrinth meiner Verirrungen, doch nicht die Hoffnung aufgebe, aus ihm dereinst in einen sicheren Hafen zu gelangen.«

Don Quijote war höchlich verwundert, Roque so fromm und verständig reden zu hören, denn er hatte bei sich gedacht, daß unter den Leuten, die das Geschäft des Stehlens und Raubens und Mordens betreiben, keiner sein könnte, bei dem vernünftige Überlegung Raum fände. Er entgegnete ihm: »Señor Roque, der Anfang der Genesung besteht darin, daß die Krankheit erkannt wird und daß der Kranke die Heilmittel willig einnimmt, die der Arzt ihm verordnet. Ihr seid krank, Ihr kennt Euer Leiden, und der Himmel, oder richtiger gesagt Gott, der unser aller Arzt ist, wird bei Euch ärztliche Mittel anwenden, die Euch heilen, die aber in der Regel nur allmählich Heilung bringen, nicht mit einemmal auf wunderbare Weise. Zudem sind die einsichtigen Sünder der Besserung viel näher als die einfältigen; und da Ihr in Euern Äußerungen Euern verständigen Geist gezeigt habt, so braucht Ihr nur mutige Zuversicht zu hegen und fest auf Besserung der Krankheit Eures Gewissens zu hoffen. Wollt Ihr aber Euern Weg abkürzen und mühelos den Weg Eures Seelenheils einschlagen, so folget mir nach; ich will Euch lehren, ein fahrender Ritter zu werden, ein Beruf, den so viele Drangsale und Mißgeschicke heimsuchen, daß sie, wenn Ihr sie als Bußübung hinnehmt, Euch im Handumdrehen in den Himmel versetzen werden.«

Roque lachte hellauf über Don Quijotes guten Rat, und um dem Gespräch eine andre Wendung zu geben, erzählte er ihm den traurigen Vorgang mit Claudia Gerónima, worüber Sancho sich herzlich betrübte, denn die Schönheit, Entschlossenheit und Kühnheit des Mädchens hatten es ihm angetan.

Mittlerweile kamen die Knappen mit ihrem Fang; sie brachten zwei Edelleute zu Pferde, zwei Pilger zu Fuß und eine Kutsche mit Frauenzimmern nebst etwa einem Halbdutzend Dienern, welche die Damen teils zu Fuß, teils zu Pferde begleiteten; dann noch zwei Maultiertreiber, die zu den Edelleuten gehörten. Die Knappen hatten sie in die Mitte genommen, und Sieger und Besiegte beobachteten tiefes Schweigen und erwarteten, daß der große Roque Guinart das Wort nehme. Dieser fragte zuerst die Edelleute, wer sie seien, wohin sie reisten und wieviel Geld sie bei sich hätten. Einer von ihnen antwortete ihm: »Señor, wir sind Hauptleute vom spanischen Fußvolk, haben unsre Kompanien in Neapel und wollen uns auf einer von den vier Galeeren einschiffen, die in Barcelona liegen sollen, um nach Sizilien zu fahren; wir haben etwa zwei- bis dreihundert Goldtaler bei uns, womit wir uns reich und glücklich schätzen, denn der Soldat ist bei seinem dürftigen Sold keine größeren Schätze gewohnt.«

Roque fragte nun die Pilger das nämliche wie die Hauptleute; sie antworteten ihm, sie seien im Begriff, sich nach Rom einzuschiffen, und hätten beide zusammen etwa sechzig Realen bei sich. Jetzt wollte er auch hören, wer sich in der Kutsche befinde, wohin sie wollten und wieviel Geld sie mit sich führten. Einer von den Begleitern zu Pferd antwortete: »Meine gnädige Frau Doña Guiomar de Quiñones, die Gemahlin des Präsidenten am Gerichtshofe zu Neapel, nebst einem Töchterchen, einer Zofe und einer Kammerfrau sind in dieser Kutsche; wir sechs Diener begleiten sie, und wir haben sechshundert Goldtaler bei uns.«

»Demnach haben wir hier schon neunhundert Goldtaler und sechzig Realen«, sagte Roque Guinart; »meiner Leute werden etwa siebzig sein; seht, wieviel auf einen jeden kommt, denn ich bin ein schlechter Rechner.«

Bei diesen Worten erhoben die Räuber ihre Stimmen und riefen: »Tausend Jahre möge Roque Guinart leben, den schofeln Kerlen zum Trutz, die auf sein Verderben ausgehen.«

Die beiden Hauptleute zeigten große Betrübnis, die Frau Präsidentin war sehr niedergeschlagen, und die Pilger waren auch nicht besonders vergnügt, als sie sahen, daß ihr Vermögen beschlagnahmt werden sollte. Roque hielt sie einen Augenblick so in der Angst; er wollte aber ihre Betrübnis, die man ihnen auf Büchsenschußweite ansehen konnte, nicht länger dauern lassen und sprach, zu den Hauptleuten gewendet: »Meine Herren Hauptleute, wollet so freundlich sein, mir sechzig Goldtaler zu leihen, und die Frau Präsidentin achtzig, damit ich meine Leute zufriedenstellen kann, denn wovon soll der Pfaff essen, wenn nicht von der Messen? Dann könnt ihr frei und ledig eurer Wege ziehen. Ich werde euch einen Geleitbrief geben, damit man euch nichts Böses zufüge, wenn ihr auf einen andern von meinen Haufen stoßt, die ich in der ganzen Gegend verteilt habe; denn ich habe nicht vor, Soldaten zu kränken oder Frauen, zumal solche von Stande.«

Mit vielen und beredten Worten dankten die Hauptleute für Roques freundliche Art und Freigebigkeit; denn als solche betrachteten sie es, daß er ihnen ihr eignes Geld ließ. Die Señora Doña Guiomar de Quiñones wollte aus dem Wagen herausstürzen, um dem großen Roque Hände und Füße zu küssen, aber er ließ es nicht zu, bat sie vielmehr um Verzeihung für die ihr zugefügte Unbill, zu der er durch die strengen Obliegenheiten seines argen Berufes genötigt sei. Die Frau Präsidentin befahl einem ihrer Diener, sofort die achtzig Goldtaler herzugeben, die auf ihren Teil kamen, und die Hauptleute hatten bereits ihre sechzig abgeliefert. Die Pilger wollten eben ihr ganzes bißchen Armut hergeben, da sagte ihnen Roque, sie sollten es nur gut sein lassen. Hierauf wendete er sich zu den Seinigen und sagte ihnen: »Von diesen Goldtalern kommen zwei auf jeden von euch, bleiben zwanzig übrig, davon sollen zehn den Pilgern hier gegeben werden und die andern zehn diesem wackern Schildknappen, damit er diesem Abenteuer Gutes nachsagen kann.«

Man brachte ihm Schreibzeug, das er immer mit sich führte, und er schrieb ihnen einen Geleitbrief für die Führer seiner Räuberhaufen. Dann nahm er Abschied von ihnen und entließ sie in Freiheit und in Bewunderung seines edlen Anstands, seines feinen Benehmens und seines eigentümlichen Verfahrens, ob dessen sie ihn eher für einen Alexander von Mazedonien als für einen ausgemachten Straßenräuber hielten.

Einer von den Knappen aber sagte in seiner halb gaskognischen, halb katalanischen Mundart: »Unser Hauptmann da, der paßt besser zum Klosterpfaffen als zum Räuber; wenn er künftig den Freigebigen spielen will, dann soll er es mit seinem Gelde tun und nicht mit dem unsrigen.«

Der Unglückliche hatte dies nicht so leise gesagt, daß es Roques Ohr entgangen wäre; dieser zog sein Schwert und spaltete ihm den Kopf fast in zwei Hälften mit den Worten: »So züchtige ich freche böse Mäuler.«

Alle fuhren vor Schreck zusammen, und keiner wagte ein Wort zu sagen, so sehr wußte er sie in Zucht zu halten. Roque ging dann beiseite und schrieb einen Brief an einen seiner Freunde in Barcelona, worin er ihm mitteilte, der berühmte Don Quijote von der Mancha befinde sich bei ihm; es sei der kurzweiligste und verständigste Mensch von der Welt, und nach vier Tagen, auf Sankt Johannis, werde er ihn auf den Strand vor die Stadt bringen, in voller Wehr, auf seinem Rosse Rosinante, und zugleich auch seinen Knappen Sancho auf seinem Esel; er möge seine Freunde, die Niarros, davon in Kenntnis setzen, damit sie sich an ihm erlustigten; es wäre ihm zwar lieber, wenn seine Feinde, die Cadells, um dies Vergnügen kämen, aber dies sei unmöglich, weil Don Quijotes Narretei und Gescheitheit und die witzigen Einfälle seines Knappen Sancho Pansa jedenfalls der ganzen Welt Vergnügen machen müßten. Diesen Brief schickte er durch einen seiner Knappen ab, der die Tracht eines Räubers gegen die eines Bauern vertauschte, nach Barcelona kam und den Brief richtig dem Manne ablieferte, an den er gerichtet war.

54. Kapitel


Welches von Dingen handelt, so diese Geschichte und keine andere betreffen

Der Herzog und die Herzogin beschlossen, der Herausforderung, welche Don Quijote aus dem bereits erwähnten Anlaß gegen ihren Untertan gerichtet hatte, ihren Lauf zu lassen. Da jedoch der junge Mann sich in Flandern befand, wohin er geflüchtet war, um Doña Rodríguez nicht zur Schwiegermutter zu bekommen, so ordneten sie an, daß an seine Stelle ein Lakai aus der Gaskogne treten sollte, namens Tosílos, dem sie vorher genaue Anweisung erteilten, wie er sich zu benehmen habe.

Nach zwei Tagen sagte der Herzog zu Don Quijote, sein Gegner werde in vier Tagen kommen, sich in voller Rüstung auf dem Kampfplatz stellen und mannlich verfechten, daß die Maid in ihren halben Bart, ja in ihren ganzen Bart hineinlüge, wenn sie auf ihrer Behauptung bestehe, daß er ihr die Ehe versprochen habe. Don Quijote freute sich höchlich ob dieser Zeitung; er versprach sich selber, bei dieser Gelegenheit Wunder der Tapferkeit zu verrichten, und er betrachtete es als großen Glücksfall, daß sich ihm eine Gelegenheit darbot, diesen Herrschaften zu zeigen, wie weit sich die Kraft seines gewaltigen Armes erstrecke. Und so wartete er in froher Aufregung und vergnügter Stimmung die vier Tage ab, die in der Rechnung seiner Sehnsucht vierhundert Jahrhunderte ausmachten.

Wir wollen sie vorübergehen lassen, wie wir schon soviel andres haben vorübergehen lassen, und wollen Sancho begleiten, der halb vergnügt, halb traurig auf seinem Grautier dahinzog, seinen Herrn zu suchen, dessen Gesellschaft ihm besser behagte als die Statthalterschaft über alle Insuln der Welt. Es begab sich nun, als er sich noch nicht sehr weit von seiner Statthalterinsul entfernt hatte – es war ihm nämlich nie eingefallen, sich zu erkundigen, ob er eine Insul, eine Stadt, ein Städtchen oder Dorf bestatthalterte –, daß er dort auf seinem Wege sechs Pilger mit ihren Wanderstäben einherkommen sah, die zu jenen Ausländern gehörten, welche mit Gesang um Almosen bitten. Als sie näher kamen, stellten sie sich in eine Reihe, erhoben alle zusammen ihre Stimmen und begannen in ihrer Sprache zu singen, was Sancho nicht verstehen konnte, ausgenommen ein Wort, das deutlich ›Almosen‹ lautete; daraus wurde ihm denn klar, daß es eben ein Almosen war, um was sie in ihrem Gesang baten. Da er nun, wie Sidi Hamét sagt, über die Maßen mildherzig war; so zog er aus seinem Zwerchsack das halbe Brot und den halben Käse, womit er sich versehen hatte, und reichte es ihnen hin, wobei er ihnen durch Zeichen zu verstehen gab, daß er sonst nichts für sie habe. Sie nahmen es sehr gern und sagten in deutscher Sprache: »Geld, Geld.«

»Ich verstehe nicht, was ihr von mir wollt, liebe Leute«, antwortete Sancho.

Da zog einer von ihnen einen Geldbeutel aus dem Busen und wies ihn Sancho hin, woraus diesem klarwurde, daß sie Geld von ihm verlangten; er aber legte den Daumen an die Kehle, hielt die Hand in die Höhe und streckte die Finger aus, womit er ihnen zu verstehen gab, daß er nicht die Spur von Geld habe, spornte seinen Esel und ritt durch sie hindurch. Als er indessen beim Vorüberreiten einen von ihnen aufmerksamer ansah, stürzte dieser auf ihn los, warf ihm die Arme um die Brust und rief laut in gut kastilianischer Sprache: »Gott steh mir bei! Was seh ich? Ist’s möglich, daß ich meinen lieben Freund, meinen braven Nachbarn Sancho Pansa in den Armen halte? Ja, er ist’s ohne Zweifel; ich liege ja nicht im Schlafe und bin jetzt nicht betrunken.«

Sancho war erstaunt, als er von dem ausländischen Pilger bei Namen genannt und gar umarmt wurde; er sah ihn lange an, ohne ein Wort zu reden, mit größter Aufmerksamkeit, und konnte ihn dennoch nimmer erkennen. Als der Pilger ihn so verlegen sah, sprach er zu ihm: »Wie? Ist’s möglich, Sancho Pansa, du alter Freund, daß du deinen Nachbarn Ricote nicht kennst, den Morisken, den Krämer in deinem Dorfe?«

Jetzt betrachtete ihn Sancho mit noch größerer Aufmerksamkeit, stellte sich seine Gesichtszüge aufs neue vor und erkannte ihn zuletzt ganz und gar; und ohne von seinem Tier abzusteigen, warf er ihm die Arme um den Hals und sagte: »Wer zum Teufel hätte dich erkennen sollen, Ricote, in dieser Fastnachtstracht, die du trägst? Sage, wer hat dich zum Franzmann gemacht, und wie traust du dich denn wieder nach Spanien hinein, wo es dir sehr schlecht ergehen wird, wenn sie dich ertappen und erkennen?«

»Wenn du mich nicht verrätst, Sancho«, antwortete der Pilger, »bin ich sicher; in dieser Tracht wird niemand mich erkennen. Aber gehen wir etwas abseits vom Wege nach jenem Wäldchen dort drüben; da wollen meine Kameraden essen und rasten, und dort sollst du mit ihnen essen; es sind sehr freundliche Leute. Da kann ich dir dann auch erzählen, was mir begegnet ist, seit ich unser Dorf verlassen habe, um dem Ausweisungsbefehl Seiner Majestät zu gehorchen, der die unglücklichen Angehörigen meines Volkes mit solcher Strenge bedroht, wie du gehört hast.«

Sancho tat also, Ricote sprach mit den übrigen Pilgern, und diese gingen zu dem Wäldchen hin, das sich vor ihnen zeigte, und entfernten sich ziemlich weit von der Heerstraße. Sie warfen ihre Stäbe hin, legten ihre weiten Kragen oder Pilgermäntel ab und standen nun in ihren Unterkleidern da; alle waren junge, hübsche Leute, außer Ricote, der schon bei Jahren war. Alle hatten Zwerchsäcke bei sich, welche dem Anscheine nach sämtlich wohlgefüllt waren, wenigstens mit solchen Dingen, die die Kehle reizen und den Durst auf zwei Meilen weit herbeirufen. Sie lagerten sich auf dem Boden, machten das Gras zum Tischtuch und legten darauf Brot, Salz, Messer, Nüsse, Stückchen Käse, saubre Schinkenbeine, an denen zwar nichts zu beißen war, an denen sich aber saugen ließ. Sie stellten auch ein schwarzes Gericht auf, das sie Kaviar benannten und das aus Eiern von Fischen besteht – ein großer Dursterwecker! Es fehlte auch nicht an Oliven, die zwar getrocknet und ohne Brühe, doch wohlschmeckend und lecker waren; aber was am herrlichsten war bei all der Herrlichkeit dieses Festmahls, das waren sechs Lederflaschen voll Wein, sechs, denn jeder holte die seinige aus seinem Zwerchsack hervor; und auch der wackre Ricote, der sich aus einem Morisken in einen Deutschen oder Niederländer verwandelt hatte, holte die seinige heraus, die es an Größe mit allen fünfen aufnehmen konnte. Sie begannen nun mit dem größten Behagen und sehr gemächlich zu essen und labten sich so recht an jedem Bissen, den sie nur mit der Messerspitze nahmen, und zwar von jedem Gericht ganz wenig, und dann hoben alle zugleich wie ein Mann die Arme und die Lederflaschen in die Höhe, und jeder legte seinen Mund an den Mund seiner Flasche und blickte starr nach dem Himmel empor, gerade als ob sie nach ihm zielen wollten; und in dieser Stellung, mit den Köpfen nach links und rechts wackelnd zum Zeichen, wieviel Vergnügen ihnen das machte, verharrten sie eine geraume Weile und leerten das Herzblut der Flaschen in ihre Mägen hinunter.

Sancho saß und schaut‘ es alles; nichts von allem tat ihn schmerzen – im Gegenteil, um dem Sprichwort zu folgen, das er so gut kannte: Kommst du nach Rom, sieh zu, was die andern tun, das tue du, bat er Ricote um die Lederflasche und nahm den Zielpunkt im Himmel wie die andren und mit nicht geringerem Vergnügen als sie. Viermal hielten es die Flaschen aus, daß man sie an den Mund setzte, aber zum fünftenmal war es nicht mehr möglich, denn bereits waren sie dürrer und trockner als Stroh, und das verwandelte die Heiterkeit, die sie bisher an den Tag gelegt, in eine gar trübe Stimmung. Von Zeit zu Zeit legte einer seine rechte Hand in diejenige Sanchos und sagte: »Spanisch und deutsch all eins, gut Kamerad.« Und Sancho antwortete: »Gut Kamerad, schwör Gott!« und brach in ein Lachen aus, das eine Stunde dauerte, und dachte an nichts mehr von allem, was ihm in seiner Statthalterschaft begegnet war; denn über die Zeit, während gegessen und getrunken wird, haben die Sorgen stets nur geringe Gewalt. Das Ende ihres Weinvorrats wurde nun der Anfang eines Schlummers, der sie alle überwältigte, sie schliefen ein auf ihren Tischen und Tischtüchern; nur Ricote und Sancho blieben wach, denn sie hatten mehr gegessen und weniger getrunken.

Ricote führte Sancho abseits, sie setzten sich unter eine Buche nieder und ließen die Pilger in süßen Schlaf versenkt liegen; und Ricote sprach in reinem Kastilianisch, ohne daß er dabei irgendwie über seine Moriskensprache gestolpert wäre, die folgenden Worte: »Wohl weißt du, Sancho Pansa, mein Nachbar und Freund, wie der allgemeine Erlaß und Bannbefehl, den Seine Majestät gegen die Angehörigen meines Volkes verkündigen ließ, alle mit Furcht und Schrecken erfüllte; ich wenigstens war in solcher Angst, daß es mich jetzt bedünkt, ich habe schon vor der Frist, die man uns zur Auswanderung aus Spanien gewährte, die harte Strafe an mir und meinen Kindern selbst vollstreckt. Ich traf nämlich die Anordnung – meiner Meinung nach als vorsorgender Mann, ich meine, als einer, der wohl weiß, daß man ihm in einer bestimmten Zeit das Haus, in dem er lebt, wegnehmen wird, und der daher für ein andres sorgt, um dahin überzusiedeln –, ich richtete es so ein, sage ich, daß ich allein, ohne meine Familie, mein Dorf verließ, um einen Ort zu suchen, wohin ich sie mit Bequemlichkeit bringen könnte, ohne die Übereilung, mit welcher die andern auswanderten. Denn ich sah wohl ein, und ebenso unsre Ältesten, daß diese Erlasse nicht bloß Drohungen waren, wie mancher behauptete, sondern ernstgemeinte Gesetze, die in ihrer bestimmten Frist zur Vollziehung gelangen würden; und dies für wahr zu halten nötigte mich selbst der Umstand, daß ich die verderblichen unsinnigen Anschläge der Unsrigen kannte, die derart waren, daß es mich bedünkt, eine wahrhaft göttliche Eingebung habe Seine Majestät bewegen, einen so mutigen Entschluß in Ausführung zu bringen; nicht weil wir etwa alle schuldig gewesen wären, denn es gab unter uns manchen standhaften wahren Christen, aber ihrer waren so wenige, daß sie denen nicht entgegentreten konnten, die es nicht waren, und es wäre nicht vernünftig gewesen, die Schlange an seinem Busen zu nähren, ich meine, die Feinde im eignen Hause zu behalten.

Kurz, aus gerechten Gründen wurden wir mit der Strafe der Landesverweisung gezüchtigt, die manchen mild und gelinde, uns aber die schrecklichste dünkte, die man uns auferlegen konnte. Wo immer wir sind, weinen wir um Spanien, denn am Ende sind wir doch hier geboren; es ist unser angestammtes Vaterland. Nirgends finden wir die Aufnahme, die unser Unglück verlangen darf, und in der Berberei und in allen Landschaften Afrikas, wo wir hofften, wohlaufgenommen, willkommen geheißen und freundlichst behandelt zu werden, dort kränkt und mißhandelt man uns am meisten. Wir haben unser Glück nicht eher erkannt, als bis wir es verloren hatten, und die Sehnsucht nach Spanien ist bei fast allen den Unsrigen so groß, daß die meisten – und ihrer sind viele –, die die Sprache wie ich verstehen, hierher zurückkehren und ihre Frauen und Kinder schutzlos in der Ferne lassen. So mächtig ist die Liebe, die sie zu Spanien fühlen! Und jetzt erst erkenne ich und erfahre ich an mir die Wahrheit des Spruches: Süß ist die Liebe zum Vaterland.

Ich zog fort, wie gesagt, aus unsrem Dorfe, ging nach Frankreich, und wiewohl man uns dort gut aufnahm, wollte ich mich doch überall umsehen. Ich ging nach Italien, kam nach Deutschland, und dort, kam es mir vor, könne man mit größerer Freiheit weilen, weil die Bewohner des Landes es mit vielen Dingen nicht so genau nehmen; jeder lebt, wie es ihm behagt, denn in dem größten Teile des Landes herrscht Gewissensfreiheit. Nachdem ich zuerst in einem Dorfe nahe bei Augsburg feste Wohnung genommen, schloß ich mich diesen Pilgern an, von denen viele nach ihrer Gewohnheit jährlich nach Spanien ziehen, um die Heiligtümer des Landes zu besuchen, die sie als ihr Indien und als ihr sicherstes Erwerbsmittel und zweifellosen Geschäftsgewinn betrachten. Sie durchwandern fast das ganze Land, und es gibt kein Dorf, aus welchem sie nicht ›gegessen und getrunken‹, wie die Redensart lautet, und mindestens mit einem Real baren Geldes scheiden, und am Ende ihrer Reise ziehen sie mit mehr als hundert Talern Überschuß von dannen; dieses Geld wechseln sie in Gold um, schleppen es aus dem Königreich mit fort, entweder in ihren ausgehöhlten Stäben oder unter den Flicklappen ihrer Pilgermäntel, oder wie sonst ihre List es sie lehrt, und nehmen es in ihre Heimat mit, trotz den Wachen in den Grenzplätzen und Häfen, wo sie durchsucht werden.

Jetzt ist es meine Absicht, Sancho, den Schatz zu holen, den ich vergraben zurückließ; da er außerhalb des Dorfes liegt, kann ich es ohne Gefahr tun. Dann will ich von Valencia aus an meine Tochter und meine Frau, die, wie ich weiß, in Algier sind, schreiben oder zu ihnen hinreisen und ein Mittel aussinnen, wie ich sie nach einem französischen Hafen bringen und von dort nach Deutschland führen kann, wo wir abwarten wollen, was Gott über uns verhängen wird. Denn im Grunde, Sancho, weiß ich doch ganz sicher, daß die Ricota, meine Tochter, und Franziska Ricota, meine Frau, gut katholische Christinnen sind; und wenn ich es auch nicht so völlig bin wie sie, so bin ich doch mehr Christ als Maure und bitte beständig zu Gott, mir die Augen meines Verstandes zu öffnen und mir die Erkenntnis zu geben, wie ich ihm dienen soll. Was mich aber wundert: ich weiß gar nicht, warum meine Frau und meine Tochter lieber nach der Berberei gegangen sind als nach Frankreich, wo sie als Christinnen hätten leben können.«

Sancho entgegnete hierauf: »Bedenke, Ricote, das mochte wohl nicht von ihnen abhängen; denn wer sie mitgenommen hat, war Juan Tiopieyo, der Bruder deiner Frau, und da er wohl ein echter Moslem ist, so ist er dahin gegangen, wo es ihm am angenehmsten schien. Ich kann dir aber noch etwas andres sagen. Ich glaube nämlich, daß du vergeblich suchen willst, was du vergraben hast, denn wir haben erfahren, daß man deinem Schwager und deiner Frau viele Perlen und große Summen in Gold abgenommen hat, die sie heimlich hatten fortschleppen wollen.«

»Das kann wohl sein«, versetzte Ricote; »aber ich weiß, Sancho, sie haben an mein Vergrabenes nicht gerührt, denn ich habe ihnen nicht verraten, wo es sich befand, weil ich irgendeinen Unfall fürchtete. Wenn du also mit mir gehen und mir helfen willst, es auszugraben und es zu verbergen, so gebe ich dir zweihundert Goldtaler, womit du deiner Not abhelfen kannst; denn du weißt ja, ich weiß, daß die bei dir nicht gering ist.«

»Ich würde es schon tun«, erwiderte Sancho, »aber ich bin durchaus nicht habgierig; wäre ich es, so hätte ich nicht heute morgen ein Amt aufgegeben, wo ich die Wände meines Hauses vergolden und vor Ablauf von sechs Monaten von silbernen Tellern hätte essen können. Darum also, und auch weil es mir wie ein Verrat an meinem Könige vorkäme, wenn ich seinen Feinden hülfe, darum will ich nicht mit dir gehen, und wenn du mir auch statt der versprochenen zweihundert Goldtaler vierhundert bar in die Hände gäbst.«

»Und was für ein Amt hast du denn aufgegeben, Sancho?« fragte Ricote.

»Die Statthalterschaft über eine Insul«, antwortete Sancho, »und zwar über eine, daß man wahrlich in der Welt nicht so leicht eine andre finden könnte wie sie.«

»Und wo ist diese Insul?« fragte Ricote.

»Wo?« antwortete Sancho; »zwei Meilen von hier, und sie heist die Insul Baratária.«

»Schweig nur still, Sancho«, sagte Ricote. »Die Insuln liegen weit draußen mitten im Meer, es gibt keine Insuln auf dem festen Land.«

»Was heißt keine?« entgegnete Sancho; »ich sage dir, Freund Ricote, diesen Morgen bin ich aus ihr fort, und gestern hab ich in ihr als Statthalter regiert nach meinem Belieben wie ein Bogenschütz. Aber trotzdem habe ich sie aufgegeben, weil mir das Statthaltern gefährlich vorkam.«

»Und was hat dir die Statthalterschaft eingetragen?« fragte Ricote.

»Sie hat mir eingetragen«, antwortete Sancho, »daß ich zur Einsicht gekommen bin, daß ich zum Regieren nicht tauge, außer etwa über eine Schafherde, und daß die Reichtümer, die man bei solchen Statthaltereien erwirbt, einen die Ruhe und den Schlaf, ja sogar das tägliche Brot kosten, denn auf den Insuln dürfen die Statthalter nur wenig essen, besonders wenn sie einen Arzt haben, der auf ihre Gesundheit sieht.«

»Ich verstehe dich nicht, Sancho«, sagte Ricote; »aber mir scheint, du schwätzt lauter Unsinn. Wer hätte dir Insuln zu regieren geben sollen? Gibt es denn auf der Welt keine geschickteren Leute als dich, um einen Statthalter daraus zu machen? Schweig, Sancho, und komme wieder zu dir und überlege dir, ob du mit mir kommen willst, wie ich dir gesagt, um mir meinen versteckten Schatz heben zu helfen; wahrlich, er ist so groß, daß man ihn wirklich einen Schatz nennen kann, und ich will dir so viel geben, daß du davon leben kannst, wie gesagt.«

»Ich habe dir schon gesagt, Ricote«, versetzte Sancho, »ich will nicht; sei zufrieden, daß ich dich nicht verrate, und setze in Gottes Namen deinen Weg fort und laß mich den meinigen verfolgen; ich weiß, rechtmäßiger Erwerb kann verlorengehen, unrechtmäßiger aber geht verloren und der Besitzer mit.«

»Ich will nicht weiter in dich dringen, Sancho«, sagte Ricote; »aber sage mir, warst du in unsrem Dorf anwesend, als meine Frau, meine Tochter und mein Schwager wegzogen?«

»Freilich war ich anwesend«, antwortete Sancho, »und ich kann dir sagen, als deine Tochter von dannen ging, war sie so schön, daß alles im Dorfe aus den Häusern lief, um sie zu sehen, und jeder sagte, es sei das reizendste Geschöpf von der Welt. Sie ging unter Tränen, umarmte alle ihre Freundinnen und Bekannten und jeden, der da kam, sie zu sehen; und sie bat alle, sie Gott und Unsrer Lieben Frau, seiner Mutter, zu befehlen, und tat das mit so rührendem Ausdruck, daß sie sogar mich zum Weinen brachte, der ich doch sonst nicht so leicht weine. Und wahrhaftig, viele hatten Lust, sie zu verstecken, und wollten ihr nach, um sie unterwegs zu entführen; nur die Furcht, dem Befehl des Königs zuwiderzuhandeln, hielt sie zurück. Besonders Don Gaspár Gregorio zeigte sich höchst leidenschaftlich, jener junge und reiche Majoratsherr, den du kennst, der sie sehr liebhatte, wie die Leute sagen. Seit sie fort ist, hat er sich nimmer in unsrem Dorfe sehen lassen, und wir alle meinten, er sei ihr nach, um sie zu entführen; aber bis jetzt hat man nichts erfahren.«

»Ich hatte immer den Verdacht«, sagte Ricote, »dieser Edelmann sei in meine Tochter verliebt; aber ich vertraue auf die Bravheit meiner Ricota, und es machte mir niemals Kummer, daß er sie liebhatte. Du wirst ja schon gehört haben, Sancho, daß die Moriskinnen sich selten oder nie in Liebeshändel mit Altchristen einlassen, und meine Tochter, die, wie ich glaube, mehr ihr Christentum als die Liebe im Kopfe hatte, würde sich gewiß nie um die Werbungen dieses Majoratsherrn gekümmert haben.«

»Das gebe Gott«, versetzte Sancho, »denn sonst würde es für beide schlimm sein. Jetzt aber laß mich gehen, Freund Ricote; ich will noch heute abend zu meinem Herrn Don Quijote.«

»Gott sei mit dir, Freund Sancho«, sprach Ricote; »meine Kameraden rühren sich schon, und es ist wirklich Zeit, auch unsren Weg fortzusetzen.«

Nun umarmten sich die beiden, Sancho stieg auf seinen Grauen, Ricote nahm seinen Pilgerstab, und so schieden sie voneinander.

55. Kapitel


Von allerlei Dingen, die Sancho unterwegs begegneten, nebst etlichen andern solcher Art, daß man sich nichts Wundersameres erdenken kann

Der Umstand, daß Sancho sich so lange mit Ricote aufgehalten, gestattete ihm nicht, an diesem Tage das Schloß des Herzogs zu erreichen, wenn er auch so weit gelangte, daß er nur noch eine halbe Meile davon entfernt war; da aber überraschte ihn die Nacht, und es wurde rasch stockfinster. Da es indessen Sommer war, machte das ihm keinen großen Kummer, und so wendete er sich abseits vom Weg in der Absicht, den Morgen zu erwarten. Da fügte es sein unglückliches, mißgünstiges Geschick, daß er, während er gerade eine Stelle suchte, wo er es sich bequem machen könnte, mit seinem Esel in eine tiefe, ganz dunkle Grube fiel, die sich zwischen sehr alten Bauten befand. Im Hinunterfallen befahl er sich Gott von ganzem Herzen, da er dachte, er würde im Stürzen erst in der tiefsten Unterwelt haltmachen. Aber so war es doch nicht, denn in drei Mannslängen Tiefe kam der Esel auf den Grund, und Sancho saß noch auf ihm, ohne die geringste Verletzung oder Schädigung erlitten zu haben. Er befühlte sich am ganzen Körper und hielt den Atem an, um zu sehen, ob er unversehrt oder ob ihm irgendein Loch in den Körper geschlagen sei; da er sich aber heil und ganz fand und völlig gesund am Leibe, so konnte er gar nicht fertigwerden, Gott dem Herrn zu danken für die Gnade, die er ihm erwiesen, denn er hatte wirklich gemeint, er sei in tausend Stücke zerschlagen. Dann tastete er mit den Händen an den Wänden der Grube herum, um festzustellen, ob es möglich wäre, ohne fremde Hilfe herauszukommen; aber er fand sie überall glatt und ohne irgendeine Stelle, um sich daran festzuhalten, worüber er sehr betrübt war, besonders als er den Grauen jammervoll und schmerzlich klagen hörte; und das war kein Wunder, und er jammerte nicht aus Übermut, denn wirklich war er ziemlich übel zugerichtet.

»Ach!« rief jetzt Sancho Pansa aus, »wie ganz ungeahnte Ereignisse begegnen doch bei jedem Schritt denen, so auf dieser elenden Welt leben! Wer hätte gedacht, daß der Mann, der gestern als Statthalter einer Insul thronte und seinen Dienern und Untertanen gebot, sich heute in einer Grube begraben sehen würde, ohne einen Menschen zu haben, der ihm beistünde, oder einen Diener oder Untertan, der ihm zu Hilfe käme? Hier werden wir vor Hunger umkommen müssen, ich und mein Esel, wenn wir nicht vorher sterben, er, weil zermalmt und zerschlagen, und ich, weil voll Herzeleid. Jedenfalls werde ich nicht soviel Glück haben wie mein Herr Don Quijote von der Mancha, als er in die Höhle jenes verzauberten Montesinos hinabstieg und eindrang, wo er Leute fand, die ihn besser pflegten als in seinem Hause, so daß es gerade aussah, als wäre er an einen gedeckten Tisch und in ein gemachtes Bett gekommen. Dort sah er schöne und liebliche Erscheinungen, und ich, wie ich glaube, bekomme hier nur Kröten und Schlangen zu sehen. Ich Unglückseliger, welch ein Ende haben meine Narreteien und Hirngespinste gefunden! Aus dieser Stätte, wenn es dereinst dem Himmel beliebt, mich hier auffinden zu lassen, wird man meine Gebeine sauber, gebleicht und abgenagt heraufholen und mit ihnen die meines Esels, und daran werden wir vielleicht erkannt werden, zum mindesten von denen, die gehört haben, daß Sancho Pansa sich nie von seinem Esel und sein Esel sich nie von Sancho Pansa getrennt hat. Nochmals sag ich: O wie elend sind wir, daß unser mißgünstiges Geschick uns nicht vergönnt hat, in unsrer Heimat und inmitten der Unsrigen zu sterben! Und wenn auch dort unser Unglück keine Abhilfe fände, so hätte es doch nicht an einem Freunde gefehlt, der teilnehmenden Schmerz empfunden und uns in der letzten Stunde unsres Bewußtseins die Augen zugedrückt hätte. O mein Kamerad und Freund, welch schlechten Lohn habe ich dir für deine treuen Dienste gezahlt! Vergib mir und bitte das Schicksal, so gut du eben kannst, uns aus den jämmerlichen Drangsalen zu erlösen, darin wir uns beide befinden, und ich verspreche, dir eine Lorbeerkrone aufs Haupt zu setzen, daß du geradeso aussehen sollst wie ein gekrönter Poet, und dir doppeltes Futter zu reichen.«

So wehklagte Sancho, und sein Esel hörte ihm zu, ohne ein Wort zu erwidern; so groß war die Trübsal und Bedrängnis, in der sich das arme Tier befand.

Endlich, nachdem er die ganze Nacht unter erbärmlichem Weheklagen und Jammern verbracht, kam der Tag, bei dessen Licht und Glanz Sancho erkannte, es sei das Unmöglichste unter allen Unmöglichkeiten, ohne Beihilfe aus diesem tiefen Loch herauszukommen. Jetzt begann er aufs neue zu jammern und laut zu schreien, um zu versuchen, ob ihn jemand höre; aber all sein Schreien war die Stimme des Predigers in der Wüste, denn es war in der ganzen Gegend niemand, der ihn hätte hören können, und nun hielt er sich wirklich für tot und begraben. Der Graue lag auf dem Rücken da, und Sancho brachte ihn endlich wieder auf die Beine; er konnte sich aber kaum aufrecht halten. Sancho nahm aus dem Zwerchsack, welcher das Schicksal des Sturzes mit ihm geteilt hatte, ein Stück Brot, gab es seinem Esel, dem es nicht schlecht schmeckte, und sprach zu ihm, als ob er es verstünde: »Jegliche Not erträgt sich mit Brot.«

Jetzt entdeckte er an einer Seite der Grube ein Loch, groß genug, daß ein Mann darin Raum fand, wenn er sich duckte und zusammenkauerte. Sancho Pansa machte sich sogleich an die Stelle, bückte sich und kroch hinein und sah, daß die Höhlung geräumig und weit war; und er konnte das sehen, weil durch die Decke derselben – wenn man es so nennen konnte – ein Sonnenstrahl hereinfiel, der alles deutlich zeigte. Er sah auch, daß sie sich nach einer andern geräumigen Höhlung hin ausdehnte und erweiterte, und als er dies bemerkte, kehrte er wieder zu seinem Esel zurück und begann mit einem Steine die Erde im Loch abzugraben, so daß er in kurzer Zeit Raum genug schaffte, daß sein Esel mit Leichtigkeit hineinkommen konnte, wie er es denn auch tat. Sancho nahm den Esel am Halfter und begann in dieser Höhle voranzuschreiten, um zu sehen, ob er an einer andern Stelle einen Ausweg fände; manchmal tappte er im Dunkeln, manchmal ohne Licht zu sehen, aber niemals ohne Furcht.

So wahr helfe mir Gott, der Allmächtige! sagte er zu sich selber, hier habe ich Pech ganz ungeheuer, und hier hätte mein Herr ein prächtig Abenteuer. Er wahrlich, er würde diesen Abgrund, dies Kerkerloch für einen blühenden Garten und für Galianas Palast halten und nicht zweifeln, daß er aus dieser Finsternis und Bedrängnis sich zu einem blumenreichen Gefilde hinausfinden würde; aber ich, der ohne Glück ist, dem guter Rat fehlt und rechter Mut abgeht, ich denke, bei jedem Schritt wird sich unter meinen Füßen ein neuer Abgrund, tiefer als der vorige, auftun und mich ganz hinunterschlingen. Sei willkommen, Unglück, wenn du allein kommst.

So und mit diesen Gedanken war er wenig über eine halbe Meile, wie ihm schien, fortgewandert, nach deren Zurücklegung er eine dämmernde Helle erblickte, die schon das Tageslicht zu sein schien und die durch irgendeine Öffnung hereinfiel, die ihm zeigte, daß dieser Weg, den er für den Pfad ins andre Leben hielt, doch irgendwo zutage ausgehen müsse.

Hier verläßt ihn Sidi Hamét Benengelí und kehrt in seiner Erzählung zu Don Quijote zurück, welcher freudig bewegt und selbstzufrieden den festgesetzten Tag des Kampfes erwartete, den er mit dem Räuber der Ehre der Tochter von Doña Rodríguez ausfechten sollte, da er gedachte, dieser Maid die Unbill und das Unrecht zurechtzubringen, das ihr angetan worden. Als er nun eines Morgens ausritt, um sich in dem zu üben und zu versuchen, was ihm in der Kampfesnot obliegen werde, die ihm bevorstand, und indem er Rosinante in kurzen Galopp setzte und ihn springen lassen wollte, setzte das Pferd seine Füße so dicht an den Rand einer Höhlung, daß es unfehlbar hineingestürzt wäre, wenn der Ritter es nicht mit aller Gewalt zurückgerissen hätte. Jedoch gelang es ihm, das Pferd zu parieren, es fiel nicht, und indem er dann sich etwas näherte, um die Höhlung zu betrachten, ohne abzusteigen, hörte er von innen lautes Schreien; er horchte aufmerksam, so daß er hören und verstehen konnte, wie jemand rief: »Hallo da oben! Ist denn kein Christenmensch da, der mich hört? Kein barmherziger Rittersmann, der Mitleid hat mit einem lebendig begrabenen Sünder, mit einem unglücklichen Statthalter, der ausgestatthaltert hat?«

Don Quijote kam es vor, als hörte er Sancho Pansas Stimme, und darüber in Staunen und Bestürzung, rief er: »Wer ist dort unten? Wer jammert so?«

»Wer kann hier unten sein, wer soll hier so jammern«, war die Antwort, »als Sancho Pansa, der auf unbekannten Wegen verirrte, von wegen seiner Sünden und seines Pechs Statthalter der Insul Baratária, gewesener Schildknappe des ruhmvollen Ritters Don Quijote von der Mancha?«

Als Don Quijote dies hörte, verdoppelte sich seine Verwunderung, und seine Bestürzung wuchs mehr und mehr, da es ihm in den Sinn kam, Sancho Pansa müsse tot sein und seine Seele erleide an diesem Orte die Qualen des Fegefeuers; und von diesem Wahn überwältigt, rief er: »Ich beschwöre dich bei allem, wobei ich als katholischer Christ dich beschwören kann, sage mir, wer du bist! Und wenn du eine Seele in Fegefeuers Qualen bist, sage mir, was für dich zu tun du von mir begehrest; denn dieweil es meines Berufes ist, den Bedrängten in dieser Welt beizustehen und zu helfen, so will ich auch den Hilfsbedürftigen aus der andern Welt beistehen und zu Hilfe eilen, die sich mit eigner Kraft nicht helfen können.«

»Hiernach«, kam die Antwort herauf, »müßt Ihr, der Ihr mit mir sprecht, mein Herr Don Quijote von der Mancha sein, und auch nach dem Ton der Stimme ist es sicherlich kein andrer.«

»Ich bin Don Quijote«, versetzte der Ritter, »ich bin’s, dessen Beruf es ist, männiglich in seinen Bedrängnissen hilfreich zu sein und Beistand zu leisten, so den Lebendigen wie den Toten. Darum sage mir, wer du bist, der du mich in Bestürzung versetzest; denn bist du mein Schildknappe Sancho Pansa und bist gestorben und es hat dich der Teufel nicht geholt und du weilest durch Gottes Barmherzigkeit im Fegefeuer, so hat unsre heilige Mutter, die römisch-katholische Kirche, Gnadenmittel genug, um dich aus deinen Qualen zu erlösen, und ich meinesteils will ihre Hilfe für dich in Anspruch nehmen, soweit meine Habe reicht. Darum künde mir alles und sage mir, wer du bist.«

»Ich schwör’s bei dem und jenem«, erscholl es von unten, »ich schwör’s bei der Geburt von … nun, von wem Euer Gnaden will, ich schwör es, Señor Don Quijote von der Mancha, daß ich Euer Schildknappe Sancho Pansa bin und daß ich all meiner Lebtage noch nicht gestorben bin; vielmehr habe ich meine Statthalterschaft aufgegeben wegen allerhand Sachen und Ursachen, deren Erzählung längere Zeit erfordern würde, und bin dann in diesen Abgrund gefallen, in dem ich liege und der Graue mit mir, der mich nicht Lügen strafen wird, denn zum weiteren Wahrzeichen steht er selber hier bei mir.«

Ja, noch mehr; es schien, als ob der Esel verstünde, was Sancho gesagt, denn augenblicklich begann er so kräftig zu iahen, daß die ganze Höhle widerhallte.

»Ein prächtiger Zeuge!« sprach Don Quijote; »das Iahen kenne ich, als ob ich ihn selbst erzeugt hätte, und ich höre auch deine Stimme, Sancho mein, warte eine kurze Weile, ich reite ins Schloß des Herzogs, das hier in der Nähe ist, und bringe Leute herbei, um dich aus dieser Grube zu ziehen, in die dich deine Sünden gestürzt haben müssen.«

»Reitet zu, gnädiger Herr«, sprach Sancho, »und kehrt um Gott des Einzigen willen bald zurück; ich kann’s nicht mehr aushalten, hier lebendig begraben zu sein, und ich sterbe schier vor Angst.«

Don Quijote verließ ihn und eilte nach dem Schlosse, um dem herzoglichen Paar den Unfall Sancho Pansas zu erzählen, worüber sie sich nicht wenig wunderten, wiewohl es ihnen sofort klar war, daß er in einen Ausläufer jener Höhle gefallen sein müsse, die vor undenklichen Zeiten dort gegraben worden; aber sie konnten sich nicht vorstellen, wie er seine Statthalterschaft verlassen habe, ohne daß sie Nachricht von seiner Ankunft erhielten. Endlich holte man, wie man im Scherze sagt, Stricke und Galgenstricke herbei, und mit vieler Hände Hilfe und mit schwerer Mühsal zog man den Esel und Sancho Pansa aus den Finsternissen dort unten ans Licht der Sonne herauf.

Ein Student sah das mit an und sagte: »Auf solche Weise sollten alle schlechten Statthalter aus ihren Statthaltereien heimkehren wie dieser Sünder aus den Tiefen des Abgrunds, halbtot vor Hunger, ganz blaß, und ohne einen blassen Pfennig in der Tasche, wie mir es vorkommt.«

Sancho hörte es und sprach: »Acht oder zehn Tage sind’s her, Freund Lästermaul, seit ich die Statthalterschaft über die mir verliehene Insul antrat, und während all dieser Tage habe ich mich keine Stunde auch nur an Brot satt gegessen. Während dieser Zeit haben Ärzte mich verfolgt und Feinde mir die Knochen zusammengetreten; ich habe keine Nebenverdienste erhascht und keine Gebühren in die Taschen gesteckt, zu alledem hatte ich keine Gelegenheit. Und da dies so ist, habe ich meiner Meinung nach keineswegs verdient, auf solche Weise vom Amte zu kommen. Aber der Mensch denkt, und Gott lenkt, und Gott weiß, was das Beste ist und was einem jeden gut ist; und in die Zeit muß man sich schicken; und keiner darf sagen: Von dem Wasser werd ich nimmer trinken, denn glaubst du, im Haus gab’s Speck die Mengen, gibt’s nicht mal Stangen, ihn dranzuhängen; und Gott versteht mich, und damit genug, und mehr sage ich nicht, wenn ich es auch könnte.«

»Ärgere dich nicht, Sancho«, erwiderte Don Quijote, »laß dich nicht kränken, was du auch hören magst, denn sonst würdest du nie fertig. Lebe du weiter mit deinem guten Gewissen und laß die Leute sagen, was sie sagen wollen, und wenn man den Leuten die Zunge anbinden will, ist’s gerade, als wollte man das freie Feld mit Türen zuschließen. Wenn der Statthalter in Reichtum aus seiner Statthalterschaft scheidet, so sagen sie ihm nach, er sei ein Dieb gewesen, und wenn er in Armut scheidet, er sei ein Tunichtgut und ein einfältiger Mensch gewesen.«

»Wahrlich«, entgegnete Sancho, »diesmal werden sie mich eher für einen Dummkopf als für einen Dieb halten müssen.«

Unter solcherlei Gesprächen gelangten sie, von Gassenjungen und viel andrem Volk umringt, zu dem Schlosse, wo der Herzog und die Herzogin bereits auf einer Galerie standen und Don Quijote und Sancho erwarteten; dieser aber wollte nicht eher hinaufgehen, um den Herzog zu begrüßen, ehe er den Grauen im Stall untergebracht hatte; denn er sagte, sein Tier habe eine gar schlechte Nacht in seiner Herberge verbracht. Dann erst ging er hinauf, sich den Herrschaften vorzustellen, kniete vor ihnen nieder und sagte: »Ich, meine Gnädigsten, bin hingegangen, weil es Eure Hoheit so gewollt, ohne daß ich es verdient hätte, Statthalter zu werden auf Eurer Insul Baratária; nackt und bloß zog ich ein, war nackt und bloß geboren, so hab ich nichts gewonnen, nichts verloren. Ob ich schlecht oder gut regiert habe, dafür hab ich Zeugen um mich gehabt, die mögen sagen, was ihnen gutdünkt. Ich habe Zweifelsfragen gelöst, Prozesse entschieden, und immer bin ich vor Hunger fast gestorben, denn so wollte es der Doktor Peter Stark, gebürtig aus Machdichfort, der insulanische und statthalterische Leibarzt. Der Feind hat uns bei Nacht überfallen, und nachdem er uns in große Bedrängnis gebracht, sagten die Leute von der Insul, sie hätten durch die Kraft meines Armes Befreiung und Sieg errungen; Gott schenke ihnen ebenso ein gesundes Leben, wie sie die Wahrheit sagen. Schließlich habe ich im Verlauf dieser Zeit die Lasten und Pflichten erwogen, die das Regieren mit sich bringt, und habe für mein Teil gefunden, daß meine Schultern sie nicht tragen können, daß es keine Bürden für meinen Rücken und keine Pfeile für meinen Köcher sind; und darum, ehe die Statthalterschaft mich über Bord werfen sollte, hab ich die Statthalterschaft über Bord geworfen und habe gestern morgen die Insul verlassen, wie ich sie gefunden, mit den nämlichen Gassen, Häusern und Dächern, wie sie sie bei meiner Ankunft hatte. Ich habe von niemandem was geborgt und mich auf keine Erwerbsgeschäfte eingelassen. Zwar gedachte ich ein paar nützliche Verordnungen zu erlassen, habe aber keine erlassen, aus Besorgnis, sie würden nicht befolgt werden, wo es dann dasselbe wäre, sie zu erlassen oder sie nicht zu erlassen. Ich habe die Insul, wie gesagt, ohne eine andre Begleitung verlassen als die meines Grauen; ich fiel in einen tiefen Graben und tappte in ihm weiter, bis ich diesen Morgen mit dem Licht der Sonne den Ausgang sah, der aber nicht so leicht war; und hätte mir der Himmel nicht meinen Herrn Don Quijote gesendet, so wäre ich bis zum Ende der Welt dort unten geblieben. Mithin, Herr Herzog und Frau Herzogin Gnaden, steht hier Dero Statthalter vor Euch, der schon in den wenigen zehn Tagen seiner Regierung die Erkenntnis sich erworben, daß es keinen Wert für ihn hat, Statthalter zu sein, ich sage nicht bloß über eine Insul, sondern über die ganze Welt. Und mit dieser Erklärung küsse ich Euer Gnaden die Füße und mach es wie die Knaben bei ihrem Spiel, wenn sie sagen: Spring du aus der Reih und laß mich hinein! Geradeso spring ich aus der Statthalterei heraus und trete wieder in den Dienst meines Herrn Don Quijote, wo ich zwar mein Brot mit Angst und Schrecken esse, aber mich doch wenigstens satt esse; und mir, wenn ich nur satt bin, mir ist’s einerlei, ob von Rüben oder von Rebhühnern.«

Hiermit beschloß Sancho seine langatmige Rede, wobei Don Quijote beständig in Angst war, er würde sie mit tausend Ungereimtheiten vollpfropfen; als er aber sah, daß er sie mit so wenigen zu Ende führte, dankte er dem Himmel in seinem Herzen. Der Herzog umarmte Sancho und sagte ihm, es tue ihm in der Seele weh, daß er die Statthalterschaft so rasch aufgegeben, aber er würde es schon so einrichten, daß ihm ein Amt von geringerer Beschwer und größerem Erträgnis zuteil werde. Auch die Herzogin umarmte ihn und befahl, ihn gut zu pflegen; denn man sah es ihm an, er hatte unter arger Mißhandlung und noch ärgerer Verpflegung zu leiden gehabt.

56. Kapitel


Von dem ungeheuerlichen und unerhörten Kampfe, den Don Quijote von der Mancha mit dem Lakaien Tosílos bestand, um einzustehen für die Ehre der Tochter von Doña Rodríguez, der Kammerfrau.

Der Herzog und die Herzogin bereuten keineswegs den Streich, den sie Sancho Pansa mit der ihm verliehenen Statthalterschaft gespielt hatten, zumal noch am nämlichen Tage ihr Haushofmeister ankam und ihnen so ziemlich alle Äußerungen und Handlungen Punkt für Punkt erzählte, die Sancho während jener Tage getan und vorgenommen hatte; und zuletzt hob er ganz besonders den Sturm auf die Insul hervor sowie Sanchos Angst und seinen Abschied vom Amte, was ihnen nicht wenig Vergnügen bereitete.

Hierauf, so erzählt die Geschichte, nahte der Tag des anberaumten Kampfes, und nachdem der Herzog nicht einmal, sondern sehr viele Male seinen Lakaien Tosílos unterwiesen hatte, wie er sich gegen Don Quijote benehmen müsse, um ihn zu besiegen, ohne ihn zu töten oder auch nur zu verwunden, befahl er, die eisernen Spitzen von den Lanzen abzunehmen, wobei er dem Ritter erklärte, die christliche Lehre, die er sich doch zur Richtschnur nehme, gestatte nicht, daß bei diesem Kampf das Leben so aufs Spiel gesetzt und gefährdet werde, und er möge damit zufrieden sein, daß er ihm auf seinem Gebiet freies Feld zum Gefecht gewähre, obwohl er damit gegen die Satzung des heiligen Tridentinischen Konzils handle, welches dergleichen Zweikämpfe verbiete; er möge also eine so bedrohliche Fehde nicht bis aufs Äußerste treiben.

Don Quijote entgegnete, Seine Exzellenz möge die Einzelheiten dieses Handels so bestimmen, wie es ihm genehm sei; er würde ihm in allem gehorsamen.

Als nun der furchtbare Tag erschienen und der Herzog auf dem Platze vor dem Schloß eine geräumige Bühne hatte aufschlagen lassen, wo die Kampfrichter und die beiden Klägerinnen, Mutter und Tochter, ihren Sitz nehmen sollten, da war aus allen benachbarten Dörfern und Weilern eine zahllose Menge Volks herbeigeströmt, um das neue Schauspiel dieses Kampfes mit anzuschauen, dessengleichen in jener Gegend die Lebenden und auch die Verstorbenen nie ersehen noch erhört hatten.

Der erste, welcher auf den Kampfplatz und in die Schranken trat, war der Turnierwart, der das Feld untersuchte und es ganz durchschritt, auf daß daselbst keinerlei Gefährde sei noch etwas Verstecktes, um darüber zu stolpern oder zu fallen. Sodann erschienen die zwei Frauen und nahmen ihre Sitze ein, in Schleier gehüllt bis über die Augen, ja bis zum Busen herab; sie verrieten nicht geringe Gemütsbewegung, da Don Quijote bereits in den Schranken hielt. Kurz darauf erschien unter dem Geleite zahlreicher Trompeter von der andern Seite des Schloßplatzes her auf einem gewaltigen Roß, das den ganzen Platz zerstampfte, der hochgewachsene Lakai Tosílos mit heruntergeschlagenem Visier, ganz umschanzt mit starken und glänzenden Waffen. Das Roß war dem Aussehen nach ein Friesländer, mit breiter Brust, ein Schwarzschimmel, und an jedem Vorder- und Hinterfuß hing ihm schier ein Viertelzentner wolliges Haar herab. Der streitbare Kämpe war, wie gesagt, vom Herzog genau unterrichtet, was er dem streitbaren Don Quijote von der Mancha gegenüber zu tun habe; er war also angewiesen, ihn unter keiner Bedingung zu töten, sondern er solle bestrebt sein, dem ersten Zusammenstoß auszuweichen, damit der Ritter der Gefahr des Todes entginge, die zweifellos war, wenn Tosílos ihn Speer gegen Speer anrennen würde. Er ritt über den Kampfplatz, und als er an die Stelle kam, wo die Frauen saßen, hielt er eine Zeitlang und betrachtete das Mädchen, das ihn zum Gatten begehrte. Der Turnierwart rief Don Quijote auf, der sich bereits auf der Bahn eingestellt hatte, und richtete gemeinsam mit Tosílos die Frage an die beiden Frauen, ob sie damit einverstanden seien, daß Don Quijote für ihr Recht eintrete. Sie bejahten dies; alles, was er in der Sache tun werde, erklärten sie für wohlgetan, unverbrüchlich und rechtsgültig.

Inzwischen hatten der Herzog und die Herzogin auf einer Galerie Platz genommen, die auf die Schranken hinausging, welche ringsum von zahllosem Volk umkränzt waren, das den furchtbaren Ausgang des nie geschauten Kampfes erwartete. Unter den beiden Kämpen war ausbedungen, wenn Don Quijote siege, so müsse sein Gegner sich mit der Tochter der Doña Rodríguez vermählen, und wenn er besiegt werde, so sei der Widersacher frei und ledig des Eheversprechens, dessentwegen man gegen ihn klagte, ohne irgendeine weitere Genugtuung zu geben. Der Turnierwart teilte Sonne und Wind zwischen ihnen und wies jedem von beiden den Platz an, wo er halten sollte. Die Trommeln wirbelten, Trompetenschall erfüllte die Luft, die Erde bebte unter den Füßen, die Herzen der zuschauenden Menge bangten vor gespannter Erwartung; die einen fürchteten, die andern hofften den guten oder schlimmen Ausgang dieses Handels.

Don Quijote befahl sich jetzt von ganzem Herzen Gott unserm Herrn und dem Fräulein Dulcinea von Toboso und wartete auf das Zeichen zum Angriff. Aber unser Lakai hatte ganz andre Gedanken, und was er dachte, werde ich sogleich erzählen.

Als er nämlich seine Gegnerin aufmerksam betrachtete, erschien sie ihm offenbar als das schönste Weib, das er in seinem Leben gesehen hatte, und der blinde Knabe, den man weit und breit Amor zu nennen pflegt, wollte die ihm hier gebotene Gelegenheit sich nicht entgehen lassen, über eine Lakaienseele zu triumphieren und sie in die Zahl seiner Trophäen aufzunehmen; er näherte sich ihm sachte, leise, ungesehen von allen, und jagte dem armen Lakaien in die linke Seite einen ellenlangen Pfeil, der ihm durch das Herz von einer Seite zur andern hindurchfuhr. Freilich konnte er dies ungefährdet tun, denn Amor ist unsichtbar und geht aus und ein, wo er will, ohne daß jemand Rechenschaft für seine Taten von ihm fordert.

So sage ich denn: als das Zeichen zum Angriff gegeben ward, saß unser Lakai ganz verzückt auf seinem Gaul und träumte von der Schönheit der Maid, die er bereits zur Herrin seines freien Willens gemacht, und daher achtete er nicht auf den Schall der Trompete, wie seinerseits Don Quijote es tat, welcher sie kaum gehört hatte, als er schon zum Angriff stürmte und in so raschem Lauf, als Rosinanten möglich war, auf seinen Feind lossprengte. Als sein wackerer Knappe Sancho ihn ansprengen sah, rief er überlaut: »Gott geleite dich, du Blume und Perle der fahrenden Ritter! Gott verleihe dir den Sieg, denn du hast das Recht auf deiner Seite.«

Wiewohl nun Tosílos Don Quijotes Angriff sah, rührte er sich doch keinen Schritt von seinem Platze, sondern rief dem Turnierwart mit lauter Stimme zu, und als dieser gekommen, um nach seinem Begehr zu fragen, sprach er zu ihm: »Señor, geschieht dieser Kampf nicht zu dem Zwecke, daß ich dieses Fräulein heirate oder nicht heirate?«

»So ist es«, wurde ihm zur Antwort.

»Nun denn«, sagte der Lakai, »ich bin ängstlich in meinem Gewissen und würde dasselbe sehr beschweren, wenn ich in diesem Kampfe weiter ginge; und somit erkläre ich mich für besiegt und bin bereit, dieses Fräulein auf der Stelle zu heiraten.«

Diese Worte des Tosílos setzten den Turnierwart in Erstaunen, und da er einer der Mitwisser des ganzen Anschlages war, wußte er gar nicht, was er ihm antworten sollte. Don Quijote blieb mitten in seinem Ansturm halten, da er sah, daß sein Feind ihm nicht entgegensprengte. Der Herzog wußte nicht, warum es mit dem Kampfe nicht vorwärts wollte, bis der Turnierwart kam und ihm mitteilte, was Tosílos gesagt, worüber er sehr in Verwunderung und Zorn geriet. Indem näherte sich Tosílos dem Sitze der Doña Rodríguez und sprach mit schallender Stimme: »Ich, Señora, will Eure Tochter heiraten und will nicht erst durch Kampf erlangen, was ich in Frieden und ohne Todesgefahr erlangen kann.«

Das hörte der streitbare Don Quijote und sprach: »Da dem nun also ist, so gehe ich meines Versprechens frei und ledig; verheiratet Euch in Gottes Namen, und da Gott unser Herr sie Euch gegeben, so mag Sankt Peter sie Euch gesegnen.«

Der Herzog war inzwischen auf den Schloßplatz heruntergekommen; er trat zu Tosílos und sagte zu ihm: »Ist es wahr, Ritter, daß Ihr Euch für besiegt erklärt und daß Ihr, von Eurem ängstlichen Gewissen getrieben, Euch mit diesem Fräulein vermählen wollt?«

»Ja, Señor«, antwortete Tosílos.

»Daran tut er sehr wohl«, fiel hier Sancho Pansa ein, »denn was du der Maus geben mußt, gib’s lieber der Katze, und die wird dir die Hausplage vom Halse schaffen.«

Tosílos mühte sich, den Helm abzuschnallen, und bat um eilige Hilfe, denn der Atem gehe ihm bald aus und sein Kopf könne nicht so lange in diesem engen Gehäuse eingesperrt bleiben. Man nahm ihm eilends den Helm ab, und unbedeckt und allen offenbar zeigte sich sein Lakaiengesicht. Bei diesem Anblick schrien Doña Rodríguez und ihre Tochter laut auf: »Betrug, Betrug! Man hat uns Tosílos, den Lakaien unsres gnädigen Herzogs, anstatt des wahren Bräutigams untergeschoben; von Gott und dem König heischen wir Recht gegen solche Bosheit, um nicht zu sagen Schurkerei!«

»Habt keine Sorge, meine edlen Frauen«, sprach Don Quijote; »dies ist weder Bosheit noch Schurkerei; und wenn es das wäre, so trägt nicht der Herzog die Schuld, sondern die bösartigen Zauberer, die mich verfolgen und die aus Neid darüber, daß ich die Gloria dieses Sieges erringen würde, das Angesicht Eures Bräutigams in das jenes Mannes verwandelt haben, den Ihr als den Lakaien des Herzogs bezeichnet. Nehmt meinen Rat an und der Bosheit meiner Feinde zum Trutz heiratet ihn, denn ohne allen Zweifel ist er der nämliche, den Ihr zum Gemahl zu erhalten begehret.«

Als der Herzog dies hörte, war er nahe daran, seinen ganzen Zorn in Lachen auszuschütten, und sprach: »So außerordentlich ist alles, was dem Señor Don Quijote begegnet, daß ich beinah glaube, dieser Lakai sei nicht mein Lakai. Wir wollen indessen eine List, einen Kunstgriff anwenden, nämlich die Heirat um vierzehn Tage verschieben, wenn es euch recht ist, und diesen Menschen, der uns in Ungewißheit hält, so lange eingesperrt halten, da er ja möglicherweise binnen dieser Zeit seine frühere Gestalt wiedererlangen kann; denn so lange kann doch der Groll nicht dauern, den die Zauberer gegen den Señor Don Quijote hegen, zumal ihnen gar nicht viel daran liegen kann, sich solcher Ränke und Verwandlungen zu bedienen.«

»O Señor«, sagte Sancho, »dieses Gezücht hat eben einmal zu Brauch und Gewohnheit, alles, was meinen Herrn angeht, zu verwandeln. Sie haben ihm einen Ritter, den er letzter Tage überwand, er hieß der Spiegelritter, in die Gestalt des Baccalaur Sansón Carrasco verwandelt, der aus unserm Dorfe und ein naher Freund von uns ist, und unser Fräulein Dulcinea von Toboso haben sie in eine Bäurin vom Ackerfeld verwandelt; und demnach meine ich, dieser Lakai wird all seiner Lebtage als Lakai leben und sterben.«

Hierauf sagte die Tochter der Doña Rodríguez: »Sei er, wer er wolle, der mich zur Ehe begehrt, ich bin ihm dankbar dafür, denn ich will lieber die rechtmäßige Frau eines Lakaien sein als die betrogene Geliebte eines Ritters, obschon der Mann, der mich betrogen hat, kein Ritter ist.«

Indessen kam all dies Gerede und Getue zu dem Schluß, daß Tosílos eingesponnen wurde, bis man sehen würde, was für ein Ende es mit seiner Verwandlung nehme. Alle riefen Don Quijote als Sieger aus, doch die meisten waren betrübt und mißmutig, daß die zwei so sehnlich erwarteten Kämpen sich nicht in Stücke gehauen hatten, geradeso wie die Gassenbuben ärgerlich werden, wenn der arme Sünder, der an den Galgen soll, nicht hinausgeführt wird, weil ihm die Gegenpartei oder die Justiz Gnade zuteil werden ließ. Die Menge zerstreute sich, der Herzog und Don Quijote kehrten ins Schloß zurück, Tosílos wurde eingesperrt, Doña Rodríguez und ihre Tochter waren seelenglücklich, daß der Fall mit einer Hochzeit ausgehen sollte, und Tosílos hoffte nichts andres.

57. Kapitel


Welches davon handelt, daß und wie Don Quijote von dem Herzog Abschied nahm, auch was ihm begegnete mit der klugen und leichtfertigen Altisidora, dem Fräulein der Herzogin

Lange schon dünkte es Don Quijote rätlich, aus so müßigem Leben endlich zu scheiden, wie er es auf diesem Schlosse führte; er war der Meinung, daß man seine Person allerorten schmerzlich vermisse, wenn er sich so abgeschlossen und müßig bei den zahllosen Festen und Ergötzlichkeiten zurückhalten lasse, mit welchen diese Herrschaften ihn als einen fahrenden Ritter beehrten; und er dachte sich, er würde dereinst dem Himmel strenge Rechenschaft ablegen müssen für dieses tatenlose zurückgezogene Leben. Somit erbat er sich eines Tages Urlaub von dem herzoglichen Paar, um von dannen zu ziehen. Sie gewährten ihm diesen unter Bezeigungen des größten Leidwesens, daß er sie verlasse. Die Herzogin übergab Sancho Pansa die Briefe seiner Frau, und Sancho weinte über sie und sagte: »Wer hätte denken sollen, daß so große Hoffnungen, wie sie die Nachricht von meiner Statthalterschaft im Busen meiner Frau Teresa Pansa erweckt hatte, damit enden würden, daß ich jetzt wieder zu den mühseligen Abenteuern meines Herrn Don Quijote von der Mancha zurückkehre? Bei alledem freut es mich zu sehen, daß meine Teresa sich so benommen hat, wie es einer Person wie ihr zukommt; ich meine, daß sie der Herzogin die Eicheln geschickt hat; hätte sie sie nicht geschickt, so hätte ich großen Verdruß gehabt und sie sich undankbar erwiesen. Was mich tröstet, ist, daß man dieses Geschenk nicht eine Bestechung nennen kann, denn ich war ja schon Statthalter, als sie die Eicheln schickte; auch ist es ganz natürlich, daß einer, dem man eine Wohltat erweist, sich dafür dankbar bezeigt, wenn auch nur mit Kleinigkeiten. Ich aber, ich bin nackt und bloß in die Statthalterschaft gekommen, und nackt und bloß scheide ich aus ihr, und so kann ich mit ruhigem Gewissen sagen, was nicht wenig heißen will: Nackt bin ich heut, nackt war ich geboren, hab nichts gewonnen und nichts verloren.«

So sprach Sancho zu sich selber am Tage der Abreise, und Don Quijote, nachdem er am Abend vorher von dem herzoglichen Paare Abschied genommen, erschien morgens früh in seiner Rüstung auf dem Schloßplatz. Aus den Galerien blickten ihm alle Leute des Schlosses nach, und auch der Herzog und die Herzogin erschienen, um ihn zu begrüßen. Sancho saß auf seinem Esel, mit seinem Zwerchsack, Felleisen und Reisevorrat, höchst vergnügt, weil der Haushofmeister des Herzogs, derselbe, der die Rolle der Trifaldi gespielt, ihm ein Beutelchen mit zweihundert Goldtalern zugesteckt hatte, um die Bedürfnisse der Reise zu bestreiten, wovon jedoch Don Quijote nichts wußte. Während nun, wie gesagt, alle auf ihn blickten, da plötzlich, unter den andern Frauen und Fräulein der Herzogin, die da zuschauten, erhob ihre Stimme die leichtfertige und kluge Altisidora und rief in klagendem Tone:

Hör und halt die Zügel an,
Ritter, der du arg mich kränkest;
Drücke nicht so fest die Weichen
Deines Gauls, den schlecht du lenkest!
’s ist ja keine Natter, die du
Fliehst, untreuster Mensch auf Erden;
Nein, ein Lämmchen ist’s, das lange
Zeit noch hat, ein Schaf zu werden.

Unhold, muß von dir verhöhnt die
Schönste Maid im Schmerz vergehen,
Die man in Dianas Wald je,
Je in Venus‘ Hain gesehen!

Du fliehender Äneas, du grausamer Birén!
Fahr hin mit Barrabas! Magst du zum Henker gehn!

Ha, du raubst – o ruchlos‘ Rauben! –
Mit den Krallen deiner Hände
Dieses Herz, das dir in Demut
Weihte seines Liebens Spende.
Hast geraubt mir drei Nachthäubchen
Und ein Strumpfband – eines Beines,
Das dem reinen Marmor gleich ist,
Glatt und glänzend –, weiß und schwarz.
Raubtest mir zweitausend Seufzer,
Die, wenn sie von Feuer wären
Und es gäb zweitausend Trojas,
Würden all‘ in Brand verzehren.

Du fliehender Äneas, du grausamer Birén!
Fahr hin mit Barrabas! Magst du zum Henker gehn!

Hart sei deines Knappen Sancho
Herz, sein Ohr taub deinem Flehen,
Daß aus der Verzaubrung nimmer
Er erlöse Dulcineen.
Deines Frevels Straf erleide
Sie umstrickt von Zaubermächten –
Wie bei mir zu Land oft büßen
Für die Sünder die Gerechten. –
Deiner Abenteuer schönstes
Soll mit Pech der Himmel tränken;
Zum Vergessen werde deine
Treu, zum schnöden Traum dein Denken.

Du fliehender Äneas, du grausamer Biren!
Fahr hin mit Barrabas! Magst du zum Henker gehn!

Falscher Mann: so nenne jeder
Von Guadalquivirs Stromrändern
Bis Sevilla dich, von London
Hin bis zu den Engelländern.
Spielst du Skat, Piquet und L’hombre,
Sollen dir den Rücken drehen
Die vier Kön’ge; bei dir seien
As und Sieben nie zu sehen.
Schneidst du dir die Hühneraugen,
Soll vom Schnitt ein Blutstrom gehen;
Wenn du einen Zahn dir ausziehst,
Bleibe stets die Wurzel stehen.

Du fliehender Äneas, du grausamer Biren!
Fahr hin mit Barrabas! Magst du zum Henker gehn!

Während die tiefbetrübte Altisidora solchergestalt jammerte, sah Don Quijote sie beständig an; dann, ohne ihr ein Wort zu erwidern, wendete er sich zu Sancho und sagte: »Bei der ewigen Seligkeit deiner Ahnen, Sancho mein, beschwöre ich dich, mir die Wahrheit zu bekennen. Sage mir, hast du vielleicht die drei Häubchen und die Strumpfbänder mitgenommen, von denen dieses verliebte Fräulein spricht?«

Sancho antwortete: »Die drei Häubchen habe ich allerdings mitgenommen; aber die Strumpfbänder? Nicht um die Welt!«

Die Herzogin war über Altisidoras Mutwillen höchlich verwundert, denn wenn sie sie auch für keck, lustig und übermütig hielt, so doch nicht bis zu dem Grade, daß sie sich solche Leichtfertigkeiten erlauben würde; und da sie von diesem Possenstreich nicht vorher unterrichtet worden, so wuchs ihr Erstaunen um so mehr. Der Herzog wollte den Scherz noch weiter treiben und sprach: »Es scheint mir nicht recht, Herr Ritter, daß Ihr, nach der freundlichen Aufnahme, die Ihr in meinem Schloß erhalten, Euch erkühnt, drei Häubchen mindestens und wohl noch ein mehreres, nämlich die Strumpfbänder meines Fräuleins, mitzunehmen. Das sind Zeichen eines bösen Gemüts, das sind Handlungen, die Eurem Rufe nicht entsprechen. Gebt ihr die Strumpfbänder zurück; wo nicht, fordre ich Euch zum Kampf auf Leben und Tod und fürchte keineswegs, daß schurkische Zauberer mein Gesicht verändern und umgestalten, wie sie es mit dem Gesicht meines Lakaien Tosílos getan, des Mannes, der mit Euch in den Kampf ging.«

»Das wolle Gott nicht«, entgegnete Don Quijote, »daß ich mein Schwert gegen Eure erlauchte Person ziehe, von welcher ich so viele Gnaden empfangen habe. Die Hauben werde ich zurückgeben, da Sancho sagt, er habe sie; die Strumpfbänder aber, das ist unmöglich, denn weder ich habe sie bekommen noch er; und wenn Euer Hoffräulein ihre geheimen Schubfächer nachsieht, so wird sie dieselben ganz gewiß finden. Ich, Herr Herzog, bin nie ein Dieb gewesen, gedenke auch meiner Lebtage keiner zu werden, wenn Gott seine Hand nicht von mir abzieht. Dieses Fräulein, wie sie selber sagt, spricht als Verliebte, woran ich keine Schuld habe, und daher habe ich auch keinen Grund, sie um Verzeihung zu bitten, weder sie noch Euer Exzellenz. Euch flehe ich aber an, eine bessere Meinung von mir zu haben und mir aufs neue Urlaub zu gewähren, daß ich meine Ritterfahrt antrete.«

»Gott beschere Euch eine so gute Fahrt, Señor Don Quijote«, sprach die Herzogin, »daß wir immer gute Nachricht von Euren Heldentaten bekommen, und geht mit Gott; denn je länger Ihr zögert, desto stärker facht Ihr das Feuer an in der Brust der Jungfrauen, die Euch anschauen. Mein Hoffräulein aber werde ich so bestrafen, daß sie sich künftiglich mit keinem Blick, viel weniger mit Worten ungebührlich aufführen soll.«

»Nur ein einziges Wort von mir und nicht mehr sollst du anhören, du streitbarer Don Quijote«, sagte jetzt Altisidora, »nämlich dies: Ich bitte dich um Verzeihung wegen des Strumpfbänderdiebstahls, denn bei Gott und meiner armen Seele, ich habe sie umgebunden, und ich war so zerstreut wie jener, der den Esel suchte und auf ihm ritt.«

»Hab ich’s nicht gesagt?« sprach Sancho; »ich bin der Rechte, um einen Diebstahl zu verhehlen! Hätte ich stehlen wollen, so hätte ich jeden Tag Gelegenheit dazu gehabt in meiner Statthalterschaft.«

Don Quijote neigte sein Haupt und verbeugte sich vor dem herzoglichen Paar und allen Umstehenden; dann wendete er Rosinante, Sancho folgte ihm auf seinem Grauen, und so schied er aus dem Schloß und schlug den Weg nach Zaragoza ein.

5. Kapitel


Von der verständigen und kurzweiligen Zwiesprach, die zwischen Sancho Pansa und seinem Weib Teresa Pansa geschehen, benebst andern Vorgängen, so eines seligen Gedächtnisses würdig sind

(Indem der Übersetzer dieser Geschichte an die Niederschrift dieses fünften Kapitels kommt, bemerkt er, er halte es für unecht, weil Sancho Pansa darin in einer ganz andern Art spricht, als man von seinem beschränkten Geist erwarten durfte, und so scharfsinnige Dinge sagt, daß man deren Kenntnis unmöglich bei Sancho annehmen könne. Indessen wollte er, um seiner Pflicht zu genügen, es doch nicht unübersetzt lassen und fährt daher folgendermaßen fort:)

Sancho kam so wohlgemut und vergnügt nach Hause, daß seiner Frau sein vergnügtes Wesen schon auf Büchsenschußweite auffiel und sie zu der Frage veranlaßte: »Was bringst du, lieber Sancho, daß du so vergnügt bist?«

Darauf antwortete er: »Liebes Weib, wenn Gott es so wollte, so würde ich mich freuen, nicht so heiter zu sein, wie mein Aussehen zeigt.«

»Mann, ich versteh dich nicht«, entgegnete Teresa, »und weiß nicht, was du damit meinst, daß du dich freuen würdest, wenn Gott es so wollte, nicht heiter zu sein; denn bin ich auch ein dummes Ding, so kenne ich doch keinen, der Vergnügen daran haben könnte, daß er keines hat.«

»Sieh, Teresa«, erklärte Sancho, »ich bin vergnügt, weil ich den Entschluß gefaßt habe, wieder in den Dienst meines alten Herrn Don Quijote zu treten, der zum drittenmal auf Abenteuer ausziehen will, und ich will abermals mit ihm hinaus, denn so erheischt es meine bedrängte Lage sowie die Hoffnung, die mich heiter stimmt, ob ich vielleicht noch einmal hundert Goldtaler wie die bereits ausgegebenen finden kann; obwohl es mich traurig macht, daß ich mich von dir und meinen Kindern trennen soll. Und wenn es Gott gefiele, mir mein Stückchen Brot zu geben, ohne daß ich nötig hätte, aus dem Hause zu gehen und mir die Füße naß zu machen und mich über Stock und Stein und auf Kreuzwegen herumzuschleppen – und das könnte ich von Gott sehr wohlfeil haben, weil er es nur zu wollen brauchte –, dann hätte doch natürlich meine Fröhlichkeit weit mehr Bestand und einen ganz andern Wert, denn jetzt ist sie vermischt mit der Betrübnis, dich verlassen zu müssen. Und darum hab ich mit Recht gesagt, ich würde mich freuen, wenn Gott wollte, daß ich nicht vergnügt wäre.«

»Nun sieh, Sancho«, versetzte Teresa, »seit du dich zum Glied eines fahrenden Ritters gemacht hast, sprichst du auf eine so verblümte Manier, daß dich keiner versteht.«

»Es ist schon genug, wenn mich Gott versteht, Weib«, entgegnete Sancho, »er ist’s, der alles versteht. Lassen wir’s dabei bleiben, und merk dir, daß du die nächsten drei Tage den Grauen wohl zu pflegen hast, so daß er imstande ist, aufs Waffenwerk zu ziehen. Verdopple ihm sein täglich Futter, schau nach dem Sattel und dem übrigen Geschirr, denn wir gehn nicht auf die Hochzeit, sondern auf die Reise durch die Welt, und haben vor, mit Riesen, mit Drachen und Ungetümen uns herumzuschlagen und Zischen und Brüllen, Heulen und Belfern zu hören; und doch wäre alles das nur Konfekt und Zuckerkandel, wenn wir nicht mit Yanguesen und verzauberten Mohren zu tun bekämen.«

»Ich glaube wohl, Mann«, versetzte Teresa, »daß die fahrenden Knappen ihr Brot nicht umsonst essen; und ich will daher unsern Herrgott beständig anflehen, daß er dich bald von solchem Übel erlöst.«

»Ich sage dir, Weib«, entgegnete Sancho, »wenn ich nicht dächte, in Kürze Statthalter einer Insul zu werden, so möchte ich lieber hier auf der Stelle mausetot hinfallen.«

»O nicht doch, lieber Mann«, versetzte Teresa, »Gott lasse der Henne ihr Leben, wenn sie auch den Pips hat. Bleib du nur hübsch am Leben, und alle Statthaltereien auf dem Erdboden mag der Teufel holen. Ohne Statthalterei bist du aus dem Mutterleib gekommen, ohne Statthalterei hast du bis jetzt gelebt, und ohne Statthalterei wirst du zu Grabe gehen oder getragen werden, wenn es Gott gefällt. Es gibt genug Leute in der Welt, die ohne Statthalterei leben, und sie sind geradeso am Leben und zählen unter den andern mit. Hunger ist der beste Koch; und da der dem Armen nie fehlt, so schmeckt ihm immer sein Essen. Aber schau nur, Sancho, wenn du im glücklichen Falle doch zu einer Statthalterschaft kommen solltest, so vergiß mich und deine Kinder nicht, bedenke, daß Klein-Sancho schon volle fünfzehn Jahre alt ist, und da gehört es sich, daß er in die Schule geht, wenn nämlich sein Oheim, der geistliche Herr, ihn für die Kirche bestimmen will. Denk ferner daran, daß deine Tochter Marisancha auch nicht dran sterben wird, wenn wir sie verheiraten; denn sie läßt schon durchblicken, daß sie sich ebensosehr einen Mann wünscht wie du eine Statthalterei, und zuletzt und am Ende gilt’s doch für ein Mädchen: Besser ein Ehemann mit Hunger und Not als ein Liebhaber mit Zuckerbrot.«

»Wahrlich«, entgegnete Sancho, »wenn mir Gott so was wie eine Statthalterei beschert, dann, liebes Weib, werde ich Marisancha so vornehm verheiraten, daß keiner an sie hinaufreicht, als wer sie mit gnädige Frau anredet.«

Don Quijote

»Nein, nicht so«, widersprach Teresa; »verheirate sie mit ihresgleichen, das ist das richtigste; denn wenn du sie aus ihren Holzschuhen nimmst und in Hackenschuhe steckst und aus ihrem grauen Barchentkittel in einen Puffrock mit einem Überkleid von Seide und aus einem Mariechen mit Du zu einer Doña Soundso und Euer Gnaden machst, so findet sich das Mädel nicht zurecht und wird bei jedem Schritt in tausend Fehler verfallen und den groben Faden ihres derben Stoffes jeden Augenblick merken lassen.«

»Schweig still, alberne Törin«, sprach Sancho; »es handelt sich nur darum, daß sie sich zwei, drei Jahre dran gewöhnt, und nachher wird ihr das herrschaftliche Wesen und das Vornehmtun sitzen wie angegossen; wenn aber auch nicht, was liegt daran? Wenn sie nur gnädige Frau wird, dann mag’s gehen, wie es will.«

»Nimm dein Maß nach deinem Stande, Sancho«, entgegnete Teresa, »und begehre nicht höher hinauf und denk an den Spruch: Kommt deines Nachbars Sohn, so schneuz ihm die Nase und nimm ihn ins Haus auf. Das wäre schon was Schönes, unsre Maria mit einem Lümmel von einem Grafen oder Ritter zu verheiraten, der, wenn’s ihm einfällt, ihr aufs ärgste mitspielt und sie eine Bäuerin nennt und sie ein Kind vom Ackerknecht und von der Flachszupferin schimpft. Nie, solang ich lebe, Mann! Jawohl, zu so was hab ich meine Tochter erzogen! Schaff du nur Geld ins Haus, Sancho, und für ihre Verheiratung laß mich sorgen. Da ist der Lope Tocho, der Sohn von Juan Tocho, ein stämmiger gesunder Bursch, und den kennen wir, und ich weiß, daß er ein Auge auf das Mädel hat, und bei dem, der unsersgleichen ist, wird sie es als Frau gut haben, und den haben wir immer unter Augen, und da können wir zusammenbleiben, Eltern und Kinder, Enkel und Schwiegersöhne und -töchter, und Gottes Friede und Segen wird mit uns sein. Nein, daß du mir sie jetzt nicht verheiratest dort am Hofe und im großen weiten Herrschaftshause, wo die Leute sie nicht verstehen und sie sich selber nicht mehr versteht.«

»Komm mal her, du dummes Tier, du Teufelsweib!« rief Sancho; »warum willst du, ohne das Wie und Warum zu wissen, mich jetzt daran hindern, meine Tochter mit jemandem zu verheiraten, der mir Enkel schenkt, die man Euer Gnaden heißt? Sieh, Teresa, von jeher hab ich von meinen Voreltern gehört: wer das Glück sich nicht zunutze macht, wenn es zu ihm kommt, der darf sich nicht beklagen, geht es an ihm vorüber. Und jetzt, wo es an unsre Tür pocht, sollen wir sie vor ihm verriegeln? Lassen wir uns von dem günstigen Wind vorantreiben, der uns jetzt in die Segel bläst.«

(Wegen dieser Ausdrucksweise sowie wegen der Äußerungen, die Sancho weiter unten noch vorbringt, sagt der Übersetzer dieser Geschichte, er halte das gegenwärtige Kapitel für untergeschoben.)

»Du begreifst also nicht, dummes Ding«, fuhr Sancho fort, »daß es gescheit ist, wenn ich mit meinem ganzen Leibe in eine einträgliche Statthalterei hineinschlüpfe, die uns aus dem Dreck zieht, und wenn ich Marisancha verheirate, mit wem ich will, und die Leute dich dann Doña Teresa nennen, und du sitzt in der Kirche auf einem Teppich von Wolle und Seide, auf Polstern und feinem Besatz, den adligen Weibern im Ort zum Ärger und Verdruß? O nein, bleib nur immer hübsch im nämlichen Stand und Wesen, ohne zu- oder abzunehmen, wie ein gesticktes Bild auf einem Meßgewand! Aber darüber wollen wir nicht weiter reden; Klein-Sancha soll eine Gräfin werden, und wenn du mir noch so viel vorplapperst.«

»Was du nur alles daherschwätzest, Mann«, entgegnete Teresa. »Gut, bei alledem fürchte ich, der Grafenstand meiner Tochter wird ihr Unglück werden. Tu, was dich gelüstet, mach sie zur Herzogin oder zur Prinzessin, aber ich muß dir sagen, es geschieht nie mit meinem Willen und nie mit meiner Einwilligung. Von jeher, lieber Freund, hab ich es mit der Gleichheit gehalten, und ich mag keine Großtuerei, wo nicht der geringste Grund dazu da ist. Den Namen Teresa hab ich bei der Taufe bekommen, einen reinen schlichten Namen, ohne Anhängsel, ohne Besatz oder Verzierung mit Don oder Doña. Cascajo hat mein Vater geheißen, und ich, weil ich deine Frau bin, werde Teresa Pansa geheißen, wiewohl ich von Rechts wegen Teresa Cascajo heißen sollte, aber: wohin Gesetzes Wille geht, dahin wird der König gedreht; und mit selbigem Namen bin ich zufrieden, ohne daß man mir ein Don obendrauf setzt, das mir eine so schwere Last wäre, daß ich’s nicht tragen könnte. Und ich will den Leuten keinen Anlaß zur übeln Nachrede geben, wenn sie mich einmal nach Grafenmode oder statthalterlich herausgeputzt sehen sollten; denn da werden sie gleich sagen: Seht mal, wie die Schweinetreiberin hochnäsig einhersteigt! Gestern konnte sie es nicht satt kriegen, ihren Faden Werg vom Rocken zu ziehen, und wenn sie zur Messe ging, hatte sie über den Kopf einen Zipfel vom Kittel geschlagen anstatt eines Schleiers; und heute zieht sie herum mit einem Puffrock mit Busenspangen und trägt die Nase hoch, als ob wir nicht wüßten, wer sie ist. Erhält mir nur Gott meine sieben oder fünf Sinne, oder soviel ich Sinne habe, so gedenk ich wahrlich nicht in eine solche Klemme zu geraten. Geh du nur und schaff dir eine Statthalterei oder Insulei, und tu groß nach Belieben; aber meine Tochter und ich, bei meiner Mutter Seel und Seligkeit, wir gehen keinen Schritt aus unsrem Dorfe heraus. Ein Weib, das mit Ehren will bestehn, bricht’s Bein, um nicht aus dem Haus zu gehn; und ein Mägdlein rein im Ehrenkranz geht lieber zur Arbeit als zum Tanz.

Zieh du nur mit deinem Don Quijote hinaus auf Abenteuer, und hungern wir abends, so ist’s nicht teuer, und Gott wird’s bessern, wenn wir redlichen Herzens sind. Und ich weiß wahrhaftig nicht, wer ihm den Don vorgesetzt hat, den doch seine Eltern und Großeltern nicht gehabt haben.«

»Jetzt muß ich aber sagen«, versetzte Sancho, »du hast den Teufel im Leib. Gott sei dir gnädig, Weib, wie vielerlei Dinge hast du durcheinandergeworfen, die nicht Hand noch Fuß haben! Was haben der Cascajo, die Busennadeln, die Sprichwörter und die Großtuerei mit dem zu tun, was ich sage? Komm mal her, du verrücktes Ding, du unverständig Weib – denn so darf ich dich wohl heißen, weil du meine Äußerungen nicht verstehst und vor deinem Glück fliehen willst –; wenn ich gesagt hätte, meine Tochter solle sich von einem Turm herabstürzen oder solle draußen in der Welt herumlaufen, wie die Infantin Doña Urraca tun wollte, dann hättest du recht, daß du meinem Willen entgegen bist. Wenn ich dir aber im Handumdrehen und so geschwind, wie du ein Auge auf- und zumachst, ihr ein Don und Euer Gnaden auf die Rippen werfe und nehme sie dir vom Strohsack fort und setze sie dir unter einen Thronhimmel und auf einen Herrenstuhl in der Kirche, auf einen Hochsitz, drauf liegen mehr Kissen mit Maroquin überzogen, als uns vordem Reiter aus Marokko überzogen: warum sollst du alsdann nicht einwilligen und wollen, was ich will?«

»Weißt du warum, Mann?« antwortete Teresa, »weil das Sprichwort sagt: Wer dir was schenkt, zeigt, daß dir was fehlt. Von dem Armen wendet jeder die Augen in aller Eile ab, auf dem Reichen läßt er sie lange haften; und wenn solch ein reicher Mann eine Zeitlang ein armer gewesen, da kommt die üble Nachrede und das Lästern, und was ärger, die Lästerer lassen nicht mehr vom Lästern ab, und deren gibt es auf allen Gassen haufenweise wie Bienenschwärme.«

»Gib acht, Teresa«, entgegnete Sancho, »und höre, was ich dir jetzt sage; vielleicht hast du’s all dein Lebtag nicht gehört, und jetzt rede ich nicht aus mir, denn alles, was ich dir zu sagen gedenke, sind Sprüche des Paters vom Predigerorden, der im verflossenen Jahr in unserm Dorf die Fastenpredigten hielt. Der hat gesagt, wenn ich mich recht entsinne, daß alle Dinge, die unser Auge in der Gegenwart erschaut, weit besser und mit gewaltigerer Kraft sich in unsrem Gedächtnis darstellen, haften und verbleiben als das Vergangene.«

(Was Sancho hier alles sagt, ist die zweite Stelle, um derentwillen der Übersetzer dieses Kapitel für untergeschoben hält, weil es über Sanchos Fassungskraft hinausgeht. Er fuhr folgendermaßen fort:)

»Davon kommt es her, daß, wenn wir jemanden stattlich angetan und mit reichen Kleidern geschmückt sehen, wir das Gefühl haben, als ob er uns mit Gewalt dazu treibe und nötige, ihm Ehrerbietung zu bezeigen, obwohl unser Gedächtnis uns im nämlichen Augenblick die niedrigen Umstände vorstellt, in denen wir selbige Person gesehen haben; denn da diese Schmach, ob sie nun von Armut oder von niederer Geburt herkommt, schon eine vergangene ist, so besteht sie nicht mehr, und es besteht nur, was wir als Gegenwärtiges sehen. Und wenn der Mann, den das günstige Geschick aus den rohen Anfängen seiner Niedrigkeit hervorzog bis zur Höhe seines Glücks – mit denselben Worten hat das der Pater gesagt –, wenn der Mann also sich wohlgesittet, freigebig und höflich gegen jedermann benimmt und sich in keine Nörgeleien mit denen einläßt, die von altem Adel sind, so kannst du sicher glauben, Teresa, es wird kein einziger daran denken, was er gewesen, sondern jeder ehrt in ihm, was er ist, ausgenommen die Neidhammel, vor denen keines Menschen glückliches Geschick sicher ist.«

»Ich versteh dich nicht, Mann«, sprach Teresa hierauf; »tu, was du willst, und zerbrich mir nicht meinen Kopf mit deinen langen Reden und deinem Bombast; und wenn du zu deinem Vorhaben verschlossen bist…«

»Entschlossen mußt du sagen, Weib«, fiel Sancho ein, »und nicht verschlossen.«

»Fang keine Händel mit mir an, Mann«, entgegnete Teresa; »ich rede, wie es Gott gefällt, und lasse mich in keine Weitläufigkeiten ein. Und ich sage, wenn du dabei bleibst und durchaus eine Statthalterei haben willst, so nimm deinen Sohn Sancho mit, auf daß du ihn gleich jetzt das Statthaltern lehrst; denn es ist wohlgetan, daß die Kinder ihres Vaters Geschäft erben und erlernen.«

»Wenn ich eine Statthalterei habe«, sprach Sancho, »so will ich gleich mit der Post nach ihm schicken und dir Geld schicken, daran wird mir’s nicht fehlen; denn es fehlt ja nie an Leuten, die den Statthaltern Geld borgen, wenn sie keins haben. Und zieh ihn so an, daß er nicht merken läßt, was er ist, und als das aussieht, was er werden soll.«

»Schick du nur das Geld«, versetzte Teresa, »ich will ihn schon anziehen wie ein Prinzchen.«

»Endlich sind wir also einig«, sprach Sancho, »daß unsre Tochter eine Gräfin werden soll.«

»Denselben Tag, wo ich sie als Gräfin erblicke«, entgegnete Teresa, »bin ich auch sicher, daß ich sie zu Grabe trage. Aber ich sag dir noch einmal, tu, was dir gut dünkt; denn diese Bürde ist den Weibern schon bei der Geburt auferlegt, daß sie ihren Männern gehorchen müssen, und wenn es auch Klotzköpfe sind.«

Und hiermit fing sie so ernstlich zu weinen an, als ob sie Klein-Sancha schon tot und begraben sähe. Sancho sprach ihr Trost zu mit dem Versprechen, wenn er sie auch zur Gräfin mache, so wolle er sie so spät wie möglich dazu machen. Damit endete ihr Gespräch, und Sancho kehrte zu Don Quijote zurück, um Anstalten zur Abreise zu treffen.

50. Kapitel


Worin dargelegt wird, wer die Zauberer und Peiniger waren, so die Kammerfrau pantoffelierten und Don Quijote kneipten und kratzten, nebst den Erlebnissen des Edelknaben, der den Brief an Teresa Pansa, die Hausfrau Sancho Pansas, überbrachte

Es sagt Sidi Hamét, der überaus gründliche Erforscher jedes kleinsten Pünktchens in unserer Geschichte, daß damals, als Doña Rodríguez sich aus ihrem Gemach entfernte, um sich in Don Quijotes Zimmer zu begeben, eine andere Zofe, die mit ihr zusammen schlief, es gewahr wurde; und wie nun denn alle Zofen gar gern alles hören, sehen und riechen, so schlich sie ihr so leise nach, daß die biedere Doña Rodríguez es nicht merkte; sobald sie jene in Don Quijotes Zimmer eintreten sah, lief sie augenblicks, getreu dem allgemeinen Brauch der Zofen, die Klatschbasen zu spielen, zu ihrer gnädigen Frau, der Herzogin, um ihr zu hinterbringen, daß Doña Rodríguez sich im Gemach Don Quijotes befinde. Die Herzogin sagte es dem Herzog und bat ihn um die Erlaubnis, mit Altisidora hinzugehen, um festzustellen, was die Kammerfrau bei Don Quijote wolle. Der Herzog war einverstanden, und beide schlichen sich vorsichtig und leise bis vor die Türe des Gemaches und stellten sich so dicht daran, daß sie alles vernahmen, was drinnen gesprochen wurde.

Als nun die Herzogin hörte, wie die Rodríguez das reichquellende Aranjuez ihrer Fontänen an die große Glocke hing, konnte sie es nicht länger aushalten, und Altisidora ebensowenig; zornerfüllt und rachedürstend stießen sie die Tür auf, stürzten ins Zimmer, peinigten Don Quijote und zerbleuten die Kammerfrau auf die bereits erzählte Weise; denn Beleidigungen, die geradewegs gegen die Schönheit und Eitelkeit der Weiber gerichtet sind, erwecken einen besonderen Ingrimm und entzünden Rachgier in ihnen. Die Herzogin berichtete sodann dem Herzog, was vorgefallen, worüber er großes Vergnügen empfand; und da sie Don Quijote noch immer weiter zum besten haben und sich die Zeit mit ihm vertreiben wollte, so sandte sie den Edelknaben, der die Rolle der Dulcinea bei dem wohlgeplanten Schauspiel von ihrer Entzauberung gespielt – welches Sancho Pansa über seinen Statthalterschaftssorgen gründlich vergessen hatte –, zu Teresa Pansa, seiner Frau, mit dem Brief ihres Mannes und mit einem andern von ihr selbst nebst einer wertvollen großen Korallenkette als Geschenk.

Die Geschichte berichtet nun, daß der Edelknabe ein sehr gescheiter, witziger Kopf war, und mit dem lebhaften Wunsche, seiner Herrschaft einen Dienst zu erweisen, ritt er gern und bereitwillig nach Sanchos Dorf. Vor dessen Eingang sah er eine Anzahl Weiber am Bache mit Waschen beschäftigt und fragte sie, ob vielleicht an diesem Ort eine Frau namens Teresa Pansa wohne, die Frau eines gewissen Sancho Pansa, welcher Schildknappe eines Ritters namens Don Quijote von der Mancha sei. Auf diese Frage sprang ein junges Mädchen auf, die ebenfalls beim Waschen war, und sagte: »Die Teresa Pansa ist meine Mutter, und der besagte Sancho Pansa ist mein Vater und der besagte Ritter unser Dienstherr.«

»So kommt denn, Jungfrau«, sprach der Edelknabe, »und laßt mich Eure Mutter sehen, denn ich bringe ihr einen Brief und ein Geschenk von Eurem besagten Vater.«

»Das tu ich mit großem Vergnügen, Herre mein«, erwiderte das Mädchen, das dem Aussehen nach etwa vierzehn Jahre alt sein mochte. Sie überließ ihre Wäsche einer Freundin, und ohne die Haare aufzubinden oder Schuhe anzuziehen – denn ihre Beine und Füße waren bloß, und ihre Haare hingen wirr um sie herum –, sprang sie vor dem Pferde des Edelknaben her und sagte: »Kommt, gnädiger Herr, gleich beim Eingang des Dorfes ist unser Haus, und meine Mutter ist daheim in großen Sorgen, weil sie seit langer Zeit nichts von meinem Herrn Vater gehört hat.«

»Nun, ich bringe ihr so gute Nachrichten«, sagte der Edelknabe, »daß sie Gott recht sehr dafür zu danken hat.«

Allgemach kam das Mädchen, springend, laufend, hüpfend, zum Dorfe, und noch ehe sie ins Haus trat, rief sie schon an der Türe mit lauter Stimme: »Kommt heraus, Mutter Teresa, kommt, kommt heraus! Hier kommt ein Herr, der bringt Briefe und noch anderes von meinem guten Vater.«

Auf diesen Ruf kam ihre Mutter Teresa heraus; sie spann Werg an einem Rocken und hatte einen dunkelgrauen Rock an, so kurz, als wäre er am Sitz der Scham abgeschnitten. Dazu trug sie ein Leibchen, ebenfalls dunkelgrau, mit einem oben ausgeschnittenen Hemd; sie war noch nicht sehr alt, obschon sie über vierzig Jahre aussah, aber stark, derb, nervig und untersetzt. Als sie ihre Tochter erblickte mit dem Edelknaben zu Pferd, fragte sie: »Was ist das, Kind? Wer ist der Herr da?«

»Das ist ein Diener seiner gnädigen Frau Doña Teresa Pansa«, antwortete der Edelknabe.

Und den Worten folgte die Tat; er sprang rasch vom Pferde, warf sich gar demütiglich vor der gnädigen Frau Teresa auf die Knie und sprach: »Reicht mir die Hände zum Kuß, Doña Teresa, meine gnädige Herrin, denn das seid Ihr als die rechtmäßige und ihm allein eigene Gattin des Señor Don Sancho Pansa, wirklichen Statthalters der Insul Baratária.«

»Ach, ach, Herre mein, steht doch auf von da, laßt das doch«, entgegnete Teresa; »ich bin nicht in Schlössern daheim, sondern eine arme Bäuerin, die Tochter eines Feldarbeiters und die Frau eines fahrenden Schildknappen und gewiß keines Statthalters.«

»Euer Gnaden«, antwortete der Edelknabe, »ist die würdigste Gemahlin eines über alle Würdigkeit würdigen Statthalters; und zum Erweis der Wahrheit meiner Worte wolle Euer Gnaden diesen Brief und dies Geschenk entgegennehmen.«

Und augenblicklich zog er eine Korallenschnur mit goldenen Schließen aus der Tasche, legte sie ihr um den Hals und sagte: »Dieser Brief ist vom Herrn Statthalter, und diese Korallen sind von meiner gnädigen Frau, der Herzogin, welche mich zu Euer Gnaden sendet.«

Teresa war starr vor Staunen und ihre Tochter nicht mehr noch minder. Das Mädchen sagte: »Ich will des Todes sein, wenn nicht unser Herr Don Quijote dahintersteckt; er hat ganz gewiß dem Vater die Statthalterschaft oder Grafschaft gegeben, die er ihm so oft versprochen hat.«

»So ist es allerdings«, versetzte der Edelknabe, »denn aus Rücksicht auf den Señor Don Quijote ist Señor Sancho nunmehr Statthalter der Insul Baratária geworden, wie aus diesem Brief erhellen wird.«

»Lest mir ihn vor, Herr Edelmann«, sagte Teresa, »denn ich kann zwar spinnen, aber kein Sterbenswörtchen lesen.«

»Auch ich nicht«, fügte Sanchica bei; »aber wartet hier auf mich, ich will jemand rufen, der ihn liest, entweder den Pfarrer selbst oder den Baccalaur Sansón Carrasco; die kommen gewiß sehr gern, weil sie Nachricht von meinem Vater hören wollen.«

»Es ist nicht nötig, jemand zu rufen«, erwiderte der Edelknabe; »ich kann zwar nicht spinnen, aber ich kann lesen, und ich will ihn euch gern vorlesen.«

Er las ihn nun von Anfang bis zu Ende; aber weil er schon früher mitgeteilt worden, so wird er hier nicht wiederholt. Sofort zog er dann den andern heraus, der von der Herzogin war und folgendermaßen lautete:

Don Quijote

Freundin Teresa,

die guten Eigenschaften, die Euer Mann Sancho in seinem trefflichen Charakter und in seiner geistigen Tüchtigkeit besitzt, haben mich bewogen und es mir zur Pflicht gemacht, meinen Gemahl, den Herzog, zu bitten, ihm über eine seiner vielen Insuln die Statthalterschaft zu verleihen. Es ward mir die Kunde, daß er in derselben regiert wie ein königlicher Aar, was mir viel Vergnügen macht und folglich auch dem Herzog, meinem Gemahl; und deshalb danke ich dem Himmel vielmals, daß ich mich nicht getäuscht habe, als ich ihn zu besagter Statthalterschaft erkor. Denn ich tue Frau Teresa kund, daß ein guter Statthalter gar schwer auf Erden zu finden ist, und Gott möge es mit mir so gut meinen, wie Sancho regiert!

Hier schicke ich Euch, liebe Freundin, eine Korallenschnur mit goldenen Schließen; ich wollte, es wären Perlen aus dem Morgenland; aber wer dir auch nur einen Knochen gibt, zeigt damit schon, daß er dich nicht Hungers sterben lassen will. Es wird schon die Zeit kommen, wo wir uns kennenlernen und miteinander umgehen werden, und Gott allein weiß, was dereinst alles geschehen wird. Empfehlt mich Eurer Tochter Sanchica und sagt ihr, ich würde sie vornehm verheiraten, wenn sie sich dessen am wenigsten versieht. Ich höre, in Eurem Dorf gibt es große süße Eicheln, schickt mir etwa zwei Dutzend davon; sie werden mir von besonderem Werte sein, da sie von Eurer Hand kommen. Schreibt mir auch recht ausführlich und gebt mir Nachricht von Eurer Gesundheit und Eurem Wohlbefinden; und wenn Ihr was nötig habt, so braucht es nicht mehr, als den Mund aufzutun, und Ihr bekommt, soviel hineingeht. Gott erhalte Euch mir noch lange. Gegeben an diesem Ort. Eure Euch herzlich liebende Freundin
die Herzogin

»Ach je!« sagte Teresa, als sie den Brief hörte, »was für eine gute, einfache, herablassende Herrschaft! So eine Herrschaft will ich mir bis ins Grab gefallen lassen, aber nicht die adligen Weiber, wie wir sie in unserm Dorfe haben, die da meinen, weil sie adlig sind, dürfe kein Lüftchen an sie rühren, und die so hochmütig zur Kirche gehen, als wären sie die Königin selber, daß es geradeso aussieht, als hielten sie es für eine Unehre, sich nach einer Bäuerin umzuschauen. Aber sieh mir einer da die gute Herrschaft an; wiewohl sie eine Herzogin ist, heißt sie mich ihre Freundin und behandelt mich, als wär ich ihresgleichen. Oh, ich wollte, ich sähe sie so hochstehend wie den höchsten Glockenturm in der ganzen Mancha! Was aber die Eicheln betrifft, Herre mein, so will ich Ihro Gnaden einen Scheffel voll schicken, die sollen so dick sein, daß die Leute herbeikommen, um sie anzustaunen.

Für jetzt aber, Sanchica, sorg dafür, daß der Herr sich gütlich tut; versorge sein Pferd, hole Eier aus dem Stall und schneide ein groß Stück Speck; er soll zu essen bekommen wie ein Prinz; die guten Nachrichten, die er uns gebracht hat, und sein freundliches Gesicht sind es wert. Währenddessen will ich ausgehen und unsren Nachbarinnen unser Glück erzählen, auch dem Pater Pfarrer und Meister Nikolas, dem Barbier, die mit deinem Vater von jeher so gut Freund gewesen sind.«

»Das will ich tun, Mutter«, erwiderte Sanchica; »aber bedenkt, daß Ihr mir die Hälfte von der Schnur da geben müßt, ich halte unsre gnädige Frau Herzogin nicht für so dumm, daß sie sie ganz für Euch allein schicken sollte.«

»Sie gehört dir ganz, Kind«, antwortete Teresa, »aber laß mich sie ein paar Tage um den Hals tragen, denn es kommt mir vor, als mache sie mir das Herz froh.«

»Ihr werdet Euch ebenfalls freuen«, sagte der Edelknabe, »wenn Ihr das Bündel seht, das sich in dem Mantelsack hier befindet; es ist ein Anzug vom feinsten Tuch, den der Herr Statthalter ein einziges Mal auf der Jagd trug, und alles das schickt er für Fräulein Sanchica.«

»Tausend Jahre soll er mir am Leben bleiben!« sprach Sanchica hierauf, »und der Überbringer nicht minder, ja meinetwegen zweitausend, wenn’s not täte!«

Jetzo eilte Teresa aus dem Hause, mit den Briefen und mit der Schnur um den Hals, und dabei trommelte sie auf den Briefen, als schlüge sie das Tamburin, und als sie zufällig dem Pfarrer und Sansón Carrasco begegnete, tanzte sie umher und sprach: »Wahrlich, jetzt gibt’s keine Armut mehr in der Verwandtschaft! Wir haben sie, unsere allerliebste Statthalterschaft! Nein, jetzt soll einmal die hochnäsigste Edelfrau kommen und sich mit mir messen, ich will ihr den Hochmut ausziehen.«

»Was ist das, Teresa Pansa?« fragte der Pfarrer, »was sind das für Narreteien? Was sind das für Papiere?«

»Das ist weiter keine Narretei, als daß dies hier Briefe von Herzoginnen und Statthaltern sind«, erklärte Teresa, »und was ich da um den Hals trage, sind echte Korallen; die Avemarias daran und die Paternosters daran sind von geschlagenem Gold, und ich bin eine Statthaltersfrau.«

»Bei Gott und seinen Heerscharen, wir verstehen Euch nicht«, sagte der Baccalaureus, »und wir wissen nicht, was Ihr damit sagen wollt.«

»Hier könnt ihr es sehen«, antwortete Teresa und reichte ihnen die Briefe hin. Der Pfarrer las sie so laut, daß Sansón Carrasco zuhören konnte, und Sansón und der Pfarrer sahen einander an, als ob sie nicht begriffen, was sie gelesen hatten, und der Baccalaureus fragte, wer die Briefe gebracht habe. Teresa antwortete, sie möchten mit ihr nach Hause kommen, da würden sie den Boten sehen, es sei ein junger Mann, ein wahrer Goldmensch, und er bringe ihr noch ein Geschenk, das mehr als ebensoviel wert sei.

Der Pfarrer nahm ihr die Korallen vom Hals, sah sie an und sah sie wieder an, und da er sich überzeugte, daß sie echt waren, wunderte er sich aufs neue und sprach: »Bei dem Priestergewand, das ich trage, ich weiß nicht, was ich sagen, noch was ich von diesen Briefen und diesen Korallen denken soll; einerseits seh ich und greife ich mit Händen, daß die Korallen hier echt sind, und andrerseits lese ich, daß eine Herzogin sich brieflich zwei Dutzend Eicheln ausbittet.«

»Das soll mir der Kuckuck zusammenreimen«, sprach jetzt Carrasco. »Nun gut, wir wollen gehen und uns den Überbringer dieses Papiers ansehen; er soll uns diese Rätsel aufklären.«

Sie taten also, und Teresa kehrte mit ihnen zurück. Sie fanden den Edelknaben damit beschäftigt, etwas Gerste für sein Pferd zu sieben, und Sanchica damit, eine geräucherte Speckseite zu zerlegen, um Eier darüberzuschlagen und dem Edelknaben zu essen zu rüsten, dessen Aussehen und feiner Anzug den beiden Besuchern wohl gefielen. Nachdem sie ihn und er sie höflich begrüßt, fragte ihn Sansón nach Don Quijote wie auch nach Sancho Pansa, denn wenn sie auch die Briefe Sanchos und der Frau Herzogin gelesen hätten, so seien sie doch noch im unklaren und könnten nicht begreifen, was es mit Sanchos Statthalterschaft auf sich habe, zumal über eine Insul, da doch alle oder die meisten im Mittelländischen Meer Seiner Majestät gehörten.

Der Edelknabe gab zur Antwort: »Daß Herr Sancho Pansa Statthalter ist, daran ist nicht zu zweifeln; ob es eine Insul ist oder nicht, über die er die Statthalterschaft führt, darauf lasse ich mich nicht ein; genug, es ist ein Ort von mehr als tausend Bürgern. Und was die Eicheln betrifft, sag ich Euch, daß meine gnädige Frau, die Herzogin, so einfach und herablassend ist, daß sie nicht nur eine Bäuerin um Eicheln bittet; sie hat schon wegen eines Kamms zu einer Nachbarin geschickt. Denn Euer Gnaden müssen wissen, daß die Edeldamen in Aragon, wenn auch so hohen Ranges, nicht so förmlich und hochnäsig sind wie die kastilischen Edelfrauen; sie gehen mit den Leuten viel einfacher und zutraulicher um.«

Während sie mitten in diesem Gespräche waren, kam Sanchica mit einer Schürze voll Eier hereingesprungen und fragte den Edelknaben: »Sagt mir, Señor, trägt mein Vater vielleicht feine Strumpfhosen, seit er Statthalter ist?«

»Darauf habe ich nicht achtgegeben«, antwortete der Edelknabe; »aber wahrscheinlich wird er wohl solche tragen.«

»O du lieber Gott!« versetzte Sanchica; »wie herrlich muß mein Vater in auswattierten Strumpfhosen aussehen! Ist das nicht hübsch, daß ich von Geburt an immer den Wunsch hatte, meinen Vater in Strumpfhosen zu sehen?«

»In dergleichen Kleidungsstücken wird Euer Gnaden ihn sehen, wenn Ihr’s erlebt«, entgegnete der Edelknabe. »Bei Gott, er wird womöglich mit einer Reisemaske gegen Wind und Wetter umhergehen, wenn seine Statthalterschaft nur noch zwei Monate dauert.«

Der Pfarrer und der Baccalaureus merkten wohl, daß der Edelknabe nur aus Spott und Schelmerei so sprach, aber die echten Korallen und der Jagdanzug, den Sancho schickte – Teresa hatte ihnen das Kleid bereits gezeigt –, schlugen alle ihre Überlegungen wieder aus dem Felde. Sie konnten indessen nicht umhin, über Sanchicas Wunsch laut zu lachen; und noch lauter, als Teresa sagte: »Herr Pfarrer, seht Euch doch im Dorf um, ob einer etwa nach Madrid oder nach Toledo reist, er soll mir einen runden Wulst für unter den Rock kaufen, einen echten und rechten nach der Mode, einen von den allerbesten, die zu finden sind; denn wahrlich, wahrlich, ich will in allem, wozu ich imstande bin, der Statthalterschaft meines Mannes Ehre machen; ja sogar, wenn ich bös werde, bin ich imstand und geh in die Residenz und schaffe mir Kutsche und Pferde an wie alle die Damen; wer einen Statthalter zum Mann hat, kann so was schon halten und behalten.«

»Ei, freilich, Mutter«, sagte Sanchica; »wollte Gott, es wäre lieber heut als morgen, und mögen die Leute auch immer sagen, wenn sie mich mit meiner Frau Mutter in der Kutsche sitzen sehen: ›Seht nur einmal die Dingsda, die Tochter von dem Knoblauchfresser, wie sitzt sie da und streckt sich da in der Kutsche, gerade als ob sie dem Papst seine Frau wäre!‹ Aber sie mögen nur immerzu im Dreck patschen, ich will in meiner Kutsche fahren und die Füße hoch über dem Boden haben. Hol der Kuckuck alle Lästermäuler, soviel es auf der Welt gibt! Sitz ich warm und wohlgeborgen, macht mir der Leute Spott keine Sorgen. Hab ich recht, Mutter mein?«

»Und ob du recht hast, Kind!« antwortete Teresa. »All diese Glücksumstände, und noch größere, hat mir mein lieber Sancho proffenzeit, und du wirst sehen, Kind, daß er nicht stehenbleibt, bis er mich zur Gräfin gemacht hat, denn um glücklich zu werden, ist der Anfang alles, und ich hab oft von deinem Vater das Sprichwort gehört, und geradeso wie er dein Vater ist, so ist er auch der Sprichwörter Vater: Schenkt dir einer die Kuh, lauf mit dem Strick herzu. Schenkt dir einer eine Statthalterschaft, so halt sie fest! Schenkt dir einer eine Grafschaft, so greife mit allen Fingern zu; und hält dir einer ein gutes Geschenk hin und lockt dich mit ›hierher, hierher!‹ so sacke es in deinen Ranzen ein. Nein, wahrhaftig, schlafe nur und rufe nicht ›Herein!‹ wenn Glück und Zufalls Gunst an deiner Haustür pochen!«

»Und was liegt mir denn daran«, fuhr Sanchica fort, »daß irgendein Beliebiger sagt, wenn er mich in Stolz und Pracht einhergehen sieht: Dem Hunde zog man an seinen Beinen Hosen an von blankem Leinen, und so weiter.«

Als der Pfarrer dies hörte, sagte er: »Ich kann nicht anders glauben, als daß die vom Geschlechte der Pansas sämtlich mit einem Sack voll Sprichwörter im Leibe auf die Welt gekommen sind; ich habe nie einen von ihnen gesehen, der nicht zu jeder Stunde und bei jeder Unterhaltung damit um sich wirft.«

»Das ist wahr«, versetzte der Edelknabe; »der Herr Statthalter Sancho gibt sie bei jeder Gelegenheit her, und wenn auch viele nicht zur Sache passen, so machen sie doch Vergnügen, und meine gnädige Frau, die Herzogin, und der Herzog haben ihre große Freude daran.«

»Wie? Ihr bleibt noch immer dabei, lieber Herr«, sprach der Baccalaureus, »daß die Geschichte mit Sanchos Statthalterschaft auf Wahrheit beruht und daß es eine Herzogin auf Erden gibt, die ihm Geschenke schickt und ihm schreibt? Denn wir, obschon wir die Geschenke mit Händen greifen und die Briefe gelesen haben, wir glauben es nicht und meinen, es ist eine von den Geschichten unsres Landsmannes Don Quijote, die alle seiner Meinung nach mit Zauberei zugehen; und daher möchte ich beinahe sagen, ich will Euch befühlen und betasten, um zu sehen, ob Ihr das Schattenbild von einem Abgesandten oder ein Mensch von Fleisch und Bein seid.«

»Meine Herren«, versetzte der Edelknabe, »aus eigener Kenntnis weiß ich nichts weiter, als daß ich ein wirklicher Abgesandter bin und der Herr Sancho Pansa in aller Wahrheit ein Statthalter ist und daß meine Herrschaft, der Herzog und die Herzogin, die besagte Statthalterschaft verleihen können und verliehen haben; auch daß ich vernommen habe, daß der mehrerwähnte Sancho Pansa sich in seinem Amte aufs allertüchtigste benimmt. Ob Zauberkunst dabei im Spiel ist oder nicht, darüber mögt ihr Herren unter euch streiten; ich meinesteils weiß nichts andres, bei dem einzigen Eid, den ich schwöre, nämlich beim Leben meiner Eltern, die beide noch am Leben sind und die ich herzlich liebe und verehre.«

»Das kann alles sein«, versetzte der Baccalaureus; »jedoch dubitat Augustinus.«

»Mag zweifeln, wer Lust hat«, entgegnete der Edelknabe; »die Wahrheit ist so, wie ich gesagt, und die wird immer über der Lüge oben bleiben wie Öl über dem Wasser. Andernfalls operibus credite, et non verbis. Möge einer von euch mit mir heimreisen, und ihr werdet mit euren Augen sehen, was ihr mit euren Ohren nicht glauben wollt.«

»Diese Reise ist meine Sache«, sprach Sanchica; »nehmt mich, Señor, auf die Kruppe Eures Gauls, ich möchte gar gern meinen Herrn Vater besuchen.«

»Töchter von Statthaltern dürfen nicht allein über Land reisen«, erwiderte der Edelknabe, »sondern nur in Begleitung von Kutschen und Sänften und zahlreicher Dienerschaft.«

»Bei Gott«, entgegnete Sanchica, »ich komme ebensogut auf einer Eselin fort wie in einer Kutsche; solch eine Ziererei wäre das Rechte für mich!«

»Schweig, Mädchen«, sprach Teresa, »du weißt nicht, was du redest; der Herr hat ganz recht, denn andre Zeit, andrer Sinn; war er Sancho, warst du Sancha, ist er Statthalter, bist du ein Fräulein; aber ich weiß nicht, wenn ich so rede, ob ich rede, was recht ist.«

»Frau Teresa spricht da noch weit richtiger, als sie glaubt«, sagte der Edelknabe. »Aber gebt mir was zu essen und fertigt mich baldigst ab, denn ich will noch diesen Nachmittag heimkehren.«

Hier sagte der Pfarrer: »Euer Gnaden wird wohl kommen und bei mir die Fastenspeise annehmen, denn Frau Teresa hat mehr guten Willen als Vorrat im Hause, um einen so trefflichen Gast zu bewirten.«

Der Edelknabe lehnte ab, aber zuletzt mußte er zu seinem eignen Besten nachgeben, und der Pfarrer nahm ihn sehr gern mit, um ihn bei dieser Gelegenheit mit Muße über Don Quijote und seine Taten auszufragen. Der Baccalaureus bot Teresa an, für sie die Briefe zur Antwort zu schreiben; aber sie wollte nicht; daß er sich in ihre Angelegenheiten mischen sollte, weil sie ihn für einen Spottvogel hielt; und daher gab sie einem Chorknaben, der schreiben konnte, eine Semmel und zwei Eier, um für sie zwei Briefe zu schreiben, einen an ihren Mann und einen an die Herzogin; er verfaßte sie ganz nach den Eingebungen ihres Hirns, und sie sind nicht die schlechtesten, die in dieser großen Geschichte vorkommen, wie man nachher sehen wird.

51. Kapitel


Vom Fortgang der Statthalterschaft Sancho Pansas, nebst andern Begebnissen, die ebenfalls so aussehen, als wären sie nicht übel

Es kam der Morgen nach jener Nacht, wo der Statthalter die Runde gemacht hatte. Der Truchseß hatte sie schlaflos zugebracht, denn seine Gedanken waren völlig mit dem Angesicht, der jugendlichen Frische und der Schönheit des verkleideten Mädchens beschäftigt. Der Haushofmeister hatte den noch übrigen Teil der Nacht dazu verwendet, seiner Herrschaft zu schreiben, was Sancho Pansa tue und rede, über seine Taten ebenso verwundert wie über seine Reden, denn in seinen Worten und Handlungen waren Züge von Verstand und Albernheit stets untereinandergemischt. Endlich stand der Herr Statthalter vom Bette auf, und auf Anordnung des Herrn Doktor Peter Stark ließ man ihn mit ein wenig Eingemachtem und vier Schluck frischen Wassers frühstücken, was alles Sancho gern mit einem Stück Brot und einer Weintraube vertauscht hätte. Aber da er sah, daß hier mehr Zwang als Willensfreiheit herrschte, ließ er es über sich ergehen, seinem Gemüte zum großen Schmerz und seinem Magen zum Verdruß, wiewohl Peter Stark ihm einreden wollte, daß wenige und leichte Gerichte den Geist kräftigen, und das sei gerade für Personen, die in bedeutenden Ämtern und Würden stehen, besonders wichtig, da sie in diesen nicht sowohl die Kräfte des Körpers als auch die des Geistes zu gebrauchen hätten. Bei solchen Spitzfindigkeiten hatte Sancho Hunger zu leiden, und so argen Hunger, daß er die Statthalterschaft, ja auch den, der sie ihm verliehen, in seinem Innern verwünschte. Aber mit seinem Hunger und mit seinem Eingemachten ging er dennoch dieses Tages hin und saß zu Gericht.

Das erste, was er zu hören bekam, war eine Frage, die ein Fremder in Anwesenheit des Haushofmeisters und der übrigen Mithelfer bei ihm vorbrachte und die folgendermaßen lautete: »Señor, ein wasserreicher Fluß trennte die zwei Hälften einer und derselben Herrschaft. Euer Gnaden wolle wohl aufmerken, denn der Fall ist von Wichtigkeit und einigermaßen schwierig. Ich sage also, über diesen Fluß führte eine Brücke, und am Ende dieser stand ein Galgen und eine Art Gerichtshaus, in dem für gewöhnlich vier Richter ihren Sitz hatten und Recht sprachen nach dem Gesetz, das der Herr des Flusses, der Brücke und der Herrschaft gegeben hatte. Dies Gesetz lautete: Wenn einer über diese Brücke vom einen Ufer zum andern hinübergeht, muß er erst eidlich erklären, wohin und zu welchem Zwecke er dahin geht, und wenn er die Wahrheit sagt, so sollen sie ihn hinüberlassen, und wenn er lügt, soll er dafür an dem Galgen, der allda vor aller Augen steht, ohne alle Gnade hängen und sterben. Nachdem nun dies Gesetz und dessen strenge Verfügungen bekanntgeworden, gingen viele hinüber, und man konnte sogleich an dem, was sie beeideten, ersehen, daß sie die Wahrheit sagten, und die Richter ließen sie unbehelligt hinübergehen.

Nun geschah es einmal, daß ein Mann bei der Eidesleistung erklärte, er gehe hinüber, um an dem Galgen dort zu sterben, und zu keinem andern Zweck. Die Richter stutzten bei diesem Eidschwur und sagten: ›Lassen wir diesen Mann frei hinüber, so hat er einen Meineid geschworen und muß gemäß dem Gesetze sterben; hängen wir ihn aber, so hat er geschworen, er gehe hinüber, um an diesem Galgen zu sterben, und da er also die Wahrheit gesagt hat, muß er nach dem nämlichen Gesetz frei ausgehen.‹ Nun verlangt man von Euer Gnaden zu wissen, Herr Statthalter, was sollen die Richter mit diesem Manne anfangen? Denn bis jetzt sind sie noch immer in Zweifeln befangen und unentschieden. Da sie aber von dem hohen und scharfen Verstande Euer Gnaden gehört, so haben sie mich hergesendet, um Euch in ihrem Namen zu bitten, Ihr möchtet Euer Gutachten in einem so verwickelten und zweifelhaften Falle erteilen.«

Sancho gab hierauf zur Antwort: »Wahrlich, Eure Herren Richter, die Euch an mich senden, hätten das wohl unterlassen dürfen, denn ich bin ein Mann, der eher schwer von Begriff als scharfsinnig ist. Aber wiederholt mir den Handel immerhin noch einmal, so daß ich’s verstehen kann; vielleicht ist es doch möglich, daß ich ins Schwarze schieße.«

Der Fragesteller setzte wiederum und zum drittenmal auseinander, was er zuvor gesagt hatte, und Sancho sprach: »Meines Erachtens läßt sich der ganze Handel im Handumdrehen ins klare bringen. Die Sache ist nämlich die: Der bewußte Mann hat geschworen, daß er hinübergeht, um am Galgen zu sterben. Und wenn er am Galgen stirbt, hat er die Wahrheit geschworen und ist kraft des Gesetzes berechtigt, frei zu bleiben und über die Brücke zu gehen. Und wenn er nicht gehängt wird, hat er falsch geschworen und verdient kraft desselben Gesetzes, gehängt zu werden?«

»Genauso ist es, wie der Herr Statthalter sagt«, bemerkte der Bote, »und was die Vollständigkeit und das Verständnis des Falles betrifft, so läßt sich nicht mehr verlangen und ist weiter kein Zweifel möglich.«

»Nun, so sag ich jetzt«, versetzte Sancho, »man soll diejenige Hälfte von dem Manne, die wahr geschworen hat, hinübergehen lassen und die Hälfte, die gelogen hat, an den Galgen hängen; und auf diese Weise wird das Gesetz buchstäblich erfüllt.«

»Herr Statthalter«, entgegnete der Fragesteller, »da muß aber der bewußte Mensch in zwei Hälften zerteilt werden, in eine lügnerische und eine wahrhaftige, und wenn man ihn zerteilt, muß er unbedingt sterben; und dann geht nichts von all dem in Erfüllung, was das Gesetz verlangt, und es ist doch durchaus unerläßlich, daß dasselbe erfüllt werde.«

»Kommt einmal her, wackerer Herr«, entgegnete Sancho. »Entweder bin ich ein Klotzkopf, oder für Euren Brückengänger ist ebensoviel Grund vorhanden zu sterben, als zu leben und über die Brücke zu gehen; denn wenn die Wahrheit ihn errettet, so verurteilt ihn die Lüge gleicherweise. Und daher müßt Ihr meiner Meinung nach den Herren, die Euch zu mir geschickt haben, sagen: Da in betreff der Gründe, ihn zu verurteilen oder ihn freizusprechen, das Zünglein der Waage mitten inne steht, sollen sie ihn frei hinüberlassen, sintemal Gutes tun mehr als Böses gepriesen wird; und das würde ich ihnen schriftlich mit meines Namens Unterschrift geben, wenn ich schreiben könnte. Das ist aber nicht meine eigene Weisheit, sondern mir ist eine Lehre eingefallen, die hat mir unter vielen andern mein Herr Don Quijote gegeben am Abend, eh ich hierherkam, um Statthalter auf dieser Insul zu werden, und sie lautete: Wenn Recht und Richter in Zweifel sind, solle ich ein Stückchen nachgeben und mich zur Barmherzigkeit halten; und Gott hat es so gefügt, daß mir das jetzt eben eingefallen ist, weil es auf diesen Fall paßt, als wär es dafür gemacht.«

»Ganz richtig«, bemerkte der Haushofmeister, »und ich bin überzeugt, daß Lykurgus selbst, der Gesetzgeber der Lakedämonier, keine bessere Entscheidung hätte fällen können als die des großen Sancho Pansa. Hiermit aber mag die Sitzung des heutigen Morgens zu Ende sein, und ich will anordnen, daß der Herr Statthalter ein Mahl ganz nach seinem Belieben erhält.«

»Das will ich ja haben, und ehrlich Spiel!« sagte Sancho. »Gebt mir zu essen, und dann mögen Rechtsfälle auf mich niederregnen und dunkle Rechtsfragen kommen, ich will ihnen mit einem Griff den Docht schneuzen!«

Der Haushofmeister hielt Wort, da es sein Gewissen gedrückt hätte, einen so verständigen Statthalter verhungern zu lassen. Zudem hatte er vor, noch in dieser Nacht mit ihm ein Ende zu machen, indem er ihm einen letzten Possen spielen wollte, wozu er den förmlichen Auftrag erhalten hatte.

Nachdem nun Sancho diesen Tag gegen die Regeln und Lehrsprüche des Doktors Machdichfort gespeist hatte, trat während des Abdeckens ein Eilbote herein und brachte einen Brief Don Quijotes an den Statthalter. Sancho befahl dem Geheimschreiber, ihn für sich zu lesen, und wenn sich nichts darin fände, was geheimzuhalten wäre, so solle er ihn laut vorlesen. Der Geheimschreiber gehorchte, und nachdem er den Brief durchgesehen, sagte er: »Ganz gut kann der Brief laut vorgelesen werden, denn was Señor Don Quijote an Euer Gnaden schreibt, verdient mit goldenen Buchstaben gedruckt und geschrieben zu werden.«

Brief Don Quijotes von der Mancha an Sancho Pansa, Statthalter der Insul Baratária

Während ich erwartete, von deinen Unbesonnenheiten und Mißgriffen Nachricht zu erhalten, Freund Sancho, erhielt ich solche von deinem verständigen Benehmen, wofür ich dem Himmel ganz besondern Dank sage, der die Armen aus dem Mist emporhebt und Dummköpfe zu verständigen Leuten schafft. Ich höre, daß du regierst, wie wenn du ein Mensch wärest, und daß du ein Mensch bist, wie wenn du ein niederes Tier wärst, so groß ist die Demut, mit der du dich benimmst; du sollst dir aber merken, Sancho, daß es in vielen Fällen angemessen und für das amtliche Ansehen unentbehrlich ist, der Demut des eignen Herzens entgegenzutreten, denn die äußere Erscheinung eines Mannes, der einem wichtigen Amte vorsteht, muß diesem entsprechen, nicht aber dem Maßstabe dessen, wozu sein demütiger Sinn ihn hinneigt. Kleide dich gut; ein Stück Holz, wenn schön angezogen, sieht nicht wie ein Stück Holz aus. Ich sage nicht, du sollst in Flitterschmuck und Staat einhergehen, sollst auch nicht Soldatentracht anlegen, da du doch ein Richter bist, sondern du sollst dich mit der Tracht schmücken, die dein Amt erheischt, und sie reinlich und gut halten.

Um die Zuneigung der Leute zu gewinnen, über die du Statthalter bist, hast du unter andrem zweierlei zu tun: erstens, gegen jedermann höflichen Anstand zu beobachten, was ich dir indessen schon einmal gesagt habe; und zweitens, für reichlichen Vorrat an Lebensmitteln zu sorgen, da nichts den Armen so reizt wie Hunger und Teuerung.

Gib nicht viele Gesetze, und wenn du ihrer gibst, so sorge dafür, daß es gute Gesetze sind, besonders aber, daß sie gehalten und befolgt werden; denn Gesetze, die nicht gehalten werden, sind geradeso, als wären sie nicht vorhanden; ja sogar erwecken sie die Meinung, daß der Fürst, der die Einsicht und Befugnis hatte, die Gesetze zu erlassen, nicht die Macht besaß, ihre Befolgung durchzusetzen. Gesetze aber, welche drohen und nicht zur Ausführung kommen, werden am Ende gleich dem Klotz, dem Froschkönig: anfangs setzte er die Frösche in Schrecken, und mit der Zeit verachteten sie ihn und sprangen auf ihm herum.

Sei ein Vater der Tugenden und den Lastern ein Stiefvater. Sei nicht immer streng und nicht immer mild und suche dir die Mitte zwischen diesen zwei Gegensätzen; darin beruhen Anfang und Ende der Weisheit. Besuche die Gefängnisse, die Fleischbänke und die Marktplätze, denn die Anwesenheit des Statthalters ist an solchen Orten von großer Wichtigkeit. Sprich den Gefangenen Trost zu, welche die baldige Entscheidung ihres Loses erhoffen. Sei ein Popanz den Fleischern, und diese werden alsdann richtiges Gewicht halten; und aus demselben Grunde sei der Schrecken der Marktweiber. Zeige dich nicht – wenn du es auch vielleicht wärest, was ich nicht glaube – als ein Habgieriger, als ein Weiber Jäger, als ein Vielfraß; denn sobald das Volk und seine Umgebung an dir einen bestimmten Hang ausfindig machen, werden sie von dieser Seite her ihre Geschütze gegen dich spielen lassen, bis sie dich in den Abgrund des Verderbens hinabgeschleudert haben.

Die Ratschläge und Belehrungen, die ich dir schriftlich gegeben, ehe du zu deiner Statthalterschaft aufbrachst, erwäge sie und erwäge sie wieder, gehe sie durch und gehe sie immer wieder durch, und da wirst du sehen, wie du in ihnen, wenn du sie treulich beobachtest, ein Hilfsmittel finden wirst, das dir die Drangsale und Schwierigkeiten erleichtert, denen ein Statthalter bei jedem Schritt begegnet.

Schreibe deiner Herrschaft und zeige dich ihr dankbar; die Undankbarkeit ist die Tochter des Hochmuts und eine der größten Sünden, die wir kennen. Wer aber denen dankbar ist, die ihm Gutes getan, der zeigt damit, daß er auch Gott dankbar sein wird, der ihm soviel Gutes getan hat und fortwährend tut.

Die Frau Herzogin hat einen besonderen Boten mit deinem Anzug und noch einem Geschenk an deine Frau Teresa Pansa abgehen lassen; wir erwarten jeden Augenblick Antwort. Ich war etwas unwohl infolge einer gewissen Katzbalgerei, die sich mit mir, nicht sehr zum Besten meiner Nase, zugetragen hat; aber es war am Ende doch nichts, denn wenn es Zauberer gibt, die mich mißhandeln, gibt es ihrer auch solche, die mich beschützen. Benachrichtige mich, ob der Haushofmeister, der sich bei dir befindet, mit dem Tun und Lassen der Trifaldi etwas zu schaffen hatte, wie du geargwöhnt hast. Überhaupt wirst du mir stets von allem, was dir begegnet, Nachricht geben, sintemal der Weg so kurz ist; übrigens gedenke ich das müßige Leben, das ich führe, bald aufzugeben, da ich für ein solches nicht geboren bin.

Ich bin in eine Angelegenheit verwickelt worden, die mich, wie ich glaube, bei den Herrschaften hier in Ungnade bringen wird; aber wenn mir auch viel daran liegt, so liegt mir eigentlich gar nichts daran. Denn zuletzt und am Ende muß ich eher die Pflichten meines Berufs als ihr Belieben zur Richtschnur nehmen, gemäß dem oft gehörten Spruche: Amicus Plato, sed magis amica veritas. Ich sage dir diesen Spruch aus dem Lateinischen, weil ich mir denke, seit du Statthalter bist, wirst du es gelernt haben. Und nun Gott befohlen; er behüte dich davor, daß jemand jemals Mitleid mit dir haben müsse.

Dein Freund Don Quijote von der Mancha

Sancho hörte mit größter Aufmerksamkeit den Brief an, welcher von allen Hörern gepriesen und als hochverständig erachtet wurde. Sancho aber erhob sich sofort vom Tische, rief den Geheimschreiber und schloß sich mit ihm in sein Zimmer ein; er wollte nämlich auf der Stelle seinem Herrn Don Quijote antworten. Er befahl dem Geheimschreiber, alles, was er ihm vorsagen werde, genau niederzuschreiben, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzulassen; jener gehorchte, und das Antwortschreiben bekam folgenden Inhalt:

Brief Sancho Pansas an Don Quijote von der Mancha

Ich habe so viel mit meinen Geschäften zu tun, daß ich keine Zeit habe, mir den Kopf zu kratzen, ja nicht einmal, mir die Nägel zu schneiden, und daher habe ich sie so lang, daß Gott erbarm. Ich sage das, allerliebster Herre mein, damit Ihr nicht erschreckt, wenn ich bis jetzt noch keine Nachricht von meinem Wohl- oder Übelergehen in der Statthalterschaft dahier gegeben habe, in der ich mehr Hunger leide, als da wir beide durch Wälder und Wüsteneien zogen.

Der Herzog, mein Herr, hat mir neulich geschrieben und Nachricht gegeben, es seien gewisse Kundschafter in meine Insul gekommen, um mich umzubringen; bis jetzt aber hab ich noch keinen andern entdeckt als einen gewissen Doktor, der hier am Orte besoldet wird, um alle Statthalter, die herkommen, umzubringen; er heißt Doktor Peter Stark und ist gebürtig aus Machdichfort; aus diesem Namen möge Euer Gnaden ersehen, daß man wirklich Angst haben kann, durch diesen Mann vom Leben zum Tode gebracht zu werden. Dieser genannte Doktor sagt selbst von sich, daß er keine Krankheiten heilt, wenn sie da sind, sondern daß er ihnen zuvorkommt, damit sie nicht kommen, und die Heilmittel, die er anwendet, sind wenig essen und immer weniger essen, bis daß er den Leuten nichts weiter als die puren Knochen gelassen hat, als ob die Auszehrung nicht ein größer Übel wäre als das Fieber. Zuletzt wird er mich Hungers sterben lassen, und zuletzt werde ich vor Ärger des Todes sein; denn während ich dachte, ich käme an die Statthalterschaft hier, um warm zu essen und kühl zu trinken und meinen Leib auf Bettlaken von feinem Linnen und auf Federpfühlen zu pflegen, bin ich hierhergekommen, um mit Fasten Buße zu tun, gerade als wär ich ein Einsiedler, und da ich die Buße nicht aus eignem Willen tue, so meine ich, am Ende und zu guter Letzt holt mich noch der Teufel.

Bis jetzt hab ich weder etwas an Gebühren eingestrichen noch auf Nebenwegen erschlichen, und ich weiß nicht, woran das liegt, denn ich habe mir hier sagen lassen, daß die Statthalter, die auf diese Insul zu kommen pflegen, bevor sie selbige noch betreten, von den Leuten in der Stadt viel Geld geschenkt oder geliehen bekommen und daß dies gewöhnlicher Brauch ist bei allen andern, die zu Statthaltereien kommen, und nicht bloß bei dieser hier.

Vorige Nacht, als ich die Runde machte, traf ich ein sehr schönes Mädchen in Mannstracht und einen Bruder von ihr in Weiberkleidern; in das Mädchen hat sich mein Truchseß verliebt und sie in seinen Gedanken zu seiner Frau erkoren, wie er sagte, ich aber habe den jungen Burschen zu meinem Schwiegersohn erwählt. Noch heute wollen wir beide unsre Absichten bei dem Vater der zwei zur Sprache bringen; er ist ein gewisser Diego de la Llana, ein Junker und ein so alter Christ, wie man sich nur wünschen kann.

Ich besuche die Marktplätze, wie es Euer Gnaden mir anrät, und gestern habe ich ein Marktweib gefunden, das heurige Haselnüsse verkauft; ich habe aber herausgefunden, daß sie unter einen Scheffel heurige Haselnüsse einen Scheffel alte gemengt hat, die taub und schimmelig waren. Ich habe sie sämtlich den Schülern der Armenschule gegeben, die schon die guten von den schlechten sondern werden, und das Weib darf zur Strafe vierzehn Tage lang nicht auf den Markt. Mir ist gesagt worden, ich hätte da tapfer zugegriffen. Ich muß hierbei Euer Gnaden sagen, daß es in dieser Stadt allgemein heißt, es gebe kein schlimmeres Volk als die Marktweiber; denn sie sind alle unverschämt, gewissenlos und frech; und ich glaube es wohl nach dem, was ich an andern Orten gesehen habe.

Daß die gnädige Frau Herzogin meiner Frau Teresa Pansa geschrieben hat und hat ihr das Geschenk geschickt, wovon Euer Gnaden spricht, das ist mir sehr angenehm, und ich will mich bestreben, mich ihr seinerzeit dankbar zu erweisen. Küßt ihr von meinetwegen die Hände und sagt ihr, ich sage, sie hat es nicht in einen Sack mit Löchern geworfen, und dies soll ihr durch die Tat bewiesen werden.

Ich möchte nicht, daß Ihr in verdrießliche Hängereien mit meiner Herrschaft dorten kämt; denn wenn Ihr mit ihr böse werdet, so muß es offenbar mir zum Schaden ausschlagen. Auch wäre es nicht recht, da mir die Lehre gegeben wird, ich solle dankbar sein, wenn Euer Gnaden es nicht wäre gegen Personen, die Euch so viele Gunst erwiesen haben, und Ihr seid in ihrem Schloß so köstlich und glänzend aufgenommen worden.

Die Geschichte mit der Katzbalgerei verstehe ich nicht, aber ich denke mir, es wird wieder eine von den schändlichen Untaten sein, wie sie die Zauberer gegen Euer Gnaden zu verüben pflegen; ich werde es erfahren, sobald wir uns wiedersehen.

Ich möchte Euch gern etwas schicken, aber ich weiß nicht, was ich schicken soll, wenn nicht etwa ein paar Röhrchen zu Klistierspritzen; die macht man auf dieser Insul sehr hübsch für an Schweinsblasen zu befestigen. Indessen wenn mein Amt mir eine Zeitlang bleibt, will ich suchen, was ich von Rechts wegen oder von Unrechts wegen bekomme, davon etwas zu schicken.

Falls mir meine Frau Teresa Pansa schreiben sollte, so wolle Euer Gnaden das Postgeld bezahlen und mir den Brief schicken; ich habe das allergrößte Verlangen, zu erfahren, wie es bei mir zu Hause steht, bei meiner Frau und bei meinen Kindern.

Und hiermit bitte ich Gott, Euer Gnaden von schlechtgesinnten Zauberern zu befreien und mich froh und friedlich dieser Statthalterschaft zu entledigen, woran ich zweifle, denn ich meine, ich werde aus ihr nur mit dem Leben scheiden, so behandelt mich der Doktor Peter Stark. –

Euer Gnaden Diener,
Sancho Pansa, Statthalter

Der Geheimschreiber versiegelte den Brief und fertigte sogleich den Boten ab.

Dann traten die Personen zusammen, die ihr Spiel mit Sancho Pansa trieben, und verabredeten unter sich, wie sie seiner Statthalterschaft ein Ende machen sollten. Den Nachmittag verbrachte Sancho mit dem Erlaß einiger Verordnungen in betreff der guten Verwaltung seiner vermeintlichen Insul. Er verordnete, es sollten Auf- und Wiederverkäufer von Lebensmitteln im Gemeinwesen nicht geduldet werden; Wein sollte man einführen dürfen, woher man wolle, doch unter der Bedingung, daß der Ort angegeben werden müsse, woher er sei, damit man seinen Preis nach seinem veranschlagten Wert, seiner Güte und seinem Ruf festsetzte, und wer ihn mit Wasser vermische oder ihn unter anderem Namen ausbiete, solle das mit dem Leben büßen. Er setzte den Preis aller Fußbekleidung herab, besonders den der Schuhe, weil er ihm übermäßig hoch schien. Für die Dienstbotenlöhne stellte er einen Tarif auf, da diese sich jetzt auf den Wegen groben Eigennutzes zügellos ergingen. Er verhängte sehr strenge Strafen über diejenigen, die bei Tag oder bei Nacht schlüpfrige oder unziemliche Lieder sängen. Er verbot jedem Blinden, Lieder von Wundern zu singen, wenn er nicht ein glaubhaftes Zeugnis bei sich habe, daß das Wunder echt und wahr sei; denn es bedünkte ihn, daß die meisten Wunder von denen, welche Wunder singen, erfunden seien und den wahren Wundern Abbruch tun. Er schuf und besetzte die Stelle eines Armenvogts, nicht damit er die Armen verfolgen solle, sondern damit er untersuche, ob sie wirklich arm seien, denn unter dem Deckmantel erdichteter Verkrüppelung und vorgeblicher Wunden werden die Arme und Hände zu Dieben und die Gesundheit zur Trunksucht.

Kurz, er erließ so treffliche Verordnungen, daß sie bis zum heutigen Tage an jenem Orte beobachtet werden und den Namen tragen: Verordnungen des großen Statthalters Sancho Pansa.

52. Kapitel


Wo das Abenteuer mit der zweiten Kammerfrau Schmerzenreich oder Vielbedrängt berichtet wird, welche sonst auch den Namen Doña Rodríguez führt

Sidi Hamét erzählt: Sobald Don Quijote von seinen Schrammen im Gesicht wieder geheilt war, schien ihm das Leben, das er in diesem Schlosse führte, völlig unverträglich mit dem Ritterorden, zu dem er sich bekenne. Er beschloß daher, sich von dem herzoglichen Paar Urlaub zu erbitten, um nach der Stadt Zaragoza abzureisen, deren Festspiele schon herannahten, wo er den Harnisch zu erringen dachte, der bei diesen Festlichkeiten dem Sieger zuteil wird. Als er nun eines Tages mit Herzog und Herzogin zu Tisch saß und gerade im Begriff war, sein Vorhaben ins Werk zu setzen und den Urlaub zu erbitten, siehe, da traten unversehens zur Tür des großen Saals zwei Frauen herein, von Kopf zu Füßen in Trauer gehüllt; eine derselben näherte sich dem Ritter, warf sich, so lang sie war, auf den Boden vor ihm und preßte den Mund auf Don Quijotes Füße und stieß so klägliche, so tiefe, so schmerzliche Seufzer aus, daß alle, die sie hörten und anschauten, wie ganz verwirrt dastanden. Wiewohl der Herzog und die Herzogin dachten, es sei dies nur ein Possen, den ihre Diener dem Ritter spielen wollten, so blieben sie doch in Zweifel und Spannung, als sie sahen, mit welcher Leidenschaftlichkeit die Frau stöhnte und weinte, bis endlich Don Quijote voll Mitleids sie vom Boden emporhob und sie hieß, sich zu enthüllen und den Schleier von dem tränenreichen Antlitze abzunehmen. Sie tat es und ließ die Anwesenden sehen, was sie nimmer erwartet hätten, denn sie entschleierte das Gesicht der Doña Rodríguez, der Kammerfrau vom Hause; und die andre in Trauer war ihre Tochter, das von dem Sohne des reichen Bauern betrogene Mägdlein.

Alle, die sie kannten, verwunderten sich höchlich und der Herzog und die Herzogin mehr als alle; denn sie hielten sie zwar für dumm und albern, aber doch nicht so sehr, daß sie sich bis zu förmlichen Narrenstreichen versteigen sollte. Endlich sprach Doña Rodríguez, zu den Herrschaften gewendet: »Geruhen Eure Exzellenzen zu gestatten, daß ich mit dem Ritter hier mich ein weniges bespreche; denn also ist’s unerläßlich, um mich glücklich aus einer Verwicklung zu ziehen, in welche mich die Frechheit eines nichtswürdigen Buben gebracht hat.«

Der Herzog gewährte ihr die Erlaubnis, mit dem Señor Don Quijote zu besprechen, soviel sie nur Lust habe.

Sie richtete nun ihre Rede und ihre Blicke auf Don Quijote und sprach: »Etliche Tage ist es her, tapferer Ritter, seit ich Euch von dem Unrecht und Treubruch berichtet habe, so ein schlechter Bauer gegen mein sehr teures und hochgeliebtes Töchterlein verübt; es ist die Unglückselige, so hier gegenwärtig ist; Ihr nun habt mir verheißen, Euch ihrer anzunehmen und das Unrecht wieder zurechtzubringen, so man ihr angetan. Jetzt aber ist mir zu Ohren gekommen, daß Ihr dieses Schloß verlassen wollt, um auf glückliche Abenteuer auszugehen, welche Gott Euch bescheren wolle. So bitte ich Euch denn, ehe Ihr auf ferne Pfade hinauszieht, daß Ihr selbiges Ungetüm von einem Bauern zum Kampfe fordert und ihn dazu zwingt, daß er meine Tochter ehelicht und so das Eheversprechen einlöst, das er ihr gegeben hat, bevor und ehe er sich mit ihr erlustete. Denn zu glauben, der Herzog, mein Herr, werde mir zu meinem Recht verhelfen, hieße Birnen vom Ulmenbaum brechen wollen, eben aus dem Grunde und Anlaß, den ich Euer Gnaden in aller Heimlichkeit dargelegt. Und hiermit bitte ich zu Gott, daß er Euch Gesundheit zur Genüge verleihe, wir aber seines Schutzes nimmer verlustig gehen mögen.«

Auf diese Worte entgegnete Don Quijote mit würdigem Ernst und Selbstgefühl: »Treffliche Kammerdame, mindert Eure Tränen, oder besser gesagt, trocknet sie und spart Eure Seufzer; ich nehme es auf mich, Eurer Tochter zu helfen. Zwar wäre es besser für sie gewesen, wenn sie sich nicht so leicht und rasch dem Glauben an verliebter Jünglinge Versprechungen hingegeben hätte, denn diese werden schneller hingesagt als erfüllt. Sonach werde ich, mit Erlaubnis des Herzogs, meines Herrn, sofort auf die Suche nach diesem ruchlosen Jüngling ausziehen und werde ihn finden und werde ihn zum Kampfe fordern und werde ihn erschlagen, sofern und sobald er Winkelzüge macht und der Erfüllung seines gegebenen Wortes ausweichen will. Ist ja doch der fürnehmste Zweck meines Berufs, die Demütigen zu schonen und die Hochmütigen zu strafen; ich meine, den von Elend Bedrängten beizuspringen und die Bedränger zu vernichten.«

»Es ist nicht nötig«, entgegnete der Herzog, »daß Euer Gnaden sich die Mühe auferlege, den Bauern zu suchen, über den diese wackere Kammerfrau Klage führt; auch braucht Ihr von mir keine Erlaubnis, ihn herauszufordern, vielmehr sehe ich ihn als bereits gefordert an und mache mich dafür verbindlich, daß diese Forderung zu seiner Kenntnis kommt und er sie annimmt und, um sich zu verantworten, hierher zu diesem Schlosse kommt, allwo ich beiden freies und sicheres Feld zum Kampf gewähren werde, unter Beobachtung aller bei solchen Fällen üblichen Regeln, wobei ich auch jedem gleiches Recht wahren werde; wie das zu wahren all jene Fürsten verpflichtet sind, welche denen freies Kampffeld gewähren, die innerhalb der Grenzen ihres herrschaftlichen Gebietes sich schlagen.«

»Unter dieser Zusicherung also und mit freundwilligem Urlaub Eurer Hoheit«, versetzte Don Quijote, »erkläre ich, daß ich mich für diesmal meines Adelsstands entäußere, mich zum niedren Stand des Übeltäters herablasse und selbigem Stand mich anbequeme, mich zu seinesgleichen mache und ihn in den Stand setze, mit mir zu kämpfen. Und so, ob er auch abwesend, fordere ich ihn und heische ihn zur Verantwortung darum, daß er übel daran getan, diese arme Person, so eine Jungfrau war und jetzo durch sein Verschulden nicht mehr ist, zu betrügen, und daß er die Zusage, ihr rechtmäßiger Ehegemahl zu werden, halten oder durch meine Hand sterben muß.«

Und sogleich zog er einen Handschuh aus und warf ihn mitten in den Saal; der Herzog hob ihn auf und erklärte, wie schon gesagt, nehme er die besagte Forderung im Namen seines Untertans an; er bestimme den sechsten Tag nach dem heutigen für den Kampf und als Kampfplatz den großen Hof des Schlosses, als Waffen die gewöhnlichen der Ritter, Speer und Schild und Harnisch mit Panzerringen, nebst allen andern Bewaffnungsstücken, die sonder Trug noch Falsch, ohne Hinterlist oder Zaubermittel, von den Kampfrichtern untersucht und richtig befunden würden.

»Jedoch vor allen Dingen«, fuhr der Herzog fort, »müssen diese brave Kammerfrau und diese nicht brave Maid ihre Sache ganz in die Hände des Señor Don Quijote legen; andernfalls läßt sich nichts tun, noch kann diese Forderung zu gebührender Ausführung gelangen.«

»Gewiß lege ich es in seine Hände«, erwiderte die Kammerfrau.

»Ich auch«, fügte die Tochter hinzu, ganz in Tränen zerfließend, voller Beschämung und in gar übler Verfassung.

Nachdem nun diese Bestimmungen getroffen worden und der Herzog sich ausgedacht hatte, was zu tun sei, gingen die beiden im Trauergewand von dannen, und die Herzogin ordnete an, sie sollten fernerhin nicht als ihre Dienerinnen behandelt werden, sondern als abenteuernde Damen, die zu ihrem Schlosse gekommen seien, um ihr Recht zu suchen. Es wurde ihnen also ein besonderes Zimmer angewiesen, und sie wurden wie Fremde bedient, zu nicht geringem Erstaunen der übrigen Dienerinnen, die nicht wußten, was es mit der Einfältigkeit und Dreistigkeit der Doña Rodríguez und ihrer trotz dem fahrenden Ritter so übel fahrenden Tochter für ein Ende nehmen sollte.

Wie man so weit war, um das Fest in noch höherem Maße zu erheitern und dem Mahl ein fröhliches Ende zu bereiten, trat der Edelknabe zum Saal herein, der die Briefe und Geschenke an Teresa Pansa, die Frau des Statthalters Sancho Pansa, überbracht hatte. Über seine Ankunft waren Herzog und Herzogin hochvergnügt, da sie begierig waren zu erfahren, was ihm auf seiner Reise begegnet sei; aber als sie ihn danach fragten, antwortete er, er könne dies nicht so öffentlich und auch nicht mit wenigen Worten sagen; Ihre Exzellenzen möchten sich gedulden, bis er sie allein sprechen könne, einstweilen aber möchten sie sich mit diesen Briefen unterhalten. Darauf holte er zwei Briefe hervor und überreichte sie zu Händen der Herzogin. Der eine trug die Aufschrift: »Brief an meine gnädige Frau, die Herzogin N. N., wohnhaft wo weiß ich nicht«, und der andre: »An meinen Mann Sancho Pansa, Statthalter der Insul Baratária, welchem Gott mehr glückliche Jahre schenke als mir.«

Der Herzogin ließ es keine Ruhe, bis sie ihren Brief lesen konnte; sie öffnete ihn, und nachdem sie ihn für sich durchgegangen und gefunden, daß er sich zum Vorlesen vor dem Herzog und den Umstehenden eigne, trug sie ihn laut vor. Er lautete folgendermaßen:

Brief von Teresa Pansa an die Herzogin

Viel Vergnügen hat mir, o Herrin, der Brief gemacht, den Euer Hoheit mir geschrieben; ich hatte wirklich groß Verlangen danach. Die Korallenschnur ist sehr schön, und der Jagdanzug meines Mannes steht nicht hinter ihr zurück. Daß Euer Hoheit meinen Gatten Sancho zum Statthalter gemacht hat, darüber ist das ganze Dorf sehr vergnügt, wiewohl es kein Mensch glaubt, vor allem der Pfarrer und Meister Nikolas der Barbier und Sansón Carrasco der Baccalaur nicht; aber ich gebe keinen Deut darum; wenn es so ist – und es ist wirklich so –, da mag jeder sagen, was er Lust hat. Freilich, ohne die Korallen und den Anzug täte ich es auch nicht glauben, denn hier im Dorf hält jeder meinen Mann für einen einfältigen Tropf, und nachdem er eben erst eines Gutsherrn Statthalter über eine Herde Ziegen gewesen, können sie sich nicht denken, zu was für einer anderen Statthalterschaft er gut sein soll. Gott gebe ihm seinen Segen und leite seine Schritte so, wie er es für seine Kinder nötig hält.

Ich, liebe Frau Herzens-Herzogin, bin mit Verlaub von Euer Gnaden entschlossen, mir das gute Glück zunutze zu machen; ich will in die Residenz gehen und mich da in einer Kutsche ausstrecken, damit den tausend Neidhammeln, die ich schon habe, die Augen aus dem Kopf springen. Daher bitte ich Euer Exzellenz, meinem Mann zu befehlen, er soll mir ein wenig Geld schicken; es muß aber was Rechtes sein, denn in der Residenz sind die Ausgaben groß; das Brot kostet einen Real und Fleisch das Pfund dreißig Maravedis, daß es ein wahrer Jammer ist. Will er aber, daß ich nicht hingehe, so soll er mich beizeiten in Kenntnis setzen, denn es kribbelt mir schon in den Füßen vor lauter Lust, mich auf den Weg zu machen. Auch sagen mir meine Freundinnen und Nachbarinnen, wenn ich und meine Tochter in Pracht und Prunk in der Residenz herumsteigen, da muß am Ende mein Mann durch mich bekannt werden, mehr als ich durch ihn, dieweil notwendigerweise viele Leute fragen werden: Wer sind die Damen in dieser Kutsche? Und da wird einer von meiner Dienerschaft antworten: die Frau und die Tochter von Sancho Pansa, dem Statthalter der Insul Baratária. Und auf die Art wird Sancho bekannt, ich aber geehrt werden, und – was dein Herze gelüstet, geh nach Rom, da findest du’s.

Es tut mir leid, sosehr mir was leid tun kann, daß es dies Jahr in unserm Dorf keine Eicheln gegeben hat; trotzdem schicke ich Euer Hoheit fast ein halb Viertel, die bin ich selbst in den Wald gegangen aufzulesen und auszulesen, habe sie aber nicht größer gefunden. Ich wünschte gern, sie wären wie Straußeneier.

Euer Oberherrlichkeit wollen nicht vergessen, mir zu schreiben, ich will schon auf die Antwort bedacht sein und Euch über mein Wohlbefinden berichten und über alles, was aus unsrem Dorf zu berichten ist, allwo ich beständig zu Gott bitte, Euer Hoheit in Obhut zu nehmen und meiner nicht zu vergessen.

Es empfiehlt sich diejenige, die mehr Lust hat, Euer Herrlichkeit zu sehen, als brieflich zu begrüßen:
Eure Dienerin Teresa Pansa

Groß war das Vergnügen, das die Hörer alle über Teresa Pansas Brief empfanden, vor allen der Herzog und die Herzogin. Die letztere bat Don Quijote um seine Ansicht darüber, ob man wohl auch den für den Statthalter gekommenen Brief öffnen dürfe, der nach ihrer Meinung ganz vortrefflich sein müsse. Don Quijote erwiderte, er wolle ihn öffnen, um ihnen Vergnügen zu machen; er tat also und fand, daß der Brief folgendermaßen lautete:

Brief von Teresa Pansa an ihren Ehemann Sancho Pansa

Ich habe deinen Brief erhalten, herzlieber Sancho, und ich versichere und schwör dir’s als eine katholische Christin, daß nicht zwei Finger breit dran fehlten, so wär ich vor Vergnügen verrückt geworden. Siehst du, lieber Freund, als ich zu hören bekam, daß du Statthalter bist, meinte ich vor lauter Seligkeit tot hinzufallen; du weißt, was man sagt, plötzliche Freude bringt die Leute ebenso um wie großer Schmerz. Deine Tochter Sanchica ließ vor lauter Vergnügen das Wasser unter sich gehen, ohne es zu merken. Den Anzug, den du mir geschickt hast, hatte ich vor Augen, und die Korallen, die mir die gnädige Frau Herzogin schickte, hatte ich um den Hals und die Briefe in Händen, und den Überbringer derselben hatte ich da vor mir stehen, und bei alledem glaubte und dachte ich, es sei alles nur ein Traum, was ich sah und mit Händen griff; denn wer konnte denken, daß ein Ziegenhirt es so weit bringen sollte, ein Statthalter über Insuln zu werden? Du weißt ja, lieber Freund, meine Mutter hat gesagt: Wer lang lebt, erlebt viel. Ich sage das, weil ich noch mehr zu erleben gedenke, wenn ich noch mehr Jahre lebe, denn es läßt mir keine Ruhe, bis ich dich als Pächter oder Steuereinnehmer sehe. Das sind Stellen, wobei einen freilich der Teufel holt, wenn man sie zu schlechten Zwecken benutzt, wobei man aber zuletzt doch immer Geld hat und mit Geld umgeht.

Meine gnädige Frau Herzogin wird dir sagen, daß ich den Wunsch habe, nach der Residenz zu kommen; überlege dir das und sage mir, was du haben willst; ich will bestrebt sein, dir dort Ehre zu machen, weil ich in der Kutsche fahren will.

Der Pfarrer, der Barbier, der Baccalaur, ja auch der Küster können nicht glauben, daß du Statthalter bist, und sagen, alles sei Betrug oder Zauberergeschichten, wie es alle die Geschichten deines Dienstherrn Don Quijote sind; und Sansón sagt, er will hingehen und dich aufsuchen und dir die Statthalterschaft aus dem Kopf und dem Don Quijote die Narretei aus dem Hirn treiben. Ich aber tue weiter nichts als sie auslachen und meine Schnur ansehen und überlegen, wie ich aus deinem Anzug einen für unsre Tochter zurechtmachen kann.

Ich habe meiner gnädigen Frau Herzogin Eicheln geschickt, ich wollte, sie wären von Gold gewesen. Schicke du mir Perlenschnüre, wenn man sie auf deiner Insul trägt.

Das Neueste aus unserm Dorf ist, daß die Berrueca ihre Tochter mit einem Maler verheiratet hat, der nichts kann; der ist hierhergekommen, um zu malen, was eben vorkäme. Der Gemeinderat hat ihn beauftragt, das Wappen Seiner Majestät über die Tür des Rathauses zu malen; er verlangte zwei Taler, und man hat sie ihm im voraus gegeben; er hat acht Tage daran gearbeitet, und als sie herum waren, hatte er nichts gemalt und sagte, er könne es nicht über sich gewinnen, soviel geringfügigen Plunder zu malen; er hat das Geld zurückgegeben, und trotzdem, auf den Grund seiner Tüchtigkeit als Handwerksmann, hat er sich verheiratet. Freilich hat er den Pinsel beiseite gelegt und die Hacke zur Hand genommen und geht aufs Feld als ein recht braver Kerl. Der Sohn von Pedro de Lobo hat die niederen Weihen genommen und die Tonsur dazu, in der Absicht, geistlich zu werden; das hat Minguilla erfahren, die Enkelin von Mingo Silvato, und hat eine Klage gegen ihn angestellt, weil er ihr die Ehe versprochen hat. Böse Zungen wollen wissen, sie sei von ihm in andern Umständen, er aber leugnet es Stein und Bein. Heuer gibt es keine Oliven, auch findet sich kein Tropfen Essig im ganzen Dorf. Eine Kompanie Soldaten ist hier durchgekommen, sie haben auf ihrem Marsch drei Mädchen aus unserm Dorf mitgenommen. Ich will dir nicht sagen, wer sie sind; vielleicht, daß sie wiederkommen, und da wird’s auch nicht an Männern fehlen, die sie heiraten mit den guten oder bösen Flecken auf ihrem Ruf.

Sanchica klöppelt jetzt Spitzen von Leinenzwirn, verdient täglich ihre acht Maravedis über die Kosten und legt sie in eine Sparbüchse als Beisteuer für ihre Ausstattung; aber jetzt, wo sie eines Statthalters Tochter ist, wirst du ihr schon die Mitgift stellen, ohne daß sie dafür arbeitet.

Der Brunnen auf dem Markt ist versiegt. Der Blitz hat in den Galgen geschlagen, aber es liegt mir den Kuckuck dran.

Ich erwarte auf Gegenwärtiges Antwort und Bescheid über meine Reise nach der Residenz. Und hiermit bitte ich Gott, dir längeres Leben als mir zu gewähren oder ein ebenso langes, denn ich möchte dich nicht ohne mich in dieser Welt zurücklassen.
Deine Frau Teresa Pansa

Die Briefe wurden hoch gefeiert und belacht, gepriesen und bewundert, und um das letzte Siegel auf die Freude zu drücken, kam auch noch der Eilbote, der den Brief Sanchos an Don Quijote überbrachte. Dieser Brief wurde ebenfalls öffentlich verlesen und erweckte Zweifel an der Einfältigkeit des Statthalters.

Die Herzogin zog sich zurück, um von dem Edelknaben zu hören, was in Sanchos Dorf vorgegangen; er berichtete es ihr ganz ausführlich, ohne den geringsten Umstand unerwähnt zu lassen; er überreichte ihr die Eicheln und dazu einen Käse, den ihm Teresa mitgegeben, weil er noch besser sei als der Käse von Tronchon. Die Herzogin empfing alles mit dem größten Vergnügen, und dabei wollen wir sie lassen, um zu erzählen, welch ein Ende die Statthalterschaft des großen Sancho Pansa genommen, der die Blume und der Spiegel war aller insulanischen Statthalter.

53. Kapitel


Von dem trübseligen Ausgang und Ende, so Sancho Pansas Statthalterschaft genommen

Wer da glaubt, daß hienieden die Dinge dieser Welt immer in demselben Zustande bleiben werden, der lebt in einem großen Irrtum. Im Gegenteil scheint es, daß alles hienieden stets im Kreise geht, ich meine, sich rundum dreht. Dem Frühling folgt der Sommer, dem Sommer der Hochsommer, dem Hochsommer der Herbst, dem Herbst der Winter und dem Winter der Frühling, und so dreht sich die Zeit fort und fort in diesem ewigen Kreislauf. Nur das menschliche Leben eilt zu seinem Ende flüchtiger als die Zeit, ohne die Hoffnung, sich wieder zu erneuern, außer in jenem Leben, das keine Schranken kennt, die es begrenzen.

Also spricht Sidi Hamét, der mohammedanische Weise, denn die Erkenntnis von der Flüchtigkeit und dem Unbestande des irdischen Lebens und der Dauer des ewigen, das wir erhoffen, haben viele gehabt ohne die Leuchte des Glaubens und es lediglich am Lichte der Natur erkannt. Hier aber sagt es unser Autor nur aus Anlaß der kurzen Zeit, die Sanchos Statthalterschaft brauchte, um zu Ende zu gehen, zu zerfallen, sich aufzulösen und wie Schatten und Rauch zu entschwinden.

Sancho lag zu Bett, es war in den Tagen seiner Statthalterschaft die siebente Nacht; er war satt, nicht von Brot und Wein, sondern vom Gerichthalten und vom Erteilen von Gutachten und vom Erlassen neuer Gesetze und Verordnungen; und wie endlich der Schlaf, unerachtet und trotz des Hungers, ihm die Augen zu schließen begann, da hörte er großes Gelärm von Glocken und schreienden Stimmen, als wollte die ganze Insul in den Erdboden versinken. Er setzte sich im Bette aufrecht und horchte, um herauszufinden, was die Ursache eines so großen Aufruhrs sein könnte; aber nicht nur erriet er es nicht, sondern da dem Geschrei und Glockengeläute sich noch der Schall unzähliger Trompeten und Trommeln beigesellte, so wuchs seine Verwirrung noch mehr als seine Angst und sein Entsetzen; er sprang auf die Beine, zog sich wegen der Feuchtigkeit des Bodens Pantoffeln an, und ohne einen Schlafrock oder etwas dergleichen umzuwerfen, lief er zur Tür seines Zimmers; da sah er mit einem Male zwanzig und mehr Leute mit brennenden Fackeln in der Hand und bloßen Schwertern über die Gänge herlaufen, und die schrien überlaut: »Zu den Waffen, zu den Waffen, Herr Statthalter! Auf zu den Waffen! Feinde ohne Zahl sind in die Insul eingedrungen, und wir sind verloren, wenn Eure Vorkehrungen und Eure Tapferkeit uns nicht retten!«

Unter solchem Lärmen, Wüten und Toben drangen sie zur Tür, wo Sancho in Betäubung dastand und in Entsetzen über alles, was er sah und hörte; und als sie ihn erblickten, sprach einer zu ihm: »Euer Gnaden muß sich auf der Stelle waffnen, wenn Ihr nicht verloren sein wollt und nicht die ganze Insul verloren sein soll.«

»Wie, ich soll mich waffnen?« entgegnete Sancho; »aber was weiß ich von Waffen oder von Retten? Solche Sachen überläßt man am besten meinem Herrn Don Quijote, der sie im Handumdrehen in Ordnung bringen wird; ich aber, ich Sünder vor Gott und den Menschen, ich verstehe gar nichts von dergleichen Fechtereien.«

»Oho, Herr Statthalter«, schrie ein andrer, »was soll diese Weichmütigkeit? Euer Gnaden wolle sich sofort waffnen; hier bringen wir Euch Waffen zu Schutz und Trutz, kommt heraus auf den Marktplatz dort, seid unser Führer und unser Hauptmann, denn das gehört sich für Euch als unsern Statthalter.«

»So waffnet mich denn in Gottes Namen«, versetzte Sancho.

Und sogleich brachten sie ihm zwei große Schilde herbei, mit denen sie sich zum voraus versehen hatten, und schnürten sie ihm über das Hemd, ohne ihn erst ein andres Kleidungsstück anziehen zu lassen, einen Schild vorn und einen hinten, zogen ihm die Arme durch ein paar runde Löcher, die sie bereits angebracht hatten, und banden ihn ringsum mit Stricken so fest, daß er eingemauert und in Bretter eingeklemmt dastand, steif und gerade in die Höhe wie eine Spindel, ohne die Knie biegen oder nur einen Schritt tun zu können. Sie gaben ihm einen Speer in die Hand, auf den er sich stützte, um sich nur auf den Füßen halten zu können. Als sie ihn nun so hergerichtet hatten, sagten sie ihm, er solle gehen und sie führen und alle zu Mut entflammen, und da er ihr leuchtendes Merkziel, ihre Laterne und ihr Morgenstern sei, so würden ihre Angelegenheiten gewiß zu gutem Ende kommen.

»Wie soll ich gehen, ich Unglückseliger«, erwiderte Sancho, »wo ich nicht mal die Kniescheiben bewegen kann? Denn daran hindern mich diese Bretter, die mir so dicht ans Fleisch geschnürt sind. Das einzige, was ihr tun könnt, ist: ihr nehmt mich auf die Arme und gebt mir meinen Platz, querliegend oder aufrecht stehend, an irgendeinem Torweg, und den will ich verteidigen, entweder mit diesem Speer oder mit meinem Leibe.«

»Geht doch, Herr Statthalter!« sagte ein dritter, »die Furcht hindert Euch mehr am Gehen als die Bretter; macht fort und rührt Euch, es ist spät, und die Zahl der Feinde wächst, das Geschrei wird stärker, und die Gefahr drängt.«

Auf dies Zureden und diese Vorwürfe versuchte der arme Statthalter, sich zu bewegen, und stürzte alsbald mit einem so gewaltigen Schlag zu Boden, daß er glaubte, er habe sich alle Glieder entzweigebrochen. Er lag da wie eine Schildkröte, die von ihren Schalen umschlossen und überdeckt, oder wie ein Stück Speck, zwischen zwei Mulden eingeklemmt, oder wie ein Kahn, der umgeschlagen im Sande des Ufers liegt. Aber diese Sippschaft, die nur auf Schimpf und Spott ausging, hatte, als sie ihn hinstürzen sah, darum noch kein Erbarmen mit ihm; vielmehr löschten sie die Fackeln aus und erhoben aufs neue ein Geschrei, gewaltiger als zuvor, wiederholten den Ruf »Zu den Waffen!« in stürmischerer Hast, stampften über den armen Sancho weg und führten unzählige Schwerthiebe auf die Schilde, und wenn er nicht die Glieder eingezogen und den Kopf tief zwischen die Schilde gesteckt hätte, so wäre es dem armen Statthalter sehr übel ergangen, der in dieser Enge zusammengekauert schwitzte, ja in Schweiß zerfloß und sich von ganzem Herzen Gott dem Herrn befahl, daß er ihn aus dieser Gefahr erlöse. Etliche strauchelten über ihn, andre fielen auf ihn; ja einer stellte sich eine geraume Weile auf ihn und lenkte von da wie von einer Warte herab die Heere und rief mit lauter Stimme: »Hierher, wer zu den Unsern gehört! Von dieser Seite her drängen die Feinde am heftigsten heran! Die schwache Stelle dort wohl gehütet! Dieses Tor rasch verschlossen! Die Treppen dort verrammelt! Herbei mit Granaten, mit Pech und Harz in Kesseln siedenden Öles! Versperrt die Straßen mit Bettpfühlen!« Kurz, er nannte in wütender Hast allen Plunder und alle Gerätschaften und Werkzeuge des Kriegs, womit man den Sturm auf eine Stadt abzuwehren pflegt, und der arme zerquetschte Sancho, der alles anhörte und aushalten mußte, sagte zu sich selbst: O wollte doch mein Herrgott, diese Insul wäre endlich vollständig verloren und ich wär entweder tot oder aus dieser großen Not erlöst!

Der Himmel hörte sein Flehen, und als er es am wenigsten zu hoffen wagte, hörte er plötzlich ringsher rufen: »Sieg, Sieg! Die Feinde, geschlagen, ziehen ab! Auf, Herr Statthalter, Euer Gnaden wolle sich erheben und sich des Sieges freuen und die Beute verteilen, die durch die Heldenhaftigkeit dieses unbesiegbaren Armes den Feinden abgenommen worden.«

»Hebt mich auf«, sagte mit schmerzlich zitternder Stimme der schmerzensreiche Sancho.

Sie halfen ihm auf, und als er auf seinen Füßen stand, sagte er: »Der Feind, den ich besiegt haben soll, den soll man mir meinetwegen auf die Stirne nageln. Ich will nicht Beute von Feinden verteilen, sondern einen Freund, sofern ich einen habe, bitten und anflehen, mir einen Schluck Wein zu geben, denn ich verschmachte, und mir den Schweiß abzutrocknen, denn ich zerfließe zu Wasser.«

Sie trockneten ihn ab, brachten ihm den Wein, banden ihm die Schilde ab; er setzte sich auf sein Bett und wurde ohnmächtig von der Angst, dem Schrecken und der erlittenen Drangsal. Den Anstiftern der bösen Posse tat es schon leid, sie bis zu einem so bitteren Ernste getrieben zu haben; aber seine sofortige Rückkehr zur Besinnung mäßigte das unerquickliche Gefühl, das seine Ohnmacht bei ihnen hervorgerufen hatte. Er fragte, wieviel Uhr es sei; sie antworteten ihm, der Morgen breche schon an. Er schwieg, und ohne weiter ein Wort zu sagen, begann er sich anzukleiden, in tiefe Stille versenkt, und alle schauten ihm gespannt zu, voll Erwartung, was sein eilfertiges Ankleiden bedeuten möge.

Don Quijote

Endlich war er fertig, und Schritt für Schritt, denn er war ganz gerädert und vermochte nicht schnell zu gehn, begab er sich nach dem Stalle, und alle folgten ihm dahin. Er ging zu seinem Grauen, umarmte ihn, gab ihm einen Friedenskuß auf die Stirn und sprach zu ihm, nicht ohne Tränen in den Augen: »Komm du her, du mein Kamerad, mein Freund und Miterdulder meiner Drangsale und Leiden. Als ich mit dir eines Sinnes hinlebte und keine anderen Gedanken hatte, als daß ich dafür sorgen müßte, dein Geschirr zu flicken und dein Bäuchlein zu pflegen, da waren meine Stunden, meine Tage und meine Jahre glückselig; aber seit ich dich verlassen und auf die Turmhöhe des Ehrgeizes und Hochmutes gestiegen, seitdem sind mir tausend Quälereien, tausend Drangsale und zehntausend Kümmernisse in die Seele gedrungen.«

Während er diese Worte sprach, sattelte er zugleich seinen Esel, ohne daß jemand ein Wort sagte; und sobald der Sattel aufgelegt war, stieg er mit großen Schmerzen und Beschwerden auf seinen Grauen, wandte sich zu dem Haushofmeister, dem Geheimschreiber, zu dem Truchseß und zu Peter Stark, dem Doktor, und zu den andern, die in großer Zahl zugegen waren, und sprach: »Macht Platz, meine Herren, und laßt mich zu meiner alten Freiheit zurückkehren; laßt mich wieder mein vergangenes Leben aufsuchen, damit ich auferstehe aus diesem jetzigen Tode. Ich bin nicht geboren, ein Statthalter zu sein, noch Insuln oder Städte zu verteidigen gegen die Feinde, die sie angreifen wollen. Besser verstehe ich mich darauf, zu ackern und zu graben, Reben zu beschneiden und zu stocken, als Gesetze zu geben oder Länder und Königreiche zu verteidigen. Am wohlsten ist es dem heiligen Petrus in Rom; ich meine, jedem ist es am wohlsten, wenn er das Gewerbe treibt, für das er geboren ist. Eine Sichel steht mir besser zur Hand als eines Statthalters Zepter; lieber will ich mich an einer Krautsuppe satt essen als mich der Quälerei eines aufdringlichen Arztes unterwerfen, der mich durch Hunger umbringen will; und lieber will ich mich sommers in dem Schatten einer Eiche zur Rast legen und winters mich in einen abgeschabten Schafpelz wickeln und dabei in meiner Freiheit bleiben, als in der Knechtschaft einer Statthalterei unter Bettlaken von feinem Linnen liegen und mich in Zobelpelz kleiden. Gott sei mit euch, ihr Herren, und sagt meinem gnädigen Herzog: Nackt bin ich heut, nackt ward ich geboren, hab nichts gewonnen und nichts verloren; ich meine, ich bin ohne einen Pfennig in diese Statthalterschaft gekommen, und ohne einen Pfennig verlasse ich sie wieder, ganz gegen die Gewohnheit anderer Statthalter, wenn sie aus anderen Insuln scheiden. Jetzt tretet beiseite und laßt mich gehen, ich will mir Pflaster auflegen; ich glaube, alle meine Rippen sind mir zerquetscht dank den Feinden, die heute nacht auf mir herumspaziert sind.«

»Nein, das darf nicht sein, Herr Statthalter«, sagte der Doktor Stark; »ich will Euer Gnaden ein Tränklein geben, das gegen die Schmerzen vom Fall und gegen die Quetschungen hilft und Euch sofort in Eurer vorigen Gesundheit und Kraft wiederherstellt. Was aber das Essen betrifft, so verspreche ich Euer Gnaden, mich zu bessern und Euch in Fülle essen zu lassen, worauf Ihr nur Lust habt.«

»Zu spät«, antwortete Sancho; »ebenso sicher verzichte ich aufs Fortgehen, wie ich ein Türke werde. Solche Späße erträgt man nicht zweimal. Bei Gott, ebensowenig bleibe ich bei dieser Statthalterschaft oder nehme eine andre an, und wenn man sie mir auf dem Präsentierteller reichte, als ich ohne Flügel gen Himmel fliege. Ich bin aus dem Geschlecht der Pansas, die alle einen harten Kopf haben, und wenn sie einmal ungerade sagen, so bleibt’s bei ungerade, wenn auch gerade geworfen ist, der ganzen Welt zu Trotz. In diesem Stalle sollen die Flügel abfallen, die mir, der Ameise, gewachsen waren und mich in die Luft emportrugen, um von den Schwalben und andren Vögeln gefressen zu werden; wir wollen wiederum unten auf ebnem Boden die Füße aufsetzen, und wenn auch diese Füße nicht mehr in verzierten Schuhen von Korduan prangen, so wird es ihnen doch nicht an Bauernlatschen aus Hanfschnüren fehlen; jeder geselle sich zu seinesgleichen, jeder strecke sich nach der Decke. Jetzt aber laßt mich fort, es wird mir schon zu spät.«

Darauf sagte der Haushofmeister: »Herr Statthalter, wir wollen Euer Gnaden recht gern ziehen lassen, sosehr es auch uns leid tun wird, Euch zu verlieren; denn ob Eurer Talente und Eures wahrhaft christlichen Verfahrens willen müssen wir notwendig Euer Bleiben wünschen. Allein es ist bekannt, daß jeder Statthalter verpflichtet ist, ehe er von dem Sitze seiner Statthalterschaft scheidet, vorher Rechenschaft abzulegen. Legt Rechenschaft ab über die zehn Tage, die Ihr das Amt innegehabt, und dann mögt Ihr mit Gott in Frieden hinziehen.«

»Keiner kann Rechenschaft von mir fordern«, entgegnete Sancho, »außer wen der Herzog, mein Herr, dazu verordnen will; ich will eben zu ihm gehen, und ihm werde ich sie aufs allerbeste ablegen. Zudem, wenn ich so nackt aus dem Amt gehe, wie ich es tue, so bedarf es keines andren Beweises, daß ich regiert habe wie die lieben Engelein.«

»Bei Gott, der große Sancho hat recht«, sagte der Doktor Stark, »und ich bin der Meinung, wir lassen ihn ziehen, denn der Herzog wird unendlich erfreut sein, ihn wiederzusehen.«

Alle waren damit einverstanden und ließen ihn gehen, nachdem sie ihm ihre Begleitung angeboten sowie alles sonstige, was er zur Pflege seiner Person und zur Bequemlichkeit seiner Reise wünschen möchte. Sancho antwortete, er wünsche nichts weiter als ein wenig Gerste für seinen Grauen und einen halben Käse und ein halbes Brot für sich; denn da der Weg so kurz sei, so habe er keinen größern noch bessern Speisevorrat nötig. Sie umarmten ihn alle, und auch er umarmte sie alle unter Tränen und ließ sie voll Verwunderung zurück, sowohl über seine Äußerungen als über seinen so festen und so verständigen Entschluß.