Neunzehntes Kapitel.

Neunzehntes Kapitel.

»Und wenn nicht steh’n er will?«

Shakespeare.

 

Die verschiedenen zu Ende des vorigen Kapitels erzählten Vorgange waren so schnell einander gefolgt, daß der Alte, während ihm nicht das Geringste entging, keine Zeit hatte, seine Meinung über des Fremden Beweggründe zu sagen. Als aber der Pawnee verschwunden war, schüttelte er den Kopf und murmelte, während er langsam nach der Ecke des Dickichts ging, die der Pawnee eben verlassen hatte:

»Es ist Geruch und Schall in der Luft, obgleich meine armen Sinne nicht gut genug sind, den Gehalt des einen zu erfassen oder den andern zu hören.«

»Es ist nichts zu sehen,« sagte Middleton, der dicht bei ihm stand. »Meine Augen und Ohren sind gut, und ich kann Euch versichern, daß ich nichts sehe und höre.«

»Eure Augen sind gut! Und Ihr seid nicht taub!« entgegnete der Andere etwas verächtlich; »nein, Junge, nein, sie können gut sein, durch eine Kirche zu sehen oder eine Stadtglocke zu hören; aber wenn Ihr ein Jahr in diesen Steppen erst zugebracht, werdet Ihr sehen wie Ihr einen Hahn für ein Pferd gehalten, oder fünfzigmal gemeint habt, das Brüllen eines Büffels sei der Donner des Herrn. Von Natur ist eine Täuschung in diesen nackten Ebenen, worin die Luft wie das Wasser das Bild der Dinge darstellt und es schwierig macht, die Steppen von der See zu unterscheiden. Aber dort ist ein Zeichen, das der Jäger nie verkennt.«

Der Streifschütz deutete nach einem Flug Geier, die nicht weit entfernt über die Ebene hinsegelten, offenbar nach der Seite, wohin der Pawnee sein Auge gerichtet hatte. Anfangs konnte Middleton die kleinen, dunkeln Gegenstände nicht unterscheiden, die sich an den finstern Wolken hinzeichneten; aber als sie schnell herbeikamen, wurden zuerst ihre Gestalten, dann ihre schweren, schwingenden Flügeln deutlich sichtbar.

»Hört,« sagte der Streifschütz, als es ihm gelungen war, Middleton die beweglichen Colonnen zu zeigen; »nun hört Ihr die Büffel oder Bison, wie Euer gelehrter Doctor sie zu nennen beliebt, wiewohl unter dem Namen Büffel sie bei allen Jägern dieser Gegenden bekannt sind. Nun sollte ich doch denken, daß ein Jäger ein besserer Beurtheiler eines Thieres ist und seines Namens,« fuhr er fort und winkte dem jungen Soldaten, »als jeder Andere, der nur in Büchern geblättert hat, statt auf der Erde herumzuwandern und die Namen und Naturen ihrer Bewohner aufzufinden.«

»Von ihrer Lebensweise will ich Euch das zugeben,« rief der Naturforscher, der selten eine Gelegenheit vorbeigehen ließ, um einen Punct zu verhandeln, der seine Lieblingsstudien betraf; »das heißt, immer mit der Voraussetzung, daß man Achtung hat vor dem rechten Gebrauch der Definitionen, und daß sie mit wissenschaftlichem Auge betrachtet werden.«

»Augen eines Maulwurfs sind die Augen der Wissenschaft! Als ob des Menschen Auge nicht so gut wäre, Namen zu geben, als die Augen jedes andern Geschöpfs! Wer hat die Werke seiner Hand benannt? Könnt Ihr mir das sagen mit Euern Büchern und Eurer Universitäts-Weisheit? War’s nicht der erste Mensch im Garten, und folgt daraus nicht offenbar, daß seine Kinder seine Rechte erbten?«

»Das ist freilich die mosaische Erzählung von dem Hergang der Sache,« sagte der Doctor, »wiewohl Eure Lesart viel zu buchstäblich ist.«

»Meine Lesart! Nun, wenn Ihr meint, ich hätte meine Zeit in Schulen zugebracht, thut Ihr meinem Wissen solches Unrecht, wie nie ein Sterblicher dem andern ohne hinlängliche Ursache thun sollte. Wenn ich je nach der Kunst zu lesen gestrebt habe, so geschah es, um besser die Sprüche des Buchs, das Ihr nennt, kennen zu lernen; denn es ist ein Buch, das in jeder Zeile nach dem Gefühl des Menschen spricht und mit der Vernunft übereinkommt.«

»Und glaubt Ihr also,« sagte der Doctor, ein wenig über den Dogmatismus seines störrigen Gegners entrüstet und vielleicht insgeheim zu sehr auf seine eigenen, liberaleren, wiewohl kaum so nützlichen Kenntnisse vertrauend. »Glaubt Ihr denn, daß alle diese Thiere wirklich in einem Garten beisammen waren, um in das Namenverzeichniß des ersten Menschen einregistrirt zu werden?«

»Warum nicht? Ich verstehe Euch; denn es ist nicht nöthig, in Städten zu leben, um all‘ die teuflischen Anschläge zu hören, die der Verstand des Menschen erfinden kann, um sein eigenes Glück zu zerstören. Was beweist es, ausgenommen, daß es beweisen soll, der Garten, den Er machte, wäre nicht nach der erbärmlichen Weise unserer Zeiten gewesen, wodurch denn zugleich geradezu das, was die Welt ihre Zivilisation nennt, zu Schanden wird. Nein, nein, der Garten des Herrn war der Wald damals, und ist der Wald jetzt, wo die Früchte wachsen und die Vögel singen nach seiner weisen Anordnung. – Nun, Capitain, könnt Ihr das Geheimniß der Geier durchschauen? Da kommen die Büffel selbst, und eine schöne Heerde ist es. Ich wette, der Pawnee hat einen Trupp seines Volks in einigen Schluchten in der Nähe, und da er zu ihnen geeilt ist, werdet Ihr bald eine herrliche Jagd sehen. Es wird dazu dienen, den Wanderer und seine Brut versteckt zu halten, und für uns ist wenig zu fürchten. Ein Pawnee ist nicht leicht ein boshafter Wilder.«

Jedes Auge richtete sich nun auf das reizende Schauspiel, welches folgte. Selbst die furchtsame Inez eilte an Middletons Seite, um zuzusehn, und Paul rief Ellen von ihren gewöhnlichen Küchengeschäften weg, um Zeuge des belebten Auftritts zu sein.

Während aller jener sich drängenden Vorfälle, die wir haben erzählen müssen, hatten die Steppen in majestätischer, tiefer Stille gelegen. Der Himmel war zwar schwarz vom Zuge der Wandervögel, aber die Hunde der Gesellschaft und der Esel des Doctors waren die einzigen vierfüßigen Thiere gewesen, die die weite Fläche der Wüste unten belebten. Da zeigte sich jetzt plötzlich eine Masse thierischen Lebens, die die Scene änderte, wie durch Magie, in das andere entgegengesetzte Extrem.

Einige ungeheure Bisonochsen bemerkte man zuerst, wie sie längs der entferntesten Anhöhe der Steppe hinstürzten, und dann folgten lange Reihen einzelner Thiere, auf die wieder eine dunkle Masse von Körpern kam, wo das trübfarbige Gestrauch der Steppe gänzlich in der dunkleren Decke ihrer zottigen Häute sich verlor. Die Heerde war, wie die Colonnen sich ausdehnten und drängten, gleich den endlosen Schaaren der kleineren Vögel, deren weite Reihen man so oft sich aus dem Abgrund der Himmel aufhäufen sieht, bis sie so zahllos erscheinen, wie die Blätter in jenen Wäldern, über die sie ihren endlosen Flug hinsteuern. Wolken von Staub stiegen in kleinen Massen aus der Mitte des Haufens auf, wenn einige Thiere, wilder als die übrigen, die Ebene mit ihren Hörnern durchfurchten, und von Zeit zu Zeit ward ein tiefes, hohles Brüllen vom Wind herübergetragen, als wenn tausend Kehlen ihre Klagen in unharmonischem Murren ausstießen.

Langes, sinnendes Schweigen herrschte in der Gesellschaft, als sie auf das Schauspiel wilder, ganz eigener Größe hinstaunten. Endlich ward es von dem Streifschützen unterbrochen, der, lange an ähnlichen Anblick gewöhnt, weniger seinen Einfluß fühlte, oder vielmehr ihn nicht so ergreifend und hinreißend fand, als die, denen der Auftritt neuer war.

»Da gehn zehntausend Ochsen in einem Trieb, ohne Aufseher, ohne Herr, Ihn ausgenommen, der sie erschuf, und ihnen die offenen Ebenen gab zur Weide! Ja hier mag der Mensch Beweise für seine Nichtigkeit und Thorheit finden! Kann der stolzeste Statthalter in all den Staaten auf seine Felder gehen und einen edleren Ochsen schlachten, als hier dargeboten wird der geringsten Hand; und wenn er sein Essen erlangt hat, kann er es mit solcher Lust verzehren, als der, der sein Mahl durch gesunde Arbeit gewürzt und es nach dem Gesetz der Natur sich erworben hat, indem er rechtlich sich dessen bemeisterte, was der Herr vor ihn gestellt!«

»Wenn die Suppenschüssel von einem Büffelschlegel dampft, antwort‘ ich: nein,« fiel der üppige Bienenjäger ein.

»Ja, Bursche, Ihr hab’ts versucht, und die klaren Beweise davon gefühlt. Aber die Heerde kommt etwas hierher zu, und es ist gut, wenn wir uns auf ihren Besuch vorsehen. Wenn wir uns Alle verstecken, wird das Hornvieh durch das Gehölz brechen, und uns zertreten, wie sich krümmende Würmer. So wollen wir nur die Schwächlichen bei Seite thun und vornen Posto fassen, wie es Männern und Jägern geziemt.«

Da nur wenig Zeit übrig war, um die nöthigen Vorkehrungen zu treffen, machte sich die ganze Gesellschaft mit Ernst daran. Inez und Ellen wurden an das Ende des Dickichts auf der von der nahenden Heerde entferntesten Seite hingestellt. Asinus kam in die Mitte, mit Rücksicht auf seine Nerven, und dann theilten der Alte, mit seinen drei männlichen Gefährten sich so ein, wie sie es für nöthig hielten, um die Spitze der stürmenden Colonne wegzuwenden, sollte sie etwa ihrer Position zu nahe kommen. Nach den unsichern Bewegungen einiger fünfzig oder hundert Ochsen, die vorangingen, blieb es zweifelhaft für einige Augenblicke, welchen Weg sie einzuschlagen gedächten. Aber ein furchtbares, schreckliches Gebrüll, das hinter der Staubwolke herkam, die sich im Mittelpunkt erhob, und das wild beantwortet ward von dem Geschrei der Raubvögel, die freudig gerade über dem fliehenden Trieb hinsteuerten, schien ihrer Flucht einen neuen Antrieb zu geben, und mit einem Mal jedes Zeichen von Unentschlossenheit zu entfernen. Gleichsam mit Freuden die geringsten Zeichen von dem Wald aufsuchend, schlug die ganze erschreckte Heerde standhaft ihre Richtung gerade nach dem kleinen Buschwerk ein, das schon so oft benannt worden ist.

Die Gefahr nahm jetzt in der That einen Charakter, daß sie die größte Standhaftigkeit hätte versuchen können. Die Reihen der finstern, sich bewegenden Massen hatten sich so genähert, daß sie eine krumme Linie um die Fronte bildeten, und jedes trotzige Auge, das aus der rohen Wildheit von Haarbüscheln hervorlugte, womit das ganze Haupt der Ochsen verhüllt war, richtete sich in toller Angst auf das Dickicht. Es schien, als wenn jedes Thier seinen Nächsten überholen wollte, um diesen gewünschten Schlupfwinkel zu gewinnen, und da Tausende im Nachzug blindlings die vornen drängten, war die Gefahr nahe, daß die Anführer der Heerde auf die versteckte Gesellschaft gestürzt werden könnten, in welchem Fall der Untergang Aller gewiß war. Jeder unserer Abenteurer fühlte das Bedenkliche seiner Lage nach seinem besonderen Charakter und seinen Umständen.

Middleton war unschlüssig. Manchmal fühlte er sich geneigt, durch das Gebüsch zu stürzen, Inez zu ergreifen und die Flucht zu versuchen. Dann bedachte er die Unmöglichkeit, der wilden Eile eines erschreckten Bisons zuvorzukommen, und griff nach den Waffen, als sei er entschlossen, der zahllosen Menge des Triebs die Spitze zu bieten. Die Geisteskräfte des Doctor Bantus waren bis zum höchsten Grade von Geistesbethörung gesteigert. Die dunkeln Formen der Heerden verloren ihre Begrenzung für’s Auge, und nun begann der Naturforscher sich einzubilden, er sähe eine wilde Sammlung aller Geschöpfe der Welt, die in einem Haufen auf ihn eindrangen, gleichsam die mannichfache Unbill zu rächen, welche im Lauf seines Lebens voll unermüdlichen Eifers für die Naturwissenschaften er gegen ihre verschiedenen Generus verübt hatte. Die Lähmung, die dies in seinem System verursachte, war gleich der Wirkung des Alps. Eben so unfähig, zu fliehen, als vorzuschreiten, stand er auf der Stelle angewurzelt, bis die Täuschung so vollständig wurde, daß der würdige Naturforscher in einem verzweifelten Versuch wissenschaftlicher Entschlossenheit selbst die verschiedenen specimina zu classificiren begann. Auf der andern Seite schrie Paul und rief Ellen, sie solle kommen und ihm im Schreien beistehen, aber sein Ruf verlor sich im Brüllen und Trampeln der Heerde. Wüthend und doch sonderbar erregt von der Störrigkeit des Viehs und der Wildheit des Anblicks, und fast toll vor Theilnahme und einer Art bewußtloser Beängstigung, worin die Ansprüche der Natur sich seltsam mit der Besorgnis? für seine Geliebte mischten, zersprengte er sich beinahe die Kehle in Aufforderungen gegen seinen bejahrten Freund, der einschreiten sollte.

»Kommt herbei, alter Streifschütz,« schrie er, »mit Euren Steppenkünsten, oder wir werden Alle unter einem Berge von Büffelschenkeln erstickt werden!«

Der Alte, welcher die ganze Zeit über, auf seine Büchse gelehnt, dagestanden, und die Bewegungen der Heerde mit festem Auge bewacht hatte, hielt es jetzt für Zeit, einen Schlag zu thun. Er richtete sein Gewehr auf den vordersten Ochsen mit einer Behendigkeit, die seiner Jugend würde Ehre gemacht haben, und feuerte. Das Thier empfing die Kugel auf das struppichte Haar zwischen seinen Hörnern und fiel auf seine Kniee nieder, aber das Haupt schüttelnd stand es alsbald wieder auf, und gerade der Stoß schien seine Anstrengung zu erhöhen. Es war nicht länger Zeit zum Zaudern. Er warf seine Flinte weg, streckte seine Arme aus, und trat unbewaffnet aus dem Versteck hervor, gerade auf die heranrauschende Säule der Thiers hin.

Die Gestalt des Menschen, wenn von Muth und Festigkeit unterstützt, die der Verstand allein geben kann, verfehlt selten, allen geringeren Thieren der Schöpfung Ehrfurcht zu gebieten. Die Seitochsen wichen zurück, und für einen Augenblick trat plötzlicher Stillstand in ihrer Eile ein; eine dichte Masse von Körpern häufte sich an der Spitze auf, bis Hunderte sich auf der Ebene zerstreuten. Dann erschallte ein zweites hohles Gebrüll vom Nachzug her, und setzte die Heerde wieder in Bewegung. Die Spitze der Säule jedoch theilte sich, da die unbewegliche Gestalt des Streifschützen sie gleichsam in zwei vorübergleitende lebendige Ströme zerspaltete. Middleton und Paul machten sich sogleich das ihnen gegebene Beispiel zu Nutz, und streckten die schwachen Schranken durch eine ähnliche Stellung aus.

Für einige Augenblicke diente der frische Eindruck, den die Thiers an der Spitze empfangen hatten, zum Schutz des Dickichts. Aber als die Hauptmasse der Heerde mehr und mehr die offene Linie ihrer Vertheidiger drängte und der Staub dichter ward, so daß er ihre Gestalten verdeckte, erneuerte sich in jedem Augenblick die Gefahr, die Thiere möchten durchbrechen. Der Streifschütz und seine Gefährten mußten immer wachsamer werden, und sie wichen allmählich vor der heranstürmenden Menge zurück, als ein Ochse wüthend so nahe an Middleton vorbeistürzte, daß er ihn berührte, und dann durch das Dickicht mit der Schnelligkeit des Windes hinsauste.

»Steht fest; laßt Euer Leben für den Stand,« rief der Alte, »oder ein Tausend von den T – ln werden ihm folgen!«

All die Anstrengungen jedoch würden gegen den lebendigen Strom vergebens gewesen sein, hätte nicht Asinus, dessen Revier so frech verletzt worden war, seine Stimme im Aufruhr erhoben. Die störrigsten, wüthendsten der Ochsen zitterten bei diesem erschreckenden und unbekannten Geschrei, und dann sah man jedes einzelne Thier wie toll von eben dem Gebüsch sich wegdrängen, das einen Augenblick vorher sie mit demselben Eifer zu erreichen gestrebt hatten, mit dem der Mörder das Asyl der Kirche sucht.

Als der Strom sich theilte, ward die Stelle licht, da die zwei dunkeln Colonnen sich seitwärts von dem Gehölz wegbewegten, um sich eine Meile entfernt an der entgegengesetzten Seite zu vereinigen. Sobald der Alte die plötzliche Wirkung bemerkte, die die Stimme des Esels hervorgebracht hatte, lud er kalt seine Büchse wieder, und überließ sich zugleich seiner so eigenen, herzlichen, stillen Munterkeit.

»Da gehen sie wie Hunde, denen man halbgefüllte Pulverschlage an den Schwanz gebunden, und man braucht nicht zu fürchten, daß sie ihre Ordnung ändern werden; denn was die Thiere im Nachzug nicht mit eigenen Ohren hörten, werden sie so ansehen, als hätten sie’s gehört; wenn sie aber auch ihren Beschluß änderten, wird es nicht schwer halten, den Jakob zu bewegen, daß er sein Lied ferner singt!«

»Der Esel hat gesprochen, aber Bileam schweigt,« schrie der Bienenjäger, der nach einem wiederholten Ausbruch geräuschvollen Lachens, das vielleicht den panischen Schrecken der Büffel noch vermehrt haben mochte, mühsam nach Athem schnappte; »der Mann ist so ganz stumm, als wenn ein Schwarm junger Bienen sich an die Spitze seiner Zunge gehängt hatte, und er aus Furcht vor ihrer Antwort nicht sprechen wollte.«

»Wie nun, Freund,« fuhr der Streifschütz fort und wandte sich zu dem immer noch regungslosen und starren Naturforscher; »wie nun, Freund, seid Ihr, der sein Leben darauf verwendet, die Namen und Naturen der Thiere des Feldes und der Vögel der Luft zu notiren, über eine Heerde springender Büffel erschreckt? Wiewohl Ihr vielleicht geneigt seid, mir mein Recht streitig zu machen, sie bei einem Namen zu nennen, der im Mund jedes Jägers und Handelsmannes auf der Grenze ist?«

Der Alte betrog sich jedoch, wenn er meinte, er könne den betäubten Doctor aufreizen, indem er mit ihm einen Streit über diesen wichtigen Satz anfinge. Von dieser Zeit an hörte man ihn nur noch bei einer Gelegenheit ein Wort aussprechen, das die Species oder das Genus des Thiers anzeigte. Er verweigerte sich hartnäckig die nährende Nahrung der ganzen Ochsfamilie, und selbst bis auf diese Stunde, wo er in aller wissenschaftlichen Würde und Sicherheit eines Gelehrten in einer der Seestädte angestellt ist, kehrt er mit einem Schauder jenen köstlichen, unvergleichlichen Fleischspeisen den Rücken, die so oft auf dem Tische der Innung gesehen werden, und denen nichts gleich kommt, was unter demselben Namen in den gerühmten Gasthäusern zu London oder den berühmtesten der Pariser Restaurateurs aufgetragen wird. Kurz der Widerwille des würdigen Naturforschers gegen Rindfleisch war dem nicht unähnlich, welchen der Schäfer manchmal in seinem strafbaren Hund erregt, indem er ihn bindet und fesselt, und ihn dann zum Schemel der ganzen Heerde macht, die er bei einer Mauer oder an einer Oeffnung der Hürde über ihn hintreibt; ein Experiment, welches, wie man sagt, in dem Schuldigen eine Art Abscheu vor Schöpsfleisch für immer erregt. Als Paul und der Streifschütz endlich die Scherze einzustellen für gut fanden, welche die fortgesetzte Geistesabwesenheit ihres gelehrten Gefährten immer noch veranlaßte, fing er wieder zu athmen an, als sei die unterbrochene Thätigkeit seiner Lungen durch die Anwendung eines Paares künstlicher Blasbälge wieder erneuert worden, und gebrauchte das nachher für immer verbannte Wort, auf welches wir eben hingedeutet haben.

» Boves Americani horridi!« rief der Doctor, und legte großen Nachdruck auf das letzte Wort, worauf er wieder stumm blieb, als wenn er über seltsamen, unerklärlichen Begebenheiten brütete.

»Ja, horrende Augen genug, das will ich gern zugeben,« entgegnete der Streifschütz; »aber so schreckhaft die Wichte auch aussahen, wenn man den Anblick und das Gewühl des natürlichen Lebens nicht gewöhnt ist, so ist doch der Muth des Thiers keineswegs seinem Aeußern gleich. Himmel, Mann, wenn Ihr einmal hübsch von einer Brut gräulicher Bären überfallen würdet, wie das mir und dem Hektor am großen Fall des Miss – Ah, da kommt das Ende der Heerde, und dort geht ein Gang hungriger Wölfe, bereit, die Schwachen wegzuschnappen, oder einen abgesonderten Ochsen zu überfallen. Ha, da sind auch berittene Männer auf ihrer Spur, so wahr ich ein Sünder bin; da, Junge, da könnt Ihr sie sehen, gerade da, wo der Staub vom Wind zerstreut wird. Sie schwärmen um einen verwundeten Büffel und machen dem armen T–l mit ihren Pfeilen den Garaus!«

Middleton und Paul erhaschten einen Strahl von der dunkeln Gruppe, die das schnelle Auge des Alten so leicht entdeckt hatte. Einige fünfzehn oder zwanzig zu Pferde sah man wirklich in schnellen Umkreisen um einen edeln Ochsen reiten, der ihnen die Spitze bot, zu schwer verwundet um zu fliehen, und doch dem Anschein nach nicht willig, sich zu ergeben, obwohl sein rauher Körper die Zielscheibe von hundert Pfeilen gewesen. Ein Lanzenstoß von einem kräftigen Indianer aber vollendete die Eroberung, und das Thier gab den widerstrebenden Geist mit einem Gebrüll auf, das widerhallend zur Stelle drang, wo unsre Abenteurer standen, und die Ohren der erschreckten Heerde erreichend, ihrer Flucht neuen Antrieb gab.

»Wie der Pawnee so gut die Philosophie einer Büffeljagd kannte!« sagte der Alte, nachdem er die belebte Scene mit augenscheinlicher Zufriedenheit einige Minuten betrachtet hatte. »Ihr saht, wie er dem Winde gleich vor dem Trieb wegeilte, es geschah, um die Luft nicht zu verderben und sie von der Seite anzugreifen Ha!

Was ist das? Dort die Rothhäute sind keine Pawnee! Die Federn auf ihren Köpfen sind von den Flügeln und Schwänzen der Eulen. Ah, so wahr ich nur ein armer, halbsichtiger Streifschütz bin, es ist eine Bande verd–ter Sioux! In’s Versteck, Jungen, in’s Versteck! Ein einziger Blick hierher würde uns jedes Kleidungsstückes berauben, so gewiß, als der Blitz den Baum abschält, und selbst unser Leben möchte nicht sehr sicher sein.«

Middleton hatte sich schon vom Schauplatz weggewendet, um zu suchen, was ihm besser gefiel, den Anblick seiner jungen, schönen Braut, Paul ergriff den Doctor bei’m Arm, und da der Streifschütz so schnell wie möglich folgte, war die ganze Gesellschaft bald im Schutz des Dickichts versammelt. Nach einigen kurzen Erklärungen über die Art der neuen Gefahr setzte der Alte, dem die Pflicht geworden, seiner großen Erfahrung wegen alle ihre Schritte zu leiten, folgendermaßen seine Rede fort:

»Dies ist ein Land, wie ihr Alle wissen müßt, wo ein starker Arm weit besser ist, als das Recht, und das Gesetz der Weißen eben so wenig bekannt als nöthig ist. Deßwegen hängt jetzt Alles von Klugheit und Kraft ab. Wenn,« fuhr er fort und legte seinen Finger auf seine Wange, als wenn er tiefsinnig die verzweifelte Lage von allen Seiten betrachte, »wenn wir etwas erdenken könnten, was diese Sioux und des Auswanderers Brut hinter einander bringen könnte, dann könnten wir herbeikommen und, wie die Krähen nach einem Gefecht zwischen den Thieren, den Kampfplatz uns zu Nutz machen, – auch sind Pawnee in der Nähe; das ist gewiß, denn jener Junge würde ohne einen Auftrag sich nicht so weit von seinem Dorfe entfernt haben. Hier und da sind wir vier Parteien auf Kanonschußweite entfernt, von denen keine der andern trauen kann. All das macht eine Bewegung schwierig, besonders da Verstecke nicht im Ueberfluß sind. Aber wir sind drei wohlbewaffnete, und ich darf sagen muthige Männer.« »Vier,« fiel Paul ein.

»Wie!« sagte der Alte und sah zum ersten Mal seine Gefährten an.

»Vier,« wiederholte der Bienenjäger und deutete auf den Naturforscher.

»Jede Armee hat ihre Nachzügler und Marodeurs,« entgegnete der barsche Grenzmann. »Freund, es wird nöthig sein, den Esel zu schlachten.«

»Den Asinus schlachten! Solch eine That würde eine Handlung unnöthiger Grausamkeit sein.«

»Ich verstehe nichts von Worten, die ihren Sinn in Schall einhüllen; aber das ist grausam, was einen Christen einem Thiere opfert. Das ist’s, was ich den Grund der Barmherzigkeit nenne. Es würde gerade so sicher sein, in die Trompete zu stoßen, als das Thier nochmals seine Stimme erheben zu lassen, besonders, da es offenbar eine Herausforderung der Sioux sein würde.«

»Ich will für Asinus Diskretion stehen; er spricht selten ohne Ursache.«

»Man sagt, man könne Jemand aus seinen Umgang kennenlernen,« entgegnete der Alte, »und warum nicht auch ein Thier? Ich machte einst einen forcirten Marsch und hatte viele Gefahren mit einem Begleiter zu bestehen, der nie den Mund aufthat, als um zu singen, und viel Mühe und Kummer machte mir der Bursch. Es war gerade in jenem Geschäft mit Eurem Großvater, Capitain. Aber der Begleiter hatte eine menschliche Kehle und wußte bei Gelegenheit sie wohl zu gebrauchen, obwohl er es nicht immer für nöthig hielt, die für sein Schreien passende Zeit zu beachten. Ach wenn ich jetzt wäre, was ich damals war, eine Bande diebischer Sioux sollte mich nicht leicht aus einer Lagerung wie diese vertreiben! Aber was hilft das Rühmen, wenn Gesicht und Stärke fehlen. Der Krieger, den die Delawaren einst nach dem Falken nannten, der Schärfe seiner Augen wegen, würde jetzt besser nach dem Maulwurf benennt. Nach meinem Urtheil also, wird es gut sein, das Thier zu schlachten.«

»Da ist Beweis und gute Logik,« sagte Paul; »Musik ist Musik, und immer geräuschvoll, komme sie von einer Fidel oder einem Esel; deßhalb stimme ich dem Alten bei, und sage, tödtet den Esel.«

»Freunde,« sagte der Naturforscher und sah mit traurigem Auge von einem zum andern seiner blutgierigen Gefährten; schlachtet Asinus nicht; er ist Specimen von seiner Art von dem viel Gutes und wenig Böses gesagt werden kann. Abgehärtet und gelehrig nach seinem Genus; enthaltsam und geduldig nach seiner niedern Species. Wir sind zusammen gereift, und sein Tod würde mich betrüben. Wie würde es dich beunruhigen, verehrungswürdiger Jäger, wenn du auf so gewaltsame Art dich von deinem treuen Hund trennen solltest?«

»Das Thier soll nicht sterben,« sagte der Alte und räusperte sich plötzlich auf eine Art, die bewies, daß er die ganze Kraft der Appellation fühlte; »aber seine Stimme muß gedämpft werden. Binder ihm die Schnauze mit dem Halfter, und dann, denk‘ ich, können wir das Uebrige der Vorsehung überlassen.«

Mit dieser doppelten Sicherheit für des Esels Diskretion, – denn Paul band ihm sogleich auf die verlangte Weise die Schnauze, – schien der Streifschütz zufrieden. – Darauf ging er an den Rand des Dickichts zu recognosciren.

Der Lärm, welcher den Zug der Heerde begleitet hatte, war jetzt vorüber, oder wurde vielmehr in der Entfernung einer Meile von der Steppe herüberschallen gehört. Die Staubwolken hatte der Wind schon verweht, und das Auge konnte frei um sich blicken, wo zehn Minuten vorher solch ein sonderbarer Auftritt von Wildheit und Verwirrung stattgefunden hatte.

Die Sioux hatten ihre Eroberung vollendet und schienen nun, zufrieden mit dieser Vermehrung ihrer schon so reichen Beute, willens, die übrige Heerde entwischen zu lassen. Ein Dutzend blieb bei dem Leichnam, über den einige Krähen mit stetigem Fittich und gierigen Augen hin und her flogen; die übrigen ritten umher, als wenn sie weitere Beute suchten, die ihnen nach einem so zahllosen Zug in den Weg kommen könnte. Der Streifschütz maß die Gestalten und den Anzug Derer, die dem Dickicht näher kamen, mit sorgsamem Auge. Endlich zeigte er Middleton einen von ihnen, den er für Weucha hielt.

»Nun wissen wir nicht nur, wer sie find, sondern auch ihren Auftrag,« sagte der Alte und schüttelte überlegend den Kopf. »Sie haben die Spur des Wanderers verloren und sind auf der Jagd nach ihm. Die Büffel sind ihnen in den Weg gekommen, und auf ihrer Verfolgung hat ein Unstern sie gerade in offene Aussicht auf den Hügel gebracht, wo Ismael’s Brut lagert. Seht Ihr jene Vögel, die auf die Ueberbleibsel des Thiers warten, das Jene getödtet haben? Darin liegt eine Lehre für die Lebensart in der Steppe. Eine Bande Pawnee liegt im Hinterhalt gerade so gegen die Sioux, wie diese Vögel auf ihren Raub warten, und als Christenleute, die so viel zu verlieren haben, kommt es uns zu, auf Beide Acht zu geben. Ha, was bringt jene zwei schielenden Wichte zum Stehen! So wahr ich lebe, sie haben die Stelle gefunden, wo der unglückliche Sohn des Wanderers seinen Tod fand!«

Der Alte irrte sich nicht. Weucha und ein Wilder, der ihn begleitete, hatte den Ort erreicht, welcher, wie wir schon erwähnten, so schreckliche Spuren von Gewalt und Blutvergießen zeigte. Da saßen sie auf ihren Pferden und untersuchten die wohlbekannten Zeichen mit aller Kenntniß, die den Indianer auszeichnet. Ihr Forschen dauerte lang und war, wie es schien, nicht frei von Mißtrauen. Endlich erhoben Beide zugleich ein Geschrei, das kaum weniger trauernd und ergreifend war, als das, welches die Hunde vorher bei den verhängnißvollen Zeichen gemacht hatten, und das nicht verfehlte, die ganze Bande sogleich um sie zu versammeln, wie das wilde Rufen des Schakals seine Gefährten zur Jagd um ihn versammeln soll.

Erstes Kapitel.

Erstes Kapitel.

Ich bitt‘ dich, Schäfer, können gute Worte, Geld
In dieser Einöd‘ uns ein Unterkommen schaffen,
O führ‘ uns, daß wir ruh’n und etwas essen.

So wie es euch gefällt.

 

Viel ward zur Zeit gesprochen und geschrieben, ob es rathsam sei, die weitläufigen Landschaften von Louisiana mit dem schon unermeßlichen und nur halbbeherrschten Gebiet der Vereinigten Staaten zu verbinden. Als jedoch die Hitze des Streits nachgelassen, und eigennützige Betrachtungen freieren Ansichten Raum gegeben, wurde die Weisheit der Maßregel allgemein anerkannt. Es ward bald auch dem geringsten Scharfsinn einleuchtend, daß während die Natur unserer Ausdehnung nach Westen durch Wüsten Schranken gesetzt, diese Maßregel uns zu Herrn eines fruchtbaren Landstrichs gemacht hatte, welcher bei den täglichen Umwälzungen leicht Eigenthum einer eifersüchtigen Nation hätte werden können. Sie gab uns die ausschließliche Herrschaft über den inländischen Verkehr, und brachte die zahllosen Stämme, welche an unsern Grenzen lagerten, in gänzliche Abhängigkeit von uns; sie einigte widerstreitende Rechte und schwichtigte manche Furcht des Staats; sie öffnete tausend Wege dem Binnenhandel und der Schifffahrt auf dem stillen Meer; und wenn je Zeit oder Nothwendigkeit eine friedliche Theilung dieses ungeheueren Reichs erheischen sollte, sichert sie uns einen Nachbar, der Sprache, der Religion, Verfassung und man darf es hoffen, denselben Sinn für Staatsrechtspflege mit uns gemein hätte.

Obgleich der Kauf schon 1803 gemacht worden, kam doch der Frühling des folgenden Jahrs heran, ehe die Amtsbedächtigkeit des Spaniers, der diese Provinz für seinen Herrn in Europa verwaltete, die Autorität und Besitznahme der neuen Eigenthümer anerkannte. Aber den Formen der Uebergabe war nicht sobald Genüge geschehen, und die neue Herrschaft anerkannt, als Schwärme des rastlosen Volks, das sich immer an den Grenzen der amerikanischen Staatengesellschaft herumtreibt, sich in das Dickicht stürzten, welches das rechte Ufer des Mississippi umsäumte, – mit derselben sorglosen Kühnheit, die schon so viele von ihnen, in ihrer mühsamen Wanderung von den atlantischen Staaten nach den Ostküsten des »Vaters der Ströme« geleitet hatte.

Zeit konnte allein die zahlreichen und begüterten Colonisten der untern Provinz mit ihren neuen Landsleuten verschmelzen; aber die spärlichere und ärmere Bevölkerung oben ward fast alsbald in dem Strudel bei der Fluth drängender Wanderung mit fortgerissen. Dieser Einfall von Osten war ein neuer und plötzlicher Ausbruch eines Volkes, das vorübergehenden Zwang geduldet, nachdem es sich vorher durch Siege unwiderstehlich gemacht. Die Mühen und Unglücksfälle bei ihren früheren Unternehmungen waren vergessen, als diese endlosen und unerforschten Landschaften, mit all ihren wirklichen oder eingebildeten Vortheilen ihrem unternehmenden Geiste offen hingelegt wurden. Die Folgen waren so, wie sie leicht hätten vorausgesehen werden können, als ein so verführerisches Anerbieten einer Völkerschaft vorgehalten ward, die in Abenteuern auferzogen, in Mühseligkeiten aufgewachsen war.

Tausende von denen, die schon lange das, was damals »die neuen Staaten« genannt ward, bewohnt hatten, brachen auf, entrissen sich dem Genuß ihrer schwer erlangten Ruhe und zeigten sich an der Spitze langer Reihen von Abkömmlingen, die die Wildniß von Ohio und Kentucky geboren und auferzogen hatte, – zogen tiefer in’s Land, suchten, was ohne dichterische Ausschmückung ihre natürliche und angemessenere Atmosphäre genannt werden kann. Der ausgezeichnete und entschlossene Waldmann, der zuerst die Wildnisse des letztern Staates durchdrang, war unter ihnen. Diesen unerschrockenen, ehrwürdigen Stammvater sah man jetzt seinen letzten Rückzug machen, den »endlosen Strom« zwischen sich und die Menge setzen, die sein Erfolg um ihn gesammelt und nach Wiedererlangung eines Glückes streben, das, durch menschliche Einrichtungen eingeengt, für ihn werthlos war.

Bei dem Aussuchen solcher Abenteuer werden die Wanderer entweder von ihren früheren Gewohnheiten beherrscht oder von ihren geheimen Wünschen bethört. Einige wenige, von den Luftgebilden der Hoffnung geleitet, und gierig nach schnell zu erlangendem Reichthum, durchwühlten die Minen des jungen Landes, aber bei weitem der größere Theil der Ausgewanderten begnügte sich damit, sich an den Ufern der großen Wasser anzusiedeln, zufrieden mit der reichen Ausbeute, welche der dankbare angeschwemmte Boden der Ströme auch dem lässigsten Anbau nie verweigert. Auf diese Weise bildeten sich wie durch einen Zauber schnell Gemeinden, und die meisten von denen, welche Zeugen des Ankaufs des leeren Landes gewesen, sahen noch einen volkreichen, unabhängigen Staat sich bilden, abgesondert sich darstellen und seine Aufnahme in die Conföderation mit gleichen politischen Rechten bewerkstelligen.

Die Vorfälle und Auftritte, welche mit unserer gegenwärtigen Erzählung verknüpft sind, ereigneten sich in den ersten Zeiten der Unternehmungen, welche zu einem so schnellen und großen Ergebniß geführt haben. –

Die Ernte des ersten Jahres unseres Besitzes war längst vorüber, und die falben Blätter weniger zerstreut stehender Bäume zeigten schon die Farben und Schattirungen des Herbstes, als eine Reihe von Wagen aus dem Bette eines trockenen Baches hervorkam, um über die wellenförmige Oberfläche einer höckerigen Steppe ihren Zug fortzusetzen. Die Fuhrwerke, mit Hausgeräth und Werkzeugen des Ackerbaus beladen, die wenigen langsam sich fortschleppenden Schafe und Kühe, welche den Nachzug bildeten; das struppige Aussehen, die sorglose Miene der Männer, welche an der Seite ihrer saumseligen Gespanne hinschlenderten, – alles dies zusammengenommen zeigte, daß eine Bande Auswanderer auf dem Weg nach dem Eldorado ihrer Wünsche begriffen sei. Ganz dem gewöhnlichen Verfahren ihrer Kaste zuwider, hatte diese Rotte den fruchtbaren Boden des Unterlandes verlassen und durch Mittel, die nur solchen Abenteurern bekannt sind, ihren Weg durch Abgründe und Gießbäche, über tiefe Moräste und brennende Wüsten zu einer Gegend gefunden, die sich weit über die Grenzen menschlicher Wohnungen erhebt. Vor ihnen breiteten sich die weiten Ebenen aus, welche mit so wenig Abwechselung bis zum Fuß der Felsgebirge fortlausen, und viele traurige Meilen hinter ihnen schäumten die stürmischen, wilden Wasser des La Plata.

Die Erscheinung eines solchen Zugs in diesen nackten, einsamen Gründen ward dadurch noch auffallender, daß die Landschaft ringsum so wenig darbot, was die Lust eines unternehmenden Geistes reizen, und, wo möglich, noch weniger, was den Hoffnungen eines gewöhnlichen Auswanderers schmeicheln konnte. Die magern Gräser der Steppe sprachen nicht zu Gunsten eines harten, widerspenstigen Bodens, über welchen die Räder der Fuhrwerke so leicht hinrollten, als ob sie auf planer Heerstraße führen; weder Wagen noch Thiere ließen eine tiefere Spur hinter sich, als daß sie das welke, verbrannte Gras leicht zeichneten, das vom Vieh manchmal abgerissen, aber eben so oft wieder weggeworfen ward, – zu saueres Futter, als daß selbst ihr Hunger es ihnen hätte genießbar machen können.

Welches aber immer das letzte Ziel dieser Abenteurer sein mochte, oder die verborgenen Ursachen ihrer scheinbaren Ruhe in einer so entfernten, verlassenen Lage, kein Zeichen von Furcht oder Kummer verrieth Gesicht und Haltung auch nur eines einzigen von ihnen, Weiber und Kinder mit einbegriffen waren ihrer über zwanzig.

Etwas voran, an der Spitze des Ganzen zog ein Mann, der nach Haltung und Aeußerem der Führer der Schaar schien; er war schlank, von der Sonne verbrannt; über das mittlere Alter hinaus; sein stumpfes Ansehen, sein ausdrucksloses Gesicht zeigte eher alles andere als Reue über das Vergangene, aber Angst wegen der Zukunft. Sein Bau schien schlaff und hinfällig, war aber derb und ungewöhnlich stark! doch für Augenblicke nur, wenn ein unbedeutendes Hinderniß sich ihrem Zug entgegenstellte, entwickelte seine Gestalt, welche sonst so schmächtig und nervlos schien, etwas von der Kraft, die in seinem Organismus verborgen lag, wie die schlummernde, unbehülfliche, aber furchtbare Stärke im Belehnten. Die untern Züge seines Gesichts waren roh, breit und unbezeichnend, die obern, oder die edleren Theile, welche Ausdruck der Seele sein sollen, niedrig, zurücktretend und gemein.

Die Kleidung dieses Mannes bestand aus den groben Stücken eines Landmanns und den ledernen Bekleidungen, welche Sitte sowohl als Brauchbarkeit einem, auf solchen Zügen begriffenen Wanderer gewissermaßen nöthig gemacht hatte. Ueber diesen Anzug war übelgewählter Schmuck, ohne Geschmack reichlich angehängt. Statt des gewöhnlichen hirschledernen Gürtels trug er um den Leib eine verblichene seidene Schärpe, von den schillerndsten Farben; der hörnerne Griff eines Messers war verschwenderisch mit Silberplättchen belegt, der Pelz an seiner Mütze so fein und zart, daß eine Königin darnach hätte verlangen mögen; die Knöpfe seines groben, schmutzigen, wollenen Rocks waren von dem kostbaren Metall aus Mexiko; der Schaft seiner Flinte bestand aus schönem Mahagony, das durch eben solches Metall zusammengehalten und vereinigt ward. Zierrath und anderer Tand hing an drei werthlosen Uhren an verschiedenen Stellen an ihm herab. Außer dem Ranzen und Gewehr, welche, mit der wohlgefüllten Tasche und Pulverbüchse, sorgfältig verwahrt, um den Rücken geschlungen waren, hatte er nachlässig eine scharfe, blanke Holzart um die Schulter geworfen und trug das Gewicht des Ganzen mit soviel anscheinender Leichtigkeit, als ob er, die Glieder frei, ohne die geringste Last sich bewege.

Wenig hinter ihm kam ein Trupp junger Leute, von fast ganz gleicher Kleidung, die sich unter einander und ihrem Führer ähnlich genug waren, um sie für Kinder einer Familie zu halten. Konnte auch der jüngste von ihnen nicht weit über die Periode hinaus sein, welche im strengen Gesetzesstyl die Zeit des Verstandes genannt wird, so hatte er sich doch schon in so weit der Vorfahren würdig gezeigt, daß er seine anstrebende Figur bis zur Musterhöhe seines Stammes hinaufgebracht. Ein oder zwei andere waren noch unter ihnen, von etwas verschiedener Gestalt, deren Beschreibung jedoch dem Lauf der Erzählung aufbehalten werden muß.

Unter dem weiblichen Theil des Zuges fanden sich nur zwei, welche erwachsen waren, obgleich verschiedene weißgelockte, olivenfarbige Gesichtchen, die Augen voll Neugier und Leben, aus dem vordersten Wagen von Zeit zu Zeit hervortauchten. Die ältere von den zwei Erwachsenen war die bräunliche, alternde Mutter der meisten von ihnen, – die jüngere ein lebhaftes, tätiges Mädchen von achtzehn Jahren, das nach Gestalt, Kleidung und Miene einem um mehrere Stufen höherem Stande als alle ihre übrigen sichtbaren Gefährten anzugehören schien. Das zweite Fuhrwerk war mit einem Tuch so sorgfältig überspannt, daß es auch dem schärfsten Blick seinen Inhalt verbarg. Die übrigen Wagen waren nur mit solchen Gerätschaften und Effecten beladen, wie sie der zu besitzen pflegt, der in jedem Augenblick, ohne Rücksicht auf Jahreszeit und Entfernung, seinen Aufenthalt zu wechseln bereit ist.

Es fand sich wohl in diesem Zug und im Aeußern der Wanderer schon etwas, was man nicht täglich auf den Heerstraßen unseres veränderlichen und unsteten Landes zu sehen Gelegenheit hat. Aber der einsame und ganz eigene Schauplatz, auf dem sie so unerwartet auftraten, gab ihnen einen grellen Anstrich von Wildheit und Abenteuerlichkeit.

In den kleinen Thälern, welche bei der geregelten Bildung des Landes auf jeder Meile ihres Zuges sich zeigten, ward die Aussicht auf zwei Seiten von den allmächtig sich erhebenden unbedeutenden Anhöhen begrenzt, wovon die Art Steppen, die wir oben erwähnt, ihren Namen haben, während von den andern Seiten die Aussicht über lange, enge, dürre Fernen sich verbreitete, welche nur kärglich durch eine armselige Bekleidung mit einer struppigen, wiewohl manchmal üppigen Vegetation, sich aufzuputzen strebten. Von den Gipfeln dieser Anhöhen mochte das Auge nach allen Seiten sich richten, es ermüdete bei der Einförmigkeit und betrübenden Traurigkeit der Landschaft. Die Erde war dem Ocean nicht unähnlich, wenn seine rastlosen Wasser sich nur noch mit Mühe aufthürmen, nachdem die Kraft und Wuth des Sturmes angefangen sich zu mindern. Hier dieselbe wellenförmige, geregelte Fläche, dieselbe Abwesenheit aller fremdartigen Gegenstände, dieselbe grenzenlose Aussicht. In der That so auffallend war die Ähnlichkeit zwischen Wasser und Land, daß, mag auch der Geologe bei einer so einfachen Lehre lächeln, ein Dichter nothwendig hätte auf den Gedanken kommen müssen, die Bildung des einen sei nur durch die aufgehobene Herrschaft des andern vor sich gegangen. Hier und da ragte ein hoher Baum hervor und breitete seine nackten Aeste aus –, wie ein einsames Schiff; ja, um die Täuschung noch zu erhöhen, erschienen weit in der äußersten Entfernung zwei bis drei kreisförmige Dickichte, die im nebelichten Horizont wie Eilande im Schooße der Wasser schwammen. Man braucht den kundigen Leser nicht erst zu erinnern, daß die Einförmigkeit der Fläche, und der niedrige Standpunkt der Schauenden die Entfernungen vergrößerten, aber da immer noch Anhöhe auf Anhöhe erschien, Eiland auf Eiland sich zeigte, war dies eine entmuthigende Gewißheit, daß lange und scheinbar grenzenlose Landstriche noch zurückzulegen seien, ehe die Wünsche auch der bescheidensten Landbauer verwirklicht werden könnten.

Noch setzte der Führer der Auswanderer, nur von der Sonne geleitet, seinen Weg standhaft fort, wandte entschlossen den Wohnungen der Bildung den Rücken, und verwickelte sich mit jedem Schritt immer tiefer, wenn nicht ohne Rückkehr, in die Wohnungen der barbarischen, wilden Besitzer des Landes. Als aber der Tag sich immer mehr zu seinem Ende neigte, ward sein Gemüth, das vielleicht unfähig war, weiter zu berechnen und vorauszusehen, als was der Augenblick erheischte, in etwas durch die Sorge beunruhigt, wie er für die Bedürfnisse der kommenden Stunden der Finsterniß Rath schaffe.

Als er die Spitze einer Anhöhe, die etwas ansehnlicher als die gewöhnlichen war, erreicht hatte, stand er einen Augenblick, und warf die Blicke halb sehnsüchtig noch allen Seiten, um nach den wohlbekannten Zeichen zu spähen, welche eine Stelle verrathen könnten, wo die drei großen Erfordernisse, Wasser, Holz und Futter anzutreffen wären.

Es schien, als wenn dies Forschen fruchtlos gewesen, denn nach einigen Augenblicken kalter, gleichgültiger Untersuchung stieg seine hohe Gestalt die Anhöhe hinab, eben so lässig, wie ein überfüttertes Thier dem Drucke nach unten nachgibt.

Seinem Beispiel folgten schweigend, die hinter ihm gingen, aber erst nachdem sie mehr Aufmerksamkeit, wenn nicht Besorgniß, bei der kurzen Untersuchung verrathen, die jeder nach der Reihe anstellte, als er diesen Punkt der Aussicht erreicht. Es war jetzt aus dem langsamen Fortbewegen der Thiere und Menschen deutlich zu vermuthen, daß die Zeit der nöthigen Ruhe nicht mehr ferne sei. Die verwickelten Gräser des untern Landes boten Schwierigkeiten dar, welche Ermüdung gefährlich zu machen begann. Die Peitsche war mehrmals nöthig geworden, die zögernden Gespanne zum Ziehen anzutreiben. In diesem Augenblick, wo mit Ausnahme der Hauptperson allgemeine Ermüdung sich der Reisenden bemächtigt hatte, und jedes Auge, wie durch einen Trieb, sehnsuchtsvoll vorwärts gerichtet war, ward der ganze Trupp durch ein eben so plötzliches als unerwartetes Ereigniß zum Stehen gebracht.

Die Sonne war hinter dem Gipfel des nächsten Hügels hinabgesunken, und ließ auf ihrer Spur, wie sie pflegt, einen hellglänzenden Streifen zurück. In der Mitte dieser Lichtfluth erschien eine menschliche Gestalt, so deutlich auf den goldnen Grund hingegossen, als ob man sie mit der Hand erreichen könnte. Die Gestalt war colossal, die Stellung nachdenkend, traurig; und der Ort, den sie einnahm, gerade auf dem Weg der Reisenden. Aber eingehüllt in ihr glänzendes Lichtgewand, machte sie es unmöglich, mehr über die Verhältnisse der Glieder, über ihren Ausdruck zu entdecken.

Die Wirkung eines solchen Schauspiels war augenblicklich und ergreifend. Der Mann an der Spitze machte Halt und schaute nach dem geheimnißvollen Wesen mit einem stumpfen Antheil, der bald in eine Art abergläubischer Verehrung überging; seine Söhne stellten sich, sobald die erste Bewegung der Ueberraschung ein wenig nachgelassen, leise um ihn, und da diejenigen, welche die Gespanne führten, nach und nach ihrem Beispiel folgten, war der ganze Zug bald in eine schweigende, staunende Gruppe gesammelt. Aber obgleich der Eindruck einer übernatürlichen Macht sehr allgemein unter den Ziehenden war, wurde doch Waffengeräusch gehört, und einer oder zwei der kühnem Jünglinge nahmen ihre Gewehre vor, um zu jedem Dienst bereit zu sein.

»Schick die Jungen rechts,« rief das entschlossene Weib, die Mutter, mit einer scharfen, mißtönenden Stimme, »ich wette, Asa oder Abner werden uns nähere Auskunft über das Ding geben.«

»Es mag gut sein, die Flinte zu versuchen,« murmelte ein finsterer Mann, dessen Züge in Gestalt und Ausdruck keine geringe Aehnlichkeit mit dem Weibe hatten, das zuerst gesprochen, und der jetzt, während er diese entschlossene Meinung aussprach, das Gewehr los machte, und es geschickt an die Wangen brachte, »die Wolf-Pawnee, sagt man, jagen nur zu Hunderten in der Ebene, ists so, so werden sie einen Mann aus ihrem Stamm nicht vermissen.«

»Halt!« rief mit sanftem Ton, aber von Furcht geängstet eine weibliche Stimme, die augenscheinlich den zitternden Lippen der jüngeren der beiden Frauen angehörte, »wir sind nicht all beisammen, es könnt‘ ein Freund sein.«

»Wer rührt sich da?« fragte der Vater, und maß zu gleicher Zeit den Haufen seiner stattlichen Söhne mit einem unwilligen, trüben Auge. »Weg mit der Flinte, die Flinte weg,« fuhr er fort, und wies des andern Hülfe mit einem Riesenfinger zurück, mit dem Blick eines Menschen, dem nicht zu gehorchen gefährlich sein möchte. »Mein Werk ist noch nicht zu Ende, laßt mich das Uebrige, es ist so wenig, in Frieden beschließen.«

Der Mann, welcher eine so feindliche Absicht gezeigt, schien den andern zu verstehen, und ließ sich von seinem Vorhaben abwenden. Die Söhne richteten ihre Blicke fragend auf das Mädchen, das so eifrig gesprochen, um Ausklärung zu erhalten; aber sie, gleichsam zufrieden, für den Unbekannten Aufschub erlangt zu haben, war schon wieder auf ihren Sitz herabgesunken, und hüllte sich in ihr mädchenhaftes Schweigen.

Mittlerweile hatten sich die Farben am Himmel oft geändert; an die Stelle des Glanzes, der das Auge blendete, war ein blasseres, sanfteres Licht getreten, und je mehr der Untergang seine Pracht verlor, wurden die Verhältnisse der abenteuerlichen Gestalt weniger ungeheuer und endlich ganz deutlich. Der Führer, der sich schämte, länger zu zögern, nun, da die Wahrheit nicht länger zweifelhaft war, setzte seine Reise fort, und gebrauchte nur die Vorsicht beim Herabsteigen, daß er seine eigene Flinte vom Riemen los machte, um sie in eine zum schnellen Gebrauch bequemere Lage zu bringen.

Solche Wachsamkeit schien jedoch ziemlich unnöthig. Von dem Augenblick an, wo sie so unbegreiflich gleichsam zwischen Himmel und Erde erschienen, hatte die fremde Gestalt weder die geringste Bewegung gemacht, noch sonst ein Zeichen von Feindseligkeit gegeben. Hätte sie auch eine böse Absicht gehegt, sie schien, als sie nun völlig zu Gesicht kam, wenig im Stande, sie auszuführen.

Ein Körper, der die Beschwerden von mehr als achtzig Wintern getragen, war nicht geeignet, Furcht in so kräftigen Wanderern zu wecken. Aber ungeachtet seiner Jahre und einem Anschein von Abzehrung, wo nicht von Noth, lag in diesem einsamen Wesen etwas, was aussagte, Zeit, nicht Krankheit habe zu schwer auf ihm gelastet. Seine Gestalt war geschwunden, aber nicht verwüstet; die Sehnen und Nerven, welche einst große Kraft gezeigt, waren, obgleich eingeschrumpft, doch noch sichtbar; sein ganzes Aeußere hatte ein Ansehn von Abhärtung erlangt, welche, wäre nicht zu bekannt die Hinfälligkeit der Menschheit, die fernern Verwüstungen der Zeit hätten herausfordern mögen. Seine Kleidung bestand hauptsächlich aus Fellen, das Haar nach außen gewendet; ein Ranzen und Pulverhorn hing um seine Schultern; ein Gewehr von ungewöhnlicher Länge, das wie sein Eigenthümer Spuren eines langen und harten Dienstes trug, diente ihm zur Stütze.

Als der Zug sich diesem einsamen Wesen näherte und in eine Entfernung gekommen war, wo man sich einander verstehen konnte, tönte ein dumpfes Knurren aus dem Grase zu seinen Füßen herauf, und dann erhob sich ein hoher, magerer, zahnloser Hund schwerfällig von seinem Lager auf, schüttelte sich und machte Miene, als wolle er sich der Annäherung der Wanderer widersetzen.

»Weg, Hektor, weg!« rief sein Herr mit einer vor Alter etwas zitternden, hohlen Stimme; »was hast du, Alter, mit Leuten zu schaffen, die ihres Wegs ziehen?«

»Fremder, seid Ihr bekannt in dieser Gegend?« sagte der Führer der Auswanderer, »so zeigt einem Reisenden, wo er das Nothwendige für diese Nacht finden kann.«

»Ist das Land auf der andern Seite des großen Flusses schon voll?« fragte der alte Mann feierlich, ohne auf die Rede des andern zu achten; »oder warum sehe ich, was ich nie wieder zu schauen gedachte?«

»Es ist freilich noch Land übrig für die, welche Geld haben und in ihrer Wahl nicht eigensinnig sind,« erwiederte der Auswanderer; »aber für mich ist Alles schon überfüllt. Wie weit rechnet man wohl von hier bis zum nächsten Punkt am Hauptstrom?«

»Ein gejagtes Reh könnte seine Seiten im Mississippi nicht erfrischen, ohne einen Lauf von fünfhundert langen Meilen.«

»Und wie nennt Ihr die Gegend hier ringsum?«

»Wie nennt Ihr,« erwiederte der alte Mann und zeigte bedeutungsvoll aufwärts, »die Stelle, wo Ihr jene Wolke seht?«

Der Auswanderer sah den Andern an, als ob er den Sinn der Rede nicht gefaßt und halb argwöhnte, zum Besten gehalten zu werden; aber er begnügte sich, zu sagen:

»Ihr seid, denke ich, nur ein neuer Bewohner, wie ich, Fremder, sonst würdet Ihr Euch nicht weigern, einem Wanderer mit Euerm Rath einen Beistand zu leisten, der Euch so wenig kostet, da es nur ein Geschenk in Worten ist.«

»Es ist kein Geschenk, sondern eine Schuld, die der Aeltere dem Jüngeren abtragen muß; was wünscht Ihr zu wissen?«

»Wo ich die Nacht lagern könnte. Ich mach‘ nicht viele Schwierigkeit wegen Bett und Lager; aber alle alten Wanderer, wie ich, kennen den Werth guten Wassers und Futters für’s Vieh.« »So kommt denn mit, und Ihr sollt Beides finden; doch kann ich wenig mehr auf dieser öden Steppe Euch bieten.«

Während der Alte noch sprach, hob er sein schweres Gewehr mit einer Leichtigkeit auf die Schulter, die selten bei seinen Jahren und seinem Aussehn gefunden wird, und führte sie ohne weitere Worte den Weg über die Anhöhe in die anstoßende Niederung.

Zehntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

»Geh‘ auf die Seite, Adam, und du kannst dann hören,
Wie sehr er mich bestürmen wird.«

So wie es euch gefällt.

 

Es ist bekannt, daß selbst lange vorher, ehe die unbegrenzten Landschaften von Louisiana ihren Herrn zum zweiten, und, wie man hoffen darf, zum letzten Mal vertauschten, sein ungeschütztes Gebiet gar nicht vor den Einfällen weißer Abenteurer sicher war. Die halbwilden Jäger aus den Canada, dieselbe Menschenrasse, ein wenig mehr gebildet, aus den Staaten, und die Mestizen oder Gemischten, welche zu den Weißen gezählt sein wollten, lebten unter den verschiedenen indischen Stämmen zerstreut, oder suchten in der Einöde, unter den Schlupfwinkeln der Biber und Bison, oder, um dem Landessprachgebrauch zu folgen, – der Büffel kärglichen Unterhalt.

So war es also nicht ungewöhnlich, daß Fremde einander in den endlosen Wüsten des Westen begegneten. An Zeichen, die ein ungeübtes Auge unbemerkt gelassen hatte, erkannten diese Grenzwohner, wenn einer ihrer Gefährten nahe war, und so vermieden oder suchten sie den Ankömmling, je nachdem es mit ihren Gefühlen oder Vortheilen übereinstimmte. Zum öftersten waren diese Besuche friedlich, denn die Weißen hatten einen gemeinsamen Feind in den alten und vielleicht rechtmäßigern Bewohnern des Landes zu fürchten; aber auch die Fälle waren gar nicht selten, wo Eifersucht und Gier sie trieben, sich in Ausbrüchen der größten Gewaltthätigkeit und gefühllosesten Verrätherei zu trennen. Das Begegnen zweier Jäger in der amerikanischen Wüste, wie wir manchmal diese Gegend zu nennen belieben, hatte folglich immer etwas von der verdachtvollen und vorsichtigen Art, womit zwei Schiffe in einer See zusammenkommen, von der man weiß, daß sie von Seeräubern unsicher gemacht wird. Während kein Theil durch ein Zeichen von Mißtrauen seine Schwäche verrathen will, ist auch keiner geneigt, durch ein zutrauliches Benehmen, das dann nicht so leicht wieder abgestellt wird, sich in Gefahr zu bringen.

Von dieser Art war auch gewissermaßen die gegenwärtige Zusammenkunft. Der Fremde näherte sich vorsichtig, und hielt sein Auge standhaft auf alle Bewegungen des andern Theils gerichtet, während er vorsätzlich kleine Hindernisse sich schuf, um ein Nahekommen zu verzögern, das vielleicht zu schnell sein möchte. Auf der andern Seite spielte Paul mit dem Schloß seiner Flinte, zu stolz, als daß er merken lassen sollte, drei Männer könnten die geringste Furcht vor einem einzelnen zeigen, und doch zu vorsichtig, ganz die gewöhnlichen Vorkehrungen zu versäumen. Die Hauptursache von dem auffallenden Unterschied, womit die zwei gesetzmäßigen Theilnehmer an der Mahlzeit ihre Gäste empfingen, mußte man in der gänzlichen Verschiedenheit ihres respectiven Aeußern suchen.

Während das Ansehen des Naturforschers ausgezeichnet friedlich, um nicht zu sagen, zerstreut schien, drückte das des neuen Ankömmlings eine Kraft aus, zeigte eine Stirn und einen Schritt, die man leicht für militärisch hätte halten mögen. Er trug eine Commiskappe von feinem, blauem Tuch, an der eine schmutzige goldene Quaste herabhing; die Mütze selbst verlor sich fast ganz in der Masse des reichen, lockigen, pechschwarzen Haars. Um den Hals hatte er nachlässig ein schwarzes seidenes Tuch herumgewunden; im Uebrigen war er in ein Jägergewand gekleidet, das mit gelben Franzen und andern Zierrathen besetzt war, wie man es manchmal unter den Grenztruppen der Conföderation sah. Unter diesem Kleid ward jedoch das Koller und die Umschläge einer Jacke von derselben Farbe und aus demselben Stoff, wie die Mütze, sichtbar. Seine untern Gliedern wurden durch Strümpfe von Bockleder und seine Füße durch gewöhnlichen indischen Moccasins geschützt. Ein reich geschmückter und außerordentlich gefährlicher langer Dolch steckte in einem Gürtel von roth seidener Nesselarbeit; ein anderer Gürtel oder vielmehr Bund von ungefärbtem Leder enthielt in wohlangepaßten Halftern kleine Pistolen; und um seine Schultern hatte er ein kurzes, schweres Soldatengewehr geworfen; sein Pulverhorn und seine Taschen nahmen ihre gewöhnliche Stelle zur Seite unter seinem Arm ein. Auf dem Rücken trug er einen Schnappsack, mit den wohlbekannten Anfangsbuchstaben, die der Verwaltung der Vereinten Staaten ( United States) seitdem den witzigen und lieben Namen UncIe Sam (Onkel Sam) verschafft haben.

»Ich komm‘ als Freund,« sagte der Fremde und schien zu sehr an den Anblick der Waffen gewöhnt, um sich über die lächerlich kriegerische Stellung, die Doctor Battius hatte annehmen wollen, zu entsetzen. »Ich komm‘ als Freund, dessen Streben und Wünsche mit Euren nicht in Streit gerathen werden.«

»Hört, Fremder,« sagte Paul Hover barsch, »versteht Ihr einen Schwarm von dieser offenen Stelle bis in einen Wald, entfernt vielleicht ein Dutzend Meilen zu verfolgen.«

»Die Biene ist ein Vogel, dem ich nie nachzugehen gedachte,« erwiederte der Andere lachend, »obwohl ich zu meiner Zeit auch so etwas von einem Vogeljäger war.«

»Das meint‘ ich auch,« rief Paul, und streckte offen die Hand aus, ganz mit der wahren Freimüthigkeit, die den amerikanischen Grenzwohner auszeichnet. »Gebt die Hand. Ihr und ich, wir werden uns nie um die Scheiben zanken, da Ihr Euch so wenig aus dem Honig macht. Und nun, wenn Euer Magen noch einen leeren Platz hat, und Ihr einen klaren Thautropfen, der Euch in’s Maul fällt, zu benutzen wißt, so liegt dort ein herrlicher Bissen, den Ihr hineinstecken könnt. Versucht’s, Fremder, und wenn Ihr’s versucht habt, und es nicht ein so köstliches Stückchen nennt, wie Ihr je, seit – wie lange verließt Ihr die Ansiedelungen?«

»Seit vielen Wochen, und ich fürchte, es kann noch einmal so lang dauern, bis ich wieder hinkomme. – Ich nehme übrigens Eure Einladung gerne an, denn ich habe seit Sonnenaufgang gestern gefastet und kenne zu wohl die Vortrefflichkeit eines Bisonrücken, um das Essen auszuschlagen.«

»Ah, Ihr kennt das Gericht! Nun darin hättet Ihr freilich noch vor einem Augenblick etwas vor mir vorausgehabt, wiewohl ich jetzt denken sollte, wir ständen uns gleich. Ich wär‘ in der That der glücklichste Bursche zwischen Kentucky und den Felsengebirgen, wenn ich nur eine kleine Hütte an einem alten Wald mit hohlen Bäumen hätte, so einen Bisonrücken jeden Tag zum Mittagessen, eine Last frisches Stroh für die Bienen und klein El – –«

»Klein, was?« fragte der Fremde, dem der gesprächige und offene Bienenjäger zu gefallen schien.

»Etwas, das ich eines Tags haben werde, und das Niemand so sehr betrifft als mich,« erwiederte Paul, und pickte an seinem Flintenstein, während er sehr kriegerisch ein an den Wassern des Mississippi gewöhnliches Lied pfiff.

Unter diesem einleitenden Gespräch hatte der Fremde seinen Sitz vor dem Bisonrücken eingenommen, und machte schon einen ernsthaften Angriff auf die Ueberbleibsel. Doctor Battius jedoch beobachtete seine Bewegungen mit einer Eifersucht, die noch weit auffallender, als die herzliche Aufnahme des offenen Paul war.

Aber die Zweifel oder vielmehr Besorgnisse des Naturforschers waren von ganz anderer Art, als das Zutrauen des Bienenjägers. Er hatte sich darüber erstaunt, daß der Fremde den rechten Namen statt des falschen von dem Thier gebrauchte, welches jetzt seine Mahlzeit ausmachte, und da er selbst einer der ersten gewesen war, welche die Wegräumung der Hindernisse benutzten, die die spanische Politik der Erforschung ihrer transatlantischen Besitzungen in den Weg gelegt, (mochte sie Handelsabsichten, oder, wie dies bei ihm der Fall war, die löblichern Zwecke der Wissenschaft betreffen,) so hatte er Einsicht genug, zu fühlen, daß dieselben Beweggründe, die ihn so mächtig zu seiner gegenwärtigen Unternehmung getrieben hatten, eine gleiche Wirkung auf das Gemüth anderer Freunde der Natur haben könnten. Er sah also hier eine beunruhigende Rivalität voraus, welche ganz das Aussehen hatte, als ob sie ihn wenigstens der Hälfte des gerechten Lohns seiner Arbeiten, Entsagungen und Gefahren berauben wollte. Betrachtet man seinen Charakter also von dieser Seite, so ist es gar nicht zu verwundern, wenn die Milde der Gemüthsart des Naturforschers ein wenig getrübt ward, und er das Verhalten des Andern mit der Aufmerksamkeit bewachte, die er für nöthig hielt, um seine feindlichen Pläne zu entdecken.

»Das ist in Wahrheit ein herrliches Essen,« bemerkte der sorglose, junge Fremde, denn auf beides, Jugend und Schönheit mochte er wohl Anspruch machen; »entweder hat mein Hunger dem Fleisch eine besondere Schmackhaftigkeit gegeben, oder der Bison kann sich mit den herrlichsten des Ochsengeschlechts vergleichen!«

»Die Naturforscher, Herr, wenn sie vertraulich sprechen, geben wohl der Kuh den Vorzug, nach ihr das Genus zu benennen«, sagte Doctor Battius und räusperte sich, ehe er sprach, ganz so, wie ein Zweikämpfer die Spitze der Waffe untersucht, die er dem Gegner in den Leib rennen will. »Ihre Gestalt ist vollkommner, auch ist der bos, d. h, Ochse, nicht im Stande die Art fortzupflanzen; während der b os im weitesten Sinn oder die vacca immer das edlere Thier von den beiden ist.«

Der Doctor sprach diese Meinung mit einer Miene aus, die seine Bereitwilligkeit ausdrücken sollte, alsbald auf einen der zahlreichen Streitpunkte überzugehen, die, wie er nicht zweifelte, zwischen ihnen bestünden; und so wartete er auf den Schlag seines Gegenkämpfers, worauf denn sein nächster Hieb noch kräftiger sein sollte. Aber der junge Fremde schien weit mehr geneigt, an dem guten Essen Theil zu nehmen, womit er so gelegen versehen worden, als den Handschuh zum Streit über Einen oder den Andern der verwickelten Puncte aufzuheben, welche so geeignet sind, dem Liebhaber der Wissenschaft Stoff zu einem gelehrten Lanzenbrechen zu geben.

»Ich glaube wohl, Ihr habt ganz Recht,« erwiederte er mit der empörendsten Gleichgültigkeit in Hinsicht der Wichtigkeit des Zugestandenen. »Ich glaube, Ihr habt ganz Recht, und vacca würde das bessere Wort gewesen sein.«

»Verzeiht mir, Herr, Ihr gebt meiner Sprache einen falschen Sinn, wenn Ihr meint, ich brächte, ohne viele und ganz besondere nähere Bestimmungen den bubulus americanus in die Familie vacca. Denn, wie Ihr wohl wißt, Herr, – oder wie ich lieber hätte sagen sollen, Doctor – Ihr habt doch ohne Zweifel das medizinische Diplom?« –

»Ihr schreibt mir da eine Ehre zu, worauf ich keinen Anspruch mache,« unterbrach der Andere.

»Einen untern Grad also! – oder vielleicht habt Ihr in einer andern freien Kunst promovirt?«

»Noch weit schlimmer, versichere Euch.«

»Ihr habt Euch aber doch gewiß nicht, junger Mann, in dies wichtige – ich möchte sagen feierliches Unternehmen gewagt, ohne einen Beweis von Eurer Tüchtigkeit zu diesem Dienst vorzeigen zu können; einen Auftrag, wodurch Ihr einen Beruf zu diesem Geschäft darthun, und eine Verwandtschaft und Gemeinschaft mit Euren Mitarbeitern in dem menschenfreundlichen Bestreben ansprechen könnt.«

»Ich weiß nicht durch welche Mittel oder zu welchem Zweck Ihr Euch mit meinen Plänen bekannt gemacht,« rief der Jüngling, ward roth, und erhob sich mit einer Schnelligkeit, welche zeigte, wie wenig er die leiblichen Bedürfnisse berücksichtige, wenn etwas seinem Herzen näher liegendes berührt ward. »Noch, Herr, ist Eure Sprache mir unverständlich. Das Streben, was bei einem Andern vielleicht mit Recht menschenfreundlich und aufopfernd genannt werden könnte, ist bei mir eine theure, liebe Pflicht; warum aber ein Auftrag verlangt werden oder nöthig sein sollte, ist, ich gesteh‘ es, ebenfalls etwas, was mich nicht weniger erstaunt.«

»Es ist gewöhnlich, sich mit einem solchen Document zu versehen,« erwiederte der Doctor ernst, »und es bei allen schicklichen Gelegenheiten vorzuzeigen, damit geistesverwandte und freundliche Gemüther zugleich allen unwürdigen Verdacht unterdrücken, und, was die Elemente des Gesprächs genannt werden kann, übergehend, mit einem Mal zu den Puncten kommen, welches für beide die wahren desiderata sind.«

»Eine sonderbare Forderung!« murmelte der Jüngling und wandte sein schwarzes, umschattetes Auge von einem zum andern, als ob er den Charakter seiner Gefährten erforschen und ihre physische Kraft wägen wollte. Dann brachte er die Hand in den Busen, zog ein kleines Kästchen hervor, und fuhr, es dem Doctor mit Würde reichend, fort: »Ihr werdet darin finden, Herr, daß ich einiges Recht habe, in einem Lande zu reisen, welches jetzt Eigenthum der amerikanischen Staaten ist.«

»Was haben wir da!« rief der Naturforscher, während er ein großes Pergament entfaltete; »ei, das ist ja die Unterschrift des Philosophen Jefferson. Es ist das Staatssiegel! Mitunterschrieben von dem Kriegsminister! Es ist ein Document, das Duncan Uncas Middleton zum Capitain der Artillerie macht.«

»Wen, wen!« rief wiederholt der Streifschütz, der den Fremden während der ganzen Unterredung mit Augen betrachtet hatte, die jeden Gesichtszug eifrigst zu verschlingen schienen. »Wie ist der Name? Nanntet Ihr ihn Uncas? War’s Uncas?«

»Das ist mein Name,« erwiederte der Jüngling stolz. »Es ist der Name von einem Landeshäuptling, den mein Oheim und ich stolz sind zu tragen, da er ein Andenken an einen wichtigen Dienst ist, welcher meiner Familie von einem Krieger in den alten Kämpfen der Provinzen geleistet ward.«

»Uncas! Nanntet Ihr ihn Uncas!« wiederholte immer noch der Streifschütz, er näherte sich dem Jüngling, und theilte die dunkeln Locken, welche über seine hohe Stirn herabfielen, ohne den geringsten Widerstand von Seiten des erstaunten Eigenthümers. »Ach meine Augen sind alt, und nicht mehr so scharf, als wie auch ich Soldat war; aber ich kann das Bild des Vaters im Sohn erkennen; ich sah es, als Ihr zuerst nahe kamt. Doch es gingen so viele Begebenheiten seitdem vor meinem erlöschenden Blick vorüber, daß ich den Ort nicht nennen konnte, wo mir ein Gegenbild vorgekommen. Sagt mir, Junge, unter welchem Namen ist Euer Vater bekannt?«

»Er war Offizier bei den Staaten im Revolutionskrieg, und natürlich trug er meinen Namen. Meiner Mutter Bruder hieß Duncan Uncas Heyward.«

»Noch Uncas, Uncas!« entgegnete der Andere zitternd vor Erwartung. »Und sein Vater?«

»Hieß eben so ohne den Titel des Landeshäuptlings. Ihm und meiner Großmutter ward der Dienst erwiesen, wovon ich eben sprach.«

»Ich wußte es, ich wußte es!« rief der alte Mann mit zitternder Stimme; seine rauhen Züge waren in mächtiger Bewegung, als ob die Namen, welche der andere nannte, lange schlafende Erinnerungen wieder aufweckten, die sie an Begebenheiten eines früheren Alters anknüpften. »Ich wußte es! Sohn oder Enkel, es ist dasselbe. Es ist sein Blut, es ist sein Blick! Sagt mir, lebt der, den sie Duncan nennen, ohne Uncas, lebt der noch?«

Der junge Mann schüttelte traurig das Haupt, als er Nein antwortete:

»Er starb reich an Tagen und Ehren. Geliebt, glücklich und beglückend.«

»Reich an Tagen!« wiederholte der Streifschütz, und sah nieder auf die eigenen magern, aber noch kräftigen Hände. »Ach er lebte in den Ansiedelungen und war nur weise nach ihrer Art. Aber Ihr habt ihn oft gesehen, ihn sprechen hören von dem Uncas und von der Wildniß.«

»Oft! Er war damals Diener des Königs. Aber als der Krieg ausbrach zwischen der Krone und den Colonieen, da vergaß mein Großvater nicht den Geburtsort, sondern warf weg die leere Last der Namen, und war treu seinem Vaterlande. Er focht auf der Seite der Freiheit.«

»Darin war Vernunft, und was noch besser ist, Natur! Kommt, setzt Euch nieder zu mir, Junge; setzt Euch, und sagt mir, was Euer Großvater zu erzählen pflegte, wenn seine Gedanken auf den Wundern der Wildniß verweilten.«

Der Jüngling lächelte, eben so sehr über das Drängen als über die Theilnahme des alten Mannes; aber da er fand, daß auch nicht mehr der geringste Schein einer Gewaltthätigkeit, die man hätte beabsichtigen können, da war, so willfahrte er ohne Zögern.

»Erzählt es all dem Streifschützen mit allen Umständen,« sagte Paul, und nahm ruhig seinen Sitz an der andern Seite des jungen Kriegers ein. »Die Greise lieben solche alten Erzählungen, und auch ich muß gestehen, ich höre sie nicht ungern.«

Middleton lachte wieder, und vielleicht mit etwas Spott; aber dann gutmüthig zum Streifschützen gewandt, fuhr er fort:

»Es ist eine lange und möchte wohl eine unangenehme Geschichte sein. Blutvergießen und alle Schrecken indianischer Grausamkeit und indianischer Kriege sind furchtbar in die Erzählung gemischt.«

»Ach gebt sie uns ganz, Fremder,« fuhr Paul fort. »Wir sind an solche Dinge in Kentucky gewöhnt, und ich muß sagen, ich halte deßwegen eine Erzählung nicht für schlechter, wenn manchmal darin ein Kopf scalpirt wird.«

»Aber er erzählte Euch von Uncas, nicht?« nahm der Streifschütz wieder das Wort, ohne auf die kurzen Unterbrechungen des Bienenjägers zu achten, die nur eine Art Zwischenspiele waren, »Und was dachte und sagte er von dem Jungen in seinem Cabinet, mit allen Bequemlichkeiten und Erfindungen der Colonieen zur Hand?«

»Ich zweifle nicht, er sprach so, wie er in den Wäldern gesprochen haben würde, hätte Aug‘ im Aug‘ vor seinem Freund er gestanden.«

»Nannte er den Wilden seinen Freund, den armen, nackten, bemalten Kämpfer, war er nicht zu stolz dazu, den Indianer Freund zu nennen?«

»Er rühmte sich sogar seiner Bekanntschaft, und wie Ihr schon gehört, gab seinem Erstgebornen einen Namen, der wie ein Erbstück auf seine übrigen Nachkommen übergehen soll.«

»Er that recht, er that wie ein Mann, ja und auch wie ein Christ. Er sagte oft, der Delaware sei schnellfüßig. Sagte er noch so?«

»Wie die Antilope! In der That er sprach oft von ihm unter der Benennung Le Cerf agile, ein Name, den er sich durch seine Thätigkeit erworben.«

»Und kühn und furchtlos, Junge,« fuhr der Streifschütz mit einem Eifer fort, der verrieth, mit welchem Vergnügen er das Lob eines Mannes hörte, den er offenbar einst zärtlich geliebt hatte.

»Tüchtig wie ein Löwe. Ohne Furcht. Er nannte immer Uncas und seinen Vater, der von seiner Weisheit Grand Serpent genannt ward, als Muster des Heldenmuths und der Standhaftigkeit.«

»Er ließ ihnen Gerechtigkeit widerfahren! Ja, nur Gerechtigkeit! Treuere Männer waren nicht zu finden, in keinem Stamm, in keinem Volk, ihre Haut mag eine Farbe haben, wie sie will. Ich seh‘, Euer Großvater war gerecht, und that seine Schuldigkeit auch noch nach seinem Tode! Es war eine gefährliche Zeit, die er auf den Hügeln verlebte; und er spielte seine Rolle edel. Sagt mir, Junge, oder Capitain vielmehr, – da Ihr Capitain seid, – war dies alles?«

»O nicht; es war, wie ich Euch gesagt habe, eine furchtbare Geschichte, voll der rührendsten Vorfälle, und das Gedächtniß meines Großvaters und meiner Großmutter – –«

»Ach!« rief der Streifschütz, und reckte die Hand in die Höhe, während sein ganzes Antlitz durch die Rückerinnerungen, die in ihm bei diesem Namen wieder auflebten, glänzte. »Sie nannten sie Alice! Elsie oder Alice, es ist dasselbe. Ein lachendes, spielendes Kind war sie, wenn glücklich; im Unglück sanft und voll Gefühl! Ihr Haar glänzend, blond, wie das Fell des jungen Reh’s, und ihre Haut klarer als das reinste Wasser, das vom Felsen träufelt. Wohl erinnere ich mich noch ihrer; ja noch recht wohl.«

Die Lippe des Jünglings verzog sich ein wenig, er betrachtete den alten Mann mit einem Blick, der leicht als eine Andeutung hätte erklärt werden mögen, daß seine Rückerinnerungen an den verehrungswürdigen und verehrten Ahnen nicht von der Art seien, obgleich es scheinen wollte, als ob er es für unnöthig hielt, dies in Worten auszudrücken. Er begnügte sich mit der Antwort: »Sie beide bewahrten die Eindrücke der Gefahren, denen sie ausgesetzt gewesen, zu lebhaft, um einen ihrer Mitgenossen zu vergessen.«

Der Streifschütz sah seitwärts, und schien mit einem tief ihm inwohnenden Gefühl zu kämpfen; dann, ob gleich seine treuen Augen nicht mehr mit demselben offenen Interesse, wie vorher, an ihm hingen, wieder zu ihm gewendet, fuhr er fort: »Erzählte er Euch von ihnen allen? Waren sie alle Rothhäute, er und die Töchter Munro ausgenommen?«

»Nein. Es hatte sich auch noch ein Weißer zu den Delawaren gesellt. Ein Spion der englischen Armee, aber ein Eingeborner der Provinzen.«

»Ein betrunkener, nichtswürdiger Herumstreicher?, wie die meisten seiner Farbe, die sich zu den Wilden halten; ich versichere Euch.«

»Alter Mann, Eure grauen Haare sollten Euch vor einer Verläumdung bewahren. Der Mann, wovon ich spreche, besaß große Einfalt, aber hohen Werth. Unähnlich vielen, welche sich auf der Grenze herumtreiben, vereinigte er, statt der schlechten, nur die guten Eigenschaften der beiden Völker. Er war von der Natur mit der herrlichsten und vielleicht seltensten Eigenschaft versehen, mit der, das Gute vom Bösen zu scheiden. Seine Tugenden waren die der Einfalt, wie auch die Früchte seiner Handelsweise und selbst seine Vorurtheile. Im Muth war er seinen rothen Gefährten gleich; in Kriegskenntniß, da er besser unterrichtet war, stand er über ihnen. Kurz er war ein edler Sprosse aus dem Baum der Menschennatur, der nie seine wahre Höhe und Wichtigkeit erlangen konnte, blos weil er im Wald wuchs; dies, alter Jäger, waren die eigenen Worte meines Großvaters, als er von dem Manne sprach, den Ihr für so nichtswürdig haltet.«

Der Streifschütz senkte die Augen zu Boden, während der Fremde mit allem Feuer edler Jugend diese Schilderung von der Person entwarf, die der Gegenstand ihres Gesprächs war. Er spielte mit den Ohren seines Hundes, zupfte an seinem groben Gewand, und öffnete und verschloß die Pfanne seiner Flinte, mit so zitternder Hand, daß man sie für ganz unfähig hätte halten mögen, die Waffe zu führen. Als der Andere geendet, fügte er ruhig hinzu: »Euer Großvater vergaß also nicht ganz den Weißen?«

»Im Gegentheil, drei von uns führen immer den Namen des Kundschafters.«

»Den Namen, wie?« rief der alte Mann staunend, »den Namen eines verlassenen, ungelehrten Jägers! Führen die Großen, Reichen, Gelehrten, und, was noch mehr ist, die Gerechten, führen sie wirklich denselben Namen!«

»Ihn führt mein Bruder und zwei meiner Vettern, welches Recht sie auch außerdem auf die von Euch erwähnten Titel haben.«

»Ja ist es aber auch derselbe Name, sind’s dieselben Buchstaben, fängt er mit einem N an und endet er mit einem L?«

»Ganz so,« erwiederte der Jüngling lächelnd. »Nein, nein, wir haben nichts vergessen, was sein war. Ich habe in diesem Augenblick einen Hund, – er verfolgt nicht weit von hier ein Reh, – der von einem abstammt, den eben dieser Kundschafter seinen Freunden zum Geschenk machte, und der von derselben Race ist, die er immer hatte; ein sichereres Thier, nach Nase und Fuß, findet man in der weiten Union nicht.«

»Hektor!« sagte der alte Mann, und bemühte sich einer Bewegung, Meister zu werden, die ihn fast erstickte; »Hektor!« sprach er zu seinem Hund in einem Ton, wie er ihn bei einem Kind gebraucht hätte, »hörst du, Alter; dein Fleisch und Blut ist in der Steppe! Ein Name, – wunderbar, – wunderbar!«

Die Natur widerstand nicht länger. Ueberwältigt von einer Fluth seltner, außerordentlicher Bewegungen, ergriffen von zarten Rückerinnerungen, die lang geschlafen, und jetzt so wunderbar und unerwartet wieder auflebten, hatte der alte Mann kaum Macht genug über sich, um mit hohler, gepreßter Stimme und mit aller Anstrengung hinzufügen:

»Junge, ich bin der Kundschafter, Soldat einst, jetzt ein armer Streifschütz.« – Die Thränen flossen über die zerstörten Wangen, wie Wasserbäche aus Quellen, die seit Langem versiegt; – sein Haupt sank auf seine Kniee, er bedeckte es mit dem ledernen Gewand und schluchzte laut.

Der Anblick brachte entsprechende Bewegungen in seinen Gefährten hervor. Paul Hover hatte wirklich jede Silbe der Unterredung, wie sie abwechselnd die Sprechenden vorbrachten, eifrigst verschlungen, und seine Gefühle hatten gleichen Schritt mit dem wachsenden Interesse der Scene gehalten. An so fremdartige Auftritte nicht gewöhnt, wandte er sein Gesicht nach allen Seiten hin, um zu vermeiden, – er wußte nicht recht, was? bis er die Thränen sah, und das Schluchzen des alten Mannes hörte, da sprang er auf, ergriff seinen Gast heftig an der Kehle und fragte, mit welchem Recht er seinen bejahrten Gefährten zu Thränen gebracht. Ein Blitz der Rückerinnerung fuhr ihm in demselben Augenblick durch den Kopf, er ließ ihn los, und ergriff, als er in der Verlegenheit und Freude über den erkannten Irrthum die Hand ausstreckte, den Doctor bei’m Haar, wodurch alsbald dessen künstliche Natur an den Tag kam, da es ihm an der Hand hängen blieb, und dem weißen, glänzenden Schädel des Naturforschers keine wärmere Bekleidung ließ, als die Haut.

»Was denkt Ihr dazu, Herr Ungeziefer-Sammler,« triumphirte er schreiend, »ist das nicht eine sonderbare Biene, um sie in ihre Höhle zu verfolgen?«

»Es ist merkwürdig, wunderbar, erbauend!« erwiederte der Freund der Natur und nahm ihm gutmüthig die Perrücke wieder ab, während seine Augen glänzten und die Stimme stockte. »Es ist seltsam und werth der Aufbewahrung, wiewohl ich nicht an der rechten Folge der Ursachen und Wirkungen zweifle.«

Durch diesen plötzlichen Zwischenfall hatte jedoch auch die Bewegung Aller alsbald ein Ende; die drei Gegenwärtigen umringten den Streifschützen mit einer Art Ehrfurcht, als sie die Thränen eines so bejahrten Mannes sahen.

»Es muß so sein, wie könnte er sonst eine Geschichte so genau wissen, die außerhalb meiner eignen. Familie so wenig bekannt ist;« bemerkte endlich der Jüngling, und scheute sich gar nicht, durch ein Wischen der Augen offen an den Tag zu legen, wie sehr er gerührt worden.

»Freilich,« entgegnete Paul, »und wenn Ihr noch einen Beweis braucht, so will ich schwören. Ich bin überzeugt, daß jedes Wort so wahr ist, wie das Evangelium.«

»Und doch hatten wir ihn längst für todt gehalten!« fuhr der Soldat fort; »mein Großvater hatte in Ehren seine Tage schon geschlossen, und wir hatten jenen für jünger gehalten.«

»Nicht oft hat die Jugend eine Gelegenheit, so auf die Schwäche des Alters herabzusehen;« bemerkte der Streifschütz, erhob sein Haupt und sah um sich mit Haltung und Würde. »Daß ich noch hier bin, junger Mann, ist das Geschenk des Herrn, der mich so lange bewahrt, mich achtzig arbeitsvolle Jahre nach seinen verborgenen Zwecken erleben ließ. Daß ich der bin, für den ich mich ausgebe, bezweifelt nicht; warum sollt‘ ich zu Grabe gehen mit so unnützer Lüge im Mund.«

»Ich nehme keinen Anstand, es zu glauben; ich wundere mich nur, daß es so sein soll. Aber warum find‘ ich Euch, ehrwürdiger, trefflicher Freund meiner Eltern in diesen Wüsten, so weit von aller Bequemlichkeit und Sicherheit des untern Landes?«

»Ich kam ich diese Gegend, dem Schall der Axt zu entgehen; denn hierhin sicherlich kann ein Holzfäller mir nicht folgen. Aber ich kann dieselbe Frage Euch zurückgeben. Gehört Ihr zu denen, welche die Staaten aussandten, um die Beschaffenheit ihres neuen Ankaufs zu untersuchen?«

»Ich nicht. Lewis zieht den Fluß hinauf, einige hundert Meilen von hier; ich komme als ein Privat-Abenteurer.«

»Obgleich man sich nicht wundern darf, daß ein Mann, dessen Kraft und Augen ihn als Jäger verlassen haben, nahe den Höhlen der Biber getroffen wird, wo er statt der Flinte eine Falle gebraucht; so ist es doch sonderbar, daß ein so junger und glücklicher Mann, der einen Auftrag vom großen Vater erhalten, die Steppen durchstreift, ohne selbst einen farbigen Diener zu seinen Befehlen zu haben!«

»Ihr würdet meine Gründe für hinlänglich halten, wenn Ihr sie wüßtet, und Ihr sollt sie wissen, wenn Ihr meine Geschichte anhören wollt. Ich halt‘ euch Alle für edel, für Männer, die eher den unterstützen als verrathen würden, der einen guten Zweck verfolgt.«

»So kommt und erzählt uns nach Gefallen,« sagte der Streifschütz, setzte sich und gab dem Jüngling einen Wink, seinem Beispiel zu folgen. Der letztere willfahrte gern, und nachdem Paul und der Doctor, wie sie es für gut fanden, einen Platz eingenommen, begann der neue Ankömmling, die ganz eigenen Ursachen auseinander zu setzen, die ihn so weit in die Wüsten geführt hatten.

Eilftes Kapitel.

Eilftes Kapitel.

So schwüle Luft kühlt nur ein Wetter ab.

König Johann.

 

Indeß setzten die fleißigen, unwiederbringlichen Stunden ihre Arbeiten fort. Die Sonne, welche den ganzen Tag entlang durch große Massen von Gewölk sich durchgewunden hatte, trat endlich auf einen Strich klarer Luft heraus und sank von da glorreich In die prangenden Wüsten, wie sie sonst in die Wasser des Oceans sich hinabläßt. Die langen Heerden, welche auf den wilden Weiden der Steppe gegrast hatten, verschwanden allmählich, und die endlosen Schwärme der Wasservögel, die ihre gewöhnliche jährliche Reise von den jungen See’n des Norden nach dem Golf von Mexico fortsetzten, durchschnitten nicht mehr die Luft, welche sich jetzt angefüllt hatte mit Thau und Nebel. Kurz, die Schatten der Nacht fielen auf den Felsen und fügten zu den düstern Gegenständen des Orts noch den Mantel der Finsterniß.

Als der Esther das Licht zu mangeln begann, sammelte sie die jüngern Kinder um sich und setzte sich auf eine vorragende Spitze ihrer inselförmigen Feste, ruhig die Ankunft der Jäger erwartend. Ellen Wade saß nicht weit davon entfernt, als wolle sie einen geringen Zwischenraum zwischen sich und dem ängstlichen Zirkel lassen, um dadurch den Unterschied anzudeuten, der zwischen ihr und der übrigen Gesellschaft bestand.

»Euer Oheim ist und bleibt ein dummer Projectmacher, Nell,« bemerkte die Mutter nach einer langen Pause, die auf ein Gespräch über die Arbeiten des Tags eingetreten war; »im Rechnen und in Vorkehrungen ist benannter Ismael Busch ein armer Wicht. Da sitzt er faul auf dem Felsen von Morgen bis Abend; nichts macht er als Pläne, Pläne, Pläne, er und seine sieben edeln Söhne, so edel, wie je sie ein Weib dem Mann schenkte, und was ist von Allem das Ende? Die Nacht kommt, und sein großes Werk ist noch nicht fertig!«

»Es ist nicht klug, Tante, freilich nicht;« erwiederte Ellen in einem Ton von Zerstreuung, der zeigte, wie wenig sie wußte, was sie sagte; »und er gibt auch seinen Söhnen ein böses Beispiel.« –

»Hoho, Mädchen! Wer hat Euch zum Richter über Aeltere, ei, und die auch besser sind, als Ihr, gesetzt. Ich möchte doch den Mann auf der ganzen Grenze sehen, der seinen Kindern ein schöneres Beispiel gibt, als Ismael Busch. Zeigt mir, wenn Ihr könnt, Fräulein Fehlerfinder, aber nicht Fehlerverbesserer, einen Haufen Jungen, die in der Noth schneller einen Baum zur Wohnung fällen und ihn behauen, als meine Kinder, obgleich ich es selbst sage, ich, die vielleicht still sein sollte, – oder einen Mäher, der besser einen Haufen Schnitter durch ein Waizenfeld zu führen versteht und die Stoppeln gleicher hinter sich läßt, als mein guter Mann! Dann, als Vater ist er so großmüthig wie ein Herr; seine Söhne brauchen nur den Ort zu nennen, wo sie sich anbauen möchten, und er gibt ihnen die Pflanzung, ohne daß sie sich um den Ankauf zu kümmern brauchen.«

Als das Weib des Grenzwohners schloß, erhob sie ein hohles, höhnendes Gelächter, das in dem Munde verschiedener jungen Nachäffer nachhallte, die sie zu einem Leben heranzog, welches eben so unstet und gesetzlos als ihr eigenes, doch trotz seiner Unsicherheit nicht ohne versteckte Reize war.

»Holla, alte Esther,« ertönte die wohlbekannte Stimme ihres Gemahls von der Ebene unten herauf; »habt Ihr Eure Spiele vor, während wir zu Euch mit Wild und Büffel kommen! Herunter, herunter, altes Mädchen, mit deinen Jungen oben, steh‘ uns bei, das Fleisch hinaufzubringen; – ei, was ist denn das für eine Freude oben? Herunter, herunter; die Buben sind schon alle da, und wir haben hier Arbeit für noch einmal so viele Hände.«

Ismael hätte seine Lungen schonen können; mehr als die Hälfte seiner Anstrengung, um gehört zu werden, war unnöthig. Er hatte kaum den Namen seines Weibes gerufen, als der ganze zusammengekauerte Kreis sich erhob und, über einander fallend, sich den gefährlichen Gängen des Felsen mit unbedachtsamer Hast hinabstürzte. Esther folgte dem jungen Schwarm in mehr abgemessenem Schritt; auch hielt es Ellen nicht für gut oder vielmehr rathsam, zurückzubleiben. Folglich hatte sich bald der ganze Haufen an dem Fuß der Zitadelle in der Ebene versammelt.

Hier fand man den Grenzwohner fast niedergedrückt unter der Last eines schönen, fetten Bocks mit einem oder zwei seiner jüngern Söhne. Abiram erschien auch bald, und ehe einige Minuten vorüber waren, kamen die meisten andern Jäger, einzeln und in Paaren, jeder den Lohn seiner Geschicklichkeit auf der Jagd mit sich bringend.

»Die Ebene ist frei von Rothhäuten, heut Nacht wenigstens;« sagte Ismael, nachdem das Geräusch ihrer Ankunft ein wenig nachgelassen; »denn ich hab‘ die Steppe viele Meilen weit selbst durchforscht, und kann mich einen Kenner in den Fußtapfen eines Indianers nennen. So, Weib, könnt Ihr uns einige Stücke von dem Wildpret geben, und dann wollen wir auf unser Tagwerk schlafen.«

»Ich möchte nicht schwören, daß keine Wilden in unserer Nähe sind,« sagte Abiram. »Ich versteh‘ mich auch auf die Spur einer Rothhaut, und wenn meine Augen nicht etwas von ihrer Sehkraft verloren haben, möchte ich kecklich schwören, daß Indianer bei der Hand sind. Aber wartet, bis Asa kommt. Er ging über die Stelle, wo ich die Spuren fand, und der Junge versteht auch etwas von diesen Dingen.«

»Ach, der Junge versteht zu viel von manchen Dingen,« erwiederte Ismael finster; »es wäre besser für ihn, wenn er dächte, er verstünde weniger. Aber was thut’s, Hetty, wären auch alle Sioux-Stämme westlich vom großen Fluß nur eine Meile von uns; sie werden es nicht leicht finden, diesen Felsen zu ersteigen, den zehn kühne Männer vertheidigen.«

»Sagt zwölf gleich, Ismael, sagt zwölf,« rief seine mannhafte Gemahlin; »denn wenn Euer Mottensammler, Insectenjäger von Freund als ein Mann gerechnet wird, müßt Ihr mich gewiß für zwei zählen. Ich werd‘ ihm nicht nachstehen mit der Flinte oder dem Gewehr und was den Muth betrifft! – Das junge Kalb, das die schielenden Schelme von Teton gestohlen haben, war der Feigste von uns Allen, und nach ihm kam Euer blödsinniger Doctor. Ach, Ismael, Ihr geht selten einen regelmäßigen Handel ein, ohne dabei zu verlieren, und dieser Mann ist, behaupte ich, der dümmste Handel von allen! Könnt Ihr glauben, der Kerl wollte mir ein Pflaster um den Mund legen, weil ich Schmerzen im Fuß fühlte.«

»Es ist Schade, Esther,« antwortete ihr Gemahl trocken, »daß Ihr es nicht nahmt; ich denke, es hätte Euch sehr gut gethan. Aber, Jungen, es könnte gehen, wie Abiram meint, es könnten Indianer in der Nähe sein; wir müßten den Felsen hinauf, und unser Abendessen wäre hin. Deßwegen wollen wir das Wild in Sicherheit bringen, und über die Curen des Doctors sprechen, wenn wir nichts Besseres zu thun haben.«

Der Wink ward befolgt, und in wenig Minuten war die offene Stellung, worin sich die Familie gesammelt, mit der sicherern Höhe des Felsen vertauscht. Hier machte sich Esther an’s Werk, schaffte und zankte mit gleichem Eifer, bis das Mahl bereit war, wo sie dann den Gemahl mit eben so wohltönender Stimme zum Essen herbeirief, als der Imam, der die Gläubigen an ein wichtigeres Geschäft erinnert.

Als Jeder seinen gewöhnlichen Platz um das dampfende Fleisch eingenommen, gab der Grenzwohner das Zeichen, indem er sich an ein köstliches Wildpretstück machte, das wie der Bison-Rücken zubereitet worden, mit einer Geschicklichkeit, die seine natürlichen Vorzüge eher erhöhte als versteckte. Ein Maler hätte eifrig den Augenblick erfaßt, um die wilde, charakteristische Scene auf die Leinwand zu tragen.

Der Leser wird sich erinnern, daß Ismael’s Citadelle abgesondert, luftig, hoch und fast unzugänglich dastand. Ein helles, flammendes Feuer, das auf dem Mittelpunkt des Gipfels brannte, und um welches die geschäftige Gruppe gelagert war, gab ihm das Ansehn eines kleinen Leuchtthurms, der in dem Mittelpunkt der Wüsten aufgerichtet worden, um den Wanderern zu leuchten, die die weiten Steppen durchziehen möchten. Die sprühende Flamme erhellte ein verbranntes Antlitz nach dem andern, und zeigte jede Verschiedenheit des Ausdrucks, von der jugendlichen Einfachheit der Kinder, gemischt wie sie war mit einem Schatten der ihrem halb rohen Leben eignen Wildheit, bis zur stumpfen, unbeweglichen Ruhe, die in den Mienen des Grenzwohners lag, wenn er nicht gereizt ward. Manchmal ging ein Windstoß über die Glut, und dann wurde, da helleres Licht emporschoß, das kleine einsame Zelt gesehen, wie es aufgerichtet war in der düstern obern Luft. Alles unten war, wie es gewöhnlich ist zu dieser Stunde, in das undurchdringliche Gewand der Dunkelheit gehüllt.

»Es ist unbegreiflich, daß Asa noch zu solcher Zeit auswärts ist;« bemerkte Esther unmuthig. »Wenn alles zu End‘ und recht ist, hätte der Junge heraufkommen müssen, nach dem Essen verlangen? und hungrig wie ein Bär nach dem Winterschlaf. Sein Magen geht so richtig, wie die beste Uhr in Kentucky, und braucht selten aufgezogen zu werden; der geht bei Tag und Nacht. Asa ist ein verzweifelter Esser, wenn nach einer Arbeit er hungrig ist.«

Ismael musterte ernst den Kreis seiner stillen Söhne, als ob er sehen wolle, ob einer von ihnen etwas zu Gunsten des abwesenden Strafbaren zu sagen wagen würde. Aber jetzt, wo keine treibenden Ursachen da waren, ihre schlummernden Gemüther anzuregen, schien es zu große Anstrengung, sich auf die Vertheidigung ihres rebellischen Bruders einzulassen. Abiram jedoch, der seit der Friedenstiftung einen edlern Antheil an seinem frühern Gegner nahm oder zu nehmen vorgab, hielt es für schicklich, eine gewisse Aengstlichkeit an den Tag zu legen, der die andern fremd blieben.

»Es ist viel, wenn der Junge dem Teton entwischt ist,« murmelte er. »Es würde mir leid thun, wäre Asa, der kräftigste in unserm Zug, nach Herz und Hand, in die Gewalt der rothen Teufel gefallen.«

»Sorgt für Euch, Abiram, und spart Euern Athem, wenn Ihr ihn nur anwenden könnt, um das Weib und ihre zusammengekauerten Mädchen zu erschrecken. Ihr habt schon Ellens Antlitz ganz weiß gemacht; sie sieht so blaß aus, als da sie heute nach denselben Wilden schaute, die Ihr eben nennt, und wo ich genöthigt war, zu ihr durch die Flinte zu sprechen, weil ich ihre Ohren nicht mit meiner Zunge erreichen konnte. Wie kam das, Nell? Ihr habt noch gar nicht den Grund von Eurer Taubheit gesagt!«

Die Farbe auf Ellens Wange änderte sich eben so plötzlich, wie des Grenzwohners Gewehr bei der Gelegenheit geblitzt hatte, worauf er anspielte, und eine brennende Röthe überzog ihre Züge, so daß selbst der Hals sich in das Roth der Gesundheit kleidete. Sie senkte beschämt das Haupt, schien es aber nicht für nöthig zu halten, etwas zu erwiedern.

Ismael, zu träge, um den Gegenstand weiter zu verfolgen, oder mit der Anspielung, die er eben gemacht, zufrieden, erhob sich von seinem Sitz auf dem Felsen, streckte seine schwere Gestalt, wie ein wohlgenährter, gemästeter Stier, und äußerte sein Verlangen, schlafen zu gehen. Unter einer Race, die hauptsächlich lebte, um die Bedürfnisse des Leibes zu befriedigen, konnte eine solche Erklärung nur entsprechende Gefühle finden. Einer nach dem Andern verschwand, Jeder suchte sein rauhes Lager, und ehe einige Minuten vergingen, fand sich Esther, welche um diese Zeit die Kleineren in den Schlaf gezankt hatte, wenn wir die gewöhnliche Wache unten ausnehmen, im alleinigen Besitz des nackten Felsen.

Welche weniger edeln Früchte auch immer in diesem ungebildeten Weibe durch ihre wandernde Lebensart hervorgebracht worden, der Hauptcharakter der Frauennatur war zu tief gewurzelt, um je ganz ausgerottet zu werden. Von kräftiger, hitziger Gemüthsart waren ihre Leidenschaften heftig und schwer zu besänftigen. Aber wie sehr sie auch oft die gelegentlichen Vorrechte ihrer Lage mißbrauchen mochte, und wirklich mißbrauchte, die Liebe zu ihren Kindern, wenn sie oft schlummerte, konnte doch nie gänzlich erlöschen. Sie liebte nicht Asa’s verlängerte Abwesenheit. Zu furchtlos selbst, um einen Augenblick zu zögern, für ihre eigene Person den dunkeln Abgrund zu durchschreiten, in welchen sie jetzt mit erwartungsvollen Blicken starrend da saß, begann ihre geschäftige Phantasie, in Folge dieses unzerstörbaren Gefühls, namenlose Nebel für ihren Sohn herauf zu beschwören und sich auszumalen. Es konnte möglich sein, daß er, wie Abiram angedeutet, ein Gefangener eines der Stämme geworden, die in der Nähe auf die Büffel Jagd machten, oder daß selbst ein noch größeres Unglück ihn befallen. So fürchtete die Mutter, während Stille und Dunkel die geheimen Gefühle der Natur erhöhten und verstärkten.

Von diesen Gedanken bewegt, die den Schlaf fern hielten, blieb Esther auf ihrem Sitze und lauschte mit der Aufmerksamkeit, welche bei Thieren, wenige Stufen unter ihr in Geistesgaben, Instinct genannt wird, ob sie ein Geräusch vernehme, welches von nahenden Fußtritten herrühren könnte. Endlich schien es, als ob ihre Wünsche erfüllt werden sollten, denn die langersehnten Tritte wurden ganz vernehmlich hörbar, und alsbald unterschied sie die dunkle Gestalt eines Mannes am Fuße des Felsen.

»Nun, Asa, sehr verdienst du diese liebe Nacht auf bloßer Erde zuzubringen,« murmelte das Weib, in einem Sturm von Gefühlen, die denen nicht auffallend sein werden, welche die Widersprüche, die dem Gemüth des Menschen Abwechselung geben, zu ihrem Studium gemacht haben. »Und ich denke, selbst dein Bett sollte hart sein! Ei, Abner, Abner, schläfst du? Laß mich ja nicht sehen, daß du die Höhlung öffnest, ehe ich hinunter komme. Ich will sehen, wer eine ruhige, ja, und auch eine ehrliche Familie zu solcher Nachtzeit stören mag.«

»Weib!« rief eine Stimme, die trotzig sein sollte, während der, welchem sie angehörte, offenbar ein wenig wegen der Folgen fürchtete; »Weib, ich verbiete Euch bei Gesetzesstrafe, etwas von Euern höllischen Stücken herabzuwerfen. Ich bin ein Bürger und ein Landbesitzer, ein Graduirter von zwei Universitäten, und bin hier in meinem Recht. Hütet Euch vor vorsetzlicher Bosheit, vor zufälliger Verletzung und vor Todtschlag. – Ich bin es, Euer amicus, ein Freund und Genosse, – ich, der Doctor Obed Battius.«

»Wer!« fragte Esther, mit einer Stimme, die fast die Worte nicht bis zu den Ohren des Aengstlichen unten bringen konnte, mit dem sie sprach; »es wäre nicht Asa?«

»Nein, ich bin weder Asa, noch Absalon, noch sonst einer von den hebräischen Prinzen, sondern Obed, die Wurzel und der Stamm von ihnen allen. Sagt‘ ich nicht, Weib, daß Ihr hier Jemand warten lasset, der so viel Anspruch auf einen friedlichen und ehrenvollen Empfang hat. Haltet Ihr mich für ein Thier aus der Classe Amphibia, und meint, ich könnte mit meinen Lungen umgehen, wie der Grobschmidt mit seinen Blasbalgen.«

Der Naturforscher hätte wohl seinen Athem noch weit länger angestrengt, ohne die gewünschte Wirkung zu erreichen, wäre Esther seine einzige Zuhörerin gewesen. Getäuscht und beunruhigt, hatte schon das Weib ihr Lager gesucht, und schickte sich in einer Art verzweifelter Gleichgültigkeit an, schlafen zu gehen. Aber Abner, die Wache unten, war durch das Geschrei aus einer außerordentlich zweideutigen Lage aufgeschreckt worden, und ließ, als er hinlänglich zu sich selbst gekommen, um die Stimme des Doctors zu erkennen, diesen ohne weitern Verzug herein. Battius stolperte durch den engen Eingang mit ganz besonderer Ungeduld, und stieg schon der schwierigen Anhöhe hinauf, als er noch einen Blick aus den Pförtner warf, und stehen blieb, um mit einem Ton, der außerordentlich ermahnend sein sollte, noch zu bemerken:

»Abner, ich finde gefährliche Symptome von Schläfrigkeit an dir. Sie zeigt sich hinlänglich an deiner Neigung zum Gähnen, und könnte sehr gefährlich für dich und deines Vaters ganze Familie werden.«

»Nie wart Ihr in größerm Irrthum, Doctor,« erwiederte der Jüngling, und gähnte wie ein fauler Löwe, »ich habe kein Symptom, wie Ihr es nennt, nirgends an mir, und was den Vater und die Kinder betrifft, so denk‘ ich, haben die Pocken und Rötheln seit vielen Monaten hinlänglich unter uns ausgetobt.«

Zufrieden mit seiner kurzen Ermahnung, war schon der Naturforscher halb über die Hindernisse hinaus, welche die Anhöhe schützten, ehe der bedächtige Abner seine Rechtfertigung geendet hatte. Auf dem Gipfel dachte Obed gewiß Esther zu finden, von deren Geschicklichkeit in der Zunge er zu oft die stärksten Beweise erhalten hatte, und vor der er zu viel Ehrfurcht hegte, um eine Wiederholung ihrer Angriffe zu wünschen. Der Leser kann voraussehen, daß er angenehm überrascht werden sollte. Er trat leise auf und sah oft furchtsam über die Schulter in die Höhe, als fürchte er einen Schauer von oben, der aus etwas weit furchtbarerem als Worte bestehen möchte, und kam so glücklich an den Ort, der ihm bei der allgemeinen Austheilung der Lagerstätten angewiesen worden war.

Statt zu schlafen, saß der würdige Naturforscher sinnend über dem, was er während des Tags gehört und gesehen hatte, bis das Bewegen und Murmeln in Esther’s Cabinet, die sein nächster Nachbar war, ihn überzeugte, daß sie noch wache. Er sah die Nothwendigkeit ein, etwas zu thun, was diesen weiblichen Cerberus entwaffnen könnte, ehe er seinen Plan ausführen dürfe, und so fand sich der Doctor, so ungern er auch ihrer Zunge begegnete, gezwungen, sie zu einer Unterhaltung aufzufordern.

»Ihr scheint nicht zu schlafen, meine gütigste, würdigste Frau Busch,« sagte er, entschlossen, sein Anerbieten mit einem Pflaster zu eröffnen, das, wie er fand, gewöhnlich anschlug; »Ihr scheint übel zu ruhen, meine verehrte Wirthin; kann ich etwas gegen Euer Leiden anbieten?«

»Was würdet Ihr mir geben,« brummte Esther. »Ein beschmiertes Läppchen, um Schlaf zu bekommen!«

»Sagt lieber ein Cataplasma. Aber wenn Ihr Schmerzen habt, hier sind herrliche Tropfen, welche, in einem Glas von meinem Cognac genommen, Euch Ruhe verschaffen werden, oder ich müßte wenig von der materia medica verstehen.«

Der Doctor hatte, wie er wohl wußte, Esther an ihrer schwachen Seite angegriffen; und da er die Annahme seines Rezepts nicht bezweifelte, machte er sich ohne allen unnöthigen Aufschub an die Zubereitung. Sein Anerbieten ward auf eine barsche, drohende Art angenommen, aber mit einer Leichtigkeit verschlungen, die klar zeigte, wie sehr sein Patient es liebte. Das Weib murmelte Dank, und ihr Arzt setzte sich ruhig hin, die Wirkung der Dosis abzuwarten. In weniger als einer halben Stunde ward das Athmen der Esther so tief, und wie es der Doctor selbst nannte, so abstract, daß hätte er diesen neuen Anfall von Schlafsucht nicht der mächtigen Gabe Opium, womit er den Branntwein versetzt, zuschreiben müssen, er fast Ursache gehabt, in sein eigenes Rezept Mißtrauen zu setzen. Mit dem Schlaf des unruhigen Weibes ward die Stille tief und allgemein.

Nun hielt es Doctor Battius für sicher aufzustehen. Mit der leisen Vorsicht eines Nachtdiebs stahl er sich aus seinem Cabinet oder vielmehr Stall, denn es verdiente keinen bessern Namen, und ging nach den naheliegenden Schlafstätten. Hier versicherte er sich, daß all‘ seine Nachbarn in tiefen Schlaf begraben waren; dann von diesem wichtigen Umstand überzeugt, zögerte er nicht länger, sondern stieg die mühevolle Anhöhe hinaus, welche zu der obersten Spitze des Felsen führte. Sein Gang, obgleich außerordentlich vorsichtig, war doch nicht ganz geräuschlos, und als er sich eben Glück wünschte, daß er seinen Zweck erreicht hatte und seinen Fuß auf die höchste Spitze setzen wollte, hielt ihn eine Hand an dem Saum seines Kleides, welche so wirksam seinem Fortschreiten ein Ende machte, als wenn Ismael’s gigantische Stärke selbst ihn an dem Boden festhielt.

»Ist Jemand krank im Zelt,« lispelte eine sanfte Stimme ihm in’s Ohr, »daß Doctor Battius zu einer solchen Stunde seinen Besuch macht?«

Sobald das Herz des Naturforschers von seiner hastigen Expedition in seine Kehle zurückgekommen war, wie ein in dem Bau des Thiers weniger Unterrichteter, als Doctor Battius sich diese ungewöhnliche Stimmung, in welcher er bei der unerwarteten Unterbrechung sich befunden hatte, erklärt haben würde, fand er sich entschlossen genug zu antworten, aber sowohl aus Schreck als aus Klugheit mit eben so gedampfter Stimme.

»Meine würd’ge Nelly, ich freue mich außerordentlich, daß es Niemand anders ist als du. Hst, hst, Kind, erführ Ismael etwas von unsern Plänen, er würde uns beide von dem Felsen in die Ebene hinunterstürzen. Still, Nelly, still.«

Da der Doctor, während er diese Ermahnungen gab, immer weiter hinaufstieg, so fanden sich beide, als er geendet, auf dem obersten Punct des Felsen.

»Und nun, Doctor Battius,« fragte das Mädchen ernst, »darf ich jetzt die Ursache wissen, warum Ihr Euch dem Fall aussetzt, von diesem Ort ohne Flügel und mit unvermeidlicher Gefahr für Euren Hals herunterzusegeln?«

»Nichts soll dir verborgen bleiben, meine würdige, treue Nelly; aber seid Ihr sicher, daß Ismael nicht erwacht?«

»Fürchtet nichts von ihm, er wird schlafen, bis die Sonne seine Augenlieder trifft. Gefahr kommt von meiner Tante.«

»Esther schläft,« erwiederte der Doctor bedeutungsvoll. »Ellen, Ihr habt auf diesem Felsen heute Wache gestanden?«

»Es ward mir befohlen.«

»Und Ihr saht den Bison, die Antilope, den Wolf und das Reh, wie gewöhnlich; Thiere aus den Ordnungen: belluae, pecora und ferae.«

»Ich sah die Thiere, die Ihr in unsrer Sprache genannt habt, aber ich verstehe nichts von den indianischen Sprachen.«

»Es gibt auch eine Ordnung, die ich nicht genannt habe, die die Ihr auch gesehen habt. Die primates, ist’s nicht wahr?«

»Ich weiß nicht, ich kenn‘ kein Thier von diesem Namen.«

»Nun, Ellen, Ihr sprecht mit einem Freund. Von dem Geschlecht homo, Kind?«

»Was mir auch zu Gesicht gekommen sein mag, sicher sah ich nicht Vespertilio horribi –«

»Hsch, Nelly, dein Eifer wird uns verrathen. Sagt mir, Mädchen, saht Ihr nicht gewisse Zweifüßler, genannt Menschen, in den Steppen?«

»Freilich; mein Oheim und seine Söhne haben Büffel gejagt bis Sonnenuntergang.«

»Ich muß in der Landessprache reden, um verstanden zu werden; Ellen, ich wollte sagen, von der Species Kentucky.«

Obgleich Ellen wie die Rose erröthete, ward dies glücklicherweise durch die Dunkelheit verdeckt. Sie zögerte einen Augenblick und faßte sich dann hinlänglich, um bestimmt zu sagen:

»Wenn Ihr in Gleichnissen reden wollt, Doctor Battius, müßt Ihr Euch einen andern Zuhörer suchen. Legt mir Eure Fragen deutlich, in unserer Sprache vor, und ich will sie eben so treu beantworten.«

»Ich bin in dieser Wüste herumgezogen, Nelly, wie du weißt, um Thiere zu suchen, die sich bis jetzt vor dem Auge der Wissenschaft versteckt haben. Unter andern entdeckte ich einen Zweifüßler von dem Genus, homo; Species, Kentucky, den ich Paul nenne.«

»Hst, um’s Himmelswillen,« sagte Ellen, »sprecht leise, Doctor oder wir werden gehört.«

»Ja, Paul Hover, von Gewerb ein Sammler von apes oder Bienen,« fuhr der Andere fort. »Sprech ich jetzt verständlich, verstehst du es nun?«

»Vollkommen, vollkommen,« erwiederte das bestürzte Mädchen, das in ihrem Erstaunen kaum zu Athem kommen konnte. »Aber was ist mit ihm, hieß er Euch auf den Felsen steigen, – er weiß selbst nichts, denn ich schwur meinem Onkel, und so ist mein Mund verschlossen.«

»Ei, aber da ist einer, der hat keinen Eid geschworen, und hat alles entdeckt. Ich wünschte, der Schleier, der über die Geheimnisse der Natur gebreitet ist, wär‘ eben so gänzlich von ihren verborgnen Schätzen weggenommen. Ellen, Ellen, der Mann mit dem ich unkluger Weise ein compactum oder einen Vertrag geschlossen habe, ist außerordentlich vergessen in den Pflichten der Ehrlichkeit! Dein Oheim, Kind.«

»Ihr meint Ismael Busch, meines Vaters Bruders Wittwe Mann,« erwiederte das beleidigte Mädchen ein wenig stolz; »in der That, es ist grausam, mir ein Verwandtschaftsband vorzuwerfen, das der Zufall geknüpft hat, und das ich so gerne für immer zerreißen möchte.«

Die erniedrigte Ellen konnte nichts weiter hervorbringen, sondern sank auf einen Vorsprung des Felsen und schluchzte auf eine Art, die ihre Lage doppelt gefährlich machte. Der Doctor murmelte einige Worte, die eine Entschuldigung sein sollten, aber ehe er noch Zeit hatte, seine mühsame Rechtfertigung zu schließen, stand sie auf und sagte mit großer Entschlossenheit:

»Ich kam nicht hierher, um meine Zeit mit thörichten Thränen hinzubringen, noch Ihr, um sie zu stillen. Was hat Euch also hierher gebracht?«

»Ich muß den Bewohner dieses Zeltes sehen.«

»Ihr wißt, was es enthält?«

»Ich bin wohl geneigt, es zu glauben, und habe einen Brief, den ich selbst übergeben muß. Ist das Thier ein Quadruped, dann ist Ismael ein aufrichtiger Mann, ist es ein Biped, befiedert oder unbefiedert, dann kümmere ich mich um nichts; er ist falsch, und unser compactum ist zu Ende!«

Ellen gab dem Doctor ein Zeichen zu bleiben und stille zu sein. Dann schlüpfte sie in das Zelt und blieb mehrere Minuten, die für den Wartenden draußen außerordentlich unangenehm und voller Angst waren. Doch sie kehrte zurück, nahm ihn bei der Hand, und beide verschwanden zusammen hinter den Falten der geheimnißvollen Decke.

Viertes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Das Auf und Nieder, Hoffnungen und Befürchtungen, das Schwärmen der Liebe, einige Ansichten von Tod und eine Nachricht von einer Erbschaft.

Von meinem zwanzigsten bis drei und zwanzigsten Jahr trug sich nichts von einigem Belang mit mir zu. Vom Tag meiner Volljährigkeit an, warf mir mein Vater regelmäßig tausend Pfund jährlich aus, und ich zweifle nicht, ich würde meine Zeit so ziemlich wie andre junge Leute zugebracht haben, wäre nicht der besondre Umstand meiner Geburt gewesen, welcher, wie ich nun einsah, einige von den nothwendigen Erfordernissen abgingen, um mich mit Erfolg durch Ringen nach einer Stellung unter dem, was man große Welt nennt, durchzubringen. Während die meisten nichts eifriger zu thun wußten, als sich zur Dunkelheit hinaufzuführen, fühlte ich ein besondres Widerstreben, dieß auf die klare und bestimmte Art zu thun, wie es doch in meiner Macht war. Daraus und aus andern Zeugnissen bin ich daher geneigt zu schließen, daß die Dosis von Mystification, die zum Glück der Menschen nöthig ist, mit einer erfahrnen und zarten Hand gemischt werden muß. Unsre Organe sind physisch und moralisch so seltsam beschaffen, daß sie vor allem vor der Wirklichkeit geschützt zu werden verlangen. Wie das physische Auge eines dunklen Glases bedarf, um standhaft in die Sonne zu sehen, so scheint’s, muß auch das geistige Auge etwas nebliges haben, um standhaft auf die Wahrheit zu blicken.

Aber während ich vermied, das Geheimniß meines Herzens Annen zu eröffnen, suchte ich häufig Gelegenheit, mit Dr. Etherington und meinem Vater über jene Punkte zu sprechen, die mich am meisten beschäftigten. Von dem erstern hörte ich Sätze, welche zeigen sollten, daß die Gesellschaft nothwendiger Weise in gewisse Classen zerfalle, daß es nicht allein unklug, sondern selbst verbrecherisch sei, die Schranken zu schwächen, durch welche sie abgemarkt worden; der Himmel habe seine Seraphim und Cherubim, seine Erzengel und Engel, seine Heiligen und bloß Seligen, und nach einer in die Augen fallenden Induktion müsse auch diese Welt ihre Könige, Lords und Gemeinen haben. Der gewöhnliche Schluß aller Untersuchungen des Pfarrers war eine Klage über die Verwirrung der Klassen, die England wie eine Strafe Gottes heimsuche. Mein Vorfahr anderer Seits kümmerte sich wenig um gesellschaftliche Classifikation, oder um sonst ein andres conservatives Mittel, die Gewalt ausgenommen. Darüber konnte er den ganzen Tag sprechen, und Regimenter und Bayonette glitzerten in allen seinen Reden. Wenn er am beredtesten darüber war, pflegte er, wie Manners Sutton zu rufen: Ordnung! Ordnung! Auch erinnere ich mich keiner seiner Betrachtungen, die nicht damit endete: »Ach! Jack, das Eigenthum ist in Gefahr!« Ich will nicht behaupten, daß mein Geist ganz unverwirrt aus diesen widerstrebenden Ansichten herauskam, jedoch erlangte ich glücklicher Weise ein Glimmern von einer wichtigen Wahrheit; denn die beiden Commentatoren stimmten herzlich in der Furcht und folglich auch in dem Haß gegen die Masse ihrer Mitmenschen überein. Meine eigne natürliche Neigung trieb mich zur Menschenliebe, und da ich nicht gerne die Wahrheit von Lehren zugab, die mich in offene Feindseligkeit gegen einen so großen Theil der Menschen brachten, entschloß ich mich bald eine eigne aufzustellen, welche, während sie die Fehler vermiede, das Vortreffliche der beiden andern in sich fassen sollte. Es war freilich nichts grosses, nur solch einen Entschluß zu fassen, aber ich werde später Gelegenheit haben, ein Wort über die Weise zu sagen, wie ich sie in Ausführung zu bringen versuchte.

Die Zeit rückte voran, und Anna ward jeden Tag schöner. Ich dachte zwar, sie hätte nach ihrer Unterredung mit ihrem Vater etwas von ihrer Freimüthigkeit und mädchenhaftem Frohsinn verloren, aber dieß schrieb ich der Rückhaltung und Besonnenheit zu, wie sie für den mehr entwickelten Verstand, das größre Schicklichkeitsgefühl, welches junge Weiblichkeit schmückt, sich paßten. Mit mir war sie immer offen und einfach, und sollte ich tausend Jahre leben, die engelgleiche Heitre des Antlitzes, womit sie unwandelbar auf die Theorien meines geschäftigen Gehirns hörte, würden meinem Andenken nicht entfallen.

Wir sprachen von all diesen Dingen eines Morgens ganz allein. Anna hörte mich mit Vergnügen, wenn ich am ruhigsten war, und lächelte schmerzlich, wenn der Faden meiner Beweisgründe durch ein Schwärmen der Phantasie sich verwickelte. Ich fühlte in meines Herzens Innerstem, welch ein Glück solch ein Mentor sein würde, und wie neidenswerth mein Loos wäre, wenn ich sie mir für’s Leben sichern könnte. Doch faßte ich nicht Muth (konnte es auch nicht), ihr meine innersten Gedanken darzulegen, und um ein Pfand zu bitten, das in diesen Augenblicken vorübergehender Demuth ich fürchtete, nie würdig zu sein zu besitzen.

»Ich habe selbst daran gedacht, mich zu verheirathen;« fuhr ich fort, zu sehr mit meinen Theorie’n beschäftigt, um den vollen Inhalt meiner Worte mit der Zartheit zu erwägen, wie sie der Offenheit und den überwiegenden Vorrechten zukommt, die der Mann über das schwächere Geschlecht besitzt; »könnte ich eine finden, Anna, so lieblich, so gut, so schön und so verständig wie Ihr, die die Meine sein wollte, ich würde nicht einen Augenblick anstehen; aber leider, fürchte ich, ist dieß nicht mein glückliches Loos. Ich bin nicht der Enkel eines Baronet, und Euer Vater gedenkt, Euch mit einem Manne zu vereinen, der wenigstens zeigen kann, daß die »blutige Hand« ein Mal auf seinem Schild getragen worden, und andrer Seits spricht mein Vater nur von Millionen.«

Während des ersten Theils dieser Rede sah das liebliche Kind gütig zu mir auf, offenbar mit dem Verlangen, mich zu beruhigen, aber gegen das Ende fielen ihre Augen auf ihre Arbeit und sie blieb schweigend.

»Euer Vater sagt, jeder, der ein Interesse am Staat nimmt, sollte ihm Garantie’n geben.« Hier lächelte Anna, aber so versteckt, daß ihr süßer Mund kaum eine Spur verrieth; »und daß niemand anders ihn mit Glück regieren kann. Ich habe daran gedacht, meinen Vater zu bitten, einen Burgflecken und eine Baronie zu kaufen, denn mit dem erstern und dem Einfluß, den sein Geld gibt, braucht er nicht lange auf das andere zu warten, aber ich öffne nie meine Lippe über etwas der Art, daß er nicht antwortet: »Follolderoll, Jack, mit deiner Ritterschaft und socialen Ordnung, und Bischofthümern und Burgflecken, – das Eigenthum ist in Gefahr, – Anlehen und Regimenter, wenn du willst, – gib uns mehr Ordnung! Ordnung! Ordnung! Bayonette brauchen wir, Junge, und gute, heilsame Taxen, die Nation zu gewöhnen, zu den Bedürfnissen des Staats beizutragen und seinen Credit zu erhalten. Ei, junger Mann, wenn die Interessen von der Schuld vier und zwanzig Stunden unbezahlt blieben, dann würde eure Corporation, wie ihr sie nennt, eines natürlichen Todes sterben, und was würde aus euren Rittern und Baronen werden, bar und ohne würden genug von ihnen sein durch ihre Verschwendung und Ausschweifungen. Verheirathe dich, Jack, etablire dich vernünftig; da ist der Nachbar Silberpfennig, hat eine einzige Tochter von gehörigem Alter, und ein gutes Weibsbild ist sie noch dazu. Die einzige Tochter von Oliver Silberpfennig wird ein passendes Weib abgeben für den einzigen Sohn von Thomas Goldenkalb; jedoch sag‘ ich dir, Junge, wirst du mit einer Competenz abgefunden werden; also halte deinen Kopf rein von ausschweifenden Luftschlössern, lerne Oekonomie bei Zeiten, und vor allem, mach keine Schulden.«

Anna lachte, als ich gut gelaunt die wohlbekannte Intonation des Sprechers Sutton nachmachte, aber eine Wolke verdunkelte ihre klaren Züge, als ich schloß.

»Gestern erwähnte ich die Sache bei Eurem Vater,« fuhr ich fort, »und er meinte mit mir, die Idee von dem Burgflecken und der Baronie sei gut. Ihr würdet der zweite Eures Geschlechts sein, Jack,« sagte er, »und das ist immer besser, als der erste; denn es gibt keine Sicherheit, daß jemand ein gutes Glied des Staats sei, die mit der zu vergleichen ist, wenn er vor seinen Augen die Beispiele jener hat, die ihm vorausgegangen, und durch ihre Dienste und Tugenden ausgezeichnet gewesen sind. Wollte Euer Vater ins Parlament kommen, und die Regierung in diesem kritischen Augenblick unterstützen, dann würde seine Geburt übersehen werden, und Ihr stolz auf seine Handlungen zurücksehen können. Wie’s jetzt ist, fürcht‘ ich, ist seine ganze Seele mit der unwürdigen und erniedrigenden Leidenschaft der blosen Gewinnsucht beschäftigt. Geld ist ein nothwendiges Hülfsmittel zum Rang, und ohne Rang kann keine Ordnung sein, und ohne Ordnung keine Freiheit; aber wenn die Liebe zum Geld die Stelle der Achtung vor der Abstammung und den vergangnen Thaten einnimmt, verliert eine Gemeinde eben dadurch sogar das Gefühl, worauf alle ihre Großthaten sich stützen. So seht Ihr, liebe Anna, halten unsre Eltern zu sehr verschiedene Ansichten über einen sehr wichtigen Punkt; und zwischen natürlicher Hinneigung und erworbener Verehrung weiß ich kaum, welche ich annehmen soll. Wenn ich jemand finden könnte, sanft, verständig, schön wie du, die sich meiner erbarmen wollte, würde ich morgen heirathen, und die ganze Zukunft auf das Glück bauen, das mit solch einer Gefährtin zu finden ist.«

Wie gewöhnlich hörte mich Anna stille an. Daß sie jedoch die Ehe nicht ganz so wie ich ansah, zeigte sich deutlich schon den nächsten Tag. Der junge Sir Harry Griffin (der Vater war todt) hielt in aller Form um sie an, und ward entschieden abgewiesen.

Obgleich ich immer im Pfarrhaus glücklich war, konnte ich doch nicht anders als fühlen (noch mehr als sehen), daß, wie der Franzose sagt, ich eine falsche Stellung in der Gesellschaft einnahm. Als der vermuthliche Erbe großer Reichthümer bekannt, konnte ich nicht leicht gänzlich in einem Lande übersehen werden, dessen Regierung auf eine Repräsentation des Eigenthums basirt ist, und wo Burgflecken öffentlich feil sind; doch suchten die, welche zufällig den Vortheil für sich hatten, daß ihr Reichthum durch ihre Vorfahren zusammengebracht worden, mir immer zu beweisen, daß meiner, so ungeheuer er auch sei, nur von meinem Vater herrühre. Zehen tausend Mal wünschte ich, (wie es seitdem durch den großen Feldherrn des Jahrhunderts ausgedrückt worden) daß ich mein eigner Urenkel gewesen; denn trotz der größren Wahrscheinlichkeit, daß wer am nächsten bei’m Gründer eines Vermögens, auch gewiß den größeren Theil von dem zusammengeraften erhält, sowie wer am nächsten in der Abstammung bei dem Urahnen, der sein Geschlecht berühmt gemacht, auch gewiß am meisten noch von dem Einfluß von dessen Charakter in sich verspürt – trotz allem diesem bemerkte ich bald, daß in hochgebildeten und verständigen Staatsgesellschaften, die allgemeine Meinung, insofern sie mit Ansehn und Einfluß zusammenhängt, was die Hauptsache ist, geradezu alle diese vernünftigen Vermuthungen in der Hinsicht verwirft. Ich war nicht an meinem rechten Platze, unruhig, beschämt, stolz und empfindlich, – kurz ich nahm eine falsche Stellung ein; und unglücklicher Weise eine, aus der ich keinen möglichen Ausweg sah, ausgenommen ich fiele nach Lombardstreet zurück, oder schnitte mir die Kehle ab. Anna allein, gütig, lieb, mit den heitern Augen, sie allein fand sich in alle meine Freuden, nahm Theil an allen meinen Bekümmernissen, und schien mich zu sehen, wie ich war, nicht bezaubert durch meinen Reichthum, nicht zurückgestoßen durch meine Geburt. Den Tag, wo sie den jungen Harry Griffin abwieß, hätte ich vor ihr niederknie’n und sie Heilige nennen mögen.

Man sagt, kein moralisches Uebelbefinden werde je durch sein Ergründen besser. Ich war ein lebendiges Beispiel von der Ansicht, daß Hinbrüten über sein Weh und seine Leiden nur das Uebel ärger macht. Ich fürchte sehr, es liegt in der Natur des Menschen, die Vortheile, die er wirklich genießt, gering zu schätzen, und die, welche ihm verweigert worden, zu übertreiben. Fünfzig Mal, während der sechs Monate, die auf die Abweisung des jungen Baronet folgten, entschloß ich mich Herz zu fassen, und zu Annens Füßen zu fallen; und ebenso oft ward ich durch die Besorgniß zurückgeschreckt, daß ich nichts hatte, mich würdig zu machen einer so herrlichen, die noch dazu die Enkelin des siebenten Englischen Baronets war.

Ich will mir nicht herausnehmen, den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung zu erklären, ich bin weder Arzt noch Metaphysiker, aber die Geistesunruhe, die aus so vielen Zweifeln, Hoffnungen, Befürchtungen, Entschlüssen und Aufgaben von Entschlüssen hervorging, fing an meine Gesundheit anzugreifen; und ich wollte eben den Rath meiner Freunde, unter denen Anna die ernsteste und bekümmertste war, nachgeben, und reisen, als ich unerwartet vor das Sterbebette meines Vaters beschieden ward. Ich riß mich vom Pfarrhaus los, und eilte zur Stadt mit der Eile und dem Eifer eines einzigen Sohns und Erben, der bei einer so feierlichen Gelegenheit herbeigerufen wird.

Ich fand meinen Vater noch im Besitz seiner Sinne, obwohl von den Aerzten schon aufgegeben, ein Umstand, der von ihrer Seite eine Uneigennützigkeit und Seltsamkeit bewieß, die man kaum gegen einen Patienten, der nach der allgemeinen Meinung mehr als eine Million reich war, hätte erwarten sollen. Mein Empfang bei dem Gesinde und zwei oder drei Freunden, die bei dieser traurigen Gelegenheit sich versammelt hatten, war voll Mitgefühl und warm, und zeugte von ihrer Besorgniß und Vorsicht.

Meine Aufnahme bei dem Kranken war weniger ausgezeichnet. Das gänzliche Versenken seiner Geisteskräfte in das eine große Streben seines Lebens, eine gewisse Hartnäckigkeit, welche leicht die Oberherrschaft bei denen gewinnt, die entschlossen sind zu erwerben, und welche sich gewöhnlich ihren Manieren mittheilt, ferner der Mangel jener zarteren Bande, die nur durch die Uebung der vertrauteren Liebeserweisungen während unsres Daseins sich ausbilden, – alles dieß hatte einen Bruch zwischen uns hervorgebracht, der durch das einfache, nicht unterstützte Faktum der Verwandtschaft nicht ausgefüllt werden konnte. Ich sage Verwandtschaft, denn trotz der Zweifel, die ihre Schatten auf jenen Zweig des Stammbaumes warfen, durch den ich mit meinem Großvater von mütterlicher Seite zusammenhing, ist offenbar das Recht des Königs auf seine Krone nicht offenbarer, als meine direkte Abkunft von meinem Vater. Ich hielt ihn immer für meinen Vorfahr de jure und de facto und hätte ihn wohl als solchen lieben und ehren mögen, wenn die Stimme der Natur auf meiner Seite zärtere Erwiederungen von ihm gefunden hätte.

Trotz der langen, und unnatürlichen Entfremdung, die so zwischen Vater und Sohn bestanden hatte, war das Zusammentreffen bei dieser Gelegenheit nicht ganz ohne einige Zeichen des Gefühls.

»Du bist endlich gekommen, Jack,« sagte mein Vorfahr, »ich fürchtete, Junge, du möchtest zu spät kommen.« Das schwere Aufathmen, der geisterhafte Blick und die gebrochene Sprache meines Vaters erfüllte mich mit Schrecken; es war das erste Sterbebett, an dem ich je gestanden und das mahnende Gemälde der zur Ewigkeit schreitenden Zeit ward unauslöschlich meinem Gedächtnis eingeprägt. Es war nicht nur eine Sterbescene, es war eine Familien-Sterbescene. Ich weiß nicht, wie es zuging, aber mir schien, mein Vorfahr gliche mehr einem Goldenkalb als je zuvor.

»Endlich bist du gekommen, Jack,« wiederholte er, »und das freut mich; du bist der einzige, der mir nun noch Sorge macht. Es wäre vielleicht besser gewesen, hätte ich mehr mit meiner Familie gelebt, – aber du wirst den Vortheil davon haben; ach, Jack, wir sind bei dem allem armselige Sterbliche; abgerufen zu werden so plötzlich und noch so jung.«

Mein Vorfahr hatte seinen siebzigsten Geburtstag erlebt, aber leider! hatte er noch nicht seine Rechnung mit der Welt abgeschlossen, obwohl er dem Arzt seinen letzten Sold gegeben, und den Pfarrer mit einem Geschenk für die Armen des Sprengels fortgeschickt hatte, das selbst einen Bettler für sein ganzes Leben würde froh gemacht haben.

»Du bist endlich gekommen, Jack, nun gut, mein Unglück wird dein Gewinn sein. Junge! Schick die Wärterin aus dem Zimmer.«

Ich that, wie er befohlen und wir waren allein.

»Nimm diesen Schlüssel;« er gab mir ihn unter seinem Kissen hervor, »und öffne die obere Schublade meines Sekretairs. Bring mir das Packet mit deiner Adresse.«

Ich gehorchte schweigend; worauf denn mein Vorfahr erst mit einer Trauer darauf blickte, die ich nicht gut beschreiben kann, denn sie war weder weltlich, noch ganz von einem ätherischen Charakter, sondern eine seltsame fürchterliche Zusammensetzung von beiden, worauf er dann die Papiere in meine Hand gab, langsam und mit Widerstreben sie loslassend.

»Du wirst warten, bis mich dein Auge nicht mehr sieht, Jack.«

Eine Thräne brach daraus hervor und fiel auf die abgemagerte Hand meines Vaters; er sah gedankenvoll auf mich und ich fühlte ein leises Drücken, das seine Rührung bezeugte.

»Es wäre wohl besser gewesen, Jack, hätten wir uns mehr gekannt. Aber die Vorsehung ließ mich den Vater nicht kennen und kinderlos lebte ich durch meine Thorheit. Deine Mutter war eine Heilige, glaub‘ ich, aber ich fürchte, ich erfuhr es zu spät. Nun, ein Segen kommt oft erst um Mitternacht.«

Da mein Vorfahr jetzt den Wunsch zu erkennen gab, ungestört zu bleiben, rief ich die Wärterin und verließ das Zimmer; in meine eigne bescheidne Stube zog ich mich zurück, wo der Pack Papiere, versiegelt und von der eignen Hand meines Vaters an mich adressirt, sorgfältig unter ein gutes Schloß gelegt ward. Ich traf mit meinem Vater nur noch ein Mal unter Umständen zusammen, die eine verständliche Mittheilung zuließen. Von der Zeit unsrer ersten Zusammenkunft an ward er allmählich schlimmer, seine Vernunft wankte und gleich Shakspeare’s sündhaftem Cardinal, »starb er und gab kein Zeichen von sich.«

Drei Tage nach meiner Ankunft jedoch ward ich allein mit ihm gelassen, und plötzlich erwachte er aus einem an Ohnmacht grenzenden Zustand. Es war das einzige Mal seit der ersten Zusammenkunft, wo er mich auch nur zu erkennen schien.

»Endlich bist du gekommen,« sagte er in einem Ton, der schon aus dem Grabe zu kommen schien. »Kannst du mir sagen. Junge, warum sie goldne Ruthen hatten, die Stadt auszumessen? (seine Wärterin hatte ihm ein Kapitel aus der Offenbarung gelesen, das er sich selbst ausgewählt). Du siehst, Junge, die Mauer selbst war von Jaspis und die Stadt von eitel Gold. Ich werd‘ kein Gold nöthig haben in meiner neuen Wohnung, ha! man wird dort keins brauchen! Ich bin nicht geizig, Jack; wollte Gott, ich hätte das Gold weniger geliebt, und meine Familie mehr! Die Stadt selbst ist von eitel Gold und die Mauern von Jaspis, herrliche Wohnung! ha! Jack; du hörst’s, Junge, – ich bin glücklich, zu glücklich! Gold! Gold!«

Die letzten Worte wurden mit einem Schrei ausgestoßen, sie waren die letzten, die je von den Lippen Thomas Goldenkalb’s kamen. Der Lärm brachte die Wärter herein, sie fanden ihn todt. Ich ließ sie das Zimmer verlassen, sobald die traurige Wahrheit gehörig feststand und blieb mehrere Augenblicke allein mit der Leiche. Das Gesicht lag im Tod, die Augen, noch offen, hatten den abstoßenden Glanz des wahnsinnigen Entzückens, womit der Geist abgeschieden, und das ganze Antlitz zeigte das furchtbare Bild eines hoffnungslosen Endes. Ich kniete nieder und betete, obwohl Protestant, inbrünstig für die Seele des Verstorbenen. Ich schied dann von dem ersten und letzten all meiner Vorfahren.

Diesem Auftritt folgte die gewöhnliche Zeit äußrer Trauer, das Begräbniß und dann die getäuschten Erwartungen der Überlebenden. Ich sah das Haus sehr besucht von vielen, die selten oder nie beim Leben seines früheren Eigenthümers seine Schwelle betreten hatten. Viel Munkeln und Blispern begann, man sah mich bedeutungsvoll an, ohne daß ich von dem allen etwas verstand; nach und nach mehrte sich die Zahl des regelmäßigen Besuchs, und belief sich zuletzt auf zwanzig. Unter ihnen war der Pfarrer des Sprengels, die Vorsteher einiger berühmten Wohlthätigkeitsanstalten, drei Procuratoren, vier oder fünf wohl bekannte Börsenmänner, unter ihnen der Vorderste Sir Joseph Job, und drei von den gewöhnlichen Barmherzigen, deren einzige Beschäftigung zu sein scheint, den versteckten Wohlthätigkeitssinn ihrer Nachbarn hervorzurufen und zu beleben.

Den Tag, nachdem mein Vorfahr für immer unsern Blicken entzogen worden, war das Haus mehr als gewöhnlich angefüllt. Die geheimen Verhandlungen nahmen zu an Ernst und Häufigkeit, und endlich ward ich aufgefordert, mit diesen lästigen Gästen in das Zimmer, das das sanctum sanctorum des früheren Hauseigenthümers gewesen, zusammenzukommen. Als ich unter zwanzig fremde Gesichter trat, voll Verwunderung, wie ich, der bisher so wenig bemerkt, durch’s Leben gegangen, so unzeitiger Weise belästigt werden sollte, stellte sich mir Sir Joseph Job als den Sprecher der Versammlung dar.

»Wir haben nach Ihnen geschickt, Herr Goldenkalb,« begann der Herr, sich gebührend die Augen wischend, »weil wir dafür halten, daß Achtung für unsern verstorbenen sehr geehrten, vortrefflichen und ehrbaren Freund es verlangt, nicht länger seinen letzten Willen hintanzusetzen, sondern ohne weitres zur Eröffnung seines Testaments zu schreiten, und dann die gehörigen Maaßregeln zu dessen Vollstreckung zu treffen. Es würde mehr in der Ordnung gewesen sein, wenn wir dies vor seiner Beerdigung gethan, denn wir könnten seinen Willen in Hinsicht seiner verehrten Ueberreste nicht so gerade errathen haben. Indeß ist es mein fester Vorsatz, alles so angeordnet zu wissen, wie er gewollt, sollten wir selbst genöthigt sein, die Leiche wieder auszugraben.«

Ich bin von Natur ruhig und vielleicht leichtgläubig, aber nicht ganz ohne die gehörige Empfindsamkeit. Was Sir Joseph Job oder sonst Jemand ausser mir mit dem Testament meines Vorfahrens zu thun hatte, wollte mir zuerst nicht einleuchten, und ich unterließ nicht, so etwas in Ausdrücken zu erkennen zu geben, die nicht leicht mißverstanden werden konnten.

»Als einziges Kind und noch dazu einzige Verwandte des Verstorbenen,« sagte ich, »sehe ich nicht recht ein, meine Herren, in wie fern diese Sache auf so lebhafte Art so viele Fremde interessiren kann.«

»Sehr scharfsinnig und passend, freilich Sir,« entgegnete Sir Joseph lächelnd, »aber sie sollten wissen, junger Mann, daß wenn es Leute giebt wie Erben, es auch solche wie Testamentsvollstrecker giebt.«

Das wußte ich schon, und ich hatte schon irgendwo die Ansicht gewonnen, daß der letztre gemeiniglich als der profitlichere Stand sich zeige.

»Haben Sie einigen Grund anzunehmen, Sir Joseph, daß mein verstorbener Vater Sie zum Vollstrecker bestellte?«

»Das wird sich besser am Ende zeigen, junger Herr! Ihr verstorbener Vater soll reich gestorben sein, sehr reich, – nicht daß er gegen eine halbe Million so viel hinterlassen, als das Gerücht behauptet, aber es ist ganz bedeutend, und es wäre unvernünftig anzunehmen, ein Mann von seiner großen Vorsicht und Klugheit sollte sein Geld an den gesetzlichen Erben übergehen lassen, dieser Erbe, ein junger Mann von nur 23 Jahren, unerfahren in Geschäften, nicht zu sehr mit Klugheit begabt, und mit all den Neigungen derer von seinen Jahren in dieser übelberathenen und ausschweifenden Zeit; – er hätte es ihm überlassen ohne gewisse Vorkehrungen und Sicherheiten, die sein hart Erworbenes für noch einige Zeit unter die Sorgfalt von Männern stellen, die wie er den vollen Werth des Goldes kennen?«

»Nein, niemals, es ist ganz unmöglich, es ist mehr als unmöglich!« riefen kopfschüttelnd die Beistehenden.

»Besonders da der verstorbene Herr Goldenkalb mit den meisten soliden Namen an der Börse, z. B. Herrn Joseph Job sehr vertraut war;« fügte ein anderer hinzu.

Sir Joseph nickte, lächelte, strich sich das Kinn und wartete auf die Antwort.

»Das Eigenthum ist in Gefahr, Sir Joseph!« sagte ich ironisch, »aber es thut nichts! Wenn ein Testament da ist, liegt es ebensowohl in meinem Interesse, als möglicher Weise in dem Ihrigen, seinen Inhalt zu kennen, und ich gebe gerne zu, daß auf der Stelle darnach gesucht werde.«

Sir Joseph blickte Dolche nach mir; aber als Geschäftsmann nahm er mich beim Wort, und nach Empfang der dargebotenen Schlüssel, ward sogleich eine geeignete Person in Thätigkeit gesetzt, die Schubladen zu öffnen. Das Suchen ging ohne Erfolg vier Stunden lang vor sich. Jede geheime Schublade wurde durchwühlt, jedes Papier geöffnet, und manch neugieriger Blick auf den Inhalt der letztern geworfen, um einige Winke über den wahrscheinlichen Belauf der ausstehenden Capitalien des Verstorbenen zu erhalten. Bestürzung und Unruhe stiegen sehr augenscheinlich unter den meisten der Zuschauer, während die fruchtlose Nachforschung vor sich ging und als der Notar mit der Erklärung endete, daß kein Testament zu finden sei, noch sonst ein Zeichen von Ausständen, heftete sich jedes Auge auf mich, als wenn ich im Verdacht stände, weggestohlen zu haben, was nach dem natürlichen Gange mein werden mußte, ohne die Notwendigkeit eines Verbrechens.

»Es muß irgendwo ein geheimes Fach für die Papiere sein,« sagte Sir Joseph Job, als wenn er mehr argwöhnte, als er für jetzt sagen wollte. »Herr Goldenkalb ist mit einer bedeutenden Summe in den Staatsschuldbüchern interessirt, und doch findet sich hier nicht ein Papierstreifen von einem Pfd. Sterling!«

Ich verließ das Zimmer und kehrte bald mit dem Bündel zurück, das mir von meinem Vater übergeben worden.

»Hier, Ihr Herren,« sagte ich, »ist ein großes Packet Papiere, das mir von dem Verstorbenen eigenhändig auf seinem Sterbebett eingehändigt ward. Es ist, wie Sie sehen, unter seinem Siegel und unter meiner Adresse, von seiner eignen Hand, und es ist wohl für keine Anmaßung anzunehmen, daß der Inhalt mich ganz allein betrifft. Doch da Sie sich für des Verstorbenen Angelegenheiten so sehr interessiren, soll es jetzt geöffnet werden, und der Inhalt, so weit Sie einiges Recht haben können, ihn zu erfahren, Ihnen nicht verborgen bleiben.«

Mir schien’s, Sir Joseph sah ernsthaft aus beim Anblick des Packs und nachdem er die Handschrift auf der Decke untersucht hatte. Alle jedoch bezeugten ihre Zufriedenheit, daß die Nachsuchung nun wahrscheinlich beendet sei. Ich zerbrach das Siegel, und legte den Inhalt des Couverts dar. Darin befanden sich verschiedene Packete, jedes unter dem Siegel des Verstorbenen und an mich, wie die äußere Decke von seiner eignen Hand adressirt. Jedes dieser kleineren Packete hatte auch eine besondere Aufschrift über seinen Inhalt. Ich nahm sie, wie sie lagen, und las die Aufschrift eines jeden, ehe ich zum nächsten überging. Sie waren auch numerirt.

»Nro. 1.,« fing ich an, »Scheine auf die Staatsschuld von Th. Goldenkalb. 12. Juni 1815.« Wir hatten damals den zwanzigsten desselben Monats und Jahrs. Als ich dieses Packet bei Seite legte, sah ich, daß die aufgeschriebene Summe weit eine Million überstieg.

»Nro. 2. Scheine der Bank von England.« Die Summe war mehrere hundert Tausende. »Nro. 3. Süd-See-Annuitäten,« fast 300,000 Pf. »Nro. 4. Schuldscheine und Verschreibungen.« 430,000 Pf. »Nro. 5. Verschreibung von Sir Peter Job, 63,000 Pf.«

Ich legte das Papier hin, und rief unwillkührlich aus: »Das Eigenthum ist in Gefahr!« Sir Joseph ward blaß, aber er winkte mir fortzufahren und sagte: »Wir werden bald an das Testament kommen, Sir.«

»Nr. 6.« Ich zögerte, denn es war eine Verschreibung an mich selbst, die, wie ich eben daraus sah, ein verunglückter Versuch war, die Zahlung der Erbschaftstaxe zu umgehen.

»Nun, Sir, Nro. 6?« fragte Sir Joseph mit tremulanter Freude.

»Ist ein Papier, das mich selbst betrifft, womit Sie nichts zu schaffen haben, Sir.«

»Wir werden sehen, Herr, wir werden sehen; wenn Sie, sich weigern, gibt’s Gesetze, Sie zu zwingen.«

»Zu was, Sir Joseph Job? Meines Vaters Schuldnern Papiere zu zeigen, die ausschließlich an mich adressirt sind, und mich nur betreffen können? Aber hier ist das Papier, meine Herren, das Sie so sehr zu sehen wünschen. Nro. 7. Letzter Wille und Testament des Th. Goldenkalb, 17. Juni 18l5.« (Er starb den 24. desselben Jahrs.)

»Ah, das köstliche Papier!« rief Sir Joseph Job aus, seine Hand eifrig darnach streckend, als erwarte er, er werde es erhalten.

»Dies Papier, wie Sie sehen, meine Herren,« sagte ich, und hielt’s in die Höhe, daß alle Anwesende es sehen möchten, »ist besonders an mich adressirt, und ich werd’s nicht aus der Hand lassen, bis ich ersehe, daß jemand anders ein besser Recht darauf hat.«

Ich gestehe, der Muth gebrach mir, als ich es eröffnete, denn ich hatte nur wenig meinen Vater gekannt, und wußte, daß er ein Mann von eben so besondern Ansichten als Gewohnheiten gewesen. Das Testament war ganz von seiner Hand und sehr kurz. Ich faßte Herz und laß laut folgendes vor:

»Im Namen Gottes, Amen. – Ich, Th. Goldenkalb aus dem Kirchsprengel Bow, in der Stadt London, verkünde und erkläre dieß Instrument als meinen letzten Willen und Testament. Nämlich:

»Ich vermache meinem einzigen Kind und sehr geliebten Sohn, John Goldenkalb, all mein Besitzthum in dem vorbesagten Sprengel Bow und der Stadt London, daß er es besitze als einfaches Besitzthum für sich, seine Erben und Stellvertreter für immer.«

»Ich vermache meinem einzigen Kind und vielgeliebten Sohn, dem besagten John Goldenkalb, all mein persönliches Eigenthum, von welcher Art und Beschaffenheit es immer sei, in dessen Besitz ich mich bei meinem Tode befinde, einschließlich Verschreibungen und Schuldscheine bei der Staatsschuld, Banknoten, einfache Scheine, Gut und Vieh, und alle andre Effekte, ihm, seinen Erben und Stellvertretern.«

»Ich ernenne und bestelle meinen genannten vielgeliebten Sohn, John Goldenkalb, zum alleinigen Vollzieher dieses meines letzten Willens und Testaments, und rathe ihm, keinem von denen, die sich für meine Freunde ausgeben mögen, zu vertrauen, besonders allen Ansprüchen und Bitten Sir Joseph Jobs ein taubes Ohr zu leihen. Zum Zeugniß von welchem u.s.w. u.s.w.«

Dieses Testament war gehörig ausgefertigt, und Zeugen waren die Wärterin, der Hauptcommis und das Hausmädchen.

»Das Eigenthum ist in Gefahr, Sir Joseph,« bemerkte ich trocken, als ich die Papiere, sie aufzuheben, zusammennahm.

»Dieß Testament kann umgestoßen werden, meine Herren,« schrie der Mann in Wuth, »es ist eine Schmähschrift.«

»Und wem zu Nutz, Sir Joseph?« fragte ich ruhig. »Mit und ohne dieß Testament, möchten meine Ansprüche auf meines Vaters Capitalien gleich triftig sein.«

Dieß war so augenscheinlich wahr, daß sich die Klügeren schweigend entfernten, und selbst Sir Joseph ging nach kurzem Zögern, während welchem er seltsam bewegt schien, weg. Die Woche darauf ward sein Bankrot, in Folge einiger übertrieben gewagten Spekulationen an der Börse, bekannt gemacht, und so erhielt ich für meine Verschreibung von 63000 Pf. nur 3 Shilling, 4 Pence vom Pfund.

Als mir das Geld ausbezahlt wurde, konnte ich mich nicht enthalten, bei mir auszurufen: »das Eigenthum ist in Gefahr!«

Am folgenden Tag schloß Sir Joseph Job seine Rechnung dadurch mit der Welt ab, daß er sich die Kehle abschnitt.

Fünftes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Von dem socialen Haltpunkt-System, den Gefahren des Concentrirens, und andere moralische und unmoralische Merkwürdigkeiten.

Die Geschäfte meines Vaters waren fast so leicht zu ordnen, als die eines Unvermögenden. In vier und zwanzig Stunden war ich in vollständigem Besitz von allem, und fand mich, wenn nicht den reichsten, so doch einen der reichsten Privatleute von Europa. Ich sage Privatleute; denn Fürsten haben häufig eine Weise, sich die Habe Andrer zuzueignen, die jeden Versuch mit ihnen zu wetteifern, lächerlich machen würde. Schulden waren keine da, und wären deren gewesen, so fehlte bares Geld nicht; die Billanz in klingender Münze zu meinen Gunsten an der Bank belief sich selbst wieder zu einem bedeutenden Vermögen.

Der Leser wird jetzt annehmen, ich wäre vollkommen glücklich gewesen. Ohne die geringste Beschränkung in meiner Zeit oder meinem Besitz, befand ich mich im Genuß eines Einkommens, das bedeutend die Revenuen vieler regierenden Fürsten überstieg. Ich hatte weder eine kostspielige noch eine lasterhafte Gewohnheit irgend einer Art. Häuser, Pferde, Hunde, Gepäck, Diener, nichts plagte oder hinderte mich. In jeder Hinsicht, eine ausgenommen, war ich vollkommen mein eigner Herr. Dieses war das tiefe, theure, geliebte Gefühl, das Anna in meinen Augen zu einem Engel machte (in der That war sie nicht viel weniger auch bei andern Leuten), zum Polarstern, nach dem jeder meiner Wünsche hinwieß. Wie gerne hätte ich gerade damals eine halbe Million bezahlt, um der Enkel eines Baronet mit Vorfahren aus dem siebzehnten Jahrhundert zu sein.

Es war jedoch noch eine andre und näher liegende Ursache der Unruhe, die mir selbst noch mehr Besorgniß machte, als der Umstand, daß meine Familie in die dunklen Jahrhunderte mit so verdrießlicher Leichtigkeit hinabreichte. Das, daß ich Zeuge von dem Todeskampfe meines Vorfahren gewesen, war mir eine schreckliche Lehre über die Eitelkeit, die Hoffnungslosigkeit, die Gefahren und Täuschungen des Reichthums, welche die Zeit nie ausrotten kann. Die Geschichte von dessen Aufhäufung war mir immer gegenwärtig, um das Vergnügen von seinem Besitz zu stören. Nicht als wenn ich, was die Welt nennt, Unredlichkeit geahnt hätte,– dazu war kein Grund, sondern nur, weil das engherzige, allem entfremdete Leben, der Aufwand von Kräften, die abgestumpfte Menschenliebe und der isolirte, mißtrauische Charakter meines Vaters mir nur schlecht durch den freudlosen Besitz seiner Millionen wieder gut gemacht schien. Ich würde viel darum gegeben haben, wenn mir jemand einen Weg gezeigt hätte, wo dem Verschlingen von Scylla’s Schlund entgehend, ich an den habsüchtigen Felsen der Charybdis hätte vorbeisteuern mögen.

Als ich aus den raucherigen Linien der Londoner Häuser in die grünen Felder zwischen den blühenden Hecken herausfuhr, schien mir diese Erde schön, wie gemacht, sie zu lieben. Ich sah in ihr das Werk eines göttlichen und wohlthätigen Schöpfers, und überzeugte mich leicht, daß, wer im Gewirr einer Stadt lebte, um Gold aus seines Nachbars Tasche in seine zu bringen, den Zweck seines Daseins verfehlte. Mein armer Vater, der nie London verlassen, stand vor mir mit seinem Kummer im Tode, und mein erster Entschluß war, mit meinen Nebenmenschen in Verbindung zu leben. So heftig in der That ward meine Angst, diesen Plan auszuführen, daß sie sich zum Wahnsinn hätte steigern können, wenn nicht ein glücklicher Umstand eingetreten, mich vor diesem schrecklichen Unglück zu retten.

Die Kutsche, in der ich die Reise machte (denn ich vermied vorsätzlich allen Pomp und die Beschwerde der Extrapost und der Bedienten) ging durch einen Marktflecken von anerkannter Loyalität, am Vorabend einer bestrittenen Wahl. Diese Berufung an den gesunden Verstand und Patriotismus der Wähler hatte stattgefunden, weil der frühere Bevollmächtigte ein Amt bekommen. Der neue Minister (er war nämlich Cabinetsmitglied) hatte eben seinen Ueberblick genommen und schickte sich an, seine Mitbürger aus dem Fenster des Wirtshauses, worin er logirte, anzureden. Obwohl ermüdet, doch begierig geistige Erholung auf irgend eine Art zu suchen, warf ich mich aus der Kutsche, sicherte mir ein Zimmer und ward einer von den Zuhörern.

Der begünstigte Bewerber nahm einen weiten Balkon ein, der von seinen Hausfreunden umringt ward, unter welchen ich mit Freuden Grafen, Lords und Baronets, geistliche Würdeträger, Handelsleute von Einfluß in dem Flecken, und selbst einen oder zwei Handwerker bemerkte, die in dem angenehmen Amalgam politischer Verwandtschaft zusammengedrängt waren. »Hier also,« dacht ich, »ist ein Beispiel himmlischen Segens. Der Bewerber selbst, der Sohn und Erbe eines Pairs, fühlt, daß er in Wirklichkeit dasselbe Fleisch und Blut ist wie seine Constituenten; wie lieblich er lächelt! wie angenehm sind seine Manieren! mit welcher Herzlichkeit schüttelt er die Hand des schmutzigsten und geringsten! Hier muß ein Mittel gegen Menschenstolz liegen! ein Antrieb zur Güte, eine nie endende Lehre des Wohlwollens, hier in diesem Theil unsrer herrlichen Staatsverfassung, und ich will es weiter verfolgen!« Der Bewerber erschien und seine Rede begann.

Mein Gedächtniß würde nicht ausreichen, wollte ich die eignen Worte des Redners anzuführen versuchen. Aber seine Ansichten und Lehren sind so tief in meine Erinnerung eingegraben, daß ich sie nicht zu entstellen fürchte. Er fing mit einem sehr passenden und beredten Lob der Constitution an, welche er unbedenklich in ihrer Art die größte Vervollkommnung menschlicher Vernunft nannte; es zu beweisen, führte er die feststehende Thatsache an, daß sie, bei allen Wechseln und Prüfungen so vieler Jahrhunderte sich, alle Veränderungen verabscheuend, nach den Umständen gerichtet. »Ja, meine Freunde,« rief er in einem Ausbruch patriotischer und constitutioneller Inbrunst, »wie unter den Rosen, so unter den Lilien, unter den Tudors, den Stuarts und dem hohen Hause Braunschweig hat dieß glorreiche Gebäude den Stürmen der Partheien widerstanden, hat unter sein schützendes Dach die entgegengesetzten Elemente bürgerlicher Streitigkeiten aufgenommen, Schutz, Wärme, ja auch Nahrung und Kleidung« (hier legte der Redner sehr passend seine Hand auf die Schulter eines Metzgers, der ein Flausgewand trug, das ihn nicht unähnlich einem stallgefütterten Vieh machte) »ja auch Nahrung und Kleidung, Lebensmittel und Trank dem geringsten Unterthan des Reichs verschaffend. Und das ist noch nicht alles; es ist eine ganz besonders englische Constitution, und wer ist so niederträchtig, so gemein, so untreu sich selbst, seinen Vätern, seinen Nachkommen, um einer Constitution den Rücken zu kehren, die so durch und durch, so wesentlich englisch ist; einer Constitution, die er von seinen Vorfahren geerbt, die nach göttlichen und menschlichen Gesetzen er verpflichtet ist, unverändert der Nachwelt zu überliefern?« Hier wurde der Redner, der jedoch zu sprechen fortfuhr, vom Beifallsgeschrei übertäubt, und diesen Theil des Gegenstandes konnte man wohl als definitiv bewiesen betrachten.

Unter Constitution als einem Ganzen, ging der Bewerber zunächst weiter, den besondern Theil von ihr, den Burgflecken Householder zu erheben. Nach seinem Bericht davon waren seine Bewohner von dem edelsten Geist der Unabhängigkeit erfüllt, von dem festesten Entschluß, das Ministerium aufrecht zu erhalten, wovon er selbst das geringste Glied sei, und besonders ausgezeichnet durch das, was er in der Begeisterung politischer Beredsamkeit, sehr glücklich das freigeborne Verständniß ihrer Rechte und Privilegien nannte. Diesen loyalen und vernünftigen Flecken habe man nie seine Gunst an solche verschwenden gesehen, die keinen Anhaltspunkt in der Gemeinde gehabt; er verstehe das Grundprincip guter Regierung, welches als Hauptsatz festgestellt, daß niemand Vertrauen verdient, er habe dann ein sichtliches und ausgedehntes Interesse am Land, denn was hätte ohne diese Pfänder der Rechtlichkeit und Unabhängigkeit der Wähler andres zu erwarten als Bestechung und Arglist, einen Handel mit den theuersten Rechten, ein Feilschen, das die glorreichen Institutionen, unter denen er lebte, zerstören könnte. Dieser Theil der Rede ward in ehrerbietiger Stille angehört, und bald darauf schloß der Redner, wo dann die Wähler wahrscheinlich mit einer bessern Meinung von sich und der Constitution auseinandergingen, als sie vielleicht seit der vorigen Wahl zu hegen das Glück gehabt.

Der Zufall brachte mich bei Tische (das Haus war voll) an dieselbe Tafel mit einem Notar, der den ganzen Morgen unter den Householdern sehr thätig gewesen, und wie ich von ihm selbst hörte, der eigentliche Agent des Eigenthümers von dem fraglichen unabhängigen Flecken war. Er sagte mir, er sei, in der Erwartung, das ganze Eigenthum an Sir Pledge, so hieß der ministerielle Candidat, übergeben zu können, hierher gekommen, aber die Geldmittel seien nicht zur Stelle gewesen, wie man ihn hätte hoffen lassen, und der ganze Handel so unglücklicher Weise in dem Augenblick abgebrochen worden, wo es von der höchsten Wichtigkeit gewesen, zu wissen, wem die unabhängigen Wähler eigentlich angehörten.

»Der Lord hat jedoch,« fuhr der Notar blinzelnd fort, »gethan, was recht war, und seine Wahl kann keinem Zweifel unterliegen, ebenso wenig wie die Ihrige, wenn der Flecken etwa Ihnen gehörte.«

»Und ist dieß Eigenthum jetzt zu verkaufen?« fragte ich.

»Freilich. – Der Herr kann’s nicht länger machen; der Preis steht fest, und ich hab‘ Vollmacht, den Handel vorläufig abzuschließen. Es ist Jammerschade, daß die öffentliche Meinung an dem Vorabend einer Wahl in diesem unentschiednen Zustand gelassen wird.«

»Dann, Sir, will ich es kaufen.«

Der andre sah mit Staunen und Zweifel auf mich. Er hatte jedoch schon zuviel Geschäfte der Art gemacht, um nicht erst weiter zu hören, ehe er ab- oder zuschlug.

»Der Preis des Fleckens ist 325000 Pf., und die Abgaben nur 6000, Sir.«

»Es mag sein. Mein Name ist Goldenkalb; wenn Sie mich in die Stadt begleiten wollen, sollen Sie das Geld erhalten.«

»Goldenkalb! Was, Sir, der einzige Sohn und Erbe des verstorbenen Thomas Goldenkalb von Cheapside?«

»Derselbe. Mein Vater ist noch keinen Monat todt.«

»Verzeihen Sie, Herr, beweisen Sie mir Ihre Identität, man muß bei solchen Dingen genau sein, – und Sie sollen noch zu rechter Zeit in den Besitz kommen, um Ihre eigne Wahl oder die eines Ihrer Freunde zu sichern. Ich werde Herrn Pledge seine geringen Vorschüsse zurückgeben, und künftig wird er sich nicht mehr unterstehen, sein Versprechen nicht zu halten. Wozu nützt ein Flecken, wenn eines Edelmanns Wort nicht heilig ist? Sie werden die Wähler insbesondre in jeder Hinsicht Ihrer Gunst würdig finden. Sie sind so freimüthige, loyale und gerade Constituenten, als nur irgend wo in England. Da ist kein Rückhalten mit dem Stimmen, in jeder Hinsicht sind sie furchtlose Engländer, die thun, was sie sagen, und sagen, was nur immer ihr Oberherr von ihnen verlangen mag.«

Da ich tausend Briefe und andere Dokumente bei mir hatte, war nichts leichter als den Notar von meiner Identität zu überzeugen. Er forderte Tinte und Feder; zog aus seiner Tasche den für Lord Pledge bestimmten Contrakt, und gab mir ihn zu lesen. Er füllte ihn aus, und meinen Namen einschreibend, rief er die Kellner zu Zeugen auf, und überreichte mir das Papier mit einer Schnelle und Ehrfurcht, die ich wirklich ergötzlich fand. So ein Mal, dacht‘ ich, der Gesellschaft durch den Ankauf eines Fleckens Sicherheits-Pfänder gegeben! Ich zog auf meine Bankiers 325,000 Pfund und stand wirklich als der Eigenthümer des Burgfleckens Householder und der politischen Gewissen aller seiner Bewohner vom Stuhl auf.

Eine so wichtige Begebenheit konnte nicht lange unbekannt bleiben, und in wenigen Minuten richteten sich Aller Augen im Kaffeehause auf mich. Der Wirth präsentirte sich, und bat, ich möchte ihm die Ehre erweisen, Besitz von seinem Wohnzimmer zu nehmen, da sonst keines zu seiner Verfügung stehe. Ich hatte mich dort kaum festgesetzt, als schon ein Diener in schöner Livree mir folgendes Schreiben überbrachte:

»Mein theurer Herr Goldenkalb!

»Ich hab‘ in diesem Augenblick vernommen, daß Sie hier sind und bin sehr froh darüber. Eine lange vertraute Freundschaft mit Ihrem verstorbenen vortrefflichen und sehr loyalen Herrn Vater rechtfertigt mich, wenn ich Sie meinen Freund nenne; so unterlasse ich alle weitere Ceremonien (ich meine Geschäftsceremonien, da von keinen andern zwischen uns die Rede sein kann), und bitte, mich eine halbe Stunde vorzulassen.– Mein theurer Herr Goldenkalb

Ihr sehr ergebener und aufrichtiger
Pledge.«

Ich bat, man möge den edlen Besuch nicht einen Augenblick warten lassen. Lord Pledge trat herein wie ein alter, vertrauter Freund. Er that hundert schöne Fragen nach meinem verstorbenen Vorfahren, sprach mit Gefühl von seinem Verdruß, nicht vor sein Sterbebett beschieden worden zu sein, und wünschte mir dann sehr aufrichtig und warm zu meiner Nachfolge zu so großem Reichthum Glück.

»Ich höre auch, Sie haben diesen Flecken gekauft, mein Lieber; ich konnte es gerade in diesem Augenblick nicht machen, um den Handel selbst abzuschließen; aber es ist nicht übel; 320,000 Pf., nicht, so war wenigstens zwischen mir und der Gegenparthie die Rede.«

»325,000 Pfund, Lord Pledge!«

Ich merkte an den Mienen des edlen Bewerbers, daß ich die schlechten fünf Tausend Pfund als eine Zugabe bezahlt, – ein Umstand, der die Bereitwilligkeit des Notars in der ganzen Verhandlung erklärte, da er wahrscheinlich den Ueberschuß selbst einsteckte.

»Sie denken also zu sitzen?«

»Ja, Mylord; doch erst nach der nächsten allgemeinen Wahl; für jetzt werde ich mich glücklich schätzen, Ihre Wiedererwählung zu unterstützen.«

»Mein lieber Herr Goldenkalb –«

»In der That, ohne Ihnen ein Compliment machen zu wollen, Lord Pledge, die edlen Gesinnungen, die ich Sie diesen Morgen äußern hörte, waren so geeignet, so außerordentlich eines Staatsmanns würdig, so wahrhaft englisch, daß ich weit lieber Sie selbst in dem erledigten Sitze als mich wünschen würde.«

»Ich ehre Ihre Vaterlandsliebe, Herr Goldenkalb, und wünsche nur, daß die Welt mehr solcher Männer besäße; aber Sie können auf unsre Freundschaft zählen, Sir; was sie eben bemerkten, ist wahr, sehr wahr, nur zu wahr, ist – ist, ich meine, mein lieber Herr Goldenkalb, gerade diese meine Gesinnungen, ich, ich, – ich sage es vor Gott, ohne Eitelkeit, aber es, – es, – wie Sie so ganz recht zu verstehen gegeben, sie sind recht geeignet und wahrhaft englisch.«

»Ich halte Sie in der That dafür, Lord Pledge, sonst hätte ich es nicht gesagt; – ich selbst befinde mich in einer seltsamen Lage, – bei ungeheurem Reichthume ohne Rang, Name, Verbindungen, – nichts ist leichter für einen von meinen Jahren, als mißleitet zu werden; und es ist daher mein heißer Wunsch, irgend ein Mittel zu finden, mich auf passende Art mit der Staatsgesellschaft zu verketten.«

»Ei, mein theurer junger Freund, wählen Sie ein Weib unter den Schönen und Tugendhaften dieser glücklichen Insel; leider kann ich selbst in dieser Hinsicht nichts vorschlagen; meine beiden Schwestern sind schon vergeben.«

»Ich hab‘ schon gewählt, ich danke Ihnen tausend Mal, mein theurer Lord Pledge, obgleich ich kaum selbst meine Wünsche zu erfüllen wage. Es sind Anstände, – wenn ich nur jetzt das Kind von eines Baronets zweitem Sohn wäre, oder – –«

»Werden Sie selbst Baron,« unterbrach mich nochmals mein edler Freund, der offenbar leichteren Herzens geworden; denn ich glaube wirklich, er dachte, ich würde ihn um etwas Höheres ansprechen. »Ihre Sache soll mit Ende der Woche gemacht sein, und wenn ich sonst etwas für Sie thun kann, nennen Sie es ohne Rückhalt!«

»Wenn ich noch etwas weiter von Ihren so bemerkenswerthen Gedanken über den Haltpunkt, den wir alle in der Staatsgesellschaft haben sollten, hören könnte, ich glaube, das würde mich sehr erleichtern.«

Der andere sah einen Augenblick mit sehr seltsamem Ernst auf mich, fuhr mit der Hand über die Stirn, sann nach und willfahrte mir dann sehr zuvorkommend.

»Sie legen, Herr Goldenkalb, zu große Wichtigkeit auf einige, freilich sehr wahre aber doch sehr übel geordnete Ideen. Daß ein Mann ohne einen gehörigen Haltpunkt im Staat wenig besser als das Thier des Feldes ist, halte ich für so augenscheinlich, daß es unnöthig ist, sich dabei aufzuhalten. Schließen Sie, wie Sie wollen, vorwärts und rückwärts. Sie kommen zu demselben Ergebniß; wer nichts hat, wird gewöhnlich von den Menschen wenig besser als ein Hund behandelt, und wer wenig mehr als ein Hund ist, hat gewöhnlich nichts. Ferner, was unterscheidet den Wilden vom Civilisirten? die Civilisation natürlich; – nun was ist Civilisation? Die Künste des Lebens. Was säugt, nährt, erhält die Künste des Lebens? Geld und Eigenthum. Folglich ist Civilisation Eigenthum und Eigenthum Civilisation. Wenn die Regierung eines Landes in den Händen derer ist, die Eigenthum besitzen, ist die Regierung eine civilisirte, aber im Gegentheil, ist sie in den Händen derer, die nichts besitzen, so ist sie nothwendig eine uncivilisirte. Es ist ganz unmöglich, daß jemand ein zuverlässiger Staatsmann werde, der nicht ein direktes Eigenthumsinteresse in der Staatsgesellschaft besitzt. Sie wissen, es gibt keinen Anfänger in unsrer politischen Sekte, der nicht die Wahrheit dieses Grundsatzes zugäbe.«

»Herr Pitt?«

»Ei Pitt war freilich gewisser Maßen eine Ausnahme, aber dann müssen Sie bedenken, war er der unmittelbare Vertreter der Tory, die das meiste Eigenthum in England besitzen.»

»Herr Fox.«

»Fox vertrat die Whigs, die, wie Sie wissen, alles übrige besitzen. Nein, mein lieber Goldenkalb, bedenken Sie, wie Sie wollen, wir werden immer zu demselben Resultat gelangen. Sie werden also, wie Sie eben gesagt, selbst einen der Sitze bei der nächsten Wahl einnehmen?«

»Ich bin zu stolz, Ihr College zu werden, um zu zögern.«

Diese Rede besiegelte unsre Freundschaft; denn sie war meinem edlen Bekannten ein Pfand für seine künftige Verbindung mit dem Flecken. Er war zu hoch geboren, seinen Dank in gewöhnlichen Phrasen auszudrücken (obwohl hohe Geburt selten alle ihre Vorzüge geltend macht, wenn es eine Wahl gilt) aber er war ein Mann von Welt, von jener Classe, deren Hauptgeschäft es ist, das »suaviter in modo« wie der Franzose sagt »en evidence« zu setzen, und so kann der Leser versichert sein, daß, als wir jenen Abend schieden, ich in vollkommen guter Laune mit mir und folglich mit meinem neuen Bekannten war.

Den folgenden Tag wurde das Abstimmen erneuert, und wir hatten eine zweite überzeugende Rede über die Wichtigkeit der Lehre, vom Anhaltspunkt in der Gesellschaft; denn Lord Pledge war Tactiker genug, gleich die Citadelle anzugreifen, nachdem er ihre schwache Seite erfaßt, und nicht seine Kräfte auf die Aussenwerke zu verschwenden. Am Abend kam der Notar aus der Stadt mit den Dokumenten; sie waren alle gehörig ausgefertigt, da sie für Lord Pledge schon einige Zeit bereit gewesen, und am folgenden Morgen frühe wurde den Einwohnern die gehörige Nachricht gegeben, mit einer zierlich abgefaßten Anrede von meiner Seite, zu Gunsten »des Haltpunkts in der Gesellschaft.« Um Mittag schritt Lord Pledge, wie es in Newmarket und Donkaster heißt, über den Kampfplatz; nach dem Essen schieden wir; mein edler Freund kehrte in die Stadt zurück, während ich den Weg nach dem Pfarrhaus einschlug.

Anna schien mir nie frischer, heitrer, über alles sterbliche erhabner, als damals, wo wir, eine Woche, nachdem ich Householder verlassen, in dem Frühstückzimmer von ihres Vaters Wohnung zusammentrafen.

»Ihr fangt wieder an, Euch selbst gleich zu sehen, Jack,« sagte sie, indem sie die Hand mit der einfachen Herzlichkeit einer Engländerin ausstreckte, »und ich hoffe, wir werden Euch vernünftiger finden.«

»Ach, Anna, wenn ich nur wagen dürfte, mich zu Euren Füßen zu werfen, und Euch zu sagen, wie sehr und was ich fühle, ich würde der glücklichste Mann in ganz England sein!«

»Wie’s nun ist, seid Ihr der unglücklichste,« antwortete das lachende Mädchen, als bis an die Schläfe erröthend, sie die Hand wegzog, die ich närrisch an’s Herz drückte; »laßt uns zum Frühstück geh’n, Herr Goldenkalb; mein Vater ist über Feld geritten, Doktor Liturgy zu besuchen.«

»Anna,« sagte ich, nachdem ich mich gesetzt, und eine Tasse Thee von Fingern genommen, die rosig waren, wie der Morgen, »ich fürchte, Ihr seid der größte Feind, den ich auf der Erde habe.«

»John Goldenkalb!« rief das entsetzte Mädchen, ward blaß und erröthete dann heftig; »bitte, erklärt Euch.«

»Ich liebe Euch im Innersten, – könnte Euch heirathen, und dann fürchte ich, verehre ich Euch, wie je ein Mann eine Frau verehrt.«

Anna lachte leise.

»Und so fühlt Ihr Euch in der Sünde der Götzendiener?« brachte sie zuletzt heraus.

»Nein, ich bin in Gefahr, meine Gefühle enger zu beschränken, einen festen, sichern Halt im Leben zu verlieren, meinen eigenthümlichen Standpunkt in der Gesellschaft aufzugeben, kurz, unnütz meinen Mitmenschen, wie mein armer, armer Vater zu werden, und ein ebenso erbärmliches Ende zu haben. O Anna, hättet Ihr die Hoffnungslosigkeit jenes Sterbebetts mitangesehn, Ihr könntet mir nie ein Schicksal wie das seinige wünschen!«

Meine Feder ist nicht im Stande eine angemessene Idee von dem Ausdruck zu geben, womit mich Anna betrachtete; Verwunderung, Zweifel, Befürchtung, Zuneigung und Angst, glänzte all in ihren Augen, aber die unnatürliche Gluth dieser widerstrebenden Gefühle war durch eine Sanftheit gemäßigt, die dem perlenden Glanz eines italienischen Himmels glich.

»Wenn ich meiner Neigung nachgebe, Anna, worin wird meine Lage von der meines unglücklichen Vaters sich unterscheiden? Er concentrirte seine Gefühle in der Liebe zum Geld, – und ich, ja ich fühle es hier, ich erkenne es hier, ich würde Euch so innig lieben, daß es jedes edelmüthige Gefühl für andre ausschlösse. Ich hab‘ eine schreckliche Verantwortung auf meinen Schultern, Reichthum – Gold – Gold über alle Maßen, und meine Seele zu retten, muß ich mein Interesse an meinen Mitgeschöpfen ausdehnen, nicht verengen. Gäb‘ es ein hundert solcher Anna, ich könnte euch alle an mein Herz drücken, aber Eine, nein, nein; es wäre Elend, es wäre Verderben. Gerade das Uebermaß einer solchen Leidenschaft würde mich zum herzlosen Geizhals machen, der unwürdig wäre des Vertrauens seiner Mitmenschen!«

Das strahlende und doch heitre Auge Annens schien in meiner Seele zu lesen; und als ich ausgesprochen, erhob sie sich, stahl sich furchtsam an meine Seite des Tisches, wie eine Frau sich nähert, wenn sie am meisten fühlt, legte ihre Sammethand auf meine brennende Stirn, drückte deren schlagende Pulse leise an ihr Herz, brach in Thränen aus und entfloh.

Wir speisten allein, auch sahen wir einander nicht wieder bis zur Mittagszeit. Annens Weise war sänftigend, lieb, selbst einnehmend, doch vermied sie sorgfältig das Gespräch vom Morgen. Ich selbst, ich brütete beständig über der Gefahr, die Interessen zu concentriren, und über der Vortrefflichkeit eines socialen Haltpunktsystems.

»Ihr werdet Euch, Jack, in einem Tag oder zwei besser befinden,« sagte Anna, als wir Wein nach der Suppe getrunken. »Landluft und Freunde werden Eure Frische, Eure Farben zurückbringen.«

»Gäb‘ es tausend Anna, dann könnt‘ ich glücklich sein, wie nie jemand zuvor; aber ich muß nicht, darf nicht meinen Halt an der Staatsgesellschaft aufgeben!«

»Dieß alles beweißt meine Unzulänglichkeit, Euch glücklich zu machen. Aber da kommt Francis mit der gestrigen Morgenzeitung, laßt uns sehen, was die Staatsgesellschaft in London macht!«

Nach einigen Augenblicken ernsthafter Beschäftigung mit dem Journal entfuhr dem lieblichen Kinde ein Ausruf des Vergnügens und Erstaunens. Als ich meine Augen emporrichtete, sah ich sie (wie ich mir einbildete) freundlich auf mich blicken.

»Les’t, was Ihr da habt, das Euch so viel Vergnügen zu machen scheint!«

Sie folgte und las mit eifriger und zitternder Stimme folgende Nachricht:

»Seine Majestät hat gnädigst geruht, John Goldenkalb von Householder-Hall in der Grafschaft Dorset und von Cheapside, Esquire, zur Würde eines Baronet der vereinigten Königreiche Großbritannien und Irland zu erheben.«

»Sir John Goldenkalb, ich habe die Ehre auf Eure Gesundheit und Glück zu trinken!« rief das entzückte Mädchen, freudestrahlend gleich dem Morgen und ihre schwellende Lippe mit einem Naß benetzend, das weniger roth war als diese. »Hier, Francis, füll‘ ein Glas und trink dem neuen Baronet zu.«

Der graugelockte Kellermeister that, wie ihm befohlen, und zwar mit viel Anstand und eilte dann in das Gesinde-Zimmer, die Nachricht zu hinterbringen.

»Hier wenigstens, Jack, ist ein neuer Anhalt, den die Gesellschaft an Euch hat, welchen Halt Ihr nun auch an die Gesellschaft haben mögt.«

Ich war erfreut, weil sie erfreut war, und weil es von Seiten Lord Pledge einige Dankbarkeit zeigte, (wie wohl er späterhin Gelegenheit nahm, zu verstehen zu geben, daß ich die Gunst hauptsächlich der Hoffnung verdankte) und ich glaube, meine Augen drückten nie mehr Freude aus.

»Lady Goldenkalb würde indeß doch auch nicht so übel lauten, liebste Anna!«

»Einer beigelegt, Sir John, wohl möglich, doch nicht wenn einem hundert.« Anna lachte, erröthete, brach nochmals in Thränen aus und entfloh wieder.

Welch‘ Recht hab‘ ich mit den Gefühlen dieses einfachen, trefflichen Mädchens zu spielen? sagte ich zu mir selbst; es ist offenbar, dieser Gegenstand betrübt sie, sie erträgt nicht seine Berührung, und es ist unmännlich und ungeeignet von mir, so zu verfahren. Ich muß meinem Charakter als ein Mann von Bildung treu bleiben; ja besonders jetzt als Baronet; ich will nie wieder, so lang ich lebe, davon sprechen.

Am folgenden Tag nahm ich Abschied von Dr. Etherington und seiner Tochter in der ausgesprochenen Absicht, ein Jahr oder zwei zu reisen. Der gute Geistliche gab mir viel freundlichen Rath, schmeichelte mir mit Versicherung seines Vertrauens in meine Vorsicht und mir warm die Hand drückend, bat er mich zu bedenken, daß ich immer eine Heimath im Pfarrhaus hätte. Als ich dem Vater Adieu gesagt, machte ich mich mit betrübtem Herzen auf, die Tochter aufzusuchen. Sie war noch in dem kleinen Frühstückzimmer, – jenem so geliebten Gemach. Ich fand sie blaß, schüchtern, gefühlvoll, schmeichelnd aber heiter. Nichts konnte je diese himmlische Heitre an dem lieben Kinde stören; wenn sie lachte, geschah es mit zurückgehaltener, gemäßigter Freude; wenn sie weinte, war es gleich Regen, der aus einer Luft fällt, die noch glänzt von dem hellen Sonnenschein. Nur wenn Gefühl und Natur unaussprechlich schwer in ihr war, führte ein unwiderstehlicher Trieb ihres Geschlechts zu Bewegungen, wie ich sie zwei Mal vor so kurzem in ihr wahrgenommen.

»Ihr wollt uns verlassen, Jack,« sagte sie und reichte freundlich und ohne affektirte Gleichgültigkeit, die sie nicht fühlte, ihre Hand. »Ihr werdet viele fremde Gesichter sehen, aber keine, die – –«

Ich wartete auf den Schluß des Satzes, aber ob sie auch eifrig nach Selbstüberwindung rang, er ward nie beendigt.

»Bei meinem Alter, Anna, bei meinen Mitteln, würde es unschicklich sein, zu Haus zu bleiben, während, wenn ich es so ausdrücken darf, die Menschheit draußen ist. Ich gehe meine Theilnahme an ihr zu beleben, mein Herz den Mitmenschen zu öffnen, und die grausamen Vorwürfe zu vermeiden, die meines Vaters Sterbebett zur Folter machten.«

»Gut, gut!« unterbrach das schluchzende Mädchen, »wir wollen nicht mehr davon sprechen; es ist am besten, Ihr reiset und so Adieu – mit Tausenden, mit Millionen meiner besten Wünsche für Euer Glück und sichre Wiederkehr. Ihr werdet zu uns zurückkommen, Jack, wenn überdrüssig Ihr geworden der andern Scenen.«

Dieß ward mit leichtem Ernst und einer so gewinnenden Aufrichtigkeit gesprochen, daß es fast meine ganze Philosophie umgestoßen; aber ich konnte ihr ganzes Geschlecht nicht heirathen, und meine Neigung auf eine zu beschränken, wäre der Todesstreich für die Entwicklung jenes erhabenen Grundsatzes gewesen, an dem ich so sehr hing, und der, wie ich schon beschlossen, mich würdig machen sollte meines Reichthums, und zur Zierde der Menschen. Doch wäre mir ein Königreich geboten worden, ich hätte nicht sprechen können. Ich nahm das nicht widerstrebende Kind in meine Arme, preßte sie an mein Herz, drückte einen brennenden Kuß auf ihre Wange und schied.

»Ihr werdet zu uns zurückkommen, Jack,« lispelte sie halb, als sie ihre Hand widerstrebend durch die meinige zog. O, Anna, es war in der That schmerzlich, von deinem freien, lieblichen Vertrauen zu scheiden, von deiner strahlenden Schönheit, deiner heitern Liebe und all den weiblichen Tugenden, nur um meine neuentdeckte Theorie in Ausübung zu bringen. Lange umschwebte deine Gegenwart mich, ja nie verließ sie mich gänzlich. Sie setzte meine Sündhaftigkeit auf eine strenge Probe, und drohte bei jeder Meile die sich verlängernde Kette anzuziehen, die mich schon band an dich, deinen Herd und deine Altäre. Aber ich triumphirte und trat hinaus in die Welt mit einem Herzen, allen Wesen geöffnet, obwohl dein Bild stets verschlossen blieb in seinem Innersten, und in weiblicher Glorie glänzte, rein, strahlend und ohne Fleck, gleich dem scheinenden Prisma, das den Glanz des Diamanten macht.

Sechstes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Eine Theorie von handgreiflicher Erhabenheit. – Einige praktische Ideen. – Anfang der Abentheuer.

Die Rückerinnerung an die tiefen Gefühle dieser wichtigen Periode meines Lebens hat gewisser Maßen den Zusammenhang der Erzählung gestört, und kann möglicher Weise einiges Dunkel in dem Gemüth des Lesers in Hinsicht der neuen Quellen von Glückseligkeit zurückgelassen haben, die über meinen Verstand hereingebrochen. Daher mag ein Wort hier zur Erläuterung nicht unnütz sein; wiewohl es mein Zweck ist, mich, um zu einem gehörigen Verständniß meiner Absichten zu führen, mehr auf meine Handlungen und die wunderbaren Vorfälle zu beziehen, die ich jetzt bald der Welt werde darlegen müssen, als auf wörtliche Erklärungen.

Glückseligkeit, Glückseligkeit, hier und jenseits war mein Ziel. Ich strebte nach einem Leben nützlichen, thätigen Wohlwollens, einem Sterbebett voll Freude und Hoffnung, und einer Ewigkeit der Vergeltung. Mit solch einem Plan vor mir, hatten meine Gedanken vom Augenblick an, wo ich den Kummer meines Vaters auf dem Sterbebett mit angehört, sich eifrigst mit den Mitteln seiner Erreichung beschäftigt. So wunderbar als es ohne Zweifel auch gewöhnlichen Gemüthern scheinen mag, ich kam auf die Spur dieses hohen Geheimnisses bei der letzten Wahl für den Burgflecken Householder und zwar durch Lord Pledge. Gleich andern wichtigen Entdeckungen ist es ganz einfach, wenn man es schon weiß, da es leicht dem schwerfälligsten Geiste verständlich gemacht werden kann, und so sollte es ja eigentlich mit jedem Grundsatz sein, der mit der Wohlfahrt des Menschen so nahe verbunden ist.

Es ist eine allgemein angenommene Wahrheit, daß Glückseligkeit der einzige wirkliche Zweck aller menschlichen Verbindungen ist. Die Beherrschten treten für die Wohlthaten des Friedens, der Sicherheit und Ordnung einen gewissen Theil ihrer natürlichen Rechte unter der wohlverstandnen Bedingung ab, daß sie den übrigen Theil als ihren unveräusserlichen Besitz genießen dürfen. Freilich bestehen unter den verschiednen Nationen auch sehr materiell verschiedne Ansichten über die Mengen des abzutretenden und zurück zu behaltenden Theils, aber diese Abirrungen von der rechten Mitte sind nur eben so viele Launen des menschlichen Geistes, und berühren keineswegs den Grundsatz selbst. Ich fand auch, daß gerade die weisesten und besten, oder was dasselbe ist, die verantwortlichsten allgemein behaupten, daß wer den größten Haltpunkt in der Gesellschaft besitzt, nach der Natur der Dinge auch am geeignetsten ist, ihre Geschäfte zu führen. Unter einem Haltpunkte der Staatsgesellschaft meint man, nach allgemeinem Uebereinkommen, eine Vervielfältigung jener Interessen, die uns in unserm täglichen Verkehr beschäftigen, oder was man gemeiniglich Eigenthum nennt. Dieser Grundsatz wirkt, indem er uns zum Rechtthun reizt, eben durch jenes schwere Pfand unsers Besitzes, das unvermeidlich leiden würde, wollten wir unrecht thun. Der Satz ist jetzt klar, auch kann, was wir vorausgeschickt, nicht mißverstanden werden. Glückseligkeit ist der Zweck der Staatsgesellschaft und Besitz, oder ein festes Interesse an dieser Gesellschaft das beste Pfand unsrer Uneigennützigkeit und Gerechtigkeit, und die beste Befähigung zu ihrer gehörigen Lenkung. Es folgt, als ein nothwendiger Folgesatz, daß eine Vermehrung jener Interessen das Pfand erhöhen wird, und uns mehr und mehr des Vertrauens würdig macht, indem sie uns, so nah als nur möglich, zu dem reinen und ätherischen Zustand der Engel erhebt. Einer jener glücklichen Zufälle, die manchmal die Menschen zu Kaiser und Könige machen, hatte mich vielleicht zum reichsten Unterthan von Europa gemacht. Mit diesem Polarstern der Theorie vor meinen Augen scheinend, und mit so reichen praktischen Mitteln, wäre es offenbar meine Schuld gewesen, hätte ich meine Barke nicht in den rechten Hafen gesteuert. Wenn der, der die größten Pfänder gegeben, auch wohl am meisten seine Mitmenschen liebte, so konnte für einen in meiner Lage sich wohl keine große Schwierigkeit finden, sich an die Spitze der Philanthropie zu stellen. Zwar bei oberflächlicher Betrachtung hätte man den Fall mit meinem eignen unmittelbaren Vorfahren für eine Ausnahme oder vielmehr einen Einwurf gegen die Theorie ansehen können; aber weit entfernt, beweist er gerade das Gegentheil. Mein Vater hatte größtentheils alle seine Pfänder in der National-Schuld concentrirt; nun liebte er ohne allen Scherz die Fonds außerordentlich, ward heftig, wenn sie angegriffen wurden, schrie nach Bayonetten, wenn die Massen gegen Taxen sprachen, hielt dem Galgen eine Lobrede, wenn man mit Empörung drohte, und zeigte auf hundert andere Arten, daß wo der Schatz ist, auch das Herz sein wird; der Fall mit meinem Vater also, wie alle Ausnahmen, bestärkte nur die Vortrefflichkeit der Regel. Er war nur in den Irrthum des Zusammenziehens verfallen, wo der einzige Weg der der größtmöglichen Eröffnung gewesen. Ich beschloß, mich zu öffnen, wozu sich vielleicht noch nie ein politischer Oekonom entschlossen; – kurz die Theorie vom socialen Anhaltspunkt auf eine Weise auszuführen, daß ich alles lieben müsse, und dadurch würdig würde, mit der Obhut von allem beauftragt zu werden.

Als ich in die Stadt kam, war mein erster Besuch der der Danksagung bei Lord Pledge. Erst hatte ich einige Zweifel verspürt, ob die Baronie das System der Philantropie unterstützen würde oder nicht; denn dadurch, daß sie mich über einen großen Theil meiner Mitmenschen erhob, war es in so weit wenigstens ein Entfernen von philantropischem Mitgefühl, aber als das Patent kam und die Kosten bezahlt waren, fand ich, daß sie wohl als ein Pfand in Geld betrachtet werden könnte, und folglich in den Bereich der Regel gehörte, die ich mir für mein eignes Regime vorgeschrieben.

Das nächste war, gehörige Agenten zu bekommen, um mich bei den Ankäufen zu unterstützen, die nöthig geworden, um mich an die Menschheit zu ketten. Ein Monat verging mit dieser eifrigen Beschäftigung. Da baares Geld nicht fehlte, und ich nicht sehr genau im Preis war, fing ich am Ende jener Zeit an, gewisse, sich regende Gefühle in mir zu verspüren, welche von dem triumphirenden Erfolg des Experiments zeugten. Mit andern Worten, ich erwarb viel, und fing an ein lebhaftes Interesse in allem dem zu nehmen, was ich erworben.

Ich machte Ankäufe in Gütern in England, Schottland, Irland und Wales; diese Zersplitterung des Eigenthums sollte meine Mitgefühle gerade zwischen den verschiednen Theilen meines Vaterlands vertheilen. Doch damit nicht zufrieden, dehnte ich das System auf die Kolonien aus; ich hatte Ostindische Actien, ein Schiff auf der See, Land in Canada, eine Plantage in Jamaica, Schafe auf dem Kap und zu Neu-Süd-Wallis, ein Indigo-Geschäft in Bengalen, ein Comptoir für Sammlung von Alterthümern auf den Ionischen Inseln, und stand in Verbindung mit einem Schiffseigenthümer zur allgemeinen Verproviantirung unsrer verschiednen Besitzungen mit Bier, Schinken, Käse, groben Tüchern und Eisenwerk. Vom Brittischen Reich dehnten sich meine Interessen bald auf andre Länder aus. An der Garonne und in Xeres kaufte ich Weinberge. In Deutschland nahm ich einige Actien in verschiednen Salinen und Kohlenbergwerken, ebenso in Südamerika in den edlen Metallen; in Rußland ließ ich mich tief in Talg ein; in der Schweiz errichtete ich eine ausgedehnte Uhrenfabrik, und kaufte alle nöthige Pferde zu einem Vetturin in großem Maßstab. Ich hatte Seidenwürmer in der Lombardei, Oliven und Hüte in Toskana, ein Bad in Lucca und eine Macaroni-Fabrik zu Neapel. Nach Sicilien schickte ich Fonds zum Ankauf von Waitzen, und in Rom unterhielt ich einen Kenner an der Spitze eines großen Geschäfts von englischen Artikeln, als: Senf, Porter, Bückinge und Hornvieh; sowie einen andern, um die Liebhaber der Künste und Virtuosität mit Gemälden und Statuen zu versehen.

Bis dieß alles durchgesetzt war, hatte ich die Hände voll zu thun. Jedoch die Methode, gehörige Agenten, und der feste Entschluß es zu Stande zu bringen, ebneten den Weg, und ich fing an um mich zu schauen und Athem zu schöpfen. Mich zu erholen, ging ich nun ins Einzelne; und einige Tage lang besuchte ich nun die Versammlungen der sogenannten »Frommen«, um zu sehen, ob etwas durch sie zur Erreichung meines Zwecks geschehen könnte. Ich kann nicht sagen, daß dieser Versuch mit allem Erfolg begleitet war, den ich erwartete. Ich hörte viel eitel Gerede, fand, daß die äußre Art von größrer Wichtigkeit als die Sache war, und sah meinen Beutel sehr unbescheiden und unaufhörlich in Anspruch genommen. Eine so zu nahe Ansicht von christlicher Barmherzigkeit mußte auch ihr tadelhaftes zeigen, wie bekanntlich der Glanz der Sonne Mängel auf dem Gesicht der Schönheit entdeckt, die dem Auge entgehen, wenn sie durch das künstliche Licht gesehen werden, das besser für sie paßt. Ich begnügte mich bald meine Beiträge in gehörigen Zwischenräumen einzusenden und hielt mich mit meiner Person fern. Dieser Versuch ließ mich bemerken, daß menschliche Tugenden wie kleine Lichter am besten im Dunklen scheinen und ihren Glanz hauptsächlich der Atmossphäre einer nichtigen Welt verdanken; jedoch vom Spekuliren kehrte ich zu Handlungen zurück.

Die Frage über Sklaverei hatte seit vielen Jahren die Wohlthätigen in Bewegung gesetzt, und da ich eine ganz besondre Theilnahmslosigkeit in dieser Hinsicht in mir fühlte, kaufte ich 500 von jedem Geschlecht, mein Mitgefühl zu erregen. Dieß führte mich den Vereinten Staaten von Amerika näher, ein Land, das ich aus meinem Sinn auszutilgen versucht hatte; denn während ich so eine Liebe für meine Mitmenschen hervorzubringen suchte, hatte ich kaum für nöthig gehalten, so weit von Haus wegzugehen. Da keine Regel ohne Ausnahme ist, gesteh‘ ich, war ich fast zu glauben geneigt, ein Yankee möge wohl in eines Engländers allgemeiner Menschenliebe ausgelassen werden. Aber, »läßt man sich für einen Penny ein, läßt man sich für ein Pfund ein.« Die Neger führten mich zu den Ufern des Mississipi, wo ich bald Eigenthümer von einer Zucker- und einer Baumwollen-Plantage war. Außer diesen Ankäufen nahm ich Actien in verschiedenen Süd-See-Schiffen, erwarb für mich allein eine Korallen- und Perlenfischerei, und schickte einen Agenten mit einem Vorschlag zu König Tamamaah, um zu unsrer beiden Besten ein Monopol von Sandelholz zu errichten.

Die Erde und was sie enthielt bekam neue Glorie in meinen Augen. Ich hatte die wesentliche Bedingung der Staatsökonomen, der Juristen, der Verfassungskünstler und aller die Talent und Anstand besaßen, erfüllt, und in der Hälfte der Staatsgesellschaften der ganzen Welt Anhaltspunkte erworben. Ich war im Stande zu regieren, Rath zu geben, den meisten Völkern der Christenheit zu gebieten, denn ich hatte direktes Interesse an ihrer Wohlfahrt genommen, indem ich sie zu meiner eignen machte. Zwanzig Mal wollte ich in eine Postchaise springen, und zum Pfarrhaus eilen, um meine neugeborne Verbindung mit den Menschenarten und alle sie begleitende Glückseligkeit zu den Füßen Annens niederzulegen, aber der schreckliche Gedanke der Monogamie und ihrer alles andre Gefühl vernichtenden Folgen hielt mich eben so oft wieder ab. Ich schrieb ihr jedoch wöchentlich, und machte sie zur Teilnehmerin meines Glücks, obgleich ich nie die Freude hatte, eine einzige Zeile als Antwort zu erhalten.

Gänzlich von Selbstsucht befreit, und meinen Mitmenschen verpfändet, verließ ich nun England, eine philanthropische Inspectionsreise zu machen. Ich werde den Leser nicht mit einer Beschreibung meiner Reise über die ausgetretenen Striche auf dem Continent ermüden, sondern ihn und mich mit einem Male nach Paris versetzen, in welcher Stadt ich am 17. Mai, im Jahr des Herrn 1819 ankam. Ich hatte viel gesehen, hielt mich für besser und durch beständiges Brüten über meinem System sah ich seine Vortrefflichkeit so klar, als Napoleon den berühmten Stern sah, der dem stumpferen Gesicht des Cardinals, seines Onkels, entging. Zu gleicher Zeit, wie dies gewöhnlich bei solchen geschieht, die alle ihre Kräfte auf einen gegebenen Punkt richten, erlitten die ursprünglich gewonnenen Ansichten von gewissen Theilen meiner Theorie mancherlei Aenderungen, je nachdem nähere und praktischere Blicke Folgewiedrigkeiten darlegten und Mängel mir zeigten. Was besonders Anna betrifft, so hatte dieß ruhige, liebliche, sich nicht aufdringende und doch klare Bild weiblicher Liebenswürdigkeit, das selten von meiner Seele abwesend war, seit dem vergangnen Jahre mit einer Beständigkeit von Beweiskraft mich umschwebt, die selbst die Newton’sche Philosophie hätte umstürzen mögen. Ich stellte schon wirklich mehr als in Frage, ob die von dem Beistand einer so Zugeneigten und Wahren zu erlangenden Hilfe nicht wohl vollständig den Mißstand einer zu großen Concentrierung in Hinsicht des weiblichen Geschlechts aufhebe. Diese entstehende Ansicht war sehr nahe daran zur Ueberzeugung zu werden, als ich eines Tages auf den Boulevards einem alten Nachbar des Pfarrhauses begegnete, der mir die beste Nachricht von der Familie gab, und hinzufügte, nachdem er Annens Schönheit und Vortrefflichkeit gepriesen, daß das theure Mädchen ganz kürzlich wirklich einen Pair abgewiesen, der all die anerkannten Vorzüge besessen: Jugend, Reichthum, Geburt, Rang und einen guten Namen, und sie aus tiefer Ueberzeugung von ihrem Werth und ihrer Tüchtigkeit ausersehen hatte, einen Mann von Gefühl glücklich zu machen. Wegen meiner Macht über Annens Herz hegte ich nie einen Zweifel. Sie hatte auf tausend Weisen und bei hundert Gelegenheiten es verrathen; auch war ich gar nicht zurückgeblieben, ihr verstehen zu geben, wie sehr ich die Theure schätzte, obwohl sich noch nie mein Entschluß so befestigt, daß ich um ihre Hand angehalten. Aber alle meine schwankenden Gedanken concentrirten sich, als ich diese willkommne Nachricht hörte; ich nahm schnell von meinem alten Bekannten Abschied, eilte nach Haus und schrieb folgenden Brief:

Theure, sehr theure, – ja theuerste Anna.

Ich begegnete diesen Morgen unserm alten Nachbar auf den Boulevards, und während einer Stunde sprachen wir nur von dir. Obwohl es mein feurigster und vorherrschendster Wunsch gewesen, mein Herz der ganzen Menschheit zu öffnen, fürcht‘ ich doch, Anna, habe ich nur dich allein geliebt; Abwesenheit, weit entfernt meine Gefühle zu erweitern, scheint sie zu beengen, und zu viele vereinen sich in deiner lieblichen Gestalt, deinen herrlichen Tugenden. Das vorgenommene Mittel ist unzureichend; und ich fange an zu denken, die Ehe allein könne mir hinlängliche Freiheit des Denkens und Handelns lassen, um die schuldige Aufmerksamkeit der übrigen Menschheit zuzuwenden. Du bist im Geiste bei mir gewesen an den vier Enden der Welt, zu Land und See; in Gefahren und Sicherheit, in allen Zeiten, Ländern und Lagen, und es ist kein eigentlicher Grund vorhanden, warum die, so im Geiste beisammen sind, materiell getrennt sein sollten. Du brauchst nur ein Wort zu sagen, eine Hoffnung zu lispeln, einen Wunsch anzudeuten, und ich werfe mich, ein zerknirschter Reuiger, zu deinen Füßen nieder, und flehe an dein Mitleid. Sind wir erst verbunden, dann wollen wir uns nicht in den schmutzigen und engen Pfaden der Selbstsucht verlieren, sondern vereint hinschreiten, einen neuen und noch mächtigeren Haltpunkt in dieser schönen Schöpfung zu erhalten, für deren göttlichstes Glied ich dich hiedurch anerkenne.

Theuerste, theuerste Anna,
dein und der Menschheit für immer
John Goldenkalb.

Wenn es je einen glücklichen Burschen auf der Erde gab, war ich’s, als dieser Brief geschrieben, gesiegelt und gehörig abgeschickt war. Der Würfel war gefallen; und ich wanderte in freier Luft, ein wiedergebornes, elastisches Wesen; mochte geschehen, was wollte, ich war Annens sicher; ihre Lieblichkeit mußte meine Reizbarkeit beruhigen, ihre Klugheit meine Thatkraft mäßigen, ihre freundliche aber ausdauernde Liebe meine Seele sänftigen. Ich fand mich, mich selbst inbegriffen, in Frieden mit allem um mich, ich fühlte eine süße Sicherheit in Hinsicht der Weisheit des Schrittes, den ich eben in Erweiterung des Mitgefühls gethan. Wenn dieß meine Gesinnungen waren, nun, da jeder Gedanke in Anna sich concentrirte, was würden sie nicht erst werden, wenn diese persönlichen Entzückungen durch Gewöhnung abgekühlt, und die Natur der Einwirkung gewöhnlicher Antriebe überlassen worden. Ich begann an der Unfehlbarkeit dieses Theils meines Systems zu zweiflen, der mir doch so viele Mühe gemacht, und mich zu der neuen Lehre hinzuneigen, daß durch Concentrirung auf besondre Punkte wir am meisten zur Liebe des Ganzen gelangen. Bei näherer Untersuchung konnte man selbst fragen, ob es nicht gerade dieser Grundsatz wäre, der mir als besondrer Landeigenthümer so großes Interesse an meine vaterländische Insel beibrachte; denn während ich offenbar nicht ganz Großbritanien besaß, fühlte ich doch ein tiefes Interesse für alles darin, was nur in irgend einer Weise, selbst der entferntesten, mit meinen eignen Besitzungen verbunden war.

Eine Woche flog in entzückenden Ahnungen vorüber; das Glück dieser kurzen aber himmlischen Zeit ward so aufregend, so ausgesucht, daß ich auf dem Punkt stand, meiner Theorie (oder vielmehr der Theorie der Staats-Oekonomen und Verfassungskünstler, denn es war in der That ihre und nicht meine) eine Verbesserung hinzuzufügen, als ich Annens Antwort erhielt. Wenn Ahnen ein Zustand so vielen Glücks ist, – Glück aber das ganze Streben des Menschen, warum nicht einen blos vermuthenden Zustand der Staatsgesellschaft erfinden? Warum nicht seine Grundzüge vom Positiven zu blos ahnenden Interessen abändern, die dem Leben mehr Reiz geben, und eine Glückseligkeit, nicht beeinträchtigt von dem Tand der Wirklichkeit, herstellen würden. Ich war schon entschlossen, diesen Grundsatz durch ein Experiment praktisch zu versuchen, und verließ das Hotel, um einem Agenten Auftrag zu geben, einen oder zwei Aufträge bekannt zu machen, und in Unterhandlungen darüber zu treten (ohne daß ich jedoch die geringste Absicht hatte, sie abzuschließen), als der Portier mir den heiß-ersehnten Brief überlieferte. Ich erfuhr daher nie die Wirkung von einem Anhaltspunkt in der Staatsgesellschaft, den man nur in Erwartung ahnend genommen, da der Inhalt von Annens Schreiben alles, was nicht mit der theuren Schreiberin und den traurigen Wirklichkeiten zusammenhing, vollständig mir aus dem Sinn trieb. Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, daß sich die neue Lehre als falsch erwiesen hätte, denn ich habe oft Gelegenheit gehabt, zu bemerken; daß Erben (Erben, die leer ausgegangen z. B.) viel eher eine feindselige Gesinnung gegen das Eigenthum zeigen, indem sie den Grundsatz des Vorausgenusses in Ausführung bringen, als sonst eine jener klugen Rücksichten auf gesellschaftliche Folgen, worauf der Gesetzgeber doch so ängstlich sieht.

Annens Brief lautete so:

»Guter, – ja theurer John!

Dein Brief kam mir gestern zu Hand. Dies ist die fünfte Antwort, die ich begonnen, und du wirst also sehen, daß ich nicht ohne Ueberlegung schreibe. Ich kenne dein vortreffliches Herz, John, besser als du selbst. Es hat dich entweder zur Entdeckung eines Geheimnisses von der höchsten Wichtigkeit für deine Mitmenschen geführt, oder dich grausam mißleitet. Ein so edles, so preiswürdiges Experiment darf wegen einiger augenblicklichen Zweifel an seinem Erfolg nicht sogleich aufgegeben werden. Halt nicht ein den Adlerflug im Augenblick, wo du so nahe der Sonne streichst! Sollten wir beide es unserm gegenseitigen Glück zuträglich halten, kann ich wohl noch künftig dein Weib werden. Wir sind noch jung, und unmittelbare Vereinigung drängt nicht. Indeß will ich versuchen, mich vorzubereiten, die Gefährtin eines Philantropen zu werden, indem ich deine Theorie in Ausführung bringe, und meine eignen Gefühle mehr und mehr ausdehne, so zum würdigen Weibe eines Mannes mich machend, der einen so weiten Anhaltpunkt in der menschlichen Gesellschaft hat, und so viele und so wahr liebt.

Deine Nachahmerin und Freundin ohne Wechsel
Anna Etherington.

Nachschrift. Du kannst sehen, daß ich immer weiter in meiner Besserung komme; denn ich schlug des Lords Mac Dee’s Hand aus, weil ich fand, daß ich alle seine Nachbarn ganz eben so liebte als den jungen Pair selbst.«

Zehntausend Furien nahmen Besitz von meiner Seele in Gestalt eben so vieler Teufel der Eifersucht. Anna ihre Gefühle mehr und mehr ausdehnen! Anna einen andern Haltpunkt in der Staatsgesellschaft annehmen, als den, wie ich sicher glaubte, durch mich! Anna sich bestreben mehr als Einen zu lieben, und dieser Eine ich selbst! Der Gedanke war zum rasend werden. Ich glaubte nicht an ihre aufrichtige Abweisung des Lords Dee. Ich eilte, ein Exemplar des Pairverzeichnisses zu bekommen (denn seit meiner eignen Erhebung kaufte ich regelmäßig sowohl dies als das andere über die Baronen) und schlug die Seite auf, wo sein Name stand. Er war ein Schottischer Vicomte, der eben Baron des Reichs geworden, und sein Alter gerade wie mein eignes. Das war ein Nebenbuhler, Mißtrauen zu erregen! Durch einen seltsamen Widerspruch, setzte ich, je mehr ich seine Macht, mir zu schaden, fürchtete, um so mehr seine Mittel herunter. Während ich mir dachte, Anna spiele nur mit mir, und wolle in’s Geheim die Gemahlin eines Pair werden, zweifelte ich nicht, der Gegenstand ihrer Wahl sei übel gebildet und linkisch und habe Backenknochen wie ein Tartar. Während ich vom großen Alter seiner Familie las, die das Dunkel erst mit dem dreizehnten Jahrhundert erreichte, setzte ich als ausgemacht fest, daß der erste seiner unbekannten Vorfahren ein barbeiniger Dieb gewesen, und im Augenblick, wo ich mir Anna ihn anlächelnd dachte, indem sie ihre koquettische Weigerung zurücknähme, hätte ich schwören mögen, er spräche mit einem unverständlichen Grenzlandaccent, und hätte rothes Haar!

Die Folter solcher Bilder ward unerträglich, und ich eilte in freie Luft zur Erholung. Wie lange und wohin ich wanderte, ich weiß es nicht, aber am Morgen des folgenden Tags fand ich mich in einer Schenke am Fuße des Montmartre eifrigst ein Brödchen verzehrend und mich mit saurem Wein erfrischend. Als ich mich ein wenig von dem Schlag erholt, mich in einer so seltsamen Gesellschaft zu finden, (denn da ich keine Actien in Schenken genommen, nahm ich auch nicht den gehörigen Antheil an diesen Volks-Instituten, um sie auch nur je vorher zu betreten) hatte ich Muße, um mich zu blicken und mir die Gesellschaft zu betrachten. Gegen fünfzig Franzosen der arbeitenden Klasse tranken überall und sprachen mit einer Heftigkeit der Gestikulation und einem Geschrei, das jeden Gedanken geradezu vernichtete. Das ist also, dachte ich, eine Scene der Volksbelustigung. Diese Leute sind herrliche Bursche, sie erquicken sich an Getränken, die die Stadtaccise nicht bezahlt haben, vielleicht kann ich irgend etwas erhaschen, das mein System begünstigt, besonders unter so freimüthigen und schreienden Geistern. Sicher, besitzt einer von ihnen ein wichtiges Geheimniß über Staatsverfassung, so wird es ihm hier entfahren. Von Gedanken dieser philosophischen Art ward ich plötzlich durch einen heftigen Schlag vor mir aufgeschreckt. Er war in sehr erträglichem Englisch von dem Ausruf des Wortes »König« begleitet.

Auf der Mitte des Bretts, das als Tisch diente, und gerade vor meinen Augen lag eine geballte Faust von furchtbaren Dimensionen, die in Farbe und Auswüchsen eine ziemliche Aehnlichkeit mit einer frisch ausgegrabnen Jerusalem-Artischocke hatte. Ihre Sehnen schienen vor Spannung zu krachen, und der ganze Knollen war so angefüllt von gieriger Kampflust, daß unwillkührlich mein Auge das Gesicht ihres Eigenthümers suchte. Ich hatte, mir unbewußt, meinen Sitz gerade einem Mann gegenüber eingenommen, dessen Natur fast das doppelte von den gedrängten, geschäftigen, sich spreizenden und schwabbelnden kleinen Burschen betrug, die überall um uns sich bewegten, und deren dicke Lippen, statt in dem Lärm mitzumachen, so fest zusammengepreßt waren, daß die Spalte des Mundes nur bemerklich ward, wie eine Falte in der Stirn eines Sechszigers. Sein Gesicht war von Natur schön aber der Sonne ausgesetzt, war seine Haut von ihr gegerbt worden bis zur Farbe der krachenden Kruste eines gebratenen Spanferkels, und jene Theile, die ein Maler vielleicht die Höhen nennen würde, wurden bezeichnet durch Lagen von Roth, fast so dunkel als viermal rectificirter Brandwein. Seine Augen waren klein, fest, feurig und sehr grau; gerade im Augenblick, wo sie auf meinen verwunderten Blick trafen, glichen sie zwei zerstreuten Kohlen, die, irgend wie, von der Masse der anliegenden Hitze im Gesicht getrennt worden. Er hatte eine vorragende, wohlgebildete Nase, über welche sich die Haut ausbreitete wie ein auf dem Postillonsitz abgeriebenes Leder, und sein schwarzes hanfenes Haar war sorgfältig über Schläfe und Stirne gezogen, was zeigte, daß er eine Feiertags-Excursion vorhatte.

Als unsere Augen sich begegneten, warf mir dieß seltsam blickende Wesen einen Wink freundlichen Wiedererkennens zu, offenbar aus keiner andern Ursache, wie ich mir dachte, als weil ich kein Franzose zu sein schien.

»Hörte je ein Sterblicher solche Narren, Kapitain,« bemerkte er, gleichsam meiner Beistimmung gewiß.

»In der That, ich hörte nicht, was gesagt ward; es ist gewiß viel Lärm.«

»Ich will auch nicht behaupten, ein Wort von dem zu verstehen, was sie sagen; aber es klingt ganz wie Unsinn!«

»Mein Ohr ist noch nicht scharf genug, Sinn von Unsinn durch den bloßen Ton zu unterscheiden; aber Ihr sprecht, scheint es, nur Englisch.«

»Darin irrt Ihr Euch; denn als großer Reisender war ich genöthigt, um mich zu blicken, und als natürliche Folge spreche ich etwas von allen Sprachen. Ich will nicht sagen, daß ich die fremden Wörter immer so ganz recht gebrauche, aber dann arbeite ich mich durch den Gedanken durch, daß ich ihn doch leserlich und brauchbar mache, besonders was Essen und Trinken betrifft. Im Französischen z. B. kann ich sagen: donnez me some van und donnez vous some pan so gut als der Beste von ihnen, aber wenn ein Dutzend Kehlen auf ein Mal plärren, wie diese Kerls hier, ei, da könnte man eben so gut auf den Gipfel des Affenbergs gehen, und eine Unterredung mit dem Volk dort halten, als hier vernünftig reden und diskutiren. Ich für meinen Theil, wenn wo eine Unterredung ist, will, daß an jeden die Reihe komme, und im Sprechen einer den andern ablöse, wie auf der Wache; aber bei den Franzosen ist es, als wenn ihre Ideen im Käfig gesessen, und bei plötzlicher Eröffnung der Thür haufenweis herausflögen, und zwitscherten, blos um zu zeigen, sie seien frei.«

Ich bemerkte jetzt, daß mein Kumpan ein reflektirendes Wesen sei, da seine Schlüsse durch regelmäßige Glieder sich verketteten; daß er nicht philosophirte mit den bloßen Springstangen des Ungefährs, wie die meisten, die in allen Ecken der Schenke mit unermüdeten Lungen plapperten und schlossen und zankten. Ich schlug daher freimüthig vor, diesen Ort zu verlassen und auf der Straße herumzugehn, wo unsre Unterhaltung weniger gestört und folglich befriedigender sein würde. Der Vorschlag wurde gut aufgenommen, wir verließen die Schreier und gingen auf den äußern Boulevards nach meinem Hotel in der Straße Rivoli über die Champs Elisées.

Siebentes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Von einem Amphibium; eine ganz besondre Einführung und ihre Folgen.

Ich hatte bald Interesse an meinem neuen Bekannten. Er war mittheilend, klug und eigen; und obwohl er sich manchmal seltsam ausdrückte, geschah es doch mit der Kraft eines Mannes, der viel von wenigstens einem Theil seiner Mitmenschen gesehen. Unter solchen Umständen stockte denn die Unterhaltung nicht, im Gegentheil sie ward interessanter, da der Fremde anfing, seine Privatinteressen zu berühren. Er sagte mir, er sei ein Seemann, der durch einen der Zufälle seines Berufs an’s Land geworfen worden; und um ein Wort zu seinen Gunsten einfließen zu lassen, gab er mir zu verstehen, daß er viel, besonders von jener Klasse seiner Mitmenschen gesehen, die wie er auf der mächtigen Tiefe leben.

»Ich fühle mich glücklich,« sagte ich, »einen Mann getroffen zu haben, der mir Nachricht über eine ganze Classe von Menschen geben kann, mit denen ich bis jetzt nur wenig Verbindung gehabt. Um die Gelegenheit auf’s Beste zu benutzen, schlage ich vor, uns mit einem Male mit einander bekannt zu machen, und eine ewige Freundschaft zu schwören, – oder wenigstens so lange, bis wir es für dienlich finden mögten, die Verbindung wieder aufzuheben.«

»Ich, meines Theils, bin ein Mann, der die Freundschaft eines Hundes lieber hat, als seine Feindschaft,« erwiederte mein Gefährte mit einer Einfachheit, die ihn nicht viel Complimente machen ließ. »Ich nehme daher von ganzem Herzen das Anerbieten an, und um so lieber, weil Ihr der Einzige seid, den ich seit einer Woche getroffen, der mich fragen kann, wie ich mich befinde, ohne zu sagen: Come on dong portez vous? Da ich jedoch die Stürme kenne, werd‘ ich Euer Anerbieten unter der besagten Bedingung annehmen.«

Mir gefiel die Vorsicht des Fremden; sie zeigte eine gehörige Rücksicht auf Charakter und gab einen Beweis von Verantwortlichkeit. Die Bedingung ward daher von meiner Seite so freimüthig angenommen, wie sie von seiner vorgeschlagen worden.

»Und nun, Sir,« fuhr ich fort, nachdem wir einander herzlich die Hand geschüttelt, »darf ich um Euren Namen bitten?«

»Ich heiße Noah, und jeder darf’s wissen, ich schäme mich keines meiner Namen, wenn ich mich auch sonst zu schämen hätte.«

»Noah – –?«

»Poke, zu dienen.« Er sprach das Wort langsam und sehr deutlich aus, als ob, was er von seinem Selbstvertrauen gesagt, wahr gewesen. Da ich späterhin seine Unterschrift erfuhr, will ich sie hier in ihrer gehörigen Form geben: »Capitain Noah Poke.«

»Aus welchem Theil von England seid Ihr, Herr Poke?«

»Ich denke, ich kann sagen, aus den neuen Theilen.«

»Ich wußte nicht, daß ein Theil der Insel so genannt würde. Wollt Ihr Euch gütigst näher erklären?«

»Ich bin von Stonington im Staat Connekticut, in Alt-Neu-England. Nachdem meine Eltern gestorben, ward ich in See geschickt, vier Jahr alt, und nun wandere ich in Frankreich herum, ohne einen Centime in der Tasche, ein schiffbrüchiger Seemann. Indeß, die Wahrheit zu sagen, hart wie mein Loos ist, würd‘ ich lieber Hungers sterben, als ihr verd – –s Zeug sprechen.«

»Schiffbrüchig, Seemann, verhungernd und ein Yankee!«

»All das und vielleicht noch mehr, obwohl, mit Eurer Erlaubniß, Commodore, wir den letzten Titel weglassen wollen. Ich bin stolz genug, mich selbst einen Yankee zu nennen, aber der Kamm steigt mir, wenn ich einen Engländer das Wort gebrauchen höre. Wir sind noch Freunde und wir können es auch bleiben, bis etwas Gutes einem oder dem andern daraus entsteht.«

»Ich bitte Euch um Verzeihung, Herr Poke, und will Euch nicht wieder beleidigen; habt ihr die Welt umsegelt?«

Capitain Poke schnippte mit den Fingern aus purer Verachtung über die Einfalt der Frage.

»Hat der Mond je die Erd‘ umschifft? Seht ein wenig hierher, Commodore;« er nahm einen Apfel aus seiner Tasche, deren er auf dem Weg schon ein halbes Dutzend verzehrt, und hielt ihn mir vor die Augen. »Zieht eine Linie, wie Ihr wollt, auf dieser Kugel, kreuzweis oder in die Länge, auf oder nieder, Zig-Zag oder senkrecht, und Ihr werdet nicht mehr Kreise finden, als ich um den alten Ball gemacht.«

»Zu Land wie zur See?«

»Ei, zu Land hab‘ ich meinen Theil auch gemacht, denn mein hart Geschick ist’s gewesen, auf es anzurennen, wenn ein sanfteres Bett einen ruhigeren Schlaf verschafft hätte. Das ist grad meine jetzige Noth, denn ich schlenkere jetzt unter diesen Franzosen herum, um wieder flott zu werden, wie ein Krokodill, das im Schlamm steckt. Ich verlor meinen Schoner an der Nordostküste von Rußland, so etwa hier herum,« er deutete gerade auf die Stelle auf dem Apfel, »wir handelten dort mit Häuten, und da ich keine Mittel fand, die Heimath auf dem Weg, den ich gekommen, zu erreichen, und ich hier herunter zu Salzwasser roch, hab ich meinen Lauf die letzten achtzehn Monate westlich gesteuert, so daß es so ziemlich quer durch Europa und Asien ging, und bin nun endlich hier, von Havre zwei Tagreisen, und wenn ich gute Yankee-Bretter noch ein Mal unter mich bekommen kann, etwa achtzehn oder zwanzig Tagreisen von Hause.«

»Die Bretter erlaubt Ihr mir denn doch Yankee zu nennen?«

»Nennt sie, wie Ihr wollt, Commodore, obwohl ich Debby und Dolly von Stonington jedem andern vorziehen würde; denn das war der Name des Schiffs, das ich verlor. Nun, die besten von uns sind schwach, und der langathmigste ist kein Delphin, daß er mit dem Kopf unterm Wasser schwimmen kann.«

»Bitte, Herr Poke, erlaubt mir die Frage, wo Ihr das Englische mit so viel Reinheit sprechen lerntet?«

»Zu Stonington – –Ich hatte nie auch nur eine Messerspitze voll Gelehrsamkeit, ausser was ich zu Haus lernte. Es ist alles hausmachend. Ich rühme mich nicht, ein Gelehrter zu sein; aber in der Schifffahrt – seinen Weg zu finden um die Erde, – ich will Niemanden den Rücken kehren, ausser um ihn hinter mir zu lassen. Da haben wir Leute unter uns, die halten viel auf Geometrie und Astronomie, aber ich hänge nicht an so schwachen Fäden; meine Art ist, wenn ich irgendwohin fahren soll, mir die Stelle recht in den Sinn zu nehmen und dann gerade darauf los zu machen, wie es die Natur erlaubt, wenig bekümmert um Charten, die Euch eben so leicht unrecht als recht führen, und wenn sie Euch in eine Falle führen, ist es ein Elend! Verlaßt Euch auf Euch selbst und die Menschennatur, das ist meine Regel; obwohl ich zugebe, daß einiger Nutzen am Kompaß ist, besonders bei kaltem Wetter.«

»Kaltes Wetter! Ich verstehe das nicht.«

»Ei, ich meine, der Geruch wird einem stumpf beim Frost; aber das mag nichts weiter als Einbildung sein; indeß die zwei Mal, wo ich Schiffbruch gelitten, waren im Sommer, bei sehr starkem Wind und hellem Tagslicht, wo nichts Menschliches ausser einer Veränderung des Windes uns hätte retten können.«

»Und Ihr zieht diese Schifffahrt vor?«

»Allen andern, besonders im Robbenfang, was mein eigentliches Geschäft ist; es ist das beste Mittel in der Welt, Inseln zu entdecken, und Jeder weiß, daß wir Seehundsjäger immer nach so etwas lugen.«

»Wollt Ihr mir die Frage erlauben, wie oft Ihr um das Cap Horn herum seid, Capitain Poke.« Mein Schiffer warf einen schnellen mistrauischen Blick auf mich, als wenn er der Frage nicht traute.

»Ei, das ist weder hier noch da; vielleicht kam ich herum, vielleicht nicht. Ich komme in die Südsee mit meinem Schiff, und es liegt wenig daran, wie? Eine Haut gilt ganz eben so viel auf dem Markt, wenn auch der Pelzhändler kein Verzeichniß über den Weg hat, den sie gemacht.«

»Ein Verzeichnis?«

»Was liegt an dem Wort, Commodore, wenn man sich versteht? Diese Landreise hat mich erfindrisch gemacht. Denn Ihr müßt wissen, daß ich unter Völkern gereist bin, die nicht eine Sylbe von dem Hausmachenden sprechen konnten. So nahm ich des Schooners Dictionnair wie einen Landalmanach mit, und da sie zigeunerisch mit mir sprachen, hielt ich’s für’s Beste, es ihnen so ziemlich in ihrer eignen Münze zurückzugeben, in der Hoffnung, auf etwas zu treffen, was ihnen anstehen würde. Dadurch habe ich eine etwas geläufigere Zunge als gewöhnlich bekommen.«

»Die Idee war glücklich.«

»Freilich, war sie es, wie eben gezeigt. Aber nachdem ich Euch eine ziemlich klare Einsicht in meine Natur und Beschäftigung gegeben, ist es Zeit, daß ich Euch auch ein wenig ausfrage. Das ist etwas, was wir häufig zu Stonington thun, und worin wir gemeiniglich für geschickt gehalten werden.«

»Thut Eure Fragen, Capitain Poke, ich hoffe, die Antworten werden befriedigend sein.«

»Euer Name?«

»John Goldenkalb, durch die Gnade Seiner Majestät Sir John Goldenkalb Baronet.«

»Sir John Goldenkalb, durch die Gnade Seiner Majestät Baronet! Ist Baronet ein Gewerbe? oder was für ein Geschöpf oder Ding ist es?«

»Es ist der Rang im Königreich, wozu ich gehöre.« »Ich fange an zu verstehen, was Ihr meint. Unter Eurem Volk sind die Menschen, was man nennt, in Reihen abgetheilt, wie eine Schiffsmannschaft, die beordert wird; jeder hat seine bestimmte Berth in Eurem Reich, ganz wie in einem Schooner.«

»Ganz so, und ich denke, Ihr werdet zugeben, daß Ordnung, Schicklichkeit und Sicherheit aus dieser Methode unter den Seeleuten entspringt.«

»Freilich, freilich; wir machen jedoch die Eintheilung bei jeder Reise immer wieder anders, ich weiß nicht, ob es sich thun ließe, auch nur den Koch immer von Vater zu Sohn zu nehmen, das möchte ein schönes Gemengsel geben.«

Hier that der Seemann eine Reihe Fragen mit einer Kraft und Ausdauer, die, fürcht‘ ich, mir nicht eine einzige Thatsache meines Lebens verborgen ließ; nur was das heilige Gefühl, das mich an Anna band, betrifft, ausgenommen, und was viel zu hehr war, um mir selbst in der Feuerprobe unter einem Stoningtoner Inquisitor zu entschlüpfen. Kurz, da ich mich fast hilflos in solchen Händen fand, machte ich aus der Noth eine Tugend, und ließ meine Geheimnisse aus, wie das Holz unter einer Schraube das Wasser. Es war kaum möglich, daß meine Seele, der Wirkung eines solchen Paares moralischer Pressen unterworfen, nicht einige Winke über ihre vorherrschenden Neigungen hätte geben sollen. Der Capitain erhaschte diese Spur, und stürzte auf die Theorie los, wie ein Bullenbeißer nach dem Rüssel eines Ochsen.

Um mich ihm daher gefällig zu zeigen, ließ ich mich in einiger Länge in Erklärung meines Systems ein. Nach den allgemeinen Bemerkungen, die nöthig waren, um einem Fremden einen Blick in dessen Hauptgrundsätze zu geben, sagte ich ihm, daß ich mich lange nach einem solchen Mann umgesehen, zu einem Zweck, der jetzt dem Leser mitgetheilt werden soll. Ich hatte freilich einige Verbindungen mit Tamamaah unterhalten und war bei den Perlenfischereien und dem Wallfischfang interessirt, aber im Ganzen waren meine Verbindungen mit all jenem Theil der Menschheit, die die Insel des stillen Meers, die Nordwestküste von Amerika und die Nordostküste der alten Welt bewohnen, doch etwas lose und gemeiniglich in einem ungeordneten und wirren Zustand; und so schien ich mir denn ganz besonders dadurch begünstigt, daß mir die Vorsehung auf eine so ungewöhnliche Weise einen Mann gerade in den Weg geworfen, der so sehr zu deren Wiederbelebung und Herstellung geeignet war. Ich schlug ihm daher jetzt freimüthig vor, eine Expedition auszurüsten, theils zum Handel, theils zur Entdeckung, die meine Interessen in dieser neuen Richtung ausdehnen sollte, und meinen neuen Bekannten an ihrer Spitze hätte. Zehn Minuten ernster Darlegung meiner Seits waren hinreichend, meinem Gefährten die Hauptsache des Plans mitzutheilen. Als ich diesen direkten Aufruf an seinen Unternehmungsgeist beendet, antwortete er mir mit seinem Lieblingsausruf »König.«

»Ich wundre mich nicht, Kapitain Poke, daß Eure Verwunderung auf diese Weise ausbricht, denn ich denke, nur wenige gehen auf die Schönheit dieses wohlthätigen Systems ein, ohne gleichfalls von dessen Größe und Einfachheit betroffen zu werden. Aber ich rechne auf Euren Beistand.«

»Das ist eine neue Idee, Sir Goldenkalb!« –

»Sir John Goldenkalb, bitte Sir.«

»Eine neue Idee, Sir John Goldenkalb, und es braucht Umsicht. Umsicht bei einem Handel ist der sicherste Weg, gerade ohne Mißverständnisse durchzusteuern. Ihr wünscht einen Schiffer, Eure Ladung, welche es auch sei, in unbekannte See’n zu führen, und ich wünsche natürlicher Weise meinen Lauf gerade nach Stonington zu nehmen. Ihr seht, unser Handel ist gleich beim Anfang in der Erdferne!«

»Geld ist bei mir kein Hinderniß, Kapitain Poke.«

»Nun, das ist eine Idee, die manch schwierigen Contract mit einem Mal in die Erdnähe gebracht, Sir John Goldenkalb. Geld ist bei mir immer eine gar beträchtliche Rücksicht, und ich muß sagen, gerade jetzt weit mehr als gewöhnlich. Aber wenn ein Herr auf so schöne Art den Weg sauber macht, wie Ihr, kann man jeden Handel für mehr als halb zu Stande gekommen betrachten.« Einige nähere Verhandlungen brachten dieß in die Reihe, und Capitain Poke, nahm meine Bedingungen mit dem Geist der Freimüthigkeit an, indem sie ihm gemacht worden. Vielleicht ward sein Entschluß beschleunigt durch ein Anerbieten von zwanzig Napoleons, das ich nicht verfehlte auf der Stelle zu machen. Freundschaftliche und gewisser Maßen vertrauliche Verbindungen traten nun zwischen meinem neuen Bekannten und mir ein, und wir setzen unsern Weg fort, immer die zur Ausführung unsers Plans nöthigen Einzelheiten besprechend. Nachdem eine oder zwei Stunden auf diese Weise vergangen, lud ich meinen Gefährten in mein Hotel ein, da ich ihn an meiner Tafel haben wollte, bis wir beide nach England abreisen könnten, wo mein Plan war, ohne weitern Aufschub ein Schiff für die beabsichtigte Reise zu kaufen, auf dem ich mich auch in eigner Person einschiffen wollte.

Wir mußten uns durch den Haufen drängen, der gewöhnlich den untern Theil der Champs Elisées bei gutem Wetter und gegen Abend erfüllt. Das war beinahe vollbracht, als meine Aufmerksamkeit ganz besonders auf eine Gruppe gezogen ward, die eben in den Sammelplatz eintrat, offenbar um die Scene der Müßigkeit und Lust zu vermehren. Aber da ich jetzt an den wesentlichsten Theil dieses ausserordentlichen Werks komme, wird es gut sein, die Eröffnungen einem neuen Kapitel aufzubewahren.

Achtes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Einführung vier neuer Charaktere, einige philosophische Winke und Hauptgedanken über Staatsökonomie.

Die Gruppe, die meine Aufmerksamkeit auf sich zog, bestand aus sechs Individuen, zwei waren Thiere von dem Genus »homo,« oder was gemeinlich genannt wird »Mensch« und die übrigen aus der Ordnung »primates,« Classe »mammalia« oder nach gewöhnlichem Sprachgebrauch »Affen« (Monikins.)

Die ersteren waren Savoyarden und können im Allgemeinen beschrieben werden als: »ungewaschen, zerlumpt und gefräßig,« in Farbe: »dunkelbraun,« in Zügen und Ausdruck: »habgierig und verschlagen,« und in Neigungen und Appetit: »alles verschlingend.« Die andern waren von der gewöhnlichen Art, gewöhnlichen Größe und erprobter Ernsthaftigkeit. Es waren zwei von jedem Geschlecht, ziemlich gleichgepaart nach Jahren und äußeren Vorzügen.

Die Affen waren alle mehr oder weniger in die gewöhnlichen Kleidungsstücke unsrer modernen Europäischen Civilisation gekleidet; aber besondre Sorgfalt war auf die Toilette des ältern der zwei Männchen verwandt worden. Dieß Individuum hatte einen Husaren-Wamms an, ein Umstand, der einem besondern Theil seines Körpers einen militairischeren Contour gegeben haben würde, als sein eigentlicher Charakter mit sich brachte, wäre nicht ein rother Weiberrock gewesen, der kürzer gemacht war als gewöhnlich, weniger jedoch, in der Absicht, einen seinen Fuß und Knöchel zu zeigen, als um den untern Gliedmaßen volle Freiheit zur Ausführung gewisser übertriebenen Anstrengungen zu lassen, die die Savoyarden unbarmherzig von seiner natürlichen Behendigkeit verlangten. Er hatte einen dreieckigen Hut, verziert mit einigen zerknitterten Federn, eine weiße Cocarde und ein hölzernes Schwert. Ausser diesem letztern führte er in der Hand einen kleinen Besen.

Als sie meine Aufmerksamkeit auf ihren Haufen bemerkten, begannen die übelberathenen Savoyarden alsbald eine Reihe von Vorstellungen im höheren Tanz, ohne allen Zweifel in der einzigen Absicht, meine Neugier auszubeuten. Die unschuldigen Opfer dieses Akts thierischer Tyrannei unterwarfen sich mit einer Geduld, die der tiefsten Philosophie würdig gewesen, und begegneten den Wünschen ihrer Herrn mit einer Bereitwilligkeit und einem Geschick, die ganz über alles Lob erhaben waren. Der eine kehrte den Boden, ein andrer sprang einem Hund auf den Rücken, ein dritter drehte sich um sich selbst herum, nochmals und nochmals, ohne auch nur ein Murren auszustoßen, und der vierte bewegte sich graziös hin und her wie ein junges Mädchen in einer Quadrille. All dieß hätte unbemerkt vorübergehen mögen (denn leider! sind solche Schauspiele nur zu häufig) wären nicht gewisse beredte Zusprüche gewesen, die mir das Individuum in der Husaren-Jacke mit den Augen machte; sein Blick war selten für einen Augenblick von mir gewandt, und so trat bald ein schweigender Verkehr zwischen uns ein. Ich bemerkte, daß sein Ernst unverwüstlich war. Nichts konnte ein Lächeln, eine Veränderung in seinem Antlitz hervorbringen; gehorsam der Peitsche seines brutalen Herrn, verweigerte er nie den verlangten Sprung, minutenlang auf ein Mal beschrieben seine Beine, sein Rock, wirre Kreise in der Luft, und schienen für immer von der Erde Abschied genommen zu haben; aber, die Anstrengung vollbracht, stieg er immer wieder zur Erde herab, mit einer ruhigen Würde, mit einer Haltung, welche zeigte, wie wenig der innere Affe Theil nahm an den wilden Sprüngen des äußeren Thiers. Ich zog meinen Gefährten ein wenig bei Seite, und wagte ihm einige Gedanken in dieser Hinsicht mitzutheilen.

»Wirklich, Capitain Poke, es scheint mir große Ungerechtigkeit, die armen Geschöpfe so zu behandeln,« sagte ich. »Welches Recht haben die zwei schelmisch aussehenden Schurken, für’s Auge weit interessantere, und ich darf wohl sagen, verständigere Wesen, als sie selbst sind, aufzugreifen, und sie mit Schlägen und ohne Rücksicht auf ihr Gefühl oder ihre Geneigtheit zu zwingen, ihre Beine auf diese übertriebene Art herumzuwerfen? Ich sage Euch, dies Verfahren scheint mir unerträglich tyrannisch, und fordert schnelle Abhülfe.«

»König!«

»König oder Unterthan, es ändert nichts in der moralischen Häßlichkeit der Handlung. Was haben diese unschuldige Wesen gethan, sie dieser Noth zu unterwerfen? Sind sie nicht Fleisch und Blut wie wir? Nähern sie sich nicht am meisten unsrer Gestalt, und, denn was wissen wir vom Gegentheil, unsrer Vernunft? Ist es erträglich, daß unser nächstes Ebenbild, unsre wahren Vettern, so behandelt werden sollten? Sind sie Hunde, daß sie wie Hunde behandelt werden?«

»Ei, nach meiner Meinung, Sir John, gibt es keinen Hund auf der Erde, der solche Sprünge machen könnte. Ihre Purzelbäume sind wirklich ganz außerordentlich.«

»Ja, und mehr als außerordentlich; sie sind tyrannisch. Setzt Euch, Herr Poke, einen einzigen Augenblick an die Stelle eines dieser Individuen. Denkt, Ihr hättet eine Husarenjacke über Eure braunen Schultern gemuffelt, einen Weiberrock über Eure untern Theilen; einen dreieckigen Hut mit zerknitterten Federn auf dem Kopf, ein hölzernes Schwert an Eurer Seite und einen Besen in der Hand! Diese zwei Savoyarden drohten Euch mit Streichen, bis Ihr zur Belustigung Fremder Sprünge machtet. Ich bitte Euch nur, den Fall zu dem Euren zu machen, und dann zu sagen, wie Ihr Euch benehmen, was Ihr thun würdet?«

»Ich würde ohne Anstand diese jungen Schelme fegen, Sir John, das Schwert und den Besen an ihren Köpfen zerschlagen, ihnen die Sinne wecken, bis sie nicht mehr sehen könnten, und meinen Lauf nach Stonington richten, wohin ich gehöre.«

»Ja, Herr, das ginge mit den Savoyarden, die jung und schwach sind, –«

»Es würde nichts an der Sache ändern, wenn zwei von diesen Franzosen an ihrer Stelle wären,« fiel der Capitain ein und spähte wie ein Wolf um sich herum. »Euch’s gerade herauszusagen, Sir John, als Mensch würde ich mich solchen Affenspässen nicht unterwerfen.«

»Gebraucht nicht, Herr Poke, diesen Ausdruck als Vorwurf, ich bitte; wir nennen diese Thiere zwar Affen, aber wir wissen nicht, wie sie sich selbst nennen. Der Mensch ist nur ein Thier, und Ihr müßt wissen –«

»Hört, Sir John,« fiel der Capitain ein, »ich bin kein Botaniker, und will nichts weiter von der Gelehrsamkeit wissen, als was ein Seemann braucht, um seinen Weg um die Welt zu finden; aber was das betrifft, daß der Mensch ein Thier wäre, will ich Euch jetzt nur fragen, ob nach Eurer Meinung ein Schwein auch ein Thier ist?«

»Ohne Zweifel, und Flöhe und Kröten und Seeschlangen und Eidechsen und Wasserteufel. Wir sind alle nicht mehr und nicht weniger als Thiere.«

»Nun, wenn ein Schwein ein Thier ist, will ich die Verwandtschaft anerkennen; denn bei meiner Erfahrung, die nicht gering ist, bin ich auf Menschen getroffen, die Ihr in jeder Hinsicht, nur Borsten, Schnauze und Schwanz ausgenommen, hättet für Schweine halten mögen. Ich will nicht läugnen, was ich mit eignen Augen gesehen, obwohl ich darunter leide, und deswegen, da Schweine Thiere sind, ist es mehr als wahrscheinlich, daß auch einige Menschen Thiere seyn müssen.«

»Wir nennen diese interessanten Wesen, Affen, aber woher wissen wir, daß sie das Compliment nicht wieder geben, und uns in ihrer eignen Sprache auf ganz ebenso beleidigende Art heißen? Es schickte sich für unser Geschlecht, billigere und philosophischere Gesinnungen zu zeigen, und diese interessanten Fremdlinge als eine unglückliche Familie zu betrachten, die Thieren in die Hände gefallen, und auf jede Weise auf unser Erbarmen und unsre thätige Verwendung ein Recht haben. Bis jetzt habe ich noch niemals meine Gefühle für die thierische Welt durch eine Actie auf Vierfüßler gehörig erregt, aber es ist meine Absicht, morgen meinem Englischen Agenten zu schreiben, einen Pack Hunde zu kaufen, und eine gehörige Masse Pferde, und um so lobenswerthe Entschlüsse zu beschleunigen, werde ich sogleich den Savoyarden wegen der schleunigen Emancipation dieser Familie liebenswürdiger Fremdlinge Anerbietungen machen. Der Sclavenhandel ist ein unschuldiger Zeitvertreib im Vergleich mit der grausamen Unterdrückung, die der Herr mit dem dreieckigen Hut besonders erleiden muß.«

»König!«

»Er mag freilich in seinem Lande, Capitain Poke, ein König sein; ein Umstand, der zehenfache Schmerzen zu seinem unverdienten Leiden hinzufügen würde.«

Hiermit schritt ich ohne viel Umstände zu Unterhandlungen mit den Savoyarden. Die vernünftige Anwendung von einigen Napoleons brachte bald ein glückliches Verständnis zwischen den contrahirenden Theilen hervor, wo denn die Savoyarden meinen Händen die Stränge, welche ihre Vasallen hielten, als das förmliche, gewöhnliche Anerkenntniß des Eigenthumsrechts, überlieferten. Die drei andern der Obhut des Herrn Poke überlassend, führte ich das Individuum in der Husaren-Jacke ein wenig bei Seite, und meinen Hut abnehmend, um ihm zu zeigen, daß ich über das gemeine Gefühl der Lehnsoberherrschaft hinaus wäre, redete ich ihn kurz mit folgenden Worten an:

»Obwohl ich dem Anschein nach das Recht erkauft habe, welches diese Savoyarden über Eure Personen und Dienste zu haben behaupteten, ergreife ich sogleich die Gelegenheit, Euch zu benachrichtigen, daß der Sache nach Ihr jetzt frei seid. Da wir uns jedoch unter einem Volke befinden, das Eure Raçe in Unterwürfigkeit zu sehen gewohnt ist, möchte es nicht klug seyn, das Wesen unsrer jetzigen Verhandlung bekannt zu machen, damit nicht eine neue Verschwörung gegen Eure natürlichen Rechte eintrete. Wir wollen uns daher sogleich in mein Hotel zurückziehen, wo Euer künftiges Glück der Gegenstand unsrer reiferen und vereinten Betrachtungen sein soll.«

Der ehrbare Fremde in der Husarenjacke hörte mich mit unnachahmbarem Ernste und Selbstbeherrschung an, bis in der Wärme des Gefühls ich einen Arm in ernster Gesticulation erhob, wo er denn, wahrscheinlich überwältigt von den Regungen des Entzückens, die in seinem Busen natürlich bei einem so plötzlichen Wechsel seines Schicksals erweckt wurden, drei Sprünge oder Purzelbäume, wie Capitain Poke seine Evolutionen recht passend genannt hatte, in so schneller Aufeinanderfolge machte, daß es für einen Augenblick zweifelhaft war, ob die Natur seinen Kopf oder seine Fersen obenhin gestellt.

Ich gab Capitain Poke ein Zeichen mir zu folgen, und wir nahmen nun gerade unsern Weg nach der Straße Rivoli. Wir wurden von einer beständig wachsenden Menge begleitet, bis das Thor des Hotels überschritten war; und ich war froh, meine Schutzbefohlenen sicher unter Obdach zu sehen, denn reichliche Anzeichen eines zweiten auf ihre Rechte abgesehenen Plans waren da in den Drohungen und Spöttereien der lebhaften Menge, die uns gleichsam auf den Fersen nachstürzte.

Als ich in mein Zimmer kam, legte ein Kourier, der auf meine Heimkunft gewartet hatte, und eben expreß von England angekommen war, ein Packet in meine Hand, mit der Nachricht, es käme von meinem Hauptagenten in England. Schnelle Befehle wurden gegeben, für die Bequemlichkeit und Bedürfnisse des Capitain Poke und der Fremden zu sorgen (Befehle, die nicht leicht vernachläßigt wurden, da Sir John Goldenkalb bei den bekannten Einkünften von drei Millionen Franken jährlich unbegrenzten Credit bei allen Bewohnern des Hotels hatte) und ich eilte in mein Kabinet und setzte mich eiligst hin, die verschiednen Mittheilungen zu lesen.

Ach, es war keine Zeile von Anna dabei. Das hartnäckige Mädchen spielte noch mit meinem Elend, und aus Rache faßte ich auf einen Augenblick den Entschluß, Mahmuds Lehre anzunehmen, um das Recht zu haben, einen Harem zu errichten.

Die Briefe waren von mancherlei Correspondenten, und unter ihnen viele von solchen, denen ich die Sorge für meine Interessen in sehr entgegengesetzten Theilen der Welt aufgetragen hatte. Eine halbe Stunde vorher verlangte mich’s sterblich darnach, intimere Verbindungen mit den interessanten Fremden anzuknüpfen, aber meine Gedanken nahmen alsbald eine neue Richtung, und ich fand, daß die peinlichen Gefühle, die ich über ihre Wohlfahrt und Glück gehabt, sich ganz in dem eben erweckten Interesse verloren, das vor mir lag. Auf diese einfache Weise bringt ohne Zweifel das System, dessen Anhänger ich bin, keinen geringen Theil seiner großen Endzwecke hervor. Nicht sobald wird ein Interesse peinlich durch Uebermaaß, als schon ein neues sich erhebt, um die Gedanken zu zerstreuen, und eine neue Anforderung an die Gefühle gemacht wird; indem es nun so unsre Neigungen von der Heftigkeit der Selbstsucht zu dem linderen und gleichförmigeren Gefühl der Unparteilichkeit herabstimmt, bringt es gerade jenen richtigen und edlen Zustand des Geistes hervor, nach welchem die Staatsökonomen streben, wenn sie sich über die Glorie und Vortheile ihrer Lieblingstheorie vom gesellschaftlichen Anhaltpunkt auslassen.

In dieser glücklichen Gemüthsstimmung machte ich mich an’s Lesen der Briefe mit Eifer und mit dem herrlichen Entschluß, die Vorsehung zu verehren und Recht zu thun – fiat justitia, ruat coelum!

Das erste Schreiben war von dem Agenten des vornehmsten Westindischen Landguts. Er benachrichtigte mich, daß alle Hoffnung einer zu erwartenden Ernte durch einen Orkan zerstört sei, und bat, ich möchte die nöthigen Mittel herbeischaffen, die Geschäfte der Pflanzung fortzuführen, bis die nächste Ernte den Verlust wieder ausgliche. Als Geschäftsmann bildete ich mir auf pünktliche Ordnung etwas ein, und ehe ich daher ein zweites Siegel erbrach, wurde ein Brief an einen Bankier in London geschrieben, mit dem Auftrag, den nöthigen Credit anzuschaffen, und den Agenten in West-Indien davon zu benachrichtigen. Da er Parlamentsmitglied war, ergriff ich die Gelegenheit, ihm auch die Notwendigkeit an’s Herz zu legen, daß die Regierung schnelle Maßregeln zum Schutz der Zuckerpflanzer treffe, einer sehr verdienstvollen Classe von Unterthanen, deren Gefahren und wirkliche Verluste laut Hülfe dieser Art erheischten. Als ich den Brief schloß, konnte ich mich nicht erwehren, mit Wohlgefälligkeit bei dem Eifer und der Schnelligkeit zu verweilen, womit ich gehandelt hatte, – ein sichrer Beweis von dem Nutzen der Theorie der Kapitalanlegung.

Die zweite Mittheilung war von dem Verwalter eines Ostindischen Besitzthums, die sehr zum Glück mit ihrer Anerbietung kam, die durch den Verlust der eben erwähnten Ernte entstandne Lücke auszufüllen. Zucker würde wahrscheinlich ein Handelsartikel für die Halbinsel werden, und so sagte denn mein Correspondent, da die Transportkosten so viel größer wären als von den andern Kolonien, dieser Vortheil ganz verloren gehen würde, wenn nicht die Regierung etwas thäte, dem Ostindier wieder zu seiner natürlichen Gleichheit zu verhelfen. Ich schloß diesen Brief in einen an Lord Sagund- Thu, der ja im Ministerium war, und fragte ihn in sehr lakonischen und spitzen Worten, ob das Reich wohl gedeihen könne, wenn zum Nachtheil aller andern ein Theil davon im Besitz ausschließlicher Vortheile bliebe? Da diese Frage in wahrhaft englischem Geiste gestellt war, hoffe ich, trug sie etwas dazu bei, Seiner Majestät Ministern die Augen zu öffnen; denn kurz nachher wurde viel in den Journalen und im Parlament über die Notwendigkeit gesprochen, unsere Ostindischen Mitbürger zu schützen, und natürliche Gerechtigkeit durch Feststellung der Nationalwohlfahrt auf die einzige sichre Basis des freien Handels ergehen zu lassen.

Der nächste Brief war von dem das Geschäft betreibenden Associé einer großen Manufaktur, welchem ich die eine ganze Hälfte des Capitals vorgestreckt hatte, um in eine teilnehmende Verbindung mit den Baumwollespinnern zu treten. Der Correspondent beklagte sich bitter über den Eingangszoll auf den rohen Artikel, machte einige spitze Anspielungen auf die wachsende Concurrenz in Amerika und auf dem Continent, und gab ziemlich klar zu verstehen, daß der Inhaber des Fleckens Householder bei einer Frage von solcher Wichtigkeit für die Nation sich der Verwaltung fühlbar machen sollte. Bei diesem Wink sprach ich. Ich setzte mich auf der Stelle hin und schrieb meinem Freunde Lord Pledge einen langen Brief, worin ich auf die Gefahr hinwies, die unsrer Staatsökonomie drohte; wir ahmten die falschen Theorien der Amerikaner nach (der Landsleute des Capitain Poke), die Gewerbe aber gediehen gewiß nie so, als wenn sie erfolgreich wären, daß Erfolg von den Anstrengungen abhinge und die Anstrengungen am wirksamsten wären, wenn am wenigsten belastet, und mit einem Wort, daß wie es augenscheinlich sei, der Mensch würde weiter springen, wenn er nicht in Fußangeln wäre, und härter schlagen ohne Handfesseln, so es auch von selbst einleuchte, daß der Kaufmann bessere Geschäfte für sich machte, wenn er die Sachen alle nach seiner Weise und woher er wolle, bekäme, als wenn sein Unternehmungsgeist und Kunstfleiß durch die unbefugte und selbstische Einmischung der Interessen andrer beengt würde. Zum Schluß folgte eine beredte Beschreibung der demoralisirenden Folgen des Schmuggels und ein stechender Angriff auf die Tendenzen der Taxen im Allgemeinen. Ich habe zu meiner Zeit manches gute gesagt und geschrieben, wie mir selbst mehrere meiner Clienten beschworen haben, und zwar auf eine Weise, daß selbst angeborne Bescheidenheit es nicht abweisen kann, aber man wird mir die Schwachheit vergeben, wenn ich jetzt hinzufüge, daß dieser Brief an Lord Pledge so schöne Sachen enthielt, als ich mir nur etwas in dieser Hinsicht erinnern konnte. Der letzte Satz war offenbar die feinste und best turnirtste Moral, die ich je vorgebracht.

Der Brief, Nummer vier, war vom Verwalter der Besitzungen zu Householder. Er sprach von der Schwierigkeit, die Renten einzutreiben, eine Schwierigkeit, die er ganz allein dem niederen Preis des Getreides zuschrieb. Er sagte, es würde bald nöthig werden, einige Meiereien von neuem zu verpachten, und fürchtete, das gedankenlose Schreien gegen die Korngesetze möchte auf die Bedingungen dabei Einfluß haben. Es läge dem Interesse der Landeigenthümer ob, ein Auge auf die Volkstendenzen in Hinsicht dieses Punktes zu haben, denn jede wesentliche Abänderung des gegenwärtigen Systems würde mit einem Schlag wenigstens um 30 pCt. die Einkünfte von allen Getreide erzeugenden Grafschaften verringern. Er schloß mit einem sehr harten Tadel gegen die Agrarier, eine Parthei, die sich gerade damals ein wenig in Großbritannien bemerklich machte, und mit einer seinen Wendung bewies er vollständig, daß der Schutz des Landeigenthümers und die Aufrechthaltung der protestantischen Religion unauflöslich mit einander zusammenhingen. Auch ein kräftiger Aufruf an den gesunden Menschenverstand der Bürger über die vom Volk für sich selbst zu befürchtende Gefahr folgte; er behandelte dieß auf eine Weise, daß, ein wenig mehr ausgeführt, es eine herrliche Rede über die Rechte des Menschen gegeben haben würde.

Ich glaube, ich dachte über den Inhalt dieses Briefs eine volle Stunde nach. Der Verfasser davon, John Dobbs, war ein so ehrlicher, würdiger Bursche, als vielleicht je einer lebte; und ich konnte nicht anders als die erstaunliche Menschenkenntnis bewundern, die sich in jeder Zeile zeigte. Etwas mußte geschehen, das war klar; und zuletzt beschloß ich, den Ochsen bei den Hörnern zu nehmen, und mich mit einem Male an Herrn Huskisson zu wenden, als den kürzesten Weg, um an das Uebel zu kommen. Er war der politische Repräsentant aller neuen Ideen in Betreff unsrer ausländischen Handelspolitik; und indem ich auf eine feste Weise die schrecklichen Folgen seines bis auf’s Aeußerste getriebenen Systems ihm vorlegte, hoffte ich, könnte noch etwas geschehen für die Eigentümer eines festen Besitzes, die Gebeine und Nerven des Landes.

Ich will nur noch hier hinzufügen, daß Herr Huskisson mir eine sehr höfliche und männliche Antwort zurückschickte, worin er sich gegen jede Absicht, auf irgend eine Weise ungehörig in Britische Interessen sich zu mischen, vertheidigte; Taxen seien unserm System nothwendig, und jedes Volk sei selbst der beste Richter über seine Mittel und Hülfsquellen, er aber strebe nur nach Aufstellung gerechter, edelmüthiger Grundsätze, wodurch Nationen, die mit Britischen Maßregeln nichts zu schaffen hätten, sie auch nicht auf ungehörige Weise anwenden möchten – gewisse ewige Wahrheiten sollten wie eben so viele wohlgebaute Fässer, jede auf ihrem eignen Boden stehen. Ich muß sagen, mir gefiel diese Aufmerksamkeit von einem allgemein als so tüchtig anerkannten Manne als Herr Huskisson, und von jener Zeit an ward ich ein Anhänger seiner meisten Ansichten.

Die nächste Mittheilung, die ich aufmachte, war vom Aufseher über meine Besitzungen in Louisiana; er benachrichtigte mich, der allgemeine Stand der Dinge in jenem Theil der Welt sei günstig, aber die Blattern hätten sich unter den Negern gezeigt, und die Arbeiten der Plantagen würden alsbald noch fünfzehn kräftige Männer mit dem gewöhnlichen Anhang von Weibern und Kindern verlangen. Er fügte hinzu, die Amerikaner hinderten die fernere Einbringung von Schwarzen aus irgend einem Lande ausserhalb der Union, aber ein sehr lebhafter und gewinnreicher Binnenhandel werde in diesem Artikel getrieben, und entweder von Carolina, von Virginien oder Maryland könnte man zu rechter Zeit den erforderlichen Zuschuß erhalten. Doch gab er zu, unter dem Vorrath dieser verschiedenen Staaten sei wieder eine Wahl zu treffen, und sie erfordere einige Umsicht. Der Neger aus Karolina sei mehr an’s Baumwollenfeld gewöhnt, habe weniger Kleidung nöthig, und wie die Erfahrung gezeigt, könne mit Bückingen genährt werden, während dagegen der Neger weiter nördlich den feinsten Instinkt habe, manchmal denken könne, ja man ihn sogar hätte predigen hören, wenn er bis nach Philadelphia hinaufgekommen. Er liebe auch sehr Schinken und Geflügel. Vielleicht wäre es nicht übel, Exemplare von allen verschiedenen Vorräthen auf dem Markte zu kaufen.

In meiner Erwiederung stimmte ich dem letztern bei, und sprach von der Nützlichkeit, einen oder zwei von den höhern Casten aus dem Norden zu erhalten. Ich hätte nichts gegen das Predigen, wenn sie zur Arbeit predigten, aber ich warnte den Aufseher besonders vor Sektirern. Das Predigen an und für sich könnte keinen Schaden thun, alles hinge von der Lehre ab.

Dieser Rath ward als das Ergebniß vieler ernster Beobachtungen gegeben. Jene europäischen Staaten, die am hartnäckigsten der Einführung der Wissenschaften widerstanden, hätten, wie ich kürzlich bemerkt, ihr System geändert, und verführen nun nach dem Grund, »Feuer Feuer bekämpfen zu lassen.« Sie nähmen schnell ihre Zuflucht zum Schreiben von Schulbüchern, und zwar ohne andre Vorsicht, als daß sie sie selbst schrieben, durch diese sinnreiche Erfindung werde Gift in Nahrung verwandelt und die Wahrheiten für alle Classen mit Einem Male über die Gefahren des Disputirens und der Ketzerei hinausgesetzt.

Nachdem ich dem Louisianer geholfen, wandte ich mich mit Freuden zur Eröffnung des sechsten Siegels. Das Schreiben war von dem wirklichen Vorstand einer Gesellschaft, zu deren Fonds ich reichlich beigetragen, um mich nämlich auch für Wohlthätigkeitsanstalten zu interessiren. Es war mir, kurz ehe ich die Heimath verlassen, aufgefallen, daß so positive Interessen, wie ich sie größten Theils hatte, den Geist leicht weltlich machten, und ich sah kein andres Auskunftsmittel gegen solch ein Uebel, als eine Verbindung mit den Heiligen zu suchen, um der gefährlichen Neigung ein Gegengewicht zu halten. Eine glückliche Gelegenheit zeigte sich in den Bedürfnissen der »Philo-Africanischen-Anti-Correctionel-Frei-Arbeit-Gesellschaft,« deren verdienstvollen Bemühungen aus Mangel an der großen Wohlthätigkeits-Kraft, dem Geld, eben aufhören sollte. Ein Wechsel von 5000 Pfd. erwarb mir die Ehre eines Mitglieds und Patrons, und ich weiß nicht warum, aber sicher ist, er machte, daß ich mit weit größerm Interesse nach den Resultaten davon fragte, als ich sonst früher bei irgend einem andern Institut gethan hatte. Vielleicht entstand diese wohlthätige Aengstlichkeit aus jenem Prinzip in unsrer Natur, welche uns veranlaßt, nach allem zu sehen, was ein Mal unser gewesen, so lange wir noch einen Theil davon erblicken können.

Der Hauptvorstand nun dieser Gesellschaft schrieb, einige der Spekulationen, die pari passu mit der Wohlthätigkeit gegangen, seien glücklich gewesen, und daß die Actieninhaber nach den Grundbestimmungen der Association zu einer Dividende berechtigt seien, aber – wie oft steht dieses Wort zwischen Becher und Lippe, – aber er sei der Meinung, die Errichtung einer neuen Faktorei an einem Punkt, wo die Sklavenhändler sich am meisten einfänden und Goldstaub und Palmöl in den größten Mengen und folglich zu den niedrigsten Preisen zu haben wären, würde gleicher Maßen Handel und Menschenliebe begünstigen. Durch eine vernünftige Anwendung unsrer Mittel könnten diese beiden Interessen, wie Ursache und Wirkung, so als Wirkung und Ursache gar schön Hand in Hand gehen; den Schwarzen würde eine unberechenbare Menge von Noth erspart, den Weißen aber eine schwere Sündenlast abgenommen, und die besondere Agenten eines so augenscheinlichen Guts könnten mit allem Recht wenigstens 40 pCt. das Jahr von ihrem Geld berechnen, während sie noch als Zugabe ihre Seelen retteten. Ich stimmte natürlich einem an sich so vernünftigen Vorschlag, der noch ausserdem so offenbare Vortheile darbot, von ganzem Herzen bei.

Das nächste Schreiben war vom Chef eines großen Handlungshauses in Spanien, wo ich einige Actien genommen, und dessen Interessen für einige Zeit, durch die Unruhen im Volke, in Unordnung gekommen, das für wirkliche oder eingebildete Bedrückungen Abstellung verlangte. Mein Correspondent äußerte bei dieser Gelegenheit einen gehörigen Unwillen, und sparrte überhaupt die Ausdrücke nicht, wenn er von Volksauflauf sprechen mußte; »was wollen die Wichte,« fragte er mit vieler Kraft, »unser Leben und unser Eigenthum! Ach, mein theurer Herr, diese traurige Thatsache legt uns allen (unter uns meinte er die merkantilischen Interessen) die Wichtigkeit strenger Mittel auf. Wo wären wir gewesen ohne die Bayonette des Königs? Was wäre aus unsern Altären, unserm Heerd und Personen geworden, hätte es nicht Gott gefallen, uns einen Monarchen zu verleihen, unerschütterlich in seinem Willen, tapfer von Muth und schnell in der That?« Ich schrieb eine passende glückwünschende Antwort, und wandte mich zu dem nächsten Brief, der der letzte der Mittheilungen war.

Der achte Brief war von dem Chef eines andern Handlungshauses in Neu-York, V. St. von Amerika, aus dem Lande Capitains Poke, wo es scheinen wollte, als wenn der Präsident durch eine entschiedene Ausübung seiner Gewalt sich den Fluch eines großen Theils der handelnden Interessen des Landes zugezogen; da die Wirkung der Maßregel, sie mochte nun recht gewesen oder unrecht, als unmittelbare Folge oder nicht, mit Rumpf und Stumpf, das Geld rar gemacht hatte. Niemand ist so scharf in seinen Philippiken, so listig im Entdecken, so schnell im Auseinandersetzen der Thatsachen, so feurig in seiner Philosophie, so beredt in seinen Klagen, als der Schuldner, wenn das Geld plötzlich selten wird. Credit, Bequemlichkeit, Beine, Nerven, Mark und alles scheinen von dem Erfolg abzuhängen; und es ist kein Wunder, daß bei so lebhaften Eindrücken, Leute, die bisher zufrieden gewesen, in den geregelten und ruhigen Gewohnheiten des Handels fortzugehen, da auf einmal sich zu Logiker, Politiker, ja selbst zu Magiker erheben. Dies war mit meinem jetzigen Correspondenten der Fall gewesen, der im Allgemeinen so wenig von der Politik seines Landes zu verstehen und sich darum zu bekümmern schien, als wenn er nie darin gewesen, aber der nun mit einem Metaphysiker Haare gespaltet, und nicht mit mehr Liebe über die Constitution hätte schreiben können, wenn er sie gelesen hätte. Die Schranken dieses Buchs wollen mir nicht erlauben, den ganzen Brief hierherzusetzen, aber einige Sätze daraus sollen gegeben werden. »Ist es erträglich, Sir,« so hieß es, »daß die vollstreckende Gewalt, ich will nicht sagen nur in unserm Land, sondern in irgend einem, solche unerhörte Gewalten besitze, oder, selbst zugegeben, sie besäße sie, ausübe. Unsre Lage ist schlimmer als bei den Muselmännern, die mit dem Verlust ihres Geldes gewöhnlich ihren Kopf verlieren, und dadurch in einer glücklichen Unempfindlichkeit ihrer Leihen bleiben; aber ach! es hat ein Ende mit der viel gerühmten Freiheit von Amerika! Die vollstreckende Gewalt hat alle übrigen Zweige der Regierung verschlungen, und nächstens wird sie uns auch verschlingen; unsre Altäre, unser Heerd und unsre Personen werden bald angegriffen werden, und ich fürchte sehr, Sie werden meinen letzten Brief erhalten, nachdem schon lange alle Correspondenz verhindert, jedes Verbindungsmittel abgeschnitten, und wir selbst am Schreiben gehindert werden, gefesselt, wie wir sein werden, gleich Lastthieren an dem Karn eines blutigen Tyrannen!« Dann folgte eine so schöne Reihe von Beiwörtern, als ich deren nur immer aus dem Mund des größten Schelms zu Billingsgate vernommen.

Ich konnte nicht anders, ich mußte die Kraft des »gesellschaftlichen Anhaltspunkts-Systems« bewundern, das den Menschen so sehr lebhafte Aufmerksamkeit auf alle ihre Rechte gibt, mögen sie nun leben, wo sie wollen, und unter welcher Regierungsform es auch sei; das so wunderbar geeignet ist, die Wahrheit aufrecht zu erhalten und uns gerecht zu machen. Als Antwort sandte ich zurück Schimpfwort um Schimpfwort, wiederholte alle die Seufzer meines Correspondenten und spottete, wie es einem Manne zukam, der mit einem verlierenden Geschäfte in Verbindung stand.

Dieß schloß für jetzt meine Correspondenz, und ich erhob mich, müde von meinen Arbeiten, doch sehr erfreut über ihre Früchte. Es war spät, aber die Aufregung schloß den Schlaf aus, und eh‘ ich mich für die Nacht zurückzog, konnt‘ ich mich nicht enthalten, nach meinen Gästen zu sehen. Capitain Poke war in ein Zimmer in einem andern Theil des Hotels gegangen, aber die Familie der liebenswürdigen Fremdlinge schlief fest im Vorzimmer. Sie hatten, wie ich versichert war, herrlich zu Nacht gespeist, und überließen sich nun, einen erprobten Ausdruck zu gebrauchen, einem glücklichen aber vorüber gehenden Vergessen aller ihrer Leiden. Zufrieden mit diesem Zustand der Dinge, suchte ich nun auch mein Kissen, oder nach einem Lieblingsausdruck Noah Poke’s ich auch »lief ein.«

Vierzehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Einige Erklärungen, – ein menschlicher Appetit,– ein Mittagessen und ein Trinkgeld.

Der Brigadier und ich blieben zurück, die Hauptpunkte des unerwarteten Auftritts zu besprechen.

»Ihr strenges Verlangen nach Beweggründen, mein Lieber,« bemerkte ich, »beschränkt doch gar sehr die Springniedriger politische Moralität, und setzt sie dem gesellschaftlichen Anhaltspunkt-System bei uns gleich.«

»Sie Beide, das ist richtig, haben zur Krücke die persönlichen Interessen; jedoch ist zwischen ihnen der Unterschied der Interessen eines Theils und der des Ganzen.«

»Und könnte ein Theil weniger richtig handeln, als das Ganze in diesem Fall gehandelt hat?« »Sie vergessen, daß sich Springniedrig gerade in diesem Augenblick unter einer moralischen Verfinsterung befindet; ich will nicht damit sagen, daß diese Verfinsterungen nicht so oft vorfallen, aber sie fallen in andern Theilen des Landes so oft vor, wie hier. Wir haben drei große Arten, die Monikin’schen Angelegenheiten zu leiten: durch Einen, durch Wenige, durch Viele – –«

»Ganz dieselbe Eintheilung besteht bei den Menschen,« fiel ich ein.

»Einige unsrer Verbesserungen wirken auch rückwärts, das Zwielicht geht ja dem Lauf der Sonne nicht nur voraus, sondern folgt ihm auch;« entgegnete ganz ruhig der Brigadier. »Wir denken, die Vielen brächten’s am nächsten in Verhindrung des Uebels, wiewohl wir auch diese für gar nicht unbefleckt halten. Gibt man zu, daß die Neigung zum Bösen in diesen drei Systemen gleich ist, (was wir indessen nicht zugeben, da wir der Meinung sind, unseres habe deren am wenigsten), so behauptet man doch, daß die Vielen einer großen Quelle des Drucks und der Ungerechtigkeit entgehen; sie brauchen nämlich nicht die schwierigen Vorkehrungen zu treffen, die die physische Schwäche zu machen gezwungen ist, um sich gegen physische Stärke zu wahren.«

»Das stößt eine sehr vorherrschende Ansicht unter den Menschen um, Sir, die gewöhnlich behaupten, die Tyrannei der Vielen sei die schlimmste von allen.«

»Diese Idee hat sich nur verbreitet, weil der Löwe nicht sich hat abkonterfeien lassen wollen. Da Grausamkeit gewöhnlich im Geleite der Feigheit geht, so ist Unterdrückung, neun Mal unter zehn; das Ergebniß der Schwäche. Es ist natürlich, daß die Wenigen die Vielen fürchten, nicht aber umgekehrt. Sodann werden unter Institutionen, worin die Vielen regieren, gewisse auf natürliche Gerechtigkeit gegründete Grundsätze offen anerkannt, und es ist wirklich selten, daß sie nicht auf die Staatsverhandlungen Einfluß haben. Andrerseits verlangt die Regierung der Wenigen, daß diese selben Wahrheiten entweder entstellt oder ganz unterdrückt werden, und die Folge davon ist Ungerechtigkeit.«

»Aber alle Eure Ansichten über die Vielen und Wenigen angenommen, Brigadier, müßt Ihr doch zugeben, daß hier in Eurem geliebten Springniedrig selbst die Monikins ihre eignen Interessen um Rath fragen, und das heißt doch nach dem Grundprincip des großen europäischen socialen Anhaltpunkt-Systems verfahren.«

Das heißt, die Güter der Welt sollten das Mittel zur politischen Macht sein. An der traurigen Verwirrung, die in diesem Augenblick unter uns herrscht, Sir John, müßt Ihr bemerken, daß wir eben nicht unter den heilsamsten aller politischen Einflüsse stehen. Ich gebe es zu, daß das große Erforderniß der Staatsgesellschaft ist, durch gewisse große moralische Wahrheiten beherrscht zu werden. Die Folgerungen und Korollarien aus diesen Wahrheiten sind Grundsätze, die vom Himmel kommen; nun ist aber nach Monikin’schen Dogmen die Liebe zum Geld von der Erde, irdisch, und bei’m ersten Anblick möchte es nicht ganz sicher sein, solch einen Antrieb als leitendes Princip für einen Monikin anzunehmen, und durch leichte Schlußfolge auch nicht für Viele. Ihr müßt auch bedenken, daß, wenn nur die Reichen Macht haben, beherrschen sie nicht allein ihr Eigenthum, sondern auch das derer, die weniger haben. Euer Grundsatz setzt voraus, daß bei Besorgung seiner eignen Besitzthümer der begüterte Wähler auch Sorge für das haben muß, was der übrigen Gemeinde gehört; aber unsre Erfahrung zeigt, daß ein Monikin ganz außerordentlich für sich Sorge haben und doch sich sehr wenig um seinen Nächsten bekümmern kann.«

»Ihr werft Alles um, Brigadier, ohne etwas besser zu finden.«

»Nur, weil es leicht ist, Alles umzustoßen, und sehr schwer, etwas Besseres zu finden. Aber in Hinsicht des Fundaments der Staatsgesellschaft, bezweifle ich nur, ob es weise, eine Befähigung aufzustellen, die, wie wir Alle wissen, auf schlechtem Grunde beruht. Ich fürchte sehr, Sir John, daß, so lange Monikins Monikins sind, wir nie ganz vollkommen sein werden, und in Hinsicht Eures socialen Anhaltpunkt-Systems mein‘ ich, daß, da die Gesellschaft aus Allen besteht, es nicht übel sein mag, wenn wir hören, was Alle über ihre Leitung zu sagen haben.«

»Vielen Menschen und wohl auch vielen Monikins darf man die Leitung ihrer eignen Angelegenheiten nicht anvertrauen.« »Sehr wahr; aber daraus folgt nicht, daß andre Menschen und andre Monikins deßwegen ihre eignen Interessen aus dem Gesichte verlieren werden, wenn man sie als ihre Stellvertreter hinstellt. Ihr seid lang genug Gesetzgeber gewesen, um einen Begriff zu bekommen, wie schwer es ist, einen eigentlichen und verantwortlichen Stellvertreter zur gehörigen Achtung der Interessen und Wünsche seiner Konstituenten zu bringen, und Thatsachen werden Euch beweisen, wie wenig der wohl an Andre denken wird, der als ihr Herr zu handeln vermeint und nicht als ihr Diener.«

»Das Ergebniß aus allem dem, Brigadier, ist, daß Ihr wenig an Monikin’sche Uneigennützigkeit in irgend einer Gestalt glaubt, daß Ihr meint, Jeder, der Gewalt hat, werde sie mißbrauchen, und so wollt Ihr denn das Anvertraute vertheilen, um auch die Mißbräuche zu theilen; daß ferner die Liebe zum Geld eine irdische Eigenschaft ist, der man für Leitung eines Staats nicht trauen darf, und endlich, daß das sociale Anhaltpunkt-System durch und durch schlecht ist, dieweil es nur ein Princip durchführt, das für sich selbst mangelhaft ist.«

Mein Freund gähnte, als mögte er gerne hiemit die Sache beruhen lassen; ich wünschte ihm guten Morgen und ging die Treppe hinauf, Noah zu suchen, dessen fleischverzehrende Blicke mir beträchtliche Unruhe gemacht hatten. Der Kapitän war aus, und nachdem ich eine oder zwei Stunden nach ihm gesucht hatte, kehrte ich in unsre Wohnung müde und hungrig zurück.

Nicht weit von der Thüre stieß ich auf Richter Volksfreund, der geschoren und niedergeschlagen war, und ich stand stille, ihm ein tröstendes Wort zu sagen, ehe ich die Leiter hinaufstiege. Man konnte nicht anders, wenn man einen Herrn sah, den man in guter Gesellschaft und unter bessern Umständen getroffen, der jetzt jedes Haar von seinem Leibe geschoren, und dessen Fleisch noch blutete von der frischen Amputation, in dessen Miene ferner republikanische Demuth lag, man konnte nicht anders, man mußte ihn trösten wollen. Ich drückte ihm deßwegen mein Beileid so kurz, wie möglich, aus und ermuthigte ihn mit der Hoffnung, er werde bald einen neuen Flaum kommen sehen, enthielt mich jedoch jeder Hinweisung auf seinen Schweif, dessen Verlust, wie ich wußte, unersetzlich war. Zu meinem größten Erstaunen antwortete jedoch der Richter freudig und legte für den Augenblick jeden Anschein von Selbsterniedrigung und Demuth ab.

»Wie ist das?« rief ich, »Ihr seid also nicht unglücklich?«

»Weit gefehlt, Sir John! ich hatte nie mehr Muth und bessere Aussichten in meinem Leben.«

Ich erinnerte mich der außerordentlichen Weise, wie der Brigadier Noah’s Haupt gerettet, und war vollständig entschlossen, nicht über irgend eine Darlegung Monikin’schen Scharfsinns erstaunt zu sein. Doch bat ich um einige Erklärung.

»Es mag Euch seltsam verkommen, Sir John, einen Politiker zu finden, der dem Anschein nach in der Tiefe der Verzweiflung liegt, und doch am Vorabend glorreicher Erhebung steht. So ist’s aber doch mit mir. In Springniedrig gilt Demuth Alles. Der Monikin, der Acht hat, und oft genug wiederholt, daß er der ärmste Teufel ist, gänzlich unfähig zum geringsten Amt im Lande, und sonst auch aus der Staatsgesellschaft gänzlich erstoßen zu werden verdiente, der kann sich mit Recht auf gutem Weg zu den Würden glauben, zu deren Erlangung er sich als den Unwürdigsten erklärt.«

»Dann braucht er also nur zu wählen, und am lautsten gerade für ein solches Amt seine Unfähigkeit auszuschreien.«

»Ihr habt Talente, Sir John, und würdet es weit bringen, wenn Ihr nur bei uns bleiben wolltet,« sagte der Richter zunickend.

»Ich begreife jetzt Euer Verfahren; Ihr seid also weder unglücklich, noch demüthig.«

»Ganz und gar nicht. Für Monikins meiner Art ist es am wichtigsten, eher Alles zu scheinen, als es zu sein. Meine Mitbürger begnügen sich gewöhnlich mit diesem Opfer, und da jetzt das Moralprincip verdunkelt ist, ist nichts leichter.«

»Aber wie kommt’s, Richter, daß Ihr mit Eurer Behendigkeit und Schnelle in allen Sprüngen und Gyrationen dazu gezwungen seid; sollte vielleicht der kleine Umstand mit Eurem Schweif?«

Der Richter lachte mir gerade in’s Gesicht. »Ich sehe, Ihr begreift uns doch immer noch nicht recht. Hier haben wir die Schweife als antirepublikanisch verbannt, da beide Meinungen sich dagegen erhoben, und doch kann auswärts ein Monikin einen tragen eine Meile lang, ohne Gefahr, nur muß er sich, kommt er nach Hause, einer neuen Verstümmlung unterwerfen und schwören, er sei der elendeste Wicht von der Welt. Lobt er dann noch die Hunde und Katzen in Springniedrig, dann, guter Gott! würden sie ihm selbst Hochverrath verzeihen.«

»Ich begreife jetzt Eure Politik, Richter, wenn auch nicht Eure Staatspolitik. Da Springniedrig eine Volksherrschaft ist, müssen nothwendig seine politischen Agenten volksthümlich sein. Da nun die Monikins natürlich an ihren eignen Vortrefflichkeiten sich ergötzen, macht nichts sie so geneigt, Andern zu glauben, als deren Versicherung, sie seien schlechter, als sie.«

Der Richter nickte und lachte.

»Aber noch ein Wort, mein Lieber! Da Ihr die Hunde und Katzen von Springniedrig zu preisen gezwungen seid, so gehört Ihr wohl zu der Schule von Katzenbegünstigern, die sich wegen ihrer Liebe zu diesen Vierfüßlern dadurch rächen, daß sie ihre Mitgeschöpfe wie Ratten benagen.«

Der Richter fuhr auf und schaute um sich, als fürchte er einen Taschendieb. Dann bat er mich ernstlich, seine Stellung zu berücksichtigen, und lispelte mir zu, daß des Volks Sache bei ihm heilig wäre, und er selten von ihm spräche ohne Verbeugung. Seine besondre Vorliebe für die Hunde und Katzen rühre auch von nichts Anderm her, nicht von einem eigenthümlichen Verdienst dieser Thiere, sondern blos daher, weil sie des Volkes Hunde und Katzen wären. In der Furcht, ich könnte noch etwas Unangenehmeres sagen, nahm der Richter eilig Abschied, und ich sah ihn nie wieder. Ich zweifle jedoch nicht, daß zu rechter Zeit sein Haar wieder wuchs, wie er in Gunst, und er bei allen passenden Gelegenheiten Mittel fand, die gehörige Schweiflänge wieder zu erhalten.

Jetzt zog ein Auflauf in den Straßen meine Aufmerksamkeit auf sich; ich näherte mich, und ein Kollege, der sich dort befand, erklärte mir gütigst die Ursache. Einige Springhocher hatten, wie es schien, nach Springniedrig Reisen gemacht, und, nicht zufrieden mit dieser Freiheit, hatten sie auch wirklich Bücher über das, was sie gesehen und auch nicht gesehen, geschrieben. Ueber das Letztre zeigte sich keine der beiden öffentlichen Meinungen sehr gerührt, obgleich viele der Schriftsteller streng über die große Nationalallegorie und die heiligen Rechte der Monikins geurtheilt; aber in Hinsicht des Erstern, des Gesehenen, war große Aufregung. Diese Schriftsteller hatten die Kühnheit, zu sagen, die Springniedriger hätten alle ihre Schweife abgehauen, und die ganze Gemeinde lag wegen so unerhörter Beleidigung in Krämpfen. Es wäre etwas ganz Andres, so etwas zu thun, und etwas Andres, es der Welt in Büchern sagen zu hören. Wenn die Springniedriger keine Schweife hätten, so sei das nur ihre Schuld, die Natur hätte sie ganz wie andre Monikins gebildet. Sie hätten sich nach einem republikanischen Princip abgestumpft, und Niemanden dürften seine Grundsätze auf diese rohe Weise vorgeworfen werden, besonders während einer moralischen Verfinsterung.

Die Vertheiler der Essenz aus den abgehauenen Schweifen drohten Rache, Karrikaturmaler wurden in Bewegung gesetzt, einige grinsten, einige drohten, einige fluchten, aber alle lasen.

Ich verließ den Haufen und ging wieder auf meine Thüre zu, immer über diesen seltsamen Zustand der Gesellschaft nachdenkend, in welchem eine vorbedachte und öffentlich angenommene Eigenthümlichkeit zu einer so ungewöhnlichen Reizbarkeit des Charakters Anlaß geben konnte. Ich wußte wohl, daß sich die Menschen gemeiniglich mehr der natürlichen Unvollkommenheiten schämen, als derer, welche größten Theils von ihnen selbst abhängen; aber dann stehen auch die Menschen, wenigstens nach ihrem eignen Ausspruch, an der Spitze der Schöpfung, und so ist es vernünftig anzunehmen, daß sie auf ihre natürlichen Vorrechte eifersüchtig sind. Der gegenwärtige Fall war aber nicht allgemein und ging nicht mehr blos Springniedrig an, und so konnte ich es mir nur durch die Voraussetzung erklären, daß die Natur in dem Springniedriger Körperbau einige Nerven an den unrechten Ort gesetzt.

Als ich in das Haus trat, begrüßte ein starker Geruch von gebratenem Fleisch meine Nase und erregte eine sehr unphilosophische Lust in meinen Riechnerven, – eine Lust, die auch sehr direkt auf die gastrischen Säfte des Magens zurückwirkte. Auf gut deutsch, ich hatte einen sehr sichtbaren Beweis, daß es nicht genug sei, einen Mann in das Monikinland zu bringen, ihn in’s Parlament zu schicken und eine Woche lang mit Nüssen zu ernähren, um ihn ganz ätherisch zu machen. Ich fand, es sei vergebens, gegen den Stachel zu lecken; der Geruch von dem Braten war stärker, als alles Vorbenannte, und ich gab gerne die Philosophie auf, um mich gänzlich dem Magen zu überlassen. Ich ging alsbald, von einem nicht geistreicheren Sinn geleitet, als der des Jagdhundes ist, in die Küche herab.

Bei’m Oeffnen der Thür unseres Speisesaals begrüßte ein so köstlicher Wohlgeruch die Nase, daß ich gleich einem romantischen Mädchen bei einem Wasserfall dahinschmolz, und, alle höheren, eben erst erlangten Wahrheiten aus dem Gesicht verlierend, fand ich mich der besondern menschlichen Schwäche hingegeben, daß ich, wie man’s gewöhnlich beschreibt, den Mund voll Wasser hatte.

Der Robbenfänger hatte die Monikin’sche Enthaltsamkeit ganz aufgegeben und ergötzte sich auf ganz menschliche Weise. Ein Gericht gebratenen Fleisches stand vor ihm, und seine Augen erglänzten gar sehr, als er sie von mir weg auf sein Essen wandte, so daß es etwas zweifelhaft wurde, ob ich ein willkommener Besuch sein werde. Aber jener ehrliche alte Grundsatz der Seeleute, der sich nie weigert, mit einem alten Tischgenossen zu gleichen Theilen zu theilen, siegte selbst über seine Gefräßigkeit.

»Setzt Euch her, Sir John!« rief der Kapitän, ohne mit Kauen aufzuhören, »und denkt nicht, es seien Knochen. Die Wahrheit zu gestehen, die letztern sind fast so gut, als das Fleisch; ich aß nie einen süßern Bissen.«

Ich wartete eine zweite Einladung nicht ab, das kann mir der Leser glauben, und in weniger, als zehn Minuten war der Tisch so rein, wie von Harpyen angefallen. Da auch dies Werk für eine Erzählung gelten soll, wo der Wahrheit streng nachgekommen wird, muß ich gestehen, daß ich mich keiner Befriedigung irgend eines Gefühls erinnre, das mir halb so viel Lust erzeugte, als dies kurze und eilige Mahl. Ich sehe es jetzt noch als das wirkliche Ideal eines Mittagessens an. Sein Fehler lag in der Quantität, nicht in der Qualität. Ich schaute mich gierig nach mehr um, da erblickte ich ein Antlitz, das mich mit trauernden Vorwürfen anzuschauen schien. Die Wahrheit blitzte in mir auf in einer Fluth schrecklicher Gewissensbisse. Ich stürzte auf Noah wie ein Tiger, ich faßte ihn an der Kehle, ich schrie mit einer Stimme der Verzweiflung:

»Kannibale! was hast du gethan?«

»Laßt mich los, Sir John! Wir lieben nicht diese Spässe in Stonington.«

»Elender! du hast mich zum Theilnehmer deines Verbrechens gemacht. Wir haben den Brigadier Geradaus aufgegessen!«

»Laßt nur los, Sir John! oder Menschen-Natur rebellirt.«

»Ungeheuer! gib dein unheiliges Mahl wieder von dir! Siehst du nicht tausend Vorwürfe in den Augen des unschuldigen Opfers deines unersättlichen Hungers?«

»Laßt los, Sir John, laßt los! so lange wir Freunde sind. Mich kümmert’s nicht, und wenn ich alle Brigadiers in Springniedrig verschlungen. Nur weg!«

»Nicht, bevor du nicht dein gottloses Mahl ausspei’st!«

Noah konnte es nicht länger aushalten, er ergriff nun mich nach dem Wiedervergeltungsrecht bei der Kehle, und ich hatte bald die Gefühle, wie sie Einer haben müßte, dessen Gurgel unter einer Schnüre sich befände. Ich will das Wunder, das jetzt folgte, nicht in’s Einzelne zu beschreiben versuchen. Das Hängen müßte ein wirksames Mittel für mancherlei Täuschungen sein; denn bei mir that der Zwang, unter dem ich lag, wirklich Wunder in sehr kurzer Zeit. Allmählig änderte sich die ganze Scene; erst kam ein Nebel, dann ein Taumel, und endlich, als der Kapitän mich losließ, erschienen die Gegenstände unter ganz neuen Gestalten, und statt in unserer Wohnung in Bivouac befand ich mich in meinem alten Zimmer in der Straße Rivoli zu Paris.

»König!« rief Noah, der mit vor Anstrengung rothem Gesicht vor mir stand, »das ist kein Kinderspiel, und wenn’s noch ein Mal so kommt, werde ich Seile gebrauchen. Was wär’s denn, Sir John, wenn Jemand einen Affen verzehrte?«

Staunen hielt mich stumm. Alles war noch so, wie ich es an dem Morgen verlassen, wo wir nach London auf unsrer Reise nach Springhoch uns aufmachten. Ein Tisch mitten im Zimmer war mit engbeschriebenen Papierbogen bedeckt, welche, bei näherer Untersuchung, dies Manuskript bis an’s letzte Kapitel enthielten. Der Kapitän und ich waren wie gewöhnlich gekleidet, ich à la Parisienne, er à la Stonington. Ein kleines, sehr sinnreich gefertigtes Schiff mit allem Tauwerk lag mit dem Namen Wallroß beschrieben auf dem Boden. Als mein zerstörtes Auge auf dies Fahrzeug fiel, sagte mir Noah, da er nichts weiter zu thun gehabt, als über meine Gesundheit zu wachen, (eine sehr höfliche Bezeichnung für seine Beaufsichtigung meiner Person, wie ich später fand,) so habe er seine Muse zur Erbauung dieses Spielwerks benutzt.

Alles war unerklärlich. Es war wirklich der Geruch von Fleisch noch da; ich hatte noch das besondre Gefühl der Fülle, das wohl auf ein Mittagessen folgt, und eine Schüssel voller Knochen stand mir vor den Augen. Ich nahm einen der letztern, um das genau zu bestimmen. Der Kapitän sagte mir gütigst, daß es das Ueberbleibsel eines Spanferkels sei, das zu erhalten ihn große Mühe gekostet, da die Franzosen, ein solches Schweinchen zu essen, für kaum weniger gefährlich hielten, als das Aufzehren eines Kindes. Ahnungen tauchten in mir auf, und ich sah mich nun nach dem Haupt und vorwurfsvollen Auge des Brigadiers um.

Das Haupt war, wo ich es vorher gesehen; über einen Koffer ragte es hinaus, aber es stand hoch genug, um zu sehen, daß es noch auf seinen Schultern war. Ein zweiter Blick ließ mich das nachdenkende, philosophische Haupt des Dr. Raisono erkennen; er war noch in seiner Husarenjacke und seinem Leibrock, obwohl er, da er zu Hause, mit vollem Recht den dreieckigen Hut mit den schmutzigen Federn bei Seite gelegt.

Ein Geräusch ließ sich im Vorzimmer vernehmen, und ein schnelles Reden in leisem, ernstem Ton folgte. Der Kapitän verschwand und ging zu den Sprechenden. Ich lauschte eifrig, konnte aber nichts von einem Dialekt nach dem Decimalsystem vernehmen. Alsbald öffnete sich die Thür und Dr. Etherington stand vor mir.

Der gute Geistliche betrachtete mich lang und ernst. Thränen erfüllten seine Augen, und beide Hände nach mir ausstreckend, sagte er:

»Kennt Ihr mich, Jack?«

»Euch kennen, Sir, wie sollte ich nicht?«

»Und verzeiht Ihr mir, Lieber?«

»Was, Sir? Sicher muß ich Eure Verzeihung für tausend Thorheiten erbitten.«

»Ach, der Brief, – der unfreundliche, unbedachte Brief!«

»Ich hab‘ seit einem Jahre keinen Brief von Euch erhalten, Sir; der letztere war nichts weniger, als ungütig.«

»Wenn auch Anna schrieb, diktirte ich doch.«

Ich fuhr mit der Hand über die Stirne, und die Wahrheit tagte in mir auf.

»Anna?«

»Sie ist hier, in Paris, unglücklich, sehr unglücklich um Euretwillen!«

Jedes Theilchen von Monikinschaft, das noch in mir geblieben, wich augenblicklich einer Fluth menschlicher Gefühle.

»Laßt mich zu ihr eilen, lieber Sir, jeder Augenblick ist ein Jahrhundert!«

»Nicht jetzt gerade, mein Junge; wir haben viel einander zu sagen, auch ist sie nicht in diesem Hotel. Morgen, wenn ihr beide besser vorbereitet, sollt ihr euch sehen.«

»Fügt bei, euch nie wieder zu trennen, Sir, und ich will geduldig sein, wie ein Lamm.«

»Euch nie wieder zu trennen, hoffe ich sagen zu können.«

Ich fiel meinem ehrwürdigen Führer um den Hals, und fand köstliche Erleichterung von einer schweren Last von Gefühlen in einer Fluth Thränen. Dr. Etherington brachte mich bald in eine ruhigere Gemüthsstimmung. Im Lauf des Tags wurde vieles besprochen und geordnet. Man sagte mir, Kapitän Poke sei eine gute Wärterin gewesen, jedoch auf Robbenfänger-Art, und das Geringste, was ich für ihn thun könnte, sei, ihn kostenfrei nach Stonington zu schicken. Das ward besorgt und der würdige aber absprechende Seemann mit den Mitteln versehen, eine neue »Debby und Dolly« auszurüsten.

»Diese Philosophen sollten wir wohl in eine Akademie bringen,« bemerkte lächelnd der Doktor und deutete auf die Familie der liebenswürdigen Fremdlinge; »da Herr Raisono besonders schon so hohe akademische Titel hat, ist er für gewöhnliche Gesellschaft nicht geschickt.«

»Thut mit ihnen, wie’s Euch gefällt. Ihr, mir mehr als Vater. Laßt jedoch die armen Thiere keinen physischen Mangel leiden.«

»Auf alle ihre Bedürfnisse, physische und moralische, soll Rücksicht genommen werden.«

»Und in ein oder zwei Tagen reisen wir alle in’s Pfarrhaus?«

»Uebermorgen, wenn Ihr stark genug.«

»Und morgen?«

»Wird Euch Anna sehen.«

»Und den Tag darauf?«

»Nein, nicht so schnell, Jack; aber sobald wir Euch hinlänglich uns wiedergegeben glauben, soll sie Euer Geschick für die übrige Zeit Eures Prüfungsstandes mit Euch theilen.«