40. Kapitel


Von allerhand, was diese Aventüre und denkwürdige Geschichte angeht und betrifft

In Wahrheit und Wirklichkeit muß ein jeglicher, der an solcherlei Geschichten wie dieser Gefallen findet, dem Sidi Hamét, ihrem ursprünglichen Verfasser, dankbar sein ob der Sorgsamkeit, mit der er selbst die kleinsten Sechzehntelnoten von ihrer Melodie uns hören läßt und auch am Geringfügigsten nicht vorbeigeht, ohne es klar ans Licht zu ziehen. Er zeigt uns die Gedanken, zieht den Vorhang von den Gebilden der Phantasie, antwortet auf die stillen Einwürfe des Lesers, hellt die Zweifel auf, entscheidet im Streit der Meinungen und Behauptungen und läßt selbst den wißbegierigsten Menschen die Atome des Gewünschten deutlich erschauen. O berühmter Schriftsteller! O beglückter Don Quijote! O ruhmreiche Dulcinea! O Sancho, du witziger Kopf! Ihr alle miteinander, und jeder für sich, möchtet ihr unzählige Jahrhunderte leben zum Vergnügen und allgemeinen Zeitvertreib aller Lebenden!

Es sagt nun die Geschichte, daß Sancho, wie er die Schmerzenreich in Ohnmacht sinken sah, ausrief: »Bei meiner Ehre als ehrlicher Mann und bei der Seel und Seligkeit all meiner Vorvordern, der Pansas, schwör ich, ein Abenteuer wie dieses hab ich nie gehört noch gesehen, noch ist dergleichen mir von meinem Herrn je erzählt worden noch ihm jemals in den Sinn gekommen. Daß doch, denn ich will dir nicht fluchen, tausend Teufel dich holten, du Zauberer und Riese Malambruno! Hast du denn für diese armen Sünderinnen keine andre Art Bestrafung gefunden, als sie zu bebarten? Ei, wär es nicht besser und für sie viel passender gewesen, ihnen die Nase von unten bis oben zu schlitzen, wenn sie auch nachher beim Sprechen genäselt hätten, als ihnen Bärte anzusetzen? Ich will wetten, sie haben nicht einmal Geld, um einen Bartscherer zu bezahlen.«

»So ist es in der Tat, Señor«, antwortete eine von den zwölfen, »wir haben kein Geld, um uns den Bart putzen zu lassen; und darum sind etliche von uns aus Sparsamkeit auf gepichtes Linnen oder Pechpflaster gekommen, das wir fest ans Gesicht drücken; und wenn wir es dann mit einem Ruck abreißen, so sind wir auf der Stelle sauber und glatt wie der Boden eines steinernen Mörsers. Obschon es in Candaya Weiber gibt, die von Haus zu Haus gehen, um die Härchen aus der Haut zu zupfen und die Augenbrauen zu glätten und allerhand Salben, wie Frauen sie brauchen, zu besorgen, so haben doch wir, die Kammerfrauen unsrer Prinzessin, ihnen nie Zutritt ins Schloß gestatten mögen; denn meist sind es herabgekommene Weiber, die zu uns heraufkommen wollten, sie bieten allerhand Mittel feil und sind feile Vermittlerinnen. Wenn uns vom Señor Don Quijote nicht Hilfe wird, so wird man uns mit Bärten zu Grabe tragen.«

»Ich will mir den meinigen«, versetzte Don Quijote, »im Maurenlande ausraufen lassen, wenn ich euch nicht von den eurigen helfe.«

In diesem Augenblick kam die Trifaldi aus ihrer Ohnmacht wieder zu sich und sagte: »Das liebliche Geläut dieser Verheißung, mannhafter Ritter, ist mitten in meiner Ohnmacht mir ins Ohr gedrungen und hat bewirkt, daß ich wieder zu mir kam und all meiner Sinne mächtig wurde; und so flehe ich Euch abermals an, o ruhmbekränzter Fahrender, o unbezähmbarer Mann, Euer gnadenreiches Versprechen zur Tat zu machen.«

»An mir soll es nicht fehlen«, erwiderte Don Quijote; »sagt mir, Señora, was ich tun soll; der Geist ist willig und gleich bereit, Euch zu dienen.«

»Die Sache ist die«, antwortete die Schmerzenreich, »daß es von hier bis zum Königreich Candaya, wenn man zu Lande reist, fünftausend Meilen weit ist, etwa zwei mehr oder weniger, wenn man aber durch die Luft und in gerader Linie reist, so sind es dreitausendzweihundertundsiebenundzwanzig. Auch ist noch zu bemerken, daß Malambruno mir sagte, wenn das Schicksal mir den Ritter, unsern Befreier, bescheren würde, so wolle er ihm einen besonderen Reitgaul schicken, einen weit tüchtigeren und nicht so bösartigen, als sonst die Mietgäule sind, denn es soll jenes nämliche hölzerne Pferd sein, auf welchem der tapfere Peter die schöne Magelone entführte, welches Pferd mittels eines Zapfens gelenkt wird, den es auf der Stirn hat und der als Zaum dient, und es fliegt mit solcher Geschwindigkeit durch die Lüfte, daß es aussieht, als ob der Teufel selber es holte. Dieses besagte Pferd ist nach der alten Sage von dem Zauberer Merlin angefertigt. Er lieh es dem Peter, der sein Freund war, und der machte auf ihm große Reisen und raubte, wie gesagt, die schöne Magelone; er führte sie auf der Kruppe durch die Lüfte, und alle, die ihm vom Erdboden aus nachsahen, sperrten Mund und Nase auf. Aber er lieh das Pferd nur, wem er hold war oder wer ihn am besten bezahlte, und seit dem großen Peter haben wir bis heute von keinem vernommen, der das Pferd bestiegen hätte. Aus Merlins Besitz hat Malambruno es mit seinen Künsten entführt und hat es jetzt in seiner Gewalt und bedient sich seiner auf den Reisen, die er alle Augenblicke durch verschiedene Teile der Welt unternimmt; heut ist er hier und morgen in Frankreich und nächsten Tages in Potosi. Und das Gute dabei ist, daß das besagte Pferd weder frißt noch schläft noch beschlagen werden muß; und es geht ohne Flügel einen solchen Paßgang in den Lüften, daß der Reiter, den es trägt, eine Tasse Wasser in der Hand halten kann, ohne einen Tropfen zu verschütten, so sachte und ruhig zieht es seines Weges; weshalb auch die schöne Magelone soviel Vergnügen daran fand, auf ihm zu reiten.«

Hier fiel Sancho ein: »Was den ruhigen Gang anbetrifft, geht nichts über meinen Esel. Zwar geht er nicht durch die Lüfte, aber auf dem Erdboden, da will ich ihn mit jedem Paßgänger in der Welt um die Wette gehen lassen.«

Alles brach in Lachen aus, und die Schmerzenreich fuhr fort: »Und dies besagte Pferd wird, sofern Malambruno wirklich unser Unglück zu beenden gewillt ist, spätestens eine halbe Stunde nach Anbruch der Dunkelheit vor unsern Augen dastehen; denn er hat mir bedeutet, zum Zeichen, daß ich den von mir gesuchten Ritter gefunden habe, wolle er mir so rasch als möglich das Pferd dahin senden, wo dieser Ritter sich befinde.«

»Und wie viele haben auf dem Pferd Platz?« fragte Sancho.

Die Schmerzenreich antwortete: »Zwei Personen, eine auf dem Sattel und eine auf der Kruppe, und meistenteils sind diese zwei Personen Ritter und Schildknappe, falls es kein Fräulein zu entführen gilt.«

»Da möchte ich wohl wissen, Señora Schmerzenreich«, sagte Sancho, »wie das Pferd heißt.«

»Es heißt nicht Pegasus wie das Roß des Bellerophon«, antwortete die Schmerzenreich, »auch nicht Bukephalus wie das Pferd Alexanders des Großen oder Brigliadoro wie das des rasenden Roldán; auch nicht Bajardo wie das des Rinald von Montalbán oder Frontino wie das von Rüdiger; noch Bootes oder Peritoa wie die Rosse des Sonnengottes oder Orelia wie das Roß, auf welchem der unglückliche Don Rodrigo, der letzte Gotenkönig, in die Schlacht zog, wo er Leben und Thron verlor.«

»Ich will wetten«, sprach Sancho, »wenn man ihm keinen von den berühmten Namen jener weltbekannten Gäule gegeben hat, so heißt es auch sicher nicht wie meines Herrn Pferd Rosinante, das für sich allein alle bei weitem übertrifft, die Ihr genannt habt.«

»So ist’s«, entgegnete die Gräfin im Barte; »aber immerhin paßt sein Name sehr gut, denn es heißt Holzzapferich der Geflügelte, und dieser Name stimmt dazu, daß es von Holz ist, und auch zu dem Zapfen, den es auf der Stirn trägt, und zu der Leichtigkeit, mit der es von dannen fährt; und daher kann es, soviel den Namen betrifft, sich wohl mit dem berühmten Rosinante messen.«

»Der Name gefällt mir nicht schlecht«, versetzte Sancho; »aber mit was für einem Zaum oder was für einem Halfterstrick wird das Pferd gelenkt?«

»Ich habe es schon gesagt«, antwortete die Trifaldi, »mit dem Zapfen; je nachdem diesen der Ritter, der darauf reitet, nach der einen oder andern Seite dreht, muß das Pferd hin, wo er will, sei es hoch in den Lüften, sei es nah an der Erde, gewissermaßen den Boden fegend, sei es zwischen beidem in der richtigen Mitte, die man ja bei jedem wohlüberlegten Vorhaben suchen und einhalten muß.«

»Das möcht ich wohl mit ansehen«, entgegnete Sancho; »aber wenn einer meint, ich würde hinaufsteigen in den Sattel oder auf die Kruppe, da könnte er ebensogut Birnen vom Ulmenbaum holen wollen. Das wäre schön! Wenn ich mich kaum auf meinem Grauen halten kann, auf meinem Sattel, der weicher ist als Seide, und da sollten sie jetzt verlangen, ich soll mich auf einer bretternen Kruppe oben halten, ohne Kissen und Polster! Gott’s Blitz, es fällt mir gar nicht ein, mich rädern zu lassen, um jemandem seinen Bart abzunehmen, wer’s auch sei! Jeder soll sich den Bart scheren lassen, wie’s ihm am besten paßt, ich aber denke nicht dran, meinen Herrn auf einer so weiten Reise zu begleiten; zumal ich doch für das Abscheren dieser Bärte sicherlich nicht so nötig bin wie zur Entzauberung unsres Fräuleins Dulcinea.«

»Freilich seid Ihr es, Freund«, entgegnete die Trifaldi, »und so sehr, daß wir ohne Euch bestimmt nichts ausrichten würden.«

»Zu Hilfe, ihr Leute des Königs!« rief Sancho. »Was gehen die Abenteuer der Ritter die Schildknappen an? Wenn die Ritter solche glücklich bestehen, sollen sie den Ruhm davontragen, und wir, wir sollen die Mühsal tragen? Herrgott im Himmelreich! Ja, wenn es noch wenigstens bei den Geschichtsschreibern hieße: Der und jener Ritter hat dies und jenes Abenteuer glücklich bestanden, aber mit Hilfe des N. N., seines Schildknappen, ohne den er es nicht zu bestehen vermocht hätte! Aber was soll man sagen, wenn sie ganz kurz hinschreiben: ›Don Paralipómenon von den drei Sternen bestand glücklich das Abenteuer mit den sechs Ungeheuern‹, ohne daß die Person seines Schildknappen, der bei allem zugegen war, auch nur genannt wird, gerade als wäre er gar nicht auf der Welt gewesen! Jetzt, werte Herrschaften, sag ich noch einmal, mein Herr mag allein hinziehen, und wohl bekomm es ihm; ich aber bleibe hier bei meiner gnädigen Frau Herzogin. Auch wäre es ja möglich, daß er bei seiner Rückkehr die Angelegenheit des Fräulein Dulcinea ums Drittel oder ums Fünftel gebessert fände; denn ich gedenke, wenn ich Zeit und nichts zu tun habe, mir eine Tracht Hiebe zu geben, daß kein Härchen mehr auf der Haut wachsen soll.«

»Trotz alledem müßt Ihr ihn begleiten, wenn es nötig sein sollte, biederer Sancho«, erklärte die Herzogin, »weil Euch Biedermänner darum bitten werden. Wegen Eurer törichten Angst dürfen die Gesichter dieser Damen nicht so behaart bleiben; das wäre wirklich ein übler Kasus.«

»Hier sag ich nochmals: Zu Hilfe, ihr Leute des Königs!« entgegnete Sancho. »Wenn dieses Liebeswerk für züchtige Fräulein oder für Mädchen aus der Waisenschule getan werden sollte, könnte sich der Mensch auf jederlei Mühsal einlassen; aber um diesen Kammerfrauen den Bart wegzuschaffen, das ist zu stark! Säh ich sie doch lieber alle mit Bärten, alle, von der größten bis zur kleinsten, von der verzwicktesten Zimperliese bis zur aufgedonnertsten Madam!«

»Ihr steht Euch schlecht mit den Kammerfrauen, Freund Sancho«, sagte die Herzogin; »Ihr haltet es allzusehr mit dem Apotheker von Toledo. Ihr habt wahrlich nicht recht; es sind Kammerfrauen in meinem Hause, die ein Muster aller Kammerfrauen sein können, und hier ist meine Doña Rodríguez, die mir gewiß nicht die Möglichkeit lassen wird, was andres zu sagen.«

»Mag Euer Exzellenz immerhin was andres sagen«, versetzte die Rodríguez, »Gott weiß von allem das Wahre; und mögen wir Kammerfrauen nun gut oder böse, bärtig oder glatthäutig sein, auch uns haben unsre Mütter zur Welt geboren wie alle andern Weiber; und da Gott uns auf die Welt gesetzt hat, so weiß er schon warum, und an seine Barmherzigkeit halte ich mich und an niemandes Bart.«

»Nun gut, Señora Rodríguez und Señora Trifaldi nebst Gesellschaft«, sprach Don Quijote, »ich hoffe zum Himmel, er wird mit erbarmendem Auge auf Euer Leid herabsehen und Sancho wird tun, was ich ihm gebiete. Käme nur der Holzzapferich! Sähe ich mich schon dem Malambruno gegenüber! Ich weiß, es gibt kein Schermesser auf Erden, das Eure Herrlichkeiten leichter scheren könnte als mein Schwert dem Malambruno seinen Kopf von den Schultern. Gott duldet die Bösen, aber nicht ewig.«

»Ach!« sagte jetzt die Schmerzenreich, »mögen alle Sterne in den Himmelskreisen auf Eure Hoheit, mutbeseelter Ritter, mit gnädigen Augen herabsehen und in Euer Gemüt alles Heil und alle Tapferkeit eingießen, auf daß Ihr Schild und Schirm seiet des kammerfraulichen Geschlechtes, des vielgeschmähten und niedergedrückten, des von Apothekern verabscheuten, des von Schildknappen gelästerten, des von jugendlichen Hausdienern verhöhnten! Wehe der Schelmin, die in der Blüte ihres Alters nicht lieber eine Nonne werden wollte als eine Kammerfrau! Wir unglückliches Kammergesinde! Wenn wir auch in gerader Linie von Hektor dem Trojaner herkommen, so werden unsre Herrschaften doch nie aufhören, uns Worte wie ›will Sie wohl!‹ ins Gesicht zu schleudern, gerade als dächten sie, durch so etwas Königinnen zu werden. O du Riese Malambruno, der du, wenn auch ein Zauberer, doch in deinen Versprechungen höchst zuverlässig bist, sende uns alsbald den unvergleichlichen Holzzapferich, damit unser Unglück ein Ende nehme; denn wenn die Hitze hereinbricht und diese unsere Bärte noch stehen, weh dann unserm Geschicke!«

Die Trifaldi sagte das mit so schmerzlichem Ausdruck, daß sie allen Anwesenden Tränen aus den Augen entlockte und selbst diejenigen Sanchos mit Naß füllte; und er nahm sich in seinem Herzen vor, seinen Herrn bis an das äußerste Ende der Welt zu begleiten, falls es wirklich hierauf ankäme, um diese ehrwürdigen Angesichter von ihrem Werg zu erlösen.

37. Kapitel


Allwo die fürtreffliche Aventüre mit der Kammerfrau Schmerzenreich fortgesetzt wird

Hocherfreut waren der Herzog und die Herzogin, zu sehen, wie bereitwillig Don Quijote auf ihren Plan einging. Sancho aber sagte dazu: »Ich möchte nicht, daß diese geehrte Kammerfrau meiner versprochenen Statthalterschaft einen Stein in den Weg legt; denn ich habe einen Toledaner Apotheker, der wie ein Starmatz schwatzte, sagen hören, wo Zofen und Kammerfrauen dabei seien, da könne nichts Gutes herauskommen. Gott steh mir bei, wie übel war selbiger Apotheker auf die Kammerfrauen zu sprechen! Woraus ich denn entnehme, sintemal alle Kammerfrauen lästig und unangenehm sind, wes Ranges und Standes sie sein mögen: was werden erst die schmerzenreichen sein, welches diese Gräfin mit den drei Falten oder den drei Schleppen sein soll? Denn bei mir zulande ist Falten und Schleppe, Schleppe und Falten alles einerlei.«

»Schweige, Freund Sancho«, fiel Don Quijote ein; »denn sintemal diese geehrte Kammerfrau von so fernen Landen kommt, um mich aufzusuchen, wird sie wohl nicht zu denen gehören, die der Apotheker in seinem Register hatte, und dies um so gewisser, als diese eine Gräfin ist, und wenn Gräfinnen als Kammerfrauen dienen, so kann dies sicher nur bei einer Königin oder Kaiserin sein, und in ihrem eignen Hause sind sie höchste Gebieterinnen und lassen sich selbst von Kammerfrauen bedienen.«

Darauf versetzte Doña Rodríguez, die zugegen war: »Meine gnädige Frau Herzogin hat Kammerfrauen in ihren Diensten, die Herzoginnen sein könnten, wenn das Glück es nur wollte; aber wohin des Königs Wille geht, dahin wird das Gesetz gedreht; und keiner soll den Kammerfrauen was Böses nachsagen, vorab den alten und den unverheirateten. Denn wiewohl ich beides nicht bin, kann ich’s doch begreifen und habe doch eine Vorstellung davon, wieviel eine noch unverheiratete Kammerdame vor einer verwitweten voraushat; wer uns aber zwacken und scheren will, dem bricht und sticht die Schere in Hand und Finger.«

»Nichtsdestoweniger gibt es bei den Kammerfrauen viel zu scheren«, entgegnete Sancho, »nach dem, was mein Barbier sagt, gerade wie es besser ist, den Reis nicht umzurühren, wenn er sich auch unten am Topf ansetzen will.«

»Die Schildknappen«, entgegnete Doña Rodríguez, »sind uns beständig so feind, daß sie, da sie stets in den Vorzimmern als Kobolde herumgeistern und uns auf Schritt und Tritt zu Gesicht bekommen, all die Augenblicke, wo sie nicht beten – und dieser Augenblicke sind viele! –, darauf verwenden, uns zu lästern, uns bis auf die Haut auszuziehen und unsern guten Ruf ins Grab zu legen. Aber diesen Holzklötzen auf zwei Beinen, denen sag ich ernstlich: Mag es sie noch so sehr ärgern, so werden wir nach wie vor auf der Welt sein und in vornehmen Häusern leben, und sollten wir auch vor Hunger sterben und unsre zarten oder nicht zarten Glieder mit einem schwarzen Nonnenrock bedecken müssen, wie man am Tag einer Prozession einen Misthaufen mit einem Teppich zudeckt. Wahrhaftig, wenn es mir nur gestattet wäre oder die Gelegenheit es erheischte, würde ich nicht nur den Anwesenden, sondern der ganzen Welt klarmachen, daß es keine gute Eigenschaft gibt, die sich nicht bei einer Kammerfrau findet.«

»Ich glaube«, sagte die Herzogin, »meine brave Doña Rodríguez hat recht und sehr recht; aber sie wartet wohl am besten eine gelegene Zeit ab, um ihre und der andern Kammerfrauen Sache zu führen, die üble Meinung jenes bösen Apothekers zuschanden zu machen und auch diejenige, die der große Sancho Pansa in seinem Busen hegt, mit der Wurzel herauszureißen.«

Darauf entgegnete Sancho: »Seit ich mit Statthalteraussichten schwanger gehe, ist mir der Schildknappenschwindel vergangen, und ich gebe für alle Kammerfrauen unter der Sonne nicht einen Holzapfel«.

Sie hätten das Kammerfrauengespräch noch weiter fortgesetzt, wenn sie nicht abermals den Pfeifer und die Trommler gehört hätten, woraus sie denn entnahmen, daß die Kammerfrau Schmerzenreich im Anzug sei. Die Herzogin fragte den Herzog, ob es sich wohl schicke, ihr zur Begrüßung entgegenzugehen, da sie doch eine Gräfin und vornehme Person sei.

»Soweit sie was von einer Gräfin an sich hat«, entgegnete Sancho, ehe noch der Herzog antworten konnte, »da halte ich zwar für gut, wenn von dessentwegen Eure Hoheiten ihr entgegengehen; aber von wegen der Kammerfrau, da bin ich der Meinung, Ihr dürft nicht einen einzigen Schritt gehen.«

»Wer heißt dich, Sancho, dich da hineinzumischen?« sagte Don Quijote.

»Wer, Señor?« antwortete Sancho; »ich, ich mische mich hinein, und ich darf mich wohl hineinmischen als ein Schildknappe, der die Regeln der Höflichkeit in Euer Gnaden Schule gelernt hat; denn Euer Gnaden ist der höflichste und wohlgesittetste Ritter in der ganzen Höflichkeitswelt. Auch pflegt man ja in derlei Dingen, wie ich aus Euer Gnaden Mund gehört, mit einer Karte zuviel ebensoleicht zu verlieren als mit einer Karte zuwenig; und Gelehrten ist gut predigen.«

»Es ist ganz so, wie Sancho sagt«, versetzte der Herzog; »wir wollen abwarten, wie die Gräfin aussieht, und danach wollen wir bemessen, wieviel Höflichkeit ihr gebührt.«

Indem schritten die Trommler und der Pfeifer herein wie das erstemal. Und hiermit beschließt der Verfasser dieses kurze Kapitel und fängt das folgende an, worin er dasselbe Abenteuer fortsetzt, welches eines der bemerkenswertesten in dem ganzen Buche ist.

38. Kapitel


Allwo Bericht gegeben wird vom Berichte, welchen die Kammerfrau Schmerzenreich über ihr eigenes Mißgeschick erstattet hat

Hinter den trübseligen Musikern schritten nun in den Garten herein etwa zwölf Kammerfrauen, in zwei Reihen verteilt, alle in weite Nonnenkleider gehüllt, die dem Anscheine nach von gewalktem Wollstoff waren, mit weißen Schleiern von dünnem Musselin, so lang, daß sie bloß den untern Saum des Kleides sehen ließen. Hinter ihnen kam die Gräfin Trifaldi einher, die der Kammerjunker Trifaldin Weißbart an der Hand führte; gekleidet war sie in feinsten schwarzen Zwilch, der nicht gekrempelt war, und war er das schon gewesen, so hätte sich jede Flocke an dem Zeug so dick wie eine Kichererbse gezeigt, und zwar wie eine jener großen Kichererbsen aus Martos; die Schleppe – oder Falte oder Schoß oder wie man es nennen will – lief in drei Spitzen aus, die von den Händen dreier ebenfalls in Trauer gekleideter Edelknaben getragen wurden; diese drei Spitzen, welche spitze Winkel bildeten, stellten eine in die Augen fallende geometrische Figur dar. Und daraus schlossen alle, welche die drei spitzwinkligen Rockfalten oder Schöße betrachteten, sie müsse deshalb die Gräfin Trifaldi heißen; das ist ungefähr, als wenn wir sagten: die Gräfin mit den drei Falten. Und Benengelí bemerkt, dies ist in der Tat der Fall gewesen und sie habe mit ihrem wirklichen Namen Gräfin Lobuna, Wolfhausen, geheißen, und zwar aus dem Grunde, weil in ihrer Grafschaft viele lobos, das ist Wölfe, hausten; und wenn anstatt der Wölfe es Füchse, zorros, gewesen wären, so würde man sie Gräfin Zorruna, Fuchshausen, geheißen haben, weil es dortzulande der Brauch ist, daß die Herrschaften ihre Namen von den Dingen entlehnen, woran ihre Güter besonders reich sind. Indessen hat diese Gräfin, um der neuen Mode ihrer Falte oder Schleppe Eingang zu verschaffen, den Namen Lobuna oder Wolfhausen aufgegeben und den Namen Trifaldi oder Dreischlepp angenommen.

Die zwölf Kammerfrauen und die Gräfin kamen in feierlichem Prozessionsschritt einher, die Gesichter mit Schleiern bedeckt, die schwarz, aber nicht wie der des Trifaldin durchsichtig waren, sondern so dicht, daß man nicht hindurchsehen konnte. Sobald die kammerfrauliche Truppe aufmarschiert war, standen der Herzog, die Herzogin und Don Quijote auf und ebenso die andern alle, die dem langsam schreitenden Aufzug zusahen. Die zwölf Kammerfrauen machten halt und bildeten ein Spalier, durch welches die Schmerzenreich hinschritt, ohne daß Trifaldin sie von der Hand ließ. Als der Herzog, die Herzogin und Don Quijote dies sahen, gingen sie ihr etwa zwölf Schritte weit entgegen, um sie zu begrüßen. Sie warf sich jetzt auf die Knie nieder und sprach mit einer Stimme, die eher grob und rauh als fein und zart war: »Eure Hoheiten wollen geruhen, diesem Eurem Diener, ich will sagen dieser Eurer Dienerin, nicht so große Höflichkeit zu erweisen, denn sintemal ich so schmerzenreich bin, würde ich nicht imstande sein, meiner Schuldigkeit zu genügen, dieweil mein nie erhörtes und nie geschautes Mißgeschick mir meinen Verstand, ich weiß nicht wohin, entführt hat, jedenfalls sehr weithin, denn je mehr ich ihn suche, desto weniger kann ich ihn wiederfinden.«

»Ohne Verstand wäre der, Frau Gräfin«, entgegnete der Herzog, »der nicht aus Eurem ganzen Wesen Euren großen Wert ersähe, welcher, auch ohne daß man mehr von Euch erblickt, würdig ist, alle Perlen der Höflichkeit und alle Blüte wohlgezogenster und feinster Förmlichkeiten zu empfangen.«

Alsbald zog er sie an der Hand empor und führte sie zu einem Sitze neben der Herzogin, welche sie ebenfalls mit großer Höflichkeit begrüßte. Don Quijote schwieg, und Sancho starb schier vor Begierde, das Gesicht der Trifaldi und irgendeiner ihrer vielen Kammerfrauen zu sehn; allein dies war nicht möglich, bis sie später aus eigenem Antrieb und freiem Willen sich entschleierten.

Als nun alles ruhig geworden und tiefes Schweigen beobachtete, in Erwartung, wer dasselbe zuerst brechen würde, da war es die Kammerfrau Schmerzenreich, die das Gespräch mit folgenden Worten eröffnete: »Ich hege die Zuversicht, allermächtigster Herr und allerschönste Herrin und ihr, allerverständigste Anwesende, daß meine Allerbedrängtestheit in Euren alleredelsten Herzen einen nicht weniger freundlichen als großsinnigen und schmerzenreichen Empfang finden wird: denn selbige ist solcher Art, daß sie ausreicht, zu rühren Marmelsteine, zu schmelzen Demanten und den Stahl der allerhärtesten Herzen von der Welt. Doch bevor sie in den Bereich Eures Gehörs, um nicht zu sagen Eurer Ohren dringt, möchte ich wohl, daß Ihr mich wissend machet, ob in diesem Verein, Kreis und geselligem Zirkel der allerseelenreinste Ritter Don Quijote von der allergemanschtesten Mancha anwesend ist, imgleichen sein allerschildknapplichster Sancho Pansa.«

»Der Pansa ist hier«, sagte Sancho, eh noch ein andrer antworten konnte, »und der Don Allerquijotischste ebenfalls; und mithin, allerschmerzenreichste kammerfraulichste Dame, könnt Ihr sagen, was Euch allerbeliebtest; wir alle sind eifrigst und allerbereitest, Euch aufs allerdienerischste allergefälligst zu sein.«

Jetzt erhob sich Don Quijote, und sich zur schmerzenreichen Kammerfrau wendend, sprach er: »Wenn Eure Bedrängnisse, hochbedrängte Dame, sich irgendwelche Hoffnung der Abhilfe versprechen können von irgendwelcher Tapferkeit oder Heldenhaftigkeit irgendwelchen fahrenden Ritters – allhie ist die meinige, die, obschon schwach und gering, ganz Euren Diensten geweiht werden soll. Ich bin Don Quijote von der Mancha, dessen Aufgabe es ist, aller Art von Hilfsbedürftigen beizustehn, und so habt Ihr nicht nötig, Señora, um jemandes Wohlwollen zu werben oder erst nach Vorreden zu suchen, sondern nur, ganz einfach und ohne Umschweife, Eure Leiden zu erzählen, denn Euch hören die Ohren solcher, die, wenn sie ihnen nicht abzuhelfen vermögen, doch sie schmerzlich mitfühlen werden.«

Als dies die schmerzenreiche Kammerfrau hörte, machte sie Miene, sich zu Don Quijotes Füßen werfen zu wollen, ja sie warf sich wirklich vor sie hin, gab sich alle Mühe, sie mit den Armen zu umschlingen, und sagte: »Vor diese Füße und Beine werfe ich mich hin, o unbesiegter Ritter, denn sie sind die Träger und Säulen der fahrenden Ritterschaft; diese Füße will ich küssen, an deren Schritten die Rettung aus meinem Unglück hängt und geknüpft ist. O fahrender Held, dessen wirkliche und wahre Kampfestaten jene fabelhaften der Amadíse, Esplandiane und Belianíse hinter sich lassen und verdunkeln!«

Jetzt wandte sie sich von Don Quijote hinweg zu Sancho Pansa, ergriff seine Hände und sprach zu ihm: »O du, redlichster Schildknappe, so jemals in gegenwärtigen oder in vergangenen Jahrhunderten fahrenden Rittern bedienstet gewesen, du, dessen Vortrefflichkeit größer ist als der Bart Trifaldins, meines Geleiters, der allhier zugegen ist! Wohl magst du dich rühmen, daß du, indem du dem großen Don Quijote dienst, dem Inbegriff der gesamten Ritterwelt dienest, welche jemals auf Erden das Waffenwerk hat betrieben. Ich beschwöre dich bei allem, was du deiner eignen allergetreusten Vortrefflichkeit schuldest, daß du mir ein trefflicher Fürbitter bei deinem Dienstherrn seiest, auf daß er sofort einer allerdemütigsten und allerunglücklichsten Gräfin wie mir seine Hilfe zuwenden wolle.«

Sancho entgegnete hierauf: »Ob meine Vortrefflichkeit, Herrin mein, so groß und umfänglich ist wie der Bart Eures Kammerjunkers, da liegt mir entsetzlich wenig dran; wenn dereinst meine Seele aus diesem Leben scheidet, dann möge sie in Kinn- und Knebelbart stolzieren, denn das ist von Wichtigkeit; aber um die Bärte im Diesseits kümmre ich mich nicht. Allein auch ohne diesen ganzen Schwindel und ohne dieses demütige Flehen bitte ich meinen Herrn – der mich, ich weiß es, sehr lieb und mich gerade zu einem gewissen Handel sehr nötig hat –, daß er Euer Gnaden in allem, was er vermag, helfen und beistehen möge. Also wolle Euer Gnaden Dero Bedrängnis auspacken und sie uns erzählen und uns nur gewähren lassen, wir werden uns schon alle miteinander verständigen.«

Über all dieses wollten Herzog und Herzogin schier vor Lachen bersten, da sie ja selbst um das Geheimnis dieses Abenteuers wußten, und sie lobten im stillen den Witz und die Verstellungskunst der Trifaldi. Diese aber setzte sich wieder und sprach: »In dem weitberühmten Königreich Candaya, das zwischen dem großen Trapobana und dem Südmeer liegt, zwei Meilen jenseits des Kap Comorin, führte die Herrschaft die Königin Doña Maguncia, die Witwe des Königs Archipél, ihres Herrn und Gemahls. In dieser Ehe bekamen und erzeugten sie die Infantin Antonomásia, die Erbin des Reiches, welche Infantin Antonomásia unter meiner Leitung und Lehre erzogen wurde und heranwuchs, dieweil ich die älteste und vornehmste unter den Kammerfrauen ihrer Mutter war. Es fügte sich nun, wie die Tage kamen und gingen und das Kindlein Antonomásia das Alter von vierzehn Jahren erreichte, daß es eine so vollkommene Schönheit besaß, daß die Natur sie nicht auf eine noch vollkommenere Stufe zu erheben vermochte. Wollen wir nun sagen, daß ihr Verstand noch etwas feuchtnasig war? Nein, sie war so verständig wie schön; ja sie war die Allerschönste auf Erden und ist es noch, wenn nicht etwa die mißgünstigen Schicksalsgötter ihres Lebens Faden schon abgeschnitten haben. Jedoch sie werden es nicht getan haben; der Himmel wird nicht zugeben, daß der Erde so großes Leid geschehe, wie es geschähe, wenn von der schönsten Rebe auf Erden die Traube unreif abgepflückt würde.

In diese Schönheit, in diese von meiner unbeholfenen Zunge nie nach Gebühr gepriesene Schönheit verliebten sich eine unendliche Anzahl Prinzen, sowohl einheimische als auch fremde, und unter ihnen wagte auch ein schlichter Edelmann am Hofe seine Gedanken zum Himmel so hoher Huldseligkeit emporzuheben, im Vertrauen auf seine Jugendblüte und seine Stattlichkeit, auf seine großen Talente und seine Liebenswürdigkeit, die Gewandtheit und die glücklichen Anlagen seines Geistes; denn ich tue Euern Hoheiten kund – wenn es Hochdenselben nicht unangenehm ist –, daß er die Gitarre spielte, als wenn er ihr Sprache verliehe, und daß er ferner ein Poet und ein ausgezeichneter Tänzer war und Vogelkäfige so schön zu fertigen verstand, daß er damit sein Brot hätte verdienen können, wenn er in Not geraten wäre: lauter Eigenschaften und Vorzüge, die ausgereicht hätten, einen Berg zu erschüttern, geschweige denn ein zartes Mägdlein.

Indessen hätten all seine Artigkeiten und gewinnende Anmut, seine ganze Liebenswürdigkeit und seine Talente ihm wenig oder nichts geholfen, die Festung meiner kleinen Prinzessin zu erobern, wenn der unverschämte Spitzbube sich nicht des Mittels bedient hätte, zuerst mich selber zu erobern. Der Räuber und gewissenlose Strolch wollte zuerst meine Neigung gewinnen und meinen Sinn bestechen, damit ich als ein schlechter Burgvogt ihm die Schlüssel der Burg ausliefern sollte, die ich hütete. Kurz, er beschmeichelte meinen Geist und eroberte meine Zuneigung mit, ich weiß nicht was für Spielsächelchen und Flittern, die er mir schenkte. Was mich aber ganz besonders dahin brachte, mich vor ihm zu beugen und daniederzuwerfen, das waren die Verse, die ich ihn eines Abends vor meinem Fenstergitter singen hörte, das auf ein Gäßchen hinausging, wo er harrend stand; und wenn ich mich recht entsinne, lauteten sie folgendermaßen:

Tiefe Wunden mir geschlagen
Hat die süße Feindin mein,
Und zu mehren meine Pein,
Soll ich dulden und nicht klagen.

Dieses Lied schien mir ein wahres Juwel und seine Stimme Honigseim, und seit ich gesehen, in welches tiefe Weh ich durch diese und ähnliche Verse gefallen, habe ich mir überlegt, daß aus jedem rechten wohlgeordneten Gemeinwesen die Dichter verbannt werden müßten, wie schon Plato angeraten, zum mindesten die lüsternen, weil sie Verse schreiben, nicht wie die vom Markgrafen von Mantua, welche die Kinder und Weiber ergötzen und zum Weinen bringen, sondern Spitzfindigkeiten, die wie ein sacht ins Fleisch gleitender Dorn sich Euch durch die Seele bohren und sie wie ein Blitzstrahl versehren und nur das äußere Gewand unversehrt lassen. Ein andermal wieder sang er:

Komm, o Tod, schweb leis hernieder,
Daß dein Nahn mir unbewußt,
Denn des Sterbens süße Lust
Gibt mir sonst das Leben wieder.

Und noch andere Verschen und Lieder solcher Art, die, wenn die Männer sie uns singen, ins Herze dringen, und wenn sie sie uns schreiben, uns die Seele aufregen. Wie aber erst, wenn sie sich so tief vor uns demütigen, eine gewisse Art von Versen zu dichten, die in Candaya damals üblich waren und welchen sie den Namen Seguidillas gaben? Da hüpften die Herzen, da spürte man Kitzel, zu lachen, da zappelten die Glieder ohne Aufhören, da befiel quecksilbriges Zittern alle Sinne. Und deshalb sage ich, meine Herrschaften, solche Minnesänger sollte man von Rechts wegen auf die Eidechseninseln verbannen. Aber sie selbst tragen nicht die Schuld, sondern die Einfaltspinsel, die ihnen Lob spenden, und die Närrinnen, die ihnen Glauben schenken.

Wäre ich die redliche Aufseherin gewesen, die ich hätte sein sollen, so hätte sein hohles Wortgedrechsel mein Herz nicht rühren dürfen, ich hätte es nicht für Wahrheit halten dürfen, wenn er zu mir sagte: ›Ich lebe in stetem Sterben, ich brenne im Frost, in Feuersglut friere ich, ich hoffe sonder Hoffnung, ich scheide und bleibe zugleich‹, nebst andern Unmöglichkeiten derselben Gattung, von denen ihre Schriften voll sind. Und vollends, wenn sie uns den Phönix Arabiens, die Krone Ariadnes, die Pferde des Sonnengottes, des Südens Perlen, Tibars Gold und den Balsam von Pancaya verheißen! Da lassen sie erst recht ihrer Feder freien Lauf, weil es sie gar wenig kostet zu versprechen, was sie zu halten weder gedenken noch vermögen.

Aber wohin verirre ich mich? Weh mir Unglücklichen! Welche Torheit, welcher Wahnsinn reißt mich hin, fremde Sünden zu erzählen, wo ich soviel von den meinigen zu sagen habe? O ich aber- und abermal Unglückselige! Nicht die Verse haben mich besiegt, sondern meine eigne Einfalt; nicht seine Lieder haben mich schwach werden lassen, sondern mein eigner Leichtsinn; meine zu große Unerfahrenheit und meine zu geringe Überlegung haben den Schritten Don Clavijos, dies ist der Name des besagten Ritters, den Weg geöffnet und den Pfad gebahnt. Und so ward ich die Vermittlerin, daß er einmal, ja vielmals im Gemach der durch mich, nicht durch ihn betrogenen Antonomásia als ihr rechtmäßig erklärter Gatte weilen durfte; denn bin ich auch eine Sünderin, so hätte ich doch nie zugegeben, daß er, ohne ihr Ehegemahl zu sein, ihr nur bis an den Rand ihrer Schuhsohlen nahe gekommen wäre. Nein, nein, das nicht; bei allen Händeln solcher Art, wenn ich mich damit befassen soll, muß die Heirat vorangehn. Bei diesem Handel war nur ein böser Umstand; nämlich die Ungleichheit des Standes; denn Don Clavijo war ein einfacher Edelmann, die Infantin Antonomásia aber die Erbin des Königreichs, wie ich schon gesagt habe. Eine Zeitlang blieb dieser gefährliche Handel verborgen und mit dem Mantel meiner schlauen Vorsicht bedeckt, bis es mir vorkam, als müsse ihn doch, ich weiß nicht was für ein Anschwellen von Antonomásias Leibe sehr bald aller Welt offenbaren. Diese Besorgnis veranlaßte uns drei zu einer geheimen Beratung, und wir beschlossen, noch ehe der schlimme Handel ans Licht käme, solle Don Clavijo bei dem geistlichen Gericht Antonomásia zur Ehefrau begehren, gestützt auf ein Eheversprechen, das die Infantin ihm ausgestellt hatte; mein schlauer Geist hatte es so bündig und fest aufgesetzt, daß selbst Simsons Stärke es nicht hätte zerreißen können. Die Schritte bei Amt wurden getan, der Vikar beim geistlichen Gericht prüfte das Eheversprechen; besagter Vikar nahm der Prinzessin die Beichte ab, sie beichtete ohne alle Umstände, er ließ sie im Hause eines hochgeachteten Hofrichters in Verwahr halten.«

Hier fiel Sancho ein: »Auch in Candaya gibt es Hofrichter, Poeten und Seguidillas? Sonach kann ich drauf schwören, daß die Welt überall ein und dieselbe ist. Aber Señora Trifaldi, Euer Gnaden wolle sich was sputen, denn es wird spät, und ich kann’s nicht länger aushalten, daß ich den Ausgang der gar so langen Geschichte erfahre.«

»Ich will mich sputen«, antwortete die Gräfin.

39. Kapitel


Wo die Trifaldi ihre erstaunliche und denkwürdige Geschichte fortsetzt

An jedem Worte, das Sancho sprach, hatte die Herzogin ebensoviel Vergnügen als Don Quijote Ärger; er gebot ihm Schweigen, und die Schmerzenreich fuhr fort und sprach: »Endlich, nach vielen Fragen und Aussagen, da die Infantin beständig auf ihrem Kopfe blieb, ohne von ihrer gleich von vornherein gegebenen Erklärung abzugehn, fällte das geistliche Gericht seinen Spruch zugunsten Don Clavijos und überantwortete sie ihm zu seiner rechtmäßigen Gemahlin, worüber die Königin Doña Maguncia so großen Verdruß empfand, daß wir sie begruben, eh drei Tage vorüber waren.«

»Da mußte sie wohl gestorben sein?« bemerkte Sancho.

»Das ist klar«, entgegnete Trifaldin; »in Candaya werden nicht die Lebendigen begraben, sondern die Toten.«

»Man hat’s schon erlebt, Herr Kammerjunker«, versetzte Sancho, »daß einer, der in Ohnmacht lag, begraben wurde, weil man glaubte, er wäre tot; und ich meine, die Königin hätte lieber in Ohnmacht fallen sollen als sterben; denn solange einer noch lebt, kann zu vielen Dingen Rat werden, und der verrückte Streich der Infantin war doch nicht so arg, daß man ihn sich so tief zu Herzen nehmen mußte. Hätte sich das Fräulein mit einem Pagen oder sonst mit einem Diener an ihrem Hofe verheiratet, was schon oft vorgekommen ist, wie ich mir hab sagen lassen, dann freilich war das Unglück nicht mehr gutzumachen; aber daß sie sich mit einem Ritter verheiratet hat, der von so feiner, vornehmer Art und so verständig, wie er uns eben geschildert worden – wahrhaftig, wahrhaftig, obzwar es eine Dummheit war, so war sie doch nicht so groß, wie man sich’s denkt. Denn nach den Regeln meines Herrn, der hier zugegen ist und mir keine Lüge erlauben würde, so wie aus Studenten Bischöfe werden, so können Ritter, zumal die fahrenden, Könige und Kaiser werden.«

»Du hast recht, Sancho«, sprach Don Quijote; »denn ein fahrender Ritter, wenn er nur ein paar Fingerbreit Glück hat, besitzt in seinem inneren Werte die nächsten Ansprüche, der höchste Herr auf der Welt zu werden. Aber das Fräulein Schmerzenreich wolle gefälligst fortfahren, denn mir schwant, es bleibt ihr noch das Bittere zu erzählen von dieser bis hierhin süßen Geschichte.«

»Und ob!« erwiderte die Gräfin; »und ob noch das Bittere erübrigt! Und zwar so bitter, daß im Vergleich damit Koloquinten süß und Oleanderblätter wohlschmeckend sind. Nachdem die Königin gestorben, also nicht in Ohnmacht gefallen war, begruben wir sie, und kaum hatten wir sie mit Erde bedeckt und kaum ihr das letzte Lebewohl gesagt, ach!

Quis talia fando temperet a lacrimis?

da, auf einem hölzernen Pferde sitzend, erschien über der Grabstätte der Königin der Riese Malambruno, Maguncias leiblicher Vetter, der nicht nur ein grausamer Mensch, sondern auch noch ein Zauberer ist; und um Don Clavijo für seine Vermessenheit zu strafen sowie aus Ärger über Antonomásias Maß- und Zuchtlosigkeit verzauberte er beide auf der Grabstätte selbst und bannte sie da fest, sie in einen Affen aus Erz verwandelt und ihn in ein scheußliches Krokodil aus einem unbekannten Metall; und zwischen beiden ein Gedenkmal, ebenfalls aus Metall; mit einer Inschrift in syrischer Sprache, die, auf candayisch und jetzt auf spanisch wiedergegeben, folgenden Spruch enthält:

Nicht eher wird dies vermessene Liebespaar
seine frühere Gestalt wiedererlangen,
bis der kriegsmutige Manchaner sich mit mir im
Einzelkampfe misset, denn seiner
Heldenhaftigkeit allein will das Geschick dies
nie noch dagewesene Abenteuer vorbehalten.

Dies vollbracht, zog er seinen breiten ungeheuren Säbel aus der Scheide, packte mich an den Haaren und machte Miene, als wolle er mir die Gurgel durchschneiden und mir, Rumpf und Stumpf, den Kopf abhauen. Ich erstarrte vor Angst, die Zunge klebte mir am Gaumen, ich war außer mir; aber dabei nahm ich dennoch alle Kraft zusammen und beschwor ihn mit zitternder, kläglicher Stimme so, daß er die Vollziehung einer so strengen Strafe einstweilen vertagte. Endlich hieß er sämtliche Kammerfrauen des Palastes vor sich bringen, es waren dies die hier anwesenden, und nachdem er uns unsere Schuld mit großer Übertreibung zu Gemüte geführt und die Sinnesart der Kammerfrauen, ihre argen Ränke und noch ärgeren Anschläge tüchtig gescholten und allen die Schuld aufgebürdet hatte, die doch nur die meinige war, sagte er, er wolle uns nicht mit der Todesstrafe büßen lassen, sondern mit andern lang wirksamen Strafen, die uns für immer bürgerlich tot machen sollten. Und im Nu und im nämlichen Augenblick, als das letzte Wort gesprochen, fühlten wir alle, wie sich uns die Poren im Antlitz öffneten und wie es uns im ganzen Gesicht wie mit Nadelspitzen stach. Sogleich fuhren wir mit den Händen über Kinn und Wangen und fanden uns in dem Zustande, welchen ihr jetzt sehen sollt.«

Und die Schmerzenreich und die andern Kammerfrauen hoben sofort die Schleier, in die sie bisher verhüllt waren, und ließen ihre Gesichter, ganz mit Bärten bewachsen, sehen, hier mit blonden, dort mit schwarzen, hier mit weißen, dort mit grauen. Über diesen Anblick zeigten sich der Herzog und die Herzogin höchlich verwundert, Don Quijote und Sancho starr vor Erstaunen und alle anderen Anwesenden außer sich vor Überraschung.

Und die Trifaldi fuhr fort: »Solchergestalt hat uns der feige Bösewicht, der Schelm von Malambruno, mißhandelt, hat die Zartheit und schwellende Weichheit unsrer Angesichter mit der struppigen Rauheit dieser Borsten überdeckt. O wollte der Himmel, er hätte uns lieber mit seinem ungeheuern Säbel die Hirnschale eingeschlagen, als daß er das Licht unserer Wangen mit diesem üblen Werg überschattet hätte, das uns nun umhüllt! Denn, meine Herrschaften, wenn wir uns die Sache recht überlegen – und was ich anitzo sagen will, da möchte ich, daß bei meinen Worten meine Augen zu lebendigen Bronnen würden; allein die ständige Betrachtung unseres Unglücks und all die Meere von Tränen, die diese Augen bisher schon herniedergeregnet haben, die haben ihnen alles Naß entzogen und sie so trocken gemacht wie Stroh, und mithin will ich es ohne Tränen sagen –, so sag ich denn: wohin soll eine Kammerfrau mit Bart sich wenden? Welchen Vater oder welche Mutter wird es ihrer erbarmen? Wer wird ihr Hilfe spenden? Denn sogar wenn sie eine glatte Haut hat und selbige mit tausenderlei Salben und Pomaden martert, findet sie kaum einen, der sie mag; was aber soll sie anfangen, wenn sie ein Gesicht aufweist, das zum Buschwald geworden? O werte Kammerfrauen und Gefährtinnen! In einem unseligen Augenblicke sind wir zur Welt geboren, zu unglücklicher Stunde haben unsre Väter uns gezeugt!«

Und bei diesen Worten war es, als wolle sie in Ohnmacht fallen.

34. Kapitel


Welches berichtet, wie man Kunde erhielt, auf welche Weise die unvergleichliche Dulcinea solle entzaubert werden, eine der preisenswertesten Aventüren in diesem Buche

Groß war das Vergnügen, das der Herzog und die Herzogin an der Unterhaltung mit Don Quijote und Sancho Pansa fanden; sie wurden dadurch in ihrem Vorhaben bestärkt, die beiden mit ein paar lustigen Streichen anzuführen, die ganz wie Abenteuer aussähen und wirkten, und was ihnen Sancho Pansa von der Höhle des Montesinos erzählt hatte, diente ihnen als Ausgangspunkt, um dem fahrenden Paar einen Possen von ganz besondrer Art zu spielen. Worüber sich indessen die Herzogin am meisten wunderte, war, daß Sanchos Einfalt so weit ging, zuletzt an Dulcineas Verzauberung als eine unfehlbare Wahrheit zu glauben, während er doch selbst bei dieser Sache der Zauberkünstler und der Anstifter gewesen.

Nachdem sie nun ihren Dienern Anweisung erteilt hatten, was sie alles tun sollten, führten sie Don Quijote sechs Tage später zu einer Treibjagd mit einem solchen Gefolge von Jägern und Schützen, wie es nur ein gekrönter König hätte mitführen können. Sie gaben Don Quijote einen Jagdanzug und Sancho gleichfalls einen solchen von feinstem grünem Tuch; allein Don Quijote wollte ihn nicht anlegen, weil er nächster Tage zum rauhen Waffenhandwerk zurückkehren müsse und keinen Kleiderkasten noch Schränke mitnehmen könne. Sancho jedoch nahm den ihm geschenkten an in der Absicht, ihn bei der ersten besten Gelegenheit zu verkaufen.

Als nun der erwartete Tag herangekommen war, legte Don Quijote seine Rüstung an, Sancho aber sein Jagdkleid, und auf seinem Grauen, von dem er sich, obschon man ihm ein Pferd gab, nicht trennen wollte, mischte er sich unter die Schar der Jäger. Die Herzogin erschien in prächtigem Aufzug, und Don Quijote führte aus lauter Höflichkeit und feiner Sitte ihren Zelter am Zügel, obwohl der Herzog es nicht zugeben wollte. Endlich kamen sie zu einem Gehölz zwischen zwei sehr hohen Bergen, wo, nachdem die Jagdstände besetzt und die Treiber ordentlich verteilt waren, die Jagd mit großem Hallo, Rufen und Schreien begann, so daß einer den andern vor lauter Hundegebell und dem Schall der Hifthörner nicht hören konnte. Die Herzogin stieg ab. Einen scharfen Jagdspieß in der Hand, stellte sie sich an einem Punkt auf, wo sie wußte, daß Wildsauen zu wechseln pflegten. Auch der Herzog und Don Quijote stiegen ab und stellten sich ihr zur Seite. Sancho nahm seinen Posten hinter ihnen allen, ohne von seinem Grauen abzusteigen, den er nicht unbeschützt zu lassen wagte, damit ihm nichts zustieße.

Kaum hatten sie Posten gefaßt und sich mit zahlreichen Dienern im Flügel aufgestellt, als ein ungeheurer Keiler, von den Hunden gehetzt und von den Jägern verfolgt, gegen sie heranstürzte, die Zähne und Hauer wetzend und Schaum aus dem Rachen sprühend. Sobald Don Quijote ihn erblickte, nahm er den Schild in den Arm, zog das Schwert und trat vor, um ihn anrennen zu lassen, und das nämliche tat der Herzog mit seinem Jagdspieß. Allen aber wäre die Herzogin zuvorgekommen, wenn der Herzog sie nicht daran gehindert hätte. Nur Sancho, als er das gewaltige Tier zu Gesicht bekam, ließ seinen Grauen im Stich, rannte aus Leibeskräften davon und wollte auf eine hohe Eiche klettern, aber es gelang ihm nicht; vielmehr, als er schon bis zur Mitte des Baumes gestiegen war und, einen Ast ergreifend, sich abarbeitete, um auf den Gipfel zu gelangen, da sah er sich so vom Glück verlassen und so vom Mißgeschick heimgesucht, daß der Ast brach und er beim Herabfallen an einem Aststummel hängenblieb, ohne zum Boden hinabgelangen zu können. Wie er sich nun in solcher Lage sah, den grünen Jagdrock zerrissen, und es ihn deuchte, wenn das grimme Tier bis zu dieser Stelle käme, so könnte es zu ihm hinaufreichen, begann er so durchdringend zu schreien und so gewaltig um Hilfe zu rufen, daß alle, die ihn hörten und ihn nicht sahen, glaubten, er stecke einer wilden Bestie zwischen den Zähnen. Doch der Keiler mit den mächtigen Hauern wurde endlich durchbohrt vom Eisen zahlreicher Jagdspieße, die man ihm entgegenstreckte; und als Don Quijote seine Augen nach Sanchos Geschrei hinwendete, sah er ihn mit dem Kopf nach unten an der Eiche hangen, und bei ihm stand der Graue, der ihn in seinem Unglück nicht im Stiche lassen wollte. Auch sagt Sidi Hamét, er habe gar selten Sancho Pansa ohne den Esel und den Esel ohne Sancho Pansa gesehen; so große Freundschaft und Treue bewahrten sie einander.

Don Quijote kam herbei und holte Sancho vom Baume herunter, und als dieser sich frei und auf dem sicheren Boden sah, betrachtete er die Risse in seinem Jagdrock, und es tat ihm in der Seele weh, denn er meinte, er besitze in dem Rock ein Rittergut.

Indem brachte man den gewaltigen Keiler, auf einem Saumtier querüber liegend und mit Büscheln Rosmarin und Myrtenzweigen bedeckt, als Siegesbeute nach einem großen Jagdzelt, das mitten im Gehölze aufgeschlagen war. Hier fand man die Tische schon in Ordnung und das Mahl bereit, so kostbar und großartig, daß man daran wohl die hohe Würde und Prachtliebe des Gastgebers erkennen konnte. Sancho zeigte der Herzogin die offenen Wunden seines zerrissenen Kleides und sagte: »Wäre dies eine Jagd auf Hasen oder Kleingeflügel gewesen, dann wäre mein Rock vor solchen Nöten sicher geblieben. Ich weiß wirklich nicht, was man für Vergnügen daran haben kann, zu warten, bis so eine Bestie herankommt, die, wenn sie euch mit einem Hauer trifft, euch das Leben nehmen kann. Ich erinnere mich, ich habe einmal eine alte Romanze singen hören, in der es heißt:

Mögen dich die Bären fressen,
Gleich wie Fávila den Hehren.«

»Dieser Fávila war ein gotischer König«, sagte Don Quijote, »den ein Bär auffraß, als er jagen ging.«

»Das sag ich ja gerade«, versetzte Sancho; »ich kann es nicht leiden, wenn sich die Fürsten und Könige in dergleichen Gefahren begeben, einem Vergnügen zuliebe, das meiner Meinung nach keines sein sollte, da es darin besteht, ein Tier umzubringen, das gar nichts Böses getan hat.«

»Im Gegenteil, Ihr seid im Irrtum, Sancho«, entgegnete der Herzog; »denn die hohe Jagd ist eine körperliche Übung, die für Könige und Fürsten notwendiger ist als irgendeine. Die Jagd ist ein Abbild des Kriegs, bei ihr haben wir gar manche Kriegslist, manchen schlauen Anschlag und Hinterhalt, um den Feind ohne Gefahr zu besiegen; bei ihr erduldet man die strengste Kälte und unerträgliche Hitze und vergißt Schlaf und Müßiggang; die Kräfte werden gestärkt und die Glieder geschmeidig gemacht – kurz, es ist eine Leibesübung, die vielen Vergnügen macht und keinem schadet; und das beste daran ist, daß sie nicht für jedermann ist, wie es die übrigen Arten der Jagd sind, ausgenommen die Falkenjagd, die auch nur für Könige und große Herren ist. Also, werter Sancho, ändert Eure Ansicht, und wenn Ihr einmal Statthalter seid, beschäftigt Euch mit der Jagd, und Ihr werdet sehen, für einen ausgelegten Groschen trägt sie Euch hundert ein.«

»Das nicht«, entgegnete Sancho. »Was ein guter Statthalter ist, bleibt daheim, mag nicht hinaus, bricht lieber das Bein und bleibt zu Haus. Das wär nicht übel, wenn die Geschäftsleute zu ihm kämen, ganz müde vom Weg, und er wäre im Wald, sich zu erlusten; da ging’s mit dem Statthaltern schön bergab! Meiner Treu, Jagd und sonstiger Zeitvertreib sind gewiß eher für Tagediebe da als für Statthalter. Womit ich mich aber zu unterhalten gedenke, das ist das Trumpfspiel an den vier hohen Festtagen und Kegelschieben an Sonn- und kleinen Feiertagen, denn all das Jagen widersteht meinem Sinn und geht mir wider das Gewissen.«

»Gott gebe, daß es sich so bewähre, Sancho«, meinte der Herzog, »denn vom Gesagt zum Getan ist’s eine lange Bahn.«

»Mag sie so lang sein, wie sie mag«, versetzte Sancho; »den guten Zahler drückt kein Pfand, und besser schafft, wem Gott beisteht, als wer noch so früh aufsteht; und der Bauch ernährt die Füße, nicht aber die Füße den Bauch. Damit will ich sagen: wenn Gott mir beisteht und ich tue nach Wissen und Gewissen meine Pflicht, so werde ich gewiß beim Regieren meinen Weg besser finden als ein Jagdfalke. Oder es soll mir einer einmal auf den Zahn fühlen, und da kann er sehen, ob ich zubeiße oder nicht!«

»Vermaledeit sollst du sein von Gott und all seinen Heiligen, vermaledeiter Sancho«, sprach Don Quijote. »Wann wird einmal der Tag kommen, wie ich dir schon so oft gesagt habe, wo ich dich einen glatten zusammenhängenden Satz ohne Sprichwörter sagen höre? Wollen doch Eure Hoheiten diesen Toren gehen lassen, verehrte Herrschaften; er wird Euren Geist wie zwischen Mühlsteinen nicht zwischen zwei, sondern zwischen zweitausend Sprichwörtern zerreiben, die er so passend und so im richtigen Augenblick beibringen wird, so wahr Gott ihm Gesundheit verleihen möge – oder mir, wenn ich sie anhören wollte.«

»Sancho Pansas Sprichwörter«, bemerkte die Herzogin, »sind zwar zahlreicher als die des griechischen Komturs, aber darum nicht weniger zu schätzen wegen der Kürze ihres kernigen Ausdrucks. Von mir wenigstens kann ich sagen, daß sie mir mehr Vergnügen machen als andere, auch wenn diese passender beigebracht und schicklicher angewendet würden.«

Unter diesen und andern unterhaltenden Gesprächen begaben sie sich aus dem Zelte in den Wald, und mit dem Absuchen verschiedener Jagdstände verging ihnen der Tag, und es brach die Dunkelheit über sie herein. Jedoch war der Abend nicht so hell und nicht so ruhig, wie es die Jahreszeit erheischte – es war nämlich um die Mitte des Sommers –, vielmehr herrschte ein gewisses Helldunkel, das dem Vorhaben des herzoglichen Paares äußerst dienlich war. Kurz vor der Dämmerung schien nämlich mit einemmal der Wald auf allen vier Seiten in Brand zu stehen, und plötzlich hörte man hier und dort, hüben und drüben, unzählige Schlachthörner und andres Kriegsgetöne, als ob zahlreiche Reiterscharen den Wald durchzögen. Der Schein des Feuers, der Klang der kriegerischen Instrumente blendete und betäubte Augen und Ohren der Umstehenden, ja aller, die sich im Walde befanden.

Alsbald hörte man tausendfaches La-Illáh-il-Alláh nach Art der Mauren, wenn sie in die Schlacht ziehen; es erschollen Trompeten und Zinken, wirbelten Trommeln, erklangen Pfeifen, alle fast auf einmal, so anhaltend und so stürmisch, daß man nicht hätte bei Sinnen sein müssen, um nicht von Sinnen zu kommen bei dem wirren Zusammenklang so vieler Instrumente. Der Herzog war ganz außer sich, die Herzogin war starr, Don Quijote in großer Verwunderung, Sancho zitterte, ja selbst die Mitwisser erschraken. Mit der Furcht, die sie packte, kam über sie eine tiefe Stille, und zugleich ritt ein Postillon in der Tracht eines Dämons vor sie hin, der ein ungeheures ausgehöhltes Ochsenhorn blies, das einen heiser schnarrenden entsetzlichen Ton von sich gab.

»Holla, Freund Kurier«, rief der Herzog, »wer seid Ihr, und wohin wollt Ihr?«

Darauf antwortete der Kurier mit grausiger und wilder Stimme: »Ich bin der Teufel; ich suche den Don Quijote von der Mancha. Die Leute, die da heranziehen, sind sechs Scharen Zauberer, welche auf einem Triumphwagen die unvergleichliche Dulcinea von Toboso mit sich führen; sie kommt verzaubert daher mit dem tapferen Franzosen Montesinos, um Don Quijote anzuweisen, wie besagtes Fräulein zu entzaubern sei.«

»Wenn Ihr der Teufel wäret, wie Ihr sagt und wie Euer Aussehen zeigt«, sprach der Herzog, »hättet Ihr bereits den Ritter Don Quijote von der Mancha erkannt, da Ihr ihn vor Euch habt.«

»Bei Gott und meinem Gewissen«, antwortete der Teufel, »ich habe nicht darauf achtgegeben, denn ich muß meine Gedanken nach allen Seiten auf so vielerlei Sachen richten, daß mir die Hauptsache, derentwegen ich herkam, in Vergessenheit geraten ist.«

»Ganz gewiß«, sprach Sancho, »muß dieser Teufel ein braver Kerl und frommer Christ sein, sonst tät er nicht bei Gott und seinem Gewissen schwören. Jetzt bin ich überzeugt, daß es sogar in der Hölle brave Leute gibt.«

Alsbald wandte der Teufel sein Antlitz dem Ritter Don Quijote zu und sprach, ohne abzusteigen: – »Zu dir, dem Löwenritter, – könnte ich dich doch in den Klauen der Löwen sehen! –, sendet mich der unglückselige, aber tapfere Ritter Montesinos und läßt dir in seinem Namen sagen, just an dem Orte, wo ich dich finden würde, sollest du ihn erwarten, dieweil er die Dame mit sich führt, die man Dulcinea von Toboso benennet, auf daß er dir die Weisung erteile, wie ihre Entzauberung zu bewerkstelligen ist. Und weil mein Kommen weiter keinen Zweck hat, ist meines Bleibens länger nicht. Dich mögen Teufel geleiten wie ich, gute Engel aber diese Herrschaften!«

Darauf blies er wieder sein ungeheuerliches Horn, wendete den Rücken und zog von dannen, ohne eine Antwort abzuwarten. In neues Erstaunen gerieten hier alle, besonders Sancho und Don Quijote: Sancho, weil er sah, daß der Wahrheit zum Trotz Dulcinea verzaubert sein sollte; Don Quijote, weil er noch immer nicht zur Gewißheit kommen konnte, ob seine Erlebnisse in der Höhle des Montesinos Wirklichkeit seien oder nicht. Während er noch immer in diesen Gedanken verzückt war, fragte ihn der Herzog: »Gedenket Euer Gnaden zu warten, Señor Don Quijote?«

»Warum nicht?« antwortete er; »hier will ich unverzagt und starkmütig warten, und käm auch die ganze Hölle, mich anzufallen. «

»Ich aber«, sagte Sancho, »wenn ich wieder einen Teufel zu sehen und ein Horn zu hören bekomme wie vorhin, dann warte ich hier am Ort so gewiß, als ich jetzt draußen bei den Truppen in Flandern stehe.«

Unterdessen war die Nacht tiefer hereingebrochen, und es begannen zahlreiche Lichter durch den Wald zu irren, geradeso wie am Himmel die trockenen Ausdünstungen der Erde umherschweifen, welche unsern Augen wie fallende Sterne erscheinen. Zugleich vernahm man ein grausiges Gepolter, ähnlich dem jener schweren Balkenräder, die man an Ochsenkarren sieht und vor deren fortwährendem heftigem Stoßen und Knarren, wie man sagt, die Wölfe und Bären flüchten, wenn es solche da gibt, wo diese Karren vorüberfahren. Zu diesem ganzen Unwetter kam noch eines, das alles andre übertobte: es schien nämlich geradeso, als ob auf allen vier Seiten des Waldes zugleich vier Treffen oder Schlachten geliefert würden, denn an einer Seite erscholl das mächtige Donnern furchtbarer Geschütze, anderwärts wurde aus unzähligen Musketen gefeuert, schier dicht dabei erschollen die Rufe der kämpfenden Krieger, weiterhin hörte man aufs neue das La-Illáh-il-Alláh der Söhne Hagars. Kurz, die Jagd- und Waldhörner, die Ochsenhörner; die Trompeten, die Oboen und Zinken, die Trommeln, das Geschütz, die Musketen und vor allem das erschreckliche Knarren und Dröhnen der Karren, das alles zusammen bildete ein so wirres, so grausiges Gelärm, daß Don Quijote all seine Herzhaftigkeit zu Hilfe nehmen mußte, um es auszuhalten. Aber Sanchos Mut sank danieder, er fiel ohnmächtig der Herzogin gerade in die Schöße ihres Gewandes; sie fing ihn darin auf und befahl eiligst, ihm Wasser ins Gesicht zu spritzen.

Das geschah, und er kam wieder zu sich, im Augenblick, wo gerade einer der Karren mit den knarrenden Rädern dort bei dem Jagdstand anlangte. Es zogen ihn vier langsam schreitende Ochsen, alle prächtig mit schwarzen Schabracken behangen; an jedem Horn trugen sie eine brennende Wachsfackel festgebunden, und oben auf dem Karren war ein hoher Sitz angebracht, auf dem ein ehrwürdiger Greis saß mit einem Barte, weißer als Schnee und so lang, daß er ihm bis unter den Gürtel reichte; bekleidet war er mit einem langen Mantel von schwarzem Barchent. Da der Karren mit zahllosen Lichtern besteckt war, konnte man alles darauf Befindliche erkennen und unterscheiden. Den Karren führten vier scheußliche Teufel, in den nämlichen Barchent gekleidet, mit so scheußlichen Gesichtern, daß Sancho, nachdem er sie einmal angeblickt, die Augen schloß, um sie nicht noch einmal zu sehen. Als nun der Karren ganz herangekommen war, erhob sich der ehrwürdige Greis von seinem Sitze, stellte sich aufrecht und rief mit mächtiger Stimme: »Ich bin der Zauberer Lirgandéo«; und der Karren zog fürbaß, ohne daß der Greis ein Wort hinzugefügt hätte.

Diesem Karren folgte ein andrer von gleicher Art, auf dem wieder ein Greis thronend saß; dieser ließ den Karren halten und sprach mit nicht minder feierlichem Ton: »Ich bin der Zauberer Alquife, der vertraute Freund Urgandas der Unerkannten.« – Und er zog fürbaß.

Alsbald kam ein dritter Karren, von außen und innen wie der vorige; aber auf dem Throne saß kein Greis wie die andern, sondern ein kräftiger Mann von bösartigem Aussehen, der, als er herannahte, wie die andern aufstand und mit einer noch rauheren, teuflischeren Stimme sprach: »Ich bin Arkalaus der Zauberer, der Todfeind des Amadís von Gallien und seiner ganzen Sippschaft.« – Und er zog fürbaß.

Nicht weit von da machten die drei Karren halt, das widerwärtige Gelärm ihrer Räder hörte auf, und man vernahm dafür ein andres, nicht Gelärm, sondern Getöne, von einer süßen und wohlklingenden Musik herrührend. Darob ward Sancho froh und hielt es für ein gutes Zeichen, und er sprach daher zur Herzogin, von der er sich keinen Augenblick und keinen Schritt weit entfernte: »Señora, wo Musik ist, da kann nichts Böses sein.«

»Auch wo Licht und Helle ist«, erwiderte die Herzogin.

Darauf entgegnete aber Sancho: »Licht gibt auch das Feuer und Helle der Scheiterhaufen, wie wir es an den Flammen sehen, die uns umringen, und es wäre wohl möglich, daß sie uns verbrennen; aber die Musik ist immer ein Zeichen der Freuden und Festlichkeiten.«

»Das wird sich finden«, sagte Don Quijote, der alles mit angehört hatte; und er sagte wahr, wie sich in folgendem Kapitel zeigen wird.

35. Kapitel


Wo über die Weisung, die Don Quijote betreffs der Entzauberung Dulcineas erhielt, weiter berichtet wird, nebst anderen, staunenswerten Begebnissen

Nach dem Takte der lieblichen Musik kam ein Karren oder Wagen auf sie zu, einer von der Art, die man Triumphwagen nennt, von sechs grauen Maultieren gezogen, die mit weißem Linnen behangen waren. Auf jeglichem saß ein Kerl, aussehend wie einer, der zur Kirchenbuße geführt wird, das heißt ebenfalls weißgekleidet und mit einer großen brennenden Wachsfackel in der Hand. Der Karren war zwei- oder auch dreimal so groß als die vorigen, und an den Seiten, sowie oben darauf, befanden sich noch zwölf solcher Bußbrüder in schneeweißen Kitteln, alle mit brennenden Fackeln, ein Anblick, der ebenso wunderbar wie schauerlich war; und auf einem hohen Throne saß eine Maid, gehüllt in zahllose Schleier aus Silberflor, durch welche allwärts zahllose Goldflitter hindurchglitzerten, so daß ihr Gewand wenn nicht reich, so doch blendend war. Ihr Angesicht war in einen feinen durchsichtigen Schleier gehüllt, dessen Gewebe nicht hinderte, daß man ein wunderschönes Mädchengesicht erblickte, und die vielen Lichter gestatteten es, dessen Schönheit und Alter zu erkennen, das zwischen zwanzig und siebzehn Jahren zu liegen schien. Neben ihr saß eine Gestalt, in ein langes Schleppkleid bis über die Füße gehüllt, den Kopf mit einem schwarzen Schleier bedeckt. Im Augenblick aber, wo der Wagen dem herzoglichen Paare und Don Quijote gegenüber hielt, schwiegen die Oboen und gleich darauf die Harfen und Lauten, die auf dem Karren erklangen, und die Gestalt im Schleppkleide erhob sich, schlug das Gewand nach beiden Seiten auseinander, nahm den Schleier vom Kopf und zeigte sich allen Augen als die leibhaftige Gestalt des Todes, des häßlichen Gerippes. Darüber empfand Don Quijote Mißbehagen, Sancho zitterte vor Furcht, und auch Herzog und Herzogin zeigten sich ein wenig ängstlich.

Dieser lebendige Tod erhob sich, stellte sich aufrecht und begann mit einer Stimme, die ziemlich schläfrig, und einer Sprache, die gerade nicht sehr aufgeweckt war, folgendermaßen zu reden:

»Ich bin Merlin, der, wie in den Geschichten
Es heißt, den Teufel selbst zum Vater hatte;
’s ist Lüge, die allmählich Glauben fand.
Ich bin der Fürst der Zauberkunst, der König
Und Inbegriff von Zoroasters Weisheit,
Im Kampf stets mit der Feindschaft der Jahrhunderte,
Die zu verdunkeln trachtet die gewaltgen
Großtaten der beherzten fahrenden Ritter,
Die ich in Liebe stets gehegt und hege.

Und wenn auch allezeit die weisen Zaubrer,
Die Magier oder Magiker, die schlauen,
Hart von Gemüte sind und rauh und strenge,
Das meine doch ist weich und mild und liebreich,
Und allem Volke wohlzutun geneiget.

Es drang zu Plutos traurig dunkeln Höhlen
(Wo meine Seele sich damit vergnügte,
Zu ziehn gewisse Linien und Figuren)
Der Schmerzensruf der Jungfrau ohnegleichen,
Der schönen Dulcinea von Toboso.

Ihr Unglück samt Verzauberung vernahm ich,
Und die Verwandelung aus edler Dame
Zu einer Bäuerin vom Dorf; mich schmerzt‘ es,
Und ich durchblättert‘ hunderttausend Bücher,
Die meine teuflisch argen Künste lehren,
Und sperrte meinen Geist dann in den hohlen
Raum dieses grimmen schrecklichen Gerippes
Und komme nun, das Rettungsmittel spendend,
Das hilfreich solchem Schmerz und solchem Wehe.

Du aber, Ruhm und Ehr all derer, welche
Sich kleiden ins Gewand von Stahl und Demant,
Du Licht und Leuchte, Leitstern, Pfad und Führer
All jener, die, sich dumpfem Schlaf entreißend
Und trägen Daunen, eifrig sich bereiten,
Das unerträglich harte Werk zu üben
Der blutigen und drückend schweren Waffen:

Dir sag ich, edler Mann, du nie so würdig,
Wie dir gebührt, gepriesner, du mannhafter
Zugleich und hochverständiger Don Quijote,
O du, der Mancha Glanz, der Stern Hispaniens:
Damit sie ihren früheren Zustand wieder
Erlangen möge, sie, die ohnegleichen,
Die hohe Dulcinea von Toboso,
Ist’s nötig, daß sich selbst dein Knappe Sancho
Dreitausend Hiebe und dreihundert gebe
Hier auf sein mächtig Paar Sitzteile, beide
Den Lüften ganz entblößt, und zwar so kräftig,
Daß ihn die Hiebe brennen, schmerzen, ärgern.
Dies ist Beschluß all jener Zaubrer, deren
Gewalt die Maid mit solchem Gram beschwerte,
Und dies ist meines Kommens Zweck, Verehrte.«

»Hol mich der und jener!« rief Sancho; »dreitausend Hiebe? Auch nur drei gebe ich mir ebensowenig wie drei Dolchstöße. Hol der Teufel diese Entzauberungs-Manier; ich weiß nicht, was meine Sitzteile mit den Zaubersachen zu tun haben. Bei Gott, wenn der Herr Merlin keine andre Manier gefunden hat, das Fräulein Dulcinea von Toboso zu entzaubern, kann sie verzaubert in die Grube fahren.«

»Wahrlich, ich will Ihn fassen«, rief Don Quijote, »Er Bauernlümmel, Er Knoblauchfresser, und will Ihn an einen Baum anbinden, nackt und bloß, wie Er aus dem Mutterleib gekommen, und will Ihm, ich sage nicht dreitausenddreihundert, sondern scchstausendsechshundert Hiebe aufmessen, und die sollen so gut sitzen, daß Er sich dreitausenddreihundertmal schütteln kann und schüttelt sie nicht ab; und sag Er mir kein Wort, oder ich reiße Ihm die Seele aus dem Leib!«

Als Merlin das hörte, sagte er: »Nein, so darf es nicht sein, denn die Hiebe, die er empfangen soll, darf er nur aus freiem Willen und nicht mit Gewalt bekommen und nur dann, wann er es will, da ihm keine Frist dazu gesetzt ist. Jedoch wenn er die ihm auferlegte Pön mit der Hälfte dieser Prügel abkaufen will, darf er sie sich von fremder Hand geben lassen, wenn es auch eine etwas schwere Hand sein sollte.«

»Weder fremde noch eigene Hand, weder eine schwere noch eine beschwerte«, entgegnete Sancho; »mich soll keine Hand berühren. Hab ich vielleicht das Fräulein Dulcinea von Toboso auf die Welt gesetzt, daß meine Sitzteile büßen sollen, was ihre Augen gesündigt haben? Mein Herr, der Ritter, ist der Mann dazu, denn sie ist ein Teil von ihm selbst; da er sie auf Schritt und Tritt ›mein Leben‹ und ›meine Seele‹ nennt, seine Stütze und seinen Stab, so kann und soll er sich die Hiebe für sie aufstreichen und alle erforderlichen Maßregeln zu ihrer Entzauberung vornehmen; aber ich mir Hiebe versetzen? Da sei Gott für!«

Kaum hatte Sancho ausgesprochen, als die Maid im Silbergewand, die bei Merlins Geist saß, sich erhob, den dünnen Schleier zurückschlug und ein Antlitz zeigte, das allen mehr als allzu reizend erschien; dann aber wendete sie sich mit der dreisten Unbefangenheit eines Mannes geradeswegs an Sancho und sprach mit einer nicht gerade weiblichen Stimme: »O du unglückseliger Schildknappe, du Waschlappenseele, du Herz von Eichenholz, du Gemüt von Kiesel und Feuerstein! Wenn man dir geböte, du Schelm, du frecher Geselle, du solltest dich von einem hohen Turme herabstürzen; wenn man von dir verlangte, du Feind des Menschengeschlechts, du solltest ein Dutzend Kröten, zwei Dutzend Eidechsen und drei Dutzend Schlangen aufessen; wenn man dir zumuten wollte, du solltest dein Weib und deine Kinder mit einem grausigen scharfen Mohrensäbel morden, da war’s kein Wunder, wenn du dich sträubtest und wehrtest. Aber aus dreitausenddreihundert Hieben sich was zu machen, die doch der nichtsnutzigste Schulknabe allmonatlich bekommt, das erstaunt, erschüttert, entsetzt die erbarmungsreichen Herzen derer, so es anhören, ja all jener, die einst im Verlauf der Zeiten dessen Kunde erlangen werden. Wende, o du elende und herzverhärtete Bestie, wende, sag ich, diese deine scheuen Eulenaugen, wende sie auf die Pupillen meiner Äuglein hier, die vergleichbar funkelnden Sternen, und du wirst sehen, wie sie Tränen vergießen, Tropfen um Tropfen und Bäche auf Bäche, die da Furchen und Pfade und Wege eingraben auf den holden Fluren meiner Wangen. Erbarme dich, du böswilliges Ungetüm, meines blühenden Alters, das die Zwanzig noch nicht erreicht hat, denn ich zähle erst neunzehn Jahre, und das sich verzehren und welken muß unter der Rinde einer Bauerndirne, die ackert und pflügt; und wenn ich anitzo nicht als solche erscheine, so ist’s eine besondere Gnade, die mir der hier gegenwärtige Señor Merlin nur deshalb erwiesen hat, damit meine Reize dich erweichen mögen; können doch die Tränen einer schmerzbedrückten Schönheit Felsen in Baumwollflocken und Tiger in Lämmer verwandeln. Haue dir, haue dir auf dein strotzendes Fleisch, du ungezähmtes Untier, und reiß aus seiner Trägheit heraus deinen Mut, der dich bis jetzt nur zum Essen und immer Essen antreibt, und setze in Freiheit die Glätte meiner Haut, die Zartheit meiner Gestaltung und die Reize meines Angesichts. Und willst du dich nicht um meinetwillen erweichen und zur Vernunft bringen lassen, so tu es um dieses armen Ritters willen, den du hier dir zur Seite siehst; um deines Freundes willen, sag ich, denn ich sehe seine Seele ihm schon quer in der Kehle stecken, keine zehn Zoll weit von den Lippen, und sie wartet nur auf deine grausame oder freundliche Antwort, um entweder zum Munde herauszufahren oder wieder in den Magen zurückzukehren.«

Als Don Quijote das hörte, fühlte er sich an die Kehle und sagte, zum Herzog gewendet: »Bei Gott, Señor, Dulcinea hat wahr geredet; hier hab ich die Seele quer in der Kehle sitzen wie die Nuß an der Armbrust.«

»Was sagt Ihr aber dazu, Sancho?« fragte die Herzogin.

»Ich sage, Señora«, antwortete Sancho, »was die Hiebe angeht: Da sei Gott für!«

»Da sei Gott vor, müßt Ihr sagen, Sancho, und nicht so, wie Ihr Euch ausdrückt«, sprach der Herzog.

»Laßt mich, bitt ich Eure Hoheit«, entgegnete Sancho; »ich bin jetzt nicht in der Stimmung, auf Spitzfindigkeiten zu sehen oder auf einen Buchstaben mehr oder weniger, denn ich bin so verstört über die Hiebe, die ich bekommen oder mir selber aufmessen soll, daß ich nicht weiß, was ich sage und was ich tue. Aber ich möchte wohl von meinem gnädigen Fräulein, dem Fräulein Dulcinea von Toboso, hören, wo sie ihre besondere Manier zu bitten gelernt hat. Sie kommt und verlangt von mir, ich soll mir die Haut mit Hieben zerfetzen, und heißt mich eine Waschlappenseele und ein ungezähmtes Untier nebst einem ganzen Haufen von ähnlichen Schimpfnamen, der Teufel mag sie sich gefallen lassen. Hab ich etwa Haut und Fleisch von Erz? Oder steht bei mir etwas auf dem Spiel, ob sie entzaubert oder nicht entzaubert wird? Was für einen Korb mit Weißzeug, Hemden, Kopftüchern und Socken, obgleich ich dergleichen nicht trage, bringt sie mir her, um mich freundlich zu stimmen? Nichts als ein Schimpfwort über das andere, während sie doch das Sprichwort kennt, das hierzulande bräuchlich ist: Ein Esel mit Gold beladen klettert leicht über den Berg, und Geschenke sprengen Felsen, und auf Gott sollst du vertrauen und mit der Keule hauen; und ein Hab-ich ist mehr wert als zwei Hätt-ich. Und hier der Señor, mein Dienstherr, der mir gütlich über den Berg helfen sollte, und sollte mich hätscheln, damit ich weich würde wie Wolle und gekrempelte Baumwolle, der sagt, wenn er mich zu fassen kriegt, will er mich nackt und bloß an einen Baum anbinden und mir doppelt so viele Hiebe geben. Und doch hätten diese Herrschaften in ihrem großen Mitleid bedenken sollen, daß sie nicht nur einem Schildknappen, sondern einem Statthalter zumuten, sich durchzuhauen; wie man zum Durstigen sagt: Trinke mit Sauerkirschen! Ihr sollt lernen, Schwerenot! Ihr sollt erst lernen, wie man zu bitten hat und wie man zu verlangen hat und wie man sich höflich benimmt; denn eine Zeit ist nicht wie die andere, und die Menschen sind nicht immer bei guter Laune. Jetzt im Augenblick möcht ich bersten vor Leid, weil ich meinen grünen Rock zerfetzt an mir sehe, und da kommen sie und verlangen von mir, ich soll mich aus freiem Willen hauen, während mein freier Wille so wenig damit zu tun hat, als daß ich ein Kazike werde.«

»Nun dann, Freund Sancho«, sprach der Herzog, »wenn Ihr nicht doch noch weich werdet wie eine reife Feige, wahrlich, da sollt Ihr die Statthalterschaft nicht bekommen. Das wäre nicht übel, daß ich meinen Insulanern einen Statthalter schickte, der grausam und steinernen Herzens ist und den weder die Tränen bedrängter Jungfrauen rühren noch die Bitten verständiger, hochgebietender und alterfahrener Zauberer und Weiser. Mit einem Wort, Sancho, entweder Ihr müßt Euch Eure Hiebe aufzählen oder sie aufgezählt bekommen, oder Ihr könnt kein Statthalter werden.«

»Señor«, entgegnete Sancho, »könnte ich nicht zwei Tage Frist bekommen, um zu bedenken, was für mich am besten ist?«

»Nein, unter keiner Bedingung«, fiel Merlin jetzt ein; »hier auf der Stelle muß festgesetzt werden, was aus diesem Handel werden soll. Entweder kehrt Dulcinea in die Höhle des Montesinos und in ihren vorigen Zustand als Bäuerin zurück, oder aber sie wird in ihrer gegenwärtigen Gestalt in die elysäischen Gefilde entrückt, wo sie weilen und erwarten wird, daß die Zahl der Hiebe erfüllt werde.«

»Auf, guter Sancho«, sprach die Herzogin, »zeigt guten Mut und ein gutes Herz und Dankbarkeit für das Brot, das Ihr bei Eurem Herrn Don Quijote gegessen habt, dem wir alle zu Diensten und gefällig sein müssen für seine guten Eigenschaften und seine hohen Rittertaten. Gebt Euer Jawort, lieber Junge, zu dieser Prügelsuppe, und mag der Teufel zum Teufel fahren und die Furcht zu den Hasenfüßen, denn guter Mut überwindet böses Geschick, wie Ihr wohl wisset.«

Auf diese Ansprache antwortete Sancho mit einer ganz abwegigen Frage, die er an Merlin richtete: »Sagt mir doch, Señor Merlin, wie der Teufel als Kurier herkam, brachte er meinem Herrn eine Meldung vom Señor Montesinos, nämlich er trug ihm in dessen Namen auf, ihn hier zu erwarten, weil er zur Entzauberung des Fräuleins Dulcinea Anstalt treffen solle; bis jetzt aber haben wir weder den Montesinos gesehen noch irgend etwas, das ihm ähnlich sieht.«

Darauf antwortete Merlin: »Der Teufel, Freund Sancho, ist ein dummer Kerl und der allergrößte Spitzbube. Ich habe ihn ausgeschickt, um Euern Herrn aufzusuchen; aber nicht mit einer Meldung von Montesinos, sondern von mir; denn Montesinos weilt ruhig in seiner Höhle, wo er auf seine Entzauberung bedacht ist oder, richtiger gesagt, auf sie wartet; denn es fehlt nur noch der Schwanz, so ist ihm die ganze Haut abgezogen. Ist er Euch etwas schuldig oder habt Ihr ein Geschäft mit ihm, so will ich ihn Euch dahin schaffen und zur Stelle bringen, wohin Ihr ihn nur immer haben wollt. Für jetzt aber gebt endlich das Jawort zu Eurer Geißelung und glaubt mir, sie wird Euch zu großem Heil gereichen, sowohl für die Seele als auch für den Leib: für die Seele um der Nächstenliebe willen, mit der Ihr sie verrichten werdet; für den Leib, weil ich weiß, Ihr seid vollblütig von Natur, und es kann Euch keinen Schaden tun, Euch ein wenig Blut abzuzapfen.«

»Es gibt viel Ärzte auf der Welt, selbst die Zauberer sind Ärzte«, versetzte Sancho. »Aber da alle mir dasselbe sagen, wiewohl ich meinesteils es nicht einsehe, so sag ich denn, ich bin’s zufrieden, mir die dreitausenddreihundert Hiebe zu geben unter der Bedingung, daß ich sie mir geben darf, wann und wo ich will, und daß man mir keine Vorschriften macht von wegen bestimmter Tage und Fristen; und alsdann will ich danach trachten, meine Schuld so bald als möglich loszuwerden, auf daß die Welt endlich die Schönheit des Fräuleins Dulcinea von Toboso zu genießen bekomme, sintemal sie ja nun offenbar und ganz entgegen meiner eigenen früheren Ansicht wirklich schön ist. Eine weitere Bedingung ist, daß ich nicht gehalten bin, die Geißel so zu brauchen, daß Blut fließt und daß, wenn auch einmal ein paar Hiebe leicht fallen wie beim Mückenscheuchen, sie mir doch in Anrechnung zu bringen sind. Item, wenn ich mich verzählen sollte, so muß der Señor Merlin, der ja alles weiß, das Zählen selber übernehmen und mich benachrichtigen, ob etliche fehlen oder ob etliche zuviel sind.«

»Über das Zuviel wird es keiner Benachrichtigung bedürfen«, entgegnete Merlin; »denn sobald die Zahl voll ist, so wird im Nu und ohne daß man sich’s versieht, das Fräulein Dulcinea entzaubert sein und voll Erkenntlichkeit den biedern Sancho aufsuchen und ihm Dank und auch Belohnung für das gute Werk spenden. Also braucht Ihr Euch nicht um das Zuviel oder Zuwenig zu sorgen, und Gott verhüte, daß ich jemanden betröge, wär es auch nur um ein Haar seines Hauptes.«

»Nun wohlan, in Gottes Namen«, sagte Sancho; »ich willige in mein eigen Unglück ein; ich erkläre, ich nehme die Buße an unter den festgesetzten Bedingungen.«

Kaum hatte Sancho diese letzten Worte gesprochen, so begann aufs neue die Musik der Oboen zu ertönen, abermals begannen unzählige Musketen zu feuern, und Don Quijote fiel um Sanchos Hals und gab ihm tausend Küsse auf Stirn und Wangen. Die Herzogin und der Herzog und alle Umstehenden bezeigten große Freude; der Karren setzte sich in Bewegung, und beim Vorüberfahren neigte die schöne Dulcinea ihr Haupt vor dem herzoglichen Paare und machte vor Sancho eine tiefe Verbeugung.

Und jetzt kam schon eiligen Schrittes die heiter lächelnde Morgenröte; die Blümlein des Feldes erschlossen sich und reckten die Köpfchen empor, und die flüssigen Kristalle der Bächlein, zwischen weißen und grauen Kieseln hinmurmelnd, eilten hinab, um den ihnen entgegenharrenden Strömen ihren Zoll zu entrichten; die Erde so freudig, der Himmel so hell, die Luft so rein, das Licht so heiter, jedes für sich allein und alles vereint deutete mit voller Gewißheit darauf, daß der Tag, der bereits auf Aurorens Schleppe trat, nicht minder hell und heiter sein würde. Die herzoglichen Gatten aber, zufrieden mit ihrer Jagd und vergnügt über die geschickte und geglückte Ausführung ihres Planes, kehrten zu ihrem Schlosse zurück mit dem Vorsatz, noch mehr solcher lustiger Streiche zu spielen. Denn es gab für sie nichts Ernstes, das ihnen größere Ergötzlichkeit schaffen konnte als diese Scherze.

36. Kapitel


Darin das seltsamliche und bis heut unerhörte Abenteuer mit der Kammerfrau Schmerzenreich, sonst auch Gräfin Trifaldi geheißen, berichtet wird, benebst einem Brief, welchen Sancho Pansa an seine Frau Teresa Pansa geschrieben

Der Herzog hatte einen Haushofmeister, der große Lust an Scherzen hatte und stets heiterer Laune war. Er war es, der die Rolle des Merlin gespielt und alle Vorkehrungen zum vorigen Abenteuer getroffen, die Verse verfaßt und einen Edelknaben die Rolle der Dulcinea hatte spielen lassen. Jetzt, unter Mitwirkung seiner Herrschaft, traf er nun Anstalt zu einem andern Abenteuer von so komischer und kunstvoller Erfindung, wie man sich nur denken kann.

Am folgenden Tage richtete die Herzogin an Sancho die Frage, ob er das Werk der Buße schon begonnen habe, das er für Dulcineas Entzauberung vollbringen solle. Er bejahte dies und erklärte, er habe sich diese Nacht schon fünf Hiebe gegeben. Die Herzogin fragte: »Womit denn?« Er antwortete: »Mit der Hand.«

»Das«, sagte die Herzogin, »heißt eher sich mit der Hand klatschen als sich Hiebe aufmessen. Ich glaube, mit einem so gelinden Verfahren wird sich der weise Merlin nicht zufriedengeben. Es wird erforderlich sein, daß der wackere Sancho etwa eine Stachel- oder Knotengeißel anwendet, die man gehörig fühlt; denn sollen die Buchstaben fest sitzen, muß der Buckel Blut schwitzen, und so billig ist die Erlösung einer hohen Dame wie Dulcinea nicht zu haben und nicht um so geringen Preis. Auch möge Sancho bedenken, daß gute Werke, wenn sie schlaff und lau verrichtet werden, unverdienstlich und wertlos sind.«

Sancho entgegnete darauf: »Wolle mir Eure Herrlichkeit eine richtige Geißel oder einen Strick geben, dann will ich mir damit Hiebe aufzählen, wenn es mir nur nicht allzu weh tut; denn ich tue Euer Gnaden zu wissen, wenn ich auch ein Bauer bin, hat meine Haut doch mehr von Baumwolle an sich als von Esparto, und es wäre nicht recht, mich für einen andern gar zu zerfleischen.«

»Ganz recht«, versetzte die Herzogin, »ich will Euch morgen eine Geißel geben, die für Euch gerade wie gemacht ist und die sich mit der Zartheit Eurer Haut so gut vertragen soll, als wären es leibliche Geschwister.«

Hierauf sagte Sancho: »Liebste Herzens-Herzogin, Eure Hoheit muß auch wissen, daß ich meiner Frau Teresa Pansa einen Brief geschrieben habe, der ihr alles kundtut, was mir begegnet ist, seit ich von ihr Abschied genommen. Hier hab ich ihn vorn auf der Brust, es fehlt weiter nichts daran als die Aufschrift. Ich wünschte, Euer Wohlverständigkeit möchte ihn lesen, weil ich meine, er stimmt völlig zum Statthalterwesen, ich meine, zu der Art, wie Statthalter schreiben müssen.«

»Und wer hat ihn denn aufgesetzt?« fragte die Herzogin.

»Wer sollte ihn denn aufgesetzt haben als ich armer Sündenmensch?« antwortete Sancho.

»Habt Ihr ihn denn auch selber geschrieben?« sagte die Herzogin.

»Da ist kein Gedanke daran«, antwortete Sancho, »denn ich kann weder lesen noch schreiben, wenn ich auch meinen Namen unterzeichnen kann.«

»Wir wollen ihn ansehen«, versetzte die Herzogin; »ganz gewiß habt Ihr in dem Briefe die Eigentümlichkeit und Tüchtigkeit Eurer Geistesgaben an den Tag gelegt.«

Sancho zog einen offenen Brief aus dem Busen hervor; die Herzogin nahm ihn und las folgendes:

Brief Sancho Pansas an seine Frau Teresa Pansa

Kriegt ich Hiebe schwer und mächtig, ritt ich auch einher gar prächtig; hab ich eine schöne Statthalterschaft, so kostet’s mich auch schöne Geißelhiebe. Das, meine Teresa, wirst du für jetzt nicht verstehen; ein andermal sollst du’s erfahren. Du mußt wissen, Teresa, daß ich mich entschlossen habe, du sollst in der Kutsche fahren, das ist die Hauptsache, denn jede andre Art fortzukommen ist gerade, als wenn man auf allen vieren kriecht. Du bist eines Statthalters Frau; sieh, ob jemand wagen wird, dich in die Ferse zu beißen. Hier schicke ich dir ein grünes Jägerkleid, meine gnädige Frau Herzogin hat mir’s geschenkt; mach es zurecht, daß es Rock und Leibchen für unsre Tochter gibt. Don Quijote, mein Dienstherr, ich hab hierzulande sagen hören, er wäre ein Narr voller Gescheitheit und ein Tollhäusler voll hübscher Einfalle und ich stünde nicht hinter ihm zurück. Wir sind in der Höhle des Montesinos gewesen, und der weise Zauberer Merlin hat ein Auge auf mich geworfen behufs Entzauberung der Dulcinea von Toboso, die dorten bei Euch Aldonza Lorenzo heißt. Mit dreitausenddreihundert Geißelhieben weniger fünf, die ich mir geben soll, soll sie aus aller Verzauberung sein, so wie ihre leibliche Mutter gewesen. Sag aber niemandem etwas davon, denn willst du um Rat deine Nachbarn fragen, wird einer weiß, der andre schwarz sagen. Heut über etliche Tage will ich nach meiner Statthalterei abgehen, und ich hab die allergrößte Lust, mir ein tüchtiges Stück Geld zu machen, denn es ist mir gesagt worden, jeder neue Statthalter geht mit demselben Verlangen hin. Ich will der Statthalterei den Puls fühlen und dir dann Nachricht geben, ob du kommen und bei mir bleiben sollst oder nicht. Unser Grauer befindet sich wohl und schickt dir viele Grüße, und ich gedenke ihn nicht von mir zu lassen, und wenn man mich zum Großtürken machen wollte. Die Herzogin, meine Gebieterin, küßt dir die Hände tausendmal, schick ihr dafür zweitausend Handküsse zurück; es gibt ja nichts, was weniger kostet und mehr einträgt als höfliche Manieren, wie mein Herr sagt. Es hat Gott nicht gefallen, mir abermals einen Mantelsack mit abermals hundert Goldstücken zu bescheren wie den von dazumal; aber das braucht dir keinen Kummer zu machen, Teresa mein, denn wer im Turme Sturm läutet, ist sicher vor der Gefahr draußen, und im letzten Aufwasch findet sich alles bei der Statthalterei. Aber es hat mir große Sorge gemacht, daß die Leute mir sagen, wenn ich sie einmal geschmeckt habe, würde ich mir danach alle Finger aufessen; und wenn das der Fall wäre, würde sie mich nicht billig zu stehen kommen. Zwar stehen sich die Lahmen und die Krüppel mit dem, was sie erbetteln, nicht schlechter als die Domherren mit ihrer Pfründe. Mithin wirst du sicher auf die eine oder die andre Art reich werden und im Glück sitzen. Solches Glück wolle Gott dir verleihen und mir Leben und Gesundheit zu deinem Besten.
Gegeben auf diesem Schlosse, am 20. Julius 1614
Dein Mann, der Statthalter Sancho Pansa

Als die Herzogin den Brief zu Ende gelesen, sprach sie zu Sancho: »In zwei Punkten ist der wackere Statthalter ein wenig irregegangen. Erstens, wenn er sagt oder zu verstehen gibt, diese Statthalterschaft sei ihm für die Geißelhiebe gegeben worden, die er sich aufmessen soll, während er doch weiß und es nicht leugnen kann, daß, als der Herzog, mein Gemahl, sie ihm versprach, man noch nicht einmal im Traum daran dachte, daß es Geißelhiebe auf der Welt gäbe. Der andre Punkt ist, daß er sich in dem Brief sehr habgierig zeigt, und ich möchte nicht, daß er sich in den Finger schneidet; Habsucht zerreißt den Sack, und unter einem habgierigen Statthalter kann das Recht nicht seine rechte Statt finden.«

»So hab ich das nicht gemeint, Señora«, entgegnete Sancho; »und wenn Euer Gnaden meint, selbiger Brief wäre nicht so, wie er sein soll, so braucht’s nichts weiter, als ihn zu zerreißen und einen andern zu schreiben, und da wär’s möglich, er würde noch schlechter, wenn’s meinem eignen Hirnkasten überlassen bleibt.«

»Nein, nein«, versetzte die Herzogin, »der Brief ist gut so, und der Herzog soll ihn auch lesen.«

Hiermit begaben sie sich in den Garten, wo man diesen Tag die Tafel halten wollte. Die Herzogin zeigte dem Herzog Sanchos Brief, der ihm den größten Spaß machte. Es wurde gespeist, und nachdem abgedeckt war und die Gastgeber sich geraume Zeit an Sanchos gewürzter Unterhaltung ergötzt hatten, vernahm man plötzlich den schwermütig klagenden Ton einer Querpfeife und den Schall einer heiseren gedämpften Trommel. In allen Gesichtern zeigte sich der Ausdruck der Bestürzung ob dieser mißtönigen kriegerischen und trübseligen Musik; am meisten bei Don Quijote, der es vor lauter Unruhe nicht auf seinem Stuhl aushalten konnte. Von Sancho braucht man nichts weiter zu sagen, als daß die große Angst ihn zu seiner gewöhnlichen Zufluchtsstätte trieb, nämlich in die nächste Nähe oder hinter die Rockschöße der Herzogin; denn das Getön, das sich hören ließ, war wirklich und wahrhaftig höchst kläglich und wehmütig. Als sie nun alle so in gespannter Erwartung dastanden, sahen sie, wie zwei Männer in den Garten traten und näher kamen, beide in Trauergewändern, so lang und tief herunterfallend, daß sie ihnen auf dem Boden nachschleiften, und diese Männer schlugen zwei große Trommeln, die ebenfalls schwarz verhängt waren. Ihnen zur Seite schritt der Pfeifer, raben- und pechschwarz wie die andern beiden. Auf diese dreie folgte ein Mann von riesenhafter Gestalt, in einen gleichfalls dunkelschwarzen Talar nicht sowohl gekleidet als auch vielmehr vermummt, dessen Schleppe wie bei den andern vor Länge ganz ungeheuerlich aussah. Über dem Talar ging ihm rings um die Hüften und quer über die Brust ein Wehrgehenk, ebenfalls schwarz, von dem ein übermäßig langer und breiter Pallasch herabhing, daran das Gefäß und die Beschläge und die Scheide schwarz waren. Er trug das Gesicht mit einem durchsichtigen schwarzen Schleier bedeckt, durch den ein ungewöhnlich langer schneeweißer Bart hindurchschimmerte. Seine Schritte bewegten sich nach dem Schall der Trommeln mit ernster Würde und Gelassenheit. Alles in allem war die Größe seiner Gestalt, sein gemessener Schritt, seine schwarze Tracht und sein Geleite ganz dazu angetan, jeden ängstlich zu machen, und machte wirklich jeden ängstlich, der ihn ansah und nicht kannte.

Mit diesem langsamen Gange und gelassenen Gebaren näherte er sich und warf sich auf die Knie vor dem Herzog, der ihn mit den andern Anwesenden stehend erwartete. Allein der Herzog wollte ihm durchaus nicht eher zu reden gestatten, bis er sich vom Boden erhöbe. Die riesige Schreckgestalt tat also, und sobald er sich aufgerichtet, hob er den Schleier von seinem Angesicht und ließ den greulichsten, längsten, weißesten, dichtesten Bart sehen, den bis jetzt Menschenaugen erschaut hatten, und sofort aus seiner breiten gewaltigen Brust eine tiefe klangvolle Stimme heraufholend und herauspressend und die Augen auf den Herzog heftend, sprach er: »Erhabenster und großmächtiger Herr, man nennt mich Trifaldin den Weißbart; ich bin Kammerjunker bei der Gräfin Trifaldi, die auch den Namen die Kammerfrau Schmerzenreich trägt; und von dieser bringe ich Euer Hoheit eine Botschaft, nämlich daß Euer Herrlichkeit geruhen möchte, ihr Vergunst und Urlaub zu gewähren, daß sie nahen dürfe, Euch ihr Leid und Weh kundzutun, welches wohl das unerhörteste und wundersamste Leid und Weh ist, so die leidvollste Phantasie auf Erden sich erdenken kann. Und zuvörderst begehrt sie zu vernehmen, ob in diesem Eurem Schlosse der mannhafte und nie besiegte Ritter Don Quijote von der Mancha weilt; denn sie ist auf der Suche nach ihm, zu Fuße und mit nüchternem Magen, vom Königreich Candaya bis zu diesem Eurem Herzogtum, was man für ein Wunder oder für ein Werk der Zauberei halten kann und muß. Sie harret an der Pforte dieser Feste oder dieses Lustschlosses und erwartet, um einzutreten, nur Eure Gutheißung. Ich habe gesprochen.«

Hierauf räusperte er sich, strich sich den Bart von oben bis unten mit beiden Händen und blieb in Ruhe und Schweigsamkeit der Antwort des Herzogs gewärtig, welche also lautete: »Bereits, mein wackerer Kammerjunker Trifaldin Weißbart, ist’s viele Tage her, seit wir Kunde von dem Mißgeschick unsrer Frau Gräfin Trifaldi haben, welche die Zauberer mit dem Namen Kammerfrau Schmerzenreich belegt haben. Allerdings könnt Ihr, staunenswerter Kammerjunker, ihr sagen, sie möge eintreten, und es befinde sich hier der mannhafte Ritter Don Quijote von der Mancha, von dessen großherzigem Sinne sie sich mit vollster Zuversicht jeden Schutz und jede Hilfe versprechen darf; und imgleichen könnt Ihr auch in meinem Namen ihr sagen, wenn sie meines Beistandes bedürfen sollte, so solle er ihr nicht fehlen; denn ihr ihn zu gewähren, bin ich schon darum verpflichtet, weil ich ein Ritter bin, in dessen Beruf es liegt und dem es zukommt, aller Art Frauen zu beschirmen, insbesondere würdige Damen, so verwitwet und an Ehre oder Gut geschädigt und schmerzenreich sind, wie es Hochdero Gnaden zweifelsohne sein muß.«

Trifaldin, da er solches vernommen, bog die Knie bis zum Boden, gab dem Pfeifer nebst den Trommlern ein Zeichen, aufzuspielen, ging unter derselben Musik und mit demselben Schritt, wie er hereingekommen, wieder zum Garten hinaus und ließ alle Anwesenden voller Verwunderung zurück ob seines Aussehens und seines Gebarens. Jetzt wendete sich der Herzog zu Don Quijote und sagte ihm: »Auf die Dauer, ruhmvoller Ritter, können die Finsternisse der Bosheit und Unwissenheit doch das Licht der Tapferkeit und Tugend nicht verdecken und verdunkeln. Ich sage dies, dieweil es kaum sechs Tage her ist, seit Eure Fürtrefflichkeit in diesem Schlosse weilt, und schon aus fernen und entlegenen Landen, nicht in Staatswagen oder auf Dromedaren, sondern zu Fuß und nüchternen Magens, kommen die Mühseligen und Beladenen, Euch aufzusuchen, voll Zuversicht, in diesem mächtigen Arme Hilfe zu finden für ihre Nöte und Drangsale; also ist’s dank Euren hohen Heldentaten, deren Ruhm über alle bis heute entdeckten Erdstriche verbreitet ist.«

»Ich möchte wohl, Herr Herzog«, entgegnete Don Quijote, »jener heilige Mann, der Geistliche, der neulich bei der Tafel so bösen Willen und so argen Groll gegen die fahrende Ritterschaft an den Tag legte, wäre hier zugegen, auf daß er mit seinen eignen Augen sähe, ob solche Ritter in der Welt nötig sind; jetzt könnte er mit Händen greifen, daß die, so in außergewöhnlichem Grade bedrängt und des Trostes bar sind, ihre Zuflucht in hochwichtigen Fällen und im schlimmsten Unglück nicht in den Häusern der Studierten noch der Dorfküster suchen noch bei dem Ritter, der es nie über die Gemarkung seines Dorfes hinausgebracht, noch bei dem müßigen Hofmann, der sich lieber nach Neuigkeiten umtut, um sie zu erzählen und zu verbreiten, als selber Werke und Taten zu verrichten, damit andre sie erzählen und niederschreiben. Zuflucht in Nöten, Hilfe in Bedrängnissen, Beschirmung der Jungfrauen, Trost der Witwen, das findet sich bei keinerlei Art von Menschen besser als bei den fahrenden Rittern; und daß ich es bin, dafür sag ich dem Himmel unendlichen Dank, und für hohen Gewinn erachte ich jegliche Widerwärtigkeit und Drangsal, die mich in diesem so ehrenvollen Berufe treffen könnte. So komme denn diese Kammerfrau und begehre, was ihr beliebt; ich biete ihr Hilfe und Rettung in der Kraft meines Arms und in der furchtlosen Entschlossenheit meines kampfbegierigen Geistes.«

29. Kapitel


Von dem merkwürdigen Abenteuer mit dem verzauberten Nachen

Auf den hergebrachten – oder noch nicht hergebrachten – Wegen erreichten Don Quijote und Sancho – zwei Tage, nachdem sie das Wäldchen verlassen hatten – den Fluß Ebro, und Don Quijote freute sich sehr seines Anblicks. Er betrachtete lange die Lieblichkeit seiner Gestade, die Klarheit seiner Gewässer, die ernste Ruhe seiner Strömung, die Fülle seiner flüssigen Kristalle; und dieser heitre Anblick erneute in seiner Erinnerung tausend Liebesgedanken. Vorzugsweise aber kam ihm in Sinn und Gedanken, was er in der Höhle des Montesinos gesehen; denn wenn auch Meister Pedros Affe ihm gesagt hatte, ein Teil jener Geschichten sei Wahrheit, ein Teil aber Lüge, so hielt er sich mehr an die wahrhaften, ganz im Gegensatze zu Sancho, der sie sämtlich für die Lüge selbst hielt.

Indem er nun in solchen Gedanken dahinzog, fiel ihm ein kleiner Nachen ohne Ruder in die Augen, der an einen Baumstamm am Ufer angebunden war. Don Quijote blickte sich nach allen Seiten um und sah niemanden, und ohne weiteres stieg er von Rosinante ab und befahl Sancho, gleichfalls von seinem Grauen abzusitzen und beide Tiere zusammen an den Stamm einer dort stehenden Pappel oder Weide fest anzubinden.

Sancho fragte ihn nach der Ursache dieses unerwarteten Beginnens. Don Quijote antwortete: »Du mußt wissen, Sancho, der Nachen hier ist dazu da, und anders kann es nicht sein, mich zu rufen und aufzufordern, daß ich hineinsteige und darin fortschiffe, um Beistand zu leisten irgendeinem Ritter oder sonst einer hilfsbedürftigen vornehmen Persönlichkeit, die gewißlich von großen Nöten bedrängt sein muß; denn so pflegt es in den Ritterbüchern zu sein und bei den Zauberern, die mit solchen Geschichten zu tun haben; wenn ein Ritter sich in einer Drangsal befindet und aus selbiger nur durch eines andern Ritters Hand erlöst werden kann, obgleich sie zwei- oder dreitausend Meilen, ja noch weiter voneinander entfernt sind, da entführen sie ihn gewaltsam in einer Wolke oder bieten ihm einen Nachen dar, damit er dareinsteige, und in kürzerer Zeit, als man die Augen öffnet und schließt, führen sie ihn davon, sei es durch die Lüfte, sei es das Meer hindurch, wie es ihnen beliebt und wo sein Beistand notwendig ist. Sonach, o Sancho, befindet sich dieser Nachen zum nämlichen Zwecke hier; und dies ist so sicher, wie der Tag jetzo scheinet, und ehe denn derselbe vorübergehe, binde den Grauen und Rosinante zusammen an; und nun in Gottes Namen, möge Er uns geleiten! Denn ich werde von meiner Einschiffung nicht abstehen, und kämen selbst Barfüßermönche und bäten mich darum.«

»Wenn es denn einmal so ist«, entgegnete Sancho, »und Euer Gnaden verfällt mit aller Gewalt bei jedem Schritt auf solcherlei, ich weiß nicht, soll ich sagen Unsinn, so bleibt nichts übrig, als zu schweigen und den Kopf zu neigen nach dem Sprichwort: Tu, was dein Herr gebeut, und setze dich mit ihm zu Tische. Aber trotzdem will ich, da ich mein Gewissen von Schuld frei halten will, Euer Gnaden ernstlich sagen, mir wenigstens kommt es so vor, dieser Nachen gehört nicht zu den verzauberten, sondern gehört irgendwelchen Fischern hier am Flusse, in dem die besten Eisen auf der Welt gefangen werden.«

So sprach Sancho, während er die Tiere anband, die er mit großem Seelenschmerz dem Schutz und Schirm der Zauberer überlassen mußte. Don Quijote ermahnte ihn, ob der Tiere unbekümmert zu sein, denn der, welcher sie selbst in fernsten Distanzen über Pfade und Lande führen werde, der werde auch Sorge tragen, sie zu nähren.

»Was ist das für ein Tanz, der Dißtanz?« sagte Sancho; »ich verstehe das nicht, habe ein solches Wort all mein Lebtag nicht gehört.«

»Distanz heißt Entfernung«, erwiderte Don Quijote, »und es ist kein Wunder, daß du es nicht verstehst, denn du bist nicht verpflichtet, Latein zu können wie so manche, die so tun, als könnten sie es, und doch nichts davon verstehen.«

»Jetzt wären sie also angebunden«, fiel Sancho ein; »was haben wir nun zu tun?«

»Was?« antwortete Don Quijote; »ein Kreuz schlagen und den Anker lichten, ich meine uns einschiffen und das Tau kappen, womit dieser Nachen vor Ufer festliegt.«

Und mit einem Sprung schwang er sich hinein, Sancho folgte ihm, er schnitt das Seil durch, und der Nachen entfernte sich allmählich vom Ufer. Als sich aber Sancho ungefähr zwei Ellen weit im Gewässer des Flusses sah, begann er zu zittern und sein Verderben zu fürchten; aber nichts machte ihm so viel Kummer, als daß er seinen Esel iahen hörte und sah, wie sich Rosinante abarbeitete, um loszukommen. Da sprach er zu seinem Herrn: »Mein Grauer schreit iah im Schmerz ob unsrer Entfernung, und Rosinante müht sich, loszukommen, um sich uns nachzustürzen. O liebste Freunde, bleibt in Frieden allhier, und möge auf die Torheit, die uns von euch fortführt, die Enttäuschung bald folgen und uns dann zum holden Zusammensein mit euch zurückbringen!«

Und hiermit begann er so bitterlich zu weinen, daß Don Quijote ärgerlich und auffahrend zu ihm sagte: »Was fürchtest du, feiges Geschöpf? Worüber weinst du, Butterherz? Wer verfolgt dich, wer bedrängt dich, du Maus, die sich im Loche duckt? Oder was geht dir ab, und darbst du etwa im Schoße des Überflusses? Pilgerst du etwa zu Fuß und barfüßig über die Rhypäischen Gebirge, oder sitzest du nicht vielmehr hier, wo eine breite Planke dir einen Sitz gewährt wie einem Erzherzog, auf der geruhsamen Strömung dieses lieblichen Flusses, von wo wir nach kurzer Weile in das weite Meer hinausfahren werden? Aber schon müssen wir hinausgekommen und mindestens sieben- oder achthundert Meilen weit gefahren sein, und wenn ich ein Astrolabium hier hätte, um die Polhöhe damit zu bestimmen, würde ich dir sagen, wie viele der Meilen wir gefahren sind; indessen, ich verstehe entweder nicht viel davon, oder wir haben die Linie der Nachtgleiche, die die beiden entgegengesetzten Pole teilt und sich in gleichem Abstande von ihnen hinzieht, bereits durchschnitten oder werden sie bald durchschneiden.«

»Und wann wir zu diesem Linchen mit dem Nachtleibchen kommen«, fragte Sancho, »wieviel haben wir dann zurückgelegt?«

»Viel«, antwortete Don Quijote, »denn von den dreihundertsechzig Graden, welche die aus Erde und Wasser zusammengesetzte Kugel enthält nach der Kalkulation und Berechnung des Ptolemäus, jenes größten Kosmographen, den man kennt, werden wir die Hälfte zurückgelegt haben, sobald wir an die erwähnte Linie kommen.«

»Bei Gott«, sprach Sancho, »da bringt Ihr mir zum Zeugen Eurer Angaben einen schönen Kerl daher, einen, der Kalk im Latz hat, einen Polen, der mäh sagt, und dazu einen Possengrafen, den man kennt.«

Don Quijote lachte laut auf über die Auslegung, die Sancho der Kalkulation und dem Ptolemäus und dem Kosmographen gegeben, und sagte ihm: »Du mußt wissen, Sancho, wenn die Spanier und überhaupt die Reisenden sich in Cádiz nach Ostindien einschiffen, so haben sie ihre Merkzeichen, woran sie erkennen, daß sie über die Linie der Nachtgleiche, von der ich dir sagte, hinausgekommen sind, und eines davon besteht darin, daß bei allen Leuten im Schiffe die Läuse absterben, ohne daß eine einzige übrigbleibt, und im ganzen Schiff würde man keine finden, wenn man sie auch mit Gold aufwiegen wollte. Sonach, Sancho, magst du dir nur mit der Hand über den Schenkel fahren, und falls du eine am Leben findest, so sind wir gleich aus dem Zweifel; wenn aber nicht, so sind wir über die Linie hinaus.«

»Ich glaube nichts von alledem«, entgegnete Sancho; »aber doch will ich tun, was Euer Gnaden mir befiehlt. Zwar weiß ich nicht, wozu wir solche Proben anstellen sollen, da ich mit meinen eignen Augen sehe, daß wir uns noch keine fünf Ellen weit vom Ufer entfernt haben, ja, wir sind nicht einmal zwei Ellen von dem Ort weg, wo unsre Tiere stehen, denn dorten stehen Rosinante und mein Grauer am gleichen Fleck, wo wir sie gelassen, und wenn ich den Augenpunkt nehme, wie ich es jetzt tue, so schwör ich’s bei dem und jenem, wir bewegen uns überhaupt nicht, wir kommen nicht einmal so geschwind vom Fleck wie eine Ameise.«

»Mach nur die Probe, die ich dir angegeben habe, Sancho«, befahl Don Quijote, »kümmere dich um keine andre, denn du weißt nicht, was Koluren und Linien sind, Parallelen und Tierkreise, Ekliptik und Pol, Sonnenwende und Nachtgleiche, Planeten, Sternbilder, die Punkte und Grade, nach denen die Himmels- und die Erdkugel eingeteilt wird; denn wenn du dies oder auch nur einen Teil davon wüßtest, so würdest du deutlich sehen, wieviel Parallelkreise wir durchschnitten, wieviel Himmelszeichen wir erblickt, wieviel Sternbilder wir hinter uns gelassen haben und noch hinter uns lassen werden. Und nochmals sage ich dir; du sollst dich befühlen und Jagd machen, denn ich bin überzeugt, du bist jetzt sauberer als ein Bogen glattes weißes Papier.«

Sancho befühlte sich, griff mit der Hand sachte und vorsichtig an die linke Hüfte, hob den Kopf, sah seinen Herrn starr an und sagte: »Entweder taugt die Probe nicht, oder wir sind noch nicht dahin gelangt, wo Euer Gnaden meint, ja auf viele Meilen nicht.«

»Wie denn?« fragte Don Quijote, »hast du etwas gefunden?«

»Sogar mehr als etwas«, antwortete Sancho. Er schüttelte die Finger ab und wusch sich die ganze Hand im Flusse, auf dem der Nachen sanft dahinglitt, ohne daß ihn eine geheime Kraft oder ein verborgener Zauberer in Bewegung setzte außer des Wassers eigener Strömung, die jetzt still und freundlich hinwallte.

Indem wurden sie mitten im Flusse Wassermühlen gewahr, und kaum hatte Don Quijote sie erblickt, als er mit lauter Stimme zu Sancho sprach: »Siehst du dort, o mein Freund, da tritt hervor die Stadt, Burg oder Feste, worin irgendein schwerbedrückter Rittersmann oder eine mißhandelte Königin, Infantin oder Prinzessin gefangenliegen muß, und zu deren Beistand bin ich hierhergeführt worden.«

»Was, zum Teufel, für Stadt, Feste oder Burg meint Euer Gnaden, Señor?« fragte Sancho Pansa. »Seht Ihr denn nicht, daß es Wassermühlen im Flusse sind, wo das Getreide gemahlen wird?«

»Schweig, Sancho«, sagte Don Quijote; »denn wenn sie auch wie Wassermühlen aussehen, so sind es doch keine. Ich habe dir ja schon gesagt, daß Zauberei alles verwandelt und aus seinem angebornen Wesen zu einem andern umgestaltet; damit will ich nicht sagen, daß sie das eine zum andern wirklich umgestaltet, sondern es scheint nur äußerlich so. Das hat die Erfahrung uns gezeigt in der Verwandlung meiner Dulcinea, dieser einzigen Zuflucht meiner Hoffnungen.«

Unterdessen war der Nachen mitten in die Strömung geraten und begann rascher zu treiben als bisher. Als die Leute auf den Wassermühlen sahen, wie der Nachen auf dem Flusse herankam und nahe daran war, gerade in den Wassersturz des Mühlkanals hineinzutreiben, sprangen viele von ihnen eiligst mit langen Stangen heraus, um ihn aufzuhalten, und da sie ganz weiß aussahen und ihre Gesichter und Kleider mit Mehl bestäubt waren, so boten sie einen unangenehmen Anblick. Sie stießen ein großes Geschrei aus und riefen: »Ihr verdammten Kerle, wohin wollt ihr? Seid ihr lebensmüde? Was? Wollt ihr zwischen den Rädern ersaufen und zerschellen?«

»Sagte ich dir nicht, Sancho«, sagte Don Quijote jetzt, »daß wir die Stelle erreicht haben, wo ich zeigen soll, wie weit die Kraft meines Armes reicht? Schau hin, wieviel Wegelagerer und feige Schurken sich mir entgegenwerfen; schau hin, wieviel Scheusale mir Widerpart halten; schau hin, wieviel häßliche Fratzen einherkommen und uns Gesichter schneiden. Aber gleich sollt ihr es erfahren, Schelmengezücht!«

Und er stellte sich im Nachen aufrecht, begann mit mächtiger Stimme die Müller zu bedräuen und rief: »Schlechtgesinntes und noch schlechter beratenes Lumpenpack, laßt in Freiheit, laßt ungehindert über sich selbst verfügen die Person, die ihr in eurer Feste oder Zwingburg geknechtet haltet, ob sie hoch oder niedrig, welchen Standes oder Ranges sie sein möge; denn ich bin Don Quijote von der Mancha, der Löwenritter genannt, welchem durch des hohen Himmels Gebot es vorbehalten ist, dies Abenteuer zu glücklichem Ende zu führen!«

Und mit diesen Worten griff er zum Schwerte und begann damit Lufthiebe gegen die Müller zu führen; diese aber, die die Narreteien wohl hörten, aber nicht verstanden, mühten sich, mit ihren Stangen den Nachen aufzuhalten, der schon im Begriff war, in den Strudel des Mühlkanals hineinzutreiben. Sancho warf sich auf die Knie und betete andächtig zum Himmel, ihn aus einer so offenbaren Gefahr zu erlösen, und der Himmel tat es auch vermittels der Geschicklichkeit und Behendigkeit der Müller, die sich mit ihren Stangen wider den Nachen stemmten und ihn zurückhielten, jedoch nicht verhindern konnten, daß der Nachen umschlug und der Ritter und sein Schildknappe kopfüber ins Wasser stürzten. Indessen ging es für Don Quijote gut aus, da er schwimmen konnte wie ein Gänserich, obwohl das Gewicht der Rüstung ihn zweimal auf den Grund hinunterzog; und wären die Müller nicht gewesen, die sich ins Wasser stürzten und sie herauszogen, so wäre für beide hier ein Troja gewesen.

Als sie nun ans Land gebracht und freilich mehr durchnäßt als durstig waren, warf sich Sancho auf die Knie, faltete die Hände, heftete die Blicke gen Himmel und flehte zu Gott in langem andächtigem Gebete, ihn fürderhin von den tollkühnen Anschlägen und Wagnissen seines Herrn zu erlösen. Inzwischen kamen die Fischer herbei, die Eigentümer des Nachens, welchen die Mühlräder in Trümmer zerschlagen hatten; und da sie ihn zerschellt sahen, gingen sie sofort daran, Sancho die Kleider auszuziehen und zugleich von Don Quijote Schadenersatz zu fordern. Der Ritter aber, mit größter Gemütsruhe, als ob er an der ganzen Sache unbeteiligt wäre, versicherte den Müllern und Fischern, er werde den Nachen mit Vergnügen bezahlen, wenn man ihm die Person oder die Personen, die in dieser ihrer Burg gefangenlägen, frei und sonder hinterhaltige Tücke herausgebe.

»Was für Personen oder was für eine Burg meint Ihr, närrischer Mensch?« entgegnete einer von den Müllern. »Wollt Ihr vielleicht die Personen mitschleppen, die in unsre Mühlen kommen, um ihr Getreide zu mahlen?«

»Jetzt genug«, sprach Don Quijote zu sich selber; »da wär ich ein Prediger in der Wüste, wollte ich dieses Gesindel dazu bewegen, für gute Worte eine gute Tat zu tun. Bei diesem Abenteuer müssen zwei mächtige Zauberer aufeinandergestoßen sein, und der eine hindert, was der andre plant; der eine bescherte mir den Nachen, der andre ließ mich scheitern. Gott besser’s! Besteht doch diese ganze Welt nur aus Anschlägen und geheimen Plänen, von denen einer immer dem andern feindlich entgegenwirkt. Mehr kann ich nicht tun.«

Hierauf erhob er seine Stimme und fuhr in seiner Rede fort, indem er die Mühlen ins Auge faßte: »Freunde ihr, wer ihr auch sein möget, die ihr in diesem Kerker eingesperrt weilet, vergebt mir! Um meines Mißgeschicks willen und zu eurem Unglück kann ich euch nicht aus euren Nöten lösen; für einen andern Ritter muß dies Abenteuer vorbehalten und aufbewahrt sein.«

Und dann verglich er sich auch gleich mit den Fischern und bezahlte für den Nachen fünfzig Realen, welche Sancho gar ungern hergab, wobei er sagte: »Bei zwei Kahnfahrten wie dieser würde unser ganzes Hab und Gut scheitern gehen.«

Den Fischern erschien es als ein seltsam Schauspiel, wie diese zwei Gestalten so ganz anders als alle andern Menschen in ihrer Erscheinung waren, und sie konnten mit Don Quijotes Reden und Fragen nicht das geringste anfangen; und da sie beide für verrückt hielten, ließen sie sie stehen und kehrten heim, die einen zu ihren Mühlen, die Fischer zu ihren Hütten.

Don Quijote und Sancho aber kehrten zurück zu ihren Tieren, um selber dumme Tiere zu bleiben, und so endete das Abenteuer mit dem verzauberten Nachen.

3. Kapitel


Von der heiteren Unterhaltung zwischen Don Quijote, Sancho Pansa und dem Baccalaureus Sansón Carrasco

In tiefes Nachdenken versunken saß Don Quijote, während er den Baccalaureus Carrasco erwartete, von dem er die Nachrichten über sich selbst zu hören gedachte, die laut Sanchos Angabe in einem Buche standen. Er konnte nicht glauben, daß ein solches Geschichtswerk wirklich vorhanden wäre; denn an der Klinge seines Schwertes war das Blut seiner Feinde, die er getötet, noch nicht vertrocknet, und schon sollten seine großen Rittertaten im Druck veröffentlicht sein! Trotzdem dachte er sich, daß irgendein Zauberer, ob Freund oder Feind, mittels seiner Zauberkunst sie in Druck geben konnte: wenn ein Freund, um sie zu verherrlichen und sie über die ausgezeichnetsten Taten fahrender Ritter zu erheben; wenn ein Feind, um sie zunichte zu machen und sie unter die schmählichsten herabzusetzen, die man je von einem schmählichen Schildknappen geschrieben; wiewohl, so sagte er zu sich selbst, Taten von Schildknappen noch niemals aufgezeichnet worden. Und wenn es auch wahr wäre, und es wäre die angebliche Geschichte wirklich vorhanden, so müßte sie als die eines fahrenden Ritters notwendig in großartigem Stil gehalten sein, erhaben, ungewöhnlich, prachtvoll und wahrhaft.

Damit tröstete er sich einigermaßen, aber diesen Trost benahm ihm gleich wieder der Gedanke, daß der Verfasser ein Maure sei, wie aus dem Namen Sidi zu schließen, und daß man Wahrheit von den Mauren nicht erwarten könne, da sie sämtlich Betrüger, Fälscher und Schwindler sind. Er fürchtete, sein Liebesverhältnis sei vielleicht von dem Verfasser nicht mit gehöriger Schicklichkeit behandelt worden, was der Ehrbarkeit seiner Herrin Dulcinea von Toboso zur Schädigung und Benachteiligung gereichen könnte; er wünschte, der Maure hätte seine Treue geschildert und die sittsame Rücksicht, die er ihr gegenüber stets bewahrt habe, indem er Königinnen, Kaiserinnen und Jungfrauen von jedem Range verschmähte und den ungestümen Drang der natürlichen Triebe in Schranken hielt.

Und so, mit diesen und viel anderen Gedanken sich tragend und sich plagend, fanden ihn Sancho und Carrasco, den Don Quijote mit vieler Höflichkeit empfing. Der Baccalaureus, obwohl er Sansón, das ist Simson, hieß, war nicht sehr groß von Gestalt, hingegen sehr groß an Verschmitztheit; er hatte eine welke Gesichtsfarbe, aber einen sehr hellen Verstand. Er mochte etwa vierundzwanzig Jahre alt sein, hatte ein rundes Gesicht mit stumpfer Nase und großem Mund, alles Kennzeichen, daß er zu Schelmenstreichen aufgelegt war und seine Freude an Scherz und Spott hatte, die er denn auch sogleich bewies. Denn als er Don Quijote sah, warf er sich vor ihm auf die Knie und sprach: »Es reiche mir Eure Hoheit die Hand zum Kusse, Señor Don Quijote von der Mancha, denn bei Sankt Petrus‘ Rock, den ich trage, wiewohl ich erst die vier niederen Weihen habe, Euer Gnaden ist einer der berühmtesten fahrenden Ritter, die es auf dem ganzen Erdenrund gegeben hat und geben wird. Gepriesen sei Sidi Hamét Benengelí, der die Geschichte Eurer Großtaten geschrieben hat, und nochmals gepriesen sei der fleißige Forscher, der es unternommen, sie aus dem Arabischen in unsere kastilianische Volkssprache übersetzen zu lassen zum allgemeinen Ergötzen der Leserwelt!«

Don Quijote hieß ihn sich erheben und sprach: »Demnach ist es wahr, daß eine Geschichte von mir vorhanden ist und daß es ein Maure und ein Zauberer war, der sie verfaßt hat?«

»Das ist so völlig wahr, Señor«, sprach Sansón, »daß ich überzeugt bin, bis zum heutigen Tage sind schon mehr als zwölftausend Stücke besagter Geschichte verbreitet; oder wenn das einer bestreitet, so mögen Portugal, Barcelona und Valencia es bezeugen, wo sie gedruckt wurden; und es geht sogar das Gerücht; daß sie eben jetzt zu Antwerpen unter der Presse ist, und mir schwant es, daß es bald kein Land und keine Sprache mehr gibt, wo man sie nicht übersetzen wird.«

Don Quijote sprach darauf: »Eines unter allem muß dem tugendsamen und hochstehenden Manne am meisten Freude schaffen, nämlich daß er, noch zu seinen Lebzeiten in Büchern gedruckt, allenthalben im Munde des Volkes wohlberufen lebt; ich sage ›wohlberufen‹, denn wäre es das Gegenteil, so käme kein Tod solchem Leben gleich.«

»Wenn es sich um guten Ruf und guten Namen handelt«, sagte der Baccalaureus, »so trägt Euer Gnaden einzig und allein vor allen fahrenden Rittern die Palme davon; denn der Maure in seiner Sprache und der Christ in der seinen waren darauf bedacht, uns Euer Gnaden Trefflichkeit ganz nach dem Leben zu schildern, so auch Eure Kühnheit in Gefahren, Eure Geduld in Widerwärtigkeiten, das gelassene Ertragen von Mißgeschick und Wunden und die Tugend und Enthaltsamkeit in der rein platonischen Liebe Euer Gnaden zu unserm Fräulein Doña Dulcinea von Toboso.«

»Niemals«, fiel hier Sancho Pansa ein, »habe ich unser Fräulein Dulcinea eine Doña nennen hören, sondern nur das Fräulein Dulcinea von Toboso, und hierin ist also die Geschichte im Irrtum.«

»Das ist kein Einwurf von Bedeutung«, entgegnete Carrasco.

»Gewiß nicht«, sprach Don Quijote; »aber sagt mir doch, Herr Baccalaureus: auf welche von meinen Großtaten wird in jener Geschichte am meisten Gewicht gelegt?«

»Darüber sind die Urteile verschieden«, antwortete der Baccalaureus, »gerade wie der Geschmack verschieden ist. Einige halten es mit dem Abenteuer von den Windmühlen, die Euer Gnaden für Riesen und für den hundertarmigen Briareus hielt, andere mit der Geschichte von den Walkmühlen; dieser mit der Beschreibung der beiden Heere, die sich hernach als zwei Herden Hammel auswiesen, jener rühmt zumeist das Abenteuer mit dem Leichnam, den man zum Begräbnis nach Segovia brachte. Der eine sagt, die Geschichte von der Befreiung der Galeerensklaven übertreffe alle übrigen; der andere, keine lasse sich mit der von den zwei Benediktiner-Riesen vergleichen, nebst dem Kampfe mit dem mannhaften Biskayer.«

»Sagt mir, Herr Baccalaureus«, sprach jetzt Sancho, »kommt dabei auch das Abenteuer mit den Yanguesen vor, als unseren wackeren Rosinante die Lust ankam, Trüffeln im Meere fischen zu wollen?«

»Dem Zauberer«, sprach Sansón, »ist nichts in der Feder zurückgeblieben, er sagt alles und zeigt alles deutlich, sogar die Bocksprünge, die der biedere Sancho auf der Bettdecke machte.«

»Auf der Bettdecke habe ich keine Sprünge gemacht«, erwiderte Sancho, »wohl aber in der Luft, und wahrlich mehr, als mir lieb war.«

»Meiner Meinung nach«, sprach Don Quijote, »gibt es in der Welt keine Geschichte eines Menschenlebens, in der es nicht bald aufwärts und bald abwärts ginge, insbesondere die Geschichten, die vom Rittertum handeln, die da niemals lauter glückliche Begebnisse enthalten können.«

»Trotzdem«, entgegnete der Baccalaureus, »sagen einige, die die Geschichte gelesen haben, es wäre ihnen erfreulich gewesen, wenn ihre Verfasser etliche von den endlosen Prügeln vergessen hätten, die der Señor Don Quijote bei so manchem Zusammentreffen aufgezählt bekam.«

»Das gehört aber gerade zu der Wahrheit der Geschichte«, sagte Sancho.

»Man hätte sie übrigens auch aus Billigkeitsrücksichten verschweigen können«, sagte Don Quijote, »denn wenn Vorgänge die Wahrheit der Geschichte weder verändern noch zerstören, so braucht man sie gewiß nicht niederzuschreiben, sobald sie den Helden der Geschichte an seinem Ansehen schädigen können. Wahrlich, Äneas war nicht so fromm, wie Vergil ihn schildert, und Odysseus nicht so klug, wie Homer ihn darstellt.«

»Ganz richtig«, versetzte Sansón; »aber ein anderes ist es, als Dichter zu schreiben, und ein anderes, als Historiker. Der Dichter kann die Ereignisse uns sagen oder singen, nicht wie sie waren, sondern wie sie sein sollten; und der Geschichtsschreiber muß sie darstellen, nicht wie sie sein sollten, sondern wie sie waren, ohne der Wahrheit irgend etwas abzubrechen oder beizufügen.«

»Wenn also der Herr Maure darauf ausgeht, die Wahrheit zu sagen«, warf Sancho dazwischen, »so finden sich sicherlich bei den Prügeln meines Herrn auch die meinigen; denn die Kerle haben niemals Seiner Gnaden das Maß von seinem Rücken genommen, ohne mir es gleich von meinem ganzen Körper zu nehmen; aber ich sehe keinen Grund, mich darüber zu wundern; denn, wie mein Herr sagt, am Schmerz des Hauptes müssen auch die Glieder teilhaben.«

»Er ist ein Schalk, Sancho«, entgegnete Don Quijote; »wahrlich, Ihm fehlt es nicht an Gedächtnis, wenn Er es nur will.«

»Wenn ich auch die Stockhiebe, die ich bekommen, vergessen wollte«, sagte Sancho darauf, »so würden es doch die blauen Flecke nicht zulassen, die ich noch frisch auf den Rippen habe.«

»Schweig Er, Sancho«, versetzte Don Quijote, »und unterbreche Er den Herrn Baccalaureus nicht, den ich bitte, fortzufahren und zu erzählen, was in der erwähnten Geschichte von mir gesagt wird.«

»Und auch von mir«, sprach Sancho, »denn die Leute sagen ungleichen, ich sei eine der wichtigsten Prisonen darin.«

»Personen, nicht Prisonen, Freund Sancho«, fiel Sansón ein.

»So haben wir jetzt noch einen, der an den Fikabeln herumklaubt? Wenn Ihr so weitermacht, werden wir unser Leben lang nicht fertig.«

»Und mein Leben lang will ich kein Glück von Gott haben«, versetzte der Baccalaureus, »wenn Ihr nicht die zweite Person in der Geschichte seid, und es gibt mehr als einen, der lieber Euch reden hört als die hochgestochenste Person im ganzen Buch; wiewohl auch mehr als einer behauptet, Ihr wäret gar zu leichtgläubig gewesen, als Ihr meintet, es könnte seine Richtigkeit mit der Statthalterschaft über die Insul haben, die Euch der Señor Don Quijote anbot, der hier zugegen ist.«

»Es ist noch nicht aller Tage Abend«, sprach Don Quijote, »und dieweil Sancho in die Jahre kommen wird, so wird er mit der Erfahrung, die das Alter gibt, auch geeigneter und geschickter zur Regierung werden als jetzt.«

»Bei Gott, Señor«, versetzte Sancho, »die Insul, die ich in meinem jetzigen Alter nicht Statthaltern könnte, die könnte ich auch in Methusalems Alter nicht Statthaltern; das Schlimme bei der Sache ist, daß die Insul sich Gott weiß wo befindet, und nicht, daß es mir an Grütze fehlen sollte, um sie als Statthalter zu regieren.«

»Befiehl du das Gott dem Herrn, Sancho«, entgegnete Don Quijote; »alles wird noch gut gehen und vielleicht besser, als du denkst; denn es bewegt sich kein Blatt am Baume ohne Gottes Willen.«

»In Wahrheit, so ist’s«, sprach Sansón; »wenn Gott es will, wird es Sancho nicht an tausend Insuln fehlen, um Statthalter darüber zu sein, viel weniger an einer.«

»Hab ich doch Statthalter in der Welt gesehen«, sagte Sancho, »die meines Bedünkens mir nicht an die Schuhsohle reichen, und trotzdem heißt man sie Euer Herrlichkeit und bedient sie auf Silber.«

»Das sind keine Statthalter von Insuln«, entgegnete Sansón, »sondern von anderen Statthaltereien, die leichter zu handhaben sind; denn wer Statthalter über eine Insul ist, der muß wenigstens die Grammatik verstehen.«

»Mit dem Kram wollte ich schon zurechtkommen«, entgegnete Sancho; »mit der Mattik aber, da gebe ich nichts darauf und mache mir nichts draus, denn da versteh ich nichts davon. Aber wir wollen die Geschichte mit der Statthalterei in Gottes Hand befehlen, der mich schon an die Stelle setzen wird, wo er mich am besten brauchen kann. Ich sage Euch, Herr Baccalaur Sansón Carrasco, es hat mir ungeheuer viel Vergnügen gemacht, daß der Verfasser des Buches dergestalt von mir gesprochen hat, daß die Geschichten, die von mir erzählt werden, nicht langweilig sind; denn ich gebe mein Wort als ein braver Schildknappe, hätte er von mir irgendwas gesagt, das einem Altchristen, wie ich bin, übel anstünde, es gäbe einen Lärm, daß uns die Taubstummen hören sollten.«

»Das hieße Wunder tun«, entgegnete Sansón.

»Wunder oder nicht Wunder«, sagte Sancho, »jeder soll sich vorsehen, wie er von den Prisonen redet oder schreibt, und soll nicht in die Kreuz und Quer alles hinsetzen, was ihm durch den Kopf geht.«

»Einer von den Vorwürfen, die man gegen besagte Geschichte erhebt«, sprach der Baccalaureus, »ist, daß der Verfasser eine Novelle in sie eingeflochten hat, betitelt ›Der törichte Vorwitz‹; nicht deshalb, weil sie schlecht oder schlecht erzählt wäre, sondern weil sie nicht dahin gehöre und nichts mit der Geschichte Seiner Gnaden des Señor Don Quijote zu tun habe.«

»Ich wette darauf«, versetzte Sancho, »der Hundekerl hat Kraut und Rüben durcheinandergemengt.«

»Jetzt sag ich aber«, sprach Don Quijote, »der Verfasser meiner Geschichte ist kein weiser Zauberer gewesen, sondern irgendein unwissender Schwätzer, der wie ein Blinder herumtappend und ohne rechte Überlegung sich ans Werk gemacht und drauflosgeschrieben hat, es mag draus werden, was da werden will, wie es Orbaneja getan, der Maler aus Ubeda, der einmal auf die Frage, was er da male, die Antwort gab: Was eben draus werden mag. Einmal malte er einen Hahn, aber so ungeschickt und so unkenntlich, daß er es für notwendig fand, mit Großbuchstaben dazuzuschreiben: Dies ist ein Hahn. Und so wird’s auch wohl mit meiner Geschichte sein, sie wird einer besonderen Auslegung bedürfen, damit man sie versteht.«

»Das nicht«, entgegnete Sansón, »denn sie ist so verständlich, daß man nichts darin schwierig finden kann. Die Kinder nehmen sie zur Hand, die Jünglinge lesen sie, die Männer verstehen sie, die Greise rühmen sie; und kurz, sie ist in so vielen Händen, so von allen Klassen des Volks gelesen und gekannt, daß man keinen dürren Gaul auf der Straße sieht, ohne daß die Leute gleich sagen: Das ist ja Rosinante! Wer sich aber am meisten dem Lesen dieses Buches hingibt, das sind die Edelknaben; es gibt kein Vorzimmer bei vornehmen Herren, wo nicht ein Don Quijote zu finden wäre; wenn einer ihn hinlegt, nimmt ihn der andere gleich; diese fallen mit Ungestüm darüber her, jene wollen ihn wiederhaben. Endlich bietet auch die besagte Geschichte den heitersten und unschädlichsten Zeitvertreib, der jemals bis zum heutigen Tage vorhanden gewesen; denn in dem ganzen Buche findet sich nicht ein unanständiges Wort, ja nichts, was dem ähnlich sähe, noch irgendein Gedanke, der etwas anderes als ehrlich und von echtem Schrot und Korn wäre.«

Don Quijote entgegnete: »Anders schreiben hieße nicht die Wahrheit sagen, sondern lügen; und die Geschichtsschreiber, die lügen, sollten verbrannt werden wie die Falschmünzer. Ich weiß aber nicht, was den Verfasser bewogen hat, sich mit Novellen und Geschichten von dritten Personen auszuhelfen, da er deren doch so viel von mir zu schreiben hatte. Er wird sich gewiß an den alten Spruch gehalten haben: Von Heu und von Stroh … et cetera. Denn wahrlich, hätte er weiter nichts als meine Gedanken, meine Seufzer, meine redlichen Absichten und meine Wagnisse dargestellt, so hätte er einen dickeren oder doch ebenso dicken Band schreiben können, als wenn man die sämtlichen Werke des Tostado zusammenbinden wollte. In der Tat, Herr Baccalaureus, soviel ich davon verstehe, um ein Geschichtswerk oder überhaupt ein Buch, welcher Art es auch sei, zu schreiben, bedarf es gesunden Verstandes und reifen Urteils; mit Anmut zu scherzen und witzig zu schreiben ist die Sache hochbegabter Männer. Die geistvollste Rolle in der Komödie ist die des dummdreisten Narren; denn diese Eigenschaft darf der nicht haben, der den Einfältigen vorstellen soll. Die Geschichte ist wie ein Heiligtum, denn sie muß wahr sein, und wo die Wahrheit ist, da ist Gott – insoweit es Wahrheit betrifft. Aber dessenungeachtet gibt es Leute, die Bücher schreiben und unter die Leute werfen, als wären es Fastnachtskrapfen.«

»Es gibt kein so schlechtes Buch«, sagte der Baccalaureus dagegen, »das nicht etwas Gutes enthielte.«

»Das ist ohne Zweifel so«, versetzte Don Quijote; »aber sehr häufig kommt es vor, daß Männer, die nach Verdienst durch ihre Schriften großen Ruf errungen und erworben hatten, ihn gänzlich einbüßten oder doch einigermaßen schmälerten, wenn sie diese Schriften in Druck gaben.«

»Das kommt daher«, sprach Sansón, »daß man über gedruckte Werke mit Muße nachdenkt und daher ihre Fehler leicht erkennt, und die Beurteilung geschieht um so gründlicher und strenger, je größer der Ruf des Verfassers ist. Männer, die durch ihren Genius Ruhm erworben haben, große Dichter, glänzende Geschichtsschreiber, werden immer, oder doch in den meisten Fällen, von denen beneidet, die besonderes Vergnügen darin finden, die Schriften Dritter zu beurteilen, ohne daß sie jemals eigene Arbeiten ans Licht gegeben.«

»Das ist nicht zu verwundern«, sprach Don Quijote, »gibt es doch auch viele Theologen, die nicht für die Kanzel taugen, hingegen sehr geeignet sind, um zu erkennen, was an den Predigten anderer zu wenig oder zu viel ist.«

»Alles das ist richtig, Señor Don Quijote«, versetzte Carrasco, »aber ich wünschte, derartige Tadler hätten mehr Barmherzigkeit und weniger Kritik und unterließen es, sich an jedes Stäubchen zu halten, wenn sie der hellen Sonne eines schönen Werkes Übles nachreden wollen. Denn wenn aliquando bonus dormitat Homerus, so mögen sie bedenken, wie lange er wach gewesen, um das Licht seines Werkes mit so wenig Schatten als möglich der Welt zu bieten; und es könnte wohl auch der Fall sein, daß, was ihnen mißfällt, nur kleine Muttermale wären, die manchmal dem Gesichte, das solche hat, um so größeren Reiz verleihen. Und so sage ich denn, daß es das größte Wagestück ist, ein Buch drucken zu lassen, da es über alle Unmöglichkeiten unmöglich ist, es so zu schaffen, daß es alle Leser befriedigt und erfreut.«

»Das Buch, das von mir handelt«, sprach Don Quijote, »muß wenige befriedigt haben.«

»Ganz umgekehrt; denn da stultorum infinitus est numerus, so ist die Zahl derjenigen unendlich groß, denen die besagte Geschichte gefallen hat. Einige jedoch haben das Gedächtnis des Verfassers der Schwäche oder der böslichen Absicht beschuldigt, da er zu erzählen vergißt, wer der Spitzbube war, der Sanchos Esel stahl; denn der wird dort nicht genannt, und man kann nur aus der Erzählung schließen, daß der Esel dem Sancho gestohlen worden; und gleich darauf sehen wir ihn auf dem nämlichen Esel reiten, ohne daß er erst wieder zum Vorschein gekommen wäre. Auch sagen die Leute, der Verfasser habe zu sagen vergessen, was Sancho mit den hundert Goldtalern tat, die er in der Sierra Morena in dem Mantelsack fand, und mancher Leser möchte wissen, was er damit anfing oder wozu er sie verwendete; und dies ist einer der wesentlichsten Punkte, die in dem Buche fehlen.«

Sancho antwortete: »Ich, Herr Sansón, bin jetzt nicht dazu aufgelegt, mich mit Zählen oder Erzählen abzugeben; es ist mir im Magen ganz schwach geworden, und wenn ich diesem Zustand nicht mit zwei Schluck Firnewein abhelfe, so werd ich am Ende noch dran glauben müssen. Ich hab den Wein im Keller, meine Hausehre erwartet mich; sobald ich mit dem Essen fertig bin, komme ich zurück und geb Euch und aller Welt Red und Antwort auf jede beliebige Frage, sowohl über den Verlust des Esels als auch über die Verwendung der hundert Goldtaler.«

Und ohne eine Antwort abzuwarten noch sonst ein Wort zu sagen, ging er nach Hause. Don Quijote bat und drängte den Baccalaureus, mit seinem ärmlichen Büßermahl vorliebzunehmen; dieser nahm die Einladung an und blieb da; es wurde zu der Alltagskost noch ein Paar Täubchen zugegeben; es wurde vom Rittertum gesprochen, Carrasco fügte sich in die Liebhaberei seines Wirts; sie hielten ihr Mittagsschläfchen, Sancho kehrte zurück, und das vorige Gespräch wurde wieder aufgenommen.

30. Kapitel


Von dem, was Don Quijote mit einer schönen Jägerin begegnete

Recht schwermütig und mißlaunisch kehrten Ritter und Knappe zu ihren Tieren zurück, insbesondere Sancho, dem es ans Herz griff, den Geldvorrat anzugreifen; denn alles, was daraus entnommen wurde, schien ihm von seinem Fleisch und Blut genommen. Und wortlos setzten sie sich alsbald in den Sattel und entfernten sich von dem vielgerühmten Flusse, Don Quijote in Gedanken an seine Liebe versunken, Sancho in Gedanken an sein Emporkommen; dieses schien ihm jetzt weiter entfernt zu sein denn je. Denn so einfältig er auch war, sah er doch ein, daß die Handlungen seines Herrn, insgesamt oder doch größtenteils, widersinniges Zeug waren, und er suchte nach einer Gelegenheit, wo er eines Tages, ohne Abrechnung oder Verabschiedung, sich aus seines Herrn Klauen losmachen und heimkehren könnte. Allein das Schicksal lenkte die Dinge gerade zum Gegenteil dessen, was er befürchtete.

Es geschah nämlich, daß am nächsten Tage beim Sonnenuntergang, als sie eben aus einem Walde herauskamen, Don Quijote seine Blicke über eine grünende Flur schweifen ließ und an deren äußerstem Rand Leute erblickte, in denen er beim Näherkommen Falkenjäger erkannte. Er ritt noch näher heran und sah unter ihnen eine stattliche Dame auf einem schneeweißen Zelter oder Damenpferd, das in grünem Reitzeug prangte und einen silbernen Frauensattel trug. Die Dame war ebenfalls in grüne Tracht gekleidet, so reich und glanzvoll, daß es schien, die Pracht selber habe sich in ihre Gestalt verwandelt. Auf ihrer linken Hand trug sie einen Jagdfalken, woran Don Quijote erkannte, sie sei eine höchst vornehme Dame und müsse die Gebieterin des ganzen Jagdgefolges sein; und dies war wirklich der Fall. Daher sprach er zu Sancho: »Eile, mein Sohn Sancho, und sag jener Dame auf dem Zelter mit dem Falken auf der Hand, ich, der Löwenritter, küsse ihrer hohen Schönheit die Hände, und wenn Ihre Hoheit es gestatte, so würde ich mich ihr zum Handkuß bieten und würde ihr in allem zu Diensten sein, was meine Kräfte leisten könnten und Ihre Hoheit mir gebieten wollte. Und bedenke wohl, Sancho, wie du dich ausdrückst, und sei darauf bedacht, in deine Botschaft keines von deinen üblichen Sprichwörtern hineinzuflicken.«

»Jawohl, da habt Ihr den rechten Flickschneider gefunden«, erwiderte Sancho; »kommt mir nur nicht mit so etwas! Wahrlich, es ist nicht das erstemal in meinem Leben, daß ich Botschaften an hochgeborne und hochgewachsene Frauenzimmer überbracht habe.«

»Außer der, so du dem Fräulein Dulcinea ausgerichtet«, versetzte Don Quijote, »wüßte ich nicht, daß du eine andre ausgerichtet, wenigstens nicht in meinen Diensten.«

»Das ist wahr«, entgegnete Sancho, »aber dem guten Zahler tut’s um kein Pfand leid, und in vollem Haus ist bald gericht‘ der Schmaus; ich meine, man braucht mir nichts zu sagen und mich auf nichts aufmerksam zu machen; denn ich hab von allem etwas, und ich versteh ein wenig von allem.«

»Das glaub ich, Sancho«, sprach Don Quijote; »geh hin zu guter Stunde, und Gott geleite dich.«

Sancho flog im gestreckten Galopp davon, nachdem er den Grauen aus seinem gewöhnlichen Schritt getrieben, und kam zur Stelle, wo die schöne Jägerin hielt; er stieg ab, warf sich vor ihr auf die Knie und redete sie so an: »Schöne Dame, jener Ritter, der sich dorten zeigt und der Löwenritter heißt, ist mein Herr, und ich bin ein Schildknappe in seinem Dienste, den man in seiner Heimat Sancho Pansa benamset. Der besagte Löwenritter, der sich noch vor kurzem der Ritter von der traurigen Gestalt nannte, sendet her und läßt Eurer großmögenden Herrlichkeit sagen, Ihr möchtet geruhen, ihm zu gestatten, daß er mit Dero Willen, Gutheißen und Zustimmung sein Begehren ins Werk setzen dürfe, welches kein andres ist, wie er selber sagt und ich glaube, als Eurer erhabenen Falkenier-Hoheit und Huldseligkeit dienstbar zu sein; und so Eure Herrlichkeit ihm solches erlaubt, da werden Hochdieselben tun, was zu Hochdero Bestem gereichet, und er wird sich dadurch mit hochansehnlichster Gunst und Herzensfreude begnadet sehen.«

»Wahrlich, mein wackerer Schildknappe«, entgegnete die Dame, »Ihr habt Eure Botschaft mit all jenen Umständlichkeiten ausgerichtet, welche bei solchen Botschaften erforderlich sind. Erhebt Euch vom Boden; der Schildknappe eines so ausgezeichneten Ritters, wie es Der von der traurigen Gestalt ist, von dem wir hierzulande schon vieles vernommen, darf gebührendermaßen nicht auf den Knien liegen; steht auf, werter Freund, und sagt Eurem Herrn, er möge kommen, es sei uns dieses sehr erwünscht, und möge meine und meines Gemahls, des Herzogs, Gastfreundschaft freundlichst annehmen in dem Lustschloß, das wir hier besitzen.«

Sancho stand auf, höchlich verwundert über die Schönheit der freundlichen Dame wie über ihre so äußerst feine und höfliche Art, noch mehr aber darüber, daß sie ihm gesagt, sie habe von seinem Herrn, dem Ritter von der traurigen Gestalt, vernommen; und wenn sie ihn nicht den Löwenritter genannt habe, so müsse der Grund wohl sein, daß er sich diesen Namen erst kürzlich beigelegt.

Die Herzogin, deren Stammsitz und Namen man bis jetzt noch nicht in Erfahrung gebracht hat, fragte ihn nun: »Lieber Schildknappe, sagt mir doch, ist dieser Euer Herr nicht jener, von dem eine Geschichte, die sich nennt die des sinnreichen Junkers Don Quijote von der Mancha, im Druck umläuft und der zur Gebieterin seines Herzens eine gewisse Dulcinea von Toboso erkoren hat?«

»Ganz derselbe ist es, Señora«, antwortete Sancho, »und jener Schildknappe, der in besagter Geschichte vorkommt oder vorkommen sollte und der Sancho Pansa heißt, bin ich, wenn man mich nicht etwa in der Wiege verwechselt hat, ich meine, wenn man mich nicht im Druck verwechselt hat.«

»Über all das bin ich hocherfreut«, sprach die Herzogin. »Geht, Freund Pansa, und sagt Euerm Herrn, er würde auf meinem Grund und Boden willkommen und wohlaufgenommen sein, und nichts könnte mir begegnen, das mir größeres Vergnügen bereiten würde.«

Mit einem so erwünschten Bescheid kehrte Sancho in höchster Freude zu seinem Herrn zurück und berichtete diesem alles, was ihm die vornehme Dame gesagt, wobei er mit seinen gewohnten bäurischen Ausdrücken ihre große Schönheit, Liebenswürdigkeit und leutselige Art bis in den Himmel erhob. Da brüstete sich Don Quijote in seinem Sattel, trat fest in die Bügel, rückte sein Visier zurecht, spornte Rosinante mit Macht und ritt mit edlem Anstand heran, um der Herzogin die Hände zu küssen.

Diese aber hatte inzwischen den Herzog, ihren Gemahl, rufen lassen und erzählte ihm, während Don Quijote sich näherte, dessen ganze Botschaft; und da beide den ersten Teil unserer Geschichte gelesen und daraus die närrischen Grillen Don Quijotes erfahren hatten, so erwarteten sie ihn mit größtem Vergnügen und mit einer wahren Sehnsucht, ihn kennenzulernen, und mit der entschiedenen Absicht, auf seine Grillen einzugehen, allem zuzustimmen, was er ihnen sagen würde, und ihn, solang er bei ihnen weile, als fahrenden Ritter zu behandeln und dabei getreulich all die Förmlichkeiten zu beobachten, wie sie bräuchlich in den Ritterbüchern, die sie gelesen hatten, ja, die sie sehr liebten.

Inzwischen nahte Don Quijote mit aufgeschlagenem Visier, und da er Miene machte, vom Pferde zu steigen, kam Sancho herbei, ihm den Bügel zu halten; aber diesem begegnete das Unglück, daß beim Absteigen von seinem Grauen ein Fuß sich ihm in einem Strick des Eselssattels verfing, so daß es ihm unmöglich war, sich loszumachen, und er mit dem Bein hängenblieb, Mund und Brust im Staube schleppend. Don Quijote, der nicht gewohnt war abzusteigen, ohne daß man ihm den Bügel hielt, glaubte, Sancho stehe schon da, um ihm diesen zu halten, schwang sich mit ganzem Körper auf einmal hernieder und riß Rosinantes Sattel mit sich, der offenbar nicht fest genug gegürtet war, und Sattel und Mann stürzten zu Boden, nicht ohne daß sich der Ritter herzlich schämte und leise für sich eine Masse von Flüchen gegen den Unglücksmenschen von Sancho ausstieß, der noch immer den Fuß in der Schlinge hatte. Der Herzog befahl seinen Jägern, dem Ritter und dem Knappen zu Hilfe zu eilen; sie hoben Don Quijote auf, dem der Fall übel mitgespielt hatte und der, so gut es eben anging, herbeihinkte, um sich vor dem erlauchten Paar auf die Knie zu werfen. Allein der Herzog ließ dies durchaus nicht zu, stieg vielmehr von seinem Pferde, eilte auf Don Quijote zu, umarmte ihn und sprach zu ihm: »Es tut mir leid, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, daß die erste Gestalt, in der sich Euer Gnaden auf meinem Grund und Boden gezeigt hat, eine so traurige war, wie wir eben gesehen; aber die Nachlässigkeit der Schildknappen ist häufig schuld an noch schlimmeren Zufällen.«

»Der Zufall, der mir vergönnte, Euch zu sehen, hochherziger Fürst«, entgegnete Don Quijote, »kann unmöglich ein schlimmer sein, und wäre selbst mein Sturz so tief gewesen, daß er erst an dem Schlunde des Abgrunds haltgemacht hätte; denn auch von da würde das stolze Bewußtsein, Euch gesehen zu haben, mich wieder emporheben und heraufholen. Mein Schildknappe, den Gott verdamme, versteht sich besser darauf, den Zügel der Zunge zu losen Reden loszubinden, als den Sattel so zu schnallen, daß er einen sicheren Sitz beut; aber in welcher Lage ich mich auch befinden möge, gefallen oder aufrechtstehend, zu Fuß oder zu Rosse, werde ich immer Euch zu Diensten sein, wie auch meiner gnädigen Frau Herzogin, Eurer würdigen Gemahlin, der würdigen Herrin der Schönheit und allwaltenden Fürstin der edlen Sitte.«

»Sachte, mein verehrter Señor Don Quijote«, sprach der Herzog; »solange mein gnädiges Fräulein Dulcinea von Toboso da ist, mag es nicht gebührend sein, die Schönheit anderer zu preisen.«

Inzwischen war Sancho Pansa bereits aus der Schlinge befreit, und da er in der Nähe stand, so sprach er, ehe noch sein Herr antworten konnte: »Es ist nicht zu leugnen, vielmehr zu behaupten, daß unser Fräulein Dulcinea von Toboso ausbündig schön ist; aber wo man sich’s am wenigsten versieht, springt der Hase aus dem Kraut. Ich habe sagen hören, was man Natur nennt, ist wie ein Töpfer, der Gefäße aus Ton macht, und wer ein schönes Gefäß macht, kann auch zwei und auch drei und auch hundert machen. Damit will ich sagen, daß unsere gnädige Frau Herzogin keineswegs meiner Gebieterin, dem Fräulein Dulcinea von Toboso, nachsteht.«

Don Quijote wandte sich zur Herzogin und sprach zu ihr: »Eure Hoheit möge mir glauben, daß kein fahrender Ritter jemals auf Erden einen größeren Schwätzer und Lustigmacher zum Schildknappen gehabt hat als ich, und er wird dartun, daß ich hierin die Wahrheit rede, wenn es Euer erhabenen Herrlichkeit beliebt, einige Tage lang meine Dienste anzunehmen.«

Darauf erwiderte die Herzogin: »Daß der wackere Sancho ein Lustigmacher ist, das schätze ich hoch, denn es ist ein Zeichen seines Verstandes; Scherz und Witz, Señor Don Quijote, wie Euer Gnaden wohl weiß, kehren nicht bei stumpfen Geistern ein; und da der wackere Sancho ein lustiger und witziger Kopf ist, so erkläre ich ihn von vornherein auch für einen gescheiten Kopf.«

»Und für einen Vielschwätzer«, fügte Don Quijote bei.

»Desto besser«, sagte der Herzog; »denn sind’s der Späße viele, so lassen sie sich nicht mit wenigen Worten sagen. Aber mit solchen Worten wollen wir nicht die Zeit verlieren; darum komme der Ritter von der traurigen Gestalt …«

»Der Löwenritter, muß Euer Hoheit sagen«, sprach Sancho; »es gibt keine traurige Gestalt noch Ungestalt mehr.«

»Also der Löwenritter«, fuhr der Herzog fort. »Ich sage denn: es komme der Herr Löwenritter nach dem Schlosse, das ich hier in der Nähe habe, allwo ihm die Aufnahme werden soll, wie sie einer so hohen Persönlichkeit von Rechts wegen gebührt und wie ich und die Herzogin sie stets allen Rittern zuteil werden lassen, die unser Schloß beehren.«

Mittlerweile hatte Sancho Rosinantes Sattel wieder in Ordnung gebracht und den Gurt festgeschnallt; Don Quijote bestieg seinen Gaul und der Herzog ein prächtiges Roß, sie nahmen die Herzogin in die Mitte und ritten den Weg zum Schloß. Die Herzogin befahl Sancho, neben ihr zu reiten, weil sie unendliches Vergnügen an seinen gescheiten Einfällen hatte. Sancho ließ sich nicht lange bitten; er mischte sich unter die Gesellschaft und gab den vierten Mann bei der Unterhaltung ab, zum großen Ergötzen der Herzogin und des Herzogs, die es für ein großes Glück hielten, einen solchen fahrenden Ritter und einen solchen erfahrenen Schildknappen in ihrem Schlosse aufnehmen zu können.