Fünfzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

»So Iächle denn der Himmel auf die Feier hin,
Daß künft’ge Stund‘ uns treff‘ mit Trauer nicht.«

Shakespeare.

 

Es ist gut, daß der Lauf der Erzählung stille stehe, während wir zu jenen Ursachen uns wenden, die in ihrer Kette von Folgen den eben beschriebenen sonderbaren Kampf herbeiführten. Die Unterbrechung muß nothwendig eben so kurz sein, als sie, wie wir hoffen, für jene Classe von Lesern genügend sein wird, die verlangen, daß die, welche das Amt der Geschichtschreiber auf sich nehmen, keine Lücke ihrer eigenen fruchtbaren Einbildungskraft auszufüllen überlassen.

Unter den Truppen, welche die Regierung der Conföderation abgeschickt hatte, um Besitz von ihrem neu erworbenen Gebiet im Westen zu nehmen, war ein Detachement, das von dem jungen Krieger angeführt ward, der eine so geschäftige Rolle in den Vorfällen unserer Sage gespielt hat. Die ruhigen, gleichgültigen Abkömmlinge der alten Colonisten empfingen ihre neuen Landsleute ohne Argwohn, da sie wohl wußten, daß die Veränderung sie aus Unterthanen zu beneidenswerthern Bürgern unter der Herrschaft der Gesetze machte. Die neuen Beamten übten ihre Functionen mit Umsicht und gebrauchten ihr übertragenes Ansehen ohne Druck. Bei solch einer neuen Mischung aber, von Leuten, die als freie Bürger geboren und erzogen worden, und von nachgiebigen Sclaven unumschränkter Gewalt, von Katholiken und Protestanten, von Arbeitsamen und Trägen, war einige Zeit nöthig, um diese widerstrebenden Elemente der Gesellschaft zu einigen.

Solch einen wünschenswerthen Zweck zu erreichen, sollte das Weib seine gewohnte freundliche Hülfe bieten. Die Schranken des Vorurtheils und der Religion wurden durch die unwiderstehliche Macht der ersten Leidenschaft der Menschen durchbrochen, und Familien-Vereine begannen bald die Staatsbande zu befestigen, die eine gezwungene Verbindung zwischen einem Volk hervorgebracht hatten, das so verschieden war in seinen Gewohnheiten, seiner Erziehung, und seinen Meinungen.

Middleton war unter den Ersten der neuen Besitzer des Landes, die die Reize louisianischer Damen gefangen nahmen. In der unmittelbaren Nähe des Standquartiers, das er einzunehmen beordert worden, lebte das Haupt einer jener alten Familien der Colonieen, die Jahre lang sich begnügt hatten, in der Ruhe, Gemächlichkeit und dem Wohlstand der spanischen Provinzen hinzuschlummern. Er war ein Officier der Krone, und durch ein reiches Erbe vermocht worden, die Florida zu verlassen und sich unter den Franzosen der angrenzenden Provinz niederzulassen. Der Name des Don Augustin de Certavallos war kaum über die Grenzen der kleinen Stadt hinaus, wo er residirte, bekannt, obwohl er sich ein heimliches Vergnügen daraus machte in großen Rollen rußiger Dokumente einem einzigen Kinde zu zeigen, wie er eingeschrieben sei unter die früheren Helden und Großen Alt- und Neu-Spaniens.

Diese für ihn so wichtige, für jeden Andern so gleichgültige Thatsache war der Hauptgrund, daß, während seine lebendigeren gallischen Nachbarn nicht lässig waren, einen freien Umgang mit ihrem Besuch anzuknüpfen, er lieber allein bleiben wollte, zufrieden, wie es schien, mit dem Umgang seiner Tochter, die eben in den Stand der Mannbarkeit trat.

Die Wißbegierde der jugendlichen Inez war jedoch noch nicht gänzlich unthätig. Sie hatte die kriegerische Musik der Garnison nicht gehört, wie sie mit der Abendluft zerschmolz, nicht das fremdartige Banner gesehen, das über den Höhen flatterte, welche nicht weit von ihres Vaters ausgedehnten Besitzungen sich erhoben, ohne etwas von den geheimen Regungen in sich zu fühlen, welche, wie man meint, ihr Geschlecht auszeichnen. Natürliche Furchtsamkeit und jene sich zurückziehende, vielleicht eigenthümliche Gleichgültigkeit, die die Hauptquelle weiblichen Zaubers in den tropischen Provinzen Spaniens ist, hielten sie in ihren, dem Anschein nach unauflöslichen Banden, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß, hätte sich nicht ein Vorfall ereignet, worin Middleton ihrem Vater einigermaßen nützlich gewesen, so lange Zeit vorübergegangen wäre, ehe sie zusammen gekommen, daß eine andere Richtung den Wünschen eines Wesens hätte gegeben werden mögen, das gerade in einem Alter war, welches für die Macht der Jugend und Schönheit so empfänglich ist.

Die Vorsehung, – oder wenn dieses hohe Wort hier nicht passend scheinen sollte, – das Geschick hatte es anders beschlossen. Der stolze, zurückhaltende Don Augustin war viel zu aufmerksam auf die Formen jenes Ranges, worauf er sich so viel zu gut that, um die Pflichten eines Edelmannes zu vergessen. Dankbarkeit für Middletons Gefälligkeit vermochte ihn, seine Thüre den Offizieren der Garnison zu öffnen und sich auf einen vorsichtigen, aber höflichen Umgang einzulassen. Die Zurückhaltung wich allmählich der Anmuth und Aufrichtigkeit des jungen Anführers, und es dauerte nicht lange, so erfreute der wohlhabende Pflanzer sich eben so sehr als seine Tochter, wenn das wohlbekannte Zeichen am Thor den angenehmen Besuch des Befehlshabers des Postens verkündete.

Es ist unnöthig, sich über den Eindruck zu verbreiten, den Inezens Reiz auf den Soldaten machte, oder die Erzählung aufzuhalten, um eine umständliche Nachricht von dem fortschreitenden Einfluß zu geben, den ein einnehmendes Betragen, männliche Schönheit und ungetheilte Aufmerksamkeit und Geist nothwendig aus das gefühlvolle Gemüth eines romantischen, liebevollen und einsamen Mädchens von sechszehn Jahren sich verschaffen mußten.

Es ist zu unserm Zweck hinlänglich zu sagen, daß sie liebten, daß der Jüngling nicht zögerte, seine Gefühle zu erklären, daß er mit einiger Leichtigkeit sich über die Anstände des Mädchens hinaus setzte, doch mit nicht geringen Schwierigkeiten die Einwürfe des Vaters wegräumte, und daß, ehe noch die Provinz Louisiana sechs Monate im Besitz der Staaten gewesen war, der Beamte der letzteren der Verlobte der reichsten Erbin an den Küsten des Mississippi war.

Obwohl wir versucht haben, den Leser mit der Art bekannt zu machen, wie man zu solchen Ergebnissen gewöhnlich gelangt, muß man doch nicht meinen, daß Middletons Sieg über die Vorurtheile des Vaters und seiner Tochter ganz ohne Mühe erreicht ward. Die Religion war bei Beiden ein schweres und fast unüberwindliches Hinderniß. Der ergebene Jüngling unterzog sich geduldig einem furchtbaren Versuch, den Pater Ignatius machte, der abgesandt ward, um ihn zum wahren Glauben zu bekehren. Die Anstrengungen von Seiten des würdigen Priesters waren systematisch, kräftig, ausdauernd.

Ein Dutzend Mal (nämlich in den Augenblicken, wo die leichte, sylphenähnliche Gestalt der Inez wie ein Feenwesen über die Scene ihrer Unterredungen schritt) dachte der gute Pater, er stünde am Vorabend eines glorreichen Triumphs über den Unglauben; aber alle seine Hoffnungen wurden dann durch einen unvorhergesehenen Widerspruch von Seiten des Gegenstandes seiner frommen Bemühungen wieder vereitelt. So lange der Angriff auf seinen Glauben entfernt und schwach war, wich Middleton, der keine besondern Progresse in der Polemik gemacht, ihren Wirkungen mit der Geduld und Ergebung eines Märtyrers; aber sobald der gute Pater, der so große Sorge für sein künftiges Glück trug, den gewonnenen Boden zu benutzen suchte, um einige von den Spitzfindigkeiten seines eigenen Glaubens zu Hülfe zu rufen, dann war der Jüngling ein zu guter Soldat, um nicht dem heißen Angriff die Spitze zu bieten. Er kam freilich mit keinen furchtbarern Waffen auf den Kampfplatz, als mit seinem gesunden Menschenverstand und mit der geringen Kenntniß von den Gebräuchen seines Vaterlandes, in so weit sie mit denen seines Gegners in Widerspruch standen; aber mit dieser hausbackenen Rüstung verfehlte er nie, den Pater mit einer Kraft zurückzuschlagen, die der in etwas ähnlich war, womit ein nervigter Klopffechter einen geschickten Meister im Rappier empfangen und seine Paraden durch den direkten und unumstößlichen Beweis eines zerschlagenen Kopfes und zersplitterter Waffe auf Nichts zurückführen würde.

Ehe der Streit noch geendigt war, kam ein Einfall der Protestanten dem Soldaten zu Hülfe. Die rücksichtslose Freiheit Solcher von ihnen, die nur an dieses Leben dachten, und die sich gleichbleibende und gemäßigte Frömmigkeit Anderer machte, daß der ehrliche Priester voll Besorgnis um sich sah. Der Einfluß des Beispiels auf der einen Seite, und Ansteckungen eines zu freien Umgangs auf der andern, fing an, sich selbst in dem Theil seiner eigenen Heerde zu zeigen, den er für zu sehr von geistlicher Leitung umwickelt gehalten hatte, als daß er irre gehen könnte. Es war Zeit, daß er seine Gedanken von der Offensive abwandte und seine Bekenner vorbereitete, der gesetzlosen Fluth von Meinungen zu widerstehen, die die Schranken ihres Glaubens umzureißen drohten. Gleich einem weisen Feldherrn, welcher findet, daß er für seine Streitkräfte zu viel Land besetzt hält, begann er, seine Außenwerke zusammen zu ziehen; die Ueberbleibsel wurden profanen Augen verborgen; seine Anhänger wurden ermahnt, nicht von Mirakeln vor einem Haufen zu reden, der nicht allein ihr Dasein leugnete, sondern der selbst die verzweifelte Kühnheit hätte, die Beweise dafür heraus zu fordern. Die Bibel ward nochmals mit furchtbaren Drohungen aus dem siegenden Grunde verboten, weil sie mißverstanden werden könnte. Indeß ward es nöthig, Don Augustin die Wirkungen mitzutheilen, die seine Beweise und Gebete auf die ketzerische Anlage des jungen Kriegers hervorgebracht hatten. Niemand ist geneigt, seine Schwäche gerade in dem Augenblick zu gestehen, wo die Umstände die äußerste Kraftanstrengung erfordern. Durch eine Art frommen Betrugs, wofür ohne Zweifel der würdige Priester Absolution in der Reinheit seiner Beweggründe fand, erklärte er, daß, wenn keine wirkliche Veränderung mit Middletons Gemüth schon vorgegangen, doch aller Grund da sei, um zu hoffen, der eingetriebene Keil der Ueberzeugung sei bis zu seinem Haupte gedrungen, und daß folglich eine Oeffnung da sei, wodurch, wie man vernünftigerweise erwarten könne, der gesegnete Same religiöser Befruchtung seinen Weg finden werde, besonders wenn dem jungen Mann ununterbrochen vergönnt würde, des Segens der katholischen Communion sich zu erfreuen.

Jetzt ward Don Augustin selbst von der Wuth des Proselytismus ergriffen. Selbst die sanfte, liebenswürdige Inez hielt es für eine glorreiche Erfüllung ihrer Wünsche, wenn sie zum geringen Werkzeug dienen könnte, ihren Geliebten in den Schooß der wahren Kirche zurückzuführen. Die Bewerbungen Middletons wurden schnell angenommen, und während der Vater ungeduldig dem zur Vermählung bestimmten Tag entgegen sah, als wäre er das Pfand seines eigenen glücklichen Erfolgs, dachte die Tochter an ihn mit Gefühlen, worin die heiligen Erregungen ihres Glaubens sich mit den sanfteren Gefühlen ihrer Jahre und Lage mischten.

Die Sonne ging am Morgen ihres Hochzeittages so glänzend und wolkenlos auf, daß die gefühlvolle Inez ihm wie dem Bürgen ihres künftigen Glücks entgegen jauchzte. Pater Ignatius beging die kirchliche Handlung in einer kleinen Capelle, die zu Don Augustins Gut gehörte, und lange, ehe die Sonne zu sinken begonnen, drückte Middleton die erröthende, furchtsame Creole, als sein anerkanntes und unzertrennliches Weib, an den Busen.

Es hatte beiden Theilen gefallen, den Tag der Hochzeit in der Stille hinzubringen, und ihn fern von allen den geräuschvollen und gewöhnlich herzlosen Vergnügungen einer erzwungenen Festlichkeit nur den besten und feinsten Gefühlen zu weihen, Middleton kehrte durch Don Augustins Gebiet von einem Pflichtbesuch in sein Lager zurück, zur Zeit, als das Licht der Sonne mit dem Schatten des Abends zu verschmelzen begann; da traf ein Strahl von einem Kleid, das dem ähnlich war, in welchem er Inez zum Altar geführt hatte, sein Auge durch das Blätterwerk eines verlornen Gebüsches. Er näherte sich der, Stelle mit einer Zartheit, welche durch das Recht, das sie ihm vielleicht gegeben hatte, in ihren geheimen Augenblicken sich zuzudrängen, eher vermehrt als vermindert worden, aber die Töne ihrer sanften Stimme, welche Gebete hinaufsendete, in den er sich mit den theuersten aller Benennungen bezeichnet hörte, besiegten seine Anstände, und vermochten ihn, eine Stellung einzunehmen, wo er ohne Furcht vor Entdeckung lauschen konnte. Es war gewiß dem Gefühl eines Gemahls angenehm, auf diese Weise im Stande zu sein, die fleckenlose Seele seines Weibes zu durchschauen, und zu finden, daß sein Bild von ihren reinsten und heiligsten Gefühlen umgeben war. Seine Selbstachtung war zu sehr geschmeichelt, um ihn nicht zu vermögen, den eigentlichen Zweck der Bittenden zu übersehen. Während sie betete, daß sie das geringe Werkzeug werden möchte, um ihn in die Schaar der Gläubigen zurückzubringen, bat sie um Vergebung für sich selbst, wenn Anmaßung oder Gleichgültigkeit gegen den Rath der Kirche sie veranlaßt, zu hohen Werth auf ihren Einfluß zu legen, und sie in den gefährlichen Irrthum verleitet hätte, ihre eigene Seele zu gefährden, indem sie mit einem Ketzer sich vermählte. Es war so viel brünstige Frömmigkeit, gemischt mit so starkem Ausbruch natürlichen Gefühls, so viel von einem Weibe und einem Engel in ihren Gebeten, daß Middleton ihr hätte vergeben können, auch wenn sie ihn einen Heiden genannt, mit so viel Milde und Antheil bat sie für ihn.

Der junge Krieger wartete, bis seine Braut aufgestanden, und trat dann zu ihr, als sei er ganz unbekannt mit Allem, was eben vorgefallen.

»Es wird spät, meine Inez,« sagte er, »und Don Augustin könnte Euch Unaufmerksamkeit gegen Eure Gesundheit vorwerfen, daß Ihr so lange zu solcher Stunde außen seid. Was soll ich nun thun, dem all sein Ansehn übertragen ward, und doppelt seine Liebe?«

»Seid ihm gleich in jedem Stück,« antwortete sie, sah mit Thränen im Auge zu ihm auf, und sprach mit besonderer Wärme; »in jedem Stück! Ahmt meinem Vater nach, Middleton, und ich kann von Euch nicht mehr verlangen.«

»Auch nicht für mich, Inez? Ich zweifle nicht, daß ich alles sein würde, was Ihr wünschen könnt, würde ich so gut wie der würdige, verehrte Don Augustin. Aber Ihr müßt den Schwachheiten und Angewöhnungen eines Soldaten etwas nachsehen. Nun laßt uns gehen und diesen trefflichen Vater sehen?«

»Noch nicht,« sagte die Braut, und wand sich sanft aus seinem Arm, den er um ihre schlanke Gestalt geworfen, als er sie wegzog. »Ich habe noch eine Pflicht zu erfüllen, ehe ich so vorbehaltlos Euern Befehlen mich unterwerfen kann, möcht Ihr auch Soldat sein. Ich versprach der würdigen Inesella, meiner treuen Amme, ihr, die wie Ihr gehört, so lange mir Mutter gewesen ist; Middleton, ich versprach ihr einen Besuch zu dieser Stunde; es ist der letzte, wie sie meint, den sie von ihrem Kind empfangen kann, und ich werde sie nicht vergebens warten lassen. Geht Ihr dann zu Don Augustin, und in einer kleinen Stunde werde ich Euch dort treffen.«

»Erinnert Euch, nur eine Stunde!«

»Eine Stunde,« wiederholte Inez, und warf ihm einen Kuß zu; dann erröthend, als sei sie über ihre Kühnheit beschämt, schoß sie von dem Gesträuch weg, und ward für einen Augenblick nach der Hütte ihrer Amme hineilen gesehen, in welcher sie in der nächsten Minute verschwand.

Middleton kehrte langsam und gedankenvoll nach dem Hause zurück, oft seine Augen nach der Seite richtend, wo er sein Weib zum letzten Mal gesehen, als wollte er gerne ihre liebliche Gestalt in dem Dunkel des Abends auffinden, wo sie ihm noch in dem freien Raum hinzuschweben schien. Don Augustin empfing ihn mit Wärme, und vergnügte sich einige Zeit lang, sich von seinem neuen Schwiegersohne Pläne für die Zukunft vorlegen zu lassen.

Der alte spanische Zuhörer lauschte auf seine blühende, aber treue Beschreibung des Wohlstandes und Glückes jener Staaten, von denen er ein halbes Leben lang ein unwissender Nachbar gewesen war, theils mit jener Art Unglauben, womit man das anhört, was man für übertriebene Beschreibung zu parteiischer Freundschaft hält.

Auf diese Art ging die Stunde, welche sich Inez ausbedungen, viel früher vorüber, als ihr Gemahl in ihrer Abwesenheit hatte für möglich halten können. Endlich richteten sich seine Blicke auf die Uhr, und dann wurden die Minuten gezählt, wie eine nach der andern verrann, und Inez erschien noch nicht. Der Zeiger hatte schon die Hälfte eines andern Umlaufs um das Zifferblatt zurückgelegt, als Middleton aufstand und seinen Entschluß erklärte, zu gehen und sich zum Schützer der Abwesenden anzubieten. Er fand die Nacht dunkel, und den Himmel mit drohenden Dünsten bedeckt, was in jenem Clima der untrügliche Vorläufer eines Sturms war. Getrieben, eben so sehr durch den unheilvollen Anblick der Luft, als durch seine geheime Unruhe, beeilte er seine Schritte, stürzte auf Inesella’s Hütte zu. Zwanzigmal blieb er stehen, glaubte einen Strahl von Inez reizender Gestalt aufzufangen, wie sie auf ihrem Rückweg zum Herrenhaus hinschwebte, und ward eben so oft genöthigt, getäuscht seinen Weg wieder aufzunehmen. Er erreichte die Thür der Hütte, klopfte, öffnete, trat ein und stand selbst vor der bejahrten Amme, ohne auf die zu treffen, die er suchte. Sie hatte schon das Haus verlassen, war schon zu ihrem Vater zurückgekehrt. In der Meinung, er habe sie in der Dunkelheit verfehlt, ging Middleton zurück, um nochmals in seiner Erwartung sich getäuscht zu sehen. Man hatte nichts von Inez vernommen. Ohne seine Absicht irgend Jemand mitzutheilen, ging der Bräutigam mit klopfendem Herzen nach dem kleinen abgelegenen Gebüsch, wo er seine Braut jene Gebete für sein Glück und seine Bekehrung zum Himmel hatte hinaufschicken hören. Auch hier täuschte ihn seine Hoffnung, und nun gerieth er außer sich in der peinvollen Ungewißheit des Zweifels und der Vermuthung.

Mehrere Stunden lang vermochte ein geheimer Verdacht in die Beweggründe seines Weibes Middleton, in seinem Forschen mit Zartheit und Vorsicht vorzuschreiten. Aber als der Tag dämmerte, ohne sie in die Arme ihres Vaters oder Gemahls zurückzubringen, ward jeder Rückhalt bei Seite gelegt, und ihr unerklärliches Verschwinden laut bekannt gemacht. Die Nachforschungen nach der verlorenen Inez geschahen jetzt ohne Umschweife und offen, aber sie zeigten sich gleich fruchtlos.

Niemand hatte sie gesehen oder von ihr gehört, seit sie die Hütte der Amme verlassen.

Ein Tag ging nach dem andern vorüber und noch belohnte keine Nachricht das Nachforschen, das sogleich angestellt worden, bis sie endlich von den meisten ihrer Verwandten und Freunde als unwiederbringlich verloren aufgegeben ward. Eine so außerordentliche Begebenheit ward nicht so bald vergessen. Sie reizte den Erwerbgeist, gab Veranlassung zu einer Fluth von Gerüchten und zu nicht wenig Vermuthungen. Die vorherrschende Meinung unter solchen Auswanderern, die das Land überströmten, und welche bei der Menge ihrer Geschäfte noch Zeit hatten, an fremden Kummer zu denken, war der einfache und unmittelbare Schluß, daß das Verschwinden der Braut nichts mehr und nichts weniger als ein Selbstmord sei. Vater Ignatius hatte manche Zweifel und viele geheime Gewissensunruhe, aber gleich einem weisen Befehlshaber bemühte er sich, den betrübenden Vorfall zu einigem Vortheil in dem bevorstehenden Glaubenskampf zu wenden. Er richtete die Batterie anders und lispelte einigen seiner ältesten Pfarrkinder in die Ohren, er habe sich über den Zustand von Middletons Herz getäuscht, welches, wie er jetzt zu glauben genöthigt wäre, gänzlich in den Schmutz der Ketzerei versunken sei. Er fing wieder an seine Reliquien zu zeigen, und man hörte ihn selbst wieder auf den zarten und fast vergessenen Punct der neuesten Wunden anspielen. In Folge dieser Bemerkungen des ehrwürdigen Priesters, vernahm man ein Wispern unter den Gläubigen, und endlich ward es als ein Theil des Kirchenglaubens aufgenommen, Inez sei gen Himmel aufgehoben worden.

Don Augustin besaß alles Gefühl des Vaters; aber es ward durch die Laßheit der Creolen eingeschläfert. Gleich seinem geistlichen Vormund begann er zu meinen, es sei unrecht gewesen, ein so reines, junges, liebenswürdiges und vor allem so frommes Wesen den Armen eines Ketzers zu überliefern, und er glaubte gern, das Unglück, das sein Alter befallen, sei ein Strafgericht seiner Anmaßung und seines Mangels an Anhänglichkeit, an die festgesetzten Formen. Er fand freilich, als das Lispeln der Congregation zu seinen Ohren drang, für den Augenblick Trost in ihrem Glauben; aber dann war doch die Natur zu mächtig und hielt fest des alten Mannes Herz, um nicht dem rebellischen Gedanken Eingang zu verschaffen, der Eintritt seiner Tochter in das himmlische Erbe sei ein wenig zu frühzeitig.

Aber Middleton, der Liebende, der Gemahl, der Bräutigam, Middleton war fast zerschmettert von der Stärke dieses unerwarteten furchtbaren Schlags. Erzogen unter der Herrschaft des einfachen vernünftigen Glaubens, worin nichts von den Gläubigen zu verbergen gesucht wird, konnte er keine andern Besorgnisse für Inezens Schicksal hegen, als solche, wie seine Kenntniß vor den abergläubischen Begriffen in ihm erregte, die sich Inez von seiner Kirche machte. Es ist unnöthig, sich über den Schmerz auszulassen, den er empfand, oder all die verschiedenen Vermuthungen, Hoffnungen und Täuschungen aufzuzählen, die er während den ersten Wochen seines Unglücks erfahren sollte. Ein eifersüchtiger Verdacht in Inezens Beweggründe und eine geheime glimmende Hoffnung, er werde sie noch wieder finden hatten seine Untersuchungen gemäßigt, ohne jedoch zu bewirken, daß er sie ganz aufgab. Aber die Zeit fing an, ihn selbst des betrübenden Trostes zu berauben, daß er vorsätzlich, wiewohl vielleicht vorübergehend verlassen worden, und er gab allmählig der peinvolleren Ueberzeugung nach, sie sei todt, als seine Hoffnungen plötzlich von neuem und auf seltsame Weise wieder auflebten.

Der junge Befehlshaber kehrte langsam und trübselig von einer Abendparade in sein Quartier zurück, das in einiger Entfernung von dem Lager war, aber auf derselben Erhöhung stand, als seine herumstreifenden Augen auf die Gestalt eines Mannes fielen, die nach den Vorschriften des Ortes zu dieser verbotenen Stunde nicht hätte da sein sollen. Der Unbekannte trug schlechte Kleidung und seine ganze Gestalt und sein Antlitz verriethen die schmutzigste Armuth und die liederlichsten Sitten. Kummer hatte den militärischen Stolz Middletons gemildert, und als er an der niedergebeugten Gestalt des Eingedrungenen vorüber schritt, sagte er in einem Ton großer Milde, oder vielmehr Güte:

»Ihr werdet die Nacht auf der Wache zubringen, Freund, wenn Euch die Patrouille hier findet; – da ist ein Thaler, geht, sucht Euch ein besseres Nachtquartier und etwas zu essen!«

»Ich verschlinge all mein Essen, ohne zu kauen,« entgegnete der Herumstreicher mit der gemeinen Freude eines vollkommenen Taugenichts, während er begierig nach dem Silber griff. »Gebt für diesen Mexikaner zwanzig und ich will Euch ein Geheimniß verkaufen!«

»Geht, geht,« erwiederte der Andere mit etwas von seiner Soldatenstrenge, und nahm seine frühere Weise wieder an; »geht, ehe ich die Wache Euch ergreifen lasse.«

»Gut, mag sein; aber wenn ich gehe, Capitain, nehme ich mein Geheimniß mit mir, und dann mögt Ihr ein gebannter Wittwer bleiben, bis der Zapfenstreich Eures Lebens geschlagen wird.«

»Was meinst du, Bursche?« rief Middleton und wandte sich schnell nach dem Wicht, der seine morschen Knochen schon wegschleppte.

»Ich meine, ich will mir den Thaler in spanischen Branntwein umsetzen lassen und dann zurückkommen und Euch mein Geheimniß theuer genug verkaufen, um dafür ein ganzes Quart zu bekommen.«

»Wenn Ihr etwas zu sagen habt, sagt es jetzt,« fuhr Middleton fort, und unterdrückte kaum die Ungeduld, die ihn trieb, sein Inneres zu verrathen.

»Ich bin trocken und kann nie mit Anstand reden‘, wenn meine Kehle staubig ist, Capitain. Wie viel wollt Ihr geben, wenn Ihr erfahrt, was ich Euch sagen kann; laßt es etwas Hübsches sein, so etwas, wie es ein Mann dem andern anbieten kann.«

»Ich glaube, es würde bessere Rechtspflege sein, Bursche, wenn ich dem Tambour befähle, Euch einen Besuch zu machen.«

»Worauf bezieht sich Euer so gerühmtes Geheimniß?«

»Auf die Hochzeit, ein Weib oder kein Weib! Ein schönes Gesichtchen, eine reiche Braut! Sprech ich jetzt deutlich, Capitain?«

»Wenn Ihr etwas von meinem Weib wißt, sagt es nur gleich; Ihr braucht wegen Eurer Belohnung nicht zu fürchten.«

»Ei, Capitain, ich habe manchen Handel in meinem Leben gemacht; manchmal bin ich mit Geld, manchmal mit Versprechungen bezahlt worden. Das letzte nenn‘ ich faule Nahrung.«

»Sagt denn den Preis!«

»Zwanzig, – nein, verd– mich, es ist dreißig Thaler werth, ja hundert.«

»Nun, da habt Ihr Euer Geld; aber erinnert Euch, wenn Ihr mir nichts Wichtiges sagt, kann ich’s Euch leicht wieder nehmen, und Eure Freiheit noch obendrein bestrafen.«

Der Bursche untersuchte die Banknoten, die er empfangen, mit mißtrauischem Auge und steckte sie dann, wie es schien, wohl zufrieden mit ihrer Aechtheit, ein.

»Ich liebe die nördlichen Banknoten,« sagte er kalt; »sie haben, wie ich, noch die Ehre zu verlieren. Fürchtet nicht Capitain, ich bin ein ehrlicher Mann, und werde Euch kein Wort mehr und kein Wort weniger sagen, als wahr ist.«

»So fangt denn ohne Weiteres an; oder es möchte mich reuen, und ich Euch all Euren Erwerb, Silber und Noten wieder nehmen lassen.«

»Ehre, und wenn Ihr dafür sterben müßt!« entgegnete der Taugenichts, und hielt die Hand empor in erdichtetem Schrecken über so schwere Drohung. »Nun Capitain, Ihr müßt wissen, daß ehrliche Leute nicht alle von demselben Gewerb leben, einige behalten, was sie haben, andere erwerben, was sie können.«

»Ihr seid ein Dieb gewesen.«

»Ich mag nicht das Wort. Ich bin ein Menschenjäger gewesen; wisst Ihr was das heißt? Ei, es hat viele Bedeutungen. Manche meinen, die wolligen Köpfe wären unglücklich, weil sie auf heißen Plantagen unter brennender Sonne arbeiten müssen, andere Unbequemlichkeiten nicht zu gedenken. Nun, Capitain, ich bin zu meiner Zeit ein Mann gewesen, der ihnen wenigstens die Annehmlichkeit der Abwechslung verschaffen wollte, indem er ihnen den Aufenthalt veränderte. Ihr versteht mich?«

»Ihr seid, gerade heraus, ein Menschenverkäufer – –«

»Gewesen, mein guter Capitain, gewesen; aber jetzt gerade ein wenig zurückgekommen, wie ein Kaufmann, der aufhört Tabak centnerweise zu verkaufen und den Handel pfundweis fortsetzt. Ich bin auch meiner Zeit Soldat gewesen. Was man das große Geheimniß unseres Standes nennt, nun, könnt Ihr mir das sagen?«

»Weiß nicht!« sagte Middelton, der anfing, des Schelmen Späße überdrüssig zu werden; »Muth?«

»Nein, Beine, – Beine, damit zu fechten, und Beine, darauf fortzulaufen, und darin kamen, wie Ihr seht, meine beiden Berufsarten überein. Meine Beine sind gerade jetzt keine von den besten, und ohne Beine würde ein Seelenverkäufer einen unvortheilhaften Handel treiben, und es sind Leute genug da, die besser damit versehen sind, als ich.«

»Sie geraubt!« erdröhnte der von Entsetzen niedergeschmetterte Gatte.

»Auf ihrem Weg, so gewiß als Ihr hier steht.« »Schurke, welchen Grund hast du, so etwas Empörendes zu glauben?«

»Laßt die Hand weg, die Hand weg; meint Ihr, meine Zunge werde ihre Pflicht besser thun, wenn Ihr mir die Kehle ein wenig kitzeltet! Habt Geduld und Ihr sollt Alles erfahren; aber wenn Ihr mich wieder so unhonnet behandelt, dann werde ich den Beistand der Gesetzleute anrufen müssen.«

»So sprecht denn; aber wenn Ihr ein einziges Wort mehr oder weniger als die Wahrheit vorbringt, dann erwartet meine alsbaldige Rache!«

»Seid Ihr Thor genug zu glauben, daß ein Schelm wie ich, Euch etwas sagen würde, dessen Wahrscheinlichkeit ihm nicht den Rücken freihielte. Nein, das seid Ihr gewiß nicht; deßwegen will ich Euch meine Beweise und meine Meinung darlegen, und dann mögt Ihr daran kauen, während ich gehe und von Eurem Edelmuth trinke. Ich kenne einen gewissen Abiram White. Ich glaube, der Schurke nahm den Namen an, um dadurch seine Feindschaft gegen die Race der Schwarzen anzudeuten.

Aber dieser Herr ist jetzt und war’s seit Jahren, wie ich gewiß weiß, ein förmlicher Uebersetzer der Menschheit von einem Staat in den andern. Ich hab‘ zu meiner Zeit mit ihm zu thun gehabt, und ein betrügerischer Hund ist es! Er hat nicht mehr Ehre im Leibe, als ich Speise darin. – Ich sah ihn hier, in dieser Stadt hier, am Tag Eurer Hochzeit. Er war in Gesellschaft seines Weibes Bruders, und er gab vor, er sei ein Colonist auf der Jagd nach neuem Land. Es war eine volle Partie, um Geschäfte darin zu machen: sieben Söhne, jeder so groß wie Euer Sergeant mit sammt seiner Mütze. Nun, sobald ich hörte, Euer Weib sei fort, sah ich sogleich, Abiram müsse Hand an sie gelegt haben.«

»Wisst Ihr das, – kann es sein? Welchen Grund habt Ihr zu so schrecklichen Gedanken?«

»Grund genug; ich kenne Abiram White. Nun, wollt Ihr noch eine Kleinigkeit hinzufügen, gerade genug, um meine Kehle vor dem Vertrockenen zu sichern?«

»Geht, geht, Ihr seid schon vom Trunke um den Verstand gebracht, Unglücklicher, und wißt nicht, was Ihr sagt. Geht und nehmt Euch vor dem Tambour in Acht!«

»Erfahrung ist ein guter Führer!« rief der Bursche dem weggehenden Middleton nach, dann wandte er sich mit einem verschluckten Lachen, das zeigte, wie zufrieden er mit sich sei, um, und schleppte sich, so gut es gehen wollte, nach der Kneipe des Branntweinschenks.

Hundertmal dachte Middleton im Verlauf jener Nacht, die Mittheilung des Wichts verdiene Aufmerksamkeit, und eben so oft verwarf er den Gedanken als zu wild und schwärmerisch und nahm einen andern vor. Früh am folgenden Morgen nach einer unruhigen und fast schlaflosen Nacht ward er von seiner Ordonnanz aufgeweckt, die ihm rapportirte, ein Mann sei auf der Parade todt gefunden worden, nicht weit von seinem Quartier. Er warf seine Kleider an, eilte nach der Stelle und sah den Menschen, mit dem er die obige Unterhaltung gehabt, ganz in der Lage, worin er ihn zuerst gefunden. Der unglückliche Schelm war seiner Unmäßigkeit zum Opfer geworden. Diese niederbeugende Thatsache ward hinlänglich bewiesen, durch seine vorgedrungenen Augäpfel, sein aufgedunsenes Gesicht und die fast unerträglichen Gerüche, die selbst dann noch sein Leichnam aushauchte. Voll Ekel über den häßlichen Anblick wollte sich der junge Krieger wegwenden, nachdem er befohlen hatte, die Leiche wegzuschaffen, als die Haltung einer Hand des Todten ihm auffiel. Bei näherer Untersuchung fand er den Vorderfinger ausgereckt, als wolle er in den Sand schreiben, und folgende unvollendete fast unleserliche, aber doch zu entziffernde Worte: »Capitain, es ist wahr, so gewiß ich ein ehrl –«

Er war entweder gestorben, oder in Schlaf gefallen, der der Vorläufer seines Todes war, ehe er endigen konnte.

Dies vor den Andern verbergend, wiederholte Middleton seine Befehle und ging weg. Die hartnäckige Betheurung des Verstorbenen und all diese Umstände zusammen, vermochten ihn, einige geheime Nachforschungen zu machen. Er fand, daß eine Familie, die der ihm gegebenen Beschreibung entsprach, in der That gerade an dem Tag seiner Hochzeit durchgekommen war. Man verfolgte ihren Weg auf einige Strecke dem Rand des Mississippi hinab, bis sie ein Boot nahmen, und dem Flusse hinauf stiegen, bis zu seinem Zusammenfluß mit dem Missouri. Hier waren sie wie hundert Andere verschwunden, den verborgenen Reichthum des Innern erforschend.

Mit diesen Thatsachen ausgerüstet, wählte sich Middleton eine kleine Wache von seinen zuverlässigsten Leuten aus, nahm von Don Augustin Abschied, ohne ihm seine Hoffnung oder Furcht zu entdecken, erreichte die angedeutete Stelle und drang vorwärts forschend in die Wildniß. Es war nicht schwer, einen Haufen wie der Ismael’s zu verfolgen, bis er sich überzeugte, sein Ziel liege weit über den gewöhnlichen Grenzen der Colonieen hinaus. Dieser Umstand an sich schärfte seinen Verdacht und gab seinen Hoffnungen auf endlichen Erfolg neue Stärke.

Als er über den Bereich mündlicher Zurechtweisung hinaus war, nahm der angstvolle Gatte seine Zuflucht zu den gewöhnlichen Fährtezeichen, um die Flüchtlinge zu verfolgen. Auch dies fand er keine schwere Aufgabe, bis er den harten, widerstrebenden Boden der höckerichten Steppen erreichte. Hier wirklich war er gänzlich im Dunkel. Er sah sich endlich genöthigt, sein Gefolge zu vertheilen, bestimmte jedoch auf einen entfernten Tag einen Versammlungs-Ort, und bemühte sich so, die verlorene Spur aufzufinden, indem er soviel wie möglich die Zahl der Augen vervielfältigte. Er war eine Woche allein gewesen, als der Zufall ihn mit dem Streifschützen und Bienenjager zusammenbrachte. Ein Theil ihrer Unterredung ist schon erzählt worden, und der Leser kann sich leicht die Aufschlüsse denken, die auf die von ihm erzählte Geschichte folgten, und, wie wir schon gesehen haben, zur Entdeckung seiner Braut führten.

Erstes Kapitel.

Erstes Kapitel.

Ich bitt‘ dich, Schäfer, können gute Worte, Geld
In dieser Einöd‘ uns ein Unterkommen schaffen,
O führ‘ uns, daß wir ruh’n und etwas essen.

So wie es euch gefällt.

 

Viel ward zur Zeit gesprochen und geschrieben, ob es rathsam sei, die weitläufigen Landschaften von Louisiana mit dem schon unermeßlichen und nur halbbeherrschten Gebiet der Vereinigten Staaten zu verbinden. Als jedoch die Hitze des Streits nachgelassen, und eigennützige Betrachtungen freieren Ansichten Raum gegeben, wurde die Weisheit der Maßregel allgemein anerkannt. Es ward bald auch dem geringsten Scharfsinn einleuchtend, daß während die Natur unserer Ausdehnung nach Westen durch Wüsten Schranken gesetzt, diese Maßregel uns zu Herrn eines fruchtbaren Landstrichs gemacht hatte, welcher bei den täglichen Umwälzungen leicht Eigenthum einer eifersüchtigen Nation hätte werden können. Sie gab uns die ausschließliche Herrschaft über den inländischen Verkehr, und brachte die zahllosen Stämme, welche an unsern Grenzen lagerten, in gänzliche Abhängigkeit von uns; sie einigte widerstreitende Rechte und schwichtigte manche Furcht des Staats; sie öffnete tausend Wege dem Binnenhandel und der Schifffahrt auf dem stillen Meer; und wenn je Zeit oder Nothwendigkeit eine friedliche Theilung dieses ungeheueren Reichs erheischen sollte, sichert sie uns einen Nachbar, der Sprache, der Religion, Verfassung und man darf es hoffen, denselben Sinn für Staatsrechtspflege mit uns gemein hätte.

Obgleich der Kauf schon 1803 gemacht worden, kam doch der Frühling des folgenden Jahrs heran, ehe die Amtsbedächtigkeit des Spaniers, der diese Provinz für seinen Herrn in Europa verwaltete, die Autorität und Besitznahme der neuen Eigenthümer anerkannte. Aber den Formen der Uebergabe war nicht sobald Genüge geschehen, und die neue Herrschaft anerkannt, als Schwärme des rastlosen Volks, das sich immer an den Grenzen der amerikanischen Staatengesellschaft herumtreibt, sich in das Dickicht stürzten, welches das rechte Ufer des Mississippi umsäumte, – mit derselben sorglosen Kühnheit, die schon so viele von ihnen, in ihrer mühsamen Wanderung von den atlantischen Staaten nach den Ostküsten des »Vaters der Ströme« geleitet hatte.

Zeit konnte allein die zahlreichen und begüterten Colonisten der untern Provinz mit ihren neuen Landsleuten verschmelzen; aber die spärlichere und ärmere Bevölkerung oben ward fast alsbald in dem Strudel bei der Fluth drängender Wanderung mit fortgerissen. Dieser Einfall von Osten war ein neuer und plötzlicher Ausbruch eines Volkes, das vorübergehenden Zwang geduldet, nachdem es sich vorher durch Siege unwiderstehlich gemacht. Die Mühen und Unglücksfälle bei ihren früheren Unternehmungen waren vergessen, als diese endlosen und unerforschten Landschaften, mit all ihren wirklichen oder eingebildeten Vortheilen ihrem unternehmenden Geiste offen hingelegt wurden. Die Folgen waren so, wie sie leicht hätten vorausgesehen werden können, als ein so verführerisches Anerbieten einer Völkerschaft vorgehalten ward, die in Abenteuern auferzogen, in Mühseligkeiten aufgewachsen war.

Tausende von denen, die schon lange das, was damals »die neuen Staaten« genannt ward, bewohnt hatten, brachen auf, entrissen sich dem Genuß ihrer schwer erlangten Ruhe und zeigten sich an der Spitze langer Reihen von Abkömmlingen, die die Wildniß von Ohio und Kentucky geboren und auferzogen hatte, – zogen tiefer in’s Land, suchten, was ohne dichterische Ausschmückung ihre natürliche und angemessenere Atmosphäre genannt werden kann. Der ausgezeichnete und entschlossene Waldmann, der zuerst die Wildnisse des letztern Staates durchdrang, war unter ihnen. Diesen unerschrockenen, ehrwürdigen Stammvater sah man jetzt seinen letzten Rückzug machen, den »endlosen Strom« zwischen sich und die Menge setzen, die sein Erfolg um ihn gesammelt und nach Wiedererlangung eines Glückes streben, das, durch menschliche Einrichtungen eingeengt, für ihn werthlos war.

Bei dem Aussuchen solcher Abenteuer werden die Wanderer entweder von ihren früheren Gewohnheiten beherrscht oder von ihren geheimen Wünschen bethört. Einige wenige, von den Luftgebilden der Hoffnung geleitet, und gierig nach schnell zu erlangendem Reichthum, durchwühlten die Minen des jungen Landes, aber bei weitem der größere Theil der Ausgewanderten begnügte sich damit, sich an den Ufern der großen Wasser anzusiedeln, zufrieden mit der reichen Ausbeute, welche der dankbare angeschwemmte Boden der Ströme auch dem lässigsten Anbau nie verweigert. Auf diese Weise bildeten sich wie durch einen Zauber schnell Gemeinden, und die meisten von denen, welche Zeugen des Ankaufs des leeren Landes gewesen, sahen noch einen volkreichen, unabhängigen Staat sich bilden, abgesondert sich darstellen und seine Aufnahme in die Conföderation mit gleichen politischen Rechten bewerkstelligen.

Die Vorfälle und Auftritte, welche mit unserer gegenwärtigen Erzählung verknüpft sind, ereigneten sich in den ersten Zeiten der Unternehmungen, welche zu einem so schnellen und großen Ergebniß geführt haben. –

Die Ernte des ersten Jahres unseres Besitzes war längst vorüber, und die falben Blätter weniger zerstreut stehender Bäume zeigten schon die Farben und Schattirungen des Herbstes, als eine Reihe von Wagen aus dem Bette eines trockenen Baches hervorkam, um über die wellenförmige Oberfläche einer höckerigen Steppe ihren Zug fortzusetzen. Die Fuhrwerke, mit Hausgeräth und Werkzeugen des Ackerbaus beladen, die wenigen langsam sich fortschleppenden Schafe und Kühe, welche den Nachzug bildeten; das struppige Aussehen, die sorglose Miene der Männer, welche an der Seite ihrer saumseligen Gespanne hinschlenderten, – alles dies zusammengenommen zeigte, daß eine Bande Auswanderer auf dem Weg nach dem Eldorado ihrer Wünsche begriffen sei. Ganz dem gewöhnlichen Verfahren ihrer Kaste zuwider, hatte diese Rotte den fruchtbaren Boden des Unterlandes verlassen und durch Mittel, die nur solchen Abenteurern bekannt sind, ihren Weg durch Abgründe und Gießbäche, über tiefe Moräste und brennende Wüsten zu einer Gegend gefunden, die sich weit über die Grenzen menschlicher Wohnungen erhebt. Vor ihnen breiteten sich die weiten Ebenen aus, welche mit so wenig Abwechselung bis zum Fuß der Felsgebirge fortlausen, und viele traurige Meilen hinter ihnen schäumten die stürmischen, wilden Wasser des La Plata.

Die Erscheinung eines solchen Zugs in diesen nackten, einsamen Gründen ward dadurch noch auffallender, daß die Landschaft ringsum so wenig darbot, was die Lust eines unternehmenden Geistes reizen, und, wo möglich, noch weniger, was den Hoffnungen eines gewöhnlichen Auswanderers schmeicheln konnte. Die magern Gräser der Steppe sprachen nicht zu Gunsten eines harten, widerspenstigen Bodens, über welchen die Räder der Fuhrwerke so leicht hinrollten, als ob sie auf planer Heerstraße führen; weder Wagen noch Thiere ließen eine tiefere Spur hinter sich, als daß sie das welke, verbrannte Gras leicht zeichneten, das vom Vieh manchmal abgerissen, aber eben so oft wieder weggeworfen ward, – zu saueres Futter, als daß selbst ihr Hunger es ihnen hätte genießbar machen können.

Welches aber immer das letzte Ziel dieser Abenteurer sein mochte, oder die verborgenen Ursachen ihrer scheinbaren Ruhe in einer so entfernten, verlassenen Lage, kein Zeichen von Furcht oder Kummer verrieth Gesicht und Haltung auch nur eines einzigen von ihnen, Weiber und Kinder mit einbegriffen waren ihrer über zwanzig.

Etwas voran, an der Spitze des Ganzen zog ein Mann, der nach Haltung und Aeußerem der Führer der Schaar schien; er war schlank, von der Sonne verbrannt; über das mittlere Alter hinaus; sein stumpfes Ansehen, sein ausdrucksloses Gesicht zeigte eher alles andere als Reue über das Vergangene, aber Angst wegen der Zukunft. Sein Bau schien schlaff und hinfällig, war aber derb und ungewöhnlich stark! doch für Augenblicke nur, wenn ein unbedeutendes Hinderniß sich ihrem Zug entgegenstellte, entwickelte seine Gestalt, welche sonst so schmächtig und nervlos schien, etwas von der Kraft, die in seinem Organismus verborgen lag, wie die schlummernde, unbehülfliche, aber furchtbare Stärke im Belehnten. Die untern Züge seines Gesichts waren roh, breit und unbezeichnend, die obern, oder die edleren Theile, welche Ausdruck der Seele sein sollen, niedrig, zurücktretend und gemein.

Die Kleidung dieses Mannes bestand aus den groben Stücken eines Landmanns und den ledernen Bekleidungen, welche Sitte sowohl als Brauchbarkeit einem, auf solchen Zügen begriffenen Wanderer gewissermaßen nöthig gemacht hatte. Ueber diesen Anzug war übelgewählter Schmuck, ohne Geschmack reichlich angehängt. Statt des gewöhnlichen hirschledernen Gürtels trug er um den Leib eine verblichene seidene Schärpe, von den schillerndsten Farben; der hörnerne Griff eines Messers war verschwenderisch mit Silberplättchen belegt, der Pelz an seiner Mütze so fein und zart, daß eine Königin darnach hätte verlangen mögen; die Knöpfe seines groben, schmutzigen, wollenen Rocks waren von dem kostbaren Metall aus Mexiko; der Schaft seiner Flinte bestand aus schönem Mahagony, das durch eben solches Metall zusammengehalten und vereinigt ward. Zierrath und anderer Tand hing an drei werthlosen Uhren an verschiedenen Stellen an ihm herab. Außer dem Ranzen und Gewehr, welche, mit der wohlgefüllten Tasche und Pulverbüchse, sorgfältig verwahrt, um den Rücken geschlungen waren, hatte er nachlässig eine scharfe, blanke Holzart um die Schulter geworfen und trug das Gewicht des Ganzen mit soviel anscheinender Leichtigkeit, als ob er, die Glieder frei, ohne die geringste Last sich bewege.

Wenig hinter ihm kam ein Trupp junger Leute, von fast ganz gleicher Kleidung, die sich unter einander und ihrem Führer ähnlich genug waren, um sie für Kinder einer Familie zu halten. Konnte auch der jüngste von ihnen nicht weit über die Periode hinaus sein, welche im strengen Gesetzesstyl die Zeit des Verstandes genannt wird, so hatte er sich doch schon in so weit der Vorfahren würdig gezeigt, daß er seine anstrebende Figur bis zur Musterhöhe seines Stammes hinaufgebracht. Ein oder zwei andere waren noch unter ihnen, von etwas verschiedener Gestalt, deren Beschreibung jedoch dem Lauf der Erzählung aufbehalten werden muß.

Unter dem weiblichen Theil des Zuges fanden sich nur zwei, welche erwachsen waren, obgleich verschiedene weißgelockte, olivenfarbige Gesichtchen, die Augen voll Neugier und Leben, aus dem vordersten Wagen von Zeit zu Zeit hervortauchten. Die ältere von den zwei Erwachsenen war die bräunliche, alternde Mutter der meisten von ihnen, – die jüngere ein lebhaftes, tätiges Mädchen von achtzehn Jahren, das nach Gestalt, Kleidung und Miene einem um mehrere Stufen höherem Stande als alle ihre übrigen sichtbaren Gefährten anzugehören schien. Das zweite Fuhrwerk war mit einem Tuch so sorgfältig überspannt, daß es auch dem schärfsten Blick seinen Inhalt verbarg. Die übrigen Wagen waren nur mit solchen Gerätschaften und Effecten beladen, wie sie der zu besitzen pflegt, der in jedem Augenblick, ohne Rücksicht auf Jahreszeit und Entfernung, seinen Aufenthalt zu wechseln bereit ist.

Es fand sich wohl in diesem Zug und im Aeußern der Wanderer schon etwas, was man nicht täglich auf den Heerstraßen unseres veränderlichen und unsteten Landes zu sehen Gelegenheit hat. Aber der einsame und ganz eigene Schauplatz, auf dem sie so unerwartet auftraten, gab ihnen einen grellen Anstrich von Wildheit und Abenteuerlichkeit.

In den kleinen Thälern, welche bei der geregelten Bildung des Landes auf jeder Meile ihres Zuges sich zeigten, ward die Aussicht auf zwei Seiten von den allmächtig sich erhebenden unbedeutenden Anhöhen begrenzt, wovon die Art Steppen, die wir oben erwähnt, ihren Namen haben, während von den andern Seiten die Aussicht über lange, enge, dürre Fernen sich verbreitete, welche nur kärglich durch eine armselige Bekleidung mit einer struppigen, wiewohl manchmal üppigen Vegetation, sich aufzuputzen strebten. Von den Gipfeln dieser Anhöhen mochte das Auge nach allen Seiten sich richten, es ermüdete bei der Einförmigkeit und betrübenden Traurigkeit der Landschaft. Die Erde war dem Ocean nicht unähnlich, wenn seine rastlosen Wasser sich nur noch mit Mühe aufthürmen, nachdem die Kraft und Wuth des Sturmes angefangen sich zu mindern. Hier dieselbe wellenförmige, geregelte Fläche, dieselbe Abwesenheit aller fremdartigen Gegenstände, dieselbe grenzenlose Aussicht. In der That so auffallend war die Ähnlichkeit zwischen Wasser und Land, daß, mag auch der Geologe bei einer so einfachen Lehre lächeln, ein Dichter nothwendig hätte auf den Gedanken kommen müssen, die Bildung des einen sei nur durch die aufgehobene Herrschaft des andern vor sich gegangen. Hier und da ragte ein hoher Baum hervor und breitete seine nackten Aeste aus –, wie ein einsames Schiff; ja, um die Täuschung noch zu erhöhen, erschienen weit in der äußersten Entfernung zwei bis drei kreisförmige Dickichte, die im nebelichten Horizont wie Eilande im Schooße der Wasser schwammen. Man braucht den kundigen Leser nicht erst zu erinnern, daß die Einförmigkeit der Fläche, und der niedrige Standpunkt der Schauenden die Entfernungen vergrößerten, aber da immer noch Anhöhe auf Anhöhe erschien, Eiland auf Eiland sich zeigte, war dies eine entmuthigende Gewißheit, daß lange und scheinbar grenzenlose Landstriche noch zurückzulegen seien, ehe die Wünsche auch der bescheidensten Landbauer verwirklicht werden könnten.

Noch setzte der Führer der Auswanderer, nur von der Sonne geleitet, seinen Weg standhaft fort, wandte entschlossen den Wohnungen der Bildung den Rücken, und verwickelte sich mit jedem Schritt immer tiefer, wenn nicht ohne Rückkehr, in die Wohnungen der barbarischen, wilden Besitzer des Landes. Als aber der Tag sich immer mehr zu seinem Ende neigte, ward sein Gemüth, das vielleicht unfähig war, weiter zu berechnen und vorauszusehen, als was der Augenblick erheischte, in etwas durch die Sorge beunruhigt, wie er für die Bedürfnisse der kommenden Stunden der Finsterniß Rath schaffe.

Als er die Spitze einer Anhöhe, die etwas ansehnlicher als die gewöhnlichen war, erreicht hatte, stand er einen Augenblick, und warf die Blicke halb sehnsüchtig noch allen Seiten, um nach den wohlbekannten Zeichen zu spähen, welche eine Stelle verrathen könnten, wo die drei großen Erfordernisse, Wasser, Holz und Futter anzutreffen wären.

Es schien, als wenn dies Forschen fruchtlos gewesen, denn nach einigen Augenblicken kalter, gleichgültiger Untersuchung stieg seine hohe Gestalt die Anhöhe hinab, eben so lässig, wie ein überfüttertes Thier dem Drucke nach unten nachgibt.

Seinem Beispiel folgten schweigend, die hinter ihm gingen, aber erst nachdem sie mehr Aufmerksamkeit, wenn nicht Besorgniß, bei der kurzen Untersuchung verrathen, die jeder nach der Reihe anstellte, als er diesen Punkt der Aussicht erreicht. Es war jetzt aus dem langsamen Fortbewegen der Thiere und Menschen deutlich zu vermuthen, daß die Zeit der nöthigen Ruhe nicht mehr ferne sei. Die verwickelten Gräser des untern Landes boten Schwierigkeiten dar, welche Ermüdung gefährlich zu machen begann. Die Peitsche war mehrmals nöthig geworden, die zögernden Gespanne zum Ziehen anzutreiben. In diesem Augenblick, wo mit Ausnahme der Hauptperson allgemeine Ermüdung sich der Reisenden bemächtigt hatte, und jedes Auge, wie durch einen Trieb, sehnsuchtsvoll vorwärts gerichtet war, ward der ganze Trupp durch ein eben so plötzliches als unerwartetes Ereigniß zum Stehen gebracht.

Die Sonne war hinter dem Gipfel des nächsten Hügels hinabgesunken, und ließ auf ihrer Spur, wie sie pflegt, einen hellglänzenden Streifen zurück. In der Mitte dieser Lichtfluth erschien eine menschliche Gestalt, so deutlich auf den goldnen Grund hingegossen, als ob man sie mit der Hand erreichen könnte. Die Gestalt war colossal, die Stellung nachdenkend, traurig; und der Ort, den sie einnahm, gerade auf dem Weg der Reisenden. Aber eingehüllt in ihr glänzendes Lichtgewand, machte sie es unmöglich, mehr über die Verhältnisse der Glieder, über ihren Ausdruck zu entdecken.

Die Wirkung eines solchen Schauspiels war augenblicklich und ergreifend. Der Mann an der Spitze machte Halt und schaute nach dem geheimnißvollen Wesen mit einem stumpfen Antheil, der bald in eine Art abergläubischer Verehrung überging; seine Söhne stellten sich, sobald die erste Bewegung der Ueberraschung ein wenig nachgelassen, leise um ihn, und da diejenigen, welche die Gespanne führten, nach und nach ihrem Beispiel folgten, war der ganze Zug bald in eine schweigende, staunende Gruppe gesammelt. Aber obgleich der Eindruck einer übernatürlichen Macht sehr allgemein unter den Ziehenden war, wurde doch Waffengeräusch gehört, und einer oder zwei der kühnem Jünglinge nahmen ihre Gewehre vor, um zu jedem Dienst bereit zu sein.

»Schick die Jungen rechts,« rief das entschlossene Weib, die Mutter, mit einer scharfen, mißtönenden Stimme, »ich wette, Asa oder Abner werden uns nähere Auskunft über das Ding geben.«

»Es mag gut sein, die Flinte zu versuchen,« murmelte ein finsterer Mann, dessen Züge in Gestalt und Ausdruck keine geringe Aehnlichkeit mit dem Weibe hatten, das zuerst gesprochen, und der jetzt, während er diese entschlossene Meinung aussprach, das Gewehr los machte, und es geschickt an die Wangen brachte, »die Wolf-Pawnee, sagt man, jagen nur zu Hunderten in der Ebene, ists so, so werden sie einen Mann aus ihrem Stamm nicht vermissen.«

»Halt!« rief mit sanftem Ton, aber von Furcht geängstet eine weibliche Stimme, die augenscheinlich den zitternden Lippen der jüngeren der beiden Frauen angehörte, »wir sind nicht all beisammen, es könnt‘ ein Freund sein.«

»Wer rührt sich da?« fragte der Vater, und maß zu gleicher Zeit den Haufen seiner stattlichen Söhne mit einem unwilligen, trüben Auge. »Weg mit der Flinte, die Flinte weg,« fuhr er fort, und wies des andern Hülfe mit einem Riesenfinger zurück, mit dem Blick eines Menschen, dem nicht zu gehorchen gefährlich sein möchte. »Mein Werk ist noch nicht zu Ende, laßt mich das Uebrige, es ist so wenig, in Frieden beschließen.«

Der Mann, welcher eine so feindliche Absicht gezeigt, schien den andern zu verstehen, und ließ sich von seinem Vorhaben abwenden. Die Söhne richteten ihre Blicke fragend auf das Mädchen, das so eifrig gesprochen, um Ausklärung zu erhalten; aber sie, gleichsam zufrieden, für den Unbekannten Aufschub erlangt zu haben, war schon wieder auf ihren Sitz herabgesunken, und hüllte sich in ihr mädchenhaftes Schweigen.

Mittlerweile hatten sich die Farben am Himmel oft geändert; an die Stelle des Glanzes, der das Auge blendete, war ein blasseres, sanfteres Licht getreten, und je mehr der Untergang seine Pracht verlor, wurden die Verhältnisse der abenteuerlichen Gestalt weniger ungeheuer und endlich ganz deutlich. Der Führer, der sich schämte, länger zu zögern, nun, da die Wahrheit nicht länger zweifelhaft war, setzte seine Reise fort, und gebrauchte nur die Vorsicht beim Herabsteigen, daß er seine eigene Flinte vom Riemen los machte, um sie in eine zum schnellen Gebrauch bequemere Lage zu bringen.

Solche Wachsamkeit schien jedoch ziemlich unnöthig. Von dem Augenblick an, wo sie so unbegreiflich gleichsam zwischen Himmel und Erde erschienen, hatte die fremde Gestalt weder die geringste Bewegung gemacht, noch sonst ein Zeichen von Feindseligkeit gegeben. Hätte sie auch eine böse Absicht gehegt, sie schien, als sie nun völlig zu Gesicht kam, wenig im Stande, sie auszuführen.

Ein Körper, der die Beschwerden von mehr als achtzig Wintern getragen, war nicht geeignet, Furcht in so kräftigen Wanderern zu wecken. Aber ungeachtet seiner Jahre und einem Anschein von Abzehrung, wo nicht von Noth, lag in diesem einsamen Wesen etwas, was aussagte, Zeit, nicht Krankheit habe zu schwer auf ihm gelastet. Seine Gestalt war geschwunden, aber nicht verwüstet; die Sehnen und Nerven, welche einst große Kraft gezeigt, waren, obgleich eingeschrumpft, doch noch sichtbar; sein ganzes Aeußere hatte ein Ansehn von Abhärtung erlangt, welche, wäre nicht zu bekannt die Hinfälligkeit der Menschheit, die fernern Verwüstungen der Zeit hätten herausfordern mögen. Seine Kleidung bestand hauptsächlich aus Fellen, das Haar nach außen gewendet; ein Ranzen und Pulverhorn hing um seine Schultern; ein Gewehr von ungewöhnlicher Länge, das wie sein Eigenthümer Spuren eines langen und harten Dienstes trug, diente ihm zur Stütze.

Als der Zug sich diesem einsamen Wesen näherte und in eine Entfernung gekommen war, wo man sich einander verstehen konnte, tönte ein dumpfes Knurren aus dem Grase zu seinen Füßen herauf, und dann erhob sich ein hoher, magerer, zahnloser Hund schwerfällig von seinem Lager auf, schüttelte sich und machte Miene, als wolle er sich der Annäherung der Wanderer widersetzen.

»Weg, Hektor, weg!« rief sein Herr mit einer vor Alter etwas zitternden, hohlen Stimme; »was hast du, Alter, mit Leuten zu schaffen, die ihres Wegs ziehen?«

»Fremder, seid Ihr bekannt in dieser Gegend?« sagte der Führer der Auswanderer, »so zeigt einem Reisenden, wo er das Nothwendige für diese Nacht finden kann.«

»Ist das Land auf der andern Seite des großen Flusses schon voll?« fragte der alte Mann feierlich, ohne auf die Rede des andern zu achten; »oder warum sehe ich, was ich nie wieder zu schauen gedachte?«

»Es ist freilich noch Land übrig für die, welche Geld haben und in ihrer Wahl nicht eigensinnig sind,« erwiederte der Auswanderer; »aber für mich ist Alles schon überfüllt. Wie weit rechnet man wohl von hier bis zum nächsten Punkt am Hauptstrom?«

»Ein gejagtes Reh könnte seine Seiten im Mississippi nicht erfrischen, ohne einen Lauf von fünfhundert langen Meilen.«

»Und wie nennt Ihr die Gegend hier ringsum?«

»Wie nennt Ihr,« erwiederte der alte Mann und zeigte bedeutungsvoll aufwärts, »die Stelle, wo Ihr jene Wolke seht?«

Der Auswanderer sah den Andern an, als ob er den Sinn der Rede nicht gefaßt und halb argwöhnte, zum Besten gehalten zu werden; aber er begnügte sich, zu sagen:

»Ihr seid, denke ich, nur ein neuer Bewohner, wie ich, Fremder, sonst würdet Ihr Euch nicht weigern, einem Wanderer mit Euerm Rath einen Beistand zu leisten, der Euch so wenig kostet, da es nur ein Geschenk in Worten ist.«

»Es ist kein Geschenk, sondern eine Schuld, die der Aeltere dem Jüngeren abtragen muß; was wünscht Ihr zu wissen?«

»Wo ich die Nacht lagern könnte. Ich mach‘ nicht viele Schwierigkeit wegen Bett und Lager; aber alle alten Wanderer, wie ich, kennen den Werth guten Wassers und Futters für’s Vieh.« »So kommt denn mit, und Ihr sollt Beides finden; doch kann ich wenig mehr auf dieser öden Steppe Euch bieten.«

Während der Alte noch sprach, hob er sein schweres Gewehr mit einer Leichtigkeit auf die Schulter, die selten bei seinen Jahren und seinem Aussehn gefunden wird, und führte sie ohne weitere Worte den Weg über die Anhöhe in die anstoßende Niederung.

Zehntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

»Geh‘ auf die Seite, Adam, und du kannst dann hören,
Wie sehr er mich bestürmen wird.«

So wie es euch gefällt.

 

Es ist bekannt, daß selbst lange vorher, ehe die unbegrenzten Landschaften von Louisiana ihren Herrn zum zweiten, und, wie man hoffen darf, zum letzten Mal vertauschten, sein ungeschütztes Gebiet gar nicht vor den Einfällen weißer Abenteurer sicher war. Die halbwilden Jäger aus den Canada, dieselbe Menschenrasse, ein wenig mehr gebildet, aus den Staaten, und die Mestizen oder Gemischten, welche zu den Weißen gezählt sein wollten, lebten unter den verschiedenen indischen Stämmen zerstreut, oder suchten in der Einöde, unter den Schlupfwinkeln der Biber und Bison, oder, um dem Landessprachgebrauch zu folgen, – der Büffel kärglichen Unterhalt.

So war es also nicht ungewöhnlich, daß Fremde einander in den endlosen Wüsten des Westen begegneten. An Zeichen, die ein ungeübtes Auge unbemerkt gelassen hatte, erkannten diese Grenzwohner, wenn einer ihrer Gefährten nahe war, und so vermieden oder suchten sie den Ankömmling, je nachdem es mit ihren Gefühlen oder Vortheilen übereinstimmte. Zum öftersten waren diese Besuche friedlich, denn die Weißen hatten einen gemeinsamen Feind in den alten und vielleicht rechtmäßigern Bewohnern des Landes zu fürchten; aber auch die Fälle waren gar nicht selten, wo Eifersucht und Gier sie trieben, sich in Ausbrüchen der größten Gewaltthätigkeit und gefühllosesten Verrätherei zu trennen. Das Begegnen zweier Jäger in der amerikanischen Wüste, wie wir manchmal diese Gegend zu nennen belieben, hatte folglich immer etwas von der verdachtvollen und vorsichtigen Art, womit zwei Schiffe in einer See zusammenkommen, von der man weiß, daß sie von Seeräubern unsicher gemacht wird. Während kein Theil durch ein Zeichen von Mißtrauen seine Schwäche verrathen will, ist auch keiner geneigt, durch ein zutrauliches Benehmen, das dann nicht so leicht wieder abgestellt wird, sich in Gefahr zu bringen.

Von dieser Art war auch gewissermaßen die gegenwärtige Zusammenkunft. Der Fremde näherte sich vorsichtig, und hielt sein Auge standhaft auf alle Bewegungen des andern Theils gerichtet, während er vorsätzlich kleine Hindernisse sich schuf, um ein Nahekommen zu verzögern, das vielleicht zu schnell sein möchte. Auf der andern Seite spielte Paul mit dem Schloß seiner Flinte, zu stolz, als daß er merken lassen sollte, drei Männer könnten die geringste Furcht vor einem einzelnen zeigen, und doch zu vorsichtig, ganz die gewöhnlichen Vorkehrungen zu versäumen. Die Hauptursache von dem auffallenden Unterschied, womit die zwei gesetzmäßigen Theilnehmer an der Mahlzeit ihre Gäste empfingen, mußte man in der gänzlichen Verschiedenheit ihres respectiven Aeußern suchen.

Während das Ansehen des Naturforschers ausgezeichnet friedlich, um nicht zu sagen, zerstreut schien, drückte das des neuen Ankömmlings eine Kraft aus, zeigte eine Stirn und einen Schritt, die man leicht für militärisch hätte halten mögen. Er trug eine Commiskappe von feinem, blauem Tuch, an der eine schmutzige goldene Quaste herabhing; die Mütze selbst verlor sich fast ganz in der Masse des reichen, lockigen, pechschwarzen Haars. Um den Hals hatte er nachlässig ein schwarzes seidenes Tuch herumgewunden; im Uebrigen war er in ein Jägergewand gekleidet, das mit gelben Franzen und andern Zierrathen besetzt war, wie man es manchmal unter den Grenztruppen der Conföderation sah. Unter diesem Kleid ward jedoch das Koller und die Umschläge einer Jacke von derselben Farbe und aus demselben Stoff, wie die Mütze, sichtbar. Seine untern Gliedern wurden durch Strümpfe von Bockleder und seine Füße durch gewöhnlichen indischen Moccasins geschützt. Ein reich geschmückter und außerordentlich gefährlicher langer Dolch steckte in einem Gürtel von roth seidener Nesselarbeit; ein anderer Gürtel oder vielmehr Bund von ungefärbtem Leder enthielt in wohlangepaßten Halftern kleine Pistolen; und um seine Schultern hatte er ein kurzes, schweres Soldatengewehr geworfen; sein Pulverhorn und seine Taschen nahmen ihre gewöhnliche Stelle zur Seite unter seinem Arm ein. Auf dem Rücken trug er einen Schnappsack, mit den wohlbekannten Anfangsbuchstaben, die der Verwaltung der Vereinten Staaten ( United States) seitdem den witzigen und lieben Namen UncIe Sam (Onkel Sam) verschafft haben.

»Ich komm‘ als Freund,« sagte der Fremde und schien zu sehr an den Anblick der Waffen gewöhnt, um sich über die lächerlich kriegerische Stellung, die Doctor Battius hatte annehmen wollen, zu entsetzen. »Ich komm‘ als Freund, dessen Streben und Wünsche mit Euren nicht in Streit gerathen werden.«

»Hört, Fremder,« sagte Paul Hover barsch, »versteht Ihr einen Schwarm von dieser offenen Stelle bis in einen Wald, entfernt vielleicht ein Dutzend Meilen zu verfolgen.«

»Die Biene ist ein Vogel, dem ich nie nachzugehen gedachte,« erwiederte der Andere lachend, »obwohl ich zu meiner Zeit auch so etwas von einem Vogeljäger war.«

»Das meint‘ ich auch,« rief Paul, und streckte offen die Hand aus, ganz mit der wahren Freimüthigkeit, die den amerikanischen Grenzwohner auszeichnet. »Gebt die Hand. Ihr und ich, wir werden uns nie um die Scheiben zanken, da Ihr Euch so wenig aus dem Honig macht. Und nun, wenn Euer Magen noch einen leeren Platz hat, und Ihr einen klaren Thautropfen, der Euch in’s Maul fällt, zu benutzen wißt, so liegt dort ein herrlicher Bissen, den Ihr hineinstecken könnt. Versucht’s, Fremder, und wenn Ihr’s versucht habt, und es nicht ein so köstliches Stückchen nennt, wie Ihr je, seit – wie lange verließt Ihr die Ansiedelungen?«

»Seit vielen Wochen, und ich fürchte, es kann noch einmal so lang dauern, bis ich wieder hinkomme. – Ich nehme übrigens Eure Einladung gerne an, denn ich habe seit Sonnenaufgang gestern gefastet und kenne zu wohl die Vortrefflichkeit eines Bisonrücken, um das Essen auszuschlagen.«

»Ah, Ihr kennt das Gericht! Nun darin hättet Ihr freilich noch vor einem Augenblick etwas vor mir vorausgehabt, wiewohl ich jetzt denken sollte, wir ständen uns gleich. Ich wär‘ in der That der glücklichste Bursche zwischen Kentucky und den Felsengebirgen, wenn ich nur eine kleine Hütte an einem alten Wald mit hohlen Bäumen hätte, so einen Bisonrücken jeden Tag zum Mittagessen, eine Last frisches Stroh für die Bienen und klein El – –«

»Klein, was?« fragte der Fremde, dem der gesprächige und offene Bienenjäger zu gefallen schien.

»Etwas, das ich eines Tags haben werde, und das Niemand so sehr betrifft als mich,« erwiederte Paul, und pickte an seinem Flintenstein, während er sehr kriegerisch ein an den Wassern des Mississippi gewöhnliches Lied pfiff.

Unter diesem einleitenden Gespräch hatte der Fremde seinen Sitz vor dem Bisonrücken eingenommen, und machte schon einen ernsthaften Angriff auf die Ueberbleibsel. Doctor Battius jedoch beobachtete seine Bewegungen mit einer Eifersucht, die noch weit auffallender, als die herzliche Aufnahme des offenen Paul war.

Aber die Zweifel oder vielmehr Besorgnisse des Naturforschers waren von ganz anderer Art, als das Zutrauen des Bienenjägers. Er hatte sich darüber erstaunt, daß der Fremde den rechten Namen statt des falschen von dem Thier gebrauchte, welches jetzt seine Mahlzeit ausmachte, und da er selbst einer der ersten gewesen war, welche die Wegräumung der Hindernisse benutzten, die die spanische Politik der Erforschung ihrer transatlantischen Besitzungen in den Weg gelegt, (mochte sie Handelsabsichten, oder, wie dies bei ihm der Fall war, die löblichern Zwecke der Wissenschaft betreffen,) so hatte er Einsicht genug, zu fühlen, daß dieselben Beweggründe, die ihn so mächtig zu seiner gegenwärtigen Unternehmung getrieben hatten, eine gleiche Wirkung auf das Gemüth anderer Freunde der Natur haben könnten. Er sah also hier eine beunruhigende Rivalität voraus, welche ganz das Aussehen hatte, als ob sie ihn wenigstens der Hälfte des gerechten Lohns seiner Arbeiten, Entsagungen und Gefahren berauben wollte. Betrachtet man seinen Charakter also von dieser Seite, so ist es gar nicht zu verwundern, wenn die Milde der Gemüthsart des Naturforschers ein wenig getrübt ward, und er das Verhalten des Andern mit der Aufmerksamkeit bewachte, die er für nöthig hielt, um seine feindlichen Pläne zu entdecken.

»Das ist in Wahrheit ein herrliches Essen,« bemerkte der sorglose, junge Fremde, denn auf beides, Jugend und Schönheit mochte er wohl Anspruch machen; »entweder hat mein Hunger dem Fleisch eine besondere Schmackhaftigkeit gegeben, oder der Bison kann sich mit den herrlichsten des Ochsengeschlechts vergleichen!«

»Die Naturforscher, Herr, wenn sie vertraulich sprechen, geben wohl der Kuh den Vorzug, nach ihr das Genus zu benennen«, sagte Doctor Battius und räusperte sich, ehe er sprach, ganz so, wie ein Zweikämpfer die Spitze der Waffe untersucht, die er dem Gegner in den Leib rennen will. »Ihre Gestalt ist vollkommner, auch ist der bos, d. h, Ochse, nicht im Stande die Art fortzupflanzen; während der b os im weitesten Sinn oder die vacca immer das edlere Thier von den beiden ist.«

Der Doctor sprach diese Meinung mit einer Miene aus, die seine Bereitwilligkeit ausdrücken sollte, alsbald auf einen der zahlreichen Streitpunkte überzugehen, die, wie er nicht zweifelte, zwischen ihnen bestünden; und so wartete er auf den Schlag seines Gegenkämpfers, worauf denn sein nächster Hieb noch kräftiger sein sollte. Aber der junge Fremde schien weit mehr geneigt, an dem guten Essen Theil zu nehmen, womit er so gelegen versehen worden, als den Handschuh zum Streit über Einen oder den Andern der verwickelten Puncte aufzuheben, welche so geeignet sind, dem Liebhaber der Wissenschaft Stoff zu einem gelehrten Lanzenbrechen zu geben.

»Ich glaube wohl, Ihr habt ganz Recht,« erwiederte er mit der empörendsten Gleichgültigkeit in Hinsicht der Wichtigkeit des Zugestandenen. »Ich glaube, Ihr habt ganz Recht, und vacca würde das bessere Wort gewesen sein.«

»Verzeiht mir, Herr, Ihr gebt meiner Sprache einen falschen Sinn, wenn Ihr meint, ich brächte, ohne viele und ganz besondere nähere Bestimmungen den bubulus americanus in die Familie vacca. Denn, wie Ihr wohl wißt, Herr, – oder wie ich lieber hätte sagen sollen, Doctor – Ihr habt doch ohne Zweifel das medizinische Diplom?« –

»Ihr schreibt mir da eine Ehre zu, worauf ich keinen Anspruch mache,« unterbrach der Andere.

»Einen untern Grad also! – oder vielleicht habt Ihr in einer andern freien Kunst promovirt?«

»Noch weit schlimmer, versichere Euch.«

»Ihr habt Euch aber doch gewiß nicht, junger Mann, in dies wichtige – ich möchte sagen feierliches Unternehmen gewagt, ohne einen Beweis von Eurer Tüchtigkeit zu diesem Dienst vorzeigen zu können; einen Auftrag, wodurch Ihr einen Beruf zu diesem Geschäft darthun, und eine Verwandtschaft und Gemeinschaft mit Euren Mitarbeitern in dem menschenfreundlichen Bestreben ansprechen könnt.«

»Ich weiß nicht durch welche Mittel oder zu welchem Zweck Ihr Euch mit meinen Plänen bekannt gemacht,« rief der Jüngling, ward roth, und erhob sich mit einer Schnelligkeit, welche zeigte, wie wenig er die leiblichen Bedürfnisse berücksichtige, wenn etwas seinem Herzen näher liegendes berührt ward. »Noch, Herr, ist Eure Sprache mir unverständlich. Das Streben, was bei einem Andern vielleicht mit Recht menschenfreundlich und aufopfernd genannt werden könnte, ist bei mir eine theure, liebe Pflicht; warum aber ein Auftrag verlangt werden oder nöthig sein sollte, ist, ich gesteh‘ es, ebenfalls etwas, was mich nicht weniger erstaunt.«

»Es ist gewöhnlich, sich mit einem solchen Document zu versehen,« erwiederte der Doctor ernst, »und es bei allen schicklichen Gelegenheiten vorzuzeigen, damit geistesverwandte und freundliche Gemüther zugleich allen unwürdigen Verdacht unterdrücken, und, was die Elemente des Gesprächs genannt werden kann, übergehend, mit einem Mal zu den Puncten kommen, welches für beide die wahren desiderata sind.«

»Eine sonderbare Forderung!« murmelte der Jüngling und wandte sein schwarzes, umschattetes Auge von einem zum andern, als ob er den Charakter seiner Gefährten erforschen und ihre physische Kraft wägen wollte. Dann brachte er die Hand in den Busen, zog ein kleines Kästchen hervor, und fuhr, es dem Doctor mit Würde reichend, fort: »Ihr werdet darin finden, Herr, daß ich einiges Recht habe, in einem Lande zu reisen, welches jetzt Eigenthum der amerikanischen Staaten ist.«

»Was haben wir da!« rief der Naturforscher, während er ein großes Pergament entfaltete; »ei, das ist ja die Unterschrift des Philosophen Jefferson. Es ist das Staatssiegel! Mitunterschrieben von dem Kriegsminister! Es ist ein Document, das Duncan Uncas Middleton zum Capitain der Artillerie macht.«

»Wen, wen!« rief wiederholt der Streifschütz, der den Fremden während der ganzen Unterredung mit Augen betrachtet hatte, die jeden Gesichtszug eifrigst zu verschlingen schienen. »Wie ist der Name? Nanntet Ihr ihn Uncas? War’s Uncas?«

»Das ist mein Name,« erwiederte der Jüngling stolz. »Es ist der Name von einem Landeshäuptling, den mein Oheim und ich stolz sind zu tragen, da er ein Andenken an einen wichtigen Dienst ist, welcher meiner Familie von einem Krieger in den alten Kämpfen der Provinzen geleistet ward.«

»Uncas! Nanntet Ihr ihn Uncas!« wiederholte immer noch der Streifschütz, er näherte sich dem Jüngling, und theilte die dunkeln Locken, welche über seine hohe Stirn herabfielen, ohne den geringsten Widerstand von Seiten des erstaunten Eigenthümers. »Ach meine Augen sind alt, und nicht mehr so scharf, als wie auch ich Soldat war; aber ich kann das Bild des Vaters im Sohn erkennen; ich sah es, als Ihr zuerst nahe kamt. Doch es gingen so viele Begebenheiten seitdem vor meinem erlöschenden Blick vorüber, daß ich den Ort nicht nennen konnte, wo mir ein Gegenbild vorgekommen. Sagt mir, Junge, unter welchem Namen ist Euer Vater bekannt?«

»Er war Offizier bei den Staaten im Revolutionskrieg, und natürlich trug er meinen Namen. Meiner Mutter Bruder hieß Duncan Uncas Heyward.«

»Noch Uncas, Uncas!« entgegnete der Andere zitternd vor Erwartung. »Und sein Vater?«

»Hieß eben so ohne den Titel des Landeshäuptlings. Ihm und meiner Großmutter ward der Dienst erwiesen, wovon ich eben sprach.«

»Ich wußte es, ich wußte es!« rief der alte Mann mit zitternder Stimme; seine rauhen Züge waren in mächtiger Bewegung, als ob die Namen, welche der andere nannte, lange schlafende Erinnerungen wieder aufweckten, die sie an Begebenheiten eines früheren Alters anknüpften. »Ich wußte es! Sohn oder Enkel, es ist dasselbe. Es ist sein Blut, es ist sein Blick! Sagt mir, lebt der, den sie Duncan nennen, ohne Uncas, lebt der noch?«

Der junge Mann schüttelte traurig das Haupt, als er Nein antwortete:

»Er starb reich an Tagen und Ehren. Geliebt, glücklich und beglückend.«

»Reich an Tagen!« wiederholte der Streifschütz, und sah nieder auf die eigenen magern, aber noch kräftigen Hände. »Ach er lebte in den Ansiedelungen und war nur weise nach ihrer Art. Aber Ihr habt ihn oft gesehen, ihn sprechen hören von dem Uncas und von der Wildniß.«

»Oft! Er war damals Diener des Königs. Aber als der Krieg ausbrach zwischen der Krone und den Colonieen, da vergaß mein Großvater nicht den Geburtsort, sondern warf weg die leere Last der Namen, und war treu seinem Vaterlande. Er focht auf der Seite der Freiheit.«

»Darin war Vernunft, und was noch besser ist, Natur! Kommt, setzt Euch nieder zu mir, Junge; setzt Euch, und sagt mir, was Euer Großvater zu erzählen pflegte, wenn seine Gedanken auf den Wundern der Wildniß verweilten.«

Der Jüngling lächelte, eben so sehr über das Drängen als über die Theilnahme des alten Mannes; aber da er fand, daß auch nicht mehr der geringste Schein einer Gewaltthätigkeit, die man hätte beabsichtigen können, da war, so willfahrte er ohne Zögern.

»Erzählt es all dem Streifschützen mit allen Umständen,« sagte Paul, und nahm ruhig seinen Sitz an der andern Seite des jungen Kriegers ein. »Die Greise lieben solche alten Erzählungen, und auch ich muß gestehen, ich höre sie nicht ungern.«

Middleton lachte wieder, und vielleicht mit etwas Spott; aber dann gutmüthig zum Streifschützen gewandt, fuhr er fort:

»Es ist eine lange und möchte wohl eine unangenehme Geschichte sein. Blutvergießen und alle Schrecken indianischer Grausamkeit und indianischer Kriege sind furchtbar in die Erzählung gemischt.«

»Ach gebt sie uns ganz, Fremder,« fuhr Paul fort. »Wir sind an solche Dinge in Kentucky gewöhnt, und ich muß sagen, ich halte deßwegen eine Erzählung nicht für schlechter, wenn manchmal darin ein Kopf scalpirt wird.«

»Aber er erzählte Euch von Uncas, nicht?« nahm der Streifschütz wieder das Wort, ohne auf die kurzen Unterbrechungen des Bienenjägers zu achten, die nur eine Art Zwischenspiele waren, »Und was dachte und sagte er von dem Jungen in seinem Cabinet, mit allen Bequemlichkeiten und Erfindungen der Colonieen zur Hand?«

»Ich zweifle nicht, er sprach so, wie er in den Wäldern gesprochen haben würde, hätte Aug‘ im Aug‘ vor seinem Freund er gestanden.«

»Nannte er den Wilden seinen Freund, den armen, nackten, bemalten Kämpfer, war er nicht zu stolz dazu, den Indianer Freund zu nennen?«

»Er rühmte sich sogar seiner Bekanntschaft, und wie Ihr schon gehört, gab seinem Erstgebornen einen Namen, der wie ein Erbstück auf seine übrigen Nachkommen übergehen soll.«

»Er that recht, er that wie ein Mann, ja und auch wie ein Christ. Er sagte oft, der Delaware sei schnellfüßig. Sagte er noch so?«

»Wie die Antilope! In der That er sprach oft von ihm unter der Benennung Le Cerf agile, ein Name, den er sich durch seine Thätigkeit erworben.«

»Und kühn und furchtlos, Junge,« fuhr der Streifschütz mit einem Eifer fort, der verrieth, mit welchem Vergnügen er das Lob eines Mannes hörte, den er offenbar einst zärtlich geliebt hatte.

»Tüchtig wie ein Löwe. Ohne Furcht. Er nannte immer Uncas und seinen Vater, der von seiner Weisheit Grand Serpent genannt ward, als Muster des Heldenmuths und der Standhaftigkeit.«

»Er ließ ihnen Gerechtigkeit widerfahren! Ja, nur Gerechtigkeit! Treuere Männer waren nicht zu finden, in keinem Stamm, in keinem Volk, ihre Haut mag eine Farbe haben, wie sie will. Ich seh‘, Euer Großvater war gerecht, und that seine Schuldigkeit auch noch nach seinem Tode! Es war eine gefährliche Zeit, die er auf den Hügeln verlebte; und er spielte seine Rolle edel. Sagt mir, Junge, oder Capitain vielmehr, – da Ihr Capitain seid, – war dies alles?«

»O nicht; es war, wie ich Euch gesagt habe, eine furchtbare Geschichte, voll der rührendsten Vorfälle, und das Gedächtniß meines Großvaters und meiner Großmutter – –«

»Ach!« rief der Streifschütz, und reckte die Hand in die Höhe, während sein ganzes Antlitz durch die Rückerinnerungen, die in ihm bei diesem Namen wieder auflebten, glänzte. »Sie nannten sie Alice! Elsie oder Alice, es ist dasselbe. Ein lachendes, spielendes Kind war sie, wenn glücklich; im Unglück sanft und voll Gefühl! Ihr Haar glänzend, blond, wie das Fell des jungen Reh’s, und ihre Haut klarer als das reinste Wasser, das vom Felsen träufelt. Wohl erinnere ich mich noch ihrer; ja noch recht wohl.«

Die Lippe des Jünglings verzog sich ein wenig, er betrachtete den alten Mann mit einem Blick, der leicht als eine Andeutung hätte erklärt werden mögen, daß seine Rückerinnerungen an den verehrungswürdigen und verehrten Ahnen nicht von der Art seien, obgleich es scheinen wollte, als ob er es für unnöthig hielt, dies in Worten auszudrücken. Er begnügte sich mit der Antwort: »Sie beide bewahrten die Eindrücke der Gefahren, denen sie ausgesetzt gewesen, zu lebhaft, um einen ihrer Mitgenossen zu vergessen.«

Der Streifschütz sah seitwärts, und schien mit einem tief ihm inwohnenden Gefühl zu kämpfen; dann, ob gleich seine treuen Augen nicht mehr mit demselben offenen Interesse, wie vorher, an ihm hingen, wieder zu ihm gewendet, fuhr er fort: »Erzählte er Euch von ihnen allen? Waren sie alle Rothhäute, er und die Töchter Munro ausgenommen?«

»Nein. Es hatte sich auch noch ein Weißer zu den Delawaren gesellt. Ein Spion der englischen Armee, aber ein Eingeborner der Provinzen.«

»Ein betrunkener, nichtswürdiger Herumstreicher?, wie die meisten seiner Farbe, die sich zu den Wilden halten; ich versichere Euch.«

»Alter Mann, Eure grauen Haare sollten Euch vor einer Verläumdung bewahren. Der Mann, wovon ich spreche, besaß große Einfalt, aber hohen Werth. Unähnlich vielen, welche sich auf der Grenze herumtreiben, vereinigte er, statt der schlechten, nur die guten Eigenschaften der beiden Völker. Er war von der Natur mit der herrlichsten und vielleicht seltensten Eigenschaft versehen, mit der, das Gute vom Bösen zu scheiden. Seine Tugenden waren die der Einfalt, wie auch die Früchte seiner Handelsweise und selbst seine Vorurtheile. Im Muth war er seinen rothen Gefährten gleich; in Kriegskenntniß, da er besser unterrichtet war, stand er über ihnen. Kurz er war ein edler Sprosse aus dem Baum der Menschennatur, der nie seine wahre Höhe und Wichtigkeit erlangen konnte, blos weil er im Wald wuchs; dies, alter Jäger, waren die eigenen Worte meines Großvaters, als er von dem Manne sprach, den Ihr für so nichtswürdig haltet.«

Der Streifschütz senkte die Augen zu Boden, während der Fremde mit allem Feuer edler Jugend diese Schilderung von der Person entwarf, die der Gegenstand ihres Gesprächs war. Er spielte mit den Ohren seines Hundes, zupfte an seinem groben Gewand, und öffnete und verschloß die Pfanne seiner Flinte, mit so zitternder Hand, daß man sie für ganz unfähig hätte halten mögen, die Waffe zu führen. Als der Andere geendet, fügte er ruhig hinzu: »Euer Großvater vergaß also nicht ganz den Weißen?«

»Im Gegentheil, drei von uns führen immer den Namen des Kundschafters.«

»Den Namen, wie?« rief der alte Mann staunend, »den Namen eines verlassenen, ungelehrten Jägers! Führen die Großen, Reichen, Gelehrten, und, was noch mehr ist, die Gerechten, führen sie wirklich denselben Namen!«

»Ihn führt mein Bruder und zwei meiner Vettern, welches Recht sie auch außerdem auf die von Euch erwähnten Titel haben.«

»Ja ist es aber auch derselbe Name, sind’s dieselben Buchstaben, fängt er mit einem N an und endet er mit einem L?«

»Ganz so,« erwiederte der Jüngling lächelnd. »Nein, nein, wir haben nichts vergessen, was sein war. Ich habe in diesem Augenblick einen Hund, – er verfolgt nicht weit von hier ein Reh, – der von einem abstammt, den eben dieser Kundschafter seinen Freunden zum Geschenk machte, und der von derselben Race ist, die er immer hatte; ein sichereres Thier, nach Nase und Fuß, findet man in der weiten Union nicht.«

»Hektor!« sagte der alte Mann, und bemühte sich einer Bewegung, Meister zu werden, die ihn fast erstickte; »Hektor!« sprach er zu seinem Hund in einem Ton, wie er ihn bei einem Kind gebraucht hätte, »hörst du, Alter; dein Fleisch und Blut ist in der Steppe! Ein Name, – wunderbar, – wunderbar!«

Die Natur widerstand nicht länger. Ueberwältigt von einer Fluth seltner, außerordentlicher Bewegungen, ergriffen von zarten Rückerinnerungen, die lang geschlafen, und jetzt so wunderbar und unerwartet wieder auflebten, hatte der alte Mann kaum Macht genug über sich, um mit hohler, gepreßter Stimme und mit aller Anstrengung hinzufügen:

»Junge, ich bin der Kundschafter, Soldat einst, jetzt ein armer Streifschütz.« – Die Thränen flossen über die zerstörten Wangen, wie Wasserbäche aus Quellen, die seit Langem versiegt; – sein Haupt sank auf seine Kniee, er bedeckte es mit dem ledernen Gewand und schluchzte laut.

Der Anblick brachte entsprechende Bewegungen in seinen Gefährten hervor. Paul Hover hatte wirklich jede Silbe der Unterredung, wie sie abwechselnd die Sprechenden vorbrachten, eifrigst verschlungen, und seine Gefühle hatten gleichen Schritt mit dem wachsenden Interesse der Scene gehalten. An so fremdartige Auftritte nicht gewöhnt, wandte er sein Gesicht nach allen Seiten hin, um zu vermeiden, – er wußte nicht recht, was? bis er die Thränen sah, und das Schluchzen des alten Mannes hörte, da sprang er auf, ergriff seinen Gast heftig an der Kehle und fragte, mit welchem Recht er seinen bejahrten Gefährten zu Thränen gebracht. Ein Blitz der Rückerinnerung fuhr ihm in demselben Augenblick durch den Kopf, er ließ ihn los, und ergriff, als er in der Verlegenheit und Freude über den erkannten Irrthum die Hand ausstreckte, den Doctor bei’m Haar, wodurch alsbald dessen künstliche Natur an den Tag kam, da es ihm an der Hand hängen blieb, und dem weißen, glänzenden Schädel des Naturforschers keine wärmere Bekleidung ließ, als die Haut.

»Was denkt Ihr dazu, Herr Ungeziefer-Sammler,« triumphirte er schreiend, »ist das nicht eine sonderbare Biene, um sie in ihre Höhle zu verfolgen?«

»Es ist merkwürdig, wunderbar, erbauend!« erwiederte der Freund der Natur und nahm ihm gutmüthig die Perrücke wieder ab, während seine Augen glänzten und die Stimme stockte. »Es ist seltsam und werth der Aufbewahrung, wiewohl ich nicht an der rechten Folge der Ursachen und Wirkungen zweifle.«

Durch diesen plötzlichen Zwischenfall hatte jedoch auch die Bewegung Aller alsbald ein Ende; die drei Gegenwärtigen umringten den Streifschützen mit einer Art Ehrfurcht, als sie die Thränen eines so bejahrten Mannes sahen.

»Es muß so sein, wie könnte er sonst eine Geschichte so genau wissen, die außerhalb meiner eignen. Familie so wenig bekannt ist;« bemerkte endlich der Jüngling, und scheute sich gar nicht, durch ein Wischen der Augen offen an den Tag zu legen, wie sehr er gerührt worden.

»Freilich,« entgegnete Paul, »und wenn Ihr noch einen Beweis braucht, so will ich schwören. Ich bin überzeugt, daß jedes Wort so wahr ist, wie das Evangelium.«

»Und doch hatten wir ihn längst für todt gehalten!« fuhr der Soldat fort; »mein Großvater hatte in Ehren seine Tage schon geschlossen, und wir hatten jenen für jünger gehalten.«

»Nicht oft hat die Jugend eine Gelegenheit, so auf die Schwäche des Alters herabzusehen;« bemerkte der Streifschütz, erhob sein Haupt und sah um sich mit Haltung und Würde. »Daß ich noch hier bin, junger Mann, ist das Geschenk des Herrn, der mich so lange bewahrt, mich achtzig arbeitsvolle Jahre nach seinen verborgenen Zwecken erleben ließ. Daß ich der bin, für den ich mich ausgebe, bezweifelt nicht; warum sollt‘ ich zu Grabe gehen mit so unnützer Lüge im Mund.«

»Ich nehme keinen Anstand, es zu glauben; ich wundere mich nur, daß es so sein soll. Aber warum find‘ ich Euch, ehrwürdiger, trefflicher Freund meiner Eltern in diesen Wüsten, so weit von aller Bequemlichkeit und Sicherheit des untern Landes?«

»Ich kam ich diese Gegend, dem Schall der Axt zu entgehen; denn hierhin sicherlich kann ein Holzfäller mir nicht folgen. Aber ich kann dieselbe Frage Euch zurückgeben. Gehört Ihr zu denen, welche die Staaten aussandten, um die Beschaffenheit ihres neuen Ankaufs zu untersuchen?«

»Ich nicht. Lewis zieht den Fluß hinauf, einige hundert Meilen von hier; ich komme als ein Privat-Abenteurer.«

»Obgleich man sich nicht wundern darf, daß ein Mann, dessen Kraft und Augen ihn als Jäger verlassen haben, nahe den Höhlen der Biber getroffen wird, wo er statt der Flinte eine Falle gebraucht; so ist es doch sonderbar, daß ein so junger und glücklicher Mann, der einen Auftrag vom großen Vater erhalten, die Steppen durchstreift, ohne selbst einen farbigen Diener zu seinen Befehlen zu haben!«

»Ihr würdet meine Gründe für hinlänglich halten, wenn Ihr sie wüßtet, und Ihr sollt sie wissen, wenn Ihr meine Geschichte anhören wollt. Ich halt‘ euch Alle für edel, für Männer, die eher den unterstützen als verrathen würden, der einen guten Zweck verfolgt.«

»So kommt und erzählt uns nach Gefallen,« sagte der Streifschütz, setzte sich und gab dem Jüngling einen Wink, seinem Beispiel zu folgen. Der letztere willfahrte gern, und nachdem Paul und der Doctor, wie sie es für gut fanden, einen Platz eingenommen, begann der neue Ankömmling, die ganz eigenen Ursachen auseinander zu setzen, die ihn so weit in die Wüsten geführt hatten.

Eilftes Kapitel.

Eilftes Kapitel.

So schwüle Luft kühlt nur ein Wetter ab.

König Johann.

 

Indeß setzten die fleißigen, unwiederbringlichen Stunden ihre Arbeiten fort. Die Sonne, welche den ganzen Tag entlang durch große Massen von Gewölk sich durchgewunden hatte, trat endlich auf einen Strich klarer Luft heraus und sank von da glorreich In die prangenden Wüsten, wie sie sonst in die Wasser des Oceans sich hinabläßt. Die langen Heerden, welche auf den wilden Weiden der Steppe gegrast hatten, verschwanden allmählich, und die endlosen Schwärme der Wasservögel, die ihre gewöhnliche jährliche Reise von den jungen See’n des Norden nach dem Golf von Mexico fortsetzten, durchschnitten nicht mehr die Luft, welche sich jetzt angefüllt hatte mit Thau und Nebel. Kurz, die Schatten der Nacht fielen auf den Felsen und fügten zu den düstern Gegenständen des Orts noch den Mantel der Finsterniß.

Als der Esther das Licht zu mangeln begann, sammelte sie die jüngern Kinder um sich und setzte sich auf eine vorragende Spitze ihrer inselförmigen Feste, ruhig die Ankunft der Jäger erwartend. Ellen Wade saß nicht weit davon entfernt, als wolle sie einen geringen Zwischenraum zwischen sich und dem ängstlichen Zirkel lassen, um dadurch den Unterschied anzudeuten, der zwischen ihr und der übrigen Gesellschaft bestand.

»Euer Oheim ist und bleibt ein dummer Projectmacher, Nell,« bemerkte die Mutter nach einer langen Pause, die auf ein Gespräch über die Arbeiten des Tags eingetreten war; »im Rechnen und in Vorkehrungen ist benannter Ismael Busch ein armer Wicht. Da sitzt er faul auf dem Felsen von Morgen bis Abend; nichts macht er als Pläne, Pläne, Pläne, er und seine sieben edeln Söhne, so edel, wie je sie ein Weib dem Mann schenkte, und was ist von Allem das Ende? Die Nacht kommt, und sein großes Werk ist noch nicht fertig!«

»Es ist nicht klug, Tante, freilich nicht;« erwiederte Ellen in einem Ton von Zerstreuung, der zeigte, wie wenig sie wußte, was sie sagte; »und er gibt auch seinen Söhnen ein böses Beispiel.« –

»Hoho, Mädchen! Wer hat Euch zum Richter über Aeltere, ei, und die auch besser sind, als Ihr, gesetzt. Ich möchte doch den Mann auf der ganzen Grenze sehen, der seinen Kindern ein schöneres Beispiel gibt, als Ismael Busch. Zeigt mir, wenn Ihr könnt, Fräulein Fehlerfinder, aber nicht Fehlerverbesserer, einen Haufen Jungen, die in der Noth schneller einen Baum zur Wohnung fällen und ihn behauen, als meine Kinder, obgleich ich es selbst sage, ich, die vielleicht still sein sollte, – oder einen Mäher, der besser einen Haufen Schnitter durch ein Waizenfeld zu führen versteht und die Stoppeln gleicher hinter sich läßt, als mein guter Mann! Dann, als Vater ist er so großmüthig wie ein Herr; seine Söhne brauchen nur den Ort zu nennen, wo sie sich anbauen möchten, und er gibt ihnen die Pflanzung, ohne daß sie sich um den Ankauf zu kümmern brauchen.«

Als das Weib des Grenzwohners schloß, erhob sie ein hohles, höhnendes Gelächter, das in dem Munde verschiedener jungen Nachäffer nachhallte, die sie zu einem Leben heranzog, welches eben so unstet und gesetzlos als ihr eigenes, doch trotz seiner Unsicherheit nicht ohne versteckte Reize war.

»Holla, alte Esther,« ertönte die wohlbekannte Stimme ihres Gemahls von der Ebene unten herauf; »habt Ihr Eure Spiele vor, während wir zu Euch mit Wild und Büffel kommen! Herunter, herunter, altes Mädchen, mit deinen Jungen oben, steh‘ uns bei, das Fleisch hinaufzubringen; – ei, was ist denn das für eine Freude oben? Herunter, herunter; die Buben sind schon alle da, und wir haben hier Arbeit für noch einmal so viele Hände.«

Ismael hätte seine Lungen schonen können; mehr als die Hälfte seiner Anstrengung, um gehört zu werden, war unnöthig. Er hatte kaum den Namen seines Weibes gerufen, als der ganze zusammengekauerte Kreis sich erhob und, über einander fallend, sich den gefährlichen Gängen des Felsen mit unbedachtsamer Hast hinabstürzte. Esther folgte dem jungen Schwarm in mehr abgemessenem Schritt; auch hielt es Ellen nicht für gut oder vielmehr rathsam, zurückzubleiben. Folglich hatte sich bald der ganze Haufen an dem Fuß der Zitadelle in der Ebene versammelt.

Hier fand man den Grenzwohner fast niedergedrückt unter der Last eines schönen, fetten Bocks mit einem oder zwei seiner jüngern Söhne. Abiram erschien auch bald, und ehe einige Minuten vorüber waren, kamen die meisten andern Jäger, einzeln und in Paaren, jeder den Lohn seiner Geschicklichkeit auf der Jagd mit sich bringend.

»Die Ebene ist frei von Rothhäuten, heut Nacht wenigstens;« sagte Ismael, nachdem das Geräusch ihrer Ankunft ein wenig nachgelassen; »denn ich hab‘ die Steppe viele Meilen weit selbst durchforscht, und kann mich einen Kenner in den Fußtapfen eines Indianers nennen. So, Weib, könnt Ihr uns einige Stücke von dem Wildpret geben, und dann wollen wir auf unser Tagwerk schlafen.«

»Ich möchte nicht schwören, daß keine Wilden in unserer Nähe sind,« sagte Abiram. »Ich versteh‘ mich auch auf die Spur einer Rothhaut, und wenn meine Augen nicht etwas von ihrer Sehkraft verloren haben, möchte ich kecklich schwören, daß Indianer bei der Hand sind. Aber wartet, bis Asa kommt. Er ging über die Stelle, wo ich die Spuren fand, und der Junge versteht auch etwas von diesen Dingen.«

»Ach, der Junge versteht zu viel von manchen Dingen,« erwiederte Ismael finster; »es wäre besser für ihn, wenn er dächte, er verstünde weniger. Aber was thut’s, Hetty, wären auch alle Sioux-Stämme westlich vom großen Fluß nur eine Meile von uns; sie werden es nicht leicht finden, diesen Felsen zu ersteigen, den zehn kühne Männer vertheidigen.«

»Sagt zwölf gleich, Ismael, sagt zwölf,« rief seine mannhafte Gemahlin; »denn wenn Euer Mottensammler, Insectenjäger von Freund als ein Mann gerechnet wird, müßt Ihr mich gewiß für zwei zählen. Ich werd‘ ihm nicht nachstehen mit der Flinte oder dem Gewehr und was den Muth betrifft! – Das junge Kalb, das die schielenden Schelme von Teton gestohlen haben, war der Feigste von uns Allen, und nach ihm kam Euer blödsinniger Doctor. Ach, Ismael, Ihr geht selten einen regelmäßigen Handel ein, ohne dabei zu verlieren, und dieser Mann ist, behaupte ich, der dümmste Handel von allen! Könnt Ihr glauben, der Kerl wollte mir ein Pflaster um den Mund legen, weil ich Schmerzen im Fuß fühlte.«

»Es ist Schade, Esther,« antwortete ihr Gemahl trocken, »daß Ihr es nicht nahmt; ich denke, es hätte Euch sehr gut gethan. Aber, Jungen, es könnte gehen, wie Abiram meint, es könnten Indianer in der Nähe sein; wir müßten den Felsen hinauf, und unser Abendessen wäre hin. Deßwegen wollen wir das Wild in Sicherheit bringen, und über die Curen des Doctors sprechen, wenn wir nichts Besseres zu thun haben.«

Der Wink ward befolgt, und in wenig Minuten war die offene Stellung, worin sich die Familie gesammelt, mit der sicherern Höhe des Felsen vertauscht. Hier machte sich Esther an’s Werk, schaffte und zankte mit gleichem Eifer, bis das Mahl bereit war, wo sie dann den Gemahl mit eben so wohltönender Stimme zum Essen herbeirief, als der Imam, der die Gläubigen an ein wichtigeres Geschäft erinnert.

Als Jeder seinen gewöhnlichen Platz um das dampfende Fleisch eingenommen, gab der Grenzwohner das Zeichen, indem er sich an ein köstliches Wildpretstück machte, das wie der Bison-Rücken zubereitet worden, mit einer Geschicklichkeit, die seine natürlichen Vorzüge eher erhöhte als versteckte. Ein Maler hätte eifrig den Augenblick erfaßt, um die wilde, charakteristische Scene auf die Leinwand zu tragen.

Der Leser wird sich erinnern, daß Ismael’s Citadelle abgesondert, luftig, hoch und fast unzugänglich dastand. Ein helles, flammendes Feuer, das auf dem Mittelpunkt des Gipfels brannte, und um welches die geschäftige Gruppe gelagert war, gab ihm das Ansehn eines kleinen Leuchtthurms, der in dem Mittelpunkt der Wüsten aufgerichtet worden, um den Wanderern zu leuchten, die die weiten Steppen durchziehen möchten. Die sprühende Flamme erhellte ein verbranntes Antlitz nach dem andern, und zeigte jede Verschiedenheit des Ausdrucks, von der jugendlichen Einfachheit der Kinder, gemischt wie sie war mit einem Schatten der ihrem halb rohen Leben eignen Wildheit, bis zur stumpfen, unbeweglichen Ruhe, die in den Mienen des Grenzwohners lag, wenn er nicht gereizt ward. Manchmal ging ein Windstoß über die Glut, und dann wurde, da helleres Licht emporschoß, das kleine einsame Zelt gesehen, wie es aufgerichtet war in der düstern obern Luft. Alles unten war, wie es gewöhnlich ist zu dieser Stunde, in das undurchdringliche Gewand der Dunkelheit gehüllt.

»Es ist unbegreiflich, daß Asa noch zu solcher Zeit auswärts ist;« bemerkte Esther unmuthig. »Wenn alles zu End‘ und recht ist, hätte der Junge heraufkommen müssen, nach dem Essen verlangen? und hungrig wie ein Bär nach dem Winterschlaf. Sein Magen geht so richtig, wie die beste Uhr in Kentucky, und braucht selten aufgezogen zu werden; der geht bei Tag und Nacht. Asa ist ein verzweifelter Esser, wenn nach einer Arbeit er hungrig ist.«

Ismael musterte ernst den Kreis seiner stillen Söhne, als ob er sehen wolle, ob einer von ihnen etwas zu Gunsten des abwesenden Strafbaren zu sagen wagen würde. Aber jetzt, wo keine treibenden Ursachen da waren, ihre schlummernden Gemüther anzuregen, schien es zu große Anstrengung, sich auf die Vertheidigung ihres rebellischen Bruders einzulassen. Abiram jedoch, der seit der Friedenstiftung einen edlern Antheil an seinem frühern Gegner nahm oder zu nehmen vorgab, hielt es für schicklich, eine gewisse Aengstlichkeit an den Tag zu legen, der die andern fremd blieben.

»Es ist viel, wenn der Junge dem Teton entwischt ist,« murmelte er. »Es würde mir leid thun, wäre Asa, der kräftigste in unserm Zug, nach Herz und Hand, in die Gewalt der rothen Teufel gefallen.«

»Sorgt für Euch, Abiram, und spart Euern Athem, wenn Ihr ihn nur anwenden könnt, um das Weib und ihre zusammengekauerten Mädchen zu erschrecken. Ihr habt schon Ellens Antlitz ganz weiß gemacht; sie sieht so blaß aus, als da sie heute nach denselben Wilden schaute, die Ihr eben nennt, und wo ich genöthigt war, zu ihr durch die Flinte zu sprechen, weil ich ihre Ohren nicht mit meiner Zunge erreichen konnte. Wie kam das, Nell? Ihr habt noch gar nicht den Grund von Eurer Taubheit gesagt!«

Die Farbe auf Ellens Wange änderte sich eben so plötzlich, wie des Grenzwohners Gewehr bei der Gelegenheit geblitzt hatte, worauf er anspielte, und eine brennende Röthe überzog ihre Züge, so daß selbst der Hals sich in das Roth der Gesundheit kleidete. Sie senkte beschämt das Haupt, schien es aber nicht für nöthig zu halten, etwas zu erwiedern.

Ismael, zu träge, um den Gegenstand weiter zu verfolgen, oder mit der Anspielung, die er eben gemacht, zufrieden, erhob sich von seinem Sitz auf dem Felsen, streckte seine schwere Gestalt, wie ein wohlgenährter, gemästeter Stier, und äußerte sein Verlangen, schlafen zu gehen. Unter einer Race, die hauptsächlich lebte, um die Bedürfnisse des Leibes zu befriedigen, konnte eine solche Erklärung nur entsprechende Gefühle finden. Einer nach dem Andern verschwand, Jeder suchte sein rauhes Lager, und ehe einige Minuten vergingen, fand sich Esther, welche um diese Zeit die Kleineren in den Schlaf gezankt hatte, wenn wir die gewöhnliche Wache unten ausnehmen, im alleinigen Besitz des nackten Felsen.

Welche weniger edeln Früchte auch immer in diesem ungebildeten Weibe durch ihre wandernde Lebensart hervorgebracht worden, der Hauptcharakter der Frauennatur war zu tief gewurzelt, um je ganz ausgerottet zu werden. Von kräftiger, hitziger Gemüthsart waren ihre Leidenschaften heftig und schwer zu besänftigen. Aber wie sehr sie auch oft die gelegentlichen Vorrechte ihrer Lage mißbrauchen mochte, und wirklich mißbrauchte, die Liebe zu ihren Kindern, wenn sie oft schlummerte, konnte doch nie gänzlich erlöschen. Sie liebte nicht Asa’s verlängerte Abwesenheit. Zu furchtlos selbst, um einen Augenblick zu zögern, für ihre eigene Person den dunkeln Abgrund zu durchschreiten, in welchen sie jetzt mit erwartungsvollen Blicken starrend da saß, begann ihre geschäftige Phantasie, in Folge dieses unzerstörbaren Gefühls, namenlose Nebel für ihren Sohn herauf zu beschwören und sich auszumalen. Es konnte möglich sein, daß er, wie Abiram angedeutet, ein Gefangener eines der Stämme geworden, die in der Nähe auf die Büffel Jagd machten, oder daß selbst ein noch größeres Unglück ihn befallen. So fürchtete die Mutter, während Stille und Dunkel die geheimen Gefühle der Natur erhöhten und verstärkten.

Von diesen Gedanken bewegt, die den Schlaf fern hielten, blieb Esther auf ihrem Sitze und lauschte mit der Aufmerksamkeit, welche bei Thieren, wenige Stufen unter ihr in Geistesgaben, Instinct genannt wird, ob sie ein Geräusch vernehme, welches von nahenden Fußtritten herrühren könnte. Endlich schien es, als ob ihre Wünsche erfüllt werden sollten, denn die langersehnten Tritte wurden ganz vernehmlich hörbar, und alsbald unterschied sie die dunkle Gestalt eines Mannes am Fuße des Felsen.

»Nun, Asa, sehr verdienst du diese liebe Nacht auf bloßer Erde zuzubringen,« murmelte das Weib, in einem Sturm von Gefühlen, die denen nicht auffallend sein werden, welche die Widersprüche, die dem Gemüth des Menschen Abwechselung geben, zu ihrem Studium gemacht haben. »Und ich denke, selbst dein Bett sollte hart sein! Ei, Abner, Abner, schläfst du? Laß mich ja nicht sehen, daß du die Höhlung öffnest, ehe ich hinunter komme. Ich will sehen, wer eine ruhige, ja, und auch eine ehrliche Familie zu solcher Nachtzeit stören mag.«

»Weib!« rief eine Stimme, die trotzig sein sollte, während der, welchem sie angehörte, offenbar ein wenig wegen der Folgen fürchtete; »Weib, ich verbiete Euch bei Gesetzesstrafe, etwas von Euern höllischen Stücken herabzuwerfen. Ich bin ein Bürger und ein Landbesitzer, ein Graduirter von zwei Universitäten, und bin hier in meinem Recht. Hütet Euch vor vorsetzlicher Bosheit, vor zufälliger Verletzung und vor Todtschlag. – Ich bin es, Euer amicus, ein Freund und Genosse, – ich, der Doctor Obed Battius.«

»Wer!« fragte Esther, mit einer Stimme, die fast die Worte nicht bis zu den Ohren des Aengstlichen unten bringen konnte, mit dem sie sprach; »es wäre nicht Asa?«

»Nein, ich bin weder Asa, noch Absalon, noch sonst einer von den hebräischen Prinzen, sondern Obed, die Wurzel und der Stamm von ihnen allen. Sagt‘ ich nicht, Weib, daß Ihr hier Jemand warten lasset, der so viel Anspruch auf einen friedlichen und ehrenvollen Empfang hat. Haltet Ihr mich für ein Thier aus der Classe Amphibia, und meint, ich könnte mit meinen Lungen umgehen, wie der Grobschmidt mit seinen Blasbalgen.«

Der Naturforscher hätte wohl seinen Athem noch weit länger angestrengt, ohne die gewünschte Wirkung zu erreichen, wäre Esther seine einzige Zuhörerin gewesen. Getäuscht und beunruhigt, hatte schon das Weib ihr Lager gesucht, und schickte sich in einer Art verzweifelter Gleichgültigkeit an, schlafen zu gehen. Aber Abner, die Wache unten, war durch das Geschrei aus einer außerordentlich zweideutigen Lage aufgeschreckt worden, und ließ, als er hinlänglich zu sich selbst gekommen, um die Stimme des Doctors zu erkennen, diesen ohne weitern Verzug herein. Battius stolperte durch den engen Eingang mit ganz besonderer Ungeduld, und stieg schon der schwierigen Anhöhe hinauf, als er noch einen Blick aus den Pförtner warf, und stehen blieb, um mit einem Ton, der außerordentlich ermahnend sein sollte, noch zu bemerken:

»Abner, ich finde gefährliche Symptome von Schläfrigkeit an dir. Sie zeigt sich hinlänglich an deiner Neigung zum Gähnen, und könnte sehr gefährlich für dich und deines Vaters ganze Familie werden.«

»Nie wart Ihr in größerm Irrthum, Doctor,« erwiederte der Jüngling, und gähnte wie ein fauler Löwe, »ich habe kein Symptom, wie Ihr es nennt, nirgends an mir, und was den Vater und die Kinder betrifft, so denk‘ ich, haben die Pocken und Rötheln seit vielen Monaten hinlänglich unter uns ausgetobt.«

Zufrieden mit seiner kurzen Ermahnung, war schon der Naturforscher halb über die Hindernisse hinaus, welche die Anhöhe schützten, ehe der bedächtige Abner seine Rechtfertigung geendet hatte. Auf dem Gipfel dachte Obed gewiß Esther zu finden, von deren Geschicklichkeit in der Zunge er zu oft die stärksten Beweise erhalten hatte, und vor der er zu viel Ehrfurcht hegte, um eine Wiederholung ihrer Angriffe zu wünschen. Der Leser kann voraussehen, daß er angenehm überrascht werden sollte. Er trat leise auf und sah oft furchtsam über die Schulter in die Höhe, als fürchte er einen Schauer von oben, der aus etwas weit furchtbarerem als Worte bestehen möchte, und kam so glücklich an den Ort, der ihm bei der allgemeinen Austheilung der Lagerstätten angewiesen worden war.

Statt zu schlafen, saß der würdige Naturforscher sinnend über dem, was er während des Tags gehört und gesehen hatte, bis das Bewegen und Murmeln in Esther’s Cabinet, die sein nächster Nachbar war, ihn überzeugte, daß sie noch wache. Er sah die Nothwendigkeit ein, etwas zu thun, was diesen weiblichen Cerberus entwaffnen könnte, ehe er seinen Plan ausführen dürfe, und so fand sich der Doctor, so ungern er auch ihrer Zunge begegnete, gezwungen, sie zu einer Unterhaltung aufzufordern.

»Ihr scheint nicht zu schlafen, meine gütigste, würdigste Frau Busch,« sagte er, entschlossen, sein Anerbieten mit einem Pflaster zu eröffnen, das, wie er fand, gewöhnlich anschlug; »Ihr scheint übel zu ruhen, meine verehrte Wirthin; kann ich etwas gegen Euer Leiden anbieten?«

»Was würdet Ihr mir geben,« brummte Esther. »Ein beschmiertes Läppchen, um Schlaf zu bekommen!«

»Sagt lieber ein Cataplasma. Aber wenn Ihr Schmerzen habt, hier sind herrliche Tropfen, welche, in einem Glas von meinem Cognac genommen, Euch Ruhe verschaffen werden, oder ich müßte wenig von der materia medica verstehen.«

Der Doctor hatte, wie er wohl wußte, Esther an ihrer schwachen Seite angegriffen; und da er die Annahme seines Rezepts nicht bezweifelte, machte er sich ohne allen unnöthigen Aufschub an die Zubereitung. Sein Anerbieten ward auf eine barsche, drohende Art angenommen, aber mit einer Leichtigkeit verschlungen, die klar zeigte, wie sehr sein Patient es liebte. Das Weib murmelte Dank, und ihr Arzt setzte sich ruhig hin, die Wirkung der Dosis abzuwarten. In weniger als einer halben Stunde ward das Athmen der Esther so tief, und wie es der Doctor selbst nannte, so abstract, daß hätte er diesen neuen Anfall von Schlafsucht nicht der mächtigen Gabe Opium, womit er den Branntwein versetzt, zuschreiben müssen, er fast Ursache gehabt, in sein eigenes Rezept Mißtrauen zu setzen. Mit dem Schlaf des unruhigen Weibes ward die Stille tief und allgemein.

Nun hielt es Doctor Battius für sicher aufzustehen. Mit der leisen Vorsicht eines Nachtdiebs stahl er sich aus seinem Cabinet oder vielmehr Stall, denn es verdiente keinen bessern Namen, und ging nach den naheliegenden Schlafstätten. Hier versicherte er sich, daß all‘ seine Nachbarn in tiefen Schlaf begraben waren; dann von diesem wichtigen Umstand überzeugt, zögerte er nicht länger, sondern stieg die mühevolle Anhöhe hinaus, welche zu der obersten Spitze des Felsen führte. Sein Gang, obgleich außerordentlich vorsichtig, war doch nicht ganz geräuschlos, und als er sich eben Glück wünschte, daß er seinen Zweck erreicht hatte und seinen Fuß auf die höchste Spitze setzen wollte, hielt ihn eine Hand an dem Saum seines Kleides, welche so wirksam seinem Fortschreiten ein Ende machte, als wenn Ismael’s gigantische Stärke selbst ihn an dem Boden festhielt.

»Ist Jemand krank im Zelt,« lispelte eine sanfte Stimme ihm in’s Ohr, »daß Doctor Battius zu einer solchen Stunde seinen Besuch macht?«

Sobald das Herz des Naturforschers von seiner hastigen Expedition in seine Kehle zurückgekommen war, wie ein in dem Bau des Thiers weniger Unterrichteter, als Doctor Battius sich diese ungewöhnliche Stimmung, in welcher er bei der unerwarteten Unterbrechung sich befunden hatte, erklärt haben würde, fand er sich entschlossen genug zu antworten, aber sowohl aus Schreck als aus Klugheit mit eben so gedampfter Stimme.

»Meine würd’ge Nelly, ich freue mich außerordentlich, daß es Niemand anders ist als du. Hst, hst, Kind, erführ Ismael etwas von unsern Plänen, er würde uns beide von dem Felsen in die Ebene hinunterstürzen. Still, Nelly, still.«

Da der Doctor, während er diese Ermahnungen gab, immer weiter hinaufstieg, so fanden sich beide, als er geendet, auf dem obersten Punct des Felsen.

»Und nun, Doctor Battius,« fragte das Mädchen ernst, »darf ich jetzt die Ursache wissen, warum Ihr Euch dem Fall aussetzt, von diesem Ort ohne Flügel und mit unvermeidlicher Gefahr für Euren Hals herunterzusegeln?«

»Nichts soll dir verborgen bleiben, meine würdige, treue Nelly; aber seid Ihr sicher, daß Ismael nicht erwacht?«

»Fürchtet nichts von ihm, er wird schlafen, bis die Sonne seine Augenlieder trifft. Gefahr kommt von meiner Tante.«

»Esther schläft,« erwiederte der Doctor bedeutungsvoll. »Ellen, Ihr habt auf diesem Felsen heute Wache gestanden?«

»Es ward mir befohlen.«

»Und Ihr saht den Bison, die Antilope, den Wolf und das Reh, wie gewöhnlich; Thiere aus den Ordnungen: belluae, pecora und ferae.«

»Ich sah die Thiere, die Ihr in unsrer Sprache genannt habt, aber ich verstehe nichts von den indianischen Sprachen.«

»Es gibt auch eine Ordnung, die ich nicht genannt habe, die die Ihr auch gesehen habt. Die primates, ist’s nicht wahr?«

»Ich weiß nicht, ich kenn‘ kein Thier von diesem Namen.«

»Nun, Ellen, Ihr sprecht mit einem Freund. Von dem Geschlecht homo, Kind?«

»Was mir auch zu Gesicht gekommen sein mag, sicher sah ich nicht Vespertilio horribi –«

»Hsch, Nelly, dein Eifer wird uns verrathen. Sagt mir, Mädchen, saht Ihr nicht gewisse Zweifüßler, genannt Menschen, in den Steppen?«

»Freilich; mein Oheim und seine Söhne haben Büffel gejagt bis Sonnenuntergang.«

»Ich muß in der Landessprache reden, um verstanden zu werden; Ellen, ich wollte sagen, von der Species Kentucky.«

Obgleich Ellen wie die Rose erröthete, ward dies glücklicherweise durch die Dunkelheit verdeckt. Sie zögerte einen Augenblick und faßte sich dann hinlänglich, um bestimmt zu sagen:

»Wenn Ihr in Gleichnissen reden wollt, Doctor Battius, müßt Ihr Euch einen andern Zuhörer suchen. Legt mir Eure Fragen deutlich, in unserer Sprache vor, und ich will sie eben so treu beantworten.«

»Ich bin in dieser Wüste herumgezogen, Nelly, wie du weißt, um Thiere zu suchen, die sich bis jetzt vor dem Auge der Wissenschaft versteckt haben. Unter andern entdeckte ich einen Zweifüßler von dem Genus, homo; Species, Kentucky, den ich Paul nenne.«

»Hst, um’s Himmelswillen,« sagte Ellen, »sprecht leise, Doctor oder wir werden gehört.«

»Ja, Paul Hover, von Gewerb ein Sammler von apes oder Bienen,« fuhr der Andere fort. »Sprech ich jetzt verständlich, verstehst du es nun?«

»Vollkommen, vollkommen,« erwiederte das bestürzte Mädchen, das in ihrem Erstaunen kaum zu Athem kommen konnte. »Aber was ist mit ihm, hieß er Euch auf den Felsen steigen, – er weiß selbst nichts, denn ich schwur meinem Onkel, und so ist mein Mund verschlossen.«

»Ei, aber da ist einer, der hat keinen Eid geschworen, und hat alles entdeckt. Ich wünschte, der Schleier, der über die Geheimnisse der Natur gebreitet ist, wär‘ eben so gänzlich von ihren verborgnen Schätzen weggenommen. Ellen, Ellen, der Mann mit dem ich unkluger Weise ein compactum oder einen Vertrag geschlossen habe, ist außerordentlich vergessen in den Pflichten der Ehrlichkeit! Dein Oheim, Kind.«

»Ihr meint Ismael Busch, meines Vaters Bruders Wittwe Mann,« erwiederte das beleidigte Mädchen ein wenig stolz; »in der That, es ist grausam, mir ein Verwandtschaftsband vorzuwerfen, das der Zufall geknüpft hat, und das ich so gerne für immer zerreißen möchte.«

Die erniedrigte Ellen konnte nichts weiter hervorbringen, sondern sank auf einen Vorsprung des Felsen und schluchzte auf eine Art, die ihre Lage doppelt gefährlich machte. Der Doctor murmelte einige Worte, die eine Entschuldigung sein sollten, aber ehe er noch Zeit hatte, seine mühsame Rechtfertigung zu schließen, stand sie auf und sagte mit großer Entschlossenheit:

»Ich kam nicht hierher, um meine Zeit mit thörichten Thränen hinzubringen, noch Ihr, um sie zu stillen. Was hat Euch also hierher gebracht?«

»Ich muß den Bewohner dieses Zeltes sehen.«

»Ihr wißt, was es enthält?«

»Ich bin wohl geneigt, es zu glauben, und habe einen Brief, den ich selbst übergeben muß. Ist das Thier ein Quadruped, dann ist Ismael ein aufrichtiger Mann, ist es ein Biped, befiedert oder unbefiedert, dann kümmere ich mich um nichts; er ist falsch, und unser compactum ist zu Ende!«

Ellen gab dem Doctor ein Zeichen zu bleiben und stille zu sein. Dann schlüpfte sie in das Zelt und blieb mehrere Minuten, die für den Wartenden draußen außerordentlich unangenehm und voller Angst waren. Doch sie kehrte zurück, nahm ihn bei der Hand, und beide verschwanden zusammen hinter den Falten der geheimnißvollen Decke.

Vierzehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Einige Erklärungen, – ein menschlicher Appetit,– ein Mittagessen und ein Trinkgeld.

Der Brigadier und ich blieben zurück, die Hauptpunkte des unerwarteten Auftritts zu besprechen.

»Ihr strenges Verlangen nach Beweggründen, mein Lieber,« bemerkte ich, »beschränkt doch gar sehr die Springniedriger politische Moralität, und setzt sie dem gesellschaftlichen Anhaltspunkt-System bei uns gleich.«

»Sie Beide, das ist richtig, haben zur Krücke die persönlichen Interessen; jedoch ist zwischen ihnen der Unterschied der Interessen eines Theils und der des Ganzen.«

»Und könnte ein Theil weniger richtig handeln, als das Ganze in diesem Fall gehandelt hat?« »Sie vergessen, daß sich Springniedrig gerade in diesem Augenblick unter einer moralischen Verfinsterung befindet; ich will nicht damit sagen, daß diese Verfinsterungen nicht so oft vorfallen, aber sie fallen in andern Theilen des Landes so oft vor, wie hier. Wir haben drei große Arten, die Monikin’schen Angelegenheiten zu leiten: durch Einen, durch Wenige, durch Viele – –«

»Ganz dieselbe Eintheilung besteht bei den Menschen,« fiel ich ein.

»Einige unsrer Verbesserungen wirken auch rückwärts, das Zwielicht geht ja dem Lauf der Sonne nicht nur voraus, sondern folgt ihm auch;« entgegnete ganz ruhig der Brigadier. »Wir denken, die Vielen brächten’s am nächsten in Verhindrung des Uebels, wiewohl wir auch diese für gar nicht unbefleckt halten. Gibt man zu, daß die Neigung zum Bösen in diesen drei Systemen gleich ist, (was wir indessen nicht zugeben, da wir der Meinung sind, unseres habe deren am wenigsten), so behauptet man doch, daß die Vielen einer großen Quelle des Drucks und der Ungerechtigkeit entgehen; sie brauchen nämlich nicht die schwierigen Vorkehrungen zu treffen, die die physische Schwäche zu machen gezwungen ist, um sich gegen physische Stärke zu wahren.«

»Das stößt eine sehr vorherrschende Ansicht unter den Menschen um, Sir, die gewöhnlich behaupten, die Tyrannei der Vielen sei die schlimmste von allen.«

»Diese Idee hat sich nur verbreitet, weil der Löwe nicht sich hat abkonterfeien lassen wollen. Da Grausamkeit gewöhnlich im Geleite der Feigheit geht, so ist Unterdrückung, neun Mal unter zehn; das Ergebniß der Schwäche. Es ist natürlich, daß die Wenigen die Vielen fürchten, nicht aber umgekehrt. Sodann werden unter Institutionen, worin die Vielen regieren, gewisse auf natürliche Gerechtigkeit gegründete Grundsätze offen anerkannt, und es ist wirklich selten, daß sie nicht auf die Staatsverhandlungen Einfluß haben. Andrerseits verlangt die Regierung der Wenigen, daß diese selben Wahrheiten entweder entstellt oder ganz unterdrückt werden, und die Folge davon ist Ungerechtigkeit.«

»Aber alle Eure Ansichten über die Vielen und Wenigen angenommen, Brigadier, müßt Ihr doch zugeben, daß hier in Eurem geliebten Springniedrig selbst die Monikins ihre eignen Interessen um Rath fragen, und das heißt doch nach dem Grundprincip des großen europäischen socialen Anhaltpunkt-Systems verfahren.«

Das heißt, die Güter der Welt sollten das Mittel zur politischen Macht sein. An der traurigen Verwirrung, die in diesem Augenblick unter uns herrscht, Sir John, müßt Ihr bemerken, daß wir eben nicht unter den heilsamsten aller politischen Einflüsse stehen. Ich gebe es zu, daß das große Erforderniß der Staatsgesellschaft ist, durch gewisse große moralische Wahrheiten beherrscht zu werden. Die Folgerungen und Korollarien aus diesen Wahrheiten sind Grundsätze, die vom Himmel kommen; nun ist aber nach Monikin’schen Dogmen die Liebe zum Geld von der Erde, irdisch, und bei’m ersten Anblick möchte es nicht ganz sicher sein, solch einen Antrieb als leitendes Princip für einen Monikin anzunehmen, und durch leichte Schlußfolge auch nicht für Viele. Ihr müßt auch bedenken, daß, wenn nur die Reichen Macht haben, beherrschen sie nicht allein ihr Eigenthum, sondern auch das derer, die weniger haben. Euer Grundsatz setzt voraus, daß bei Besorgung seiner eignen Besitzthümer der begüterte Wähler auch Sorge für das haben muß, was der übrigen Gemeinde gehört; aber unsre Erfahrung zeigt, daß ein Monikin ganz außerordentlich für sich Sorge haben und doch sich sehr wenig um seinen Nächsten bekümmern kann.«

»Ihr werft Alles um, Brigadier, ohne etwas besser zu finden.«

»Nur, weil es leicht ist, Alles umzustoßen, und sehr schwer, etwas Besseres zu finden. Aber in Hinsicht des Fundaments der Staatsgesellschaft, bezweifle ich nur, ob es weise, eine Befähigung aufzustellen, die, wie wir Alle wissen, auf schlechtem Grunde beruht. Ich fürchte sehr, Sir John, daß, so lange Monikins Monikins sind, wir nie ganz vollkommen sein werden, und in Hinsicht Eures socialen Anhaltpunkt-Systems mein‘ ich, daß, da die Gesellschaft aus Allen besteht, es nicht übel sein mag, wenn wir hören, was Alle über ihre Leitung zu sagen haben.«

»Vielen Menschen und wohl auch vielen Monikins darf man die Leitung ihrer eignen Angelegenheiten nicht anvertrauen.« »Sehr wahr; aber daraus folgt nicht, daß andre Menschen und andre Monikins deßwegen ihre eignen Interessen aus dem Gesichte verlieren werden, wenn man sie als ihre Stellvertreter hinstellt. Ihr seid lang genug Gesetzgeber gewesen, um einen Begriff zu bekommen, wie schwer es ist, einen eigentlichen und verantwortlichen Stellvertreter zur gehörigen Achtung der Interessen und Wünsche seiner Konstituenten zu bringen, und Thatsachen werden Euch beweisen, wie wenig der wohl an Andre denken wird, der als ihr Herr zu handeln vermeint und nicht als ihr Diener.«

»Das Ergebniß aus allem dem, Brigadier, ist, daß Ihr wenig an Monikin’sche Uneigennützigkeit in irgend einer Gestalt glaubt, daß Ihr meint, Jeder, der Gewalt hat, werde sie mißbrauchen, und so wollt Ihr denn das Anvertraute vertheilen, um auch die Mißbräuche zu theilen; daß ferner die Liebe zum Geld eine irdische Eigenschaft ist, der man für Leitung eines Staats nicht trauen darf, und endlich, daß das sociale Anhaltpunkt-System durch und durch schlecht ist, dieweil es nur ein Princip durchführt, das für sich selbst mangelhaft ist.«

Mein Freund gähnte, als mögte er gerne hiemit die Sache beruhen lassen; ich wünschte ihm guten Morgen und ging die Treppe hinauf, Noah zu suchen, dessen fleischverzehrende Blicke mir beträchtliche Unruhe gemacht hatten. Der Kapitän war aus, und nachdem ich eine oder zwei Stunden nach ihm gesucht hatte, kehrte ich in unsre Wohnung müde und hungrig zurück.

Nicht weit von der Thüre stieß ich auf Richter Volksfreund, der geschoren und niedergeschlagen war, und ich stand stille, ihm ein tröstendes Wort zu sagen, ehe ich die Leiter hinaufstiege. Man konnte nicht anders, wenn man einen Herrn sah, den man in guter Gesellschaft und unter bessern Umständen getroffen, der jetzt jedes Haar von seinem Leibe geschoren, und dessen Fleisch noch blutete von der frischen Amputation, in dessen Miene ferner republikanische Demuth lag, man konnte nicht anders, man mußte ihn trösten wollen. Ich drückte ihm deßwegen mein Beileid so kurz, wie möglich, aus und ermuthigte ihn mit der Hoffnung, er werde bald einen neuen Flaum kommen sehen, enthielt mich jedoch jeder Hinweisung auf seinen Schweif, dessen Verlust, wie ich wußte, unersetzlich war. Zu meinem größten Erstaunen antwortete jedoch der Richter freudig und legte für den Augenblick jeden Anschein von Selbsterniedrigung und Demuth ab.

»Wie ist das?« rief ich, »Ihr seid also nicht unglücklich?«

»Weit gefehlt, Sir John! ich hatte nie mehr Muth und bessere Aussichten in meinem Leben.«

Ich erinnerte mich der außerordentlichen Weise, wie der Brigadier Noah’s Haupt gerettet, und war vollständig entschlossen, nicht über irgend eine Darlegung Monikin’schen Scharfsinns erstaunt zu sein. Doch bat ich um einige Erklärung.

»Es mag Euch seltsam verkommen, Sir John, einen Politiker zu finden, der dem Anschein nach in der Tiefe der Verzweiflung liegt, und doch am Vorabend glorreicher Erhebung steht. So ist’s aber doch mit mir. In Springniedrig gilt Demuth Alles. Der Monikin, der Acht hat, und oft genug wiederholt, daß er der ärmste Teufel ist, gänzlich unfähig zum geringsten Amt im Lande, und sonst auch aus der Staatsgesellschaft gänzlich erstoßen zu werden verdiente, der kann sich mit Recht auf gutem Weg zu den Würden glauben, zu deren Erlangung er sich als den Unwürdigsten erklärt.«

»Dann braucht er also nur zu wählen, und am lautsten gerade für ein solches Amt seine Unfähigkeit auszuschreien.«

»Ihr habt Talente, Sir John, und würdet es weit bringen, wenn Ihr nur bei uns bleiben wolltet,« sagte der Richter zunickend.

»Ich begreife jetzt Euer Verfahren; Ihr seid also weder unglücklich, noch demüthig.«

»Ganz und gar nicht. Für Monikins meiner Art ist es am wichtigsten, eher Alles zu scheinen, als es zu sein. Meine Mitbürger begnügen sich gewöhnlich mit diesem Opfer, und da jetzt das Moralprincip verdunkelt ist, ist nichts leichter.«

»Aber wie kommt’s, Richter, daß Ihr mit Eurer Behendigkeit und Schnelle in allen Sprüngen und Gyrationen dazu gezwungen seid; sollte vielleicht der kleine Umstand mit Eurem Schweif?«

Der Richter lachte mir gerade in’s Gesicht. »Ich sehe, Ihr begreift uns doch immer noch nicht recht. Hier haben wir die Schweife als antirepublikanisch verbannt, da beide Meinungen sich dagegen erhoben, und doch kann auswärts ein Monikin einen tragen eine Meile lang, ohne Gefahr, nur muß er sich, kommt er nach Hause, einer neuen Verstümmlung unterwerfen und schwören, er sei der elendeste Wicht von der Welt. Lobt er dann noch die Hunde und Katzen in Springniedrig, dann, guter Gott! würden sie ihm selbst Hochverrath verzeihen.«

»Ich begreife jetzt Eure Politik, Richter, wenn auch nicht Eure Staatspolitik. Da Springniedrig eine Volksherrschaft ist, müssen nothwendig seine politischen Agenten volksthümlich sein. Da nun die Monikins natürlich an ihren eignen Vortrefflichkeiten sich ergötzen, macht nichts sie so geneigt, Andern zu glauben, als deren Versicherung, sie seien schlechter, als sie.«

Der Richter nickte und lachte.

»Aber noch ein Wort, mein Lieber! Da Ihr die Hunde und Katzen von Springniedrig zu preisen gezwungen seid, so gehört Ihr wohl zu der Schule von Katzenbegünstigern, die sich wegen ihrer Liebe zu diesen Vierfüßlern dadurch rächen, daß sie ihre Mitgeschöpfe wie Ratten benagen.«

Der Richter fuhr auf und schaute um sich, als fürchte er einen Taschendieb. Dann bat er mich ernstlich, seine Stellung zu berücksichtigen, und lispelte mir zu, daß des Volks Sache bei ihm heilig wäre, und er selten von ihm spräche ohne Verbeugung. Seine besondre Vorliebe für die Hunde und Katzen rühre auch von nichts Anderm her, nicht von einem eigenthümlichen Verdienst dieser Thiere, sondern blos daher, weil sie des Volkes Hunde und Katzen wären. In der Furcht, ich könnte noch etwas Unangenehmeres sagen, nahm der Richter eilig Abschied, und ich sah ihn nie wieder. Ich zweifle jedoch nicht, daß zu rechter Zeit sein Haar wieder wuchs, wie er in Gunst, und er bei allen passenden Gelegenheiten Mittel fand, die gehörige Schweiflänge wieder zu erhalten.

Jetzt zog ein Auflauf in den Straßen meine Aufmerksamkeit auf sich; ich näherte mich, und ein Kollege, der sich dort befand, erklärte mir gütigst die Ursache. Einige Springhocher hatten, wie es schien, nach Springniedrig Reisen gemacht, und, nicht zufrieden mit dieser Freiheit, hatten sie auch wirklich Bücher über das, was sie gesehen und auch nicht gesehen, geschrieben. Ueber das Letztre zeigte sich keine der beiden öffentlichen Meinungen sehr gerührt, obgleich viele der Schriftsteller streng über die große Nationalallegorie und die heiligen Rechte der Monikins geurtheilt; aber in Hinsicht des Erstern, des Gesehenen, war große Aufregung. Diese Schriftsteller hatten die Kühnheit, zu sagen, die Springniedriger hätten alle ihre Schweife abgehauen, und die ganze Gemeinde lag wegen so unerhörter Beleidigung in Krämpfen. Es wäre etwas ganz Andres, so etwas zu thun, und etwas Andres, es der Welt in Büchern sagen zu hören. Wenn die Springniedriger keine Schweife hätten, so sei das nur ihre Schuld, die Natur hätte sie ganz wie andre Monikins gebildet. Sie hätten sich nach einem republikanischen Princip abgestumpft, und Niemanden dürften seine Grundsätze auf diese rohe Weise vorgeworfen werden, besonders während einer moralischen Verfinsterung.

Die Vertheiler der Essenz aus den abgehauenen Schweifen drohten Rache, Karrikaturmaler wurden in Bewegung gesetzt, einige grinsten, einige drohten, einige fluchten, aber alle lasen.

Ich verließ den Haufen und ging wieder auf meine Thüre zu, immer über diesen seltsamen Zustand der Gesellschaft nachdenkend, in welchem eine vorbedachte und öffentlich angenommene Eigenthümlichkeit zu einer so ungewöhnlichen Reizbarkeit des Charakters Anlaß geben konnte. Ich wußte wohl, daß sich die Menschen gemeiniglich mehr der natürlichen Unvollkommenheiten schämen, als derer, welche größten Theils von ihnen selbst abhängen; aber dann stehen auch die Menschen, wenigstens nach ihrem eignen Ausspruch, an der Spitze der Schöpfung, und so ist es vernünftig anzunehmen, daß sie auf ihre natürlichen Vorrechte eifersüchtig sind. Der gegenwärtige Fall war aber nicht allgemein und ging nicht mehr blos Springniedrig an, und so konnte ich es mir nur durch die Voraussetzung erklären, daß die Natur in dem Springniedriger Körperbau einige Nerven an den unrechten Ort gesetzt.

Als ich in das Haus trat, begrüßte ein starker Geruch von gebratenem Fleisch meine Nase und erregte eine sehr unphilosophische Lust in meinen Riechnerven, – eine Lust, die auch sehr direkt auf die gastrischen Säfte des Magens zurückwirkte. Auf gut deutsch, ich hatte einen sehr sichtbaren Beweis, daß es nicht genug sei, einen Mann in das Monikinland zu bringen, ihn in’s Parlament zu schicken und eine Woche lang mit Nüssen zu ernähren, um ihn ganz ätherisch zu machen. Ich fand, es sei vergebens, gegen den Stachel zu lecken; der Geruch von dem Braten war stärker, als alles Vorbenannte, und ich gab gerne die Philosophie auf, um mich gänzlich dem Magen zu überlassen. Ich ging alsbald, von einem nicht geistreicheren Sinn geleitet, als der des Jagdhundes ist, in die Küche herab.

Bei’m Oeffnen der Thür unseres Speisesaals begrüßte ein so köstlicher Wohlgeruch die Nase, daß ich gleich einem romantischen Mädchen bei einem Wasserfall dahinschmolz, und, alle höheren, eben erst erlangten Wahrheiten aus dem Gesicht verlierend, fand ich mich der besondern menschlichen Schwäche hingegeben, daß ich, wie man’s gewöhnlich beschreibt, den Mund voll Wasser hatte.

Der Robbenfänger hatte die Monikin’sche Enthaltsamkeit ganz aufgegeben und ergötzte sich auf ganz menschliche Weise. Ein Gericht gebratenen Fleisches stand vor ihm, und seine Augen erglänzten gar sehr, als er sie von mir weg auf sein Essen wandte, so daß es etwas zweifelhaft wurde, ob ich ein willkommener Besuch sein werde. Aber jener ehrliche alte Grundsatz der Seeleute, der sich nie weigert, mit einem alten Tischgenossen zu gleichen Theilen zu theilen, siegte selbst über seine Gefräßigkeit.

»Setzt Euch her, Sir John!« rief der Kapitän, ohne mit Kauen aufzuhören, »und denkt nicht, es seien Knochen. Die Wahrheit zu gestehen, die letztern sind fast so gut, als das Fleisch; ich aß nie einen süßern Bissen.«

Ich wartete eine zweite Einladung nicht ab, das kann mir der Leser glauben, und in weniger, als zehn Minuten war der Tisch so rein, wie von Harpyen angefallen. Da auch dies Werk für eine Erzählung gelten soll, wo der Wahrheit streng nachgekommen wird, muß ich gestehen, daß ich mich keiner Befriedigung irgend eines Gefühls erinnre, das mir halb so viel Lust erzeugte, als dies kurze und eilige Mahl. Ich sehe es jetzt noch als das wirkliche Ideal eines Mittagessens an. Sein Fehler lag in der Quantität, nicht in der Qualität. Ich schaute mich gierig nach mehr um, da erblickte ich ein Antlitz, das mich mit trauernden Vorwürfen anzuschauen schien. Die Wahrheit blitzte in mir auf in einer Fluth schrecklicher Gewissensbisse. Ich stürzte auf Noah wie ein Tiger, ich faßte ihn an der Kehle, ich schrie mit einer Stimme der Verzweiflung:

»Kannibale! was hast du gethan?«

»Laßt mich los, Sir John! Wir lieben nicht diese Spässe in Stonington.«

»Elender! du hast mich zum Theilnehmer deines Verbrechens gemacht. Wir haben den Brigadier Geradaus aufgegessen!«

»Laßt nur los, Sir John! oder Menschen-Natur rebellirt.«

»Ungeheuer! gib dein unheiliges Mahl wieder von dir! Siehst du nicht tausend Vorwürfe in den Augen des unschuldigen Opfers deines unersättlichen Hungers?«

»Laßt los, Sir John, laßt los! so lange wir Freunde sind. Mich kümmert’s nicht, und wenn ich alle Brigadiers in Springniedrig verschlungen. Nur weg!«

»Nicht, bevor du nicht dein gottloses Mahl ausspei’st!«

Noah konnte es nicht länger aushalten, er ergriff nun mich nach dem Wiedervergeltungsrecht bei der Kehle, und ich hatte bald die Gefühle, wie sie Einer haben müßte, dessen Gurgel unter einer Schnüre sich befände. Ich will das Wunder, das jetzt folgte, nicht in’s Einzelne zu beschreiben versuchen. Das Hängen müßte ein wirksames Mittel für mancherlei Täuschungen sein; denn bei mir that der Zwang, unter dem ich lag, wirklich Wunder in sehr kurzer Zeit. Allmählig änderte sich die ganze Scene; erst kam ein Nebel, dann ein Taumel, und endlich, als der Kapitän mich losließ, erschienen die Gegenstände unter ganz neuen Gestalten, und statt in unserer Wohnung in Bivouac befand ich mich in meinem alten Zimmer in der Straße Rivoli zu Paris.

»König!« rief Noah, der mit vor Anstrengung rothem Gesicht vor mir stand, »das ist kein Kinderspiel, und wenn’s noch ein Mal so kommt, werde ich Seile gebrauchen. Was wär’s denn, Sir John, wenn Jemand einen Affen verzehrte?«

Staunen hielt mich stumm. Alles war noch so, wie ich es an dem Morgen verlassen, wo wir nach London auf unsrer Reise nach Springhoch uns aufmachten. Ein Tisch mitten im Zimmer war mit engbeschriebenen Papierbogen bedeckt, welche, bei näherer Untersuchung, dies Manuskript bis an’s letzte Kapitel enthielten. Der Kapitän und ich waren wie gewöhnlich gekleidet, ich à la Parisienne, er à la Stonington. Ein kleines, sehr sinnreich gefertigtes Schiff mit allem Tauwerk lag mit dem Namen Wallroß beschrieben auf dem Boden. Als mein zerstörtes Auge auf dies Fahrzeug fiel, sagte mir Noah, da er nichts weiter zu thun gehabt, als über meine Gesundheit zu wachen, (eine sehr höfliche Bezeichnung für seine Beaufsichtigung meiner Person, wie ich später fand,) so habe er seine Muse zur Erbauung dieses Spielwerks benutzt.

Alles war unerklärlich. Es war wirklich der Geruch von Fleisch noch da; ich hatte noch das besondre Gefühl der Fülle, das wohl auf ein Mittagessen folgt, und eine Schüssel voller Knochen stand mir vor den Augen. Ich nahm einen der letztern, um das genau zu bestimmen. Der Kapitän sagte mir gütigst, daß es das Ueberbleibsel eines Spanferkels sei, das zu erhalten ihn große Mühe gekostet, da die Franzosen, ein solches Schweinchen zu essen, für kaum weniger gefährlich hielten, als das Aufzehren eines Kindes. Ahnungen tauchten in mir auf, und ich sah mich nun nach dem Haupt und vorwurfsvollen Auge des Brigadiers um.

Das Haupt war, wo ich es vorher gesehen; über einen Koffer ragte es hinaus, aber es stand hoch genug, um zu sehen, daß es noch auf seinen Schultern war. Ein zweiter Blick ließ mich das nachdenkende, philosophische Haupt des Dr. Raisono erkennen; er war noch in seiner Husarenjacke und seinem Leibrock, obwohl er, da er zu Hause, mit vollem Recht den dreieckigen Hut mit den schmutzigen Federn bei Seite gelegt.

Ein Geräusch ließ sich im Vorzimmer vernehmen, und ein schnelles Reden in leisem, ernstem Ton folgte. Der Kapitän verschwand und ging zu den Sprechenden. Ich lauschte eifrig, konnte aber nichts von einem Dialekt nach dem Decimalsystem vernehmen. Alsbald öffnete sich die Thür und Dr. Etherington stand vor mir.

Der gute Geistliche betrachtete mich lang und ernst. Thränen erfüllten seine Augen, und beide Hände nach mir ausstreckend, sagte er:

»Kennt Ihr mich, Jack?«

»Euch kennen, Sir, wie sollte ich nicht?«

»Und verzeiht Ihr mir, Lieber?«

»Was, Sir? Sicher muß ich Eure Verzeihung für tausend Thorheiten erbitten.«

»Ach, der Brief, – der unfreundliche, unbedachte Brief!«

»Ich hab‘ seit einem Jahre keinen Brief von Euch erhalten, Sir; der letztere war nichts weniger, als ungütig.«

»Wenn auch Anna schrieb, diktirte ich doch.«

Ich fuhr mit der Hand über die Stirne, und die Wahrheit tagte in mir auf.

»Anna?«

»Sie ist hier, in Paris, unglücklich, sehr unglücklich um Euretwillen!«

Jedes Theilchen von Monikinschaft, das noch in mir geblieben, wich augenblicklich einer Fluth menschlicher Gefühle.

»Laßt mich zu ihr eilen, lieber Sir, jeder Augenblick ist ein Jahrhundert!«

»Nicht jetzt gerade, mein Junge; wir haben viel einander zu sagen, auch ist sie nicht in diesem Hotel. Morgen, wenn ihr beide besser vorbereitet, sollt ihr euch sehen.«

»Fügt bei, euch nie wieder zu trennen, Sir, und ich will geduldig sein, wie ein Lamm.«

»Euch nie wieder zu trennen, hoffe ich sagen zu können.«

Ich fiel meinem ehrwürdigen Führer um den Hals, und fand köstliche Erleichterung von einer schweren Last von Gefühlen in einer Fluth Thränen. Dr. Etherington brachte mich bald in eine ruhigere Gemüthsstimmung. Im Lauf des Tags wurde vieles besprochen und geordnet. Man sagte mir, Kapitän Poke sei eine gute Wärterin gewesen, jedoch auf Robbenfänger-Art, und das Geringste, was ich für ihn thun könnte, sei, ihn kostenfrei nach Stonington zu schicken. Das ward besorgt und der würdige aber absprechende Seemann mit den Mitteln versehen, eine neue »Debby und Dolly« auszurüsten.

»Diese Philosophen sollten wir wohl in eine Akademie bringen,« bemerkte lächelnd der Doktor und deutete auf die Familie der liebenswürdigen Fremdlinge; »da Herr Raisono besonders schon so hohe akademische Titel hat, ist er für gewöhnliche Gesellschaft nicht geschickt.«

»Thut mit ihnen, wie’s Euch gefällt. Ihr, mir mehr als Vater. Laßt jedoch die armen Thiere keinen physischen Mangel leiden.«

»Auf alle ihre Bedürfnisse, physische und moralische, soll Rücksicht genommen werden.«

»Und in ein oder zwei Tagen reisen wir alle in’s Pfarrhaus?«

»Uebermorgen, wenn Ihr stark genug.«

»Und morgen?«

»Wird Euch Anna sehen.«

»Und den Tag darauf?«

»Nein, nicht so schnell, Jack; aber sobald wir Euch hinlänglich uns wiedergegeben glauben, soll sie Euer Geschick für die übrige Zeit Eures Prüfungsstandes mit Euch theilen.«

Fünfzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Ein wenig Freundschaft, – etwas Gefühl, viel Liebe, und – eine Abrechnung.

Eine Nacht süßer Ruhe ließ mich erfrischt und mit einem Puls, der weniger Bewegung verrieth, als am vorhergehenden Tag. Ich erwachte früh, nahm ein Bad und ließ Kapitän Poke rufen, den Kaffee mit mir einzunehmen, ehe wir schieden. Es war nämlich am vorhergehenden Abend festgesetzt worden, er solle ohne Weitres nach Stonington. Mein alter Tischgenosse, Kollege, Mitabenteurer und Reisegefährte gehorchte schnell meinem Ruf, und ich gestehe, seine Gegenwart war mir ein Trost; ich sah nicht gerne alle die Gegenstände, die so unerklärlich wieder vor meinen Augen erschienen, unbelebt durch die Gegenwart eines Mannes, der so viele ernste Auftritte mit mir durchgemacht.

»Das war eine sehr seltsame Reise, Kapitän Poke,« bemerkte ich, nachdem der würdige Robbenfänger sechzehn Eier, eine Omelette, sieben Kotelettes und verschiedene Nebensachen verschlungen. »Denkt Ihr Euer Tagebuch heraus zu geben?«

»Ei, nach meiner Meinung, Sir John, je weniger wir von der Reise sprechen, desto besser.« »Und warum? Wir haben die Entdeckungen von Kolumbus, Cook, Vancouver und Hudson gehabt, warum auch nicht die von Kapitän Poke?«

»Die Wahrheit zu sagen, wir Robbenfänger sprechen nicht gern von unsern Jagdgründen, und diese Monikins, was sind sie nütze? Ihr Fell wenigstens ist fast nichts werth.«

»Rechnet Ihr ihre Philosophie und ihre Jurisprudenz für nichts? Ihr waret ja so nahe daran, durch die Axt des Henkers Euer Haupt zu verlieren, und verlort wirklich Euern Schweif.«

Noah legte seine Hand hinter ihn und suchte mit offenbarer Unruhe nach dem Sitz der Vernunft. Zufrieden, daß ihm kein Leid geschehen, steckte er sehr ruhig ein halbes Tabacksröllchen in seine sogenannte Vorrathstasche.

»Ihr gebt mir wohl dies schöne Model von unserm guten alten Wallroß, Kapitän?«

»Nehmt es um’s Himmels willen, Sir John, und Glück dazu! Ihr gebt mir einen ausgewachsenen, großen Schooner und macht Euch nur schlecht durch dieß Spielwerk bezahlt.«

»Es ist dem theuern alten Schiff so ähnlich wie eine Krähe der andern.«

»Es mag sein; ich habe nie ein Model gesehen, das nicht in etwas dem Original gleich war.«

»Nun, mein guter Schiffsgefährte, wir müssen uns trennen. Ihr wißt, ich muß gehen, die Dame zu besuchen, die bald mein Weib sein wird, und die Diligence wird Euch nach Havre mitnehmen, ehe ich zurückkehre.«

»Gott segne Euch, Sir John, Gott segne Euch!« Noah schneuzte seine Nase, bis sie wie ein Posthorn erschallte, und mir däuchte, seine kleinen Kohlen von Augen glänzten selbst mehr als gewöhnlich, von Thränen wahrscheinlich. »Ihr seid ein drolliger Seemann und kümmert Euch nicht mehr um’s Eis, als ein Füllen um den Reif. Ist aber auch der Mann am Steuer nicht immer wach, schläft doch das Herz selten.«

»Wenn ›Debby und Delly‹ gehörig zu Wasser, werdet Ihr mir das Vergnügen machen, es mich wissen zu lassen.«

»Rechnet darauf, Sir John. Ehe wir jedoch scheiden, hab‘ ich eine kleine Gunstbezeugung zu erbitten.«

»Nennt sie!«

Hier zog Noah eine Art Basrelief, in Holz geschnitten, aus der Tasche. Es stellte Neptun mit einer Harpune statt dem Dreizack bewaffnet dar. Der Kapitän behauptete nämlich immer, der Gott der Meere sollte nie den letztern führen, statt dessen sollte er entweder mit der ihm gegebenen Waffe oder mit einem Bootshaken bewaffnet sein. Rechts von Neptun stand ein Engländer, der einen Beutel mit Guineen hielt, und an der andern Seite war ein Frauenzimmer, die, wie ich hörte, die Göttin der Freiheit vorstellen sollte, eigentlich aber ein etwas geschmeicheltes Portrait von Mad. Poke war. Das Antlitz des Neptun sollte einige Aehnlichkeit mit ihrem Gemahl haben. Der Kapitän bat nun mit der Bescheidenheit, die die unzertrennliche Begleiterin des Verdienstes in den Künsten ist, um die Erlaubniß, eine Kopie dieser Figur auf den Schooner stellen zu dürfen. Es wäre kindisch gewesen, solch ein Kompliment zu verweigern, und mit Widerstreben reichte ich Noah die Hand, als die Stunde der Trennung gekommen. Der Robbenfänger umarmte mich fester und schien mehr sagen zu wollen, als Adieu.

»Ihr werdet bald einen Engel sehen, Sir John.«

»Wie, wißt Ihr etwas von Miß Etherington.«

»Ich müßte ja blind wie ein Maulwurf sein. Während unsrer Reise sah ich sie oft.«

»Das ist seltsam. Aber Ihr habt offenbar etwas auf dem Herzen, mein Freund, sprecht frei.«

»Nun denn, Sir John, sprecht von Allem zu dem theuern Wesen, nur nicht von unsrer Reise. Ich denke, sie ist noch nicht ganz vorbereitet, von all den Wundern zu hören, die wir sahen.«

Ich versprach, klug zu sein, und der Kapitän, mir herzlich die Hand schüttelnd, wünschte mir endlich Lebewohl. In seiner Art lagen einige rohe Züge von Gefühl, die gewisse Saiten meines Systems berührten, und so war er schon einige Minuten fort, ehe ich mich erinnerte, es sei Zeit in das Hotel zu gehen. Zu ungeduldig, auf den Wagen zu warten, durchflog ich die Straßen zu Fuß, in der Ueberzeugung, meine eigne wilde Eile werde die Zigzag-Bewegung eines Fiakers oder Kabriolets übertreffen.

Dr. Etherington kam mir an der Thür seines Zimmers entgegen und führte mich, ohne zu sprechen, in ein inneres Zimmer. Hier blieb er, mir einige Zeit mit väterlicher Besorgniß in’s Gesicht blickend.

»Sie erwartet Euch, Jack, und weiß, daß die Schelle Euch ankündete.«

»Um so besser, Sir; laßt uns keinen Augenblick verlieren, laßt mich eilen, mich Ihr zu Füßen werfen, Ihre Verzeihung zu erlangen.«

»Wofür, mein guter Junge?«

»Daß ich glaubte, irgend ein socialer Anhaltpunkt könnte dem gleichkommen, den der Mann in den nächsten, theuersten Banden der Erde hat.«

Der herrliche Mann lächelte, aber offenbar wünschte er meine Ungeduld zu mäßigen.

»Ihr habt jetzt schon jeden möglichen Anhalt in der Staatsgesellschaft, Sir John Goldenkalb,« antwortete er, und nahm die Miene an, welche menschliche Wesen übereingekommen sind, für würdevoll zu halten, »den nur ein vernünftiger Mann wünschen kann. Das Euch von Eurem verstorbenen Vater hinterlassene Vermögen erhebt Euch in dieser Hinsicht zu den Reichsten im Lande, und nun, da Ihr Baronet seid, wird Niemand Eure Ansprüche in Zweifel ziehen, in den Rath der Nation einzutreten. Es wäre vielleicht besser, wenn Eure Standeserhöhung ein oder zwei Jahrhunderte dem Anfang der Monarchie näher wäre, aber in diesem Zeitalter der Neuerungen müssen wir die Dinge nehmen, wie sie sind und nicht wie wir sie wünschten; wie die Franzosen sagen: on fait ce qu’on peut, on ne fait pas, ce qu’on veut.

Ich rieb mir die Stirne, denn der Doktor hatte zufällig einen in Verlegenheit bringenden Gedanken ausgesprochen.

»Nach Euern Princip, Sir, müßte die Gesellschaft mit ihrem Urgroßvater beginnen, um fähig zu sein, sich selbst zu regieren.«

»Verzeiht mir, Jack, wenn ich etwas Unangenehmes sagte, ohne Zweifel wird Alles im Himmel recht werden. Anna wird sich über unser Zögern beunruhigen.« Diese Erinnerung trieb jeden Gedanken an des Geistlichen sociales Anhaltpunkt-System ganz aus meinem Kopfe; es war übrigens, wie man sich erinnern wird, dem Anhaltpunkt-System meines verstorbenen Vorfahren ganz entgegengesetzt. Ich eilte voran und gab dadurch dem guten Geistlichen hinlänglich zu verstehen, daß er sich weiter nicht zu bemühen brauche, unser Gespräch auf etwas Anderes zu bringen. Als wir durch ein Vorzimmer gekommen, zeigte er nach einer Thür und zog sich zurück, nachdem er mich ermahnt, vorsichtig zu sein.

Meine Hand zitterte, als sie die Thürklinke berührte, aber diese gab nach. Anna stand mitten im Zimmer, (sie hatte meinen Schritt gehört), ein Bild weiblicher Liebenswürdigkeit, weiblicher Treue, weiblichen Gefühls, doch durch große Anstrengung Herrin ihrer Bewegung. auf Seite 384 folgt Seite 285. Ist hier die Seitenreihenfolge durcheinander – oder nur die Numerierung? Ob auch ihre reine Seele mir entgegen fliegen zu wollen schien, sie hielt offenbar diese Regung zurück, um nicht mit meinen Nerven zu scherzen.

»Theurer Jack!« und ihre sanfte, weiße, schöne, kleine Hand kam mir entgegen, als ich mich näherte.

»Anna, theuerste Anna!« Ich bedeckte die rosigen Finger mit tausend Küssen.

»Laßt uns ruhig und auch vernünftig zu sein versuchen, Jack!«

»Könnte ich denken, daß dieß Euch, die Ihr stets so besonnen, Mühe kosten würde?«

»Auch der sonst Besonnene mag so gut, als ein Anderer, von seinen Gefühlen überwältigt werden, wenn er auf einen alten Freund trifft.«

»Wie glücklich würde es mich machen, Euch weinen zu sehen.«

Als hätte sie nur auf diesen Wink gewartet, brach Anna in eine Fluth von Thränen aus. Ich erschrack; denn diese Ausbrüche wurden hysterisch und krampfhaft. Jene köstlichen Gefühle, die so lange in ihrem jungfräulichem Busen gefangen gehalten worden, hatten die Herrschaft über sie bekommen, und ich wurde für meine Selbstsucht gehörig durch einen kaum weniger heftigen Schrecken bestraft, als es die Ausbrüche ihres eignen Gefühls gewesen.

In Hinsicht der Vorfälle, Bewegungen, der Unterredung der nächsten halben Stunde bin ich nicht willens, sehr mittheilend zu sein. Anna war aufrichtig, ohne Rückhalt, und wenn ich nach den rosigen Tinten urtheilen durfte, die ihr süßes Gesicht bedeckten, nach der Weise, wie sie sich meinen schützenden Armen entwand, glaube ich hinzufügen zu müssen, daß sie sich für unbesonnen hielt, so ohne Rückhalt so aufrichtig gewesen zu sein.

»Wir können jetzt ruhiger mit einander reden, Jack,« begann das theuerste Wesen wieder, nachdem sie die Zeichen ihrer Bewegung von ihren Wangen getrocknet, »ruhiger, wenn auch mit mehr Gefühl.«

»Salomo’s Weisheit ist nicht halb so köstlich, als die Worte, die ich gehört, und was die Sphären-Musik anlangt –«

»So ist das eine Melodie, der sich die Engel nur erfreuen können.«

»Und seid Ihr nicht ein Engel?«

»Nein, Jack, nur ein armes, vertrauendes Mädchen, versehen mit den Neigungen und Schwächen ihres Geschlechts, die Ihr jetzt halten und leiten müßt. Wenn wir damit anfangen, uns diese übermenschliche Namen zu geben, möchten wir früher aus der Täuschung erwachen, als wenn wir erst uns nur für das halten, was wir wirklich sind. Ich lieb‘ Euch Eures gütigen, herrlichen, edlen Herzens wegen, Jack; diese poetischen Wesen aber sind mehr nur sprichwörtlich, weil sie gar kein Herz haben.«

Während Anna mild der Uebertreibung meiner Sprache Einhalt that, (nach einer zehnjährigen Ehe selbst darf ich nicht zugeben, daß der Gedanke übertrieben war), legte sie ihre kleine Sammthand wieder in meine und lächelte alle Strenge des Verweises hinweg.

»Eines Dings, denk‘ ich, mögt Ihr fest überzeugt sein, Theuerste,« begann ich wieder nach einem Augenblick Nachdenkens: »alle meine alten Ansichten über Expansion und Kontraktion haben sich gänzlich geändert. Ich hab‘ den Grundsatz des sozialen Anhaltspunkt-Systems bis auf’s Aeußerste getrieben, und kann gar nicht sagen, daß ich mit dem Erfolg zufrieden gewesen. In diesem Augenblick bin ich Besitzer von Aktien, über die halbe Welt zerstreut; weit entfernt, meine Mitmenschen all dieser Anhaltspunkte wegen mehr zu lieben, muß ich sehen, wie der Wunsch, den einen zu schützen, mich beständig zu Handlungen der Ungerechtigkeit gegen alle andre treibt. Es liegt etwas Falsches, glaube mir, Anna, in dem alten Dogma der Staats-Oekonomen.«

»Ich weiß wenig von diesen Dingen, lieber John; aber einer so Unwissenden, wie mir, schiene die beste Sicherheit für den rechten Gebrauch der Gewalt die, daß sie auf gerechten Grundsätzen beruhe.«

»Wenn sie sich geltend machen können, freilich. Die, welche behaupten, die Niedrigen und Unwissenden seien untauglich, ihre Ansichten über das Gemeinwohl auszusprechen, müssen zugeben, daß sie nur durch Gewalt unten gehalten werden können. Da nun Erkenntniß Macht ist, ist ihre erste Vorkehrung, sie unwissend zu erhalten, und dann führen sie gerade diese Unwissenheit mit allen ihren erniedrigenden Folgen als einen Beweis gegen deren Theilnahme an der Macht mit ihnen an. Ich denke, es kann kein sichrer Mittelweg zwischen einer freimüthigen Annahme der Principien – –«

»Ihr solltet Euch erinnern, lieber Goldenkalb, daß dies ein Gegenstand ist, von dem ich nur wenig verstehe; es sollte uns hinreichen, die Dinge zu nehmen, wie sie sind, und wenn eine Aenderung nöthig, sollten wir sie mit Klugheit und gehöriger Rücksicht auf Gerechtigkeit zu bewerkstelligen suchen.«

Während Anna mich gütig von meinen Spekulationen zurückführte, hatte das süße Wesen ein ängstliches, peinliches Aussehen.

»Wahr, wahr!« erwiederte ich schnell; denn eine Welt hätte mich nicht reizen können, ihre Leiden einen Augenblick zu verlängern. »Ich bin thöricht und vergessen, so in einem solchen Augenblick zu sprechen; aber ich hab‘ zu viel gelitten, um mir gänzlich alte Theorien aus dem Sinn zu schlagen. Ich dachte wenigstens, es würde Euch angenehm sein, Anna, zu erfahren, daß ich in meinen Neigungen nicht mehr bei dem Ganzen mein Glück suche, und so um so geneigter bin, mich deßwegen an Eine zu wenden.«

»Unsere Nächsten wie uns selbst zu lieben, ist das letzte und höchste der göttlichen Gebote,« antwortete das theure Kind, tausend Mal lieblicher als jemals blickend; denn mein Schluß war weit entfernt, ihr zu mißfallen. »Ich weiß nicht, ob dieser Zweck dadurch zu erreichen ist, daß wir in unsrer Person so viele der Güter des Lebens vereinigen, wie möglich ist; aber ich denke, Jack, das Herz, das Einen treu liebt, wird auch um so eher gütige Gefühle gegen alle Andre hegen.«

Ich küßte die Hand, die sie mir gegeben, und wir sprachen dann etwas mehr wie Leute dieser Welt über unsre künftigen Schritte. Die Unterredung dauerte noch eine Stunde; da trat der gute Geistliche in’s Mittel, und schickte mich nach Hause, Vorbereitungen zu unsrer Rückkehr nach England zu treffen.

Eine Woche nachher waren wir wieder auf der alten Insel, Anna und ihr Vater gingen in’s Pfarrhaus, und mich ließ man in der Stadt, beschäftigt mit Advokaten, und Forschungen nach dem Gewinn oder Verlust meiner zahlreichen Aktien.

Ganz gegen die Erwartung Mancher, war ich bei den Meisten glücklich gewesen; im Ganzen sah ich mich durch die abenteuerlichen Schritte bereichert, und da solche Aussichten das Gewagte minderten, fand ich wenig Schwierigkeit, sie mit Vortheil wegzugeben. Die Summen daraus und die bedeutende Bilanz der Dividenden, die während meiner Abwesenheit gewachsen, blieben bei meinem Bankier, und ich suchte weitres Landeigenthum.

Ich kannte Annens Geschmack; so kaufte ich eine jener Stadtresidenzen, die auf St. James-Park gehen, wo der Anblick des grünen Buschwerks, der reizenden Felder beständig während der ihr so neuen Jahreszeit, eines Lond’ner Winters, oder von Ostern bis Sommer vor ihrem heitern Auge sein würde.

Ich hatte eine lange, freundliche Zusammenkunft mit Mylord Pledge, der noch im Ministerium war, so thätig, ganz so ehrbar, so logisch, so nützlich, wie immer. In der That, er war so ausgezeichnet in jener dritten Eigenschaft, daß ich mich wirklich einige Mal auf dem Spioniren ertappte, ob er wirklich ohne Schweif sei. Er gab mir die tröstliche Versicherung, er sei während meiner Abwesenheit im Parlament gut durchgekommen, und, wie er höflich hinzufügte, glaube nicht, daß ich vermißt worden. Wir brachten einige Präliminarien in’s Reine, wovon im nächsten Kapitel gesprochen werden soll, worauf ich denn auf den Flügeln der Liebe, – eigentlich in einer Postchaise mit Vieren, – nach dem Pfarrhaus eilte, zu dem süßesten, freundlichsten, lieblichsten, wahrsten Mädchen auf unsrer Insel, die so viele der süßen, freundlichen, lieblichen und wahren in sich einschließt.

Drittes Kapitel.

Drittes Kapitel.

Ansichten von dem Vorfahren unseres Verfassers, zusammt mit dessen eignen und fremden.

Doktor Etherington war beides, ein frommer Mann und ein Mann von Geburt. Als der zweite Sohn eines Baronet alter Herkunft war er so ziemlich in den Ansichten seiner Caste erzogen worden und wahrscheinlich nicht ganz über deren Vorurtheile hinaus; aber dieß zugegeben, hielten wenige Geistliche mehr auf die Moral und den Grund der Bibel als er. Seine Demuth nahm daher eine gebührende Rücksicht auf den Stand; sein Christenthum wurde verständig von den Glaubensartikeln geleitet, und seine Menschenliebe war von jenem unterscheidenden Charakter, wie sie einem warmen Vertheidiger von Kirche und Staat zukam.

Bei Annahme des vertrauten Pfandes, das ihm jetzt geworden, hatte er nur dem wohlwollenden Wunsche nachgegeben, das Sterbekissen meiner Mutter leicht zu machen. Mit dem Charakter ihres Gemahls bekannt, hatte er eine Art frommen Betrugs angewandt, indem er die Bedingung der Stiftung an seine Einwilligung knüpfte; denn trotz der angemessenen Sprache seiner Strafrede, des Versprechens und aller andern kleineren begleitenden Umstände dieses Abends hätte man noch fragen können, wer am meisten erstaunt war, nachdem der Wechsel eingehändigt und gehörig honorirt worden, er, der sich im Besitz der 10,000 Pf. Sterling befand, oder er, der sie verloren hatte. Immer verfuhr Dr. Etherington mit der gewissenhaftesten Rechtlichkeit in der ganzen Sache; und obgleich ich weiß, daß ein Schriftsteller, der so viele Wunder zu erzählen hat, als nothwendiger Weise die folgenden Seiten dieses Manuskripts zieren müssen, eine wohlbewachte Sparsamkeit beobachten sollte, wenn er den Glauben seiner Leser in Anspruch nimmt, so nöthigt mich dennoch die Wahrheit, hinzuzufügen, daß jeder Heller von dem Geld nur im Hinblick auf die Wünsche der sterbenden Christin verwandt ward, die vermittelst der Vorsehung das Werkzeug gewesen, den Armen und Ungelehrten solche Reichtümer zuzuwenden. Ueber die Weise, wie die Wohlthat endlich benutzt ward, werd‘ ich nichts weiter sagen, da keine Untersuchung meinerseits mich jemals in den Stand gesetzt hat, solche Nachweise zu erhalten, als mich zu einiger Glaubwürdigkeit berechtigen würden.

Was mich betrifft, so hab‘ ich wenig mehr über die Begebenheiten der folgenden zwanzig Jahre hinzuzufügen. Ich ward getauft, gesäugt, bekam Hosen, wurde geschult, reiten gelernt, konfirmirt, auf die Universität geschickt und zum Doctor gemacht, ganz wie dieß bei allen Herrn der Hochkirche in den vereinigten Königreichen Großbritannien und Irland der Fall ist. Während dieser wichtigen Jahre unterzog sich Dr. Etherington seiner Pflicht, welche er, nach den vorherrschenden Gefühlen der Menschheit zu urtheilen (die seltsam genug uns im allgemeinen nicht geneigt macht, von andrer Leute Geschäften uns belästigt zu sehen), ziemlich beschwerlich gefunden haben muß; er unterzog sich ihr ganz auf die Art, wie meine gute Mutter nur ein Recht zu erwarten hatte. Der größte Theil meiner Ferien ward in seiner Pfarrwohnung zugebracht; denn er hatte geheiratet, war dann Vater, dann Wittwer geworden, und hatte seine Stadtpfarrei mit einer auf dem Lande vertauscht, alles dieß in der Zeit von dem Tod meiner Mutter an bis zu meinem Abgange nach Eton; und auch nachdem ich Oxford verlassen, brachte ich weit mehr von meiner Zeit unter seinem freundlichen Dach als unter dem meines Vaters zu. In der That, ich sah den letztern wenig.

Er bezahlte meine Rechnungen, versah mich mit Taschengeld, und äußerte seine Absicht, mich reisen zu lassen, wenn ich volljährig geworden. Aber mit diesen Zeichen seiner väterlichen Fürsorge zufrieden, schien er gerne mich meinen eignen Weg gehen lassen zu wollen.

Mein Vater war ein schlagendes Beispiel von der Wahrheit jenes Satzes in der Staatsökonomie, der die Wirksamkeit der Trennung der Arbeit lehrt. Kein Fabrikarbeiter, der die Fertigung des Knopfs einer Stecknadel über sich hat, erreichte je größere Geschicklichkeit in seiner einförmigen Beschäftigung, als mein Vater erlangte in der einzigen Bestrebung, der er so weit als menschliches Wissen gehen konnte, Leib und Seele widmete. Wie jeder Sinn bekanntlich durch beständige Uebung an Schärfe zunimmt, und jede Leidenschaft durch langes Nachgeben wächst, so wuchs sein Eifer in Hinsicht des großen Gegenstands all seines Dichtens und Trachtens mit dessen Wachsthum, und ward immer auffallender, als schon, wie ein gewöhnlicher Beobachter denken möchte, der Grund von dessen Dasein beinahe gänzlich aufgehört hatte. Dieß ist ein moralisches Phänomen, das ich oft zu beobachten Gelegenheit gehabt habe, und welches, wie man glauben muß, auf dem Grundsatz der Anziehung beruht, die bisher dem Scharfsinn der Philosophen entgangen ist, die aber eben so thätig in der immateriellen Welt ist, als die Gravitation in der materiellen. Talente wie die seinigen, so unaufhörlich und unermüdlich geübt, brachten die gewöhnlichen Früchte hervor. Er wurde stündlich reicher und zur Zeit, wovon ich spreche, war er den Eingeweihten so ziemlich allgemein als der reichste Mann bekannt, der etwas mit der Stockbörse zu thun hatte.

Ich glaube nicht, daß die Ansichten meines Vorfahren eben so viele wesentliche Veränderungen zwischen dem fünfzigsten und siebenzigsten Jahre erlitten, als dieß zwischen dem zehnten und vierzigsten der Fall gewesen. In der letzten Zeit treibt der Baum des Lebens gewöhnlich tiefe Wurzeln, seine Neigung ist bestimmt, mag er sie nun durch Beugen unter die Stürme oder durch sein Drängen nach Licht erhalten haben, und Früchte trägt er wahrscheinlich mehr von selbst als durch Bearbeitung und Wartung. Dennoch war mein Vorfahr nicht mehr ganz derselbe Mann, als er seinen siebzigsten Geburtstag feierte, der er an seinem funfzigsten gewesen. Erstlich besaß er drei Mal so viel und folglich war sein moralisches System all den Verändrungen unterworfen gewesen, die, wie man weiß, von einer Verändrung so wichtiger Art abhängig zu sein pflegen.

Zweifelsohne neigte sich aber auch mein Vorfahr, während der letzten fünf und zwanzig Jahre in der Politik ganz besonders zu Gunsten ausschließlicher Vorrechte und Begünstigungen. Ich meine nicht, er sei ein Aristokrat in der gewöhnlichen Bedeutung des Worts gewesen. Ihm war Lehnswesen ein Wort ohne Bedeutung. Er hatte wahrscheinlich es nicht ein Mal gehört; Fallgatter erhoben sich und fielen, Flankenthürme reckten ihre Häupter empor und verschanzte Wälle legten all ihre Pracht vergeblich dar, seine Einbildung ward dadurch nicht gerührt. Er kümmerte sich nicht um Hoftage noch um Baronen-Tage, noch um die Baronen selbst, noch um die Ehren eines Stammbaums (warum sollte er auch? kein Prinz im Lande konnte klarer seine Familie ins Dunkel hinaufführen als er selbst), noch um die Eitelkeiten eines Hofes, noch um die der Gesellschaft, noch um etwas sonst von derselben Art, was wohl Reize für den Schwachköpfigen, den Phantasiereichen oder den Eingebildeten hat. Seine politischen Vorurtheile zeigten sich auf eine ganz andre Art. Während der ganzen fünf und zwanzig Jahre, die ich erwähnt hatte, hörte man ihn nie auch nur lispelnd irgend einen Tadel gegen die Regierung aussprechen, mochten ihre Maßregeln und der Charakter ihrer Verwaltung sein, wie sie wollten; es war ihm genug, daß es die Regierung war. Selbst die Taxen erregten ferner seinen Grimm nicht, noch weckten sie seine Beredsamkeit, er sah ein, sie seien nöthig zur Ordnung und besonders zum Schutz des Eigenthums, ein Zweig der Staatswissenschaft, den er so studirt hatte, daß er gewisser Maßen seinen eignen Besitz sogar gegen diesen großen Alliirten selbst zu schützen vermochte. Nachdem er eine Million reich geworden, bemerkte man, wie alle seine Absichten der Menschheit weniger vortheilhaft wurden, und daß er sehr geneigt war, den Betrag und die Eigenschaften der wenigen Glücksgüter, die die Vorsehung den Armen verliehen, zu überschätzen. Die Nachricht von einer Versammlung der Whigs äusserte gemeiniglich einige Wirkung auf seinen Appetit; ein Beschluß, von dem man argwöhnte, er sei von Brockos Club ausgegangen, beraubte ihn gemeiniglich eines Mittagessens, und die Radicalen machten nie ernstlich eine Motion, ohne daß er eine schlaflose Nacht zubrachte, und einen bedeutenden Theil des nächsten Tags Worte murmelte, die zu wiederholen kaum moralisch wäre. Ich kann jedoch ohne Anstoß hinzufügen, daß bei solchen Gelegenheiten er Anspielungen über den Galgen nicht sparte; Sir Francis Burdett in’s Besondre ward häufig mit Billingsgate zusammenausgesprochen, und Männer so hochherzig und verehrt wie selbst die Lords Grey, Lansdowne und Holland wurden behandelt, als ob sie nicht besser wären, als sie sein sollten. Aber bei diesen kleinen Einzelheiten ist es unnöthig zu verweilen, denn Jedermann muß schon bemerkt haben, daß je erhabener und feiner die Menschen in ihrer politischen Moral werden, desto gewohnter sie sind, Schmutz auf ihren Nächsten zu werfen. Ich will jedoch nur noch hinzufügen, daß, was ich hier erzählt habe, mir größten Theils durch direkte mündliche Ueberlieferung mitgetheilt worden ist, denn ich sah selten meinen Vorfahren, und wenn wir zusammenkamen, geschah es nur, um Rechnungen in Ordnung zu bringen, einen Hammelsschlegel mit einander zu essen, und dann zu scheiden wie Leute, die sich wenigstens niemals gezankt haben.

Nicht so war es mit Dr. Etherington. Gewohnheit (um nichts von meinen eignen Verdiensten zu sagen) hatte ihn mir, der ich seiner Sorgfalt so vieles verdankte, so geneigt gemacht, daß seine Thüre mir immer offen stand, als wenn ich sein Sohn gewesen.

Ich habe schon gesagt, daß der größte Theil meiner müßigen Zeit, (die in der Schule verlorenen nicht gerechnet) in dem Pfarrhaus zugebracht wurden. Der tüchtige Geistliche hatte ein oder zwei Jahre nach meiner Mutter Tod eine sehr liebenswürdige Frau geheirathet, die ihn zum Wittwer und zum Vater eines kleinen Ebenbildes von sich gemacht hatte, ehe noch das Jahr herum war. Bei der Stärke seiner Liebe für die Verstorbene oder für seine Tochter, oder vielleicht weil er sich in einer zweiten Ehe nicht so wohl befinden konnte als in der ersten, hatte Dr. Etherington nie davon gesprochen, eine andre Verbindung einzugehn. Er schien zufrieden, seine Pflichten als Christ und Mann von Ehre zu erfüllen, ohne sie zu vermehren, indem er neue Verbindungen mit der Gesellschaft eingehe.

Anna Etherington war daher meine beständige Gefährtin während vieler langer und köstlicher Besuche in dem Pfarrhause. Da sie drei Jahre jünger als ich war, hatte die Freundschaft meinerseits mit hundert Handlungen kindlichen Wohlwollens begonnen. Zwischen dem siebten und zwölften Jahr schleppte ich sie herum in einem Gartenstuhl, stieß sie auf der Schaukel und trocknete ihre Augen und sprach ihr Worte freundlichen Trostens ein, wenn eine vorübergehende Wolke die sonnige Freude ihrer Kindheit verdunkelte. Vom zwölften zum vierzehnten erzählte ich ihr Geschichten, erstaunte sie durch Berichte von meinen Thaten zu Eton und machte ihre heiteren blauen Augen sich weit aufthun vor Staunen bei den Wundern von London. Im vierzehnten fing ich an ihr Taschentuch aufzuheben, auf ihren Fingerhut Jagd zu machen, sie in Duetten zu begleiten, und ihr Gedichte vorzulesen, während sie sich mit den kleinen zümferlichen Arbeiten der Nadel beschäftigte. Im Alter von siebzehn verglich ich Cousine Anna, so durfte ich sie nennen, mit den andern jungen Mädchen meiner Bekanntschaft und die Vergleichung fiel gemeiniglich zu ihren Gunsten aus. Um diese Zeit auch, wie meine Bewundrung wärmer und deutlicher wurde, zeigte sie sich weniger vertrauend und offen; ich bemerkte auch jetzt als etwas Neues, daß sie Geheimnisse hatte, die sie mir nicht mitzutheilen für gut fand, daß sie öfter bei ihrer Gouvernantin und weniger als früher in meiner Gesellschaft war, und ein Mal bitter fühlte ich die Vernachlässigung, erzählte sie wirklich ihrem Vater die ergötzlichen Vorfälle einer kleinen Geburtstagsfeier, bei der sie zugegen gewesen, und die durch einen Herrn in der Nachbarschaft veranstaltet worden, ehe sie mir nur einen Wink von dem Vergnügen gegeben, das sie dabei gehabt! Ich wurde jedoch größten Theils wieder dafür entschädigt, als sie am Ende ihrer lustigen und launigen Erzählung gütig hinzufügte:

»Es hätte Euch herzlich lachen machen, Jack, wenn Ihr die drollige Art mit angesehen, wie die Bedienten ihre Rolle spielten« (es hatte eine Art maskirter Comödie gegeben) »besonders der fette alte Kellermeister, aus dem sie, wie Dick Griffin sagte, einen Cupido gemacht, um daran zu zeigen, daß die Liebe schläfrig und dumm wird, durch zu gutes Essen und Trinken. Ich wünsche, Ihr hättet dabei sein können, Jack.« Anna war ein liebliches, jungfräuliches Mädchen, mit einem sehr liebegewinnenden Antlitz und ich hatte besonders gern, wenn sie das Wort Jack aussprach, es war so ganz verschieden von dem lärmenden Schreien der Eton-Jungen oder dem affektirten Ruf meiner Gefährten zu Oxford!

»Ich hätte es selbst gerne gewünscht, Anna«, antwortete ich, »besonders da Ihr Euch so sehr an dem Spaß erfreut zu haben scheint.«

»Ja, aber das konnte nicht sein«, fiel Fräulein Norton ein, die Gouvernante, »Sir Harry Griffin ist sehr schwierig in der Wahl seines Umgangs; und Ihr wißt, meine Theure, Herr Goldenkalb, obgleich selbst ein sehr ehrbarer junger Mann, konnte nicht erwarten, daß einer der ältesten Baronets des Landes sich so weit herablassen würde, den Sohn eines Stockreuters zu einem seinem Erben gegebenen Feste einzuladen.«

Zum Glück für Fräulein Norton war Dr. Etherington gleich, nachdem seine Tochter auserzählt hatte, herausgegangen, oder sie hätte einen unangenehmen Commentar über ihre Begriffe von schicklicher Gesellschaft vernehmen mögen. Anna selbst sah ernst auf ihre Gouvernante, und ich bemerkte, wie eine Glut über ihr sanftes Antlitz sich lagerte, die mich an die Morgenröthe erinnerte. Ihr sanftes Auge fiel dann zu Boden, und es dauerte einige Zeit, ehe sie sprach.

Den folgenden Tag brachte ich unter dem Fenster des Studierzimmers eine Fischangel in Ordnung; ich war vom Gebüsch versteckt, als ich die melodische Stimme Annens ihrem Vater guten Morgen wünschen hörte.

Mein Herz schlug stärker, als sie sich der Fensterbrüstung näherte, und zärtlich weiter fragte, wie er die Nacht zugebracht. Die Antworten waren so liebevoll als die Fragen, und dann trat eine kleine Pause ein.

»Was ist ein Stockreuter, Vater«, begann plötzlich Anna wieder, die ich in den Blättern über meinem Haupte ratschlen hörte.

»Ein Stockreuter, meine Liebe, ist ein Mann, der des Gewinns wegen Staatspapiere kauft und verkauft.«

»Und hält man dieß für ein so besonders entehrendes Geschäft?«

»Ei das hängt von Umständen ab; an der Börse ist es angesehen genug, unter Kaufleuten und Banquiers ist, glaube ich, etwas Gehässiges damit verknüpft.«

»Und weißt du warum, Vater?«

»Ich glaube,« sagte Doktor Etherington lachend, »aus keinem andern Grund, als weil es ein unsichres Gewerb ist, plötzlichem Wechsel unterworfen, – was man nennt ein Hazardspiel ist, – und alles, was das Eigenthum unsicher macht, hat notwendig etwas gehässiges bei denen, deren Hauptsorge dessen Vergrößerung ist, und die Zahlfähigkeit andrer als besonders wichtig für sich betrachten.«

»Aber ist es ein entehrendes Geschäft, Vater?«

»Wie jetzt die Zeiten sind, nicht geradezu, wiewohl es dazu leicht werden kann.«

»Und bringt es im Allgemeinen bei der Welt in Mißcredit?«

»Das hängt von Umständen ab, meine Liebe. Wenn der Stockreuter verliert, wird er wahrscheinlich verdammt; aber ich denke sein Charakter wird im Verhältniß zu seinem Gewinnst eher erhabener. Aber warum thust du alle diese Fragen an mich, Liebe?«

Ich meinte, ich hörte Anna tiefer aufathmen, und gewiß ist, sie lehnte sich weiter aus dem Fenster, um eine Rose zu pflücken.

»Miß Norton sagte, Jack sei nicht bei Sir Harry Griffin eingeladen worden, weil sein Vater ein Stockreuter wäre. Glaubst du, daß dem so ist?«

»Sehr wahrscheinlich, meine Liebe,« entgegnete der Geistliche, der, so bildete ich mir ein, bei der Frage lächelte; »Sir Harry hat den Vorzug der Geburt, und er vergaß wahrscheinlich nicht, daß unser Freund Jack nicht so glücklich ist; ferner ist aber Sir Harry, während er sich viel auf seinen Reichthum einbildet, um eine Million oder auch zwei weniger reich als Jack’s Vater: mit andern Worten, wie man auf der Börse sagt, Jack’s Vater könnte seiner zehen auskaufen. Dieser Grund hatte vielleicht mehr Gewicht auf ihn als der erstre. Noch mehr, Sir Harry steht im Verdacht, selbst in Papieren zu speculiren, durch Agenten nämlich, und ein Mann von Geburt, der zu solchen Mitteln greift, sein Vermögen zu vermehren, von dem läßt es sich wohl denken, daß er seine Vorrechte in der Gesellschaft erhöhen will durch Verachtung und Erniedrigung andrer.«

»Und Leute von Geburt werden wirklich Stockreuter, Vater?«

»Anna, die Welt hat heutiges Tags große Veränderungen erlitten. Alte Ansichten sind erschüttert worden, und Staatsverfassungen sind jetzt wenig mehr, als politische Einrichtungen, Gelderwerb zu erleichtern. Das ist jedoch etwas, was du nicht gut verstehen kannst, auch maße ich mir selbst nicht an, darin sehr tiefe Kenntnisse zu haben.«

»Und ist Jack’s Vater wirklich so sehr, sehr reich,« fragte Anna, deren Gedanken von dem Faden des Gesprächs ihres Vaters ganz abgekommen.

»Man hält ihn dafür.«

»Und Jack ist sein Erbe?«

»Sicher, – er hat kein andres Kind, wiewohl es nicht leicht ist, zu sagen, was so ein eigner Mann mit seinem Gelde thun mag.«

»Ich hoffe, er wird Jack enterben!«

»Du setzest mich in Erstaunen, Anna; du, so mild und vernünftig, warum unserm jungen Freunde John Goldenkalb ein solches Unglück wünschen?«

Ich blickte auf voll Erstaunen bei dieser seltsamen Rede und hätte im Augenblick all mein Interesse an dem fraglichen Glück darum gegeben, wenn ich ihr Antlitz, (denn sie war mit dem größten Theil des Körpers ausser dem Fenster, ich hörte sie wieder im Busch über meinem Haupte ratschlen) hätte sehen können, um über den Grund bei diesem ihrem Ausspruch zu urtheilen, aber eine neidische Rose wuchs gerade an dem einzigen Ort, wo es möglich gewesen einen Blick von ihr zu erhalten.

»Warum wünschest du so etwas grausames?« begann wieder Doktor Etherington, etwas ernstlich.

»Weil ich die Stockreuterei und ihre Reichthümer hasse, Vater. Wäre Jack ärmer, er würde, scheint mir, mehr geehrt werden.«

Als sie dieses ausgesprochen, zog sich das theure Mädchen zurück, und ich bemerkte nun, daß ich ihre Wange für eine der größten und blühendsten Blumen gehalten. Doktor Etherington lachte, und ich hörte ihn deutlich das erröthende Antlitz seiner Tochter küssen. Ich glaube, ich würde meine Hoffnungen zu noch einer Million aufgegeben haben, um der Pfarrer von Tenthpig in diesem Augenblick zu sein.

»Wenn dieß alles ist, Kind,« antwortete er, »so gieb deinen Geist in Ruhe; Jack’s Geld wird ihn nie in Verachtung bringen, es sei denn durch den Gebrauch, den er davon macht. Ach, Anna, wir leben in einer Zeit der Verdorbenheit und Gier. Edle Absichten scheinen bei dem allgemeinen Verlangen nach Gewinn ganz aus dem Auge verloren zu werden, und wer zu einer reinen und uneigennützigen Menschenliebe sich hinneigen würde, käme entweder in den Verdacht als ein Heuchler oder würde verlacht als ein Narr. Die fluchwürdige Umwälzung bei unsern Nachbarn, den Franzosen, hat die Ansichten ganz aus der gewöhnlichen Ordnung gebracht, und selbst die Religion hat gewankt unter der wilden Gesetzlosigkeit der Theorien, wozu sie Veranlassung gegeben. Kein weltlicher Vorzug ist strenger von den göttlichen Lehrern angeklagt worden, als der Reichthum, und doch erhebt er sich reißend zum Gott über alles übrige. Nichts von einer Zukunft zu reden, wird die Gesellschaft hier schon durch ihn bis in’s Innerste verderbt und selbst Achtung vor der Geburt weicht dem gewinnsüchtigen Streben.«

»Und hältst du nicht Stolz auf die Geburt, Vater, für ein eben so mißverstandnes Vorurtheil als Stolz auf den Reichthum?«

»Stolz, jeder Art, mein Kind, kann genau genommen nach evangelischen Grundsätzen nicht vertheidigt werden; aber sicher sind einige Unterschiede unter den Menschen nöthig, selbst schon der Ruhe wegen. Würde das gleichmachende Princip anerkannt, dann müßten die Unterrichteten und Gebildeten auf gleiche Linie mit den Unwissenden und Gemeinen herabsteigen, da nicht alle die Vorzüge der erstern erreichen können, und die Welt kehrte zur Barbarei zurück. Der Charakter eines christlichen Edelmanns ist viel zu kostbar, um zur Ausführung einer unthunlichen Theorie seinen Scherz damit zu treiben.«

Anna schwieg, wahrscheinlich war sie verwirrt durch die Ansichten, zu welchen sie sich am liebsten bekannte, und das leichte Glimmern von Wahrheiten, die wir durch die gewöhnlichen Verhältnisse des Lebens annehmen. Was den guten Geistlichen selbst betrifft, so war es mir nicht schwer, seine Vorliebe zu begreifen, obwohl weder seine Vordersätze noch sein Schluß die logische Klarheit hatte, die seine Predigten so angenehm machte, besonders wenn er über die höhere Bedeutung von des Heilands Lehre, von der Barmherzigkeit, allgemeinen Menschenliebe und der gebietenden Pflicht, uns vor Gott zu demüthigen, sprach.

Einen Monat nach diesem zufälligen Gespräch machte mich der Zufall zum Hörer alles dessen, was zwischen meinem Vater und Sir Joseph Job, einem andern berühmten Börsenspekulanten, vorging. Es war bei einer Zusammenkunft im Hause des erstern, in Cheapside. Da der Unterschied so patent war, wie der Franzose es ausdrückt, so will ich hier die Hauptsache anführen.

»Das ist eine sehr ernsthafte und beunruhigende Bewegung, Herr Goldenkalb,« bemerkte Sir Joseph, »und fordert Eintracht und Herzlichkeit unter denen, die etwas besitzen. Sollten diese verdammten Ansichten recht unter dem Volke bekannt werden, was würde aus uns werden?«

»Ich stimme darin mit Euch überein, Sir Joseph; es ist sehr beunruhigend, außerordentlich beunruhigend!«

»Wir werden Agrarische Gesetze bekommen, Sir; Euer Geld, Herr, und meine, unsere harten Ersparnisse werden der Raub politischer Räuber werden, unsere Kinder aber zu Bettlern, um das neidische Verlangen eines erbärmlichen Schurken ohne einen Heller zu befriedigen.« »Es ist ein trauriger Zustand der Dinge, Sir Joseph, und die Regierung ist sehr strafbar, daß sie nicht wenigstens zehen neue Regimenter errichtet.«

»Das schlimmste dabei ist, guter Herr Goldenkalb, daß es gewisse Hausnarren unter der Aristokratie giebt, die die Schurken anleiten, und ihnen die Sanktion ihres Namens leihen. Es ist ein großer Mißgriff, Sir, daß wir auf dieser Insel auf die Geburt so große Wichtigkeit legen, wodurch denn stolze Bettler die ungewaschnen Tollköpfe in Bewegung setzen, und die soliden Unterthanen darunter leiden müssen. Das Eigenthum, Herr, ist in Gefahr, und Eigenthum ist die einzige wahre Basis der Staatsgesellschaft!«

»Sicher, Sir Joseph, ich konnte nie den geringsten Nutzen der Geburt einsehen.«

»Sie ist zu nichts nütze, Herr Goldenkalb, als um Pensionaire zu machen; aber mit Eigenthum ist es anders; Geld ist der Vater des Gelds, und durch Geld wird ein Staat mächtig und glücklich. Aber diese verfluchte Revolution bei unsern Nachbarn, den Franzosen, hat die Ansichten ganz umgekehrt, und ach! Eigenthum ist in beständiger Gefahr!«

»Traurig, daß ich’s sagen muß, aber ich fühle es in allen meinen Nerven, Sir Joseph.«

»Wir müssen uns vereinen und vertheidigen, Herr Goldenkalb, sonst gerathen wir, ihr und ich, beide jetzt noch reiche und solide Männer, in den Abgrund. Seht ihr nicht, daß wir in wirklicher Gefahr einer Theilung des Eigenthums sind?«

»Gott behüte.«

»Ja, Herr, unser geheiligtes Eigenthum ist in Gefahr!« Hier schüttelte Sir Joseph meinen Vater herzlich bei der Hand und schied. Ich finde in einem Memorandum unter den Büchern meines verstorbenen Vorfahren, daß er dem Banquier Sir Josephs von diesem Tag an einen Monat nachher 62,712 Pfund Differenz (als Bull und Bär) ) bezahlen mußte, was daher kam, daß der letztre eine geheime Nachricht durch einen Schreiber auf einem der Staatsbüreau erhielt, ein Vortheil, der ihn in den Stand setzte, in diesem Fall wenigstens einen bessern Handel zu machen, als mein Vater, der gemeiniglich zu den verschlagensten Spekulanten der Börse gerechnet ward.

Meine Gedanken beschäftigten sich beträchtliche Zeit mit den einander so ganz entgegengesetzten Ansichten des Doktor Etherington und Sir Joseph Job. Auf der einen Seite lehrte man mich die Entweihung der Geburt, auf der andern die Gefahren des Eigenthums. Anna war gemeinlich meine Vertraute, aber in diesem Fall war meine Zunge gefesselt, denn ich durfte ihr nicht gestehen, daß ich ihre Unterredung mit ihrem Vater mitangehört, und so war ich genöthigt, die widersprechenden Lehren, so gut ich konnte, zu verdauen.

Viertes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Das Auf und Nieder, Hoffnungen und Befürchtungen, das Schwärmen der Liebe, einige Ansichten von Tod und eine Nachricht von einer Erbschaft.

Von meinem zwanzigsten bis drei und zwanzigsten Jahr trug sich nichts von einigem Belang mit mir zu. Vom Tag meiner Volljährigkeit an, warf mir mein Vater regelmäßig tausend Pfund jährlich aus, und ich zweifle nicht, ich würde meine Zeit so ziemlich wie andre junge Leute zugebracht haben, wäre nicht der besondre Umstand meiner Geburt gewesen, welcher, wie ich nun einsah, einige von den nothwendigen Erfordernissen abgingen, um mich mit Erfolg durch Ringen nach einer Stellung unter dem, was man große Welt nennt, durchzubringen. Während die meisten nichts eifriger zu thun wußten, als sich zur Dunkelheit hinaufzuführen, fühlte ich ein besondres Widerstreben, dieß auf die klare und bestimmte Art zu thun, wie es doch in meiner Macht war. Daraus und aus andern Zeugnissen bin ich daher geneigt zu schließen, daß die Dosis von Mystification, die zum Glück der Menschen nöthig ist, mit einer erfahrnen und zarten Hand gemischt werden muß. Unsre Organe sind physisch und moralisch so seltsam beschaffen, daß sie vor allem vor der Wirklichkeit geschützt zu werden verlangen. Wie das physische Auge eines dunklen Glases bedarf, um standhaft in die Sonne zu sehen, so scheint’s, muß auch das geistige Auge etwas nebliges haben, um standhaft auf die Wahrheit zu blicken.

Aber während ich vermied, das Geheimniß meines Herzens Annen zu eröffnen, suchte ich häufig Gelegenheit, mit Dr. Etherington und meinem Vater über jene Punkte zu sprechen, die mich am meisten beschäftigten. Von dem erstern hörte ich Sätze, welche zeigen sollten, daß die Gesellschaft nothwendiger Weise in gewisse Classen zerfalle, daß es nicht allein unklug, sondern selbst verbrecherisch sei, die Schranken zu schwächen, durch welche sie abgemarkt worden; der Himmel habe seine Seraphim und Cherubim, seine Erzengel und Engel, seine Heiligen und bloß Seligen, und nach einer in die Augen fallenden Induktion müsse auch diese Welt ihre Könige, Lords und Gemeinen haben. Der gewöhnliche Schluß aller Untersuchungen des Pfarrers war eine Klage über die Verwirrung der Klassen, die England wie eine Strafe Gottes heimsuche. Mein Vorfahr anderer Seits kümmerte sich wenig um gesellschaftliche Classifikation, oder um sonst ein andres conservatives Mittel, die Gewalt ausgenommen. Darüber konnte er den ganzen Tag sprechen, und Regimenter und Bayonette glitzerten in allen seinen Reden. Wenn er am beredtesten darüber war, pflegte er, wie Manners Sutton zu rufen: Ordnung! Ordnung! Auch erinnere ich mich keiner seiner Betrachtungen, die nicht damit endete: »Ach! Jack, das Eigenthum ist in Gefahr!« Ich will nicht behaupten, daß mein Geist ganz unverwirrt aus diesen widerstrebenden Ansichten herauskam, jedoch erlangte ich glücklicher Weise ein Glimmern von einer wichtigen Wahrheit; denn die beiden Commentatoren stimmten herzlich in der Furcht und folglich auch in dem Haß gegen die Masse ihrer Mitmenschen überein. Meine eigne natürliche Neigung trieb mich zur Menschenliebe, und da ich nicht gerne die Wahrheit von Lehren zugab, die mich in offene Feindseligkeit gegen einen so großen Theil der Menschen brachten, entschloß ich mich bald eine eigne aufzustellen, welche, während sie die Fehler vermiede, das Vortreffliche der beiden andern in sich fassen sollte. Es war freilich nichts grosses, nur solch einen Entschluß zu fassen, aber ich werde später Gelegenheit haben, ein Wort über die Weise zu sagen, wie ich sie in Ausführung zu bringen versuchte.

Die Zeit rückte voran, und Anna ward jeden Tag schöner. Ich dachte zwar, sie hätte nach ihrer Unterredung mit ihrem Vater etwas von ihrer Freimüthigkeit und mädchenhaftem Frohsinn verloren, aber dieß schrieb ich der Rückhaltung und Besonnenheit zu, wie sie für den mehr entwickelten Verstand, das größre Schicklichkeitsgefühl, welches junge Weiblichkeit schmückt, sich paßten. Mit mir war sie immer offen und einfach, und sollte ich tausend Jahre leben, die engelgleiche Heitre des Antlitzes, womit sie unwandelbar auf die Theorien meines geschäftigen Gehirns hörte, würden meinem Andenken nicht entfallen.

Wir sprachen von all diesen Dingen eines Morgens ganz allein. Anna hörte mich mit Vergnügen, wenn ich am ruhigsten war, und lächelte schmerzlich, wenn der Faden meiner Beweisgründe durch ein Schwärmen der Phantasie sich verwickelte. Ich fühlte in meines Herzens Innerstem, welch ein Glück solch ein Mentor sein würde, und wie neidenswerth mein Loos wäre, wenn ich sie mir für’s Leben sichern könnte. Doch faßte ich nicht Muth (konnte es auch nicht), ihr meine innersten Gedanken darzulegen, und um ein Pfand zu bitten, das in diesen Augenblicken vorübergehender Demuth ich fürchtete, nie würdig zu sein zu besitzen.

»Ich habe selbst daran gedacht, mich zu verheirathen;« fuhr ich fort, zu sehr mit meinen Theorie’n beschäftigt, um den vollen Inhalt meiner Worte mit der Zartheit zu erwägen, wie sie der Offenheit und den überwiegenden Vorrechten zukommt, die der Mann über das schwächere Geschlecht besitzt; »könnte ich eine finden, Anna, so lieblich, so gut, so schön und so verständig wie Ihr, die die Meine sein wollte, ich würde nicht einen Augenblick anstehen; aber leider, fürchte ich, ist dieß nicht mein glückliches Loos. Ich bin nicht der Enkel eines Baronet, und Euer Vater gedenkt, Euch mit einem Manne zu vereinen, der wenigstens zeigen kann, daß die »blutige Hand« ein Mal auf seinem Schild getragen worden, und andrer Seits spricht mein Vater nur von Millionen.«

Während des ersten Theils dieser Rede sah das liebliche Kind gütig zu mir auf, offenbar mit dem Verlangen, mich zu beruhigen, aber gegen das Ende fielen ihre Augen auf ihre Arbeit und sie blieb schweigend.

»Euer Vater sagt, jeder, der ein Interesse am Staat nimmt, sollte ihm Garantie’n geben.« Hier lächelte Anna, aber so versteckt, daß ihr süßer Mund kaum eine Spur verrieth; »und daß niemand anders ihn mit Glück regieren kann. Ich habe daran gedacht, meinen Vater zu bitten, einen Burgflecken und eine Baronie zu kaufen, denn mit dem erstern und dem Einfluß, den sein Geld gibt, braucht er nicht lange auf das andere zu warten, aber ich öffne nie meine Lippe über etwas der Art, daß er nicht antwortet: »Follolderoll, Jack, mit deiner Ritterschaft und socialen Ordnung, und Bischofthümern und Burgflecken, – das Eigenthum ist in Gefahr, – Anlehen und Regimenter, wenn du willst, – gib uns mehr Ordnung! Ordnung! Ordnung! Bayonette brauchen wir, Junge, und gute, heilsame Taxen, die Nation zu gewöhnen, zu den Bedürfnissen des Staats beizutragen und seinen Credit zu erhalten. Ei, junger Mann, wenn die Interessen von der Schuld vier und zwanzig Stunden unbezahlt blieben, dann würde eure Corporation, wie ihr sie nennt, eines natürlichen Todes sterben, und was würde aus euren Rittern und Baronen werden, bar und ohne würden genug von ihnen sein durch ihre Verschwendung und Ausschweifungen. Verheirathe dich, Jack, etablire dich vernünftig; da ist der Nachbar Silberpfennig, hat eine einzige Tochter von gehörigem Alter, und ein gutes Weibsbild ist sie noch dazu. Die einzige Tochter von Oliver Silberpfennig wird ein passendes Weib abgeben für den einzigen Sohn von Thomas Goldenkalb; jedoch sag‘ ich dir, Junge, wirst du mit einer Competenz abgefunden werden; also halte deinen Kopf rein von ausschweifenden Luftschlössern, lerne Oekonomie bei Zeiten, und vor allem, mach keine Schulden.«

Anna lachte, als ich gut gelaunt die wohlbekannte Intonation des Sprechers Sutton nachmachte, aber eine Wolke verdunkelte ihre klaren Züge, als ich schloß.

»Gestern erwähnte ich die Sache bei Eurem Vater,« fuhr ich fort, »und er meinte mit mir, die Idee von dem Burgflecken und der Baronie sei gut. Ihr würdet der zweite Eures Geschlechts sein, Jack,« sagte er, »und das ist immer besser, als der erste; denn es gibt keine Sicherheit, daß jemand ein gutes Glied des Staats sei, die mit der zu vergleichen ist, wenn er vor seinen Augen die Beispiele jener hat, die ihm vorausgegangen, und durch ihre Dienste und Tugenden ausgezeichnet gewesen sind. Wollte Euer Vater ins Parlament kommen, und die Regierung in diesem kritischen Augenblick unterstützen, dann würde seine Geburt übersehen werden, und Ihr stolz auf seine Handlungen zurücksehen können. Wie’s jetzt ist, fürcht‘ ich, ist seine ganze Seele mit der unwürdigen und erniedrigenden Leidenschaft der blosen Gewinnsucht beschäftigt. Geld ist ein nothwendiges Hülfsmittel zum Rang, und ohne Rang kann keine Ordnung sein, und ohne Ordnung keine Freiheit; aber wenn die Liebe zum Geld die Stelle der Achtung vor der Abstammung und den vergangnen Thaten einnimmt, verliert eine Gemeinde eben dadurch sogar das Gefühl, worauf alle ihre Großthaten sich stützen. So seht Ihr, liebe Anna, halten unsre Eltern zu sehr verschiedene Ansichten über einen sehr wichtigen Punkt; und zwischen natürlicher Hinneigung und erworbener Verehrung weiß ich kaum, welche ich annehmen soll. Wenn ich jemand finden könnte, sanft, verständig, schön wie du, die sich meiner erbarmen wollte, würde ich morgen heirathen, und die ganze Zukunft auf das Glück bauen, das mit solch einer Gefährtin zu finden ist.«

Wie gewöhnlich hörte mich Anna stille an. Daß sie jedoch die Ehe nicht ganz so wie ich ansah, zeigte sich deutlich schon den nächsten Tag. Der junge Sir Harry Griffin (der Vater war todt) hielt in aller Form um sie an, und ward entschieden abgewiesen.

Obgleich ich immer im Pfarrhaus glücklich war, konnte ich doch nicht anders als fühlen (noch mehr als sehen), daß, wie der Franzose sagt, ich eine falsche Stellung in der Gesellschaft einnahm. Als der vermuthliche Erbe großer Reichthümer bekannt, konnte ich nicht leicht gänzlich in einem Lande übersehen werden, dessen Regierung auf eine Repräsentation des Eigenthums basirt ist, und wo Burgflecken öffentlich feil sind; doch suchten die, welche zufällig den Vortheil für sich hatten, daß ihr Reichthum durch ihre Vorfahren zusammengebracht worden, mir immer zu beweisen, daß meiner, so ungeheuer er auch sei, nur von meinem Vater herrühre. Zehen tausend Mal wünschte ich, (wie es seitdem durch den großen Feldherrn des Jahrhunderts ausgedrückt worden) daß ich mein eigner Urenkel gewesen; denn trotz der größren Wahrscheinlichkeit, daß wer am nächsten bei’m Gründer eines Vermögens, auch gewiß den größeren Theil von dem zusammengeraften erhält, sowie wer am nächsten in der Abstammung bei dem Urahnen, der sein Geschlecht berühmt gemacht, auch gewiß am meisten noch von dem Einfluß von dessen Charakter in sich verspürt – trotz allem diesem bemerkte ich bald, daß in hochgebildeten und verständigen Staatsgesellschaften, die allgemeine Meinung, insofern sie mit Ansehn und Einfluß zusammenhängt, was die Hauptsache ist, geradezu alle diese vernünftigen Vermuthungen in der Hinsicht verwirft. Ich war nicht an meinem rechten Platze, unruhig, beschämt, stolz und empfindlich, – kurz ich nahm eine falsche Stellung ein; und unglücklicher Weise eine, aus der ich keinen möglichen Ausweg sah, ausgenommen ich fiele nach Lombardstreet zurück, oder schnitte mir die Kehle ab. Anna allein, gütig, lieb, mit den heitern Augen, sie allein fand sich in alle meine Freuden, nahm Theil an allen meinen Bekümmernissen, und schien mich zu sehen, wie ich war, nicht bezaubert durch meinen Reichthum, nicht zurückgestoßen durch meine Geburt. Den Tag, wo sie den jungen Harry Griffin abwieß, hätte ich vor ihr niederknie’n und sie Heilige nennen mögen.

Man sagt, kein moralisches Uebelbefinden werde je durch sein Ergründen besser. Ich war ein lebendiges Beispiel von der Ansicht, daß Hinbrüten über sein Weh und seine Leiden nur das Uebel ärger macht. Ich fürchte sehr, es liegt in der Natur des Menschen, die Vortheile, die er wirklich genießt, gering zu schätzen, und die, welche ihm verweigert worden, zu übertreiben. Fünfzig Mal, während der sechs Monate, die auf die Abweisung des jungen Baronet folgten, entschloß ich mich Herz zu fassen, und zu Annens Füßen zu fallen; und ebenso oft ward ich durch die Besorgniß zurückgeschreckt, daß ich nichts hatte, mich würdig zu machen einer so herrlichen, die noch dazu die Enkelin des siebenten Englischen Baronets war.

Ich will mir nicht herausnehmen, den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung zu erklären, ich bin weder Arzt noch Metaphysiker, aber die Geistesunruhe, die aus so vielen Zweifeln, Hoffnungen, Befürchtungen, Entschlüssen und Aufgaben von Entschlüssen hervorging, fing an meine Gesundheit anzugreifen; und ich wollte eben den Rath meiner Freunde, unter denen Anna die ernsteste und bekümmertste war, nachgeben, und reisen, als ich unerwartet vor das Sterbebette meines Vaters beschieden ward. Ich riß mich vom Pfarrhaus los, und eilte zur Stadt mit der Eile und dem Eifer eines einzigen Sohns und Erben, der bei einer so feierlichen Gelegenheit herbeigerufen wird.

Ich fand meinen Vater noch im Besitz seiner Sinne, obwohl von den Aerzten schon aufgegeben, ein Umstand, der von ihrer Seite eine Uneigennützigkeit und Seltsamkeit bewieß, die man kaum gegen einen Patienten, der nach der allgemeinen Meinung mehr als eine Million reich war, hätte erwarten sollen. Mein Empfang bei dem Gesinde und zwei oder drei Freunden, die bei dieser traurigen Gelegenheit sich versammelt hatten, war voll Mitgefühl und warm, und zeugte von ihrer Besorgniß und Vorsicht.

Meine Aufnahme bei dem Kranken war weniger ausgezeichnet. Das gänzliche Versenken seiner Geisteskräfte in das eine große Streben seines Lebens, eine gewisse Hartnäckigkeit, welche leicht die Oberherrschaft bei denen gewinnt, die entschlossen sind zu erwerben, und welche sich gewöhnlich ihren Manieren mittheilt, ferner der Mangel jener zarteren Bande, die nur durch die Uebung der vertrauteren Liebeserweisungen während unsres Daseins sich ausbilden, – alles dieß hatte einen Bruch zwischen uns hervorgebracht, der durch das einfache, nicht unterstützte Faktum der Verwandtschaft nicht ausgefüllt werden konnte. Ich sage Verwandtschaft, denn trotz der Zweifel, die ihre Schatten auf jenen Zweig des Stammbaumes warfen, durch den ich mit meinem Großvater von mütterlicher Seite zusammenhing, ist offenbar das Recht des Königs auf seine Krone nicht offenbarer, als meine direkte Abkunft von meinem Vater. Ich hielt ihn immer für meinen Vorfahr de jure und de facto und hätte ihn wohl als solchen lieben und ehren mögen, wenn die Stimme der Natur auf meiner Seite zärtere Erwiederungen von ihm gefunden hätte.

Trotz der langen, und unnatürlichen Entfremdung, die so zwischen Vater und Sohn bestanden hatte, war das Zusammentreffen bei dieser Gelegenheit nicht ganz ohne einige Zeichen des Gefühls.

»Du bist endlich gekommen, Jack,« sagte mein Vorfahr, »ich fürchtete, Junge, du möchtest zu spät kommen.« Das schwere Aufathmen, der geisterhafte Blick und die gebrochene Sprache meines Vaters erfüllte mich mit Schrecken; es war das erste Sterbebett, an dem ich je gestanden und das mahnende Gemälde der zur Ewigkeit schreitenden Zeit ward unauslöschlich meinem Gedächtnis eingeprägt. Es war nicht nur eine Sterbescene, es war eine Familien-Sterbescene. Ich weiß nicht, wie es zuging, aber mir schien, mein Vorfahr gliche mehr einem Goldenkalb als je zuvor.

»Endlich bist du gekommen, Jack,« wiederholte er, »und das freut mich; du bist der einzige, der mir nun noch Sorge macht. Es wäre vielleicht besser gewesen, hätte ich mehr mit meiner Familie gelebt, – aber du wirst den Vortheil davon haben; ach, Jack, wir sind bei dem allem armselige Sterbliche; abgerufen zu werden so plötzlich und noch so jung.«

Mein Vorfahr hatte seinen siebzigsten Geburtstag erlebt, aber leider! hatte er noch nicht seine Rechnung mit der Welt abgeschlossen, obwohl er dem Arzt seinen letzten Sold gegeben, und den Pfarrer mit einem Geschenk für die Armen des Sprengels fortgeschickt hatte, das selbst einen Bettler für sein ganzes Leben würde froh gemacht haben.

»Du bist endlich gekommen, Jack, nun gut, mein Unglück wird dein Gewinn sein. Junge! Schick die Wärterin aus dem Zimmer.«

Ich that, wie er befohlen und wir waren allein.

»Nimm diesen Schlüssel;« er gab mir ihn unter seinem Kissen hervor, »und öffne die obere Schublade meines Sekretairs. Bring mir das Packet mit deiner Adresse.«

Ich gehorchte schweigend; worauf denn mein Vorfahr erst mit einer Trauer darauf blickte, die ich nicht gut beschreiben kann, denn sie war weder weltlich, noch ganz von einem ätherischen Charakter, sondern eine seltsame fürchterliche Zusammensetzung von beiden, worauf er dann die Papiere in meine Hand gab, langsam und mit Widerstreben sie loslassend.

»Du wirst warten, bis mich dein Auge nicht mehr sieht, Jack.«

Eine Thräne brach daraus hervor und fiel auf die abgemagerte Hand meines Vaters; er sah gedankenvoll auf mich und ich fühlte ein leises Drücken, das seine Rührung bezeugte.

»Es wäre wohl besser gewesen, Jack, hätten wir uns mehr gekannt. Aber die Vorsehung ließ mich den Vater nicht kennen und kinderlos lebte ich durch meine Thorheit. Deine Mutter war eine Heilige, glaub‘ ich, aber ich fürchte, ich erfuhr es zu spät. Nun, ein Segen kommt oft erst um Mitternacht.«

Da mein Vorfahr jetzt den Wunsch zu erkennen gab, ungestört zu bleiben, rief ich die Wärterin und verließ das Zimmer; in meine eigne bescheidne Stube zog ich mich zurück, wo der Pack Papiere, versiegelt und von der eignen Hand meines Vaters an mich adressirt, sorgfältig unter ein gutes Schloß gelegt ward. Ich traf mit meinem Vater nur noch ein Mal unter Umständen zusammen, die eine verständliche Mittheilung zuließen. Von der Zeit unsrer ersten Zusammenkunft an ward er allmählich schlimmer, seine Vernunft wankte und gleich Shakspeare’s sündhaftem Cardinal, »starb er und gab kein Zeichen von sich.«

Drei Tage nach meiner Ankunft jedoch ward ich allein mit ihm gelassen, und plötzlich erwachte er aus einem an Ohnmacht grenzenden Zustand. Es war das einzige Mal seit der ersten Zusammenkunft, wo er mich auch nur zu erkennen schien.

»Endlich bist du gekommen,« sagte er in einem Ton, der schon aus dem Grabe zu kommen schien. »Kannst du mir sagen. Junge, warum sie goldne Ruthen hatten, die Stadt auszumessen? (seine Wärterin hatte ihm ein Kapitel aus der Offenbarung gelesen, das er sich selbst ausgewählt). Du siehst, Junge, die Mauer selbst war von Jaspis und die Stadt von eitel Gold. Ich werd‘ kein Gold nöthig haben in meiner neuen Wohnung, ha! man wird dort keins brauchen! Ich bin nicht geizig, Jack; wollte Gott, ich hätte das Gold weniger geliebt, und meine Familie mehr! Die Stadt selbst ist von eitel Gold und die Mauern von Jaspis, herrliche Wohnung! ha! Jack; du hörst’s, Junge, – ich bin glücklich, zu glücklich! Gold! Gold!«

Die letzten Worte wurden mit einem Schrei ausgestoßen, sie waren die letzten, die je von den Lippen Thomas Goldenkalb’s kamen. Der Lärm brachte die Wärter herein, sie fanden ihn todt. Ich ließ sie das Zimmer verlassen, sobald die traurige Wahrheit gehörig feststand und blieb mehrere Augenblicke allein mit der Leiche. Das Gesicht lag im Tod, die Augen, noch offen, hatten den abstoßenden Glanz des wahnsinnigen Entzückens, womit der Geist abgeschieden, und das ganze Antlitz zeigte das furchtbare Bild eines hoffnungslosen Endes. Ich kniete nieder und betete, obwohl Protestant, inbrünstig für die Seele des Verstorbenen. Ich schied dann von dem ersten und letzten all meiner Vorfahren.

Diesem Auftritt folgte die gewöhnliche Zeit äußrer Trauer, das Begräbniß und dann die getäuschten Erwartungen der Überlebenden. Ich sah das Haus sehr besucht von vielen, die selten oder nie beim Leben seines früheren Eigenthümers seine Schwelle betreten hatten. Viel Munkeln und Blispern begann, man sah mich bedeutungsvoll an, ohne daß ich von dem allen etwas verstand; nach und nach mehrte sich die Zahl des regelmäßigen Besuchs, und belief sich zuletzt auf zwanzig. Unter ihnen war der Pfarrer des Sprengels, die Vorsteher einiger berühmten Wohlthätigkeitsanstalten, drei Procuratoren, vier oder fünf wohl bekannte Börsenmänner, unter ihnen der Vorderste Sir Joseph Job, und drei von den gewöhnlichen Barmherzigen, deren einzige Beschäftigung zu sein scheint, den versteckten Wohlthätigkeitssinn ihrer Nachbarn hervorzurufen und zu beleben.

Den Tag, nachdem mein Vorfahr für immer unsern Blicken entzogen worden, war das Haus mehr als gewöhnlich angefüllt. Die geheimen Verhandlungen nahmen zu an Ernst und Häufigkeit, und endlich ward ich aufgefordert, mit diesen lästigen Gästen in das Zimmer, das das sanctum sanctorum des früheren Hauseigenthümers gewesen, zusammenzukommen. Als ich unter zwanzig fremde Gesichter trat, voll Verwunderung, wie ich, der bisher so wenig bemerkt, durch’s Leben gegangen, so unzeitiger Weise belästigt werden sollte, stellte sich mir Sir Joseph Job als den Sprecher der Versammlung dar.

»Wir haben nach Ihnen geschickt, Herr Goldenkalb,« begann der Herr, sich gebührend die Augen wischend, »weil wir dafür halten, daß Achtung für unsern verstorbenen sehr geehrten, vortrefflichen und ehrbaren Freund es verlangt, nicht länger seinen letzten Willen hintanzusetzen, sondern ohne weitres zur Eröffnung seines Testaments zu schreiten, und dann die gehörigen Maaßregeln zu dessen Vollstreckung zu treffen. Es würde mehr in der Ordnung gewesen sein, wenn wir dies vor seiner Beerdigung gethan, denn wir könnten seinen Willen in Hinsicht seiner verehrten Ueberreste nicht so gerade errathen haben. Indeß ist es mein fester Vorsatz, alles so angeordnet zu wissen, wie er gewollt, sollten wir selbst genöthigt sein, die Leiche wieder auszugraben.«

Ich bin von Natur ruhig und vielleicht leichtgläubig, aber nicht ganz ohne die gehörige Empfindsamkeit. Was Sir Joseph Job oder sonst Jemand ausser mir mit dem Testament meines Vorfahrens zu thun hatte, wollte mir zuerst nicht einleuchten, und ich unterließ nicht, so etwas in Ausdrücken zu erkennen zu geben, die nicht leicht mißverstanden werden konnten.

»Als einziges Kind und noch dazu einzige Verwandte des Verstorbenen,« sagte ich, »sehe ich nicht recht ein, meine Herren, in wie fern diese Sache auf so lebhafte Art so viele Fremde interessiren kann.«

»Sehr scharfsinnig und passend, freilich Sir,« entgegnete Sir Joseph lächelnd, »aber sie sollten wissen, junger Mann, daß wenn es Leute giebt wie Erben, es auch solche wie Testamentsvollstrecker giebt.«

Das wußte ich schon, und ich hatte schon irgendwo die Ansicht gewonnen, daß der letztre gemeiniglich als der profitlichere Stand sich zeige.

»Haben Sie einigen Grund anzunehmen, Sir Joseph, daß mein verstorbener Vater Sie zum Vollstrecker bestellte?«

»Das wird sich besser am Ende zeigen, junger Herr! Ihr verstorbener Vater soll reich gestorben sein, sehr reich, – nicht daß er gegen eine halbe Million so viel hinterlassen, als das Gerücht behauptet, aber es ist ganz bedeutend, und es wäre unvernünftig anzunehmen, ein Mann von seiner großen Vorsicht und Klugheit sollte sein Geld an den gesetzlichen Erben übergehen lassen, dieser Erbe, ein junger Mann von nur 23 Jahren, unerfahren in Geschäften, nicht zu sehr mit Klugheit begabt, und mit all den Neigungen derer von seinen Jahren in dieser übelberathenen und ausschweifenden Zeit; – er hätte es ihm überlassen ohne gewisse Vorkehrungen und Sicherheiten, die sein hart Erworbenes für noch einige Zeit unter die Sorgfalt von Männern stellen, die wie er den vollen Werth des Goldes kennen?«

»Nein, niemals, es ist ganz unmöglich, es ist mehr als unmöglich!« riefen kopfschüttelnd die Beistehenden.

»Besonders da der verstorbene Herr Goldenkalb mit den meisten soliden Namen an der Börse, z. B. Herrn Joseph Job sehr vertraut war;« fügte ein anderer hinzu.

Sir Joseph nickte, lächelte, strich sich das Kinn und wartete auf die Antwort.

»Das Eigenthum ist in Gefahr, Sir Joseph!« sagte ich ironisch, »aber es thut nichts! Wenn ein Testament da ist, liegt es ebensowohl in meinem Interesse, als möglicher Weise in dem Ihrigen, seinen Inhalt zu kennen, und ich gebe gerne zu, daß auf der Stelle darnach gesucht werde.«

Sir Joseph blickte Dolche nach mir; aber als Geschäftsmann nahm er mich beim Wort, und nach Empfang der dargebotenen Schlüssel, ward sogleich eine geeignete Person in Thätigkeit gesetzt, die Schubladen zu öffnen. Das Suchen ging ohne Erfolg vier Stunden lang vor sich. Jede geheime Schublade wurde durchwühlt, jedes Papier geöffnet, und manch neugieriger Blick auf den Inhalt der letztern geworfen, um einige Winke über den wahrscheinlichen Belauf der ausstehenden Capitalien des Verstorbenen zu erhalten. Bestürzung und Unruhe stiegen sehr augenscheinlich unter den meisten der Zuschauer, während die fruchtlose Nachforschung vor sich ging und als der Notar mit der Erklärung endete, daß kein Testament zu finden sei, noch sonst ein Zeichen von Ausständen, heftete sich jedes Auge auf mich, als wenn ich im Verdacht stände, weggestohlen zu haben, was nach dem natürlichen Gange mein werden mußte, ohne die Notwendigkeit eines Verbrechens.

»Es muß irgendwo ein geheimes Fach für die Papiere sein,« sagte Sir Joseph Job, als wenn er mehr argwöhnte, als er für jetzt sagen wollte. »Herr Goldenkalb ist mit einer bedeutenden Summe in den Staatsschuldbüchern interessirt, und doch findet sich hier nicht ein Papierstreifen von einem Pfd. Sterling!«

Ich verließ das Zimmer und kehrte bald mit dem Bündel zurück, das mir von meinem Vater übergeben worden.

»Hier, Ihr Herren,« sagte ich, »ist ein großes Packet Papiere, das mir von dem Verstorbenen eigenhändig auf seinem Sterbebett eingehändigt ward. Es ist, wie Sie sehen, unter seinem Siegel und unter meiner Adresse, von seiner eignen Hand, und es ist wohl für keine Anmaßung anzunehmen, daß der Inhalt mich ganz allein betrifft. Doch da Sie sich für des Verstorbenen Angelegenheiten so sehr interessiren, soll es jetzt geöffnet werden, und der Inhalt, so weit Sie einiges Recht haben können, ihn zu erfahren, Ihnen nicht verborgen bleiben.«

Mir schien’s, Sir Joseph sah ernsthaft aus beim Anblick des Packs und nachdem er die Handschrift auf der Decke untersucht hatte. Alle jedoch bezeugten ihre Zufriedenheit, daß die Nachsuchung nun wahrscheinlich beendet sei. Ich zerbrach das Siegel, und legte den Inhalt des Couverts dar. Darin befanden sich verschiedene Packete, jedes unter dem Siegel des Verstorbenen und an mich, wie die äußere Decke von seiner eignen Hand adressirt. Jedes dieser kleineren Packete hatte auch eine besondere Aufschrift über seinen Inhalt. Ich nahm sie, wie sie lagen, und las die Aufschrift eines jeden, ehe ich zum nächsten überging. Sie waren auch numerirt.

»Nro. 1.,« fing ich an, »Scheine auf die Staatsschuld von Th. Goldenkalb. 12. Juni 1815.« Wir hatten damals den zwanzigsten desselben Monats und Jahrs. Als ich dieses Packet bei Seite legte, sah ich, daß die aufgeschriebene Summe weit eine Million überstieg.

»Nro. 2. Scheine der Bank von England.« Die Summe war mehrere hundert Tausende. »Nro. 3. Süd-See-Annuitäten,« fast 300,000 Pf. »Nro. 4. Schuldscheine und Verschreibungen.« 430,000 Pf. »Nro. 5. Verschreibung von Sir Peter Job, 63,000 Pf.«

Ich legte das Papier hin, und rief unwillkührlich aus: »Das Eigenthum ist in Gefahr!« Sir Joseph ward blaß, aber er winkte mir fortzufahren und sagte: »Wir werden bald an das Testament kommen, Sir.«

»Nr. 6.« Ich zögerte, denn es war eine Verschreibung an mich selbst, die, wie ich eben daraus sah, ein verunglückter Versuch war, die Zahlung der Erbschaftstaxe zu umgehen.

»Nun, Sir, Nro. 6?« fragte Sir Joseph mit tremulanter Freude.

»Ist ein Papier, das mich selbst betrifft, womit Sie nichts zu schaffen haben, Sir.«

»Wir werden sehen, Herr, wir werden sehen; wenn Sie, sich weigern, gibt’s Gesetze, Sie zu zwingen.«

»Zu was, Sir Joseph Job? Meines Vaters Schuldnern Papiere zu zeigen, die ausschließlich an mich adressirt sind, und mich nur betreffen können? Aber hier ist das Papier, meine Herren, das Sie so sehr zu sehen wünschen. Nro. 7. Letzter Wille und Testament des Th. Goldenkalb, 17. Juni 18l5.« (Er starb den 24. desselben Jahrs.)

»Ah, das köstliche Papier!« rief Sir Joseph Job aus, seine Hand eifrig darnach streckend, als erwarte er, er werde es erhalten.

»Dies Papier, wie Sie sehen, meine Herren,« sagte ich, und hielt’s in die Höhe, daß alle Anwesende es sehen möchten, »ist besonders an mich adressirt, und ich werd’s nicht aus der Hand lassen, bis ich ersehe, daß jemand anders ein besser Recht darauf hat.«

Ich gestehe, der Muth gebrach mir, als ich es eröffnete, denn ich hatte nur wenig meinen Vater gekannt, und wußte, daß er ein Mann von eben so besondern Ansichten als Gewohnheiten gewesen. Das Testament war ganz von seiner Hand und sehr kurz. Ich faßte Herz und laß laut folgendes vor:

»Im Namen Gottes, Amen. – Ich, Th. Goldenkalb aus dem Kirchsprengel Bow, in der Stadt London, verkünde und erkläre dieß Instrument als meinen letzten Willen und Testament. Nämlich:

»Ich vermache meinem einzigen Kind und sehr geliebten Sohn, John Goldenkalb, all mein Besitzthum in dem vorbesagten Sprengel Bow und der Stadt London, daß er es besitze als einfaches Besitzthum für sich, seine Erben und Stellvertreter für immer.«

»Ich vermache meinem einzigen Kind und vielgeliebten Sohn, dem besagten John Goldenkalb, all mein persönliches Eigenthum, von welcher Art und Beschaffenheit es immer sei, in dessen Besitz ich mich bei meinem Tode befinde, einschließlich Verschreibungen und Schuldscheine bei der Staatsschuld, Banknoten, einfache Scheine, Gut und Vieh, und alle andre Effekte, ihm, seinen Erben und Stellvertretern.«

»Ich ernenne und bestelle meinen genannten vielgeliebten Sohn, John Goldenkalb, zum alleinigen Vollzieher dieses meines letzten Willens und Testaments, und rathe ihm, keinem von denen, die sich für meine Freunde ausgeben mögen, zu vertrauen, besonders allen Ansprüchen und Bitten Sir Joseph Jobs ein taubes Ohr zu leihen. Zum Zeugniß von welchem u.s.w. u.s.w.«

Dieses Testament war gehörig ausgefertigt, und Zeugen waren die Wärterin, der Hauptcommis und das Hausmädchen.

»Das Eigenthum ist in Gefahr, Sir Joseph,« bemerkte ich trocken, als ich die Papiere, sie aufzuheben, zusammennahm.

»Dieß Testament kann umgestoßen werden, meine Herren,« schrie der Mann in Wuth, »es ist eine Schmähschrift.«

»Und wem zu Nutz, Sir Joseph?« fragte ich ruhig. »Mit und ohne dieß Testament, möchten meine Ansprüche auf meines Vaters Capitalien gleich triftig sein.«

Dieß war so augenscheinlich wahr, daß sich die Klügeren schweigend entfernten, und selbst Sir Joseph ging nach kurzem Zögern, während welchem er seltsam bewegt schien, weg. Die Woche darauf ward sein Bankrot, in Folge einiger übertrieben gewagten Spekulationen an der Börse, bekannt gemacht, und so erhielt ich für meine Verschreibung von 63000 Pf. nur 3 Shilling, 4 Pence vom Pfund.

Als mir das Geld ausbezahlt wurde, konnte ich mich nicht enthalten, bei mir auszurufen: »das Eigenthum ist in Gefahr!«

Am folgenden Tag schloß Sir Joseph Job seine Rechnung dadurch mit der Welt ab, daß er sich die Kehle abschnitt.

Fünftes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Von dem socialen Haltpunkt-System, den Gefahren des Concentrirens, und andere moralische und unmoralische Merkwürdigkeiten.

Die Geschäfte meines Vaters waren fast so leicht zu ordnen, als die eines Unvermögenden. In vier und zwanzig Stunden war ich in vollständigem Besitz von allem, und fand mich, wenn nicht den reichsten, so doch einen der reichsten Privatleute von Europa. Ich sage Privatleute; denn Fürsten haben häufig eine Weise, sich die Habe Andrer zuzueignen, die jeden Versuch mit ihnen zu wetteifern, lächerlich machen würde. Schulden waren keine da, und wären deren gewesen, so fehlte bares Geld nicht; die Billanz in klingender Münze zu meinen Gunsten an der Bank belief sich selbst wieder zu einem bedeutenden Vermögen.

Der Leser wird jetzt annehmen, ich wäre vollkommen glücklich gewesen. Ohne die geringste Beschränkung in meiner Zeit oder meinem Besitz, befand ich mich im Genuß eines Einkommens, das bedeutend die Revenuen vieler regierenden Fürsten überstieg. Ich hatte weder eine kostspielige noch eine lasterhafte Gewohnheit irgend einer Art. Häuser, Pferde, Hunde, Gepäck, Diener, nichts plagte oder hinderte mich. In jeder Hinsicht, eine ausgenommen, war ich vollkommen mein eigner Herr. Dieses war das tiefe, theure, geliebte Gefühl, das Anna in meinen Augen zu einem Engel machte (in der That war sie nicht viel weniger auch bei andern Leuten), zum Polarstern, nach dem jeder meiner Wünsche hinwieß. Wie gerne hätte ich gerade damals eine halbe Million bezahlt, um der Enkel eines Baronet mit Vorfahren aus dem siebzehnten Jahrhundert zu sein.

Es war jedoch noch eine andre und näher liegende Ursache der Unruhe, die mir selbst noch mehr Besorgniß machte, als der Umstand, daß meine Familie in die dunklen Jahrhunderte mit so verdrießlicher Leichtigkeit hinabreichte. Das, daß ich Zeuge von dem Todeskampfe meines Vorfahren gewesen, war mir eine schreckliche Lehre über die Eitelkeit, die Hoffnungslosigkeit, die Gefahren und Täuschungen des Reichthums, welche die Zeit nie ausrotten kann. Die Geschichte von dessen Aufhäufung war mir immer gegenwärtig, um das Vergnügen von seinem Besitz zu stören. Nicht als wenn ich, was die Welt nennt, Unredlichkeit geahnt hätte,– dazu war kein Grund, sondern nur, weil das engherzige, allem entfremdete Leben, der Aufwand von Kräften, die abgestumpfte Menschenliebe und der isolirte, mißtrauische Charakter meines Vaters mir nur schlecht durch den freudlosen Besitz seiner Millionen wieder gut gemacht schien. Ich würde viel darum gegeben haben, wenn mir jemand einen Weg gezeigt hätte, wo dem Verschlingen von Scylla’s Schlund entgehend, ich an den habsüchtigen Felsen der Charybdis hätte vorbeisteuern mögen.

Als ich aus den raucherigen Linien der Londoner Häuser in die grünen Felder zwischen den blühenden Hecken herausfuhr, schien mir diese Erde schön, wie gemacht, sie zu lieben. Ich sah in ihr das Werk eines göttlichen und wohlthätigen Schöpfers, und überzeugte mich leicht, daß, wer im Gewirr einer Stadt lebte, um Gold aus seines Nachbars Tasche in seine zu bringen, den Zweck seines Daseins verfehlte. Mein armer Vater, der nie London verlassen, stand vor mir mit seinem Kummer im Tode, und mein erster Entschluß war, mit meinen Nebenmenschen in Verbindung zu leben. So heftig in der That ward meine Angst, diesen Plan auszuführen, daß sie sich zum Wahnsinn hätte steigern können, wenn nicht ein glücklicher Umstand eingetreten, mich vor diesem schrecklichen Unglück zu retten.

Die Kutsche, in der ich die Reise machte (denn ich vermied vorsätzlich allen Pomp und die Beschwerde der Extrapost und der Bedienten) ging durch einen Marktflecken von anerkannter Loyalität, am Vorabend einer bestrittenen Wahl. Diese Berufung an den gesunden Verstand und Patriotismus der Wähler hatte stattgefunden, weil der frühere Bevollmächtigte ein Amt bekommen. Der neue Minister (er war nämlich Cabinetsmitglied) hatte eben seinen Ueberblick genommen und schickte sich an, seine Mitbürger aus dem Fenster des Wirtshauses, worin er logirte, anzureden. Obwohl ermüdet, doch begierig geistige Erholung auf irgend eine Art zu suchen, warf ich mich aus der Kutsche, sicherte mir ein Zimmer und ward einer von den Zuhörern.

Der begünstigte Bewerber nahm einen weiten Balkon ein, der von seinen Hausfreunden umringt ward, unter welchen ich mit Freuden Grafen, Lords und Baronets, geistliche Würdeträger, Handelsleute von Einfluß in dem Flecken, und selbst einen oder zwei Handwerker bemerkte, die in dem angenehmen Amalgam politischer Verwandtschaft zusammengedrängt waren. »Hier also,« dacht ich, »ist ein Beispiel himmlischen Segens. Der Bewerber selbst, der Sohn und Erbe eines Pairs, fühlt, daß er in Wirklichkeit dasselbe Fleisch und Blut ist wie seine Constituenten; wie lieblich er lächelt! wie angenehm sind seine Manieren! mit welcher Herzlichkeit schüttelt er die Hand des schmutzigsten und geringsten! Hier muß ein Mittel gegen Menschenstolz liegen! ein Antrieb zur Güte, eine nie endende Lehre des Wohlwollens, hier in diesem Theil unsrer herrlichen Staatsverfassung, und ich will es weiter verfolgen!« Der Bewerber erschien und seine Rede begann.

Mein Gedächtniß würde nicht ausreichen, wollte ich die eignen Worte des Redners anzuführen versuchen. Aber seine Ansichten und Lehren sind so tief in meine Erinnerung eingegraben, daß ich sie nicht zu entstellen fürchte. Er fing mit einem sehr passenden und beredten Lob der Constitution an, welche er unbedenklich in ihrer Art die größte Vervollkommnung menschlicher Vernunft nannte; es zu beweisen, führte er die feststehende Thatsache an, daß sie, bei allen Wechseln und Prüfungen so vieler Jahrhunderte sich, alle Veränderungen verabscheuend, nach den Umständen gerichtet. »Ja, meine Freunde,« rief er in einem Ausbruch patriotischer und constitutioneller Inbrunst, »wie unter den Rosen, so unter den Lilien, unter den Tudors, den Stuarts und dem hohen Hause Braunschweig hat dieß glorreiche Gebäude den Stürmen der Partheien widerstanden, hat unter sein schützendes Dach die entgegengesetzten Elemente bürgerlicher Streitigkeiten aufgenommen, Schutz, Wärme, ja auch Nahrung und Kleidung« (hier legte der Redner sehr passend seine Hand auf die Schulter eines Metzgers, der ein Flausgewand trug, das ihn nicht unähnlich einem stallgefütterten Vieh machte) »ja auch Nahrung und Kleidung, Lebensmittel und Trank dem geringsten Unterthan des Reichs verschaffend. Und das ist noch nicht alles; es ist eine ganz besonders englische Constitution, und wer ist so niederträchtig, so gemein, so untreu sich selbst, seinen Vätern, seinen Nachkommen, um einer Constitution den Rücken zu kehren, die so durch und durch, so wesentlich englisch ist; einer Constitution, die er von seinen Vorfahren geerbt, die nach göttlichen und menschlichen Gesetzen er verpflichtet ist, unverändert der Nachwelt zu überliefern?« Hier wurde der Redner, der jedoch zu sprechen fortfuhr, vom Beifallsgeschrei übertäubt, und diesen Theil des Gegenstandes konnte man wohl als definitiv bewiesen betrachten.

Unter Constitution als einem Ganzen, ging der Bewerber zunächst weiter, den besondern Theil von ihr, den Burgflecken Householder zu erheben. Nach seinem Bericht davon waren seine Bewohner von dem edelsten Geist der Unabhängigkeit erfüllt, von dem festesten Entschluß, das Ministerium aufrecht zu erhalten, wovon er selbst das geringste Glied sei, und besonders ausgezeichnet durch das, was er in der Begeisterung politischer Beredsamkeit, sehr glücklich das freigeborne Verständniß ihrer Rechte und Privilegien nannte. Diesen loyalen und vernünftigen Flecken habe man nie seine Gunst an solche verschwenden gesehen, die keinen Anhaltspunkt in der Gemeinde gehabt; er verstehe das Grundprincip guter Regierung, welches als Hauptsatz festgestellt, daß niemand Vertrauen verdient, er habe dann ein sichtliches und ausgedehntes Interesse am Land, denn was hätte ohne diese Pfänder der Rechtlichkeit und Unabhängigkeit der Wähler andres zu erwarten als Bestechung und Arglist, einen Handel mit den theuersten Rechten, ein Feilschen, das die glorreichen Institutionen, unter denen er lebte, zerstören könnte. Dieser Theil der Rede ward in ehrerbietiger Stille angehört, und bald darauf schloß der Redner, wo dann die Wähler wahrscheinlich mit einer bessern Meinung von sich und der Constitution auseinandergingen, als sie vielleicht seit der vorigen Wahl zu hegen das Glück gehabt.

Der Zufall brachte mich bei Tische (das Haus war voll) an dieselbe Tafel mit einem Notar, der den ganzen Morgen unter den Householdern sehr thätig gewesen, und wie ich von ihm selbst hörte, der eigentliche Agent des Eigenthümers von dem fraglichen unabhängigen Flecken war. Er sagte mir, er sei, in der Erwartung, das ganze Eigenthum an Sir Pledge, so hieß der ministerielle Candidat, übergeben zu können, hierher gekommen, aber die Geldmittel seien nicht zur Stelle gewesen, wie man ihn hätte hoffen lassen, und der ganze Handel so unglücklicher Weise in dem Augenblick abgebrochen worden, wo es von der höchsten Wichtigkeit gewesen, zu wissen, wem die unabhängigen Wähler eigentlich angehörten.

»Der Lord hat jedoch,« fuhr der Notar blinzelnd fort, »gethan, was recht war, und seine Wahl kann keinem Zweifel unterliegen, ebenso wenig wie die Ihrige, wenn der Flecken etwa Ihnen gehörte.«

»Und ist dieß Eigenthum jetzt zu verkaufen?« fragte ich.

»Freilich. – Der Herr kann’s nicht länger machen; der Preis steht fest, und ich hab‘ Vollmacht, den Handel vorläufig abzuschließen. Es ist Jammerschade, daß die öffentliche Meinung an dem Vorabend einer Wahl in diesem unentschiednen Zustand gelassen wird.«

»Dann, Sir, will ich es kaufen.«

Der andre sah mit Staunen und Zweifel auf mich. Er hatte jedoch schon zuviel Geschäfte der Art gemacht, um nicht erst weiter zu hören, ehe er ab- oder zuschlug.

»Der Preis des Fleckens ist 325000 Pf., und die Abgaben nur 6000, Sir.«

»Es mag sein. Mein Name ist Goldenkalb; wenn Sie mich in die Stadt begleiten wollen, sollen Sie das Geld erhalten.«

»Goldenkalb! Was, Sir, der einzige Sohn und Erbe des verstorbenen Thomas Goldenkalb von Cheapside?«

»Derselbe. Mein Vater ist noch keinen Monat todt.«

»Verzeihen Sie, Herr, beweisen Sie mir Ihre Identität, man muß bei solchen Dingen genau sein, – und Sie sollen noch zu rechter Zeit in den Besitz kommen, um Ihre eigne Wahl oder die eines Ihrer Freunde zu sichern. Ich werde Herrn Pledge seine geringen Vorschüsse zurückgeben, und künftig wird er sich nicht mehr unterstehen, sein Versprechen nicht zu halten. Wozu nützt ein Flecken, wenn eines Edelmanns Wort nicht heilig ist? Sie werden die Wähler insbesondre in jeder Hinsicht Ihrer Gunst würdig finden. Sie sind so freimüthige, loyale und gerade Constituenten, als nur irgend wo in England. Da ist kein Rückhalten mit dem Stimmen, in jeder Hinsicht sind sie furchtlose Engländer, die thun, was sie sagen, und sagen, was nur immer ihr Oberherr von ihnen verlangen mag.«

Da ich tausend Briefe und andere Dokumente bei mir hatte, war nichts leichter als den Notar von meiner Identität zu überzeugen. Er forderte Tinte und Feder; zog aus seiner Tasche den für Lord Pledge bestimmten Contrakt, und gab mir ihn zu lesen. Er füllte ihn aus, und meinen Namen einschreibend, rief er die Kellner zu Zeugen auf, und überreichte mir das Papier mit einer Schnelle und Ehrfurcht, die ich wirklich ergötzlich fand. So ein Mal, dacht‘ ich, der Gesellschaft durch den Ankauf eines Fleckens Sicherheits-Pfänder gegeben! Ich zog auf meine Bankiers 325,000 Pfund und stand wirklich als der Eigenthümer des Burgfleckens Householder und der politischen Gewissen aller seiner Bewohner vom Stuhl auf.

Eine so wichtige Begebenheit konnte nicht lange unbekannt bleiben, und in wenigen Minuten richteten sich Aller Augen im Kaffeehause auf mich. Der Wirth präsentirte sich, und bat, ich möchte ihm die Ehre erweisen, Besitz von seinem Wohnzimmer zu nehmen, da sonst keines zu seiner Verfügung stehe. Ich hatte mich dort kaum festgesetzt, als schon ein Diener in schöner Livree mir folgendes Schreiben überbrachte:

»Mein theurer Herr Goldenkalb!

»Ich hab‘ in diesem Augenblick vernommen, daß Sie hier sind und bin sehr froh darüber. Eine lange vertraute Freundschaft mit Ihrem verstorbenen vortrefflichen und sehr loyalen Herrn Vater rechtfertigt mich, wenn ich Sie meinen Freund nenne; so unterlasse ich alle weitere Ceremonien (ich meine Geschäftsceremonien, da von keinen andern zwischen uns die Rede sein kann), und bitte, mich eine halbe Stunde vorzulassen.– Mein theurer Herr Goldenkalb

Ihr sehr ergebener und aufrichtiger
Pledge.«

Ich bat, man möge den edlen Besuch nicht einen Augenblick warten lassen. Lord Pledge trat herein wie ein alter, vertrauter Freund. Er that hundert schöne Fragen nach meinem verstorbenen Vorfahren, sprach mit Gefühl von seinem Verdruß, nicht vor sein Sterbebett beschieden worden zu sein, und wünschte mir dann sehr aufrichtig und warm zu meiner Nachfolge zu so großem Reichthum Glück.

»Ich höre auch, Sie haben diesen Flecken gekauft, mein Lieber; ich konnte es gerade in diesem Augenblick nicht machen, um den Handel selbst abzuschließen; aber es ist nicht übel; 320,000 Pf., nicht, so war wenigstens zwischen mir und der Gegenparthie die Rede.«

»325,000 Pfund, Lord Pledge!«

Ich merkte an den Mienen des edlen Bewerbers, daß ich die schlechten fünf Tausend Pfund als eine Zugabe bezahlt, – ein Umstand, der die Bereitwilligkeit des Notars in der ganzen Verhandlung erklärte, da er wahrscheinlich den Ueberschuß selbst einsteckte.

»Sie denken also zu sitzen?«

»Ja, Mylord; doch erst nach der nächsten allgemeinen Wahl; für jetzt werde ich mich glücklich schätzen, Ihre Wiedererwählung zu unterstützen.«

»Mein lieber Herr Goldenkalb –«

»In der That, ohne Ihnen ein Compliment machen zu wollen, Lord Pledge, die edlen Gesinnungen, die ich Sie diesen Morgen äußern hörte, waren so geeignet, so außerordentlich eines Staatsmanns würdig, so wahrhaft englisch, daß ich weit lieber Sie selbst in dem erledigten Sitze als mich wünschen würde.«

»Ich ehre Ihre Vaterlandsliebe, Herr Goldenkalb, und wünsche nur, daß die Welt mehr solcher Männer besäße; aber Sie können auf unsre Freundschaft zählen, Sir; was sie eben bemerkten, ist wahr, sehr wahr, nur zu wahr, ist – ist, ich meine, mein lieber Herr Goldenkalb, gerade diese meine Gesinnungen, ich, ich, – ich sage es vor Gott, ohne Eitelkeit, aber es, – es, – wie Sie so ganz recht zu verstehen gegeben, sie sind recht geeignet und wahrhaft englisch.«

»Ich halte Sie in der That dafür, Lord Pledge, sonst hätte ich es nicht gesagt; – ich selbst befinde mich in einer seltsamen Lage, – bei ungeheurem Reichthume ohne Rang, Name, Verbindungen, – nichts ist leichter für einen von meinen Jahren, als mißleitet zu werden; und es ist daher mein heißer Wunsch, irgend ein Mittel zu finden, mich auf passende Art mit der Staatsgesellschaft zu verketten.«

»Ei, mein theurer junger Freund, wählen Sie ein Weib unter den Schönen und Tugendhaften dieser glücklichen Insel; leider kann ich selbst in dieser Hinsicht nichts vorschlagen; meine beiden Schwestern sind schon vergeben.«

»Ich hab‘ schon gewählt, ich danke Ihnen tausend Mal, mein theurer Lord Pledge, obgleich ich kaum selbst meine Wünsche zu erfüllen wage. Es sind Anstände, – wenn ich nur jetzt das Kind von eines Baronets zweitem Sohn wäre, oder – –«

»Werden Sie selbst Baron,« unterbrach mich nochmals mein edler Freund, der offenbar leichteren Herzens geworden; denn ich glaube wirklich, er dachte, ich würde ihn um etwas Höheres ansprechen. »Ihre Sache soll mit Ende der Woche gemacht sein, und wenn ich sonst etwas für Sie thun kann, nennen Sie es ohne Rückhalt!«

»Wenn ich noch etwas weiter von Ihren so bemerkenswerthen Gedanken über den Haltpunkt, den wir alle in der Staatsgesellschaft haben sollten, hören könnte, ich glaube, das würde mich sehr erleichtern.«

Der andere sah einen Augenblick mit sehr seltsamem Ernst auf mich, fuhr mit der Hand über die Stirn, sann nach und willfahrte mir dann sehr zuvorkommend.

»Sie legen, Herr Goldenkalb, zu große Wichtigkeit auf einige, freilich sehr wahre aber doch sehr übel geordnete Ideen. Daß ein Mann ohne einen gehörigen Haltpunkt im Staat wenig besser als das Thier des Feldes ist, halte ich für so augenscheinlich, daß es unnöthig ist, sich dabei aufzuhalten. Schließen Sie, wie Sie wollen, vorwärts und rückwärts. Sie kommen zu demselben Ergebniß; wer nichts hat, wird gewöhnlich von den Menschen wenig besser als ein Hund behandelt, und wer wenig mehr als ein Hund ist, hat gewöhnlich nichts. Ferner, was unterscheidet den Wilden vom Civilisirten? die Civilisation natürlich; – nun was ist Civilisation? Die Künste des Lebens. Was säugt, nährt, erhält die Künste des Lebens? Geld und Eigenthum. Folglich ist Civilisation Eigenthum und Eigenthum Civilisation. Wenn die Regierung eines Landes in den Händen derer ist, die Eigenthum besitzen, ist die Regierung eine civilisirte, aber im Gegentheil, ist sie in den Händen derer, die nichts besitzen, so ist sie nothwendig eine uncivilisirte. Es ist ganz unmöglich, daß jemand ein zuverlässiger Staatsmann werde, der nicht ein direktes Eigenthumsinteresse in der Staatsgesellschaft besitzt. Sie wissen, es gibt keinen Anfänger in unsrer politischen Sekte, der nicht die Wahrheit dieses Grundsatzes zugäbe.«

»Herr Pitt?«

»Ei Pitt war freilich gewisser Maßen eine Ausnahme, aber dann müssen Sie bedenken, war er der unmittelbare Vertreter der Tory, die das meiste Eigenthum in England besitzen.»

»Herr Fox.«

»Fox vertrat die Whigs, die, wie Sie wissen, alles übrige besitzen. Nein, mein lieber Goldenkalb, bedenken Sie, wie Sie wollen, wir werden immer zu demselben Resultat gelangen. Sie werden also, wie Sie eben gesagt, selbst einen der Sitze bei der nächsten Wahl einnehmen?«

»Ich bin zu stolz, Ihr College zu werden, um zu zögern.«

Diese Rede besiegelte unsre Freundschaft; denn sie war meinem edlen Bekannten ein Pfand für seine künftige Verbindung mit dem Flecken. Er war zu hoch geboren, seinen Dank in gewöhnlichen Phrasen auszudrücken (obwohl hohe Geburt selten alle ihre Vorzüge geltend macht, wenn es eine Wahl gilt) aber er war ein Mann von Welt, von jener Classe, deren Hauptgeschäft es ist, das »suaviter in modo« wie der Franzose sagt »en evidence« zu setzen, und so kann der Leser versichert sein, daß, als wir jenen Abend schieden, ich in vollkommen guter Laune mit mir und folglich mit meinem neuen Bekannten war.

Den folgenden Tag wurde das Abstimmen erneuert, und wir hatten eine zweite überzeugende Rede über die Wichtigkeit der Lehre, vom Anhaltspunkt in der Gesellschaft; denn Lord Pledge war Tactiker genug, gleich die Citadelle anzugreifen, nachdem er ihre schwache Seite erfaßt, und nicht seine Kräfte auf die Aussenwerke zu verschwenden. Am Abend kam der Notar aus der Stadt mit den Dokumenten; sie waren alle gehörig ausgefertigt, da sie für Lord Pledge schon einige Zeit bereit gewesen, und am folgenden Morgen frühe wurde den Einwohnern die gehörige Nachricht gegeben, mit einer zierlich abgefaßten Anrede von meiner Seite, zu Gunsten »des Haltpunkts in der Gesellschaft.« Um Mittag schritt Lord Pledge, wie es in Newmarket und Donkaster heißt, über den Kampfplatz; nach dem Essen schieden wir; mein edler Freund kehrte in die Stadt zurück, während ich den Weg nach dem Pfarrhaus einschlug.

Anna schien mir nie frischer, heitrer, über alles sterbliche erhabner, als damals, wo wir, eine Woche, nachdem ich Householder verlassen, in dem Frühstückzimmer von ihres Vaters Wohnung zusammentrafen.

»Ihr fangt wieder an, Euch selbst gleich zu sehen, Jack,« sagte sie, indem sie die Hand mit der einfachen Herzlichkeit einer Engländerin ausstreckte, »und ich hoffe, wir werden Euch vernünftiger finden.«

»Ach, Anna, wenn ich nur wagen dürfte, mich zu Euren Füßen zu werfen, und Euch zu sagen, wie sehr und was ich fühle, ich würde der glücklichste Mann in ganz England sein!«

»Wie’s nun ist, seid Ihr der unglücklichste,« antwortete das lachende Mädchen, als bis an die Schläfe erröthend, sie die Hand wegzog, die ich närrisch an’s Herz drückte; »laßt uns zum Frühstück geh’n, Herr Goldenkalb; mein Vater ist über Feld geritten, Doktor Liturgy zu besuchen.«

»Anna,« sagte ich, nachdem ich mich gesetzt, und eine Tasse Thee von Fingern genommen, die rosig waren, wie der Morgen, »ich fürchte, Ihr seid der größte Feind, den ich auf der Erde habe.«

»John Goldenkalb!« rief das entsetzte Mädchen, ward blaß und erröthete dann heftig; »bitte, erklärt Euch.«

»Ich liebe Euch im Innersten, – könnte Euch heirathen, und dann fürchte ich, verehre ich Euch, wie je ein Mann eine Frau verehrt.«

Anna lachte leise.

»Und so fühlt Ihr Euch in der Sünde der Götzendiener?« brachte sie zuletzt heraus.

»Nein, ich bin in Gefahr, meine Gefühle enger zu beschränken, einen festen, sichern Halt im Leben zu verlieren, meinen eigenthümlichen Standpunkt in der Gesellschaft aufzugeben, kurz, unnütz meinen Mitmenschen, wie mein armer, armer Vater zu werden, und ein ebenso erbärmliches Ende zu haben. O Anna, hättet Ihr die Hoffnungslosigkeit jenes Sterbebetts mitangesehn, Ihr könntet mir nie ein Schicksal wie das seinige wünschen!«

Meine Feder ist nicht im Stande eine angemessene Idee von dem Ausdruck zu geben, womit mich Anna betrachtete; Verwunderung, Zweifel, Befürchtung, Zuneigung und Angst, glänzte all in ihren Augen, aber die unnatürliche Gluth dieser widerstrebenden Gefühle war durch eine Sanftheit gemäßigt, die dem perlenden Glanz eines italienischen Himmels glich.

»Wenn ich meiner Neigung nachgebe, Anna, worin wird meine Lage von der meines unglücklichen Vaters sich unterscheiden? Er concentrirte seine Gefühle in der Liebe zum Geld, – und ich, ja ich fühle es hier, ich erkenne es hier, ich würde Euch so innig lieben, daß es jedes edelmüthige Gefühl für andre ausschlösse. Ich hab‘ eine schreckliche Verantwortung auf meinen Schultern, Reichthum – Gold – Gold über alle Maßen, und meine Seele zu retten, muß ich mein Interesse an meinen Mitgeschöpfen ausdehnen, nicht verengen. Gäb‘ es ein hundert solcher Anna, ich könnte euch alle an mein Herz drücken, aber Eine, nein, nein; es wäre Elend, es wäre Verderben. Gerade das Uebermaß einer solchen Leidenschaft würde mich zum herzlosen Geizhals machen, der unwürdig wäre des Vertrauens seiner Mitmenschen!«

Das strahlende und doch heitre Auge Annens schien in meiner Seele zu lesen; und als ich ausgesprochen, erhob sie sich, stahl sich furchtsam an meine Seite des Tisches, wie eine Frau sich nähert, wenn sie am meisten fühlt, legte ihre Sammethand auf meine brennende Stirn, drückte deren schlagende Pulse leise an ihr Herz, brach in Thränen aus und entfloh.

Wir speisten allein, auch sahen wir einander nicht wieder bis zur Mittagszeit. Annens Weise war sänftigend, lieb, selbst einnehmend, doch vermied sie sorgfältig das Gespräch vom Morgen. Ich selbst, ich brütete beständig über der Gefahr, die Interessen zu concentriren, und über der Vortrefflichkeit eines socialen Haltpunktsystems.

»Ihr werdet Euch, Jack, in einem Tag oder zwei besser befinden,« sagte Anna, als wir Wein nach der Suppe getrunken. »Landluft und Freunde werden Eure Frische, Eure Farben zurückbringen.«

»Gäb‘ es tausend Anna, dann könnt‘ ich glücklich sein, wie nie jemand zuvor; aber ich muß nicht, darf nicht meinen Halt an der Staatsgesellschaft aufgeben!«

»Dieß alles beweißt meine Unzulänglichkeit, Euch glücklich zu machen. Aber da kommt Francis mit der gestrigen Morgenzeitung, laßt uns sehen, was die Staatsgesellschaft in London macht!«

Nach einigen Augenblicken ernsthafter Beschäftigung mit dem Journal entfuhr dem lieblichen Kinde ein Ausruf des Vergnügens und Erstaunens. Als ich meine Augen emporrichtete, sah ich sie (wie ich mir einbildete) freundlich auf mich blicken.

»Les’t, was Ihr da habt, das Euch so viel Vergnügen zu machen scheint!«

Sie folgte und las mit eifriger und zitternder Stimme folgende Nachricht:

»Seine Majestät hat gnädigst geruht, John Goldenkalb von Householder-Hall in der Grafschaft Dorset und von Cheapside, Esquire, zur Würde eines Baronet der vereinigten Königreiche Großbritannien und Irland zu erheben.«

»Sir John Goldenkalb, ich habe die Ehre auf Eure Gesundheit und Glück zu trinken!« rief das entzückte Mädchen, freudestrahlend gleich dem Morgen und ihre schwellende Lippe mit einem Naß benetzend, das weniger roth war als diese. »Hier, Francis, füll‘ ein Glas und trink dem neuen Baronet zu.«

Der graugelockte Kellermeister that, wie ihm befohlen, und zwar mit viel Anstand und eilte dann in das Gesinde-Zimmer, die Nachricht zu hinterbringen.

»Hier wenigstens, Jack, ist ein neuer Anhalt, den die Gesellschaft an Euch hat, welchen Halt Ihr nun auch an die Gesellschaft haben mögt.«

Ich war erfreut, weil sie erfreut war, und weil es von Seiten Lord Pledge einige Dankbarkeit zeigte, (wie wohl er späterhin Gelegenheit nahm, zu verstehen zu geben, daß ich die Gunst hauptsächlich der Hoffnung verdankte) und ich glaube, meine Augen drückten nie mehr Freude aus.

»Lady Goldenkalb würde indeß doch auch nicht so übel lauten, liebste Anna!«

»Einer beigelegt, Sir John, wohl möglich, doch nicht wenn einem hundert.« Anna lachte, erröthete, brach nochmals in Thränen aus und entfloh wieder.

Welch‘ Recht hab‘ ich mit den Gefühlen dieses einfachen, trefflichen Mädchens zu spielen? sagte ich zu mir selbst; es ist offenbar, dieser Gegenstand betrübt sie, sie erträgt nicht seine Berührung, und es ist unmännlich und ungeeignet von mir, so zu verfahren. Ich muß meinem Charakter als ein Mann von Bildung treu bleiben; ja besonders jetzt als Baronet; ich will nie wieder, so lang ich lebe, davon sprechen.

Am folgenden Tag nahm ich Abschied von Dr. Etherington und seiner Tochter in der ausgesprochenen Absicht, ein Jahr oder zwei zu reisen. Der gute Geistliche gab mir viel freundlichen Rath, schmeichelte mir mit Versicherung seines Vertrauens in meine Vorsicht und mir warm die Hand drückend, bat er mich zu bedenken, daß ich immer eine Heimath im Pfarrhaus hätte. Als ich dem Vater Adieu gesagt, machte ich mich mit betrübtem Herzen auf, die Tochter aufzusuchen. Sie war noch in dem kleinen Frühstückzimmer, – jenem so geliebten Gemach. Ich fand sie blaß, schüchtern, gefühlvoll, schmeichelnd aber heiter. Nichts konnte je diese himmlische Heitre an dem lieben Kinde stören; wenn sie lachte, geschah es mit zurückgehaltener, gemäßigter Freude; wenn sie weinte, war es gleich Regen, der aus einer Luft fällt, die noch glänzt von dem hellen Sonnenschein. Nur wenn Gefühl und Natur unaussprechlich schwer in ihr war, führte ein unwiderstehlicher Trieb ihres Geschlechts zu Bewegungen, wie ich sie zwei Mal vor so kurzem in ihr wahrgenommen.

»Ihr wollt uns verlassen, Jack,« sagte sie und reichte freundlich und ohne affektirte Gleichgültigkeit, die sie nicht fühlte, ihre Hand. »Ihr werdet viele fremde Gesichter sehen, aber keine, die – –«

Ich wartete auf den Schluß des Satzes, aber ob sie auch eifrig nach Selbstüberwindung rang, er ward nie beendigt.

»Bei meinem Alter, Anna, bei meinen Mitteln, würde es unschicklich sein, zu Haus zu bleiben, während, wenn ich es so ausdrücken darf, die Menschheit draußen ist. Ich gehe meine Theilnahme an ihr zu beleben, mein Herz den Mitmenschen zu öffnen, und die grausamen Vorwürfe zu vermeiden, die meines Vaters Sterbebett zur Folter machten.«

»Gut, gut!« unterbrach das schluchzende Mädchen, »wir wollen nicht mehr davon sprechen; es ist am besten, Ihr reiset und so Adieu – mit Tausenden, mit Millionen meiner besten Wünsche für Euer Glück und sichre Wiederkehr. Ihr werdet zu uns zurückkommen, Jack, wenn überdrüssig Ihr geworden der andern Scenen.«

Dieß ward mit leichtem Ernst und einer so gewinnenden Aufrichtigkeit gesprochen, daß es fast meine ganze Philosophie umgestoßen; aber ich konnte ihr ganzes Geschlecht nicht heirathen, und meine Neigung auf eine zu beschränken, wäre der Todesstreich für die Entwicklung jenes erhabenen Grundsatzes gewesen, an dem ich so sehr hing, und der, wie ich schon beschlossen, mich würdig machen sollte meines Reichthums, und zur Zierde der Menschen. Doch wäre mir ein Königreich geboten worden, ich hätte nicht sprechen können. Ich nahm das nicht widerstrebende Kind in meine Arme, preßte sie an mein Herz, drückte einen brennenden Kuß auf ihre Wange und schied.

»Ihr werdet zu uns zurückkommen, Jack,« lispelte sie halb, als sie ihre Hand widerstrebend durch die meinige zog. O, Anna, es war in der That schmerzlich, von deinem freien, lieblichen Vertrauen zu scheiden, von deiner strahlenden Schönheit, deiner heitern Liebe und all den weiblichen Tugenden, nur um meine neuentdeckte Theorie in Ausübung zu bringen. Lange umschwebte deine Gegenwart mich, ja nie verließ sie mich gänzlich. Sie setzte meine Sündhaftigkeit auf eine strenge Probe, und drohte bei jeder Meile die sich verlängernde Kette anzuziehen, die mich schon band an dich, deinen Herd und deine Altäre. Aber ich triumphirte und trat hinaus in die Welt mit einem Herzen, allen Wesen geöffnet, obwohl dein Bild stets verschlossen blieb in seinem Innersten, und in weiblicher Glorie glänzte, rein, strahlend und ohne Fleck, gleich dem scheinenden Prisma, das den Glanz des Diamanten macht.

Sechstes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Eine Theorie von handgreiflicher Erhabenheit. – Einige praktische Ideen. – Anfang der Abentheuer.

Die Rückerinnerung an die tiefen Gefühle dieser wichtigen Periode meines Lebens hat gewisser Maßen den Zusammenhang der Erzählung gestört, und kann möglicher Weise einiges Dunkel in dem Gemüth des Lesers in Hinsicht der neuen Quellen von Glückseligkeit zurückgelassen haben, die über meinen Verstand hereingebrochen. Daher mag ein Wort hier zur Erläuterung nicht unnütz sein; wiewohl es mein Zweck ist, mich, um zu einem gehörigen Verständniß meiner Absichten zu führen, mehr auf meine Handlungen und die wunderbaren Vorfälle zu beziehen, die ich jetzt bald der Welt werde darlegen müssen, als auf wörtliche Erklärungen.

Glückseligkeit, Glückseligkeit, hier und jenseits war mein Ziel. Ich strebte nach einem Leben nützlichen, thätigen Wohlwollens, einem Sterbebett voll Freude und Hoffnung, und einer Ewigkeit der Vergeltung. Mit solch einem Plan vor mir, hatten meine Gedanken vom Augenblick an, wo ich den Kummer meines Vaters auf dem Sterbebett mit angehört, sich eifrigst mit den Mitteln seiner Erreichung beschäftigt. So wunderbar als es ohne Zweifel auch gewöhnlichen Gemüthern scheinen mag, ich kam auf die Spur dieses hohen Geheimnisses bei der letzten Wahl für den Burgflecken Householder und zwar durch Lord Pledge. Gleich andern wichtigen Entdeckungen ist es ganz einfach, wenn man es schon weiß, da es leicht dem schwerfälligsten Geiste verständlich gemacht werden kann, und so sollte es ja eigentlich mit jedem Grundsatz sein, der mit der Wohlfahrt des Menschen so nahe verbunden ist.

Es ist eine allgemein angenommene Wahrheit, daß Glückseligkeit der einzige wirkliche Zweck aller menschlichen Verbindungen ist. Die Beherrschten treten für die Wohlthaten des Friedens, der Sicherheit und Ordnung einen gewissen Theil ihrer natürlichen Rechte unter der wohlverstandnen Bedingung ab, daß sie den übrigen Theil als ihren unveräusserlichen Besitz genießen dürfen. Freilich bestehen unter den verschiednen Nationen auch sehr materiell verschiedne Ansichten über die Mengen des abzutretenden und zurück zu behaltenden Theils, aber diese Abirrungen von der rechten Mitte sind nur eben so viele Launen des menschlichen Geistes, und berühren keineswegs den Grundsatz selbst. Ich fand auch, daß gerade die weisesten und besten, oder was dasselbe ist, die verantwortlichsten allgemein behaupten, daß wer den größten Haltpunkt in der Gesellschaft besitzt, nach der Natur der Dinge auch am geeignetsten ist, ihre Geschäfte zu führen. Unter einem Haltpunkte der Staatsgesellschaft meint man, nach allgemeinem Uebereinkommen, eine Vervielfältigung jener Interessen, die uns in unserm täglichen Verkehr beschäftigen, oder was man gemeiniglich Eigenthum nennt. Dieser Grundsatz wirkt, indem er uns zum Rechtthun reizt, eben durch jenes schwere Pfand unsers Besitzes, das unvermeidlich leiden würde, wollten wir unrecht thun. Der Satz ist jetzt klar, auch kann, was wir vorausgeschickt, nicht mißverstanden werden. Glückseligkeit ist der Zweck der Staatsgesellschaft und Besitz, oder ein festes Interesse an dieser Gesellschaft das beste Pfand unsrer Uneigennützigkeit und Gerechtigkeit, und die beste Befähigung zu ihrer gehörigen Lenkung. Es folgt, als ein nothwendiger Folgesatz, daß eine Vermehrung jener Interessen das Pfand erhöhen wird, und uns mehr und mehr des Vertrauens würdig macht, indem sie uns, so nah als nur möglich, zu dem reinen und ätherischen Zustand der Engel erhebt. Einer jener glücklichen Zufälle, die manchmal die Menschen zu Kaiser und Könige machen, hatte mich vielleicht zum reichsten Unterthan von Europa gemacht. Mit diesem Polarstern der Theorie vor meinen Augen scheinend, und mit so reichen praktischen Mitteln, wäre es offenbar meine Schuld gewesen, hätte ich meine Barke nicht in den rechten Hafen gesteuert. Wenn der, der die größten Pfänder gegeben, auch wohl am meisten seine Mitmenschen liebte, so konnte für einen in meiner Lage sich wohl keine große Schwierigkeit finden, sich an die Spitze der Philanthropie zu stellen. Zwar bei oberflächlicher Betrachtung hätte man den Fall mit meinem eignen unmittelbaren Vorfahren für eine Ausnahme oder vielmehr einen Einwurf gegen die Theorie ansehen können; aber weit entfernt, beweist er gerade das Gegentheil. Mein Vater hatte größtentheils alle seine Pfänder in der National-Schuld concentrirt; nun liebte er ohne allen Scherz die Fonds außerordentlich, ward heftig, wenn sie angegriffen wurden, schrie nach Bayonetten, wenn die Massen gegen Taxen sprachen, hielt dem Galgen eine Lobrede, wenn man mit Empörung drohte, und zeigte auf hundert andere Arten, daß wo der Schatz ist, auch das Herz sein wird; der Fall mit meinem Vater also, wie alle Ausnahmen, bestärkte nur die Vortrefflichkeit der Regel. Er war nur in den Irrthum des Zusammenziehens verfallen, wo der einzige Weg der der größtmöglichen Eröffnung gewesen. Ich beschloß, mich zu öffnen, wozu sich vielleicht noch nie ein politischer Oekonom entschlossen; – kurz die Theorie vom socialen Anhaltspunkt auf eine Weise auszuführen, daß ich alles lieben müsse, und dadurch würdig würde, mit der Obhut von allem beauftragt zu werden.

Als ich in die Stadt kam, war mein erster Besuch der der Danksagung bei Lord Pledge. Erst hatte ich einige Zweifel verspürt, ob die Baronie das System der Philantropie unterstützen würde oder nicht; denn dadurch, daß sie mich über einen großen Theil meiner Mitmenschen erhob, war es in so weit wenigstens ein Entfernen von philantropischem Mitgefühl, aber als das Patent kam und die Kosten bezahlt waren, fand ich, daß sie wohl als ein Pfand in Geld betrachtet werden könnte, und folglich in den Bereich der Regel gehörte, die ich mir für mein eignes Regime vorgeschrieben.

Das nächste war, gehörige Agenten zu bekommen, um mich bei den Ankäufen zu unterstützen, die nöthig geworden, um mich an die Menschheit zu ketten. Ein Monat verging mit dieser eifrigen Beschäftigung. Da baares Geld nicht fehlte, und ich nicht sehr genau im Preis war, fing ich am Ende jener Zeit an, gewisse, sich regende Gefühle in mir zu verspüren, welche von dem triumphirenden Erfolg des Experiments zeugten. Mit andern Worten, ich erwarb viel, und fing an ein lebhaftes Interesse in allem dem zu nehmen, was ich erworben.

Ich machte Ankäufe in Gütern in England, Schottland, Irland und Wales; diese Zersplitterung des Eigenthums sollte meine Mitgefühle gerade zwischen den verschiednen Theilen meines Vaterlands vertheilen. Doch damit nicht zufrieden, dehnte ich das System auf die Kolonien aus; ich hatte Ostindische Actien, ein Schiff auf der See, Land in Canada, eine Plantage in Jamaica, Schafe auf dem Kap und zu Neu-Süd-Wallis, ein Indigo-Geschäft in Bengalen, ein Comptoir für Sammlung von Alterthümern auf den Ionischen Inseln, und stand in Verbindung mit einem Schiffseigenthümer zur allgemeinen Verproviantirung unsrer verschiednen Besitzungen mit Bier, Schinken, Käse, groben Tüchern und Eisenwerk. Vom Brittischen Reich dehnten sich meine Interessen bald auf andre Länder aus. An der Garonne und in Xeres kaufte ich Weinberge. In Deutschland nahm ich einige Actien in verschiednen Salinen und Kohlenbergwerken, ebenso in Südamerika in den edlen Metallen; in Rußland ließ ich mich tief in Talg ein; in der Schweiz errichtete ich eine ausgedehnte Uhrenfabrik, und kaufte alle nöthige Pferde zu einem Vetturin in großem Maßstab. Ich hatte Seidenwürmer in der Lombardei, Oliven und Hüte in Toskana, ein Bad in Lucca und eine Macaroni-Fabrik zu Neapel. Nach Sicilien schickte ich Fonds zum Ankauf von Waitzen, und in Rom unterhielt ich einen Kenner an der Spitze eines großen Geschäfts von englischen Artikeln, als: Senf, Porter, Bückinge und Hornvieh; sowie einen andern, um die Liebhaber der Künste und Virtuosität mit Gemälden und Statuen zu versehen.

Bis dieß alles durchgesetzt war, hatte ich die Hände voll zu thun. Jedoch die Methode, gehörige Agenten, und der feste Entschluß es zu Stande zu bringen, ebneten den Weg, und ich fing an um mich zu schauen und Athem zu schöpfen. Mich zu erholen, ging ich nun ins Einzelne; und einige Tage lang besuchte ich nun die Versammlungen der sogenannten »Frommen«, um zu sehen, ob etwas durch sie zur Erreichung meines Zwecks geschehen könnte. Ich kann nicht sagen, daß dieser Versuch mit allem Erfolg begleitet war, den ich erwartete. Ich hörte viel eitel Gerede, fand, daß die äußre Art von größrer Wichtigkeit als die Sache war, und sah meinen Beutel sehr unbescheiden und unaufhörlich in Anspruch genommen. Eine so zu nahe Ansicht von christlicher Barmherzigkeit mußte auch ihr tadelhaftes zeigen, wie bekanntlich der Glanz der Sonne Mängel auf dem Gesicht der Schönheit entdeckt, die dem Auge entgehen, wenn sie durch das künstliche Licht gesehen werden, das besser für sie paßt. Ich begnügte mich bald meine Beiträge in gehörigen Zwischenräumen einzusenden und hielt mich mit meiner Person fern. Dieser Versuch ließ mich bemerken, daß menschliche Tugenden wie kleine Lichter am besten im Dunklen scheinen und ihren Glanz hauptsächlich der Atmossphäre einer nichtigen Welt verdanken; jedoch vom Spekuliren kehrte ich zu Handlungen zurück.

Die Frage über Sklaverei hatte seit vielen Jahren die Wohlthätigen in Bewegung gesetzt, und da ich eine ganz besondre Theilnahmslosigkeit in dieser Hinsicht in mir fühlte, kaufte ich 500 von jedem Geschlecht, mein Mitgefühl zu erregen. Dieß führte mich den Vereinten Staaten von Amerika näher, ein Land, das ich aus meinem Sinn auszutilgen versucht hatte; denn während ich so eine Liebe für meine Mitmenschen hervorzubringen suchte, hatte ich kaum für nöthig gehalten, so weit von Haus wegzugehen. Da keine Regel ohne Ausnahme ist, gesteh‘ ich, war ich fast zu glauben geneigt, ein Yankee möge wohl in eines Engländers allgemeiner Menschenliebe ausgelassen werden. Aber, »läßt man sich für einen Penny ein, läßt man sich für ein Pfund ein.« Die Neger führten mich zu den Ufern des Mississipi, wo ich bald Eigenthümer von einer Zucker- und einer Baumwollen-Plantage war. Außer diesen Ankäufen nahm ich Actien in verschiedenen Süd-See-Schiffen, erwarb für mich allein eine Korallen- und Perlenfischerei, und schickte einen Agenten mit einem Vorschlag zu König Tamamaah, um zu unsrer beiden Besten ein Monopol von Sandelholz zu errichten.

Die Erde und was sie enthielt bekam neue Glorie in meinen Augen. Ich hatte die wesentliche Bedingung der Staatsökonomen, der Juristen, der Verfassungskünstler und aller die Talent und Anstand besaßen, erfüllt, und in der Hälfte der Staatsgesellschaften der ganzen Welt Anhaltspunkte erworben. Ich war im Stande zu regieren, Rath zu geben, den meisten Völkern der Christenheit zu gebieten, denn ich hatte direktes Interesse an ihrer Wohlfahrt genommen, indem ich sie zu meiner eignen machte. Zwanzig Mal wollte ich in eine Postchaise springen, und zum Pfarrhaus eilen, um meine neugeborne Verbindung mit den Menschenarten und alle sie begleitende Glückseligkeit zu den Füßen Annens niederzulegen, aber der schreckliche Gedanke der Monogamie und ihrer alles andre Gefühl vernichtenden Folgen hielt mich eben so oft wieder ab. Ich schrieb ihr jedoch wöchentlich, und machte sie zur Teilnehmerin meines Glücks, obgleich ich nie die Freude hatte, eine einzige Zeile als Antwort zu erhalten.

Gänzlich von Selbstsucht befreit, und meinen Mitmenschen verpfändet, verließ ich nun England, eine philanthropische Inspectionsreise zu machen. Ich werde den Leser nicht mit einer Beschreibung meiner Reise über die ausgetretenen Striche auf dem Continent ermüden, sondern ihn und mich mit einem Male nach Paris versetzen, in welcher Stadt ich am 17. Mai, im Jahr des Herrn 1819 ankam. Ich hatte viel gesehen, hielt mich für besser und durch beständiges Brüten über meinem System sah ich seine Vortrefflichkeit so klar, als Napoleon den berühmten Stern sah, der dem stumpferen Gesicht des Cardinals, seines Onkels, entging. Zu gleicher Zeit, wie dies gewöhnlich bei solchen geschieht, die alle ihre Kräfte auf einen gegebenen Punkt richten, erlitten die ursprünglich gewonnenen Ansichten von gewissen Theilen meiner Theorie mancherlei Aenderungen, je nachdem nähere und praktischere Blicke Folgewiedrigkeiten darlegten und Mängel mir zeigten. Was besonders Anna betrifft, so hatte dieß ruhige, liebliche, sich nicht aufdringende und doch klare Bild weiblicher Liebenswürdigkeit, das selten von meiner Seele abwesend war, seit dem vergangnen Jahre mit einer Beständigkeit von Beweiskraft mich umschwebt, die selbst die Newton’sche Philosophie hätte umstürzen mögen. Ich stellte schon wirklich mehr als in Frage, ob die von dem Beistand einer so Zugeneigten und Wahren zu erlangenden Hilfe nicht wohl vollständig den Mißstand einer zu großen Concentrierung in Hinsicht des weiblichen Geschlechts aufhebe. Diese entstehende Ansicht war sehr nahe daran zur Ueberzeugung zu werden, als ich eines Tages auf den Boulevards einem alten Nachbar des Pfarrhauses begegnete, der mir die beste Nachricht von der Familie gab, und hinzufügte, nachdem er Annens Schönheit und Vortrefflichkeit gepriesen, daß das theure Mädchen ganz kürzlich wirklich einen Pair abgewiesen, der all die anerkannten Vorzüge besessen: Jugend, Reichthum, Geburt, Rang und einen guten Namen, und sie aus tiefer Ueberzeugung von ihrem Werth und ihrer Tüchtigkeit ausersehen hatte, einen Mann von Gefühl glücklich zu machen. Wegen meiner Macht über Annens Herz hegte ich nie einen Zweifel. Sie hatte auf tausend Weisen und bei hundert Gelegenheiten es verrathen; auch war ich gar nicht zurückgeblieben, ihr verstehen zu geben, wie sehr ich die Theure schätzte, obwohl sich noch nie mein Entschluß so befestigt, daß ich um ihre Hand angehalten. Aber alle meine schwankenden Gedanken concentrirten sich, als ich diese willkommne Nachricht hörte; ich nahm schnell von meinem alten Bekannten Abschied, eilte nach Haus und schrieb folgenden Brief:

Theure, sehr theure, – ja theuerste Anna.

Ich begegnete diesen Morgen unserm alten Nachbar auf den Boulevards, und während einer Stunde sprachen wir nur von dir. Obwohl es mein feurigster und vorherrschendster Wunsch gewesen, mein Herz der ganzen Menschheit zu öffnen, fürcht‘ ich doch, Anna, habe ich nur dich allein geliebt; Abwesenheit, weit entfernt meine Gefühle zu erweitern, scheint sie zu beengen, und zu viele vereinen sich in deiner lieblichen Gestalt, deinen herrlichen Tugenden. Das vorgenommene Mittel ist unzureichend; und ich fange an zu denken, die Ehe allein könne mir hinlängliche Freiheit des Denkens und Handelns lassen, um die schuldige Aufmerksamkeit der übrigen Menschheit zuzuwenden. Du bist im Geiste bei mir gewesen an den vier Enden der Welt, zu Land und See; in Gefahren und Sicherheit, in allen Zeiten, Ländern und Lagen, und es ist kein eigentlicher Grund vorhanden, warum die, so im Geiste beisammen sind, materiell getrennt sein sollten. Du brauchst nur ein Wort zu sagen, eine Hoffnung zu lispeln, einen Wunsch anzudeuten, und ich werfe mich, ein zerknirschter Reuiger, zu deinen Füßen nieder, und flehe an dein Mitleid. Sind wir erst verbunden, dann wollen wir uns nicht in den schmutzigen und engen Pfaden der Selbstsucht verlieren, sondern vereint hinschreiten, einen neuen und noch mächtigeren Haltpunkt in dieser schönen Schöpfung zu erhalten, für deren göttlichstes Glied ich dich hiedurch anerkenne.

Theuerste, theuerste Anna,
dein und der Menschheit für immer
John Goldenkalb.

Wenn es je einen glücklichen Burschen auf der Erde gab, war ich’s, als dieser Brief geschrieben, gesiegelt und gehörig abgeschickt war. Der Würfel war gefallen; und ich wanderte in freier Luft, ein wiedergebornes, elastisches Wesen; mochte geschehen, was wollte, ich war Annens sicher; ihre Lieblichkeit mußte meine Reizbarkeit beruhigen, ihre Klugheit meine Thatkraft mäßigen, ihre freundliche aber ausdauernde Liebe meine Seele sänftigen. Ich fand mich, mich selbst inbegriffen, in Frieden mit allem um mich, ich fühlte eine süße Sicherheit in Hinsicht der Weisheit des Schrittes, den ich eben in Erweiterung des Mitgefühls gethan. Wenn dieß meine Gesinnungen waren, nun, da jeder Gedanke in Anna sich concentrirte, was würden sie nicht erst werden, wenn diese persönlichen Entzückungen durch Gewöhnung abgekühlt, und die Natur der Einwirkung gewöhnlicher Antriebe überlassen worden. Ich begann an der Unfehlbarkeit dieses Theils meines Systems zu zweiflen, der mir doch so viele Mühe gemacht, und mich zu der neuen Lehre hinzuneigen, daß durch Concentrirung auf besondre Punkte wir am meisten zur Liebe des Ganzen gelangen. Bei näherer Untersuchung konnte man selbst fragen, ob es nicht gerade dieser Grundsatz wäre, der mir als besondrer Landeigenthümer so großes Interesse an meine vaterländische Insel beibrachte; denn während ich offenbar nicht ganz Großbritanien besaß, fühlte ich doch ein tiefes Interesse für alles darin, was nur in irgend einer Weise, selbst der entferntesten, mit meinen eignen Besitzungen verbunden war.

Eine Woche flog in entzückenden Ahnungen vorüber; das Glück dieser kurzen aber himmlischen Zeit ward so aufregend, so ausgesucht, daß ich auf dem Punkt stand, meiner Theorie (oder vielmehr der Theorie der Staats-Oekonomen und Verfassungskünstler, denn es war in der That ihre und nicht meine) eine Verbesserung hinzuzufügen, als ich Annens Antwort erhielt. Wenn Ahnen ein Zustand so vielen Glücks ist, – Glück aber das ganze Streben des Menschen, warum nicht einen blos vermuthenden Zustand der Staatsgesellschaft erfinden? Warum nicht seine Grundzüge vom Positiven zu blos ahnenden Interessen abändern, die dem Leben mehr Reiz geben, und eine Glückseligkeit, nicht beeinträchtigt von dem Tand der Wirklichkeit, herstellen würden. Ich war schon entschlossen, diesen Grundsatz durch ein Experiment praktisch zu versuchen, und verließ das Hotel, um einem Agenten Auftrag zu geben, einen oder zwei Aufträge bekannt zu machen, und in Unterhandlungen darüber zu treten (ohne daß ich jedoch die geringste Absicht hatte, sie abzuschließen), als der Portier mir den heiß-ersehnten Brief überlieferte. Ich erfuhr daher nie die Wirkung von einem Anhaltspunkt in der Staatsgesellschaft, den man nur in Erwartung ahnend genommen, da der Inhalt von Annens Schreiben alles, was nicht mit der theuren Schreiberin und den traurigen Wirklichkeiten zusammenhing, vollständig mir aus dem Sinn trieb. Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, daß sich die neue Lehre als falsch erwiesen hätte, denn ich habe oft Gelegenheit gehabt, zu bemerken; daß Erben (Erben, die leer ausgegangen z. B.) viel eher eine feindselige Gesinnung gegen das Eigenthum zeigen, indem sie den Grundsatz des Vorausgenusses in Ausführung bringen, als sonst eine jener klugen Rücksichten auf gesellschaftliche Folgen, worauf der Gesetzgeber doch so ängstlich sieht.

Annens Brief lautete so:

»Guter, – ja theurer John!

Dein Brief kam mir gestern zu Hand. Dies ist die fünfte Antwort, die ich begonnen, und du wirst also sehen, daß ich nicht ohne Ueberlegung schreibe. Ich kenne dein vortreffliches Herz, John, besser als du selbst. Es hat dich entweder zur Entdeckung eines Geheimnisses von der höchsten Wichtigkeit für deine Mitmenschen geführt, oder dich grausam mißleitet. Ein so edles, so preiswürdiges Experiment darf wegen einiger augenblicklichen Zweifel an seinem Erfolg nicht sogleich aufgegeben werden. Halt nicht ein den Adlerflug im Augenblick, wo du so nahe der Sonne streichst! Sollten wir beide es unserm gegenseitigen Glück zuträglich halten, kann ich wohl noch künftig dein Weib werden. Wir sind noch jung, und unmittelbare Vereinigung drängt nicht. Indeß will ich versuchen, mich vorzubereiten, die Gefährtin eines Philantropen zu werden, indem ich deine Theorie in Ausführung bringe, und meine eignen Gefühle mehr und mehr ausdehne, so zum würdigen Weibe eines Mannes mich machend, der einen so weiten Anhaltpunkt in der menschlichen Gesellschaft hat, und so viele und so wahr liebt.

Deine Nachahmerin und Freundin ohne Wechsel
Anna Etherington.

Nachschrift. Du kannst sehen, daß ich immer weiter in meiner Besserung komme; denn ich schlug des Lords Mac Dee’s Hand aus, weil ich fand, daß ich alle seine Nachbarn ganz eben so liebte als den jungen Pair selbst.«

Zehntausend Furien nahmen Besitz von meiner Seele in Gestalt eben so vieler Teufel der Eifersucht. Anna ihre Gefühle mehr und mehr ausdehnen! Anna einen andern Haltpunkt in der Staatsgesellschaft annehmen, als den, wie ich sicher glaubte, durch mich! Anna sich bestreben mehr als Einen zu lieben, und dieser Eine ich selbst! Der Gedanke war zum rasend werden. Ich glaubte nicht an ihre aufrichtige Abweisung des Lords Dee. Ich eilte, ein Exemplar des Pairverzeichnisses zu bekommen (denn seit meiner eignen Erhebung kaufte ich regelmäßig sowohl dies als das andere über die Baronen) und schlug die Seite auf, wo sein Name stand. Er war ein Schottischer Vicomte, der eben Baron des Reichs geworden, und sein Alter gerade wie mein eignes. Das war ein Nebenbuhler, Mißtrauen zu erregen! Durch einen seltsamen Widerspruch, setzte ich, je mehr ich seine Macht, mir zu schaden, fürchtete, um so mehr seine Mittel herunter. Während ich mir dachte, Anna spiele nur mit mir, und wolle in’s Geheim die Gemahlin eines Pair werden, zweifelte ich nicht, der Gegenstand ihrer Wahl sei übel gebildet und linkisch und habe Backenknochen wie ein Tartar. Während ich vom großen Alter seiner Familie las, die das Dunkel erst mit dem dreizehnten Jahrhundert erreichte, setzte ich als ausgemacht fest, daß der erste seiner unbekannten Vorfahren ein barbeiniger Dieb gewesen, und im Augenblick, wo ich mir Anna ihn anlächelnd dachte, indem sie ihre koquettische Weigerung zurücknähme, hätte ich schwören mögen, er spräche mit einem unverständlichen Grenzlandaccent, und hätte rothes Haar!

Die Folter solcher Bilder ward unerträglich, und ich eilte in freie Luft zur Erholung. Wie lange und wohin ich wanderte, ich weiß es nicht, aber am Morgen des folgenden Tags fand ich mich in einer Schenke am Fuße des Montmartre eifrigst ein Brödchen verzehrend und mich mit saurem Wein erfrischend. Als ich mich ein wenig von dem Schlag erholt, mich in einer so seltsamen Gesellschaft zu finden, (denn da ich keine Actien in Schenken genommen, nahm ich auch nicht den gehörigen Antheil an diesen Volks-Instituten, um sie auch nur je vorher zu betreten) hatte ich Muße, um mich zu blicken und mir die Gesellschaft zu betrachten. Gegen fünfzig Franzosen der arbeitenden Klasse tranken überall und sprachen mit einer Heftigkeit der Gestikulation und einem Geschrei, das jeden Gedanken geradezu vernichtete. Das ist also, dachte ich, eine Scene der Volksbelustigung. Diese Leute sind herrliche Bursche, sie erquicken sich an Getränken, die die Stadtaccise nicht bezahlt haben, vielleicht kann ich irgend etwas erhaschen, das mein System begünstigt, besonders unter so freimüthigen und schreienden Geistern. Sicher, besitzt einer von ihnen ein wichtiges Geheimniß über Staatsverfassung, so wird es ihm hier entfahren. Von Gedanken dieser philosophischen Art ward ich plötzlich durch einen heftigen Schlag vor mir aufgeschreckt. Er war in sehr erträglichem Englisch von dem Ausruf des Wortes »König« begleitet.

Auf der Mitte des Bretts, das als Tisch diente, und gerade vor meinen Augen lag eine geballte Faust von furchtbaren Dimensionen, die in Farbe und Auswüchsen eine ziemliche Aehnlichkeit mit einer frisch ausgegrabnen Jerusalem-Artischocke hatte. Ihre Sehnen schienen vor Spannung zu krachen, und der ganze Knollen war so angefüllt von gieriger Kampflust, daß unwillkührlich mein Auge das Gesicht ihres Eigenthümers suchte. Ich hatte, mir unbewußt, meinen Sitz gerade einem Mann gegenüber eingenommen, dessen Natur fast das doppelte von den gedrängten, geschäftigen, sich spreizenden und schwabbelnden kleinen Burschen betrug, die überall um uns sich bewegten, und deren dicke Lippen, statt in dem Lärm mitzumachen, so fest zusammengepreßt waren, daß die Spalte des Mundes nur bemerklich ward, wie eine Falte in der Stirn eines Sechszigers. Sein Gesicht war von Natur schön aber der Sonne ausgesetzt, war seine Haut von ihr gegerbt worden bis zur Farbe der krachenden Kruste eines gebratenen Spanferkels, und jene Theile, die ein Maler vielleicht die Höhen nennen würde, wurden bezeichnet durch Lagen von Roth, fast so dunkel als viermal rectificirter Brandwein. Seine Augen waren klein, fest, feurig und sehr grau; gerade im Augenblick, wo sie auf meinen verwunderten Blick trafen, glichen sie zwei zerstreuten Kohlen, die, irgend wie, von der Masse der anliegenden Hitze im Gesicht getrennt worden. Er hatte eine vorragende, wohlgebildete Nase, über welche sich die Haut ausbreitete wie ein auf dem Postillonsitz abgeriebenes Leder, und sein schwarzes hanfenes Haar war sorgfältig über Schläfe und Stirne gezogen, was zeigte, daß er eine Feiertags-Excursion vorhatte.

Als unsere Augen sich begegneten, warf mir dieß seltsam blickende Wesen einen Wink freundlichen Wiedererkennens zu, offenbar aus keiner andern Ursache, wie ich mir dachte, als weil ich kein Franzose zu sein schien.

»Hörte je ein Sterblicher solche Narren, Kapitain,« bemerkte er, gleichsam meiner Beistimmung gewiß.

»In der That, ich hörte nicht, was gesagt ward; es ist gewiß viel Lärm.«

»Ich will auch nicht behaupten, ein Wort von dem zu verstehen, was sie sagen; aber es klingt ganz wie Unsinn!«

»Mein Ohr ist noch nicht scharf genug, Sinn von Unsinn durch den bloßen Ton zu unterscheiden; aber Ihr sprecht, scheint es, nur Englisch.«

»Darin irrt Ihr Euch; denn als großer Reisender war ich genöthigt, um mich zu blicken, und als natürliche Folge spreche ich etwas von allen Sprachen. Ich will nicht sagen, daß ich die fremden Wörter immer so ganz recht gebrauche, aber dann arbeite ich mich durch den Gedanken durch, daß ich ihn doch leserlich und brauchbar mache, besonders was Essen und Trinken betrifft. Im Französischen z. B. kann ich sagen: donnez me some van und donnez vous some pan so gut als der Beste von ihnen, aber wenn ein Dutzend Kehlen auf ein Mal plärren, wie diese Kerls hier, ei, da könnte man eben so gut auf den Gipfel des Affenbergs gehen, und eine Unterredung mit dem Volk dort halten, als hier vernünftig reden und diskutiren. Ich für meinen Theil, wenn wo eine Unterredung ist, will, daß an jeden die Reihe komme, und im Sprechen einer den andern ablöse, wie auf der Wache; aber bei den Franzosen ist es, als wenn ihre Ideen im Käfig gesessen, und bei plötzlicher Eröffnung der Thür haufenweis herausflögen, und zwitscherten, blos um zu zeigen, sie seien frei.«

Ich bemerkte jetzt, daß mein Kumpan ein reflektirendes Wesen sei, da seine Schlüsse durch regelmäßige Glieder sich verketteten; daß er nicht philosophirte mit den bloßen Springstangen des Ungefährs, wie die meisten, die in allen Ecken der Schenke mit unermüdeten Lungen plapperten und schlossen und zankten. Ich schlug daher freimüthig vor, diesen Ort zu verlassen und auf der Straße herumzugehn, wo unsre Unterhaltung weniger gestört und folglich befriedigender sein würde. Der Vorschlag wurde gut aufgenommen, wir verließen die Schreier und gingen auf den äußern Boulevards nach meinem Hotel in der Straße Rivoli über die Champs Elisées.