Siebentes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Von einem Amphibium; eine ganz besondre Einführung und ihre Folgen.

Ich hatte bald Interesse an meinem neuen Bekannten. Er war mittheilend, klug und eigen; und obwohl er sich manchmal seltsam ausdrückte, geschah es doch mit der Kraft eines Mannes, der viel von wenigstens einem Theil seiner Mitmenschen gesehen. Unter solchen Umständen stockte denn die Unterhaltung nicht, im Gegentheil sie ward interessanter, da der Fremde anfing, seine Privatinteressen zu berühren. Er sagte mir, er sei ein Seemann, der durch einen der Zufälle seines Berufs an’s Land geworfen worden; und um ein Wort zu seinen Gunsten einfließen zu lassen, gab er mir zu verstehen, daß er viel, besonders von jener Klasse seiner Mitmenschen gesehen, die wie er auf der mächtigen Tiefe leben.

»Ich fühle mich glücklich,« sagte ich, »einen Mann getroffen zu haben, der mir Nachricht über eine ganze Classe von Menschen geben kann, mit denen ich bis jetzt nur wenig Verbindung gehabt. Um die Gelegenheit auf’s Beste zu benutzen, schlage ich vor, uns mit einem Male mit einander bekannt zu machen, und eine ewige Freundschaft zu schwören, – oder wenigstens so lange, bis wir es für dienlich finden mögten, die Verbindung wieder aufzuheben.«

»Ich, meines Theils, bin ein Mann, der die Freundschaft eines Hundes lieber hat, als seine Feindschaft,« erwiederte mein Gefährte mit einer Einfachheit, die ihn nicht viel Complimente machen ließ. »Ich nehme daher von ganzem Herzen das Anerbieten an, und um so lieber, weil Ihr der Einzige seid, den ich seit einer Woche getroffen, der mich fragen kann, wie ich mich befinde, ohne zu sagen: Come on dong portez vous? Da ich jedoch die Stürme kenne, werd‘ ich Euer Anerbieten unter der besagten Bedingung annehmen.«

Mir gefiel die Vorsicht des Fremden; sie zeigte eine gehörige Rücksicht auf Charakter und gab einen Beweis von Verantwortlichkeit. Die Bedingung ward daher von meiner Seite so freimüthig angenommen, wie sie von seiner vorgeschlagen worden.

»Und nun, Sir,« fuhr ich fort, nachdem wir einander herzlich die Hand geschüttelt, »darf ich um Euren Namen bitten?«

»Ich heiße Noah, und jeder darf’s wissen, ich schäme mich keines meiner Namen, wenn ich mich auch sonst zu schämen hätte.«

»Noah – –?«

»Poke, zu dienen.« Er sprach das Wort langsam und sehr deutlich aus, als ob, was er von seinem Selbstvertrauen gesagt, wahr gewesen. Da ich späterhin seine Unterschrift erfuhr, will ich sie hier in ihrer gehörigen Form geben: »Capitain Noah Poke.«

»Aus welchem Theil von England seid Ihr, Herr Poke?«

»Ich denke, ich kann sagen, aus den neuen Theilen.«

»Ich wußte nicht, daß ein Theil der Insel so genannt würde. Wollt Ihr Euch gütigst näher erklären?«

»Ich bin von Stonington im Staat Connekticut, in Alt-Neu-England. Nachdem meine Eltern gestorben, ward ich in See geschickt, vier Jahr alt, und nun wandere ich in Frankreich herum, ohne einen Centime in der Tasche, ein schiffbrüchiger Seemann. Indeß, die Wahrheit zu sagen, hart wie mein Loos ist, würd‘ ich lieber Hungers sterben, als ihr verd – –s Zeug sprechen.«

»Schiffbrüchig, Seemann, verhungernd und ein Yankee!«

»All das und vielleicht noch mehr, obwohl, mit Eurer Erlaubniß, Commodore, wir den letzten Titel weglassen wollen. Ich bin stolz genug, mich selbst einen Yankee zu nennen, aber der Kamm steigt mir, wenn ich einen Engländer das Wort gebrauchen höre. Wir sind noch Freunde und wir können es auch bleiben, bis etwas Gutes einem oder dem andern daraus entsteht.«

»Ich bitte Euch um Verzeihung, Herr Poke, und will Euch nicht wieder beleidigen; habt ihr die Welt umsegelt?«

Capitain Poke schnippte mit den Fingern aus purer Verachtung über die Einfalt der Frage.

»Hat der Mond je die Erd‘ umschifft? Seht ein wenig hierher, Commodore;« er nahm einen Apfel aus seiner Tasche, deren er auf dem Weg schon ein halbes Dutzend verzehrt, und hielt ihn mir vor die Augen. »Zieht eine Linie, wie Ihr wollt, auf dieser Kugel, kreuzweis oder in die Länge, auf oder nieder, Zig-Zag oder senkrecht, und Ihr werdet nicht mehr Kreise finden, als ich um den alten Ball gemacht.«

»Zu Land wie zur See?«

»Ei, zu Land hab‘ ich meinen Theil auch gemacht, denn mein hart Geschick ist’s gewesen, auf es anzurennen, wenn ein sanfteres Bett einen ruhigeren Schlaf verschafft hätte. Das ist grad meine jetzige Noth, denn ich schlenkere jetzt unter diesen Franzosen herum, um wieder flott zu werden, wie ein Krokodill, das im Schlamm steckt. Ich verlor meinen Schoner an der Nordostküste von Rußland, so etwa hier herum,« er deutete gerade auf die Stelle auf dem Apfel, »wir handelten dort mit Häuten, und da ich keine Mittel fand, die Heimath auf dem Weg, den ich gekommen, zu erreichen, und ich hier herunter zu Salzwasser roch, hab ich meinen Lauf die letzten achtzehn Monate westlich gesteuert, so daß es so ziemlich quer durch Europa und Asien ging, und bin nun endlich hier, von Havre zwei Tagreisen, und wenn ich gute Yankee-Bretter noch ein Mal unter mich bekommen kann, etwa achtzehn oder zwanzig Tagreisen von Hause.«

»Die Bretter erlaubt Ihr mir denn doch Yankee zu nennen?«

»Nennt sie, wie Ihr wollt, Commodore, obwohl ich Debby und Dolly von Stonington jedem andern vorziehen würde; denn das war der Name des Schiffs, das ich verlor. Nun, die besten von uns sind schwach, und der langathmigste ist kein Delphin, daß er mit dem Kopf unterm Wasser schwimmen kann.«

»Bitte, Herr Poke, erlaubt mir die Frage, wo Ihr das Englische mit so viel Reinheit sprechen lerntet?«

»Zu Stonington – –Ich hatte nie auch nur eine Messerspitze voll Gelehrsamkeit, ausser was ich zu Haus lernte. Es ist alles hausmachend. Ich rühme mich nicht, ein Gelehrter zu sein; aber in der Schifffahrt – seinen Weg zu finden um die Erde, – ich will Niemanden den Rücken kehren, ausser um ihn hinter mir zu lassen. Da haben wir Leute unter uns, die halten viel auf Geometrie und Astronomie, aber ich hänge nicht an so schwachen Fäden; meine Art ist, wenn ich irgendwohin fahren soll, mir die Stelle recht in den Sinn zu nehmen und dann gerade darauf los zu machen, wie es die Natur erlaubt, wenig bekümmert um Charten, die Euch eben so leicht unrecht als recht führen, und wenn sie Euch in eine Falle führen, ist es ein Elend! Verlaßt Euch auf Euch selbst und die Menschennatur, das ist meine Regel; obwohl ich zugebe, daß einiger Nutzen am Kompaß ist, besonders bei kaltem Wetter.«

»Kaltes Wetter! Ich verstehe das nicht.«

»Ei, ich meine, der Geruch wird einem stumpf beim Frost; aber das mag nichts weiter als Einbildung sein; indeß die zwei Mal, wo ich Schiffbruch gelitten, waren im Sommer, bei sehr starkem Wind und hellem Tagslicht, wo nichts Menschliches ausser einer Veränderung des Windes uns hätte retten können.«

»Und Ihr zieht diese Schifffahrt vor?«

»Allen andern, besonders im Robbenfang, was mein eigentliches Geschäft ist; es ist das beste Mittel in der Welt, Inseln zu entdecken, und Jeder weiß, daß wir Seehundsjäger immer nach so etwas lugen.«

»Wollt Ihr mir die Frage erlauben, wie oft Ihr um das Cap Horn herum seid, Capitain Poke.« Mein Schiffer warf einen schnellen mistrauischen Blick auf mich, als wenn er der Frage nicht traute.

»Ei, das ist weder hier noch da; vielleicht kam ich herum, vielleicht nicht. Ich komme in die Südsee mit meinem Schiff, und es liegt wenig daran, wie? Eine Haut gilt ganz eben so viel auf dem Markt, wenn auch der Pelzhändler kein Verzeichniß über den Weg hat, den sie gemacht.«

»Ein Verzeichnis?«

»Was liegt an dem Wort, Commodore, wenn man sich versteht? Diese Landreise hat mich erfindrisch gemacht. Denn Ihr müßt wissen, daß ich unter Völkern gereist bin, die nicht eine Sylbe von dem Hausmachenden sprechen konnten. So nahm ich des Schooners Dictionnair wie einen Landalmanach mit, und da sie zigeunerisch mit mir sprachen, hielt ich’s für’s Beste, es ihnen so ziemlich in ihrer eignen Münze zurückzugeben, in der Hoffnung, auf etwas zu treffen, was ihnen anstehen würde. Dadurch habe ich eine etwas geläufigere Zunge als gewöhnlich bekommen.«

»Die Idee war glücklich.«

»Freilich, war sie es, wie eben gezeigt. Aber nachdem ich Euch eine ziemlich klare Einsicht in meine Natur und Beschäftigung gegeben, ist es Zeit, daß ich Euch auch ein wenig ausfrage. Das ist etwas, was wir häufig zu Stonington thun, und worin wir gemeiniglich für geschickt gehalten werden.«

»Thut Eure Fragen, Capitain Poke, ich hoffe, die Antworten werden befriedigend sein.«

»Euer Name?«

»John Goldenkalb, durch die Gnade Seiner Majestät Sir John Goldenkalb Baronet.«

»Sir John Goldenkalb, durch die Gnade Seiner Majestät Baronet! Ist Baronet ein Gewerbe? oder was für ein Geschöpf oder Ding ist es?«

»Es ist der Rang im Königreich, wozu ich gehöre.« »Ich fange an zu verstehen, was Ihr meint. Unter Eurem Volk sind die Menschen, was man nennt, in Reihen abgetheilt, wie eine Schiffsmannschaft, die beordert wird; jeder hat seine bestimmte Berth in Eurem Reich, ganz wie in einem Schooner.«

»Ganz so, und ich denke, Ihr werdet zugeben, daß Ordnung, Schicklichkeit und Sicherheit aus dieser Methode unter den Seeleuten entspringt.«

»Freilich, freilich; wir machen jedoch die Eintheilung bei jeder Reise immer wieder anders, ich weiß nicht, ob es sich thun ließe, auch nur den Koch immer von Vater zu Sohn zu nehmen, das möchte ein schönes Gemengsel geben.«

Hier that der Seemann eine Reihe Fragen mit einer Kraft und Ausdauer, die, fürcht‘ ich, mir nicht eine einzige Thatsache meines Lebens verborgen ließ; nur was das heilige Gefühl, das mich an Anna band, betrifft, ausgenommen, und was viel zu hehr war, um mir selbst in der Feuerprobe unter einem Stoningtoner Inquisitor zu entschlüpfen. Kurz, da ich mich fast hilflos in solchen Händen fand, machte ich aus der Noth eine Tugend, und ließ meine Geheimnisse aus, wie das Holz unter einer Schraube das Wasser. Es war kaum möglich, daß meine Seele, der Wirkung eines solchen Paares moralischer Pressen unterworfen, nicht einige Winke über ihre vorherrschenden Neigungen hätte geben sollen. Der Capitain erhaschte diese Spur, und stürzte auf die Theorie los, wie ein Bullenbeißer nach dem Rüssel eines Ochsen.

Um mich ihm daher gefällig zu zeigen, ließ ich mich in einiger Länge in Erklärung meines Systems ein. Nach den allgemeinen Bemerkungen, die nöthig waren, um einem Fremden einen Blick in dessen Hauptgrundsätze zu geben, sagte ich ihm, daß ich mich lange nach einem solchen Mann umgesehen, zu einem Zweck, der jetzt dem Leser mitgetheilt werden soll. Ich hatte freilich einige Verbindungen mit Tamamaah unterhalten und war bei den Perlenfischereien und dem Wallfischfang interessirt, aber im Ganzen waren meine Verbindungen mit all jenem Theil der Menschheit, die die Insel des stillen Meers, die Nordwestküste von Amerika und die Nordostküste der alten Welt bewohnen, doch etwas lose und gemeiniglich in einem ungeordneten und wirren Zustand; und so schien ich mir denn ganz besonders dadurch begünstigt, daß mir die Vorsehung auf eine so ungewöhnliche Weise einen Mann gerade in den Weg geworfen, der so sehr zu deren Wiederbelebung und Herstellung geeignet war. Ich schlug ihm daher jetzt freimüthig vor, eine Expedition auszurüsten, theils zum Handel, theils zur Entdeckung, die meine Interessen in dieser neuen Richtung ausdehnen sollte, und meinen neuen Bekannten an ihrer Spitze hätte. Zehn Minuten ernster Darlegung meiner Seits waren hinreichend, meinem Gefährten die Hauptsache des Plans mitzutheilen. Als ich diesen direkten Aufruf an seinen Unternehmungsgeist beendet, antwortete er mir mit seinem Lieblingsausruf »König.«

»Ich wundre mich nicht, Kapitain Poke, daß Eure Verwunderung auf diese Weise ausbricht, denn ich denke, nur wenige gehen auf die Schönheit dieses wohlthätigen Systems ein, ohne gleichfalls von dessen Größe und Einfachheit betroffen zu werden. Aber ich rechne auf Euren Beistand.«

»Das ist eine neue Idee, Sir Goldenkalb!« –

»Sir John Goldenkalb, bitte Sir.«

»Eine neue Idee, Sir John Goldenkalb, und es braucht Umsicht. Umsicht bei einem Handel ist der sicherste Weg, gerade ohne Mißverständnisse durchzusteuern. Ihr wünscht einen Schiffer, Eure Ladung, welche es auch sei, in unbekannte See’n zu führen, und ich wünsche natürlicher Weise meinen Lauf gerade nach Stonington zu nehmen. Ihr seht, unser Handel ist gleich beim Anfang in der Erdferne!«

»Geld ist bei mir kein Hinderniß, Kapitain Poke.«

»Nun, das ist eine Idee, die manch schwierigen Contract mit einem Mal in die Erdnähe gebracht, Sir John Goldenkalb. Geld ist bei mir immer eine gar beträchtliche Rücksicht, und ich muß sagen, gerade jetzt weit mehr als gewöhnlich. Aber wenn ein Herr auf so schöne Art den Weg sauber macht, wie Ihr, kann man jeden Handel für mehr als halb zu Stande gekommen betrachten.« Einige nähere Verhandlungen brachten dieß in die Reihe, und Capitain Poke, nahm meine Bedingungen mit dem Geist der Freimüthigkeit an, indem sie ihm gemacht worden. Vielleicht ward sein Entschluß beschleunigt durch ein Anerbieten von zwanzig Napoleons, das ich nicht verfehlte auf der Stelle zu machen. Freundschaftliche und gewisser Maßen vertrauliche Verbindungen traten nun zwischen meinem neuen Bekannten und mir ein, und wir setzen unsern Weg fort, immer die zur Ausführung unsers Plans nöthigen Einzelheiten besprechend. Nachdem eine oder zwei Stunden auf diese Weise vergangen, lud ich meinen Gefährten in mein Hotel ein, da ich ihn an meiner Tafel haben wollte, bis wir beide nach England abreisen könnten, wo mein Plan war, ohne weitern Aufschub ein Schiff für die beabsichtigte Reise zu kaufen, auf dem ich mich auch in eigner Person einschiffen wollte.

Wir mußten uns durch den Haufen drängen, der gewöhnlich den untern Theil der Champs Elisées bei gutem Wetter und gegen Abend erfüllt. Das war beinahe vollbracht, als meine Aufmerksamkeit ganz besonders auf eine Gruppe gezogen ward, die eben in den Sammelplatz eintrat, offenbar um die Scene der Müßigkeit und Lust zu vermehren. Aber da ich jetzt an den wesentlichsten Theil dieses ausserordentlichen Werks komme, wird es gut sein, die Eröffnungen einem neuen Kapitel aufzubewahren.

Achtes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Einführung vier neuer Charaktere, einige philosophische Winke und Hauptgedanken über Staatsökonomie.

Die Gruppe, die meine Aufmerksamkeit auf sich zog, bestand aus sechs Individuen, zwei waren Thiere von dem Genus »homo,« oder was gemeinlich genannt wird »Mensch« und die übrigen aus der Ordnung »primates,« Classe »mammalia« oder nach gewöhnlichem Sprachgebrauch »Affen« (Monikins.)

Die ersteren waren Savoyarden und können im Allgemeinen beschrieben werden als: »ungewaschen, zerlumpt und gefräßig,« in Farbe: »dunkelbraun,« in Zügen und Ausdruck: »habgierig und verschlagen,« und in Neigungen und Appetit: »alles verschlingend.« Die andern waren von der gewöhnlichen Art, gewöhnlichen Größe und erprobter Ernsthaftigkeit. Es waren zwei von jedem Geschlecht, ziemlich gleichgepaart nach Jahren und äußeren Vorzügen.

Die Affen waren alle mehr oder weniger in die gewöhnlichen Kleidungsstücke unsrer modernen Europäischen Civilisation gekleidet; aber besondre Sorgfalt war auf die Toilette des ältern der zwei Männchen verwandt worden. Dieß Individuum hatte einen Husaren-Wamms an, ein Umstand, der einem besondern Theil seines Körpers einen militairischeren Contour gegeben haben würde, als sein eigentlicher Charakter mit sich brachte, wäre nicht ein rother Weiberrock gewesen, der kürzer gemacht war als gewöhnlich, weniger jedoch, in der Absicht, einen seinen Fuß und Knöchel zu zeigen, als um den untern Gliedmaßen volle Freiheit zur Ausführung gewisser übertriebenen Anstrengungen zu lassen, die die Savoyarden unbarmherzig von seiner natürlichen Behendigkeit verlangten. Er hatte einen dreieckigen Hut, verziert mit einigen zerknitterten Federn, eine weiße Cocarde und ein hölzernes Schwert. Ausser diesem letztern führte er in der Hand einen kleinen Besen.

Als sie meine Aufmerksamkeit auf ihren Haufen bemerkten, begannen die übelberathenen Savoyarden alsbald eine Reihe von Vorstellungen im höheren Tanz, ohne allen Zweifel in der einzigen Absicht, meine Neugier auszubeuten. Die unschuldigen Opfer dieses Akts thierischer Tyrannei unterwarfen sich mit einer Geduld, die der tiefsten Philosophie würdig gewesen, und begegneten den Wünschen ihrer Herrn mit einer Bereitwilligkeit und einem Geschick, die ganz über alles Lob erhaben waren. Der eine kehrte den Boden, ein andrer sprang einem Hund auf den Rücken, ein dritter drehte sich um sich selbst herum, nochmals und nochmals, ohne auch nur ein Murren auszustoßen, und der vierte bewegte sich graziös hin und her wie ein junges Mädchen in einer Quadrille. All dieß hätte unbemerkt vorübergehen mögen (denn leider! sind solche Schauspiele nur zu häufig) wären nicht gewisse beredte Zusprüche gewesen, die mir das Individuum in der Husaren-Jacke mit den Augen machte; sein Blick war selten für einen Augenblick von mir gewandt, und so trat bald ein schweigender Verkehr zwischen uns ein. Ich bemerkte, daß sein Ernst unverwüstlich war. Nichts konnte ein Lächeln, eine Veränderung in seinem Antlitz hervorbringen; gehorsam der Peitsche seines brutalen Herrn, verweigerte er nie den verlangten Sprung, minutenlang auf ein Mal beschrieben seine Beine, sein Rock, wirre Kreise in der Luft, und schienen für immer von der Erde Abschied genommen zu haben; aber, die Anstrengung vollbracht, stieg er immer wieder zur Erde herab, mit einer ruhigen Würde, mit einer Haltung, welche zeigte, wie wenig der innere Affe Theil nahm an den wilden Sprüngen des äußeren Thiers. Ich zog meinen Gefährten ein wenig bei Seite, und wagte ihm einige Gedanken in dieser Hinsicht mitzutheilen.

»Wirklich, Capitain Poke, es scheint mir große Ungerechtigkeit, die armen Geschöpfe so zu behandeln,« sagte ich. »Welches Recht haben die zwei schelmisch aussehenden Schurken, für’s Auge weit interessantere, und ich darf wohl sagen, verständigere Wesen, als sie selbst sind, aufzugreifen, und sie mit Schlägen und ohne Rücksicht auf ihr Gefühl oder ihre Geneigtheit zu zwingen, ihre Beine auf diese übertriebene Art herumzuwerfen? Ich sage Euch, dies Verfahren scheint mir unerträglich tyrannisch, und fordert schnelle Abhülfe.«

»König!«

»König oder Unterthan, es ändert nichts in der moralischen Häßlichkeit der Handlung. Was haben diese unschuldige Wesen gethan, sie dieser Noth zu unterwerfen? Sind sie nicht Fleisch und Blut wie wir? Nähern sie sich nicht am meisten unsrer Gestalt, und, denn was wissen wir vom Gegentheil, unsrer Vernunft? Ist es erträglich, daß unser nächstes Ebenbild, unsre wahren Vettern, so behandelt werden sollten? Sind sie Hunde, daß sie wie Hunde behandelt werden?«

»Ei, nach meiner Meinung, Sir John, gibt es keinen Hund auf der Erde, der solche Sprünge machen könnte. Ihre Purzelbäume sind wirklich ganz außerordentlich.«

»Ja, und mehr als außerordentlich; sie sind tyrannisch. Setzt Euch, Herr Poke, einen einzigen Augenblick an die Stelle eines dieser Individuen. Denkt, Ihr hättet eine Husarenjacke über Eure braunen Schultern gemuffelt, einen Weiberrock über Eure untern Theilen; einen dreieckigen Hut mit zerknitterten Federn auf dem Kopf, ein hölzernes Schwert an Eurer Seite und einen Besen in der Hand! Diese zwei Savoyarden drohten Euch mit Streichen, bis Ihr zur Belustigung Fremder Sprünge machtet. Ich bitte Euch nur, den Fall zu dem Euren zu machen, und dann zu sagen, wie Ihr Euch benehmen, was Ihr thun würdet?«

»Ich würde ohne Anstand diese jungen Schelme fegen, Sir John, das Schwert und den Besen an ihren Köpfen zerschlagen, ihnen die Sinne wecken, bis sie nicht mehr sehen könnten, und meinen Lauf nach Stonington richten, wohin ich gehöre.«

»Ja, Herr, das ginge mit den Savoyarden, die jung und schwach sind, –«

»Es würde nichts an der Sache ändern, wenn zwei von diesen Franzosen an ihrer Stelle wären,« fiel der Capitain ein und spähte wie ein Wolf um sich herum. »Euch’s gerade herauszusagen, Sir John, als Mensch würde ich mich solchen Affenspässen nicht unterwerfen.«

»Gebraucht nicht, Herr Poke, diesen Ausdruck als Vorwurf, ich bitte; wir nennen diese Thiere zwar Affen, aber wir wissen nicht, wie sie sich selbst nennen. Der Mensch ist nur ein Thier, und Ihr müßt wissen –«

»Hört, Sir John,« fiel der Capitain ein, »ich bin kein Botaniker, und will nichts weiter von der Gelehrsamkeit wissen, als was ein Seemann braucht, um seinen Weg um die Welt zu finden; aber was das betrifft, daß der Mensch ein Thier wäre, will ich Euch jetzt nur fragen, ob nach Eurer Meinung ein Schwein auch ein Thier ist?«

»Ohne Zweifel, und Flöhe und Kröten und Seeschlangen und Eidechsen und Wasserteufel. Wir sind alle nicht mehr und nicht weniger als Thiere.«

»Nun, wenn ein Schwein ein Thier ist, will ich die Verwandtschaft anerkennen; denn bei meiner Erfahrung, die nicht gering ist, bin ich auf Menschen getroffen, die Ihr in jeder Hinsicht, nur Borsten, Schnauze und Schwanz ausgenommen, hättet für Schweine halten mögen. Ich will nicht läugnen, was ich mit eignen Augen gesehen, obwohl ich darunter leide, und deswegen, da Schweine Thiere sind, ist es mehr als wahrscheinlich, daß auch einige Menschen Thiere seyn müssen.«

»Wir nennen diese interessanten Wesen, Affen, aber woher wissen wir, daß sie das Compliment nicht wieder geben, und uns in ihrer eignen Sprache auf ganz ebenso beleidigende Art heißen? Es schickte sich für unser Geschlecht, billigere und philosophischere Gesinnungen zu zeigen, und diese interessanten Fremdlinge als eine unglückliche Familie zu betrachten, die Thieren in die Hände gefallen, und auf jede Weise auf unser Erbarmen und unsre thätige Verwendung ein Recht haben. Bis jetzt habe ich noch niemals meine Gefühle für die thierische Welt durch eine Actie auf Vierfüßler gehörig erregt, aber es ist meine Absicht, morgen meinem Englischen Agenten zu schreiben, einen Pack Hunde zu kaufen, und eine gehörige Masse Pferde, und um so lobenswerthe Entschlüsse zu beschleunigen, werde ich sogleich den Savoyarden wegen der schleunigen Emancipation dieser Familie liebenswürdiger Fremdlinge Anerbietungen machen. Der Sclavenhandel ist ein unschuldiger Zeitvertreib im Vergleich mit der grausamen Unterdrückung, die der Herr mit dem dreieckigen Hut besonders erleiden muß.«

»König!«

»Er mag freilich in seinem Lande, Capitain Poke, ein König sein; ein Umstand, der zehenfache Schmerzen zu seinem unverdienten Leiden hinzufügen würde.«

Hiermit schritt ich ohne viel Umstände zu Unterhandlungen mit den Savoyarden. Die vernünftige Anwendung von einigen Napoleons brachte bald ein glückliches Verständnis zwischen den contrahirenden Theilen hervor, wo denn die Savoyarden meinen Händen die Stränge, welche ihre Vasallen hielten, als das förmliche, gewöhnliche Anerkenntniß des Eigenthumsrechts, überlieferten. Die drei andern der Obhut des Herrn Poke überlassend, führte ich das Individuum in der Husaren-Jacke ein wenig bei Seite, und meinen Hut abnehmend, um ihm zu zeigen, daß ich über das gemeine Gefühl der Lehnsoberherrschaft hinaus wäre, redete ich ihn kurz mit folgenden Worten an:

»Obwohl ich dem Anschein nach das Recht erkauft habe, welches diese Savoyarden über Eure Personen und Dienste zu haben behaupteten, ergreife ich sogleich die Gelegenheit, Euch zu benachrichtigen, daß der Sache nach Ihr jetzt frei seid. Da wir uns jedoch unter einem Volke befinden, das Eure Raçe in Unterwürfigkeit zu sehen gewohnt ist, möchte es nicht klug seyn, das Wesen unsrer jetzigen Verhandlung bekannt zu machen, damit nicht eine neue Verschwörung gegen Eure natürlichen Rechte eintrete. Wir wollen uns daher sogleich in mein Hotel zurückziehen, wo Euer künftiges Glück der Gegenstand unsrer reiferen und vereinten Betrachtungen sein soll.«

Der ehrbare Fremde in der Husarenjacke hörte mich mit unnachahmbarem Ernste und Selbstbeherrschung an, bis in der Wärme des Gefühls ich einen Arm in ernster Gesticulation erhob, wo er denn, wahrscheinlich überwältigt von den Regungen des Entzückens, die in seinem Busen natürlich bei einem so plötzlichen Wechsel seines Schicksals erweckt wurden, drei Sprünge oder Purzelbäume, wie Capitain Poke seine Evolutionen recht passend genannt hatte, in so schneller Aufeinanderfolge machte, daß es für einen Augenblick zweifelhaft war, ob die Natur seinen Kopf oder seine Fersen obenhin gestellt.

Ich gab Capitain Poke ein Zeichen mir zu folgen, und wir nahmen nun gerade unsern Weg nach der Straße Rivoli. Wir wurden von einer beständig wachsenden Menge begleitet, bis das Thor des Hotels überschritten war; und ich war froh, meine Schutzbefohlenen sicher unter Obdach zu sehen, denn reichliche Anzeichen eines zweiten auf ihre Rechte abgesehenen Plans waren da in den Drohungen und Spöttereien der lebhaften Menge, die uns gleichsam auf den Fersen nachstürzte.

Als ich in mein Zimmer kam, legte ein Kourier, der auf meine Heimkunft gewartet hatte, und eben expreß von England angekommen war, ein Packet in meine Hand, mit der Nachricht, es käme von meinem Hauptagenten in England. Schnelle Befehle wurden gegeben, für die Bequemlichkeit und Bedürfnisse des Capitain Poke und der Fremden zu sorgen (Befehle, die nicht leicht vernachläßigt wurden, da Sir John Goldenkalb bei den bekannten Einkünften von drei Millionen Franken jährlich unbegrenzten Credit bei allen Bewohnern des Hotels hatte) und ich eilte in mein Kabinet und setzte mich eiligst hin, die verschiednen Mittheilungen zu lesen.

Ach, es war keine Zeile von Anna dabei. Das hartnäckige Mädchen spielte noch mit meinem Elend, und aus Rache faßte ich auf einen Augenblick den Entschluß, Mahmuds Lehre anzunehmen, um das Recht zu haben, einen Harem zu errichten.

Die Briefe waren von mancherlei Correspondenten, und unter ihnen viele von solchen, denen ich die Sorge für meine Interessen in sehr entgegengesetzten Theilen der Welt aufgetragen hatte. Eine halbe Stunde vorher verlangte mich’s sterblich darnach, intimere Verbindungen mit den interessanten Fremden anzuknüpfen, aber meine Gedanken nahmen alsbald eine neue Richtung, und ich fand, daß die peinlichen Gefühle, die ich über ihre Wohlfahrt und Glück gehabt, sich ganz in dem eben erweckten Interesse verloren, das vor mir lag. Auf diese einfache Weise bringt ohne Zweifel das System, dessen Anhänger ich bin, keinen geringen Theil seiner großen Endzwecke hervor. Nicht sobald wird ein Interesse peinlich durch Uebermaaß, als schon ein neues sich erhebt, um die Gedanken zu zerstreuen, und eine neue Anforderung an die Gefühle gemacht wird; indem es nun so unsre Neigungen von der Heftigkeit der Selbstsucht zu dem linderen und gleichförmigeren Gefühl der Unparteilichkeit herabstimmt, bringt es gerade jenen richtigen und edlen Zustand des Geistes hervor, nach welchem die Staatsökonomen streben, wenn sie sich über die Glorie und Vortheile ihrer Lieblingstheorie vom gesellschaftlichen Anhaltpunkt auslassen.

In dieser glücklichen Gemüthsstimmung machte ich mich an’s Lesen der Briefe mit Eifer und mit dem herrlichen Entschluß, die Vorsehung zu verehren und Recht zu thun – fiat justitia, ruat coelum!

Das erste Schreiben war von dem Agenten des vornehmsten Westindischen Landguts. Er benachrichtigte mich, daß alle Hoffnung einer zu erwartenden Ernte durch einen Orkan zerstört sei, und bat, ich möchte die nöthigen Mittel herbeischaffen, die Geschäfte der Pflanzung fortzuführen, bis die nächste Ernte den Verlust wieder ausgliche. Als Geschäftsmann bildete ich mir auf pünktliche Ordnung etwas ein, und ehe ich daher ein zweites Siegel erbrach, wurde ein Brief an einen Bankier in London geschrieben, mit dem Auftrag, den nöthigen Credit anzuschaffen, und den Agenten in West-Indien davon zu benachrichtigen. Da er Parlamentsmitglied war, ergriff ich die Gelegenheit, ihm auch die Notwendigkeit an’s Herz zu legen, daß die Regierung schnelle Maßregeln zum Schutz der Zuckerpflanzer treffe, einer sehr verdienstvollen Classe von Unterthanen, deren Gefahren und wirkliche Verluste laut Hülfe dieser Art erheischten. Als ich den Brief schloß, konnte ich mich nicht erwehren, mit Wohlgefälligkeit bei dem Eifer und der Schnelligkeit zu verweilen, womit ich gehandelt hatte, – ein sichrer Beweis von dem Nutzen der Theorie der Kapitalanlegung.

Die zweite Mittheilung war von dem Verwalter eines Ostindischen Besitzthums, die sehr zum Glück mit ihrer Anerbietung kam, die durch den Verlust der eben erwähnten Ernte entstandne Lücke auszufüllen. Zucker würde wahrscheinlich ein Handelsartikel für die Halbinsel werden, und so sagte denn mein Correspondent, da die Transportkosten so viel größer wären als von den andern Kolonien, dieser Vortheil ganz verloren gehen würde, wenn nicht die Regierung etwas thäte, dem Ostindier wieder zu seiner natürlichen Gleichheit zu verhelfen. Ich schloß diesen Brief in einen an Lord Sagund- Thu, der ja im Ministerium war, und fragte ihn in sehr lakonischen und spitzen Worten, ob das Reich wohl gedeihen könne, wenn zum Nachtheil aller andern ein Theil davon im Besitz ausschließlicher Vortheile bliebe? Da diese Frage in wahrhaft englischem Geiste gestellt war, hoffe ich, trug sie etwas dazu bei, Seiner Majestät Ministern die Augen zu öffnen; denn kurz nachher wurde viel in den Journalen und im Parlament über die Notwendigkeit gesprochen, unsere Ostindischen Mitbürger zu schützen, und natürliche Gerechtigkeit durch Feststellung der Nationalwohlfahrt auf die einzige sichre Basis des freien Handels ergehen zu lassen.

Der nächste Brief war von dem das Geschäft betreibenden Associé einer großen Manufaktur, welchem ich die eine ganze Hälfte des Capitals vorgestreckt hatte, um in eine teilnehmende Verbindung mit den Baumwollespinnern zu treten. Der Correspondent beklagte sich bitter über den Eingangszoll auf den rohen Artikel, machte einige spitze Anspielungen auf die wachsende Concurrenz in Amerika und auf dem Continent, und gab ziemlich klar zu verstehen, daß der Inhaber des Fleckens Householder bei einer Frage von solcher Wichtigkeit für die Nation sich der Verwaltung fühlbar machen sollte. Bei diesem Wink sprach ich. Ich setzte mich auf der Stelle hin und schrieb meinem Freunde Lord Pledge einen langen Brief, worin ich auf die Gefahr hinwies, die unsrer Staatsökonomie drohte; wir ahmten die falschen Theorien der Amerikaner nach (der Landsleute des Capitain Poke), die Gewerbe aber gediehen gewiß nie so, als wenn sie erfolgreich wären, daß Erfolg von den Anstrengungen abhinge und die Anstrengungen am wirksamsten wären, wenn am wenigsten belastet, und mit einem Wort, daß wie es augenscheinlich sei, der Mensch würde weiter springen, wenn er nicht in Fußangeln wäre, und härter schlagen ohne Handfesseln, so es auch von selbst einleuchte, daß der Kaufmann bessere Geschäfte für sich machte, wenn er die Sachen alle nach seiner Weise und woher er wolle, bekäme, als wenn sein Unternehmungsgeist und Kunstfleiß durch die unbefugte und selbstische Einmischung der Interessen andrer beengt würde. Zum Schluß folgte eine beredte Beschreibung der demoralisirenden Folgen des Schmuggels und ein stechender Angriff auf die Tendenzen der Taxen im Allgemeinen. Ich habe zu meiner Zeit manches gute gesagt und geschrieben, wie mir selbst mehrere meiner Clienten beschworen haben, und zwar auf eine Weise, daß selbst angeborne Bescheidenheit es nicht abweisen kann, aber man wird mir die Schwachheit vergeben, wenn ich jetzt hinzufüge, daß dieser Brief an Lord Pledge so schöne Sachen enthielt, als ich mir nur etwas in dieser Hinsicht erinnern konnte. Der letzte Satz war offenbar die feinste und best turnirtste Moral, die ich je vorgebracht.

Der Brief, Nummer vier, war vom Verwalter der Besitzungen zu Householder. Er sprach von der Schwierigkeit, die Renten einzutreiben, eine Schwierigkeit, die er ganz allein dem niederen Preis des Getreides zuschrieb. Er sagte, es würde bald nöthig werden, einige Meiereien von neuem zu verpachten, und fürchtete, das gedankenlose Schreien gegen die Korngesetze möchte auf die Bedingungen dabei Einfluß haben. Es läge dem Interesse der Landeigenthümer ob, ein Auge auf die Volkstendenzen in Hinsicht dieses Punktes zu haben, denn jede wesentliche Abänderung des gegenwärtigen Systems würde mit einem Schlag wenigstens um 30 pCt. die Einkünfte von allen Getreide erzeugenden Grafschaften verringern. Er schloß mit einem sehr harten Tadel gegen die Agrarier, eine Parthei, die sich gerade damals ein wenig in Großbritannien bemerklich machte, und mit einer seinen Wendung bewies er vollständig, daß der Schutz des Landeigenthümers und die Aufrechthaltung der protestantischen Religion unauflöslich mit einander zusammenhingen. Auch ein kräftiger Aufruf an den gesunden Menschenverstand der Bürger über die vom Volk für sich selbst zu befürchtende Gefahr folgte; er behandelte dieß auf eine Weise, daß, ein wenig mehr ausgeführt, es eine herrliche Rede über die Rechte des Menschen gegeben haben würde.

Ich glaube, ich dachte über den Inhalt dieses Briefs eine volle Stunde nach. Der Verfasser davon, John Dobbs, war ein so ehrlicher, würdiger Bursche, als vielleicht je einer lebte; und ich konnte nicht anders als die erstaunliche Menschenkenntnis bewundern, die sich in jeder Zeile zeigte. Etwas mußte geschehen, das war klar; und zuletzt beschloß ich, den Ochsen bei den Hörnern zu nehmen, und mich mit einem Male an Herrn Huskisson zu wenden, als den kürzesten Weg, um an das Uebel zu kommen. Er war der politische Repräsentant aller neuen Ideen in Betreff unsrer ausländischen Handelspolitik; und indem ich auf eine feste Weise die schrecklichen Folgen seines bis auf’s Aeußerste getriebenen Systems ihm vorlegte, hoffte ich, könnte noch etwas geschehen für die Eigentümer eines festen Besitzes, die Gebeine und Nerven des Landes.

Ich will nur noch hier hinzufügen, daß Herr Huskisson mir eine sehr höfliche und männliche Antwort zurückschickte, worin er sich gegen jede Absicht, auf irgend eine Weise ungehörig in Britische Interessen sich zu mischen, vertheidigte; Taxen seien unserm System nothwendig, und jedes Volk sei selbst der beste Richter über seine Mittel und Hülfsquellen, er aber strebe nur nach Aufstellung gerechter, edelmüthiger Grundsätze, wodurch Nationen, die mit Britischen Maßregeln nichts zu schaffen hätten, sie auch nicht auf ungehörige Weise anwenden möchten – gewisse ewige Wahrheiten sollten wie eben so viele wohlgebaute Fässer, jede auf ihrem eignen Boden stehen. Ich muß sagen, mir gefiel diese Aufmerksamkeit von einem allgemein als so tüchtig anerkannten Manne als Herr Huskisson, und von jener Zeit an ward ich ein Anhänger seiner meisten Ansichten.

Die nächste Mittheilung, die ich aufmachte, war vom Aufseher über meine Besitzungen in Louisiana; er benachrichtigte mich, der allgemeine Stand der Dinge in jenem Theil der Welt sei günstig, aber die Blattern hätten sich unter den Negern gezeigt, und die Arbeiten der Plantagen würden alsbald noch fünfzehn kräftige Männer mit dem gewöhnlichen Anhang von Weibern und Kindern verlangen. Er fügte hinzu, die Amerikaner hinderten die fernere Einbringung von Schwarzen aus irgend einem Lande ausserhalb der Union, aber ein sehr lebhafter und gewinnreicher Binnenhandel werde in diesem Artikel getrieben, und entweder von Carolina, von Virginien oder Maryland könnte man zu rechter Zeit den erforderlichen Zuschuß erhalten. Doch gab er zu, unter dem Vorrath dieser verschiedenen Staaten sei wieder eine Wahl zu treffen, und sie erfordere einige Umsicht. Der Neger aus Karolina sei mehr an’s Baumwollenfeld gewöhnt, habe weniger Kleidung nöthig, und wie die Erfahrung gezeigt, könne mit Bückingen genährt werden, während dagegen der Neger weiter nördlich den feinsten Instinkt habe, manchmal denken könne, ja man ihn sogar hätte predigen hören, wenn er bis nach Philadelphia hinaufgekommen. Er liebe auch sehr Schinken und Geflügel. Vielleicht wäre es nicht übel, Exemplare von allen verschiedenen Vorräthen auf dem Markte zu kaufen.

In meiner Erwiederung stimmte ich dem letztern bei, und sprach von der Nützlichkeit, einen oder zwei von den höhern Casten aus dem Norden zu erhalten. Ich hätte nichts gegen das Predigen, wenn sie zur Arbeit predigten, aber ich warnte den Aufseher besonders vor Sektirern. Das Predigen an und für sich könnte keinen Schaden thun, alles hinge von der Lehre ab.

Dieser Rath ward als das Ergebniß vieler ernster Beobachtungen gegeben. Jene europäischen Staaten, die am hartnäckigsten der Einführung der Wissenschaften widerstanden, hätten, wie ich kürzlich bemerkt, ihr System geändert, und verführen nun nach dem Grund, »Feuer Feuer bekämpfen zu lassen.« Sie nähmen schnell ihre Zuflucht zum Schreiben von Schulbüchern, und zwar ohne andre Vorsicht, als daß sie sie selbst schrieben, durch diese sinnreiche Erfindung werde Gift in Nahrung verwandelt und die Wahrheiten für alle Classen mit Einem Male über die Gefahren des Disputirens und der Ketzerei hinausgesetzt.

Nachdem ich dem Louisianer geholfen, wandte ich mich mit Freuden zur Eröffnung des sechsten Siegels. Das Schreiben war von dem wirklichen Vorstand einer Gesellschaft, zu deren Fonds ich reichlich beigetragen, um mich nämlich auch für Wohlthätigkeitsanstalten zu interessiren. Es war mir, kurz ehe ich die Heimath verlassen, aufgefallen, daß so positive Interessen, wie ich sie größten Theils hatte, den Geist leicht weltlich machten, und ich sah kein andres Auskunftsmittel gegen solch ein Uebel, als eine Verbindung mit den Heiligen zu suchen, um der gefährlichen Neigung ein Gegengewicht zu halten. Eine glückliche Gelegenheit zeigte sich in den Bedürfnissen der »Philo-Africanischen-Anti-Correctionel-Frei-Arbeit-Gesellschaft,« deren verdienstvollen Bemühungen aus Mangel an der großen Wohlthätigkeits-Kraft, dem Geld, eben aufhören sollte. Ein Wechsel von 5000 Pfd. erwarb mir die Ehre eines Mitglieds und Patrons, und ich weiß nicht warum, aber sicher ist, er machte, daß ich mit weit größerm Interesse nach den Resultaten davon fragte, als ich sonst früher bei irgend einem andern Institut gethan hatte. Vielleicht entstand diese wohlthätige Aengstlichkeit aus jenem Prinzip in unsrer Natur, welche uns veranlaßt, nach allem zu sehen, was ein Mal unser gewesen, so lange wir noch einen Theil davon erblicken können.

Der Hauptvorstand nun dieser Gesellschaft schrieb, einige der Spekulationen, die pari passu mit der Wohlthätigkeit gegangen, seien glücklich gewesen, und daß die Actieninhaber nach den Grundbestimmungen der Association zu einer Dividende berechtigt seien, aber – wie oft steht dieses Wort zwischen Becher und Lippe, – aber er sei der Meinung, die Errichtung einer neuen Faktorei an einem Punkt, wo die Sklavenhändler sich am meisten einfänden und Goldstaub und Palmöl in den größten Mengen und folglich zu den niedrigsten Preisen zu haben wären, würde gleicher Maßen Handel und Menschenliebe begünstigen. Durch eine vernünftige Anwendung unsrer Mittel könnten diese beiden Interessen, wie Ursache und Wirkung, so als Wirkung und Ursache gar schön Hand in Hand gehen; den Schwarzen würde eine unberechenbare Menge von Noth erspart, den Weißen aber eine schwere Sündenlast abgenommen, und die besondere Agenten eines so augenscheinlichen Guts könnten mit allem Recht wenigstens 40 pCt. das Jahr von ihrem Geld berechnen, während sie noch als Zugabe ihre Seelen retteten. Ich stimmte natürlich einem an sich so vernünftigen Vorschlag, der noch ausserdem so offenbare Vortheile darbot, von ganzem Herzen bei.

Das nächste Schreiben war vom Chef eines großen Handlungshauses in Spanien, wo ich einige Actien genommen, und dessen Interessen für einige Zeit, durch die Unruhen im Volke, in Unordnung gekommen, das für wirkliche oder eingebildete Bedrückungen Abstellung verlangte. Mein Correspondent äußerte bei dieser Gelegenheit einen gehörigen Unwillen, und sparrte überhaupt die Ausdrücke nicht, wenn er von Volksauflauf sprechen mußte; »was wollen die Wichte,« fragte er mit vieler Kraft, »unser Leben und unser Eigenthum! Ach, mein theurer Herr, diese traurige Thatsache legt uns allen (unter uns meinte er die merkantilischen Interessen) die Wichtigkeit strenger Mittel auf. Wo wären wir gewesen ohne die Bayonette des Königs? Was wäre aus unsern Altären, unserm Heerd und Personen geworden, hätte es nicht Gott gefallen, uns einen Monarchen zu verleihen, unerschütterlich in seinem Willen, tapfer von Muth und schnell in der That?« Ich schrieb eine passende glückwünschende Antwort, und wandte mich zu dem nächsten Brief, der der letzte der Mittheilungen war.

Der achte Brief war von dem Chef eines andern Handlungshauses in Neu-York, V. St. von Amerika, aus dem Lande Capitains Poke, wo es scheinen wollte, als wenn der Präsident durch eine entschiedene Ausübung seiner Gewalt sich den Fluch eines großen Theils der handelnden Interessen des Landes zugezogen; da die Wirkung der Maßregel, sie mochte nun recht gewesen oder unrecht, als unmittelbare Folge oder nicht, mit Rumpf und Stumpf, das Geld rar gemacht hatte. Niemand ist so scharf in seinen Philippiken, so listig im Entdecken, so schnell im Auseinandersetzen der Thatsachen, so feurig in seiner Philosophie, so beredt in seinen Klagen, als der Schuldner, wenn das Geld plötzlich selten wird. Credit, Bequemlichkeit, Beine, Nerven, Mark und alles scheinen von dem Erfolg abzuhängen; und es ist kein Wunder, daß bei so lebhaften Eindrücken, Leute, die bisher zufrieden gewesen, in den geregelten und ruhigen Gewohnheiten des Handels fortzugehen, da auf einmal sich zu Logiker, Politiker, ja selbst zu Magiker erheben. Dies war mit meinem jetzigen Correspondenten der Fall gewesen, der im Allgemeinen so wenig von der Politik seines Landes zu verstehen und sich darum zu bekümmern schien, als wenn er nie darin gewesen, aber der nun mit einem Metaphysiker Haare gespaltet, und nicht mit mehr Liebe über die Constitution hätte schreiben können, wenn er sie gelesen hätte. Die Schranken dieses Buchs wollen mir nicht erlauben, den ganzen Brief hierherzusetzen, aber einige Sätze daraus sollen gegeben werden. »Ist es erträglich, Sir,« so hieß es, »daß die vollstreckende Gewalt, ich will nicht sagen nur in unserm Land, sondern in irgend einem, solche unerhörte Gewalten besitze, oder, selbst zugegeben, sie besäße sie, ausübe. Unsre Lage ist schlimmer als bei den Muselmännern, die mit dem Verlust ihres Geldes gewöhnlich ihren Kopf verlieren, und dadurch in einer glücklichen Unempfindlichkeit ihrer Leihen bleiben; aber ach! es hat ein Ende mit der viel gerühmten Freiheit von Amerika! Die vollstreckende Gewalt hat alle übrigen Zweige der Regierung verschlungen, und nächstens wird sie uns auch verschlingen; unsre Altäre, unser Heerd und unsre Personen werden bald angegriffen werden, und ich fürchte sehr, Sie werden meinen letzten Brief erhalten, nachdem schon lange alle Correspondenz verhindert, jedes Verbindungsmittel abgeschnitten, und wir selbst am Schreiben gehindert werden, gefesselt, wie wir sein werden, gleich Lastthieren an dem Karn eines blutigen Tyrannen!« Dann folgte eine so schöne Reihe von Beiwörtern, als ich deren nur immer aus dem Mund des größten Schelms zu Billingsgate vernommen.

Ich konnte nicht anders, ich mußte die Kraft des »gesellschaftlichen Anhaltspunkts-Systems« bewundern, das den Menschen so sehr lebhafte Aufmerksamkeit auf alle ihre Rechte gibt, mögen sie nun leben, wo sie wollen, und unter welcher Regierungsform es auch sei; das so wunderbar geeignet ist, die Wahrheit aufrecht zu erhalten und uns gerecht zu machen. Als Antwort sandte ich zurück Schimpfwort um Schimpfwort, wiederholte alle die Seufzer meines Correspondenten und spottete, wie es einem Manne zukam, der mit einem verlierenden Geschäfte in Verbindung stand.

Dieß schloß für jetzt meine Correspondenz, und ich erhob mich, müde von meinen Arbeiten, doch sehr erfreut über ihre Früchte. Es war spät, aber die Aufregung schloß den Schlaf aus, und eh‘ ich mich für die Nacht zurückzog, konnt‘ ich mich nicht enthalten, nach meinen Gästen zu sehen. Capitain Poke war in ein Zimmer in einem andern Theil des Hotels gegangen, aber die Familie der liebenswürdigen Fremdlinge schlief fest im Vorzimmer. Sie hatten, wie ich versichert war, herrlich zu Nacht gespeist, und überließen sich nun, einen erprobten Ausdruck zu gebrauchen, einem glücklichen aber vorüber gehenden Vergessen aller ihrer Leiden. Zufrieden mit diesem Zustand der Dinge, suchte ich nun auch mein Kissen, oder nach einem Lieblingsausdruck Noah Poke’s ich auch »lief ein.«

Zweites Kapitel.

Zweites Kapitel.

Von mir und zehen Tausend Pfund.

Obgleich mein Vorfahr viel zu weise war, um nicht manchmal in weltlicher Rücksicht auf seinen Ursprung zurückzuschauen, so warf er doch diese Rückblicke nie so weit, daß sie das hohe Geheimniß seines moralischen Zustandes hätten erreichen können, und während seine Gedanken, wie man hätte sagen mögen, immer auf der Jagd waren, Blicke in die Zukunft zu thun, waren sie doch viel zu irdisch, um sich über einen andern Abrechnungstag zu verbreiten, als den, der durch die Stockbörse regulirt ward. Bei ihm war geboren worden, nur der Anfang einer Speculation und sterben das Abschließen der allgemeinen Bilanz zwischen Gewinn und Verlust. Ein Mann also, der so selten über die wichtigen Wechsel des Lebens nachgedacht hatte, war um so weniger vorbereitet, auf die sichtliche Erhabenheit des Sterbebettes zu blicken. Obgleich er nie meine Mutter wahrhaft geliebt hatte, denn Liebe war ein viel zu reines und erhabenes Gefühl für einen Mann, dessen Einbildung gewöhnlich über den Schönheiten des Rentenbuchs verweilte, war er doch immer gütig gegen sie gewesen, und zuletzt war er selbst, wie schon gesagt, sogar ziemlich geneigt, zu ihren zeitlichen Bequemlichkeiten soviel beizutragen, als nur immer mit seinen Bestrebungen und Gewohnheiten verträglich war. Andrerseits verlangte das ruhige Gemüth meiner Mutter eine mehr erregende Ursache, als dieß bei der Zuneigung ihres Mannes der Fall war, um diese Keime tiefer, ruhiger, weiblicher Liebe zu beleben, die gewiß in ihrem Herzen versteckt waren, wie der Saame, den des Winters unerfreuliche Kälte drückt. Das letzte Zusammentreffen eines solchen Paars konnte nicht wohl von heftigen Ergüssen des Schmerzes begleitet sein. Doch war mein Vorfahr tief von den körperlichen Veränderungen im Aeußern seiner Frau betroffen. »Du bist sehr mager geworden, Betsey,« sagte er, und nahm nach einer langen feierlichen Pause ihre Hand; »vielmehr als ich geglaubt hatte, oder hätte denken können. Gibt die Wärterin Dir stärkende Suppe und Nahrung?« Meine Mutter lächelte das geisterhafte Lächeln des Todes, aber wieß bei dieser Aeußerung voll Ueberdruß mit der Hand zurück. »Dieß all ist jetzt zu spät«, antwortete sie, und sprach mit einer Deutlichkeit und Stärke, wozu sie lange ihre Kraft zurückgehalten. »Nahrung und Kleidung stehen nicht ferner unter meinen Bedürfnissen.«

»Gut, gut Betsey, fehlt es einem weder an Nahrung noch Kleidung, so kann man doch gerade nicht in großer Noth sein, und ich freue mich, daß es dir in soweit wohl ergeht. Doch sagt mir Dr. Ethrington, körperlich stehe es nicht so gut, und ich bin ganz besonders hierher gekommen, um zu sehen, ob ich etwas anordnen kann, was beitragen mag, deine Lage leichter zu machen.«

»Das kannst du, mein Gemahl; meine Bedürfnisse für dieses Leben sind fast vorüber, eine kurze Stunde oder zwei werden mich über diese Welt hinausbringen, über ihre Sorgen, ihre Eitelkeiten, ihre – –« Meine arme Mutter gedachte wahrscheinlich hinzuzufügen, ihre Herzlosigkeit oder ihren Eigennutz; aber sie strafte sich und machte eine Pause. »Durch die Gnade unsres gebenedeiten Erlösers und die gütige Bemühung dieses vortrefflichen Mannes,« begann sie wieder und warf ihr Auge erst nach oben voll heiliger Ehrfurcht, und dann nach dem Geistlichen mit ruhiger Dankbarkeit, »verlasse ich dich ohne Beängstigung und wäre eins nicht, auch ohne Sorge.«

»Und was macht dich so besonders besorgt, Betsey?« fragte mein Vater, und schneuzte sich, sprach aber mit ungewöhnlicher Zärtlichkeit; »wenn es in meiner Macht steht, dein Herz darüber oder über sonst etwas zu beruhigen, nenne es, und ich will Befehle geben, es sogleich auszuführen. Du bist ein gutes frommes Weib gewesen, und kannst dir wenig vorzuwerfen haben.«

Meine Mutter sah ernst und nachdenkend auf ihren Gemahl. Nie vorher hatte er so große Theilnahme an ihrem Glück gezeigt; und wäre es, ach! nicht zu spät gewesen, dieses Aufglimmen von Güte hätte die eheliche Fackel zu einer glänzenderen Flamme anfachen mögen, als sie je früher geglüht hatte.

»Mein Gemahl, wir haben einen einzigen Sohn –«

»Ja, Betsey, und es wird dich erfreuen zu vernehmen, daß der Arzt glaubt, der Junge möge eher am Leben bleiben, als einer seiner armen Brüder und Schwestern.«

Ich kann mir die heilige, geheimnißvolle Urquelle der Mutterliebe nicht erklären, die bewirkte, daß meine Mutter die Hände faltete, ihre Augen zum Himmel erhob und während ein Freudestrahl über die gebrochenen Augen und welken Wangen glitt, Gott für das theure Pfand ihren Dank stammelte. Sie selbst eilte schon weg zum ewigen Glück derer, die reinen Herzens sind, der Erlösten, und ihre Phantasie, ruhig und einfach, hatte ihr schon Bilder vorgezaubert, worin sie und ihre Abgeschiednen vor dem Throne des Höchsten standen, seinen Ruhm sangen und unter den Sternen glänzten,– und doch freute sie sich jetzt, daß das letzte und geliebteste von all ihrer Nachkommenschaft ausgesetzt seyn sollte all den Uebeln und Lastern, – ja all dem Greuel eines Zustandes, den sie selbst so gerne verließ.

»Von unserm Knaben möcht‘ ich jetzt sprechen,« begann meine Mutter wieder, als ihr Gebet geendet; »das Kind wird Belehrung und Sorgfalt nöthig haben, kurz, Vater und Mutter brauchen.«

»Betsey, du vergißt, daß er immer noch den erstern haben wird.«

»Du bist zu sehr in deine Geschäfte vertieft und außerdem nicht geeignet, ein Kind zu erziehen, das zum Unglück und zur Verführung großer Reichthümer geboren ward.«

Mein herrlicher Ahn sah auf, als dächte er, seine sterbende Gefährtin habe in Wahrheit für immer von ihrer Besinnung Abschied genommen.

»Es gibt öffentliche Schulen, Betsey, ich verspreche dir, das Kind soll nicht vergessen werden, ich will ihn wohl unterrichten lassen, sollte es mich Tausende jährlich kosten.«

Sein Weib streckte die Hand nach der Seinigen aus, und drückte mit der abgemagerten so hart, als eine sterbende Mutter konnte; für einen schnellen Augenblick schien sie selbst von ihrer letzten Sorge befreit zu sein. Aber ihre Kenntniß von ihres Mannes Charakter, die sie durch dreißigjährige harte Erfahrung gewonnen, konnte durch die Dankbarkeit eines Augenblicks nicht umgestoßen werden.

»Ich wünsche«, begann sie wieder ängstlich, »dein feierliches Versprechen zu erhalten, die Erziehung unseres Knaben dem Herrn Etherington zu übertragen, du kennst seinen Werth und mußt volles Vertrauen in ihn haben.«

»Nichts würde mir größre Freude machen, meine liebe Betsey, und wenn Herr Etherington ihn aufnehmen will, will ich Jack noch diesen Abend in sein Haus schicken, denn die Wahrheit zu sagen, ich bin nur wenig dazu geschaffen, die Aufsicht über ein Kind unter einem Jahr zu übernehmen. Ein Hundert des Jahrs mehr oder weniger soll einen so guten Handel nicht zerschlagen.«

Der Geistliche war ein Mann von Ehre und sah ernst bei dieser Rede; jedoch als er den ängstlichen Augen meiner Mutter begegnete, verloren seine ihren Unwillen in einem Blick von Ruhe und Mitleid.

»Der Lohn für seine Erziehung wird sich leicht bestimmen,« fügte meine Mutter hinzu, »aber der Doctor hat nur ungern die Verantwortlichkeit wegen meines armen Jungens übernommen, und zwar nur unter zwei Bedingungen.«

Der Papierspeculant bat mit den Augen um Aufschluß.

»Die eine ist, daß das Kind von seinem vierten Jahr an allein seiner Sorge überlassen werden soll, und die andere, daß du ein Vermächtniß machst zur Unterhaltung zweier armen Schüler an einer der Hauptschulen.«

Als meine Mutter die letzten Worte herausgebracht, fiel sie zurück auf ihr Kissen, von wo ihre Theilnahme an dem Gegenstand sie vermochte, ihr Haupt ein wenig aufzurichten; sie rang leise nach Athem in der Ueberfülle ihrer Angst die Antwort zu vernehmen. Mein Vorfahr zog die Stirne zusammen, wie einer, der einsah, es sei eine Sache, die Nachdenken forderte.

»Du weißt vielleicht nicht, Betsey, daß dergleichen Stiftungen viel Geld wegnehmen, viel Geld, und oft unnützer Weise.«

»Zehn Tausend Pfund ist die Summe, über die Madame und ich übereingekommen,« bemerkte fest der Geistliche, der nach meiner Vermuthung gehofft hatte, seine Bedingung werde zurückgewiesen werden, da er mehr den dringenden Bitten eines sterbenden Weibes als seiner eignen Ansicht von dem, was wünschenswerth oder nützlich sein möchte, gefolgt war.

»Zehen Tausend Pfund!«

Meine Mutter konnte nicht sprechen, doch gelang ihr ein bittendes Zeichen der Bejahung.

»Zehen Tausend Pfund ist viel Geld, meine liebe Betsey, viel, sehr viel.«

Meine Mutter wechselte die Farbe zur Blässe des Todes und nach ihrem Athmen zu urtheilen, schien sie in den letzten Zügen.

»Nun, nun, Betsey,« sagte mein Vater ein wenig hastig, denn er ward erschreckt bei ihrem blassen Antlitz und großer Betrübniß; »mag es so sein, das Geld, – ja, ja, es soll bezahlt werden, wie Du wünschest; nun gib Dein treues Herz zur Ruhe.«

Diese Spannung des Gefühls war zu stark für die Schwäche meiner Mutter, die eine Stunde zuvor kaum, so schien es, hätte sprechen können. Sie reckte ihre Hand nach ihrem Gemahl aus, lächelte freundlich in sein Gesicht, und lispelte das Wort Dank; dann, da ihr Körper alle Kräfte verlor, sank sie in den letzten Schlaf, so ruhig, wie das Kind sein Haupt neigt auf dem Busen der Amme. Dieß war, bei allem dem, ein plötzlicher und gewissermaßen unerwarteter Tod; alle Anwesenden waren von Ehrfurcht erfüllt. Mein Vater staunte für eine ganze Minute auf die ruhigen Züge seines Weibes und verließ schweigend das Zimmer. Ihm folgte Dr. Etherington, welcher ihn zu seinem geheimen Kabinette begleitete, wo sie diesen Abend zum ersten Mal zusammengekommen, und keiner sprach eine Sylbe, bis sie sich gesetzt.

»Sie war eine gute Frau, Dr. Etherington,« sagte der Verwittwete, und schüttelte voll Bewegung sein Knie.

»Sie war eine gute Frau, Herr Goldenkalb.«

»Und ein gutes Weib.«

»Ich habe sie immer für ein gutes Weib gehalten, Sir.«

»Treu, gehorsam und sparsam.«

»Drei Eigenschaften, die von großem praktischen Nutzen in den Geschäften dieser Welt sind.«

»Ich werde nie wieder heirathen, Sir.«

Der Geistliche machte eine Verbeugung.

»Nein, ich könnte nie so eine zweite finden.«

Wieder verbeugte der Geistliche sein Haupt, jedoch war die Beistimmung von einem leichten Lächeln begleitet.

»Nun sie hat mir einen Erben gelassen.«

»Und etwas mitgebracht, was er erben könnte,« bemerkte der Doctor trocken.

Mein Ahn blickte forschend zu seinem Gefährten auf, aber offenbar war viel von seinem Sarkasmus weggeworfen.

»Ich übergebe dem letzten Verlangen meiner geliebten Betsey gemäß das Kind Eurer Sorgfalt, Doctor Etherington.«

»Ich nehme den Auftrag an, Herr Goldenkalb, nach dem der Verstorbenen gegebenen Versprechen, aber ihr werdet Euch erinnern, daß eine Bedingung an dieß Versprechen geknüpft war, welche getreu und schnell erfüllt werden muß.«

Mein Vorfahr war zu sehr an Beobachtung der Verbindlichkeiten des Handels gewöhnt, dessen Gesetzbuch nur für gewisse Fälle Betrügereien zuläßt, die indeß in seinen allgemein angenommenen Regeln der Ehre gehörig bestimmt sind. Es ist eine Art besondrer Moral, mehr auf Convenienz unter seinen Bekennern gegründet, als auf die allgemeinen Rechtssätze. Er achtete den Buchstaben des Versprechens, während es ihm in seiner Seele verlangte, den eigentlichen Sinn desselben zu vermeiden; und seine List suchte schon emsig nach den Mitteln, was er so sehr wünschte; zu vollbringen.

»Ich leistete freilich der armen Betsey ein Versprechen,« antwortete er sinnend, »und es war sogar ein Versprechen unter sehr feierlichen Umständen.«

»Versprechen an Sterbende sind doppelt bindend, da durch ihr Abscheiden in die Welt der Geister sie die Erfüllung derselben, so zu sagen, der ausschließlichen Oberaufsicht des Wesens überlassen, das nicht lügen kann.«

Mein Vorfahr seufzte; sein ganzes Wesen erzitterte und sein Vorsatz wurde erschüttert.

»Doch ließ Euch die arme Betsey als ihren Stellvertreter in diesem Fall,« bemerkte er nach einem Zögern von mehr als einer Minute, und warf seine Augen forschend auf den Geistlichen.

»Gewisser Maßen, freilich, Herr.«

»Und ein Stellvertreter mit voller Macht ist gesetzlich wie ein Eigenthümer, nur unter einem andern Namen; ich denke die Sache kann zu unsrer gegenseitigen Zufriedenheit abgemacht, und die Absicht der armen Betsey dennoch vollkommen erreicht werden. Sie, das arme Weib, verstand wenig von Geschäften, wie es auch für ihr Geschlecht am besten war; und wenn Weiber Sachen von Wichtigkeit unternehmen, machen sie gewöhnlich seltsame Arbeit.«

»Wird nur die Absicht der Verstorbenen vollständig erfüllt, so werdet Ihr mich nicht begehrlich finden.«

»Ich dacht‘ es auch; ich wußte, zwischen zwei verständigen Leuten könne keine Schwierigkeit sich zeigen, wenn sie, so etwas in Ordnung zu bringen, mit ehrlichen Absichten zusammenkommen. Die Absicht der armen Betsey war, ihr Kind unter Eure Obhut zu bringen, in der Erwartung (und ich lasse ihr hierin alle Gerechtigkeit widerfahren), der Knabe werde von Euren Kenntnissen mehr Nutzen ziehen, als möglicher Weise von meinen.«

Dr. Etherington war zu ehrlich, diesen Vordersätzen zu widersprechen, und zu höflich, sie ohne eine Verbeugung der Anerkennung anzunehmen.

»Da wir, mein lieber Herr, in Hinsicht der Präliminarien ganz einstimmig sind,« fuhr mein Vorfahr fort, »wollen wir ein wenig mehr ins Einzelne gehen. Es scheint mir nicht mehr als billig, daß, wer die Arbeit thut, auch den Lohn empfange; in diesem Grundsatz bin ich erzogen worden; darin möchte ich meinen Sohn erzogen haben, und nach ihm hoffe ich immer zu verfahren.«

Eine zweite Verbeugung bezeugte die schweigende Beistimmung des Geistlichen.

»Nun, die arme Betsey, – der Himmel segne sie, sie war eine sanfte, ruhige Lebensgefährtin, und verdient reichlich dafür belohnt zu werden in einem künftigen Zustand; aber die arme Betsey hatte wenig Kenntniß von Geschäften; sie bildete sich ein, wenn sie 10,000 Pfund für milde Zwecke vermache, handle sie recht, während sie in der That eine Ungerechtigkeit beging. Wenn Ihr die Mühe und Sorge der Erziehung des kleinen Jack übernehmt, wer anders als Ihr sollte die Belohnung erhalten?«

»Ich erwarte, Herr Goldenkalb, daß Ihr die Mittel zur Unterhaltung des Kindes herbeischaffet.«

»Davon ist nicht nöthig zu sprechen, Sir,« unterbrach ihn mein Vorfahr schnell und stolz; »ich bin ein vorsichtiger und ein kluger Mann, ein Mann, der den Werth des Geldes kennt, glaub ich, aber kein Geizhals, mein eigen Fleisch und Blut verkümmern zu lassen. Jack soll nie an etwas Mangel leiden, so lange es in meiner Macht steht, es herbeizuschaffen. Ich bin lange nicht so reich, als die Nachbarn annehmen, Herr, aber dann bin ich auch kein Bettler. Ich darf sagen, wenn all meine Ausstände gehörig berechnet werden, ich 100,000 Pfund besitze.«

»Man sagt, Ihr hättet eine weit größere Summe mit der verstorbenen Mad. Goldenkalb erhalten,« bemerkte der Geistliche nicht ohne Tadel in seiner Stimme.

»Ach, mein Herr, ich brauch‘ Euch nicht zu sagen, was allgemeine Gerüchte sind, aber ich will meinen eignen Credit nicht untergraben. Sprechen wir von etwas anderm. Ich wollte nur gerecht sein, Herr Pfarrer. Die arme Betsey verlangte, zehen tausend Pfund sollten zu einem Stipendium oder für zwei Studirende verwandt werden; nun, was haben diese Studierende für mich und die meinigen gethan, oder was werden sie noch thun? Anders ist es mit Euch, Ihr werdet Mühe haben, viel Mühe, ich zweifle nicht daran; und Euch gebührt eine hinlängliche Belohnung. Ich wollte Euch daher vorschlagen, meine Unterschrift auf drei – vier – oder auch fünf tausend Pfund anzunehmen,« fuhr mein Vorfahr fort und stieg mit dem Gebot, je mehr er den Unwillen auf des Geistlichen Stirn sich erhöhen sah. »Ja, Herr, ich will die letzte Summe annehmen, die wohl nicht zu viel für Eure Mühe und Sorge ist, und wir wollen den kindischen Plan der armen Betsey mit den zwei Stipendien und der Stiftung vergessen. Fünf tausend Pfund, Topp, Doktor, für Euch, und die Stiftung sei für immer vergessen.«

Als mein Vater seinen Vorschlag so bestimmt ausgesprochen, wartete er auf den Erfolg mit dem Vertrauen eines Mannes, der lange mit der Begehrlichkeit der Menschen umgegangen. Ihm etwas ganz Neues, schlug seine Berechnung fehl. Das Gesicht des Doktor Etherington erröthete, ward blaß und nahm zuletzt den Ausdruck des bemitleidenden Tadels an. Er stand auf und schritt mehrere Augenblicke schweigend im Zimmer auf und ab; indeß glaubte der andre, er überlege bei sich die Möglichkeit, ein höheres Gebot für seine Zustimmung zu erhalten, als er plötzlich stille stand, und meinen Vorfahren in einem milden aber festen Ton anredete.

»Ich halte es für meine Pflicht, Herr Goldenkalb,« sagte er, »Euch vor dem Abgrund zu warnen, über dem ihr hängt. Die Liebe zum Geld, welches die Wurzel alles Uebels ist, welches Judas vermochte selbst seinen Erlöser und Gott zu verrathen, hat tiefe Wurzel in Eurem Herzen gefaßt. Ihr seid nicht mehr jung, und obwohl noch stolz in Eurer Stärke und Glückseligkeit, näher dem großen Rechnungstag, als Ihr vielleicht selbst glauben mögt. Es ist noch keine Stunde, seit Ihr Zeuge von dem Abscheiden einer reuigen Seele wart, um vor ihren Gott zu treten; seit Ihr die sterbende Bitte von ihren Lippen hörtet und in solcher Umgebung, bei solch einem Auftritt das Versprechen gabt, ihre Wünsche zu ehren, und jetzt, unter der Herrschaft des verfluchten Geistes des Gewinnes wolltet Ihr mit diesen heiligsten Verpflichtungen Euer Spiel treiben, um ein wenig werthloses Gold mehr in der Hand zu behalten, die schon voll ist bis zum Ueberfließen? Denkt Euch, der reine Geist Eures vertrauenden einfachen Weibes wäre zugegen bei dieser Unterredung, denkt ihn Euch trauernd über Eure Schwäche und gebrochene Treue; – ja ich weiß nicht, ob es wirklich so ist, denn es ist kein Grund vorhanden zu glauben, die seligen Geister dürften nicht über uns wachen und trauern, bis wir erlößt sind von dieser Masse von Sünde und Verworfenheit, worin wir wohnen, und dann bedenkt, welches ihr Kummer sein muß, wenn sie ihr scheidendes Verlangen so bald vergessen sieht, wenn sie bemerkt, wie nutzlos das Beispiel ihres heiligen Endes gewesen, wie eingewurzelt und fürchterlich Eure eignen Schwachheiten sind!« Mein Vater war mehr von der Art als von den Worten des Geistlichen zerknirscht; er fuhr mit der Hand über die Stirne, als wolle er den Anblick von seines Weibes Geist da auswischen, er wandte sich um, zog sein Schreibzeug herbei, schrieb einen Wechsel auf zehen tausend Pfund und händigte ihn dem Geistlichen mit der demüthigen Weise eines gestraften Knaben ein.

»Jack steht zu Eurer Verfügung, mein lieber Herr,« sagte er, als das Papier eingehändigt war, »sobald Ihr nach ihm schicken wollt.«

Sie gingen schweigend weg, der Geistliche zu unzufrieden, und mein Vorfahr zu betrübt, um ceremonielle Worte zu machen.

Als mein Vater sich allein befand, blickte er erst verstohlen in der Stube herum, um sich zu versichern, daß der strafende Geist seines Weibes nicht etwa eine weniger in Frage zustellende Gestalt, als die der Luft angenommen, und dachte dann wenigstens eine Stunde lang über alle die Hauptvorfallenheiten des Abends voll Schmerz nach. Man sagt, Beschäftigung sei ein sicherer Trost im Kummer, und so zeigte es sich jetzt; denn glücklicher Weise hatte mein Vater grade an jenem Tag seine Privatrechnung über die ganze Summe seines Vermögens abgeschlossen. So machte er sich denn an die angenehme Arbeit, zog ganz einfach den Betrag des ebenausgestellten Wechsels davon ab, und da er fand, daß er noch über 782311 Pf. verschiedene Schilling und selbst Pence gebiete, ergab sich für ihn ein sehr natürlicher Trost für die Größe der eben weggegebenen Summe durch die Vergleichung mit dem, was ihm noch blieb.

Dreizehntes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Wichtigkeit der Beweggründe für einen Gesetzgeber, moralische Folgerungen, Kometen, Katzen und ein Obhutsmann, nebst etwas alltäglicher Gesetzgebung, zusammen mit Ursache und Wirkung.

Gesetzgebung während der Verdunklung des großen Moral-Grundsatzes durch den Vorübergang des Geldinteresses ist immer nur ein trauriges Geschäft. Es zeigte sich so bei uns ganz besonders in dieser Zeit; denn der Glanz des göttlichen Eigenthums war in beiden Häusern lange vorher durch die Dazwischenkunft verschiedner kleineren Trabanten um ein Bedeutendes gestört worden. In nichts that sich daher der klägliche Zustand der Dinge mehr kund, als in unsern legislativen Verhandlungen.

Da indeß Kapitän Poke und ich, trotz unsrer verschiednen Stellungen in der Politik, immer noch mit einander umgingen, hatte ich bessere Gelegenheit, die Einwirkungen der Verdunkelung auf den scharfsinnigen Geist meines Kollegen zu beobachten, als auf die meisten andern. Er begann bald, ein geregeltes Tagebuch über seine Ausgaben zu führen, und zog immer des Abends den Betrag derselben von den acht Thalern ab, indem er hernach die Bilanz als reinen Gewinn betrachtete. Seine Unterhaltung auch verrieth bald ein Hinneigen zu seinen persönlichen Interessen, statt den erhabenen Flug zu haben, der die Sprache eines Staatsmannes charakterisiren sollte. Er stellte ziemlich dogmatisch den Satz auf, daß die Gesetzgebung doch immer Arbeit sei, daß jeder Arbeiter seines Lohnes werth, und er nicht sehr geneigt sei, die Mühen und Beschwerden, Gesetze machen zu helfen, zu ertragen, wenn er nicht mit einiger Gewißheit sähe, daß etwas dadurch gewonnen werde. Er dachte, Springniedrig habe jetzt schon Gesetze genug, mehr, als es achte und ausführe; und wenn es deren noch mehr brauche, müsse es dafür bezahlen. Er würde die erste Gelegenheit ergreifen, vorzuschlagen, daß unser aller Sold, – oder auf jeden Fall der seinige; Andre mögten thun, was sie wollten, – wenigstens um zwei Thaler täglich erhöht würde, und zwar, wenn er im Hause säße; denn ich sollte dann als Amendement vorschlagen: noch ein Mal so viel sollte den Kommitteen verabreicht werden. Er halte es nicht für billig, von Jemand zu verlangen, er solle für Nichts Kommittee-Mitglied sein, wiewohl die Meisten es für Nichts wären, und wenn wir so zwei Wachen übernehmen sollten, sei das Geringste, was für uns geschehen könnte, doppelter Sold. Er sagte, aus dem günstigsten Gesichtspunkt betrachtet, sei doch immer viel Sinnen und Brüten bei der Gesetzgebung, und viel Kopfzerbrechen, und er werde nie wieder derselbe Mann sein, der er vor seinem Eingehen in dieses Geschäft gewesen; er versicherte mich, seine Gedanken seien manch Mal so verwirrt, daß er nicht wisse, wo gerade der zu finden, den er brauche, und er habe sich tausend Mal einen Schweif gewünscht, seit er im Hause wäre; denn wenn er dessen Ende in der Hand gehalten, gleich einem Stück Tau, habe er immer etwas Handgreifliches, sich daran zu halten, gehabt. Er sagte mir als ein großes Geheimniß, er sei wirklich müde, so in seinen Gedanken nach der nöthigen Kenntniß herumzusuchen, um zu verstehen, was vorginge, und er habe sich wirklich für die übrige Zeit der Session unter die Obhut eines Führers begeben. Er habe nach einem passenden Flügelmann dieser Art sich umgesehen, und er sei so ziemlich entschlossen, den Zeichen des Anführers der Perpendikularen, gleich den Uebrigen, zu folgen; denn es würde in den Reihen weniger Verwirrung hervorbringen und ihm viele Mühe, selbst zu einer Ansicht zu kommen, ersparen. Er wisse übrigens nicht anders, als acht Thaler mögten schon eine artige Pfründe abwerfen, besonders wenn er alles Denken seinem Führer anheim geben und seine Aufmerksamkeit auf etwas Anders richten könnte. Er gedächte, seine Reisen zu beschreiben; denn er sehe, Alles aus der Fremde laufe gleich einem Leuchtfeuer umher, und wenn es auch nicht gelinge, könne er immer zu seinem Lebens-Unterhalt Charten entwerfen.

Ich muß wohl erklären, was Noah unter einem solchen Führer, den er sich anwerben wollte, verstand. Ein solcher Führer oder Gottgleicher, wie ihn die Springniedriger Politik nennt, hat einige Aehnlichkeit mit einem Heiligen im katholischen Kalender; das heißt, er wird kanonisirt, nachdem er durch ein gewisses Maaß von Versuchung und Laster mit heiler Haut durchgekommen, nachdem seine Sache einige Jahre vor den obersten Autoritäten seiner Partei plaidirt worden, und gewöhnlich, nachdem er einen ziemlichen Vorgeschmack vom Fegfeuer hat. Ist indeß die Kanonisation erreicht, dann ist Alles bei ihm leichtes, ruhiges Hinsegeln; es wird ihm selbst, so sonderbar es auch erscheinen mag, ein großer Theil seines früheren Kopfbrechens, wie Noah es ausdrückte, erspart; denn nichts macht es Einem so leicht in dieser Hinsicht, als wenn man für Alle denken muß. Das Denken in Gesellschaft, wie das Reisen in Gesellschaft, verlangt, daß wir einige Rücksicht nehmen auf die Wünsche, auf die Ansichten der Andern; aber wer carte blanche für seine Gedanken erhält, gleicht dem befreiten Vogel und darf hinfliegen, in welcher Richtung es ihm gefällt, und darf vertrauen, daß, wie er auch verfährt, seine Ohren von des gewöhnlichen Reisenden Ruf begrüßt werden: »Es ist Alles wohl.« Ich kann am besten die Operation eines solchen Gottgleichen und seiner Anhänger mit der Wirkung der lokomotiven Kraft und ihres Anhangs auf einer Eisenbahn vergleichen. Wie jene geht, folgt dieser; schneller oder langsamer, – dem Impuls wird gefolgt; wenn der Dampf hoch ist, fliegen sie; wenn das Feuer aus ist, kriechen sie dahin, und zwar mit ziemlich ungleicher Bewegung. Bricht eine Klammer, dann müssen die, welche eben noch, ohne die geringste Bemühung ihrerseits, dahin gefahren sind, aussteigen und die Ladung vorwärts drücken, so gut sie können, häufig mit sehr reuevollen Gesichtern und auf sehr schmutzigen Wegen. Die Karren gehen dahin, ganz wie die lokomotive Kraft geht, alle Ausbiegungen werden nothwendig nachgemacht; es ist ganz, wie man nothwendig voraussehen kann, wenn zwei Körper an einander gekettet werden, und die ganze bewegende Kraft nur einem von ihnen gegeben wird. Ein Gottgleicher in Springniedrig ist ferner gewöhnlich ein Rathsherr. Einen solchen moralischen Fortschlepper wollte Noah aufsuchen, damit auch er, ohne Anstrengung für sich selbst, durch seine Amtsgeschäfte geschleppt würde; ein Mittel, wie der alte Robbenfänger es ausdrückte, das gewisser Maßen seinen natürlichen Mangel an einem Schweif gut machen würde, indem es ihn selbst nur zu einem Schweif machte.

»Ich denke, Sir John,« sagte er, »dies ist die Ursache, warum die Springniedriger sich abstümpfen; sie finden es passender, die Führung ihrer eignen Angelegenheiten einem dieser Gottgleichen zu überlassen und wie ein Kometenschweif seinem Impuls zu folgen, was es ganz unnöthig macht, einen andern Schweif noch zu haben.«

»Ich verstehe Euch; sie schneiden ab, die Tautologie zu vermeiden.«

Noah sprach selten von einem Plan, bis er sich gehörig entschieden hatte, und die Ausführung folgte gewöhnlich bald dem Vorsatz. Das nächste Mal, als ich daher wieder etwas von ihm hörte, war er schon unter der Obhut, wie er’s nannte, eines der ausgezeichnetsten Rathsherrn. Begierig zu erfahren, wie ihm der Versuch gefalle, lenkte ich nach Verlauf einer Woche seine Aufmerksamkeit durch Fragen geradezu wieder auf den Gegenstand.

Er sagte mir, es sei die angenehmste Art der Gesetzgebung, die je erdacht worden. Er sei jetzt vollkommen Herr seiner Zeit, und in der That mache er jetzt eine Charte für die Springniedriger Marine, eine Arbeit, die ihm wohl eine gute runde Summe einbringen würde, da Kürbisse wohlfeil seien, und er in den Polar-Seen nur die Monikin’schen Gewährsmänner kopire, über diese hinaus aber ziemlich seinen eignen Weg gehe. Was die Große Allegorie betreffe, wenn er darüber oder sonst über einen zu entscheidenden Punkt einen Wink brauche, so frage er, nur, was sein Gottgleicher davon halte, und stimme dem gemäß. Auch spare er dadurch viel Athem in seinen Streitigkeiten außerhalb des Hauses; denn da er und die übrige Klientel dieses Rathsherrn officiell ihren Patron mit allen ihren eignen Patenten versehen, habe dieser eine solche Anhäufung von Einsicht erlangt, daß sie gewöhnlich jeden Gegner durch das bloße Anführen seiner Autorität zu Boden schlügen. Dies ist die Meinung von dem und dem Haupt, sei gewöhnlich hinreichend; sein Gottgleicher könne nullificiren, mollificiren und qualificiren, und diese drei iren halte er für die Haupterfordernisse eines Springniedriger Gesetzgebers. Doch gab er zu, einiger Schein von Unabhängigkeit sei nöthig, um selbst der Meinung eines Gottgleichen Werth zu geben; denn die Monikins-Natur empöre sich gegen Alles, was einer totalen geistigen Abhängigkeit ähnele, und er sei auch fest entschlossen, für sich über eine Frage zu denken, die gerade an diesem Tag entschieden werden sollte.

Der Fall, wovon der Kapitän sprach, war dieser. Die Stadt Bivouac war in drei ziemlich gleiche Theile eingetheilt, die von einander durch zwei Strecken Marschländer getrennt wurden. Der eine Stadttheil war eine Art Insel, die beiden andern befanden sich an den respektiven Gränzen des niedern Landes. Es war sehr wünschenswerth, daß diese verschiedenen Theile der Hauptstadt durch Landstraßen verbunden würden, und ein Gesetzesvorschlag war auch zu diesem Zweck vor das Haus gebracht worden. Jedermann in und außer dem Hause war dafür; denn die Landstraßen waren gewisser Maßen unentbehrlich geworden. Der einzige bestrittene Punkt war die Länge der fraglichen Arbeiten. Wer nur wenig mit gesetzgebenden Versammlungen bekannt ist, und wer nie die Wirkungen von einer Verdunklung des großen Moralprincips durch die Scheibe des pekuniären Interesses erfahren, würde wahrscheinlich voraussetzen, daß das Ganze deutlich vorlag, und daß wir nur ein Gesetz zu geben brauchten, das die Ausdehnung der Landstraßen so weit gebot, als das Staatswohl es nöthig machte. Aber das sind nur Abc-Schützen in den Monikin’schen Angelegenheiten. Die Sache war, es wirkten hier ganz eben so viele verschiedene Ansichten und Interessen, als Landeigenthümer in der Straßenlinie waren. Der große Plan war, in das so genannte Geschäftsquartier der Stadt vorzudringen, und dann mit den Arbeiten so weit vorzurücken, als die Umstände erlaubten. Wir hatten Vorschläge vor uns zu Gunsten von tausend Fuß bis zu zehn tausend. Jeder Zoll wurde mit eben so vieler Heftigkeit verfochten, als sei es eine wichtige zu vertheidigende Bresche, und Kombinationen und Konspirationen waren so reif, als wären wir mitten in einer Revolution. Lange blieb der Sieg zweifelhaft, doch siegte endlich die Ansicht der Horizontalen, das ganze Werk bis an die beiden Extreme fortzubauen, und hier schlug sich auch Noah zu uns. Den Ausschlag gab aber eigentlich, daß all die geschlagnen Interessen und Parteien zuletzt sich mit uns, die die schwächste Seite bildeten, vereinten, mit andern Worten, daß sie zur guten Sache übergingen, die hier, wie überall, die schwächste war, und so gab Springniedrig das seltene Beispiel, daß ein tüchtiges Gesetz während der Verfinsterung des so oft genannten Moralprincips erlassen ward. Dieses Princip, wie ich schon früher hätte sagen sollen, wurde auch Postulat genannt, wie denn dies gewöhnlich bei noch bestrittenen Sätzen ist.

Nicht sobald war der Erfolg bekannt, als mein würdiger Kollege zu der Horizontal-Seite des Hauses kam, um seine Zufriedenheit mit sich selbst über den eben eingeschlagenen Gang zu bezeugen. Er sagte, es sei freilich sehr bequem und Arbeit ersparend, einem Gottgleichen zu folgen, und er rücke mit seinen Charten nur um so besser voran, da er alle seine Aufmerksamkeit jetzt darauf verwenden könne; aber es sei doch etwas, er wisse nicht was, so ein Stoningtoner Gefühl, wenn man thäte, was man für recht halte, und das mache denn auch, daß er sich freue, für die ganze Straße gestimmt zu haben. Er kenne das Land von Springniedrig gar nicht, und daher schließe er, was er gethan, sei das Beste; auf jeden Fall, wenn er nichts dabei gewonnen, habe er auch nichts dabei verloren, und er hoffe, Alles werde gut enden. Die Leute auf der Insel freilich hätten schön gesprochen, was sie für die thun wollten, die ihre Interessen unterstützten; aber er sei einer Curant-Münze in Promessen überdrüssig, und schöne Worte, in seinem Alter, seien nicht viel werth, und so habe er wohl ganz recht gethan, wie er gethan. Er denke, Niemand könne seine Abstimmung in Frage stellen; denn er sei jetzt noch eben so arm und so übel daran, nun, da er gestimmt, als während seines Ueberlegens. Er werde sich jetzt nicht mehr scheuen, dem Dechanten Snort und auch dem Pfarrer offen in’s Gesicht zu sehen, wenn er nach Hause käme, ja selbst der Mad. Poke. Er wisse, was das heiße, ein rein Gewissen haben; denn Niemand wisse so gut, was das sei, ohne Etwas sein, als die den Mangel durch Erfahrung empfunden hätten. Sein Führer sei ein sehr arbeitersparender Führer; aber er habe bei’m Nachforschen gefunden, er sei von einem andern Theile der Insel gekommen, und kümmere sich nicht im geringsten darum, auf welche Weise sein Katzenschweif (so nannte Noah die Klientel) stimme. Kurz, es solle jetzt ein Mal Jemand etwas gegen ihn sagen, und deßwegen sei er froh, eine Gelegenheit gehabt zu haben, seine Unabhängigkeit zu zeigen; denn seine Feinde hätten schnell bemerkt, daß seit einiger Zeit er wenig besser, als ein Sprachrohr gewesen, um alles, was sein Führer wünschte, auszuposaunen. Er schloß damit, er könne es nicht länger ohne Fleisch irgend einer Art aushalten, und bat, ich möchte einen Vorschlag unterstützen, den er zu machen gedenke, nach welchem geregelte substantielle Nahrung dem ganzen menschlichen Theile des Hauses ausgetheilt werden sollte. Seine Natur sei so ziemlich schweinen; die nicht menschlichen möchten noch immer von Nüssen leben, wenn es ihnen beliebte.

Ich sprach gegen das Projekt der Rationen; ich rief seinen Stolz auf, indem ich zeigte, daß wir für wenig besser als Thiere gehalten werden würden, wenn wir Fleisch äßen, und rieth ihm, der Abwechslung wegen einige seiner Nüsse rösten zu lassen. Nach langen Ueberredungen versprach er ferneres Fasten, wiewohl er mit einem seltsam fleischgierigen Blick um seinen Mund wegging, mit einem Auge, das in jedem seiner Blicke schweinen sprach.

Ich befand mich den folgenden Tag zu Hause, beschäftigt mit meinem Freunde, dem Brigadier, die große National-Allegorie durchzusehn, in der Absicht, jedes künftige unwillkürliche Versehen zu vermeiden, indem ich wieder etwas daraus anführte, – als Noah wüthig, wie ein Wolf, der von einer ganzen Meute Hunde gebissen worden, in’s Zimmer stürzte. Dies war auch gewisser Maßen seine Lage; denn seiner Erzählung nach war er jenen Morgen selbst in den öffentlichen Straßen von jedem Monikin, jeder Monikina und jedem Monikino, von Hund und Bettler, herumgehetzt worden. Erstaunt, daß mein Kollege in diese Ungnade bei seinen Konstituenten gefallen sein sollte, war ich nicht langsam, ihn um nähere Erklärung zu bitten.

Der Kapitän versicherte, es sei über alle Erklärung hinaus, die er nur geben könnte. Er hätte in der Sache mit den Landstraßen ganz nach dem Eingeben seines Gewissens gestimmt, und doch klage ihn hier die ganze Bevölkerung der Bestechung an; ja selbst die Zeitungen hätten ihn wegen, wie sie es nannten, seiner frechstirnigen, augenscheinlichen Bestechlichkeit geschmäht. Hier legte uns der Kapitän sechs oder sieben der Hauptzeitungen von Bivouac vor, in denen allen seine letzte Abstimmung ganz mit eben so wenig Ceremonie behandelt ward, als wenn sie ein offenbarer Schafdiebstahl gewesen.

Ich blickte meinen Freund, den Brigadier, wegen einer Erklärung an. Nachdem dieser über die Zeitungsartikel hingeblickt, lächelte er und sah unsern Kollegen mitleidig an.

»Ihr habt da in der That einen großen Fehler begangen, mein Freund,« sagte er, »einen Fehler, der selten in Springniedrig vergeben wird, ja vielleicht niemals während der Verfinsterung des großen moralischen Postulats, wie dies jetzt der Fall ist.«

»Sagt mir mit einem Male meine Sünden heraus, Brigadier,« schrie Noah mit dem Blick eines Märtyrers, »und macht meiner Pein ein Ende!«

»Ihr habt vergessen, einen Beweggrund für Eure Stellung während der letzten heißen Verhandlung anzuführen, und so schreibt denn die Gemeinde Euch das Schlimmste zu, was nur Monikin’scher Scharfsinn erdenken kann. Solch ein Versehen würde selbst einen Gottgleichen verderben.«

»Aber, mein theurer Geradaus,« wandte ich begütigend ein, »von unserm Kollegen muß in diesem Fall angenommen werden, er habe nach Grundsätzen gehandelt.«

Der Brigadier sah auf, und fuhr mit der Nase in der Luft herum, wie ein junger Hund, der noch nicht die Augen geöffnet, und dann gab er zu verstehen, er könne die genannte Eigenschaft nicht sehen, da sie durch das Vorübergehen der Scheibe des pekuniären Interesses gänzlich verdunkelt werde.

Ich begann nun den Fall zu begreifen, der in der That weit wichtiger war, als ich im Anfang möglicher Weise hätte glauben können. Noah selbst schien bestürzt; denn er war wohl, denk‘ ich, auf das einfache und natürliche Mittel verfallen, sich zu fragen, was er selbst von dem Benehmen eines Kollegen gedacht hätte, der seine Stimme über einen so gewichtigen Punkt gegeben haben würde, ohne einen Beweggrund hinzuzufügen.

»Hätte der Kapitän wenigstens noch einen Fuß breit Land am Ende der Heerstraße besessen,« bemerkte der Brigadier traurig, »dann hätte man noch die Sache in’s Reine bringen können; aber wie die Dinge jetzt sind, ist es ohne Zweifel ein sehr unglücklicher Fall.«

»Aber Sir John stimmte mit mir, und er ist eben so wenig ein Gutsbesitzer in Springniedrig, wie ich selbst.«

»Wahr, aber Sir John stimmte mit der Masse seiner politischen Freunde.«

»Nicht alle Horizontale waren in der Majorität; denn wenigstens zwanzig stimmten bei dieser Gelegenheit mit der Minorität.«

»Freilich, doch hatte jeder von ihnen einen in die Augen fallenden Beweggrund. Der hatte ein Stück an der Seite der Straße, der hatte Häuser auf der Insel, und ein Andrer war der Erbe eines großen Landeigenthümers an demselben Punkt der Straße. Jeder und Alle hatten ihre besondre und bestimmte Interessen dabei, und keiner machte sich so großer Schwäche schuldig, daß er seine Sache durch die extravagante Anmaßung bloser Grundsätze hätte vertheidigen wollen.«

»Mein Führer, der größte aller Ratsherren, verabschiedete sich, und stimmte gar nicht.«

»Blos, weil er keinen rechten Grund hatte, um irgend einen einzuschlagenden Weg zu rechtfertigen. Kein Monikin kann im Staatsdienst erwarten, dem Tadel zu entgehen, wenn er es nicht seinen Freunden möglich macht, einen annehmlichen und verständlichen Beweggrund für sein Betragen anzuführen.«

»Wie, Sir, kann man nicht ein Mal in seinem Leben eine Handlung thun, ohne wie ein Pferd oder Hund gekauft zu sein, und doch mit einem Zoll Charakter davonkommen?«

»Ich kann nicht sagen, was Menschen thun können,« entgegnete der Brigadier, »ohne Zweifel machen sie es darin besser, als es hier geschieht; aber so weit Monikins davon betroffen werden, gibt es keinen Weg, der sichrer den gänzlichen Verlust des Charakters nach sich zieht, – ja selbst für den Ruf des Verstandes so vernichtend ist, als ohne einen guten, in die Augen fallenden, substantiellen Beweggrund zu verfahren.

»Um’s Himmels willen, was muß geschehen, Brigadier?«

»Ich sehe kein andres Mittel, als abzudanken. Eure Konstituenten müssen nothwendiger Weise alles Vertrauen auf Euch verloren haben; denn einer, der so offenbar seine eigne Interessen vernachlässigt, kann nicht wohl als sehr fest in Schützung der Interessen Andrer angesehen werden. Wenn Ihr noch mit dem wenigen Charakter, der Euch geblieben, davonkommen wollt, müßt Ihr ohne Weitres abdanken.«

Noah machte aus der Noth eine Tugend, und nach einigem weitern Besprechen zwischen uns, schrieb er seinen Namen unter folgenden Brief an den Präsidenten, wie er ihm auf der Stelle vom Brigadier aufgesetzt worden.

»Herr Präsident!«

»Der Zustand meiner Gesundheit nöthigt mich, das hohe politische Amt, das mir von den Bürgern von Bivouac anvertraut worden, in die Hände zurückzulegen, aus denen ich es empfangen. Indem ich meine Abdankung eingebe, wünsche ich, meine große Betrübniß zu bezeugen, mit der ich von Kollegen scheide, die in jeder Hinsicht der tiefsten Verehrung und Achtung würdig sind. Ich bitte, Sie versichern zu dürfen, daß, welches auch künftig mein Geschick sein wird, ich immer die tiefste Hochachtung vor jedem verehrlichen Mitglied haben werde, mit dem zu dienen ich das Glück gehabt. Die Emigranten-Sache besonders wird mir immer am nächsten am Herzen liegen.«

Unterzeichnet

Noah Poke.

Der Kapitän unterzeichnete diesen Brief nicht ohne manchen Seufzer und verschiedene Ausbrüche des Ehrgeizes; denn selbst ein irrender Politiker weicht der Nothwendigkeit nur mit Kummer. Nachdem er jedoch das Wort Emigranten-Sache in Immigrunten – (Robben-)Sache umgewandelt, machte er zu der Geschichte so gute Miene, wie möglich, und schrieb die verhängnißvolle Unterschrift. Er verließ dann das Haus und erklärte, er beneide nicht so gar sehr seinem Nachfolger den Sold, da man ja nur Nüsse für das Geld haben könnte, und er selbst fühle sich so darnieder, wie er glaube, es etwa mit Nebukadnezar der Fall gewesen sein müsse, als er genöthigt worden, auf allen Vieren zu gehen und Gras zu essen.

Achtes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Politische Schranken, – politische Rechte, – politische Ausscheidungen, und politische Untersuchungen, nebst politischen Ergebnissen.

Die Wasser-Meilensteine der Monikins-Meere sind schon erwähnt worden; aber ich glaube, ich habe vergessen zu sagen, daß durch eine ähnliche Erfindung eine Demarkationslinie im Wasser gezogen war, um die Grenzen der Gesetzgebung jedes Staats anzudeuten.

Mit günstigem Wind konnte das Wallroß in dritthalb Tagen die Wassermarken von Springniedrig erreichen, und noch ein halber Tag war nöthig, um in den Hafen zu kommen. Als wir uns den legalen Schranken von Springhoch näherten, sah man viele kleine schnellsegelnde Schiffe schon außerhalb des königlichen Gebiets herumschweifen, die offenbar unsre Annäherung erwarteten. Das eine legte, gerade als der Vordermast aus der Springhoch-Herrschaft heraus war, bei uns an. Richter Volksfreund eilte auf diese Seite hin, und ehe noch die Schiffsmannschaft auf’s Verdeck gekommen, hatte er erfahren, daß die gewöhnliche Zahl Preise in das kleine Lotterierad gethan worden.

Ein Monikin mit einem sehr auffallenden Stumpf, der schon einer zweiten Amputation unterworfen schien, – es war, was man in Springniedrig Stumpf auf Stumpf nennt, – näherte sich jetzt und fragte, ob Emigranten an Bord sich befänden. Er erfuhr unsern Charakter und unsre Zwecke. Als er hörte, unser Aufenthalt würde nur von kurzer Dauer sein, war er offenbar ein wenig betroffen.

»Doch, meine Herren, bleiben Sie vielleicht lang genug hier,« fuhr er fort, »um zu wünschen, naturalisirt zu werden.«

»Es ist immer angenehm, in fremdem Lande zu Haus zu sein; aber sind keine gesetzliche Beanstandungen?«

»Nicht, daß ich wüßte, Sir, – Sie haben keine Schweife, denk‘ ich?«

»Nur die in unsern Felleisen. Ich vermuthete indeß, der Umstand, daß wir von einer ganz andern Gattung sind, könnte einige Hindernisse in den Weg legen.« »Gar nicht, Sir! Wir handeln nach viel zu liberalen Grundsätzen, um einen so engherzigen Einwand gelten zu lassen. Sie sind, sehe ich, Sir, nur sehr wenig mit den Institutionen und der Politik unseres geliebten und glücklichen Landes bekannt. Sie sind hier nicht in Springhoch, Springauf, Springab u.s.w., sondern in dem guten, alten, herzlichen, freien, liberalen, unabhängigen, geliebten, glücklichen, über alle Maßen gedeihenden Springniedrig. Gattungen sind nach unserm System von keinem Belang. Wir naturalisiren ein Thier so gut wie das andre, wenn es nur ein liberales ist. Ich sehe in keinem von Ihnen einen Mangel. Alles, was wir verlangen, sind nur gewisse Hauptgrundsätze.«

»Sie gehen auf zwei Beinen – –«

»Wie die Truthähne, Sir.«

»Sehr wahr; aber Sie haben keine Federn.«

»Auch der Esel hat keine.«

»Ganz recht, meine Herren; sie schreien jedoch nicht, wie er.«

»Dafür will ich nicht stehen,« fiel der Kapitän ein, und stieß sein Bein gerade vor sich hin, auf eine Weise, die Bob einen Schrei entriß, der fast des Springniedriger’s Vorschlag umgestoßen hätte.

»Auf alle Fälle, Sir,« bemerkte er, »gibt es ein Mittel, das mit einem Male der Sache ein Ende machen wird.«

Er verlangte nun von uns, wir sollten das Wort unser aussprechen: unsere Freiheiten – unser Vaterland, – unsre Heerde, unsere Altäre. Wer immer naturalisirt sein wollte und dies Wort auf die rechte Weise und an der rechten Stelle gebrauchte, hatte Anspruch auf das Bürgerrecht. Wir alle konnten es ziemlich gut, nur nicht der zweite Untersteuermann, der, aus Herefordshire gebürtig, für sein Leben das letztere Schibboleth nicht besser als »unsre Haltäre« herauszubringen vermochte. Ja er sprach es fast wie »unsre Halfter«; diese sind aber nach einem sehr philanthropischen Grundsatz in Springniedrig ganz verbannt; so oft ein Schelm sich vergeht, hat man, als das beßte Mittel, dem Uebel zuvorzukommen, statt Halfter und Stricke, die Bestrafung der Staatsgesellschaft, gegen welche er gesündigt, angeordnet. Durch dies scharfsinnige Verfahren bekommt natürlich die Gemeinde einen scharfen Blick im Verhindern aller Verbrechen. Diese herrliche Idee ist ganz holländisch; wenn man dort mit einem Beile sich verwundet hat, legt man immer Salbe und Verband auf den grausamen Stahl und läßt dann die Wunde so schnell, wie möglich, heilen.

Zu unserm Examen zurückzukehren; wir alle kamen durch, nur nicht der zweite Untersteuermann, der in seinem Halfter hängen blieb und als unverbesserlich erklärt ward. Naturalisationspatente wurden auf der Stelle ausgefertigt, die Kosten bezahlt, und der Schooner verließ uns.

Diese Nacht erhob sich ein Wind, und wir erhielten keinen Besuch mehr bis zum folgenden Morgen. Bei’m Aufgang der Sonne aber trafen wir auf drei Schooner unter Springniedriger Flagge; alle schienen auf lebensgefährliche Unternehmungen auszugehen. Der erste, der uns erreichte, schickte ein Boot an Bord, und eine Kommitee von sechs »Stumpf-auf-Stumpf« kamen zu uns, und stellten sich uns vor. Ich gebe ihre eigne Erzählung von ihrem Geschäft und Charakter.

Es schien, sie waren eine sogenannte »Ernennungskommitte« der Horizontalen für die Stadt Bivouac, wo auch wir hinsegelten und wo eine Wahl für Glieder des Nationalconseils vor sich gehen sollte. Bivouac hatte ein Recht auf sieben Glieder, und nachdem sie sich selbst ernannt, suchte die Kommittee jetzt ein siebentes Glied, um eine Vacanz auszufüllen. Die naturalisirten Interessen zu wahren, wollte man den neuest Angekommenen wählen. Auch sicherte man dadurch den Grundsatz der Liberalität in abstracto. Aus diesem Grund hatten sie den Springhoch-Gränzen so nah, als die Gesetze erlaubten, eine Woche lang gekreuzt, und sie wollten nun jeden Tauglichen wählen.

Diesem Vorschlag setzte ich wieder die verschiedene Gattung entgegen; aber sie lachten mir alle mit dem Brigadier Geradaus gerade in’s Gesicht, und gaben mir deutlich zu verstehen, ich müßte sehr engherzige Begriffe von den Dingen haben, um einen so geringen Umstand als Störung der Harmonie und Einheit eines horizontalen Votums anzusehen. Sie gingen nach einem Grundsatz aus, und der Teufel selbst könnte sie von einem so heiligen Zweck nicht abbringen.

Ich gestand dann aufrichtig, die Natur hätte mich nicht so wunderbar wie meinen Freund, den Richter, zum Purzelbaum-Machen ausgerüstet, und ich fürchtete, wenn es hieße: rechts um! möchte ich nur als ein Rekrut erfunden werden. Dies brachte sie ein wenig aus der Fassung, und ich sah sie einander sich zweifelhaft anblicken.

»Aber Ihr könnt Euch wenigstens plötzlich zur Noth herumdrehen,« fragte einer von ihnen nach einer Pause.

»Freilich, Sir!« antwortete ich, und gab auf der Stelle den Beweis davon, daß ich kein eitler Prahler war.

»Sehr gut!« riefen Alle in einem Athem. »Das große politische Haupterforderniß ist, die Evolutionen ihrem Wesen nach durchzumachen, die Leichtigkeit darin ist dann persönliches Verdienst.«

»Aber, ihr Herren, ich kenne wenig mehr von Eurer Constitution und Euren Gesetzen, als ich aus abgerissenen Unterhaltungen mit meinem Reisegefährten gelernt.«

»Das thut nichts, Sir; unsre Constitution ist niedergeschrieben, und jeder Bewerber kann sie lesen. Auch haben wir einen politischen Flügelmann im Versammlungshaus, der den Gliedern viele unnütze Studien und Nachdenken erspart; Ihr braucht nur auf alle seine Bewegungen Acht zu haben, und mein Leben zum Pfand, Ihr kommt so gut durch die Handgriffe durch, wie das älteste Mitglied.«

»Wie, Sir, sehen sich alle Glieder ihre Bewegungen von diesem Flügelmann ab?«

»Alle Horizontalen, Sir; die Perpendikularen haben ihren eignen Flügelmann.«

»Nun, meine Herren, ich sehe, ich habe darin kein Urtheil, und ich überlasse mich gänzlich dem Willen meiner Freunde.«

Diese Antwort fand viel Beifall, und verrieth, wie Alle versicherten, große politische Capacität; der Staatsmann, der Alles seinen Freunden überließe, verfehle nie den höchsten Gipfel der Ehrenstellen in Springniedrig zu erreichen. Die Kommittee schrieb meinen Namen auf und eilte in ihren Schooner zurück, um in den Hafen die Nachricht von der Wahl zu überbringen. Diese Gesellschaft war kaum vom Verdeck weg, als Andre von der entgegengesetzten Seite des Schiffs kamen. Sie stellten sich als die Ernennungskommittee der Perpendikularen mit derselben Absicht als ihre Gegner dar. Auch sie wünschten die ausländischen Interessen zu fördern und suchten einen geeigneten Bewerber. Kapitän Poke hatte allem, was meiner Ernennung vorausging, aufmerksam zugehört, und trat jetzt vor, seine Bereitwilligkeit zum Staatsdienst zu erklären. Da man auf der einen Seite eben so wenig Schwierigkeit machte als auf der andern, und die perpendikulare Kommittee nach ihrem eignen Geständniß durch die Zeit gedrängt wurde, indem die Horizontalen einen Vorsprung hatten, wurde die Sache in fünf Minuten abgemacht, und die Fremden gingen ab mit dem Namen Noah Poke’s, des erprobten Patrioten, des tiefen Juristen, des ehrlichen Monikins, hoch auf ein großes Brett geschrieben; – Alles war, außer dem Namen, schon vorher sorgfältig vorbereitet worden.

Sobald die Kommittee das Schiff verlassen, nahm mich Noah bei Seite und entschuldigte sich, daß er in dieser wichtigen Wahl mir entgegentrete. Seine Gründe waren zahlreich und scharfsinnig und, wie gewöhnlich, etwas weitläufig. Sie kamen auf Folgendes heraus: Er hätte nie im Parlament gesessen und wünsche das Gefühl davon zu haben; es würde die Achtung der Schiffsgesellschaft erhöhen, wenn sie ihrem Befehlshaber so hohe Wichtigkeit in einem fremden Hafen beigelegt sähen. Er hätte in Stonington einige Erfahrung durch Zeitungslesen erlangt, und zweifle nicht an seinen Fähigkeiten, – das mache ja immer den guten Gesetzgeber, – die Congreßleute bei ihm seien Leute wie er, und was der Gans stünde, stünde auch dem Gänserich; er wisse, Mad. Poke werde über seine Wahl erfreut sein; er mögte wissen, ob man ihn den ehrenwerthen Noah Poke nennen würde, und ob er acht Dollar täglich bekäme, und Reisegebühren von der Stelle an, wo das Schiff damals war. Die Perpendikularen könnten auf ihn zählen, sein Wort sei so gut als sein Pfand. Was die Constitution angehe, so sei er mit der zu Hause fortgekommen, und wer das könnte, käme wohl mit jeder fort; er beabsichtige nicht, viel im Parlament zu reden, aber was er sage, hoffe er, werde zu seiner Kinder Gebrauch aufgeschrieben werden; und so ging’s mit Beweisführung und Entschuldigung fort.

Nun kam der dritte Schooner; dies Fahrzeug hatte eine andre Kommittee an Bord, welche sich als die Repräsentanten der sogenannten Tangentenpartei auswies. Sie wären nicht zahlreich, aber doch immer stark genug, die Wagschale zu halten, wenn die Horizontalen und Perpendikularen in rechten Winkeln, wie jetzt, sich durchkreuzten; und sie wollten jetzt einen aus ihrer Mitte in die Höhe bringen. Sie auch wünschten sich durch ausländisches Interesse zu verstärken, wie dies ganz natürlich wäre, und suchten jetzt eine geeignete Person. Ich schlug den ersten Untersteuermann vor; aber Noah protestirte dagegen, und erklärte, es komme, wie es wolle, das Schiff dürfe nicht verlassen bleiben. Die Zeit drängte; und während der Kapitän und Subalterne sich eifrigst stritten, schlich Bob, der schon die Süßigkeiten politischer Wichtigkeit gekostet, in seinem angenommenen Charakter als königlicher Prinz, listig zur Kommittee und gab seinen Namen ein. Noah war zu beschäftigt, diese wohl ausgeführte Bewegung zu entdecken, und während er noch schwur, den Steuermann über Bord zu werfen, wenn er nicht sogleich alle ehrgeizigen Pläne dieser Art aufgebe, fand er, daß die Tangenten fort waren. In der Voraussetzung, sie seien zu einem andern Schiff gegangen, ließ sich der Kapitän besänftigen, und Alles ging wieder ruhig, fort. Von da, bis wir in der Bai von Bivouac ankerten, blieb die Ruhe und Zucht auf dem Wallroß ungestört. Ich benutzte die Gelegenheit, die Verfassung von Springniedrig, von der der Richter ein Exemplar hatte, zu studiren und alle Belehrung von meinen Gefährten zu erhalten, die mir auf meiner künftigen Laufbahn nützlich sein konnte. Ich dachte mir schon die Freude, wenn ich, ein Fremder, die Springniedriger ihre Gesetze lehrte und ihnen die Anwendung ihrer eignen Principien erklärte. Doch war wenig aus dem Richter heraus zu bekommen. Er war zu sehr mit einer Berechnung beschäftigt, die die Chancen des kleinen Rads betraf und welche er von dem Haupt der Ernennungskommitteen erhalten.

Ich fragte nun den Brigadier, wie es komme, daß in seinem Lande die Springhoch-Ansichten über Springniedriger Institutionen, Gesellschaft und Sitten so grossen Werth auf dem Markte hätten. Darauf erhielt ich nur eine ziemlich nichtssagende Antwort: es sei, weil seine Landsleute, nachdem sie die mit diesen Gegenständen verbundenen Interessen vom Rost der Zeit freigemacht und Alles nach der philosophischen Basis der Vernunft und des gesunden Menschenverstands in’s Werk gesetzt, nun auch sehr begierig wären, zu erfahren, was Andre vom Erfolg des Experiments dächten.

»Ich erwarte, eine Nation von Weisen zu sehen, Brigadier, wo selbst die Kinder gehörig in den großen Wahrheiten Eures Systems eingeübt werden, und was die Frauen betrifft, fürcht‘ ich wirklich meine theoretische Unwissenheit in Collision mit ihrer großen praktischen Kenntniß von den Grundsätzen Eurer Regierung zu bringen.«

»Sie werden frühzeitig mit politischem Brei genährt.«

»Freilich, Sir! Wie verschieden müssen sie von den Frauen andrer Länder sein, tief in den großen unterscheidenden Principien Eures Systems unterrichtet, der Erziehung ihrer Kinder in denselben Wahrheiten hingegeben, und unermüdlich in ihrer Unterscheidung unter den geringsten Geschäften ihres Haushalts!«

»Hm!«

»Ei, Sir, selbst in England, was hoffentlich nicht das schlechteste Land ist, werdet Ihr schöne, verständige, vollkommene, patriotische Frauen treffen, die aber ihre Kenntnisse von diesen Fundamentalstücken zu einem Parteieifer werden lassen und ihre ganze Beredtsamkeit über Nationalfragen auf einige herzliche Wünsche zum Untergang ihrer Gegner beschränken.«

»Es ist auch ziemlich so in Stonington, um der Wahrheit die Ehre zu geben,« bemerkte Noah, der zugehört hatte.

»Sie, statt die jungen Säuglinge, die sich an sie hängen, in richtigen Begriffen von Haupt-Gesellschaftsunterschieden zu unterweisen, nähren ihre jungen Antipathieen mit kleinlichen Philippiken gegen ein unglückliches Haupt der Gegenpartei.«

»Es ist so ziemlich so in Stonington, so wahr ich lebe!«

»Selten studiren sie die großen Lehren der Geschichte, um den künftigen Staatsmännern und Heroen des Reichs die Monumente der Verbrechen, die Reizmittel zur Staatstugend, die Karte ihrer Freiheiten darzulegen; sie sind dagegen unermüdlich, das Geschrei des Tags nachzuschallen, so falsch und gemein es auch sei, und bringen ihrer Nachkommenschaft Humanität bei, indem sie leise Wünsche ausdrücken; Herr Canning oder sonst ein Vernichter der Pläne ihrer Freunde möchte schon schön gehängt sein.«

»Ganz so in Stonington!«

»Wesen mit Engelsgestalten, sanft, lieblich, gebildet, voll Thränen wie der thauichte Abend, wenn von Menschlichkeit und Leiden die Rede ist; aber seltsam umgestaltet in Tiegerinnen, wenn Andre, als die sie billigen, zur Macht gelangen. Statt ihre Arme um ihre Männer und Brüder zu schlingen, um sie abzuhalten von dem heißen Streit der Meinungen, reizen sie sie durch ihren Beifall noch auf und werfen Schmutz mit der Leichtigkeit und dem Reiz von Fischerweibern um sich.«

»Das ist Madame Poke Zug für Zug!«

»Kurz, Sir, ich erwarte zu Springniedrig einen ganz verschiedenen Zustand zu finden. Wenn dort ein politischer Gegner mit Schmutz beworfen wird, beruhigen Eure liebreichen Monikinerinnen ohne Zweifel den Zorn durch milden Hauch der Philosophie, sänftigen den Eifer durch Weisheit und regeln den Irrthum durch geeignete, unbestreitbare Sätze aus der Charte, die gegründet ist auf die ewigen und unwandelbaren Principien des Rechts!«

»Nun, Sir John, wenn Ihr so beredt im Hause sprecht!« rief der entzückte Noah, »werde ich um Antwort verlegen sein! Ich zweifle, ob der Brigadier selbst Alles wiederholen könnte, was Ihr eben gesagt habt.«

»Ich habe vergessen, Herr Geradaus, Euch nach der Wahlberechtigung in Springniedrig zu fragen; das Stimmrecht ist zweifelsohne auf die Glieder der Gesellschaft beschränkt, die einen socialen Haltpunkt haben.«

»Freilich, Sir John! die leben und athmen.«

»Sicher stimmen nur die, die das Geld, die Häuser und den Grundbesitz des Landes haben.«

»Sir, Ihr irrt ganz und gar; Alle stimmen, die Ohren, Augen, Nasen, Stümpfe, Leben, Hoffnungen, Wünsche, Gefühle und Bedürfnisse haben. Bedürfnisse halten wir für viel wahrere Pfänder der politischen Treue, als Besitzthümer.«

»Das ist eine neue Lehre in der That; aber es steht im offenbaren Widerspruch mit dem socialen Haltpunktssystem.«

»Ihr hattet nie mehr Recht, Sir John, in Hinsicht Eurer Theorie und nie mehr Unrecht in Hinsicht der Wahrheit. In Springniedrig behaupten wir und mit Recht, daß es keinen größern Irrthum gibt, als eine Repräsentation bloser Effekten, mögen es nun Häuser, Ländereien, Waaren oder Geld sein, für ein Pfand einer guten Regierung zu halten. Das Eigenthum wird von den Regierungsmaßregeln betroffen, und je mehr ein Monikin hat, desto größer ist die Bestechung, die ihn zur Berücksichtigung seiner eignen Interessen verführt, wenn auch die aller Andern darunter leiden.«

»Aber, Sir, die Interessen der Gemeinde bestehen aus dem Aggregat dieser Interessen.«

»Bitte um Verzeihung, Sir John! nur das Aggregat der Interessen einer Klasse. Ist Eure Regierung nur zu ihrem Besten eingesetzt, dann ist Euer sociales Haltpunktssystem ziemlich richtig; aber ist der Zweck das allgemeine Beste, dann habt Ihr keine andre Wahl, als die Bewahrung desselben der allgemeinen Obhut anzuvertrauen. Wir wollen zwei Menschen annehmen, – da Ihr nun ein Mal ein Mensch und kein Monikin seid. – zwei Menschen ganz gleich in Moral, Verstand, öffentlicher Tugend und Patriotismus; der Eine soll reich sein, der Andre nichts haben. Eine Krisis im Staat zeigt sich, und Beide werden aufgerufen, sich frei über eine Frage auszusprechen, die unvermeidlich einigen Einfluß auf Eigenthum im Allgemeinen hat; – alle große Fragen sind der Art. Wer würde am unparteiischsten stimmen? – der, welcher nothwendig seines persönlichen Interesses sich entkleiden muß, oder der, welcher kein solches Reizmittel, irre zu gehen, hat?«

»Sicher der, welcher nichts hat, was einen Einfluß, zu irren, haben kann. Aber die Frage ist unbillig gestellt.«

»Verzeiht, Sir John, sie ist recht gestellt, als eine abstrakte Frage, eine Frage, die ein Princip beweisen soll. Es freut mich, daß Ihr sagt, ein Mensch würde so entscheiden: es zeigt seine Identität mit einem Monikin. Wir denken, wir alle dächten am meisten an uns selbst bei solchen Gelegenheiten.«

»Mein theurer Brigadier, haltet nicht Sophistik für Vernunft. Sicher gehörte die Macht nur den Armen, und der Arme oder vergleichungsweise Arme macht immer die Masse aus, – so würden sie diese zur Beraubung des Reichen ausüben!«

»Wir glauben das nicht in Springniedrig. Fälle mag es geben, wo durch Reaktion ein solcher Zustand der Dinge entstünde; aber Reaktionen setzen Mißbräuche voraus und dürfen nicht zur Verteidigung eines Grundsatzes angeführt werden. Wer gestern betrunken gewesen, mag heute ein unnatürliches Reizmittel brauchen, während der Regelmäßige die gehörige Stimmung seines Leibes ohne Hülfe eines so gefährlichen Mittels wahrt. Solch ein Experiment kann unter wichtigen Umständen wohl gemacht werden; aber es ginge kaum zwei Mal bei irgend einem Volk, und selbst nicht ein Mal unter einem Volk, das sich zu rechter Zeit einer Theilung der Gewalten unterwirft, da es offenbar dem leitenden Princip der Civilisation gefährlich ist. Nach unsern Monikin’schen Geschichtschreibern sind alle Angriffe auf das Eigenthum daraus hervorgegangen, daß sich das Eigenthum mehr herausnahm, als seinen Freiheiten eigentlich zukommt. Macht Ihr politische Gewalt zur Begleiterin des Eigenthums, dann mögen beide freilich zusammengehn; aber sind sie getrennt, wird die Gefahr für das letztere nie größer als die sein, in welche es täglich durch die Künste der Geldspekulanten gesetzt wird, die in der That die größten Feinde des Eigenthums sind, in so weit es Andern gehört.«

Ich dachte an Sir Joseph Job, und mußte zugeben, daß der Brigadier wenigstens etwas Wahres für sich hatte.

»Aber gebt Ihr nicht zu, daß das Gefühl des Eigenthums den Geist erhebt, veredelt und reinigt?«

»Sir, ich will nicht bestimmen, wie das bei Menschen sein mag; aber wir Monikins behaupten, die Liebe zum Geld sei die Wurzel alles Uebels.«

»Wie, Sir, haltet Ihr die Erziehung, die Folge des Eigenthums, für nichts?«

»Wenn Ihr von dem sprecht, mein lieber Sir John, was das Eigenthum gewöhnlich lehrt, so ist dieses der Eigennutz; aber wenn Ihr als Regel aufstellt, daß, wer Geld hat, auch Erziehung hat, ihn recht zu leiten, so muß ich erwiedern, daß die Erfahrung, die besser als tausend Theorien ist, uns anders lehrt. Wir finden, daß bei Fragen zwischen denen, die haben und die nicht haben, die Habenden gemeiniglich einig sind, und das wird so sein, wären sie auch so sehr ohne Schutz wie die Bären, aber bei allen andern Fragen machen sie der Erziehung gewiß keine Ehre, Ihr müßt denn zugeben, es gäbe zwei Wahrheiten in jedem Fall; denn bei uns stellen sich die höchst Gebildeten gewöhnlich an die beiden Extreme. Ich sage das von Monikins, gebildete Menschen freilich werden weit einiger sein.«

»Aber, mein guter Brigadier, wenn Euer Satz von der größern Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Wählers, der durch Privatinteresse nicht beeinträchtigt wird, wahr ist, würde ein Land nicht übel thun, seine Wahlen einer Korporation ausländischer Schiedsrichter zu überlassen.«

»Freilich, Sir John, wenn man gewiß wüßte, diese ausländischen Schiedsrichter würden die Gewalt nicht zu ihrem Privatvortheil mißbrauchen; wenn sie die Gefühle, die Gesinnungen hätten, die eine Nation weit mehr veredlen und reinigen, als Geld; wenn es möglich wäre, daß sie gänzlich den Charakter, die Gewohnheiten, die Bedürfnisse und Hülfsquellen eines andern Volks kännten. Wie also die Dinge jetzt stehen, halten wir’s für das Klügste, unsre Wahlen uns selbst anzuvertrauen, – nicht einem Theil von uns, nein uns allen.«

»Die Robben mit eingeschlossen,« fiel der Kapitän ein.

»Ei, diesen Grundsatz befolgen wir allerdings bei Herren, wie Ihr,« entgegnete der Brigadier höflich; »aber Freisinnigkeit ist eine Tugend. Als Grundsatz hat Eure Idee, Sir John, die Wahl unsrer Repräsentanten Fremden zu überlassen, mehr Werth, als Ihr vielleicht glaubt, wiewohl sie aus den angeführten Gründen unausführbar ist. Wenn wir Gerechtigkeit suchen, sehen wir uns gemeinlich nach einem unparteiischen Richter um. Solch ein Richter ist jedoch in Staatssachen nicht zu finden, weil diese Art Gewalt, beständig ausgeübt, nach dem Grundsatz der Selbstsucht, die der Monikin-Natur eingepflanzt ist, notwendig beeinträchtigt und abgelenkt wird. Ich zweifle aber nicht, daß Ihr Menschen gänzlich über eine so unwürdige Leidenschaft erhaben seid.«

Hier konnte ich dem Brigadier nur sein Hm! abborgen.

»Nachdem wir uns überzeugt, daß es nicht angehen würde, die Leitung unsrer Angelegenheiten blos Fremden anzuvertrauen, oder solchen, deren Interesse nicht mit dem unsern identisch wäre, wollten wir sehen, was mit einer Wahl aus unsrer Mitte zu machen wäre. Hier begegnete uns wieder derselbe zudringliche Grundsatz der Selbstsucht, und zuletzt mußten wir zu dem Versuch unsere Zuflucht nehmen, die Interessen Aller der Leitung Aller zu überlassen.«

»Aber sind das die Ansichten von Springhoch?«

»Weit gefehlt! das ist gerade der Unterschied zwischen diesem und Springniedrig. Da die Springhocher ein altes Volk mit tausend eingewurzelten Interessen sind, so müssen sie, wie die Zeit fortschreitet, Ursachen für das Bestehende aufsuchen, während wir Springniedriger, von allen Fesseln frei, das Bestehende nach Gründen und vernunftmäßig einrichten konnten.«

»Warum leget Ihr denn aber so viel Gewicht auf Springhocher Ansichten über Springniedriger Thatsachen?«

»Warum hält jeder kleine Monikin seine Eltern für die weisesten, besten, tugendhaftesten und besonnensten alten Monikins in der ganzen Welt, bis Zeit, Gelegenheit und Erfahrung ihm seinen Irrthum zeigen?«

»Macht Ihr denn gar keinen Unterschied in Euren Rechten und Freiheiten, und laßt jeden Bürger zum Stimmen zu, der, wie Ihr sagt, Nase, Ohren, Stumpf und Bedürfnisse hat?«

»Vielleicht sind wir darin weniger genau, als wir sein sollten, da bei uns selbst nicht Unwissenheit und Charakterlosigkeit von dem Rechte ausschließt. Eigenschaften außer Geburt und Leben mögen nützlich sein; aber sie sind schlecht gewählt, wenn man sie nur auf den materiellen Besitz beschränkt. Man ist in der Welt darauf gekommen, weil die, welche Eigenthum hatten, Gewalt hatten, nicht aber, weil sie sie haben sollten.«

»Mein lieber Brigadier, das heißt aller Erfahrung entgegen treten.«

»Aus der eben angegebenen Ursache, und weil alle Erfahrung bis jetzt am falschen Ende angefangen hat. Die Staatsgesellschaft sollte wie ein Haus aufgebaut werden; nicht von dem Dach abwärts, sondern vom Fundament hinauf.«

»Wenn wir aber auch zugeben, Euer Haus sei anfangs schlecht gebaut worden, würdet Ihr bei Ausbesserung die Wände geradezu ausreißen, auf die Gefahr hin, daß Euch Alles über dem Kopf zusammenstürze.«

»Ich würde erst gehörige Stützen unterzustellen bedacht sein, und dann mit Macht, jedoch mit Vorsicht verfahren. Muth ist hiebei weniger zu fürchten, als Furchtsamkeit. Die Hälfte der Uebel des Lebens, sociale, persönliche und politische, sind eben so sehr Folgen moralischer Feigheit, als des Betrugs.«

Ich sagte dann dem Brigadier, daß, da seine Landsleute alle Rücksicht auf Eigenthum bei der Wahl der politischen Staatsgrundlage verwürfen, ich wohl ein Hauptsurrogat dafür an Tugend erwarten müsse. »Ich habe immer gehört, Tugend sei das Wesentliche bei einem freien Volk und Zweifels ohne seid Ihr Springniedriger vollkommne Muster in diesem Punkt?«

Der Brigadier lächelte, bevor er mir antwortete, und sah erst rechts und links um sich, als wolle er sich an dem Wohlgeruch der Vollkommenheit regaliren.

»Viele Theorieen hat man darüber aufgestellt,« erwiederte er, »worin aber Ursache und Wirkung verwirrt wurden. Tugend ist eben so wenig Ursache der Freiheit, ausgenommen in Verbindung mit Einsicht, als Laster Ursache der Sklaverei. Beide mögen in Wechselwirkung stehen, aber man kann nicht gerade sagen, wie eins die Ursache des andern ist. Wir haben unter uns Monikins ein Sprichwort, das hier sehr gut paßt: Nimm einen Schelm, um einen andern zu fangen. Nun ist aber das Wesen einer freien Verfassung in der Verantwortlichkeit ihrer Agenten zu finden; wer ohne Verantwortlichkeit herrscht, ist ein Tyrann; der aber unter wirklicher Verantwortung ein Diener. Das ist das einzige wahre Pfand einer Regierung, mögen sie in andrer Hinsicht täuschen, wie sie wollen. Verantwortlichkeit gegen die Masse des Volkes ist das Kriterium der Freiheit. Verantwortlichkeit ist das Surrogat der Tugend bei einem Staatsmann, wie Kriegszucht das des Muths bei einem Soldaten. Ein Heer tapfrer Monikins ohne Kriegszucht könnte von einem andern mit weniger natürlichem Muth, aber mit Kriegszucht besiegt werden. So könnte ein Korps ursprünglich tugendhafter Staatsmänner ohne Verantwortlichkeit mehr selbstische, gesetzlose und verworfene Handlungen begehen, als eins ohne Tugend, das aber gehörig unter der Ruthe der Verantwortung gehalten würde. Unumschränkte Gewalt ist an und für sich eine große Verderberin der Tugend, während die Wichtigkeiten einer beschränkten sie gar sehr im Zaum halten. So ist’s wenigstens bei uns Monikins, bei den Menschen geht’s wahrscheinlich anders.«

»Laßt mich Euch sagen, Herr Geradaus, daß Ihr jetzt den Ansichten der Welt schnurstracks entgegen sprecht; sie betrachtet Tugend als ein unentbehrliches Ingredienz zu einer Republik!«

»Die Welt, – ich meine immer die Monikin’sche,– versteht wenig von wahrer politischer Freiheit, außer in der Theorie. Wir von Springgniedrig sind wirklich die einzigen, die viel davon erfahren haben, und ich will Euch jetzt das Ergebniß meiner Erfahrungen in meinem Lande sagen. Wären die Monikins rein tugendhaft, so brauchte man überhaupt keine Regierung; aber da sie sind, wie sie sind, halten wir’s für das Weiseste, sie einander bewachen zu lassen.«

»Aber die Eurige ist Selbstregierung, die Selbstbeherrschung einschließt, und Selbstbeherrschung ist nur ein anderes Wort für Tugend.«

»Beruhten die Vorzüge unsres Systems auf Selbstregierung in Eurem Sinne oder auf Selbstbeherrschung in irgend einem Sinne, dann brauchten wir nicht so viel darüber zu sprechen; es wäre der Mühe nicht werth. Das ist eine der süßen Täuschungen, womit übelurtheilende Moralisten die Monikins zu guten Thaten anzutreiben streben. Unsere Regierung ruht auf einem ganz entgegengesetzten Princip, nämlich: Uns einander zu bewachen und zu beschränken, statt uns auf unsre Tüchtigkeit, uns selbst zu beschränken, zu verlassen. Es ist der Mangel einer Verantwortlichkeit und nicht ihre beständige und thätige Gegenwart, der Tugend und Selbstbeherrschung einschließt. Niemand würde gern in irgend etwas sich selbst gesetzliche Schranken setzen, während Alle im Beschränken ihres Nächsten sehr glücklich sind. Dies führt zu den positiven und nothwendigen Regeln des Verkehrs und zur Feststellung der Rechte; in Hinsicht bloser Moralität vermögen Gesetze sehr wenig. Moral kommt von Belehrung, und erst wenn Alle politische Macht haben, wünschen Alle Belehrung als eine Sicherheit.«

»Aber, wenn Alle stimmen, können Alle ihr Votum zum besondern Vortheil mißbrauchen wollen, und ein politisches Chaos kann die Folge sein.«

»Solch eine Folge ist unmöglich, es sei denn, daß besondrer Vortheil mit dem Allgemeinen identisch wäre. Eine Gemeinheit kann eben so wenig sich auf diese Weise selbst bestechen, als ein Monikin sich selbst essen kann, sei er auch noch so ausgehungert. Wenn man auch annimmt, Alle wären Schelme, so würde die Nothwendigkeit einen Vergleich hervorbringen.«

»Ihr stellt eine annehmbare Theorie auf, und ich zweifle gar nicht, ich werde bei Euch die weiseste, logischste, besonnenste und konsequenteste Staatsgesellschaft finden, die ich noch je besucht. Aber noch ein Wort: Wie kommt es, daß unser Freund, der Richter, seinem Chargé d’affaires so zweideutige Verhaltungsregeln gab, und warum bestand er insbesondre so sehr auf Anwendung von Mitteln, die so geradezu Alles, was Ihr eben gesagt, Lügen strafen.«

Brigadier Geradaus fuhr sich hier über’s Kinn und bemerkte, wir könnten einen Windwechsel bekommen; auch wunderte er sich ganz hörbar, wann wir landen würden. Ich brachte ihn später dazu, einzugestehen, ein Monikin sei doch immer nur ein Monikin, er möge nun allgemeines Stimmrecht haben, oder unter einem Despoten leben.

Neuntes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Ankunft, – Wahl, – Architektur, – Welgerholz und Patriotismus vom reinsten Wasser.

Zu rechter Zeit erschien die Küste von Springniedrig, gerade links vom Steuer. So plötzlich war unsre Ankunft in dieses neue und außerordentliche Land, daß wir fast auf es angerannt wären, bevor wir noch seine Küsten zu Gesicht bekommen. Die Seekunde Kapitän Poke’s jedoch hielt uns noch bei Zeit, und vermittelst eines sehr geschickten Lootsen lagen wir bald sicher im Hafen von Bivouac vor Anker. In diesem glücklichen Land gab es kein Registriren, keine Pässe, »kein Garnichts,« wie H. Poke es sehr treffend ausdrückte. Die Förmlichkeiten waren bald vorüber; wiewohl ich bemerken konnte, wie viel leichter man mit Schlechtigkeit in dieser Welt durchkommt, als mit Tugend. Ein einem Zollbeamten angebotenes Trinkgeld ward zurückgewiesen, und so entstand die einzige Mühe, die ich dabei hatte, aus dem unzeitigen sich Aufdringen einer Gewissenhaftigkeit. Doch kamen wir durch, wie wohl nicht so bald und so leicht, als wenn Douceurs Mode gewesen, und durften mit all unsern nöthigen Effekten landen.

Die Stadt Bivouac stellte einen seltsamen Anblick dar, als ich zuerst meinen Fuß in ihre heiligen Straßen setzte. Die Häuser waren all mit großen Zetteln bedeckt, die ich Anfangs für Waarenlisten des Verkaufs hielt, denn der Ort treibt bekanntlich Handel; aber bei näherer Betrachtung waren es nur Wahlaufrüfe. Der Leser wird sich mein Vergnügen und Staunen denken, als ich den ersten las, der so lautete:

»Horizontale Ernennung.«

»Horizontale, Systematische, Doktrinäre, Republikaner, merkt auf!«

»Eure heiligen Rechte sind in Gefahr; Eure theuersten Freiheiten sind bedroht. Eure Weiber und Kinder sind am Rand des Verderbens; die schändliche, unkonstitutionelle Ansicht, daß die Sonne bei Tag, der Mond bei Nacht leuchtet, wird offen und ohne Scham verbreitet, und jetzt ist die einzige Gelegenheit, die sich vielleicht je darbietet, einen Irrthum aufzuhalten, der von Täuschung und häuslichen Uebeln so voll ist. Wir stellen Eurer Aufmerksamkeit einen gehörigen Vertheidiger dieser nahen und theuern Interessen in der Person des John Goldenkalb vor, einen bekannten Patrioten, erprobten Gesetzgeber, tiefen Philosophen, unbestechlichen Staatsmann. Unsern adoptirten Mitbürgern brauchen wir ihn nicht zu empfehlen, denn er ist in der That einer von ihnen; den Eingebornen sagen wir nur: »Erprobt ihn, und Ihr werdet mehr als zufrieden sein.«

Ich fand diesen Anschlag sehr nützlich, denn er gab mir die erste Nachricht von den Pflichten, deren Erfüllung man von mir erwartete; ich sollte nur in der kommenden Sitzung beweisen, der Mond scheine bei Tag, und die Sonne bei Nacht. Folglich suchte ich sogleich in mir geeignete Beweisgründe auf.

Der nächste Zettel war zu Gunsten – »Noah Poke’s, des erfahrnen Seglers, der das Schiff des Staats in den Hafen des Glücks führen wird, des praktischen Astronomen, der durch häufige Beobachtungen weiß, daß Mondsüchtige nicht im Dunkeln zu finden sind. Perpendikuläre, seid stark, werft Eure Feinde nieder!«

Nach diesem kam ich auf den: »hochachtbaren Bob Schmutz, im Vertrauen empfohlen allen ihren Mitbürgern durch die Ernennungskommittee der Politik-Tangenten als ein wahrer Ehrenmann, ein reifer Gelehrter (so nennt man in Springniedrig allgemein jeden Herrn, der eine Brille trägt), ein erleuchteter Staatsmann und gesunder Demokrat.«

Aber ich würde nur hievon zu schreiben haben, wollte ich eine Fluth von Empfehlungen und Lügen erwähnen, die in Hinsicht unsrer von einer Gemeinde ergingen, der wir noch ganz fremd waren. Nur noch ein Beispiel vom Letztern:

Protokoll. »Erschien persönlich vor mir, John Aequitas, Friedensrichter; Peter Verax, u.s.w., der nach gehöriger Beeidigung auf die heiligen Evangelisten hinterlegt und sagt: daß er mit einem gewissen John Goldenkalb in seinem Vaterland vertraut bekannt gewesen, und persönlich weiß, wie der besagte John Goldenkalb drei Weiber und sieben uneheliche Kinder hat; ferner bankbrüchig und ohne Charakter ist, und durch Schafsdiebstahl auszuwandern gezwungen worden.«

»Geschworen u.s.w.«
Unterzeichnet
»Peter Verax.«

Ich fühlte natürlich einigen Unwillen über diese unverschämte Behauptung und wollte mich eben bei’m nächsten Vorübergehenden nach der Adresse des Herrn Verax erkundigen, als mich einer von der horizontalen Ernennungskommittee am Saume meines Fells faßte und mit Glückwünschen über meine glückliche Wahl überhäufte. Erfolg ist ein herrliches Pflaster für alle Wunden, und ich vergaß wirklich, die Sache mit dem Schaf und den sieben unehelichen Kindern zu untersuchen, obwohl ich jetzt noch versichre, wäre mir das Glück weniger günstig gewesen, der Schelm, der diese Verläumdung verbreitete, hätte mir für seine Verwegenheit büßen sollen. In weniger als fünf Minuten kam Kapitän Poke an die Reihe; auch ihm wurde in gehöriger Form Glück gewünscht, denn wie Noah sich ausdrückt, »das Robbeninteresse hatte wirklich einen Bewerber durchgesetzt«. So weit ging Alles gut; denn nachdem ich so lange mit ihm zu Tisch gesessen, hatte ich nichts im geringsten dagegen, mit dem würdigen Robbenjäger im Springniedriger Parlament zu sitzen. Aber unser gegenseitiges Staunen und, ich darf wohl hinzufügen, unser Unwille wurde gehörig erregt, als wir kurz darauf eine Nachricht lasen über die bei’m »Empfang des hochachtbaren Bob Schmutz« zu beobachtenden Feierlichkeiten.

Es schien, die Horizontalen und Perpendikularen hatten so viele falsche Stimmzettel verfertigt, um sich die Tangenten günstig zu machen und einander zu täuschen, daß dieser junge Schelm wirklich an die Spitze kam, ein politisches Phänomen, das, wie ich später erfuhr, ganz und gar nicht selten in der Geschichte der Springhocher Wahlen vorkommt.

Es muß natürlich das Interesse steigern, wenn man bei’m Eintritt in ein fremdes Land sich an allen Straßenecken der Hauptstadt getadelt und gepriesen findet, und an demselben Tag in sein Parlament gewählt wird. Doch ließ ich mich weder so sehr dadurch erheben, noch erniedrigen, um mich nicht umzusehen und so genau und so schnell, als möglich, eine Einsicht in Charakter, Geschmack, Sitten, Wünsche und Bedürfnisse meiner Constituenten zu erhalten. Ich habe schon erklärt, daß ich mich hauptsächlich über die moralischen Vortrefflichkeiten und Besonderheiten des Volks der Monikinwelt verbreiten will; doch konnte ich durch die Straßen von Bivouac nicht gehen, ohne einige physische Gebräuche zu bemerken, die ich erwähnen will, weil sie mit dem Gesellschaftszustand offenbar zusammenhängen, so wie auch mit den historischen Rückerinnerungen dieses interessanten Theils der Polargegend.

Erstlich bemerkte ich, daß alle Arten vierfüßiger Thiere ganz eben so zu Haus in den Spaziergängen der Stadt sind, als die Einwohner selbst; was offenbar mit dem Princip gleicher Rechte, worauf die Institutionen des Landes ruhen, sehr nahe zusammenhängt. Zweitens mußte ich sehen, daß ihre Wohnungen auf der kleinstmöglichen Basis errichtet sind und einander stützen, als Zeichen der durch das republikanische System erlangten Hülfe; sie suchen ihre Entwicklung, aus Mangel an Breite, hoch in der Luft, was ich auf die noch nicht ferne Epoche bezog, wo man auf Bäumen lebte. Drittens fand ich, daß, statt nahe am Boden, wie die Menschen, in ihre Wohnungen zu gehen, oder, wie fast alle ungeflügelte Thiere, sie vermittelst äußrer Stufen fast halbwegs zwischen Dach und Boden in eine Oeffnung steigen, wo, ein Mal eingelassen, sie auf und niedersteigen, je nach Gelegenheit. Dieser Gebrauch rührte ohne Zweifel von einer noch nicht fernen Periode her, wo die wilde Lage des Landes sie nöthigte, gegen die Verwüstungen wilder Thiere Schutz zu suchen, indem sie zu Leitern ihre Zuflucht nahmen, welche der Familie nach hoch auf die Bäume gezogen wurden, sobald die Sonne unter den Horizont sank. Diese Stufen oder Leitern sind gewöhnlich aus einem weißen Material gemacht, damit sie selbst jetzt noch in drängender Gefahr im Dunkeln gefunden werden möchten, obwohl jetzt Bivouac, so viel ich weiß, gerade keine unordentlichere oder unsichrere Stadt ist, als jede andere gegenwärtig. Alle Gewohnheiten bleiben in den Sitten eines Volks und zögern darin selbst dann noch als Moden, nachdem der Grund ihres Entstehens aufgehört hat und vergessen worden. Als Beweis hievon haben noch viele Häuser in Bivouac, nahe den steinernen Leitern, ungeheure eiserne spanische Reuter vor der Thüre, ein Gebrauch, offenbar aus den ursprünglichen unsophistischen häuslichen Vertheidigungen dieser kriegerischen und unternehmenden Raçe herrührend. Unter vielen spanischen Reutern bemerkte ich gewisse eiserne Bilder, die den Königen der Kassenleute glichen, und die ich anfangs für Symbole der berechnenden Eigenschaften der Eigenthümer, für eine Art republikanischer Heraldik hielt; aber der Brigadier sagte mir, es sei nur eine Mode, die von der Sitte übrig geblieben, in den frühsten Tagen der Niederlassung ausgestopfte Bilder vor den Thüren zu haben, um bei Nacht die wilden Thiere wegzuschrecken, ganz wie wir Popanze in die Kornfelder stellen. Zwei dieser wohlausstafftirten Schildwachen, auf einem Stock wie eine Flinte angelegt, versicherte er mir, hätten oft Wochen lang eine Belagerung gegen eine Wölfin und ihre zahlreiche Familie in alten Zeiten ausgehalten; und jetzt, da die Gefahr vorüber, glaube er, die Familien, die diese eisernen Monumente hätten errichten lassen, wollten nur das Andenken an die Gefahren dieser Art erhalten, denen ihre Vorväter durch ein so scharfsinniges Mittel entgangen.

Alles trägt in Bivouac den Stempel des hohen Princips seiner Einrichtungen. Die Häuser der Privatleute z.B. überragen die Dächer der Staatsgebäude, zum Zeichen, daß der Staat nur Diener des Bürgers ist. Selbst die Kirchen haben das Besondre, zum Zeichen, daß der Weg zum Himmel vom Volkswillen nicht unabhängig ist. Die große Justizhalle, ein Gebäude, worauf die Bivouaker außerordentlich stolz sind, ist in demselben niedrigen Styl ausgeführt; der Baumeister, dem Verdacht zu entgehen, er glaube, das Firmament sei im Bereich seiner Hand, hatte, die Vorsicht gebraucht, einen hölzernen Wegweiser mitten auf das Gebäude zu stellen, der nach dem Platze zeigt, wo, nach der Ansicht aller andren Leute, der Gipfel des Gebäudes selbst sein sollte. So auffallend wäre diese Besonderheit, bemerkte Noah, daß es ihm schiene, als wäre die ganze Erde durch ein großes politisches Welgerholz gewalzt worden, um dem Lande seine endliche Gestalt zu geben. Während ich diese Bemerkungen machte, kam Jemand im schnellen Trott herbei, der, wie Geradaus behauptete, unsere Bekanntschaft zu machen wünschte. Ich war erstaunt, daß er ohne vorherige Mittheilung dieß wisse, und fragte ihn daher, warum er glaube, wir wären das Ziel von des Andern Eile.

»Blos weil ihr Neuangekommene seid. Dieser ist einer von einer sehr zahlreichen Klasse unter uns, die, von kleinlichem Ehrgeiz verzehrt, bekannt zu werden wünschen; – was sie, beiläufig gesagt, oft in mehrerer Rücksicht erlangen, als sie wohl selbst wünschen; deßwegen drängen sie sich an jeden Fremden, der unsre Küsten berührt. Es ist nicht eine edle, freimüthige Gastfreundschaft, die gern Andern dienen möchte, sondern eine reizbare Eitelkeit, die sich berühmt machen möchte. Der freigebige und erleuchtete Monikin ist leicht von dieser Clique zu unterscheiden; er schämt sich weder, noch verliebt er sich in Gebräuche, blos weil sie die heimischen sind, bei ihm sind die Zeichen der Würdigkeit, Schicklichkeit, Geschmack, Thunlichkeit, Angemessenheit; er unterscheidet, während diese zusammenwerfen; er verwirft sie weder, noch lebt er gänzlich nach Nachahmung, sondern urtheilt für sich, und gebraucht seine Erfahrung als eine zu verehrende nützliche Führerin; während jene denken, alles, was sie über den Bereich ihrer Nachbarn erlangen können, sei eben dadurch der einzige Zweck ihres Lebens. Fremde suchen sie auf, weil sie schon seit Langem beschlossen, dieses Land mit seinen Gebräuchen, seinem Volke und allem, was es enthält, sei dadurch, daß es auf Volksrechte gegründet, so herabgewürdigt und gemein, als nur möglich, sie selbst und einige ihrer besondern Freunde ausgenommen; und sie sind nie so glücklich, als wenn sie an den sekundären Verfeinerungen dessen, was wir das alte Land nennen, hängen und sich daran erfreun. Da ihre eignen Vorzüge jedoch meist nur zufällig sind, so, wie wir sie alle in unserer täglichen Unterhaltung auffangen, so verstehen sie nichts von einem fremden Land, außer etwa von Springhoch, dessen Sprache wir zufällig sprechen; und da auch Springhoch gerade das schönste Ideal der Ausschließlichkeit in seinen Gebräuchen, Ansichten und Gesetzen ist, halten sie alle, die daher kommen, als noch viel mehr berechtigt zu ihrer tiefsten Huldigung, als andre Fremdlinge.«

Hier verließ uns Richter Volksfreund, der die Ernennungskommission in Hinsicht der Chancen des kleinen Rads kräftig ausgeforscht hatte, plötzlich mit einer verlegnen, verschämten Miene, und mit der Nase auf dem Boden, gleich einem Hund, der eben erst eine frische Fährte aufgespürt hat.

Als wir dem Exambassadeur wieder begegneten, war er in Trauer wegen eines politischen Sturzes, den ich nie begriff. Er hatte sich einer neuen Schweifabkürzung unterworfen, und so gänzlich den Sitz der Vernunft gedemüthigt, daß selbst der Neidischste und Bösartigste nie auf den Glauben hätte kommen können, es sei ihm noch ein Stückchen Gehirn übrig gelassen. Er hatte sich ferner jedes Haar vom Leibe scheeren lassen, der jetzt so nackt wie eine Hand war und durchaus ein erbauliches Gemälde der Reue und Selbstdemüthigung darstellte. Ich erfuhr später, diese Reinigung sei für vollkommen genügend betrachtet und er wieder als innerhalb des Kreises der patriotischsten Patrioten angesehen worden.

Indeß war der Bivouaker zu mir gekommen und als Herr Gildet Wriggle eingeführt worden.

»Graf Poke von Stonington, Sir,« sagte der Brigadier, der bei dieser Gelegenheit Ceremonienmeister war, »und der Mogul Goldenkalb, – beides Edelleute von alter Linie, merkwürdigen Privilegien und vom reinsten Wasser, – Edelleute, die zu Hause sechs Mittagessen täglich haben, immer auf Diamanten schlafen, und deren Schlösser keines weniger, als sechs Meilen in der Länge hat.«

»Mein Freund, General Geradaus, hat sich zu viele Mühe gegeben,« fiel unser neuer Bekannter ein; »Ihr Rang und Herkommen ist von selbst einleuchtend. Willkommen in Springniedrig! Ich bitte, über mein Haus, meinen Hund, meine Katze, mein Pferd, über mich selbst nach Gefallen zu verfügen. Ich bitte besonders, Ihr erster, letzter und alle zwischenliegenden Besuche mögen mir gehören. Nun, Mogul, was denken Sie in Wahrheit von uns? Sie sind nun lang genug am Lande gewesen, um sich einen ziemlich genauen Begriff von unsern Institutionen und Gewohnheiten machen zu können. Ich bitte, Sie wollen nicht von uns allen nach dem, was Sie auf den Straßen sehen, urtheilen.«

»Das ist nicht meine Absicht, Sir.«

»Sie sind vorsichtig, merk‘ ich. Wir sind, ich gestehe es, in einer schrecklichen Lage, vom gemeinen Volk niedergetreten und weit, – sehr weit von dem Volk, was Sie zu finden erwarteten. Ich könnte nicht Schultheisen-Adjunkt werden, wenn ich’s auch wollte; zu viel Jakobinismus. Die Leute sind Narren, Sir, wissen nichts, Sir, sind nicht im Stande, sich zu regieren, Sir, geschweige Bessere, als sie. Da haben einige von uns, einige Hunderte eben in dieser Stadt, ihnen gesagt, welche Narren sie sind, wie unfähig, ihre eigene Angelegenheit zu führen, und wie schnell sie schon seit diesen zwanzig Jahren zum Teufel fahren, und dennoch haben wir sie noch nicht überzeugt, einem von uns Macht anzuvertrauen. Die Wahrheit zu gestehen, wir sind in einer sehr elenden Lage, und wenn etwas dieses Land verderben könnte, schon seit 35 Jahren hätte die Volksherrschaft es ruinirt.«

Hier wurden die Klagen des Herrn Wriggle durch den Grafen von Poke de Stonington unterbrochen. Dieser hatte, während er voll Bewunderung auf den Sprecher schaute, seine Zehe gegen eine der 43760 Ungleichheiten auf dem Pflaster angestoßen (Alles ist nämlich in Springniedrig vollkommen gleich, nur nicht das Pflaster und die Landstraßen) und war vorwärts auf die Nase gefallen. Ich habe schon auf des Robbenfängers Geneigtheit angespielt, beleidigende Beiwörter zu gebrauchen. Dieser Zwischenfall trug sich in der Hauptstraße von Bivouac oder dem sogenannten Weitpfad zu, einer Straße, mehr als eine Meile lang, aber trotz ihrer Länge begann Noah an dem einen Ende und schalt sie bis an das andre mit einer Genauigkeit, Treue, Schnelle und Treffendheit durch, die allgemeine Bewunderung erregten. Es wäre die schmutzigste, schlechtgepflastertste, gemeinste, elendeste Straße, die er je gesehen, und wenn sie sie zu Stonington hätten, würden sie sie, statt sie überhaupt als Straße zu gebrauchen, am einen Ende zumachen und in einen Schweinstall umwandeln.

Hier zeigte Brigadier Geradaus unzweideutig einige Besorgniß. Er zog uns auf die Seite und fragte heftig den Kapitän, ob er toll wäre, auf diese unerhörte Weise den Probirstein des Bivouak’schen Gefühls, Geschmacks und Schönheitssinns anzutasten. Von dieser Straße spräche man nie, außer in Superlativen, welchen Gebrauch übrigens Noah gar nicht übertreten hatte; man halte sie für die längste und kürzeste, die breitste und engste, die am beßt- und schlechtest gebaute in der ganzen Welt. »Was Ihr immer sagt oder thut,« fuhr er fort, »was Ihr auch denkt und glaubt, nie verwerft die Superlative bei dem Weitpfad. Fragt man Euch, ob Ihr je eine so belebte Straße saht, obgleich für ein Regiment zum Schwenken Raum genug ist, so schwört, sie sei vollgepfropft; fordert man von Euch, einen andern von Unterbrechung so freien Spaziergang zu nennen, so versichert bei Eurer Seele, der Ort sei eine Wüste. Sagt, was Ihr wollt, von den Institutionen des Landes ––«

»Wie?« rief ich, »von den heiligen Rechten der Monikins!«

»Bewerft sie und die ganze Masse der Monikins dazu mit so viel Schmutz, als Euch gefällt; ja, wenn Ihr frei in guter Gesellschaft verkehren wollt, würde ich Euch selbst rathen, häufig die Wörter: Jakobiner, gemeiner Haufe, Hefe des Volks, Agrarier, Canaille, Demokraten zu gebrauchen, denn sie machen Viele bekannt, die sonst nichts für sich haben. In unserm glücklichen, unabhängigen Land ist es ein sichres Zeichen von hohen Gesinnungen, vollkommner Erziehung, geregeltem Verstand und feinem Benehmen, jenen ganzen Theil Eurer Mitgeschöpfe zu verspotten, die in einem einstöckigen Hause wohnen.«

»Ich finde alles dieß seltsam, da Eure Regierung anerkannter Maßen eine Regierung der Massen ist.«

»Sie haben ganz die Ursache getroffen! Ist es nicht überall Mode, über die Regierung zu schimpfen? Was Ihr immer im vornehmen Leben thut, muß auf liberale und hohe Grundsätze sich stützen, und so tadelt denn alles Belebte in Springniedrig, die gegenwärtige Gesellschaft mit ihren Verwandten und Vierfüßlern ausgenommen; aber erhebt Eure Lästerzunge nie gegen etwas Unbelebtes. Achtet, ich bitt‘ Euch, die Häuser, die Bäume, die Flüsse, die Berge, vor Allem in Bivouac achtet den Weitpfad. Wir sind Leute von großer Reizbarkeit und sind empfindlich für den Ruf selbst unsrer Stöcke und Steine; selbst die Springniedrig-Philosophen sind in dieser Hinsicht alle einmüthig,«

»Könnt Ihr diese Eigenthümlichkeit erklären, Brigadier?«

»Sicher müßt Ihr wissen, daß alles Eigenthum heilig ist. Wir haben große Achtung dafür, Sir, und lieben unsre Waaren nicht heruntergesetzt zu sehen; aber legt Euch um so härter mit Eurem Tadel auf die Masse, und man wird Euch darum nur für einen geistreichern und gebildeteren Kopf halten.«

Hier wandten wir uns wieder zu Herrn Wriggle, der vor Verlangen starb, noch ein Mal bemerkt zu werden.

»Ah, Ihr Herren, Ihr kommt eben von Springhoch,« er hatte einen unsrer Begleiter gefragt; »wie geht’s mit diesem großen und consequenten Volke?«

»Wie gewöhnlich, Sir, – groß und consequent.«

»Ich glaube jedoch, wir stehen ihnen gleich, eh? Säulen aus denselben Blöcken?

»Nein, Sir, Blöcke aus denselben Säulen.«

Herr Wriggle lachte, und schien über das Kompliment erfreut; und ich wünschte, ich hätte es selbst noch ärger gemacht.

»Nun, Mogul, was machen unsre Vorväter? Immer noch in Stücke zerschlagend das feine Gebäude einer Verfassung, das so lange das Wunder der Welt und meine besondere Bewunderung gewesen?«

»Sie sprechen von Veränderungen, Sir; wiewohl sie vielleicht nicht viel durchgesetzt haben. Der Primat von ganz Springhoch hat immer noch, wie ich sah, sieben Anhängsel zu seinem Schweif.«

»Ach, sie sind ein wundervolles Volk, Sir,« sagte Wriggle, und sah bedauernd nach seinem eignen Stumpf, welcher, wie ich später erfuhr, eine blose natürliche Mißgeburt war. »Ich verabscheue den Wechsel, Sir! Wär‘ ich ein Springhocher, ich wollte mit meinem Schweif sterben.«

»Einem, für den die Natur so viel gethan, muß man einigen Enthusiasmus zu Gute halten.« »Ein sehr wunderbares Volk, Sir, das Wunder der Welt, und seine Institutionen sind das größte Staunen aller Zeiten.«

»Das ist wohl bemerkt, Wriggle,« fiel der Brigadier ein; »denn sie haben sie umgeschmolzen und geändert schon seit 550 Jahren, und doch bleiben sie dieselben.«

»Sehr wahr, Brigadier, das Wunder unsrer Zeiten. Aber, Ihr Herren, was denkt Ihr eigentlich von uns? Ich werde Euch nicht mit Allgemeinheiten durchlassen. Ihr seid jetzt lang genug an der Küste gewesen, um Euch gehörige Begriffe von uns zu machen; und ich gestehe, ich möchte sie hören. Redet die Wahrheit aufrichtig. Sind wir nicht bei allem dem die erbärmlichsten, verlassensten, verschmähtesten Teufel?«

»Ich wies die Möglichkeit von mir, nach einer so kurzen Bekanntschaft über die Staatsverfassung eines Volks zu urtheilen; aber darauf wollte Herr Wriggle nicht hören. Er bestand darauf, ich müßte ganz besonders von der Rohheit und Bildungslosigkeit des gemeinen Haufens abgestoßen worden sein. Er meinte damit die Masse des Volks, die mir, beiläufig gesagt, schon als der vergleichungsweise bessere Theil der Bevölkerung aufgefallen war, in so weit, als ich etwas Sittsameres, Ruhigeres und Artigeres, als gewöhnlich, gesehen hatte. Herr Wriggle bat auch sehr ernstlich und inständig, ich möchte das Ganze nicht nach solchen Beispielen beurtheilen, wie ich sie auf den Landstraßen treffen würde.

»Ich hoffe, Mogul, Sie werden christliche Liebe genug besitzen, um versichert zu sein, daß wir nicht alle ganz so schlecht sind, wie der Anschein uns macht. Diese rohen Wesen sind durch unsre jakobinische Gesetze verdorben; aber wir haben auch noch eine andre Klasse. Doch wenn Ihr nicht vom Volk reden wollt, wie findet Ihr die Stadt, Sir? Ein armseliger Ort, gewiß, gegen Eure eignen alten Hauptstädte?«

»Die Zeit wird das schon machen, Herr Wriggle.«

»Meint Ihr denn wirklich, wir brauchten Zeit? – Ei, das Haus an der Ecke dort, nach meinem Geschmack paßte es für einen Herrn in jedem Land; nicht?«

»Freilich, Sir, für Einen.«

»Dieser Weitpfad da ist, ich weiß es, nur eine ärmliche Straße in den Augen von Euch Reisenden; doch halten wir ihn für etwas Erhabnes.«

»Ihr thut Euch selbst Unrecht, Herr Wriggle; wenn er auch Vielen nicht gleich – – –«

»Wie, Sir, der Weitpfad nicht gleich Allem auf der Welt? Ich kenne Mehrere, die in der alten Welt gewesen, (so nennen die Springniedriger Springhoch, Springauf u.s.w.) und sie schwören, es gebe nirgends eine so schöne Straße. Ich bin nicht so glücklich gewesen, zu reisen, Sir; aber, Sir, erlauben Sie mir, Sir, zu sagen, Sir, daß einige von denen, Sir, die gereist sind, Sir, glauben, Sir, der Weitpfad, Sir, sei die prächtigste öffentliche Straße, Sir, die Ihre erfahrnen Augen je erblickten, Sir, – ja, Sir, die Ihre erfahrnen Augen je erblickten, Sir.« »Ich hab‘ bis jetzt noch so wenig davon gesehen, Herr Wriggle, daß Sie mir verzeihen werden, wenn ich zu hastig gesprochen.«

»O, keine Beleidigung! Ich verachte den Monikin, der nicht über Lokaleitelkeiten und Provinzbewundrung hinaus ist. Sie mußten das sehen, Sir; denn ich gebe freimüthig zu, Sir, daß kein Pöbel schlechter sein kann, als unsrer, und daß wir alle so schnell, wie nur möglich, zum Teufel fahren. Nein, Sir, ein nichtswürdiger Pöbel, Sir, aber unser Weitpfad, unsre Häuser, unsre Katzen und Hunde, und gewisse Ausnahmen, Ihr versteht mich, Sir, – das ist etwas Andres. Bitte, Mogul, wer ist jetzt in Eurem Volk der größte Mann?«

»Vielleicht sollte ich den Herzog von Wellington nennen, Sir.«

»Nun, Sir, darf ich fragen, ob er in einem bessern Hause, als das vor uns, wohnt? Ich sehe, Ihr seid entzückt, nicht? Wir sind eine arme, neue Nation niedriger Krämer, Sir, halb wild, wie Jedermann weiß, aber wir schmeicheln uns, daß wir wissen, wie man ein Haus baut. Wollt Ihr nur eben hineintreten und ein neues Sopha betrachten, das sein Eigentümer erst gestern kaufte? Ich kenne ihn genau, und nichts macht ihm so viel Freude, als sein neues Sopha zu zeigen.«

Ich schlug die Einladung wegen Ermüdung aus, und ward dadurch eine so lästige Bekanntschaft los. Doch bat er bei’m Abschied, ich möchte nicht verfehlen, sein Haus zu meiner Heimath zu machen, fluchte schrecklich gegen den Pöbel, und lud mich ein, eine sehr gewöhnliche Aussicht zu bewundern, die man hätte, wenn man in einer besondern Richtung den Weitpfad hinaufsehe, und dadurch seine eigne Wohnung zu Gesicht bekäme. Als mich Herr Wriggle nicht mehr hören konnte, fragte ich den Brigadier, ob Bivouac oder Springniedrig viele solcher Wunder enthielte.

»Genug, um sich sehr lästig und eben so lächerlich zu machen,« entgegnete Gradaus. »Wir sind eine junge Nation, Sir John, die eine große Fläche mit einer vergleichungsweise kleinen Bevölkerung bedeckt, und, wie Ihr seht, von den ältern Theilen des Monikinlands durch das Meer getrennt. In gewisser Hinsicht sind wir wie Leute auf dem Land, und haben ihr Gutes und Schlimmes. Vielleicht hat keine Nation mehr nachdenkende und wesentlich ehrbare Einwohner, als Springniedrig; aber nicht zufrieden mit dem, wozu günstige Umstände sie machten, befindet sich eine Clique unter uns, die unter dem Einfluß des größern Ansehens älterer Nationen nach dem verlangen, was gerade jetzt weder Natur, noch Erziehung, noch Sitten und Fähigkeiten sie wollen werden lassen. Kurz, Sir, wir sind mit der bösen Sünde einer jungen Gemeine, – der Nachahmung behaftet. In unserm Fall ist auch die Nachahmung nicht ein Mal glücklich, da sie nothwendig auf Beschreibungen beruht. Wäre das Uebel auf blose sociale Thorheiten beschränkt, so könnte man darüber lachen; aber das angeborne Verlangen der Auszeichnung, welches, leider!, am heftigsten und reizbarsten bei denen ist, welche am wenigsten geschickt sind, etwas mehr, als gemeines Bekanntwerden zu erlangen, ist gerade hier so thätig, als wo anders, und Einige, die Reichthum erlangt, und nie mehr erlangen können, als was gerade vom Reichthum abhängt, stellen sich, als verachteten sie die, die in diesem besondern Stück nicht so glücklich sind, als sie. In ihrem Verlangen nach Vorrang wenden sie sich zu andern Staaten, – besonders nach Springhoch, das das Ideal aller Nationen und Völker ist, die eine Kaste dem Despotismus entgegen zu setzen wünschen, – und schreien gegen eben jene Masse, die doch der Grund ihres Glücks ist, indem sie hartnäckig eine wesentliche Neuerung in den gemeinen Rechten verweigern. Außerdem haben wir noch unsre politischen Doktrinärs.«

»Doktrinärs! Wollt Ihr den Ausdruck erklären?«

»Sir, die doktrinäre ist die politische Schule, die auf die Stärke gewisser Theorieen viel hält, welche nur aufgestellt worden, um eine Reihe zufälliger Thatsachen zu rechtfertigen; dies ist besonders in unserm Musterbild Springhoch der Fall. – Wir sind hier in einer besondern Lage; hier sind, der Regel nach, Thatsachen, politische und sociale, weit über alle Theorie, eben weil sie in ihrer Wirkung gänzlich frei gelassen sind, die letztere aber wird nothwendig durch Gewohnheit und Vorurtheil beschränkt. Im alten Land dagegen steht Theorie als Regel und als leitende und bessere Theorie weit über den Thatsachen, weil dort diese durch Gebrauch und persönliche Interessen beschränkt sind, die Theorie aber durch Studium und die Nothwendigkeit des Wechsels begünstigt wird.«

»Ich muß Euch sagen, Brigadier, ich finde Eure jetzigen Institutionen ein seltsames Resultat für Befolgung eines solchen Systems.«

»Sie sind Ursache mehr, als Folge. Ansichten sind im Ganzen überall voran, und auch hier mehr, als anderswo. Der Zufall hat die Gründung eines Gesellschaftsvertrags begünstigt, und als er ein Mal gegründet war, sind die Thatsachen schneller zu ihrer Vollendung geeilt, als daß der Monikin-Geist ihnen hätte folgen können. Dies ist der merkwürdige, aber wahre Zustand des ganzen Landes. In andern Monikin-Ländern seht Ihr die öffentliche Meinung nach eingewurzelten Gewohnheiten spüren und verzweifelte Anstrengungen machen, um sie aus ihrem Bett feststehender Interessen loszureißen; während Ihr hier die Thatsachen die öffentliche Meinung wie einen Schweif nach sich ziehen seht. Unsre rein socialen Nachahmungen und Thorheiten aber, da sie absurd sind, sind nothwendig auf eine kleine und immaterielle Klasse beschränkt; der doktrinäre Geist ist aber etwas viel Ernsthafteres. Der erschüttert das Vertrauen, macht oft unschuldig und unbewußt Neuerungen in den Rechten, und bewirkt, daß das Schiff des Staats dahin segelt, als sei es gestaucht in seinem Lauf.«

»Das ist in der That eine seltsame Lage für eine erleuchtete Monikin-Nation.«

»Freilich, die Menschen machen’s besser; aber von allem diesem werdet Ihr mehr im großen Rath erfahren. Ihr mögt es vielleicht für seltsam halten, daß bei uns die Thatsachen im Gegensatz gegen einen so mächtigen Feind, als die öffentliche Meinung, das Uebergewicht behaupten; aber Ihr müßt bedenken, daß eine große Mehrheit unsers Volks, wenn auch nicht gänzlich auf gleicher Höhe mit den Umständen, da sie rein praktisch ist, doch dieser Höhe näher kommt, als die sogenannten Doktrinärs. Die letzern sind mehr lästig und trügerisch, als obsiegend.«

»Zu Herrn Wriggle zurückzukommen, – ist seine Sekte zahlreich?«

»Seines Gleichen finden sich am meisten in den Städten; in Springniedrig fehlt es uns sehr an einer Hauptstadt, wo die Gebildeten und Wohlgesitteten sich versammeln können und, durch ihre Gewöhnung und ihren Geschmack über die gemeinen Gefühle und Beweggründe der weniger Aufgeklärten erhaben, eine gesundere, unabhängigere, angemessenere und männlichere öffentliche Meinung bilden mögten, als die ist, die jetzt das Land durchdringt. Wie’s jetzt steht, ist die wahre Elite dieser Gemeinde so zerstreut, daß sie von der Gesellschaft eher einen Eindruck empfängt, als ihn ihr gibt. Die Springniedriger Wriggles, wie Ihr eben bemerkt, sind selbstisch und anmaßend in Hinsicht ihrer persönlichen Anforderungen, reizbar, vertrauend auf die Verdienste eines besondern Vorzugs, der ihre Erfahrung einengt, und wüthend verfolgerisch gegen solche, die sie für weniger glücklich als sich halten.«

»Guter Gott, Brigadier! wie ist dies Alles auch so außerordentlich menschlich!«

»Wie, wirklich? Nun, so ist’s wenigstens mit uns Monikins; unsre Wriggles schämen sich gerade des Theils der Nation, worauf sie am meisten stolz sein sollten, nämlich der Masse, und sind stolz auf die, derer sie sich schämen sollten, nämlich ihrer selbst. Aber es wird sich genug Gelegenheit bieten, dies weiter zu untersuchen, und wir wollen jetzt zum Wirthshaus eilen.«

Da der Brigadier der Sache müde schien, schwieg ich und folgte ihm, so schnell ich konnte, aber mit offnen Augen, wie der Leser sich denken kann. Eine Besonderheit mußte ich nothwendig in dieser seltsamen Stadt bemerken, nämlich, daß alle Häuser mit einer farbigen Erde bedeckt waren, und daß man dann nach dieser Mühe einen Künstler genommen, um weiße Linien um jedes besondre Theilchen des Baues zu machen (deren Millionen waren). Dies gab dann den Wohnungen einen sehr angenehmen Anstrich des Einzelnen und verschaffte der Architektur im Allgemeinen eine Erhabenheit, die auf das Multiplikations-Täfelchen basirt war. Fügt man dazu das Schwarze der spanischen Reiter, das Weiße der Eingangsleitern und eine Art stehender Colliers gleich unter der Dachbrüstung von einer sehr auffallenden Farbe, so war der Effekt nicht unähnlich dem von einem Peloton Trommler in ihren Scharlach-Wämsern, Baumwollen-Schnüren und weißen Aufschlägen und Krägen. Was die Aehnlichkeit noch auffallender macht, ist, daß nicht zwei von demselben Peloton genau von einer Größe erscheinen, wie sehr häufig auch bei unsern Künstlern in Militär-Musik der Fall ist.

Zehntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Ein Grundprincip, ein Grundgesetz und ein Grundirrthum.

Das Volk von Springniedrig zeichnet sich durch die Ueberlegtheit seiner Handlungen, die Mäßigung seiner Ansichten und die Masse seiner Weisheit aus. Ein solches Volk ist natürlich nie in einer unschicklichen Eile. Obwohl ich jetzt gesetzlich naturalisirt und seit schon vollen vier und zwanzig Stunden nach der Regel in großen Rath gewählt worden, ließ man mir doch drei ganze Tage zum Studium der Verfassung und zum Bekanntwerden mit dem Geist einer Nation, die nach ihrer eignen Ansicht von der Sache ihres Gleichen nicht hat im Himmel noch auf Erden, noch im Wasser und unter der Erde, und dann erst berief man mich zur Ausübung meiner neuen und wichtigen Funktionen. Ich benutzte die Zeit und werde einen günstigen Augenblick ergreifen, um den Leser mit einigen meiner Forschungen über diesen interessanten Gegenstand bekannt zu machen.

Die Institutionen von Springniedrig zerfallen in zwei große moralische Kategorien: in die legalen und substituirten. Die erstern umfassen die Vorkehrungen des großen Elementar- und die letztern die des großen Alimentar-Prinzips. Die Einen sind folglich durch die Konstitution oder die große National-Allegorie bestimmt, während die Andern nur durch die Praxis beschränkt werden. Die Einen sind die Sätze, die Andern die Folgerungen daraus; die Einen Hypothesen, die Andern Korollarien. Die zwei großen politischen Landmarken, die zwei öffentlichen Meinungen, die Stümpf-auf-Stumpf, die rotirende Aktion und das große und kleine Lotterie-Rad sind nur Folgerungen, und so werd‘ ich in meiner jetzigen Abhandlung nichts darüber sagen, da diese sich nur einzig auf das Fundamental-Gesetz des Landes, die große und heilige National-Allegorie bezieht. Es ist schon erwähnt worden, daß Springniedrig ursprünglich ein Ableger von Springhoch war. Die politische Trennung hatte seit dem letzten Jahrhundert Statt, wo die Springniedriger öffentlich dem Springhoch und Alles, was es enthielt, absagten, ganz wie ein Katechumen dem Teufel und allen seinen Werken entsagen muß. Diese Renunciation, die auch manch Mal Denunciation genannt wird, war weit mehr nach dem Willen von Springniedrig, als von Springhoch, und ein langer, blutiger Krieg war die Folge. Die Springniedriger jedoch, nach einem heftigen Kampf, setzten ihren festen Entschluß durch, nichts mehr mit Springhoch zu thun zu haben. Das Folgende wird zeigen, in wie fern sie Recht hatten.

Selbst noch vor dem Kampf war das Gefühl des Patriotismus und der Unabhängigkeit so stark, daß die Bürger von Springniedrig, obwohl von ihrer eignen Industrie schlecht mit Produkten versorgt, doch stolz zu der Selbstentsagung schritten und sogar keine Stecknadel vom Mutterland einführen wollten, wirklich Nacktheit der Unterwerfung vorziehend. Sie stimmten sogar feierlich ab: ihre ehrwürdige Mutter, statt eine liebende, schützende und nachsichtige zu sein, wie sie offenbar hätte sein sollen, sei in der That nur eine raubsüchtige, rachgierige, tyrannische Stiefmutter gewesen. Dies war die Ansicht, muß man sich erinnern, als die zwei Gemeinden noch gesetzlich vereint waren, nur ein Haupt hatten, Kleider trugen und nothwendig eine Menge Interessen gemeinschaftlich verfolgten.

Durch die glückliche Beendigung des Kriegs änderte sich dies alles von Grund aus. Springniedrig machte Springhoch eine Faust und erklärte seine Absicht, künftig seine Angelegenheiten in seiner Weise zu führen. Dies um so wirksamer zu thun und zugleich seiner frühern Stiefmutter Schmutz in’s Antlitz zu werfen, wollte es, daß seine Verfassung so parallel mit der von Springhoch laufen und doch so offenbar, wie möglich, eine Verbesserung davon sein sollte, um die Unvollkommenheiten derselben auch dem oberflächlichsten Beobachter zu zeigen. Daß dieser patriotische Entschluß getreu ausgeführt wurde, will ich jetzt darlegen.

In Springhoch hatte der alte menschliche Grundsatz lange gegolten, alle politische Macht komme von Gott; wiewohl ich nicht einsehe, wie eine solche Theorie je irgendwo habe aufkommen können, da, wie Herr Geradaus sich ein Mal ausdrückte, der Teufel offenbar eine größre Macht in ihrer Ausübung hatte, als sonst ein andrer Einfluß oder Geist. Indeß das jus divinum war der Regulator des Springhocher Gesellschafts-Vertrags, bis der Adel sich das Bessere, das jus zuwandte, wo dann das divinum sich selbst überlassen ward. Zu dieser Zeit entstand die gegenwärtige Verfassung. Jeder hat bemerkt, daß ein auf das eine Ende gestellter Stock fällt, bis er in dem Boden Wurzel gefaßt. Mit zwei Stöcken geht’s nicht besser, selbst wenn ihre Spitzen vereint sind; aber drei Stöcke bilden eine Standarte. Aus dieser einfachen und schönen Idee entstand die Staatsverfassung von Springniedrig. Drei moralische Stützen wurden mitten in der Gemeinde errichtet, am Fuß der einen stand der König, um sie zu verhindern, auszugleiten; denn alle Gefahr bei einem solchen System lag darin, daß die Basis nachgab. Am Fuß der zweiten stand der Adel; an dem der dritten das Volk. Auf dem Gipfel dieses Dreifußes erhob sich die Staatsmaschine. Dies ward als eine Haupterfindung in der Theorie angesehen, obwohl die Praxis, wie sie das sehr leicht thut, das Ganze einigen Modifikationen unterwarf. Der König, der für sich allein seinen Stock hatte, machte den beiden andern Stockhaltern viele Unruhe, und der Adel, um die Theorie nicht zu stören, denn die ward für unwiderruflich fest und heilig erklärt, dachte auf Mittel (er bezahlte schon seines eigenen Vortheils wegen die Hauptwerkleute an der Basis des Volksstocks, daß sie fest standen), um auch des Königs Stock in einer mehr gleichförmigen und dienlichen Stellung zu erhalten. Bei dieser Gelegenheit, und als sie bemerkten, daß der König nie das Ende seines Stocks in der Stelle halten konnte, wo er es zu halten geschworen, erklärten sie feierlichst, er müsse vergessen haben, welches der konstitutionelle Standpunkt sei, und hätte unwiederbringlich sein Gedächtniß verloren, – ein Umstand, der die entfernte Ursache von Kapitän Poke’s kürzlicher Noth war. Der König war nicht so bald durch die Konstitution seines Gedächtnisses beraubt, als man ihn leicht auch aller seiner andern Geistesfähigkeiten entledigen konnte; worauf man denn sehr human beschloß, wie es denn in einer so verlassenen Lage auch nicht anders sein konnte, daß er nicht Unrecht thun könnte. Um diese Idee nach einem humanen und christlichen Grundsatz zu verfolgen und einen Theil des Gebrauchs dem andern gleich zu machen, beschloß man bald nachher, er solle gar nichts thun, und sein erster ältester Vetter ward gesetzlich zu seinem Stellvertreter ausgerufen. Endlich zog sich der Purpur-Vorhang vor den Thron; da indeß dieser Vetter seinerseits den Stock erschüttern und das Gleichgewicht des Dreifußes stören konnte, beschlossen die beiden andern Stockhalter zunächst, daß, wenn auch Se. Maj. ein unleugbares konstitutionelles Recht hätte, zu bestimmen, wer sein erster ältester Vetter sein sollte, sie doch auch ein unbezweifelbares konstitutionelles Recht besäßen, zu sagen, wer er nicht sein sollte. Die Folge von allem diesem war ein Vertrag; Se. Maj., die die Süßigkeiten der Macht schmackhafter fanden, als das Bittre, ganz so wie andre Leute, ließen es sich gefallen, an der Spitze des Dreifußes zu erscheinen, wo sie als auf der Staatsmaschine sitzend erschienen, die Begrüssungen entgegennahmen, in Frieden aßen und tranken und den Andern überließen, unter sich auszumachen, so gut sie konnten, wer am Boden die Arbeit thun sollte. Kurz, dies ist die Geschichte, dies war die Politik von Springhoch, als ich dies Land zu besuchen die Ehre hatte.

Die Springniedriger waren entschlossen, zu beweisen, daß alles dies durch und durch unrecht sei. Sie beschlossen: erstlich, es solle nur ein socialer Balken sein; und damit er vollkommen feststehe, machten sie es jedem Bürger zur Pflicht, ihn zu stützeln. Ihnen gefiel die Idee von einem Dreifuß ziemlich; aber statt einen nach der Springhocher Art aufzustellen, drehten sie gerade seine Gestalt um, und steckten ihn, die Schenkel zu oberst, an ihren Balken, während sie besondre Agenten an jedes der Beine stellten, um ihre Staatsmaschine in Gang zu bringen, und auch sonst Sorge trugen, von Zeit zu Zeit einen neuen obenhin zu senden. Sie schlossen so: Wenn einer der Springhocher Balken weicht, – und sie werden bei nassem Wetter sehr leicht weichen, da König, Adel und Volk gegen einander schüttelt und rüttelt, – so wird die ganze Staatsmaschine herunterkommen, oder sie wird wenigstens so aus einander gehen, daß sie nie mehr recht arbeiten wird; deßwegen wollen wir nichts von allem dem haben. Wenn dagegen einer unsrer Agenten einen Fehler macht und fällt, ei, dann wird er nur seinen eignen Hals brechen; er wird ferner mitten unter uns fallen, und kommt er mit dem Leben davon, können wir ihn entweder auffangen und wieder zurückwerfen, oder einen bessern an seine Stelle setzen, um uns die übrige Zeit zu dienen. Sie behaupten auch, daß ein von allen Bürgern gehaltener Balken weit weniger im Fall zu schlüpfen ist, als drei Balken, von drei sehr ungewissen, nicht zu sagen, ungleichen Gewalten getragen.

Dies sind also die gegenseitigen National-Allegorien von Springhoch und Springniedrig. Ich sage Allegorien, denn beide Regierungen gebrauchen diese sinnreichen Bilder, um ihre großen, unterscheidenden Nationalgesinnungen klar zu machen. Es wäre in der That eine Verbesserung, wenn man künftig alle Verfassungen auf diese Weise versinnlichte, da sie dadurch nothwendig deutlicher, verständlicher und heiliger würden, als sie es jetzt durch ihre buchstäbliche Auslegung sind.

Nach Darlegung der leitenden Grundsätze dieser beiden wichtigen Staaten bitte ich nun für einen Augenblick um des Lesers Aufmerksamkeit, während ich ein wenig in’s Einzelne über den modus operandi in beiden eingehe.

Springhoch erkannte im Anfang einen Grundsatz an, den Springniedrig gänzlich verwarf, nämlich den der Erstgeburt. Da ich selbst ein einziges Kind bin, und also nie nöthig hatte, über diesen interessanten Punkt Untersuchungen anzustellen, erfuhr ich nie den Grund dieses seltsamen Rechts, bis ich den großen Springhocher Kommentator Weißenfels über die leitenden Regeln des Gesellschafts-Vertrags las. Ich fand da, daß der Erstgeborne, moralisch betrachtet, als besser berechtigt zu den Ehren des Stammbaums von väterlicher Seite angesehen wird, als die Sprößlinge aus einer spätern Zeit des ehelichen Lebens. Nach diesem in die Augen fallenden und sehr scharfsinnigen Grundsatz wird die Krone, werden die Rechte des Adels und überhaupt alle andern Rechte von Vater auf Sohn vererbt, und zwar in gerader männlicher Linie nach der Erstgeburt.

Davon findet sich nichts in Springniedrig. Dort ist die Rechtmäßigkeit so gut für den jüngsten als den ältesten, und danach verfährt man auch. Da kein erbliches Haupt auf einem der Schenkel des Dreifußes abzuwägen ist, wählt das Volk am Fuße des Balkons zu gewissen Zeiten einen aus sich selbst, der der große Sachem genannt wird. Dasselbe Volk wählt noch eine andre Art, wenig an Zahl, die einen gemeinsamen Sitz am andern Schenkel einnehmen; diese nennen sie die Rathsherrn; und noch eine andre Art, noch zahlreicher und populärer dem Anschein nach, wenn auch nicht in der That, füllt einen weiten Sitz am dritten Schenkel. Diese letztern, weil man sie für außerordentlich populär und uninteressirt hält, sind gemeiniglich als die Legion bekannt. Sie werden auch scherzweise die Gestümpften zubenannt, weil die meisten sich einer zweiten Stümpfung unterworfen und wirklich fast alle Spur von einem Schweif ausgemerzt haben. Ich war zum Glück in das Haus der Gestümpften gewählt worden, wozu ich mich in dieser Hinsicht wenigstens wohl befähigt glaubte; denn alles von Noah und mir selbst während unsrer Reise und unserm Aufenthalt in Springhoch vorgenommene Salben und Zwingen hatte bei keinem auch nur ein Sprößlein hervorgebracht.

Der große Sachem, die Rathsherrn und die Legion hatten in manchen Stücken vereinte, im andern besondre Pflichten zu erfüllen. Alle drei, wie sie dem Volke ihre Erhebung verdanken, so hingen sie auch vom Volk am Fuße des großen socialen Stocks in Hinsicht der Belobung und Belohnung ab, das heißt, in Hinsicht all der Belohnungen, die sich selbst zu verleihen nicht in ihrer Macht steht. Es gab noch eine Autorität, noch einen Agent des Gemeinwesens, der ebenfalls mit dem socialen Balken zusammenhängt, obwohl er nicht so abhängig von der Hauptstütze des Volks ist, als die drei eben genannten, da er durch eine mechanische Vorkehrung vom Dreifuß selbst gestützt wird. Diese heißen die obersten Schiedsrichter, und ihr Amt ist, die Handlungen der drei andern Agenten des Volks durchzusehn und zu entscheiden, ob sie mit den anerkannten Grundsätzen der heiligen Allegorie im Einklang stehen oder nicht.

Ich freute mich sehr über meine Fortschritte im Studium der Springniedriger Institutionen. Erstens entdeckte ich bald, daß die Hauptsache war, die politische Erkenntniß, die ich in Springhoch erlangt, umzukehren, so wie jemand ein Faß umkehrt, wenn er seinen Inhalt an einem frischen Ende herausziehen will, und dann war ich ganz gewiß, wenigstens den Geist des Springniedriger Gesetzes erfaßt zu haben. Alles schien einfach; denn Alles hing von der gemeinsamen Stütze an der Basis des großen socialen Balkens ab.

Nachdem ich selbst eine gründliche Einsicht in die leitenden Principien des Systems erlangt, unter dem ich gewählt worden, sah ich mich nach meinem Kollegen, dem Kapitän Poke um, um mich zu vergewissern, wie er das große Springniedriger Allegorie-System verstünde.

Ich fand des Robbenfängers Geist, nach einer in dieser Erzählung öfters vorgekommenen Redensart, »ziemlich geübt« in Hinsicht der verschiedenen Gegenstände, die sich einem Manne seines Standes so natürlich darstellten. Erstlich war er in einer Alles überwältigenden Leidenschaft über Bob’s Unverschämtheit, daß er sich als Bewerber für den Großen Rath aufgeworfen, und nachdem er das gethan, war des Kapitäns Wuth keineswegs besänftigt durch den Umstand, daß der junge Schurke wirklich an der Spitze des Volks stand. Er schwur ohne allen Rückhalt: kein ihm Untergebener solle je in derselben gesetzgebenden Versammlung mit ihm sitzen, er sei von Geburt ein Republikaner und kenne die Gebräuche der republikanischen Verfassungen so gut, als die patriotischsten unter ihnen; und wenn er auch zugab, daß aller Arten Kreaturen in seinem Lande in den Kongreß geschickt würden, so wisse doch Niemand von einem Fall, daß ein Schiffsjunge hingesandt worden. Sie möchten wählen, welchen sie wollten; aber an’s Land gehen und den Staatsmann spielen sei doch ganz verschieden vom Stiefelputzen, Kaffeemachen und Grogmischen. Dem Kapitän hatte eben eine Kommittee der Perpendikulären aufgewartet (die Hälfte der Springniedriger Gemeinde gehört zu einer oder der andern Kommittee), durch die er auch gewählt worden, und sie hatten ihm mitgetheilt, alle ihre Repräsentanten würden ohne Weitres Instruktionen erhalten, so bald, wie möglich, nach Versammlung des Raths Gyration Nr. 3. auszuführen. Er sei aber kein Springer und hätte nach einem Lehrer des politischen Tanzes geschickt, der eben mit ihm seine Uebungen angestellt. Nach Noah’s eigner Aeußerung waren seine Fortschritte nichts weniger, als schmeichelhaft. »Wenn sie noch Raum gestatteten, Sir John,« sagte er in kläglichem Tone, »dann ginge es noch; aber man erwartet, daß man steht Schulter an Schulter, Segelstange an Segelstange, und dann soll man einen Purzelbaum machen, wie etwa ein altes Weib einen Kuchen herumwirft, ’s ist unvernünftig, zu verlangen, man solle ein Schiff ohne Platz gehörig wahren; aber laßt mir Raum, und ich will’s herumbringen und wieder in die Linie kommen, trotz dem beßten Kreuzer, wenn auch nicht ganz so schnell. Sie gehen verächtlich mit uns um, das ist gewiß!«

Auch hatten die großen National-Allegorieen ihre Schwierigkeiten. Noah verstand die Bilder der beiden Dreifüße, obwohl er zum Glauben geneigt war, keiner sei gehörig gesichert. Ein Mast würde nur schlecht Wetter bringen, behauptete er, wäre er auch noch so gut mit Segel behängt und im Gleichgewicht, wenn er nicht gehörig eingefügt worden. Er sehe nicht recht, wie man die Enden der Balken Jemanden anvertrauen konnte. Gute Klammern brauchte man, und dann könnte das Volk sich um seine Privatangelegenheiten kümmern und brauchte nicht zu fürchten, sein Werk würde fallen. Daß der König von Springhoch kein Gedächtniß hätte, könne er aus bittrer Erfahrung bezeugen; auch glaube er nicht, daß er ein Gewissen besäße, und besonders wünsche er zu wissen, ob wir, wenn wir jetzt unsre Stelle an den Spitzen der drei sich zugekehrten Balken erhielten, nebst den andern Stümpfen den großen Sachem und die Rathsherrn bekriegen sollten, oder ob wir das Ganze gut aufzunehmen hätten, und am beßten wäre, überall das Wetter gut zu lassen.

Auf alle diese Bemerkungen und Fragen antwortete ich, wie es nur meine beschränkte Erfahrung gestatten wollte, und gab meinem Freunde zu verstehen, daß er wohl die Sache etwas zu buchstäblich genommen, da alles, was er von dem großen politischen Balken, den Dreifüßen und den gesetzgebenden Büchsen gelesen, nur eine Allegorie gewesen wäre.

»Und bitte, Sir John, was mag denn das sein, eine Allegorie?«

»In diesem Fall, mein Guter, ist es eine Konstitution.«

»Und was ist eine Konstitution?«

»Es ist manch Mal, wie Ihr seht, eine Allegorie.«

»Und sollen wir denn nicht oben an den Mast kommen, nach dem Buch?«

»Nur figürlich.«

»Und es gibt doch solche Dinger wie der große Sachem, die Rathsherrn und besonders – die Stümpfe! Wir sind bone fiddle di di (bona fide) erwählt?«

»Bone fiddle di-di

»Und darf ich fragen, was unsers Amtes ist?«

»Wir müssen praktisch, nach dem Buchstaben der legalen, mitverstandnen, bildlichen, allegorischen Bedeutungen des großen Nationalvertrags mit gehöriger Auslegung handeln.«

»Ich fürchte, wir haben doppelt zu arbeiten, Sir John, wenn wir so viel in so kurzer Zeit thun wollen. Meint Ihr wirklich im Ernst, daß es gar keinen Balken gibt?«.

»Es gibt einen und auch nicht.«

»Kein Vorder-, Haupt- und Besam-Mast, wie hier geschrieben steht?«

»Es gibt deren und auch nicht.«

»Sir John, um Gottes Willen, sprecht Euch aus! Ist das mit den acht Thalern des Tags nichts weiter, als ein Pfifferling?«

»Das halte ich für ganz buchstäblich.«

Da Noah jetzt ein wenig besänftigt schien, ergriff ich die Gelegenheit, ihm zu sagen, er müsse sich wohl hüten, Bob vom Eintritt in den Rath abzuhalten. Die Glieder seien auf ihrem Hin- und Herweg privilegirt, und wenn er nicht auf sein Benehmen Acht habe, könne er mit dem Ceremonienmeister unangenehme Händel bekommen. Außerdem schicke es sich nicht für die Würde eines Gesetzgebers, sich an Kleinigkeiten zu stoßen; er, dem die großen Angelegenheiten eines Staats anvertraut, müsse die höchste Wichtigkeit auf ein ernstes Aeußre legen, was bei seinen Konstituenten oft größres Gewicht, als jede andre Eigenschaft hätte. Jeder könne sagen, ob er ernst sei oder nicht; aber es sei nicht so leicht zu entscheiden, ob er oder seine Konstituenten am meisten Ursache hätten, so zu erscheinen. Noah versprach Besonnenheit, und wir trennten uns, um nicht mehr, als bis zur Eidesleistung, uns zu sehen.

Ehe ich die Erzählung fortsetze, will ich nur erwähnen, daß wir an jenem Morgen unsre Waare absetzten. Alle Springhocher Ansichten gingen zu gutem Preis, und ich hatte Gelegenheit, zu bemerken, besonders an dem Eifer, womit die Ansichten über den Gesellschaftszustand in Springniedrig weggekauft wurden, wie sehr gut der Brigadier den Markt verstand. Aber durch einen jener unerwarteten Zufälle, die so viele von den Erwählten der Erde zu hohen Stellen erheben, war der Koch glücklicher, als wir alle. Man wird sich erinnern, daß er einen verachteten Ballen von Besondern Springniedrigern Ansichten eingehandelt, die in Springhoch gar keinen Abgang fanden; da sie jedoch von Außen kamen, bekamen diese Artikel, als eine Neuheit, in Bivouac Schwung, und er verkaufte sie alle vor Nacht zu ungeheuren Preisen, da allgemein das Gerücht ging, etwas Neues und Außerordentliches sei zu Markt gekommen.

Eilftes Kapitel.

Eilftes Kapitel.

Wie man Gesetze erläßt; – Beredtsamkeit, Logik und Rhetorik, Alles in seiner alltäglichen Gestalt betrachtet.

Politische Eide sind so ziemlich dieselben überall, und ich sage nichts weiter von unsrer Einweisung in den Rath, als daß sie, wie gewöhnlich, vor sich ging. Die beiden Häuser waren gehörig constituirt und wir schritten ohne Weitres zur Behandlung der Geschäfte. Ich muß hier sagen, daß ich zu meiner größten Freude den Brigadier Geradaus unter den Stümpfen fand; der Kapitän flüsterte mir zu, er sei wahrscheinlich für ein Seekalb gehalten und demgemäß gewählt worden.

Es dauerte nicht lange, da sandte uns der große Sachem eine Mittheilung, die einen compte rendu über den Zustand der Nation enthielt; gleich andern Rechnungen, die ich zu erhalten das Glück habe, schien dieser mir außerordentlich lang. Nach den Ansichten dieses Dokuments war das Volk von Springniedrig bei weitem das glücklichste von der Welt, sie waren auch beträchtlich mehr geachtet, geschätzt, geliebt, geehrt und gehörig gewürdigt, als jede andre Monikins-Gemeinde; kurz, sie waren die Bewunderung und der Ruhm des Weltalls. Es freute mich außerordentlich, das zu vernehmen; denn Vieles war mir ganz neu, woraus man sieht, daß man nie richtige Begriffe von einer Nation, als durch sie selbst, erlangen kann.

Nachdem wir diese wichtige Punkte gehörig uns angeeignet, machten wir uns alle an unsre verschiedne Geschäfte, mit einem Eifer, der von unsrer Emsigkeit und Ehrlichkeit zeugte. Alles fing gut an, und bald sandten uns die Rathsherrn zur Eröffnung des Balls eine Streitsache. Sie war: »Wird beschlossen, daß die bisher für schwarz gehaltene Farbe eigentlich weiß ist.«

Da dies die erste Sache war, über deren Grund wir abzustimmen hatten, stellte ich Noah vor, wie nützlich es sei, wenn wir zum Brigadier gingen und ihn befragten, wie es wohl mit einem so seltsamen Beschluß ergehen würde.

Unser Kollege beantwortete die Frage sehr gutmüthig und gab uns zu verstehen, die Perpendikulären und Horizontalen seien lange in Streit über die blose Farbe verschiedener wichtigen Fragen gewesen, und so sei der wirkliche Grund des Beschlusses nicht sehr ersichtlich. Die Erstern hätten immer (unter immer meinte er die Zeit, seit sie das Gegentheil behaupteten) die Lehre dieses Beschlusses festgehalten, so wie die Andern das Gegentheil. Eine Mehrheit der Rathsherrn sind gerade jetzt Perpendikuläre, und wie’s jetzt schien, hatten sie es dahin gebracht, über ihren Lieblingsgrundsatz abstimmen zu lassen.

»Nach diesem Bericht von der Sache, Sir John,« bemerkte der Kapitän, »werde ich behaupten müssen, daß schwarz weiß ist, da ich ja zur Perpendikulär-Partei gehöre.«

Ich dachte wie der Kapitän, und war froh, daß mein legislatives Debüt nicht durch ein meiner Denkart so widerstrebendes Votum bezeichnet werden sollte. Doch aus Neugier, seine Meinung zu erfahren, fragte ich den Kapitän, wie er selbst die Sache ansähe.

»Ich bin von den Tangenten gewählt,« sagte er, »und so viel ich gehört, wollen meine Freunde einen Mittelweg einschlagen, und einer unsrer Häupter ist schon gewählt, der zu rechter Zeit ein Amendement vorschlagen soll.«

»Hat etwas mit der großen National-Allegorie Verbundenes hierauf Bezug?«

Der Brigadier legte seinen Finger auf die fragliche Klausel, und ich las: »Art. IV. Klausel b. der große National-Rath soll nie in keinem Fall ein Gesetz oder einen Beschluß erlassen, daß weiß schwarz sei.«

Ich fand nach reiflicher Ueberlegung diesen Beschluß der horizontalen Lehre eher günstig als ungünstig, und hielt ihn für eine gute Gelegenheit für ein neues Mitglied, seine Antrittsrede damit zu wagen, und wartete also dazu die rechte Gelegenheit ab.

Bald rapportirte der Präsident der Kommittee darüber; er war ein Tangente, der aber sehr Rathsherr zu werden wünschte, obgleich sich unser Haus entschieden zu den Horizontalen hinneigte. Er ergriff also hiebei die Partei der Rathsherrn. Der Rapport selbst nahm sieben Stunden durch sein Verlesen weg. Er nahm den Gegenstand von der Zeit her auf, wo seine Verhandlung durch das Bersten der Erdrinde sine die verschoben worden, noch vor der Theilung der großen Monikins-Familie in verschiedene Gemeinden, und schloß dann mit dem jetzigen Beschluß. Der Berichterstatter wandte seine Palette mit der größten Sorgfalt an, und bedeckte die Sache ganz mit neutralen Tinten, worauf er Alles mit Ultramarin überfuhr, so daß das Auge durch eine erdichtete Atmosphäre blickte. Zuletzt wiederholte er den Beschluß wörtlich, wie er vom andern Hause kam.

Der Sprecher rief nun die Herren auf, ihre Meinungen darüber zu sagen. Zu meinem größten Erstaunen erhob sich Kapitän Poke, that seinen Taback wieder in seine Büchse und eröffnete die Debatte ohne weitere Einleitung.

Der ehrbare Kapitän sagte, er sehe diese Frage als die Freiheiten eines Jeden betheiligend an. Er verstand die Sache wörtlich, wie sie in der Allegorie vorgeschlagen und zum Beschluß erhoben worden; als solche wolle er sie nun mit vorurtheilslosen Augen betrachten. Das Wesen der Frage betreffe gänzlich die Farbe; was sei aber eigentlich Farbe? Man nehme das Größte, und in der vortheilhaftesten Lage, was vielleicht die Wange einer lieblichen jungen Frau sei, und die Farbe sei immer nur hauttief. Er erinnere sich der Zeit, wo eine gewisse Frau in einem andern Theil der Welt, welche gemeiniglich Mad. Poke genannt werde, die beßte Rose überall in Stonington ausgestochen haben würde, und was wäre das all gewesen? Er wolle aus nahe liegenden Gründen nicht Mad. Poke selbst fragen, aber jeden der Nachbarn, wie sie jetzt aussähe. Von weiblicher Natur wolle er zur menschlichen überhaupt übergehen. Er hätte oft bemerkt, das das Seewasser blau gewesen, und häufig Kübel hinunterfahren lassen und das Wasser auf’s Verdeck gebracht, um zu sehen, ob er zu dieser blau machenden Materie kommen könnte, – denn der Indigo sei in seinem Lande selten und theuer; aber das Experiment sei ihm nie gelungen, woraus er dann schloß, daß es im Ganzen vielleicht gar nichts so gäbe, wie Farbe.

Der Beschluß vor dem Hause aber beruhe gänzlich auf dem Sinn der Worte. Was sei aber ein Wort? Ei, die Worte Mancher seien gut, die Andrer gar nichts werth. Er liebe die Instrumente des Robbenfangs, – vielleicht weil er ein Robbenfänger wäre, aber aus blosen Worten mache er sich nur wenig. Ein Mal habe er einem Manne wegen seines Sohnes sein Wort abgenommen, und die Folge davon sei gewesen, daß er sein Geld verloren. Er kenne tausend Fälle, wo Worte von keinem Werth gewesen, und er sehe nicht, warum einige Herren ihnen so große Wichtigkeit beilegen wollten. Er sei dafür, nichts, auch selbst nicht ein Wort oder eine Farbe, über Verdienst zu erheben. Das Volk scheine einen Wechsel in der Farbe der Dinge zu verlangen, und er erinnere die Herren, daß dies ein freies Land sei, worin die Gesetze regierten; und deßwegen vertraue er, sie würden sich geneigt zeigen, die Gesetze den Bedürfnissen des Volks anzupassen. Was hätte das Volk hierin vom Hause verlangt. So viel, als er sähe, hätten sie eigentlich gar nichts in Worten verlangt; aber er merke, es herrsche große Unzufriedenheit in Hinsicht der alten Farben, und ihr Stillschweigen lege er als Verachtung gegen Worte im Allgemeinen aus. Er sei ein Partikulare, und werde immer Partikular-Grundsätze vertheidigen. Die Herren möchten vielleicht ihm nicht beistimmen, aber ein Mal für alle Mal, er wolle nicht die Freiheiten seiner Constituenten in Gefahr bringen, und deßwegen gäbe er den Beschluß, ganz wie er von den Rathsherrn gekommen, ohne einen Buchstaben zu ändern; an der Orthographie des Beschlusses habe er Einiges auszusetzen, aber, er wolle gern seine Ansichten in diesem Punkt dem Beßten des Landes aufopfern, und deßhalb halte er es mit den Rathsherrn selbst bis auf ihre Schreibfehler. Er hoffe, der Beschluß werde mit gänzlicher Einmüthigkeit, wie sie ein so wichtiger Gegenstand erforderte, durchgehen.

Diese Rede machte großen Eindruck. Bisher hatten die Hauptredner des Hauses so ziemlich die Gewohnheit gehabt, spitzfindig in der großen Allegorie Härchen zu spalten, aber Noah hatte mit der Einfachheit eines wahrhaft großen Geistes den Nagel auf den Kopf getroffen, um sich fahrend mit der Einfalt des berühmten von La Mancha, als er seine Lanze gegen die Windmühlen einlegte. Gab man diese Punkte zu, daß es keine Farben gäbe und Worte von keiner Bedeutung wären, so konnte dieser und in der That jeder andre Beschluß leicht durchgehen. Die Perpendikulären im Haus waren außerordentlich erfreut; denn, die Wahrheit zu sagen, ihre Beweisführung war bis jetzt etwas schwach gewesen. Ausserhalb war der Erfolg noch größer; denn eine gänzliche Abänderung wurde dadurch in der ganzen Streitführung der Perpendikulären bewirkt. Monikins, die den Tag vorher heftig behauptet hatten, ihre Stärke läge in der Phraseologie der großen Allegorie, öffneten nun plötzlich ihre Augen und sahen deutlich, daß die Worte keinen wahren Werth hätten. Die Beweisgründe hatten freilich einige Veränderung erlitten, aber zum Glück war die Folgerung daraus ungefährdet. Der Brigadier bemerkte diese anscheinende Anomalie, sagte jedoch, sie sei in Springniedrig ganz gewöhnlich, besonders in der Politik; die Menschen freilich würden consequenter sein.

Die Horizontalen waren durch Kapitän Poke so sehr überrascht und geschlagen worden, daß keiner von allen ihren Rednern ein Wort für sich zu sagen wußte. Ja, sie erlaubten sogar einem ihrer Gegner, sich zu erheben und den Schlag noch zu unterstützen; ein ziemlich gewisses Zeichen, daß sie darnieder lagen.

Der neue Sprecher war ein Hauptanführer der Perpendikulären; er war einer von den Politikern, die nur um so gewandter sind, weil sie allen Parteien gedient haben. Sie kennen die schwachen und starken Seiten einer jeden durch Erfahrung, und sind mit jeder Unterabtheilung politischer Gefühle vertraut, welche sich je im Lande vorgefunden haben. Dieser geistreiche Redner nahm den Gegenstand mit Feuer auf, und behandelte ihn ganz nach den Grundsätzen des Mitglieds, das zuletzt gesprochen. Nach seiner Ansicht von der Sache müsse man die eigentliche Verordnung, das Gesetz in den Sachen und nicht in den Worten suchen. Worte seien falsche Lichter zum Irreführen, und er brauche nicht erst zu sagen, was all seinen Zuhörern schon bekannt wäre, daß nämlich Worte täglich geformt würden und geformt wären, nur um der Bequemlichkeit aller Arten Leute zu dienen. Es sei ein Hauptfehler im politischen Leben, mit Worten verschwendrisch zu sein; denn die Zeit würde kommen, wo die Schwatzhaften und Schnellzüngigen es bereuen würden. Er fragte das Haus, ob das Vorgeschlagene nöthig, ob das Staatsinteresse fordre, ob die öffentliche Meinung darauf vorbereitet wäre. Wäre das, dann bitte er die Herren, ihre Pflicht zu thun, und zwar eben so wohl gegen sich selbst als gegen ihren Charakter, ihr Gewissen, ihre Religion, ihr Eigenthum und endlich ihre Konstituenten.

Dieser Redner suchte Worte durch Worte zu vernichten, und das Haus schien mir seine Bemühung günstig aufzunehmen. Ich beschloß nun einen Versuch zu Gunsten des Fundamentalgesetzes zu machen, das offenbar bis jetzt in der Verhandlung nur wenig beachtet worden. Ich fesselte daher des Sprechers Auge, und stand alsbald da.

Ich begann damit den Talenten und Beweggründen meiner Vorgänger durchdrehte Komplimente zu machen, und spielte auf den anerkannten Verstand und Patriotismus, die Tugend und Fähigkeiten des Hauses an. All dieß ward wohl aufgenommen, daß Muth fassend ich beschloß, mit einem Male, den Text des geschriebenen Gesetzes in der Hand, über meine Gegner herzufallen. Ich leitete diesen Schlag mit einer Lobrede auf die wunderbare Beschaffenheit jener Institutionen ein, die allgemein als das Wunder der Welt angesehen und gemeiniglich die zweite Vervollkommnung der Monikins-Vernunft genannt würden; die von Springhoch nämlich würden immer als die erste angesehen. Ich machte dann einige zweckmäßige Bemerkungen über die Nothwendigkeit, die vitalen Verordnungen des politischen Staatskörpers zu achten, und erbat mir der Zuhörer Aufmerksamkeit, während ich ihnen eine besondre Klausel vorläse, die ich, zu meinem Verwundern, auf die gegenwärtige Verhandlung sich beziehend erfunden. Nachdem ich mir so den Weg frei gemacht, beging ich nicht die Thorheit, dem Gegenstand so vielen Nachdenkens durch unbesonnene Eile zu schaden. Vielmehr wartete ich, bevor ich die Stelle aus der Konstitution las, bis die Aufmerksamkeit jedes Gegenwärtigen durch die Würde, Vorsicht und Wichtigkeit meiner Art und Weise noch mehr, als durch den Inhalt des schon Gesagten aufgeregt worden. Mitten in dieser tiefen Stille und Erwartung las ich mit einer Stimme, die Alles erfüllte, laut die Klausel vor: »Der große Rath soll in keinem Falle ein Gesetz, einen Beschluß erlassen, der weiß für schwarz erklärt.«

Wenn ich ruhig bei Darlegung dieser Autorität gewesen, beherrschte ich mich eben so sehr bei Erwartung der Wirkung. Um mich blickend sah ich Staunen, Verlegenheit, Zweifel, Verwundrung und Ungewißheit in jedem Antlitz, wenn ich auch nicht Ueberzeugung fand. Eins brachte selbst mich in Verlegenheit; unsre Freunde die Horizontalen hatten ganz eben so Unrecht als unsre Opponenten die Perpendikulären, da sie gar nicht, wie ich doch Ursache zu hoffen hatte, außer sich geriethen, als sie ihre Sache durch eine so gewichtige Autorität unterstützt sahen.

»Will das verehrliche Mitglied gefälligst erklären, welchen Schriftsteller es angeführt hat?« wagte endlich einer der Hauptperpendikulären zu fragen.

»Die Sprache, die Ihr eben gehört,« begann ich wieder und glaubte, der Augenblick sei jetzt gekommen, die Sache zu betreiben, »ist eine Sprache, die einen Wiederhall finden muß in Aller Herzen, es ist eine Sprache, die nie vergeblich in dieser hohen Halle geführt werden kann, eine Sprache, die mit sich führt Ueberzeugung und Befehl!« Ich bemerkte, daß jetzt die Glieder verwundert einander anschauten. »Meine Herren, ich soll den Autor nennen, aus dem ich diese sententiöse Worte genommen? Meine Herren, was Sie eben gehört, ist zu finden im IV. Art. in der 6. Klausel der großen National-Allegorie.«

»Zur Ordnung! Zur Ordnung!« riefen hundert Rabenkehlen.

Ich stand staunend, selbst noch mehr staunend, als das Haus einen Augenblick vorher mir geschienen hatte. »Zur Ordnung! Zur Ordnung!« fuhr es fort zu schreien, als wenn Millionen Dämonen in der Halle hausten.

»Das verehrliche Mitglied wird sich erinnern,« sagte der süße und ex officio unparteiische Sprecher, der, beiläufig gesagt, ein Perpendikular war, der hinterlistig gewählt worden; »es ist gegen die Ordnung, sich Persönlichkeiten zu erlauben.«

»Persönlichkeiten? Ich verstehe nicht, Sir.«

»Das Dokument, worauf das verehrliche Mitglied hingewiesen, ist nicht, wie ihm sein eigner Verstand sagen wird, von sich selbst geschrieben worden, vielmehr sind grade die, durch welche es aufgesetzt worden, jetzt Mitglieder des Hauses, und die Meisten unterstützen den Beschluß, der ihm jetzt vorliegt; und so würde es persönlich scheinen, wenn man ihnen auf diese unerhörte Art ihre früheren Amtsgeschäfte vorwerfen wollte. Es thut mir leid, sagen zu müssen, daß das verehrte Mitglied gänzlich alle Ordnung überschritten.«

»Aber, Sir, die heilige National – –«

»Heilig, Sir – freilich, aber in einem andern Sinn, als Sie meinen; viel zu heilig, um hier erwähnt zu werden. Da sind die Werke der Kommentatoren, die Bücher über die Auslegungen, und besonders die Schriften verschiedener ausländischen und vollkommen uninteressirten Staatsmänner; brauche ich besonders Ekrub zu nennen? – diese haben Autorität bei den Mitgliedern, aber so lange ich diesen Stuhl einnehme, werd‘ ich mich peremptorisch gegen alle Persönlichkeiten erheben.«

Ich war wie angedonnert. Der Gedanke, daß die Autorität selbst verworfen werden könnte, war mir nie in den Sinn gekommen, obwohl ich einen hartnäckigen Kampf in Hinsicht der Auslegung erwartet hatte. Die Konstitution verlangte nur, daß kein Gesetz ergehen sollte, das schwarz für weiß erklärte, während der Beschluß verordnete, daß künftig weiß schwarz sein sollte. Hier lag Stoff zur Verhandlung, und ich hatte gar keine große Hoffnungen wegen des Erfolgs; aber so bei’m Anfang auf’s Haupt mit einer Keule niedergeschlagen zu werden, war zuviel für die Bescheidenheit meiner jungfräulichen Rede. Ich setzte mich verwirrt nieder, und ich sah deutlich an ihren spöttischen Mienen, daß die Perpendikularen jetzt Alles triumphirend nach ihrem Willen durchzusetzen vermeinten. Dies wäre auch sehr wahrscheinlich der Fall gewesen, wenn nicht alsbald einer von den Tangenten mit einem Amendement sich erhoben hätte.

Zum größten Mißfallen Kapitän Poke’s und gewisser Maßen zu meiner eignen Aergerniß, ward dies dem verehrlichen Bob Schmutz anvertraut. Herr Schmutz begann mit der Bitte an die Mitglieder, sich nicht durch die Sophistik des ersten Redners irreführen zu lassen. Dieß verehrliche Mitglied fühlte sich ohne Zweifel berufen, die von seinen Freunden eingenommene Stellung zu vertheidigen; aber die, welche ihn wohl kännten, wie er ihn zu kennen das Schicksal gehabt, müßten überzeugt sein, daß seine Ansichten wenigstens eine plötzliche und wunderbare Aenderung erlitten hätten. Das verehrliche Mitglied läugne das Dasein der Farbe überhaupt; er wolle ihn fragen, ob er nicht selbst bisweilen beigetragen, was man »blau und schwarz« nenne, hervorzubringen. Er möchte wissen, ob das verehrliche Mitglied jetzt eben so wenig Werth auf Schläge, als er auf Worte zu setzen schiene; er bitte das Haus um Verzeihung, aber dies sei eine Sache von großem Interesse für ihn selbst: er wisse, es habe nie einen größern Fabrikanten von »Blau und Schwarz« [Lektorat: wäre hier nicht eine Anmerkung zum Wortspiel "black and blue"<-> "black and white" angezeigt, das so im Deutschen {"grün und blau" <-> "schwarz und weiß"}nicht wiederzugeben ist?] gegeben, als jenes verehrliche Mitglied selbst, und er wundre sich über sein jetziges Läugnen aller Farbe und seinen Wunsch, deren Werth herabzuwürdigen. Er seinerseits kenne die Wichtigkeit der Worte und den Werth der Farben, und während er nicht so gerade die Nothwendigkeit einsähe, schwarz für so unverletzlich zu halten, wie einige Herren, sei er doch gar nicht darauf vorbereitet, so weit wie die zu gehen, die den Beschluß eingebracht. Er glaube nicht, daß die öffentliche Meinung befriedigt wäre durch die Behauptung, daß schwarz schwarz sei; aber er halte sie doch auch noch für weit genug vorgerückt, zu behaupten, schwarz wäre weiß. Er sage nicht, solch eine Zeit werde nicht kommen, er behaupte nur, sie sei noch nicht gekommen, und in der Absicht, dem, was er für die öffentliche Meinung halte, entgegen zu kommen, schlage er als Amendement vor, das Ganze des Beschlusses nach dem Worte »wirklich« auszustreichen, und etwas einzufügen, daß dann der ganze Beschluß so lauten würde:

»Wird beschlossen, daß die bis jetzt für schwarz gehaltene Farbe wirklich bleifarben ist.«

Hierauf nahm der verehrliche Herr Schmutz seinen Sitz wieder ein, und überließ das Haus seinem eignen Nachdenken. Die Häupter der Perpendikularen, in der Voraussetzung, daß, wenn sie in dieser Session halbwegs kämen, sie das Uebrige in der nächsten durchsetzen könnten, beschlossen, den Vergleich anzunehmen, und der Beschluß, so verbessert, ging mit großer Mehrheit durch. So war dieser wichtige Punkt für den Augenblick entschieden, und ließ den Perpendikularen große Hoffnung, die Horizontalen noch flacher auf den Boden zu legen, als sie es jetzt schon wären.

Die nächste Frage war von weit geringerem Interesse und erregte nicht so große Aufmerksamkeit; um sie jedoch zu verstehen, müssen wir ein wenig auf die Geschichte zurückgehen. Die Regierung von Springdurch hatte vor 63 Jahren 126 Springniedriger Schiffe auf der hohen See verbrennen und sonst zerstören lassen. Der Vorwand war, sie belästigten Springdurch. Springniedrig war eine viel zu große Nation, um sich eine solche Bedingung gefallen zu lassen, während sie zugleich viel zu großmüthig und weise war, sie auf eine alltägliche und gemeine Weise zu rügen. Statt in Leidenschaft zu gerathen und ihre Kanonen zu laden, bot sie alle ihre Logik auf und begann zu philosophiren. Nachdem sie die Sache mit Springdurch 52 Jahre besprochen, bis alle beleidigte Theile todt waren und nicht länger von ihrer Logik Nutzen ziehen konnten, beschloß sie, zwei Drittel ihrer Ansprüche an Geld und ihre ganzen Ansprüche in Hinsicht des Ehrenpunktes nachzulassen und, um die Sache zu beenden, eine gewisse unbedeutende Summe als ein Pflaster für den ganzen Schaden anzunehmen. Springdurch versprach auf die feierlichste und genügendste Art, diese Summe zu bezahlen, und Jeder war erfreut über die friedliche Beendigung einer sehr schwierigen und dem Anschein nach nie zu Ende gehenden Verhandlung. Springdurch war eben so froh, mit der Sache fertig zu werden, als Springniedrig und dachte natürlich, Alles sei schon geschehen, wenn es nur verspräche, das Geld zu bezahlen; der große Sachem von Springniedrig hatte aber zum Unglück einen »eisernen Willen« oder, mit andern Worten, er meinte, das Geld müsse eben so bezahlt werden, wie versprochen worden, es zu bezahlen. Diese despotische Auslegung des Handels hatte unerhörten Unwillen in Springniedrig erregt, wie zu erwarten stand; aber, seltsam genug, ward sie sogar in Springniedrig mit einiger Hitze verworfen, wo einige feste Logiker streng behaupteten, der einzige Weg, einen Vertrag zur Geldzahlung in’s Reine zu bringen, wäre, einen neuen für eine niedrigere Summe einzugehen, so oft die Zahlung fällig wäre; ein Plan, der mit einiger Mäßigung und Geduld gewiß mit der Zeit die Abtragung der ganzen Schuld herbeiführen müsse.

Verschiedene sehr scharfsichtige Patrioten hatten die Sache angegriffen, und sie sollte nun dem Haus unter vier verschiednen Kategorien vorgetragen werden. Kategorie Nro. 1. hatte den Vorzug der Einfachheit und Genauheit. Sie schlug blos vor, Springniedrig solle das Geld selbst bezahlen und mit eignen Fonds die Verschreibung einlösen. Nro. 2. enthielt eine Empfehlung an den Großsachem, daß Springniedrig selbst bezahle, jedoch gewisse Fonds von Springdurch dabei gebrauch. Nro. 3. war ein Vorschlag, Springdurch zehn Millionen anzubieten, um dann nichts mehr von der ganzen Verhandlung zu sprechen. Nro. 4. wollte das unterhandelnde und nachlassende System, das schon erwähnt worden, ohne Verzug anwenden, um so bald wie möglich, die Ansprüche zu vernichten.

Man berieth die Frage unter diesen vier Gesichtspunkten. Meine Erzählung erlaubt mir keine in’s Einzelne gehende Geschichte davon, ich kann nur eine Skizze von der Logik geben, welche bei diesen verschiedenen Vorschlägen sich hören ließ, von dem legislativen Scharfsinn, den sie veranlaßten, und der Menge tüchtiger Schlüsse, die so natürlich daraus folgten.

Zu Gunsten von Kategorie Nro. 1. führte man an, daß durch Annahme ihrer leitenden Idee man die Sache gänzlich in die Hand bekomme und sie folglich mit größrer Berücksichtigung reiner Springniedrig-Interessen abmachen könnte; weitrer Aufschub könne nur aus unsrer eignen Nachlässigkeit hervorgeh’n; auf keine andre Weise könne man so leicht mit dieser langwierigen Verhandlung in kurzer Zeit fertig werden; die Schuld mit Springniedriger Fonds zu bezahlen, würde uns Sicherheit geben, den Betrag in guter Kurrent-Münze der Republik zu erhalten, es würde außerordentlich ökonomisch sein, da der Agent, welcher auszahlte, auch beauftragt werden könnte, in Empfang zu nehmen, wodurch man Salair ersparte, endlich könne dadurch Alles, so sehr vereinfacht, in einer Nuß dargestellt und jedem Verstand klar gemacht werden.

Zu Gunsten von Kategorie Nro. 2. konnten nur sehr unbestimmte Sophismen beigebracht werden, die noch dazu sehr nach Gemein-Plätz-Ansichten schmeckten. Es ward z. B. vorgegeben, der, welcher einen Wechsel unterschreibe, sei auch verpflichtet, ihn zu bezahlen; wenn er sich weigre, habe der andre Theil das natürliche und gesetzliche Mittel des Zwangs; es möge nicht immer für einen Gläubiger bequem sein, alle Obligationen andrer Leute zu bezahlen, die er vielleicht in Händen hatte; wenn seine Geschäfte ausgedehnt wären, möchte es ihm an Geld fehlen, ein solch Princip immer auszuführen, und als ein Beispiel für’s Künftige vertrüge es sich weit besser mit Springniedriger Klugheit und Besonnenheit, die alten und erprobten Begriffe von Ehrlichkeit und Gerechtigkeit aufrecht zu erhalten, als sich auf den unbekannten Ocean der Ungewißheit einzulassen, der mit den neuen Ansichten zusammenhinge; denn ließen wir es zu, könnten wir nie wissen, wenn wir wahrhaft schuldenfrei wären. Kategorie 3. wurde nach einem ganz neuen logischen System besprochen, das bei den Mitgliedern sehr in Gunst zu stehen schien, die aus der verfeinerten ethischen Schule waren. Diese Redner führten das Ganze auf das Ehrgefühl zurück. Sie begannen mit der Entwerfung eines lebendigen Gemäldes von den Beleidigungen, als das ursprüngliche Unrecht geschehen. Sie sprachen von zu Grunde gerichteten Familien, geplünderten Seeleuten und vernichteten Hoffnungen. Sie stellten genaue Berechnungen an, um zu zeigen, daß gerade vierzig Mal so großes Unrecht gethan worden, als dieser Wechsel annähme, und wie die Sache jetzt stünde, müßte Springniedrig nach strengem Recht gerade vierzig Mal so viel Geld empfangen, als das Dokument besage. Von diesen interessanten Einzelheiten wandten sie sich dann zum Ehrenpunkt. Springdurch translation error fixed, changed from "Springhoch" [Leaphigh] to "Springdurch" [Leapthrough] – Original: "Leapthrough, by attacking the Leaplow flag" hätte es durch seinen Angriff auf die Springniedriger Flagge und durch die Eingriffe in dessen Rechte ganz besonders zu einer Ehrenfrage gemacht, und bei Betrachtung der Sache dürfe man daher nie den Gesichtspunkt der Ehre aus dem Auge verlieren. Es sei ehrenvoll, seine Schulden zu bezahlen, das könne Niemand leugnen; aber es sei noch gar nicht so klar, daß es auch ehrenvoll sei, das, was einem gebühre, in Empfang zu nehmen. Die National-Ehre sei dabei betheiligt, und sie riefen die Mitglieder auf, sofern sie diese heilige Gefühle werth hielten, es durch ihre Stimmen aufrecht zu erhalten. Wie die Sache stehe, habe Springniedrig den bessern Theil; im Vertrag mit seinem Gläubiger, wie er vorliege, verliere Springdurch einige Ehre, durch Zahlungverweigrung verliere es noch mehr, und nun, wenn wir ihm die zehn vorgeschlagenen Millionen schickten, und es die Schwachheit hätte, sie anzunehmen, setzten wir ihm recht den Fuß auf den Nacken, und es könnte uns nie wieder in’s Gesicht sehen.

Kategorie Nro. 4 vertheidigte ein Mitglied, das Staatsökonomie zu seinem Hauptstudium gemacht. Dieser stellte folgenden Satz auf: Nach seinen Berechnungen sei die Beleidigung gerade vor 63 Jahren und 26 2/3 Tagen geschehen. Während dieser ganzen Zeit sei Springniedrig durch diese schwierige Frage beunruhigt worden, die wie ein Gewölk über der sonst ungestörten Helle seines politischen Horizonts gehangen. Es sei Zeit, sie los zu werden. Die festgesetzte Summe sei gerade 25 Millionen, zahlbar in 25 jährlichen Parcellen von einer Million. Nun schlage er vor, die Parcellen auf die Hälfte herabzusetzen, aber keineswegs etwas an der Summe zu ändern. Der Punkt müsse als unwiderruflich feststehend angesehen werden. Dies werde die Schuld um die Hälfte verringern. Ehe das erste Quantum fällig werde, werde er einen Aufschub zu Stande bringen, dadurch, daß er die Quota wieder auf sechs verringere und die Zahlung auf die letzte Periode, die in dem letzten Vertrag bestimmt worden, zurückführe, aber immer gewissenhaft die Summen ganz dieselben lasse. Vor Ablauf der ersten sieben Jahre könne eine neue Vorkehrung die Quota auf zwei oder selbst eins zurückführen, immer mit Beibehaltung der Summen; und endlich, im rechten Augenblick, könne ein Vertrag geschlossen werden, daß gar kein Quotum sein solle, oder wenn eins gewesen, habe Springniedrig es nie unter eine Million herabsetzen können. Der Erfolg werde sein, daß in ungefähr 25 Jahren das Land gänzlich frei von der Sache seie, und der Nationalcharakter, der, wie Jedermann zugestehe, jetzt schon so hoch, als er nur sein könne, wahrscheinlich noch um viele Grade höher steige. Die Verhandlung habe mit Verträgen begonnen, und unsere Consequenz verlange, daß sie auch ferner unser Betragen leiteten, bis kein Heller mehr unbezahlt sei.

Dieser Gedanke ergriff wunderbar, und ich glaube, er wäre mit großer Mehrheit durchgegangen, wäre nicht ein neuer Vorschlag von einem Redner mit seltsam pathetischer Kraft gemacht worden.

Der neue Redner widersetzte sich allen vier Kategorieen. Er sagte, alle würden zum Krieg führen: Springdurch sei ein ritterliches und hochherziges Volk, wie man aus der jetzigen Lage der Dinge ersähe. Wollten wir den Wechsel mit unsern Fonds auslösen, werde es tödtlich seinen Stolz verletzen, und es mit uns kriegen; lösten wir den Wechsel mit seinen Fonds aus, so würde das sein Finanzsystem beleidigen, und es mit uns kriegen; wollten wir ihm zehn Millionen bieten, daß es der Sache nicht weiter erwähne, so würde das durch die Voraussetzung, man könne ihm seine Rechte abkaufen, seine Würde beleidigen und es mit uns kriegen; wollten wir das System neuer Unterhandlungen befolgen, so würde das tödtlich seine Ehre angreifen, weil wir zu verstehen gäben, es achte seine alten Unterhandlungen nicht, und es daher mit uns kriegen. Er sehe Krieg in allen vier Kategorieen; er sei für eine Friedens-Kategorie, und er habe, denke er, einen Vorschlag, wodurch bei gehöriger Einfädlung und den zartesten Rücksichten, und wenn man sonst die hohen Gefühle der verehrten fraglichen Nation achte, wir möglicher Weise aus dieser schwierigen Alternative kommen könnten, ohne daß wir handgemein würden, – er wünsche nämlich immer die verehrlichen Mitglieder an die Schrecken des Kriegs zu erinnern; sie möchten bedenken, welch eine ernsthafte Sache der Zusammenstoß zweier großer Nationen wäre. Wenn Springdurch ein kleines Volk wäre, dann wär‘ es was anders, und der Streit könnte in einem Winkel vor sich gehen; unsere Ehre sei aber eng mit allem verbunden, was wir mit großen Nationen zu schaffen hätten. Was sei der Krieg? Wüßten es die Herren? Er wolle es ihnen sagen!

Hier entwarf der Redner ein Bild vom Krieg, das die leidende Monikinschaft zum Schaudern brachte. Er sah in ihm vier Hauptpunkte, seine religiösen, pekuniären, politischen und häuslichen Schrecken; er beschrieb ihn als den Dämon-Zustand des Monikin’schen Geistes, als entgegengesetzt der Gottesverehrung, der Bruderliebe, der Barmherzigkeit und allen Tugenden. Bei den pekuniären Schrecken zeigte er einen Preiscourant. Knöpfe, die sechs Groschen das Schock kosteten, versicherte er, würden bald sieben kosten. Hier erinnerte man ihn, daß die Monikins keine Knöpfe mehr trügen. »Thut nichts; sie kaufen und verkaufen Knöpfe, und die Wirkungen auf den Handel sind dieselben.« Das politische Ungemach zeigte er als ganz erschrecklich; aber als er von den häuslichen Unannehmlichkeiten sprach, blieb kein Auge im Rath trocken. Kapitän Poke stöhnte so laut, daß ich in der entsetzlichsten Angst war, er werde zur Ordnung gerufen werden.

»Sehet jenen reinen Geist,« rief er, »zermalmt im Wirbel des Kriegs. Betrachtet sie, wie sie sich über den Hügel hinneigt, der den Helden seines Landes, den Gemahl ihrer jugendlichen Neigung, deckt. Vergebens wirft die Waise ihr zur Seite die Augen aufwärts und fragt nach dem Helmbusch, der eben noch ihre kindliche Phantasie vergnügte; vergebens fragt ihre liebliche Stimme, wann er zurückkommen werde, wann er ihre Herzen erfreuen wolle durch seine Gegenwart!« Aber ich kann nicht mehr schreiben; Seufzer unterbrachen den Redner, und er nahm seinen Sitz wieder ein in einer Entzückung von göttlichem Frieden und Wohlwollen.

Ich eilte durch’s Haus, den Brigadier zu bitten, mich ohne Aufschub bei diesem gerechten Monikin einzuführen. Ich fühlte, als könnt‘ ich ihn ohne weitres umarmen und ewige Freundschaft einem so gütigen Geiste schwören. Der Brigadier war zuerst zu bewegt, um auf mich zu achten; aber nachdem er seine Augen wenigstens hundert Mal abgewischt, gelang es ihm, den Thränenstrom zu hemmen und zu mir aufzublicken mit einem lieblichen Lächeln.

»Ist es nicht ein wunderbarer Monikin?«

»Wunderbar, in der That. Wie sehr beschämt er uns alle! Solch ein Monikin wird blos von der reinsten Liebe zu seinem Geschlecht getrieben.«

»Ja, er ist von einer Klasse, die wir die dritte Monikinschaft nennen. Nichts rührt uns so, wie die Grundsätze dieser Klasse.«

»Wie, habt Ihr mehr, als eine Klasse von Gefühlvollen?«

»Freilich, die Originalen, die Repräsentativen und die Spekulativen.«

»Ich brenne vor Verlangen, diese Unterscheidungen zu verstehen.«

»Die Originalen sind eine alltägliche Klasse; sie fühlen natürlich. Die Repräsentativen sind schon intellektueller, sie fühlen hauptsächlich durch Stellvertretung; die Spekulativen sind die, deren Sympathieen durch positive Interessen erregt werden, wie bei dem letzten Redner. Dieser hat kürzlich einen Meyerhof nach Morgen gekauft, den er wieder nach Dorfloosen fußweis verkaufen will; ein Krieg würde aber das Ganze zu Nichte machen. Dies treibt sein Wohlwollen so lebhaft an.«

»Ei, das ist nichts weiter, als eine Entwicklung des gesellschaftlichen Anhaltspunkts-Systems – –«

Ich wurde von dem Sprecher unterbrochen, der das Haus zur Ordnung rief. Die Abstimmung über den Vorschlag des letzten Redners sollte geschehen. Er lautete so: »Beschlossen, daß es ganz und gar der Würde und dem Charakter von Springdurch unangemessen ist, daß Springniedrig wegen einer so geringen Sache, als ein kleinlicher Vertrag zwischen den beiden Ländern ist, ein Gesetz erlassen sollte.«

»Einmüthig angenommen!« riefen fünfzig Stimmen, und Einmüthigkeit war auch da, worauf sich das ganze Haus in höchster Freude über den Erfolg die Hände drückte und schüttelte; denn es hatte ja auf eine sehr ehrenvolle und scharfsinnige Art diese verwirrende und unangenehme Sache erledigt.

Zwölftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Wirkung der Berechnungen auf die Moral; – eine Obscuration, eine Dissertation und eine Calculation.

Das Haus hatte sich noch nicht vertagt, als Kapitän Poke und ich mit einem Besuch von unserm Kollegen Herrn Geradaus beehrt wurden, der wegen einer Sache von der größten Wichtigkeit kam. Er hatte eine kleine Flugschrift in der Hand, und kaum waren die gewöhnlichen Begrüssungen vorüber, so lenkte er unsre Aufmerksamkeit auf einen Theil ihres Inhalts. Es schien, Springniedrig stand am Vorabend einer großen moralischen Verfinsterung; die Perioden und Daten des Phänomens (wenn man so das nennen kann, was zu häufig geschieht) waren von der Springhocher Akademie mit erstaunlicher Genauigkeit berechnet und als eine besondre Begünstigung durch seinen Gesandten unserm geliebten Lande zugesandt worden, damit wir nicht überrascht würden. Die Nachricht von der Sache lautete, wie folgt:

»Am dritten des Rußmonds wird der Anfang einer großen moralischen Verfinstrung in jenem Theil des Monikinlands eintreten, der unmittelbar unter dem Pol liegt. Der verfinsterte Körper ist das große Moral-Postulat, gewöhnlich Grundsatz genannt; und verdunkelt wird er durch das große unmoralische Postulat, das gewöhnlich Interesse heißt. Das häufige Zusammentreffen dieser zwei wichtigen Postulate hat bewirkt, daß in letztern Jahren unsre moralischen Mathematiker etwas nachlässig in ihren Berechnungen darüber waren; aber um diese unentschuldbare Gleichgültigkeit gegen einen der wichtigsten Umstände im Leben wieder gut zu machen, hat die calculirende Committee Auftrag erhalten, ungewöhnliche Aufmerksamkeit auf alle Verdunkelungen dieses Jahrs zu richten, und so ist denn dieses Phänomen, eins der entscheidendsten unsrer Zeit, mit der äußersten Genauigkeit und Sorgfalt berechnet worden. Wir geben die Resultate:

»Die Finsterniß wird beginnen mit Monikin-Eitelkeit, die in Contakt kommt mit Wohlthätigkeit um 1 Uhr frühe. Die Wohlthätigkeit wird ganz bedeckt werden 6 Stunden 17 Minuten lang vom Anfang des Zusammentreffens an. Der Durchgang einer politischen Intrigue wird alsbald folgen, wo dann Wahrheit, Ehrlichkeit, Uneigennützigkeit und Patriotismus alle der Reihe nach werden verfinstert werden, 3 St. 4 M. nachher. Der Schatten der Eitelkeit und politischen Intrigue wird erst noch dunkler werden durch die Annäherung des Glücks, und dem wird bald ein großes pekuniäres Interesse folgen, um 10 Uhr 2 M. 1 S. und in genau 2 St. und 3–7 S. wird das ganze Princip vollständig dem Auge entzogen sein. In Folge dieses frühen Durchgangs des dunkelsten Schattens, der je vom Interesse geworfen worden, werden die übrigen Schatten des Ehrgeizes, Hasses, der Eifersucht und aller andern kleinern Trabanten des Interesses unsichtbar sein.

»Das von dieser Finsterniß besonders betroffene Land ist die Republik Springniedrig, deren bekannte Verständigkeit und sonstige Tugenden vielleicht besser ihrem Einfluß widerstehen können, als sonst ein Land. Die Zeit der Verfinstrung wird sein 9 Jahre, 7 Monate, 26 Tage, 4 Stunden, 16 Minuten, 2 Secunden. Der Grundsatz wird dann dem moralischen Auge wieder erscheinen, erst durch die Annäherung des Unglücks, dessen Atmosphäre, weniger dicht, als die des Interesses, ein unvollkommenes Anschauen des verdunkelten Körpers gestatten wird; aber er wird nicht zu seinem vollkommnen Glanze hergestellt werden, bevor nicht das Elend eingetreten, dessen reinigende Farben alle Wahrheiten sichtbar machen, wiewohl durch ein düsteres Medium.«

Ich starrte den Brigadier voll Verwundrung und Staunen an. Es war nichts Merkwürdiges in der Verfinstrung, selbst, es war eine alltägliche Sache; aber die Genauigkeit, womit sie berechnet worden, fügte zu den andern Phänomenen noch den schrecklichen Umstand hinzu, daß man einen Blick in die Zukunft thun konnte. Ich begann nun den ungeheuren Unterschied einzusehen, mit Wissen unter einer moralischen Verfinsterung zu leben, und ohne Wissen; das Letztere war gewiß eine Kleinigkeit gegen das Erstere. Die Vorsehung hat sehr gut für unser Glück gesorgt, indem sie uns nicht über den gegenwärtigen Augenblick hinauszusehen vergönnte.

Noah nahm sich die Sache selbst noch mehr zu Herzen, als ich. Er sagte mir mit einem reuevollen und ahnenden Blick, daß wir sehr nahe der Herbst-Tag- und Nacht-Gleiche wären, wo wir dann eine natürliche Nacht von sechs Monaten haben würden, und wenn auch das wohlthätige Surrogat des Dampfes einiger Maßen das Uebel verringern würde, sei es doch immer ein böses Uebel, so lange Zeit die Sonne entbehren zu müssen. Er fände die ewige Taghelle schlecht genug; aber er glaube nicht, ihre gänzliche Abwesenheit ertragen zu können. Die Natur hätte ihn zu einem Wechselwesen, zu einem Wachablösungs-Geschöpf gemacht. Zwielicht, von dem so viel gesagt werde, sei noch schlimmer, als nichts, da es weder das eine, noch das andere wäre; er liebe die Dinge aus einem ganzen Stück. Ferner habe er das Schiff auf eine ferne Werfte geschickt, daß das gemeine Volk nicht mehr zu Kapitäne und Unteradmirale würde, und hier habe er vier Tage lang von nichts als Nüssen gelebt. Nüsse wären für Monikinphilosophie gut genug, aber er habe aus Erfahrung, daß sie für Menschenphilosophie den Teufel nichts nütze wären. So stünden die Sachen jetzt schon schlimm genug; ihn verlange nach ein wenig Pökelfleisch, das möge Jedermann wissen; es möge nicht sehr sentimental sein, aber es sei ein Kapitalessen auf der See; seine Natur sei so ziemlich nach Schwein, er glaube, die meisten Menschen hätten auf eine oder die andre Art mehr oder weniger schweinen in ihrer menschlichen Natur; Nüsse wären gut für Monikin-Naturen, aber Menschen-Natur liebe Fleisch; wenn Monikins es nicht liebten, brauchten sie es ja nicht zu essen; dann bliebe um so mehr für die, die es liebten; er verlange nach der natürlichen Nahrung, und nun gar neun Jahre in einer Finsterniß zu leben, davon könne gar keine Rede sein. Die längsten Stoningtoner Finsternisse dauerten selten über drei Stunden; er wisse von einer, die der Dechant Hochtrab ganz durchgebetet, von ihrer Erdnähe an bis zu ihrer Erdferne. Er schlage daher vor, daß ich und er ohne Weitres unsre Parlamentssitze aufgeben und das Wallroß so schnell, wie möglich, nördlich bringen sollten, damit wir nicht von der Polarnacht überfallen würden. Dem ehrenhaften Bob Schmutz aber, dem wünsche er kein größres Glück, als sein ganzes Leben zu bleiben, wo er sei, und seine acht Dollars in Nüssen täglich einzunehmen.

Obwohl es unmöglich war, Noah’s Gesinnungen nicht zu hören, und wenn man sie gehört, sie nicht zu würdigen, so wurde doch meine Aufmerksamkeit noch mehr durch des Brigadiers Benehmen, als durch die Jeremiade des Robbenfängers angezogen. Auf meine ängstliche Frage: ob er nicht wohl, antwortete unser würdiger- College kläglich: er trauere über das Unglück seines Landes.

»Ich hab‘ oft den Gang der Leidenschaften beobachtet, so wie den der kleinern Beweggründe, wie sie an der Scheibe des großen Moral-Grundsatzes vorüber gehen, aber eine Verfinstrung seines Lichts durch ein pekuniäres Interesse und auf so lange Zeit ist schrecklich. Der Himmel allein weiß, was aus uns werden wird.«

»Sind nicht bei allem dem diese Verfinsterungen blose Erklärungen des socialen Anhaltpunkt-Systems. Ich gestehe, diese Verdunklung, vor der Ihr so große Furcht zu haben scheint, ist bei näherem Nachdenken nicht so schrecklich, wie es anfangs erschien.«

»Ihr habt ganz Recht, Sir John, was den Charakter der Verfinstrung selbst betrifft, der natürlich von dem Charakter des dazwischentretenden Körpers abhängen muß. Aber die weisesten und beßten unsrer Philosophen behaupten, daß das ganze System, von dem wir nur ein unbedeutender Theil sind, auf gewisse unwandelbare Wahrheiten von einem göttlichen Ursprung gegründet ist. Die Vordersätze, die Postulate all dieser Wahrheiten, sind eben so viele moralische Führer in Behandlung der Monikin’schen Angelegenheiten, und sobald man sie aus dem Gesicht verliert, wie dies der Fall sein wird während jener kommenden neun schrecklichen Jahre, werden wir gänzlich der Selbstsucht anheim fallen. Nun ist aber Selbstsucht nur zu furchtbar, wenn sie auch von Grundsätzen in Schranken gehalten wird; wird sie aber ihren eignen um sich greifenden Gelüsten und kühnen Sophismen überlassen, dann ist mir die moralische Perspektive schrecklich. Wir sind nur zu geneigt, unsre Augen von dem Grundsatz abzuwenden, wenn er in himmlischem Glanz und in voller Glorie vor uns scheint; so ist es denn nicht schwer, die Folgen voraus zu sehen, die aus seiner gänzlichen und andauernden Verdunklung hervorgehen müssen,«

»Ihr glaubt also, daß es eine über das Interesse erhabene Regel gibt, die in Leitung der Monikin-Angelegenheiten beachtet werden sollte.«

»Ohne Zweifel; in was würden wir uns denn sonst von den Raubthieren unterscheiden?«

»Ich sehe nicht recht, ob dies mit den Begriffen der Staatsökonomen nach dem socialen Anhaltspunktssystem übereinstimmt oder nicht.«

»Wie Ihr sagt, Sir John, es stimmt damit überein, und auch nicht. Euer sociales Anhaltspunktsystem setzt voraus, daß, wer ein sogenanntes besondres, in die Augen fallendes Interesse an der Staatsgesellschaft hat, am wahrscheinlichsten ihre Angelegenheiten weise, gerecht und uneigennützig führen wird. Dies wäre wahr, wenn die großen Principien, die an der Wurzel alles Glücks liegen, geachtet würden; aber leider! ist der fragliche Anhaltspunkt, statt ein Anhalt in Gerechtigkeit und Tugend zu sein, gewöhnlich zu einem blosen Anhalt im Eigenthum herabgewürdigt. Nun zeigt alle Erfahrung, daß die großen Eigenthums-Antriebe nur die sind, das Eigenthum zu schützen, und mit Eigenthum die Vortheile zu erkaufen, die vom Eigenthum ganz unabhängig sein sollten, nämlich: Ehren, Würden, Macht und Freiheiten. Ich kann nicht sagen, wie’s bei den Menschen ist, aber unsre Geschichte ist in diesem Punkt beredt. Wir hatten das Eigenthumsprincip überall angewandt, und der Erfolg hat bewiesen, daß seine Hauptwirkung ist, das Eigenthum so unantastbar, wie möglich, zu machen, und dagegen die Knochen, Sehnen und das Mark aller derer, die nichts besitzen, zu seinen Sklaven. In der That, es hat eine Zeit gegeben, wo die Reichen frei waren von den Beiträgen zu den gewöhnlichen Bedürfnissen des Staats. Aber es ist ganz unnöthig, über diesen Gegenstand Theorieen aufzustellen; denn an jenem Geschrei in den Straßen hört man schon, die Verfinsterung beginnt, und wir werden bald nur zu viel praktische Belehrung haben.«

Der Brigadier hatte Recht; ein Blick auf die Uhr, und es fand sich in der That, daß die Verdunklung schon seit einiger Zeit begonnen, und daß wir am Abhang einer vollständigen Verfinsterung des Grundsatzes standen, und zwar durch die gemeinste und schmutzigste aller Triebfedern, – das Geldinteresse.

Das erste Zeichen von dem wahren Zustand der Dinge war die Sprache des Volks. Das Wort Interesse war in jedes Monikins Munde, während das Wort Grundsatz, wie billig, gänzlich aus dem Springniedriger Wörterbuch ausgelöscht schien. Die lokalen Ausdrücke in unsre Sprache überzutragen, schien die Hälfte der Landessprache in das einzige Wort Thaler zusammengedrängt: Thaler – Thaler – Thaler, nichts als Thaler. Fünfzig Tausend Thaler, – zwanzig Tausend Thaler, – hundert Tausend Thaler, drang sich auf an jeder Straßenecke. Diese Worte ertönten in allen Winkeln, auf den Landstraßen, an der Börse, in den Boudoirs, ja selbst in der Kirche. War ein Tempel zur Gottesverehrung aufgeführt worden, so war die erste Frage, wie viel er kostete. Stellte ein Künstler die Früchte seiner Mühen dem Geschmack seiner Mitbürger dar, so lispelte es unter den Schauenden, wie viel Curant-Münze der Republik wohl dafür zu bezahlen sei. Legte ein Schriftsteller die Ergüsse seines Genies denselben Richtern vor, so wurde ihr Werth auf dieselbe Art bemessen; und ein Geistlicher, der einen ernsten, aber unzeitigen Aufruf an die Mildthätigkeit seiner Landsleute erlassen, indem er zugleich die Schönheiten und Belohnungen des gottgefälligen Reichthums darlegte, ward gänzlich niedergebracht durch den Beweis, daß sein Vorschlag beträchtliche Auslagen mache, ohne klar zu zeigen, wie viel man durch das Gelangen zum Himmel gewinne.

Brigadier Geradaus hatte gute Gründe für seine düstre Ahnungen. Denn alle Vorzüge, Kenntnisse und Erfahrungen, durch Jahre langes Reisen erlangt, erwiesen sich jetzt als gänzlich nutzlos. Wenn mein ehrenwerther Kollege und Reisegefährte eine Bemerkung über auswärtige Politik wagte, worauf er großes Nachdenken verwandte, antwortete man ihm mit einem Spruch aus der Börse; eine Bemerkung über eine Sache des Geschmacks gab sicher zu einer genauen Unterscheidung zwischen dem Geschmack gewisser Liqueure nebst einer spitzfindigen Untersuchung ihrer verschiedenen Preise Veranlassung; und ein Mal, als der würdige Monikin zeigen wollte, und zwar, wie mir schien, aus sehr guten Daten, daß die auswärtigen Verhältnisse große Festigkeit, eine gehörige Klugheit und viel Vorsicht verlangten, ward er vollständig von einem Gegner zum Schweigen gebracht, der nach den letzten Verkäufen den hohen Werth der Ausfuhr bewies.

Kurz, man konnte keinen Gegenstand in Anregung bringen, der sich nicht auf die gewöhnliche Art in Thalern umwandeln ließ. Die Bethörung verbreitete sich von Vater auf Sohn, von Mann auf Weib, von Bruder auf Schwester, und von einem Verwandten zum andern, bis sie so ziemlich alles das umfaßte, was man gewöhnlich Staatsgesellschaft nennt. Noah fluchte bitterlich über diesen widerwärtigen Zustand der Dinge; er versicherte, er könne keine Wallnuß in einer Ecke aufkrachen, ohne daß ihm jeder Monikin die Lust, so gering sie auch wäre, mißgönnte, und Stonington, obwohl ein kleinstädtischer Ort, sei doch ein Paradies gegen Springniedrig in seinem gegenwärtigen Zustand.

Es war traurig, zu bemerken, wie der Glanz der gewohnten Tugenden dunkel ward, je mehr die Verfinsterung fortdauerte, und das Auge gewöhnte sich nach und nach an das Düstre, das der Schatten vom Geldinteressen von sich warf. Ich schauderte unwillkürlich vor der offnen und unverhüllten Weise zurück, wie die Einzelnen, die sonst für ehrenwerthe Monikins gelten konnten, von den Mitteln sprachen, die sie gewöhnlich zur Erreichung ihrer Zwecke anwandten, und ihr gänzliches Vergessen des großen Princips an den Tag legten, das verhüllt war. Einer prahlte kühn, wie viel listiger er sei, als das Gesetz; ein Andrer bewies überzeugend, daß er seinen Nächsten übervortheilt, während ein Dritter, kühner oder erfahrner, die ganze Nachbarschaft betrogen. Der hatte den Vorzug der List, der der Verstellung, ein Andrer des Betrugs, und Alle den Vorzug des Erfolgs.

Der Schatten warf seinen bösartigen Einfluß auf jedes Interesse des Monikinschen Lebens. Tempel wurden Gott aus Spekulation errichtet, die Regierung ward in ein Geldgeschäft verkehrt, wo Vortheil, und nicht Gerechtigkeit und Sicherheit der Zweck war; der heilige Ehestand erhielt den Anschein von Kaufen und Verkaufen, und Wenige beteten, die nicht geistige Wohlthaten mit Gold und Silber identificirten.

Der Alles beherrschende Hang meines Vorfahren begann bald sich in Springniedrig zu zeigen. Viele dieser reinen und unphilosophischen Republikaner schrieen: »Das Eigenthum ist in Gefahr!« ganz so laut, als es jemals Sir Joseph Job geheult, und dunkle Anspielungen auf Revolutionen und Bayonette wurden gemacht. Aber ganz gewisse Zeichen von der Obermacht der Finsterniß und von dem schweren Druck des Geldinteresses auf dem Lande fand man in der Sprache der sogenannten »Wenigen.« Sie warfen, wie Fischweiber, Koth auf alles ihnen Entgegengesetzte, ein sichres Zeichen, daß der Geist der Selbstsucht vollständig erwacht war. Aus vieler Erfahrung halte ich dies Kennzeichen für untrüglich, daß dann das aristokratische Gefühl thätig und wach ist. Ich habe noch nie ein Land gesehen, wo eine Minderheit sich es in den Kopf setzte, sie sei allein fähig, ihren Mitbürgern Gesetze zu geben, ohne daß sie alsbald ihre Stellung dadurch zeigte, daß sie herabwürdigende Namen erfand. Darin sind die »Wenigen« wie Weiber, die, ihrer Schwäche sich bewußt, selten den Mangel an Kraft in ihren Gliedern dadurch zu ersetzen verfehlen, daß sie zur Kraft ihrer Zunge ihre Zuflucht nehmen. Der »Eine« hängt auf, die »Vielen« herrschen durch die Würde der Kraft, die »Wenigen« tadeln und schelten. Dies ist, glaub‘ ich, in der ganzen Welt so, nur etwa die Fälle ausgenommen, wo auch die »Wenigen« zufällig das Vorrecht des Hängens genießen.

Es ist bemerkenswerth, daß die Ausdrücke »Pöbel,« »Desorganisateurs,« »Jakobiner« und »Agrarier« unter diesem bösartigen Einfluß in Springniedrig ganz mit demselben Recht, Geschmack und Unterscheidung gegenseitig dem Einen vom Andern beigelegt wurden, wie mein Vorfahr in London sie einige Jahre früher gebraucht hatte. Gleiche Ursachen bringen bekanntlich gleiche Wirkungen hervor, und nichts gleicht so sehr einem am Eigenthums-Fieber leidenden Engländer, als ein Springniedriger Affe, der an derselben Krankheit darnieder liegt.

Der durch den Schatten des Geld-Interesses auf den Stand der Parteien hervorgebrachte Einfluß war so seltsam, daß er eine besondre Erwähnung verdient. Patrioten, längst durch ihren Eifer in Unterstützung ihrer Freunde bekannt, verließen ganz offen ihre Ansprüche auf die Belohnungen des kleinen Lotterie-Rads, und gingen zum Feind über, und zwar ohne daß sie geheimnißvolle Sprünge zu Hülfe genommen.

Richter Volksfreund war für den Augenblick ganz vernichtet, so daß er selbst ernsthaft an die Annahme einer zweiten Mission dachte; denn während dieser Verfinsterungen galten lange Dienste, politische Tugend, berechnete Höflichkeit und alle andre angenehme Eigenschaften eines Patrioten für Nichts, wenn sie gegen Vortheil und Verlust abgewogen werden. Es war noch sehr glücklich, daß die Springdurch-Angelegenheit ihrem Wesen nach so gut beendigt worden, wiewohl die Unruhe derer, die das Land zollweise kauften und verkauften, auch dies ihr Interesse wieder vor’s Publikum brachten, indem sie verlangten, man solle einige Millionen auf Zerstörung der Kriegsmunition verwenden, damit nicht die Nation sich unvorsichtiger Weise reizen lasse, sie zu ihrem natürlichen Zweck zu gebrauchen. Die Kreuzer wurden daher in den Fluß heraufgeholt und zu Mühlen verwandt, die Flintenläufe sahen sich in Gasröhren verwandelt, und die Festungswerke wurden so schnell, wie möglich, zu Waarenhäuser und Theepflanzungen eingerichtet. Nun wurde es ziemlich Mode, zu versichern, der vorgerückte Stand der Bildung habe alle künftige Kriege ganz unmöglich gemacht. In der That, der Einfluß der Finsterniß auf die Humanität en gros war ganz eben so merkwürdig, als seine entgegengesetzte Wirkungen auf die Humanität en détail.

Die öffentliche Meinung zeigte ebenfalls bald, wie gänzlich sie unter dem Einfluß des Schattens stünde. Tugend ward nach Koupons abgemessen. Die Reichen eigneten sich ohne Zaudern und auch ohne Widerstand den alleinigen Gebrauch des Wortes »ehrbar« zu, während Geschmack, Urtheil, Ehrlichkeit und Weisheit gleich Erblehen ruhig in den Besitz derer übergingen, die Geld hatten. Die Springniedriger waren ein Volk von grossem Scharfsinn und seltner Kenntniß der Einzelheiten. Jeder angesehene Mann ließ sich bald seine sociale Stellung anweisen, und die ganze Gemeinde wurde in Klassen von Hundert-Tausend-Thaler-Monikins, von Fünfzig-Tausend-Thaler u.s.w. eingetheilt. Große Kürze im Ausdruck war eine Folge dieses Zustands. Die alten Fragen: Ist er ehrlich? ist er fähig? erleuchtet? weise? ist er gut? wurden alle in den wenigen Worten begriffen: Ist er reich? –

Dieser ungewöhnliche Zustand der Dinge hatte eine Wirkung, die ich nicht vorausgesehn. Alle gelderwerbende Klassen ohne Ausnahme zeigten eine große Vorliebe für, was man nennt, eine strenge Regierung, und da Springniedrig nicht nur ein Freistaat, sondern recht eigentlich eine Volksherrschaft war, fand ich, daß bei weitem der größre Theil dieser hochehrbaren Klasse mit seinem Wunsch nach einer Aendrung gar nicht zurückhielt.

»Wie ist das?« fragte ich den Brigadier, den ich selten verließ; denn sein Rath und seine Ansichten waren mir besonders in dieser seltsamen Krisis von großer Wichtigkeit; »wie ist das, mein Lieber? Ich bin immer der Ansicht geneigt gewesen, daß der Handel besonders nach Freiheit verlangt; und hier sind doch alle Eure kommerciellen Interessen am lautesten in ihrem Geschrei gegen die Institutionen.«

Der Brigadier lächelte, es war aber ein wehmüthiges Lächeln; denn sein Bewußtsein schien ihn ganz verlassen zu haben.

»Es gibt drei große Abtheilungen unter den Politikern,« sagte er: »die, welche die Freiheit ganz und gar nicht lieben; die, welche sie nur so weit, als ihre besondre Klasse geht, lieben, und die, welche sie um ihrer Nebenmenschen willen lieben. Die Erstern sind nicht zahlreich, aber mächtig durch Kombinationen; die Zweiten bilden ein sehr unregelmäßiges Korps, da sie eigentlich Jedermann in sich einschließen, es fehlt ihnen aber nothwendig Eintracht und Zucht, da keiner über sich hinaus geht; der Dritten sind nur wenige, – ach, wie wenige! und sie bestehen aus denen, die über ihren Eigennutz hinaussehen. Nun sind die Kaufleute, die in Städten wohnen und Eintracht, Mittel und Gleichheit der Interessen haben, im Stande gewesen, sich durch ihr Ringen mit despotischer Gewalt auszuzeichnen, – eine Thatsache, die ihnen leichten Kaufs den Ruf freisinniger Ansichten verschafft hat; aber, so weit Monikin’sche Erfahrung geht, (die Menschen mögen sich vielleicht besser gezeigt haben) ist keine Regierung, die wesentlich unter dem Einfluß des Handels steht, je anders als exklusiv und aristokratisch gewesen.«

Ich dachte an Venedig, Genua, Pisa, die Hanse-Städte und all die andern Plätze dieser Art in Europa, und fühlte die Wahrheit von meines Freundes Unterscheidung; zugleich mußte ich bemerken, wie vielmehr die Menschen unter dem Einfluß von Namen und Abstraktionen, als unter dem der wirklichen Dinge stehen. Dieser Ansicht stimmte der Brigadier gerne bei und bemerkte zugleich, daß eine gut ausgedachte Theorie gemeiniglich mehr auf die öffentliche Meinung wirke, als tausend Thatsachen; eine Wirkung, die er dem Umstand zuschrieb, daß die Monikins eine vorherrschende Neigung hätten, sich die Mühe des Denkens zu ersparen.

Besonders überraschten mich die Wirkungen der Verdunklung des Princips auf die Beweggründe. Ich hatte oft bemerkt, wie es gar nicht sicher sei, sich auf seine eignen Beweggründe zu verlassen, und das aus zwei triftigen Gründen; erstlich, wüßten wir nicht recht, welches unsre Beweggründe, und zweitens, dies auch zugegeben, wäre es ganz unvernünftig, vorauszusetzen, unsre Freunde würden die dafür halten, die wir selbst dafür hielten. Gegenwärtig sehe jeder Monikin die Schwierigkeit ein, aber statt zu warten, bis seine Bekannten ihm als leitenden Grundsatz eine moralische Wundernatur zuschrieben, nähme er klüglich einen mäßig selbstischen Beweggrund zu seinen Handlungen, den er mit einer Einfachheit und Freimüthigkeit zugestände, welche gemeiniglich Glauben fänden. In der That, die Thatsache ein Mal zugestanden, daß der Beweggrund nicht auf eine beleidigende Art uneigennützig und gerecht sei, sei Niemand abgeneigt, auf die Pläne seines Freundes zu hören, der gemeiniglich in der Achtung steige, je mehr er scharfsinnig berechnend und listig erfunden werde. Der Erfolg von allem diesem sei, daß die Gesellschaft dadurch außerordentlich einfach und aufrichtig würde; und wer nicht an so viel Aufrichtigkeit gewöhnt und mit der Ursache unbekannt wäre, mögte leicht genug manch Mal meinen, der Zufall habe ihn in eine ungewöhnliche Verbrüderung von Künstlern versetzt, die, wie man es gewöhnlich ausdrückt, nur von ihrem Witze leben. Ich gestehe, wäre es in Springniedrig Sitte gewesen, Taschen zu tragen, ich wäre oft wegen ihres Inhalts in Besorgniß gerathen; denn so ganz und gar unsophistische Ansichten wurden unter dem Einfluß der Finsterniß so offen dargelegt, daß man unvermeidlich öfter, als angenehm war, vermogt wurde, an die Beziehungen zwischen Mein und Dein zu denken, so wie an die unerwarteten Ursachen, durch welche sie manch Mal gestört wurden.

Den zweiten Tag der Verfinsterung trat eine Erledigung unter den Deputirten von Bivouac ein, und der Bewerber der Horizontalen wäre gewiß erwählt worden, wäre nicht ein mit diesen Beweggründen verbundnes Ereigniß dazwischen getreten. Das Individuum hatte vor Kurzem gethan, was in den meisten andern Ländern und unter andern Umständen für einen sehr deutlichen Beweis patriotischen Gefühls gegolten haben würde, welches aber jetzt von seinen Gegnern als ein ganz offenbares Zeichen seiner gänzlichen Unfähigkeit, ihre Interessen zu vertreten, dargestellt ward. Die Freunde des Bewerbers ließen sich erschrecken, und leugneten voll Unwillen die Beschuldigung der Perpendikularen, indem sie versicherten, ihr Monikin sei gehörig für das, was er gethan, bezahlt worden. In einer unglücklichen Stunde ließ es sich der Bewerber beikommen, vermittelst eines Handschreibens zu versichern, daß kein andrer Beweggrund, als das Verlangen auf ihn Einfluß gehabt, zu thun, was er für recht gehalten. Solch ein Mann ward für vernachlässigt in natürlichen Anlagen gehalten, und so unterlag er natürlich; denn die Springniedriger Wähler sind nicht solche Esel, daß sie die Sorge für ihre Interessen einem Manne anvertrauten, der so wenig sein eignes zu wahren verstand.

Um diese Zeit brachte auch ein berühmter dramatischer Schriftsteller ein Stück zum Vorschein, wo der Held aus Patriotismus Wunder verrichtete, und zum Lohn wurde seine Arbeit alsbald verworfen. Parterre und Logen – doch stimmten die Gallerien nicht bei – entschieden, daß es ganz gegen alle Natur wäre, einen Monikin darzustellen, der auf diese unerhörte Art ohne Beweggrund sich Gefahren aussetzte. Der unglückliche Wicht änderte die letzte Scene, indem er seinen Helden durch eine gute runde Summe Geld belohnen ließ, und nun hatte das Stück einen ziemlichen Erfolg für den übrigen Theil der Saison, wiewohl ich zweifle, daß es je so populär wurde, als es der Fall gewesen, wenn man diese Vorsicht vor seiner ersten Aufführung genommen.

Erstes Kapitel.

Erstes Kapitel.

Des Verfassers Stammbaum, – sowie auch der seines Vaters.

Der Philosoph, der eine neue Lehre verkündet, ist gehalten, wenigstens einige Grundbeweise von der Vernunftmäßigkeit seiner Sätze zu liefern, und der Geschichtschreiber, der Wunder zu erzählen wagt, die bis dahin von menschlicher Erkenntniß verborgen gehalten worden, ist es einer gebührenden Rücksicht für die Meinungen andrer schuldig, einige glaubhafte Zeugnisse für seine Wahrhaftigkeit beizubringen. Ich bin in Hinsicht dieser beiden großen Erfordernisse in einer besondren Lage, da ich für meine Philosophie wenig mehr als ihre Wahrscheinlichkeit, und keinen andern Zeugen als mich selbst aufzuweisen habe, um die wichtigen Thatsachen zu begründen, die jetzt zum ersten Mal der lesenden Welt vorgelegt werden sollen. In dieser Verlegenheit fühle ich recht wohl die Verantwortlichkeit, die ich auf mich nehme, denn es gibt Wahrheiten von so wenig anscheinender Wahrscheinlichkeit, daß sie Erdichtungen gleichen, und ferner der Wahrheit so ähnliche Erdichtungen, daß der gewöhnliche Beobachter geneigt ist zu versichern, er sei ein Augenzeuge ihrer Wirklichkeit gewesen; zwei Thatsachen, welche alle unsre Geschichtschreiber wohl thun würden sich zu Gemüth zu führen, da eine Kenntniß der Umstände ihnen den Schmerz ersparen würde, Zeugnisse, die ihnen viele Mühe kosten, in dem einen Fall in Mißcredit gebracht zu sehen, und in dem andern viele peinvolle und unnöthige Mühe zu vermeiden. Also sowohl in Hinsicht dessen, was der Franzose die pièces justificatives meiner Theorien nennen würde, als auch was meine Thatsachen betrifft, auf mich selbst zurückgewiesen, sehe ich keinen andern Weg, den Leser zu bewegen mir zu glauben, als indem ich eine ungeschminkte Nachricht von meiner Abstammung, Geburt, Erziehung und Leben bis zu der Zeit gebe, wo ich Augenzeuge jener wunderbaren Begebenheiten ward, die ich das Glück habe zu erzählen, und womit zu seinem Glück der Leser jetzt bekannt gemacht werden soll.

Ich werde mit meiner Abstammung, meinem Stammbaum beginnen, sowohl weil es die gewöhnliche Ordnung der Dinge so mit sich bringt, als auch um von diesem Theil meiner Erzählung gehörigen Vortheil zu ziehen, da er nicht nur dem übrigen Glaubwürdigkeit verschaffen wird, sondern auch dazu beitragen mag, Wirkungen auf ihre Ursachen zurückzuführen.

Ich habe mich gemeiniglich als auf gleichem Fuß mit den ältesten Edelleuten Europa’s angesehen, da wenige Familien klarer und direkter in den Nebel der Zeiten hinaufgeführt worden, als die, deren Glied ich bin. Meine Abkunft von meinem Vater wird unbestreitbar dargethan sowohl durch die Pfarrregister als durch das Testament von ihm selbst; und ich glaube, niemand kann die Wahrheit des ganzen Stammbaums seiner Familie deutlicher beweisen, als ich es im Stande bin mit dem meines Vorfahrs bis zur Stunde, wo er, zwei Jahre alt, schreiend vor Kälte und Hunger in dem Kirchspiel St. Giles in Westminster in dem vereinten Königreich Großbritanien gefunden ward. Ein Orangen-Weib hatte Erbarmen mit seinem Leiden. Sie sättigte ihn mit einer Brodkruste, wärmte ihn mit Wermuthbier und dann geleitete sie ihn voll Menschlichkeit zu einem Manne, mit welchem sie von jeher häufige aber ärgerliche Verhandlungen hatte, – zu dem Gemeindeaufseher. Der Fall mit meinem Vorfahr war so dunkel, daß er ganz klar war. Niemand konnte sagen, wem er angehörte, woher er gekommen, oder was etwa aus ihm werden sollte; und da das Gesetz damals noch nicht zuließ, unter Umständen wie diese, die Kinder auf der Straße verhungern zu lassen, sah sich der Gemeindeaufseher, nachdem er alle geeignete Schritte gethan, um die Kinderlosen und Barmherzigen seiner Bekannten zu dem Glauben zu vermögen, solch ein verlassenes Kind sei als besondres Pfand von der Vorsehung einem jeden von ihnen ins Besondre bestimmt, genöthigt, meinen Vater der Obhut einer der gewöhnlichen Ammen des Kirchspiels zu übergeben. Es war ein großes Glück für die Authenticität dieses Stammbaums, daß des Orangen-Weibes Verwenden diesen Erfolg hatte, denn wäre mein Vater den glücklichen Zufällen und edelmüthigen Launen freiwilliger Wohlthätigkeit ausgesetzt gewesen, so ist es mehr als wahrscheinlich, ich würde einen Schleier über jene wichtigen Jahre seines Lebens werfen müssen, die er notorisch im Arbeitshause zubrachte, und die jetzt, in Folge dieses Vorfalls, leicht durch rechtskräftige Beweise und documentarische Evidenz beglaubigt werden können.

So geschieht es denn, daß in den Jahrbüchern unsrer Familie sich keine Lücken finden; selbst jene Periode, die gewöhnlich nur mit Mährchen und eitlen Erzählungen in dem Leben der meisten Männer ausgefüllt wird, ist Gegenstand eines gesetzlichen Aufzeichnens in dem Leben meines Vorfahren, und war es so immer bis zum Tag seiner angenommenen Volljährigkeit, da er einem sorgsamen Meister den Augenblick übergeben ward, wo der Pfarrsprenkel mit einigem gesetzlichen Grund, denn von Schicklichkeit und Anstand kann ja hier keine Rede sein, seiner los werden konnte. Ich hätte bemerken sollen, daß das Orangen-Weib von dem Schild eines Metzgers, dessen Thür gegenüber mein Vorfahr gefunden ward, Veranlassung nahm, ihm sehr scharfsinnig den Namen Thomas Goldenkalb zu geben.

Dieser zweite wichtige Uebergang in der Geschichte meines Vaters, seine Lehrzeit nämlich, kann als eine Vorbedeutung seines künftigen Glücks betrachtet werden. Er ward Lehrling bei einem Händler in Mode-Artikeln, bei einem Ladeninhaber, der mit solchen Gegenständen verkehrte, wie sie gewöhnlich von denen gekauft werden, die nicht recht wissen, was sie mit ihrem Gelde thun sollen. Dieses Gewerb war von ausserordentlichem Nutzen für das künftige Wohlergehen des jungen Abentheurers, denn ungerechnet die bekannte Thatsache, daß die, welche ergötzen, weit besser bezahlt werden, als die, so belehren, so setzte ihn auch seine Stellung in den Stand, jene Launen der Menschen zu studieren, welche, wenn gehörig geleitet, an sich selbst eine Mine des Reichthums sind, und ausserdem zu der wichtigen Wahrheit führen, daß die größten Begebenheiten dieses Lebens weit öfter das Ergebniß des bloßen Antriebs als der Berechnung sind.

Ich habe es in direkter Ueberlieferung mündlich von den Lippen meines Großvaters überkommen, daß niemand in dem Charakter seines Herrn hätte glücklicher sein können als er selbst; dieser Mann, der zu rechter Zeit als mein Großvater von mütterlicher Seite sich erwieß, war einer jener vorsichtigen Krämer, die andre aus eignem Vortheil in ihren Thorheiten bestärken, und die Erfahrung von fünfzig Jahren hatte ihn in den Kniffen seines Handwerks so gewandt gemacht, daß er selten eine neue Ader in seiner Mine anschlug, ohne sich für sein Beginnen durch einen Erfolg belohnt zu sehen, der seinen Erwartungen gänzlich entsprach.

»Tom,« sagte er eines Tags zu seinem Lehrling, als die Zeit Vertrauen zwischen ihnen hervorgebracht, und gleiche Gefühle geweckt hatte, »du bist ein glücklicher Junge, oder der Gemeindeaufseher hätte dich nie zu meiner Thür gebracht. Du kennst schlecht den Reichthum, der für dich aufgespeichert ist, alle die Schätze, die zu deinem Befehl stehen, wenn du dich eifrig erweisest, und besonders treu meinen Interessen bist.« Mein vorsichtiger Großvater ließ selten eine Gelegenheit vorübergehen, ohne eine nützliche Moral einfließen zu lassen, obgleich auch im Allgemeinen sein Handel durch Wahrhaftigkeit sich auszeichnete. »Nun wie hoch denkst du, Junge, beläuft sich mein Kapital?«

Mein Vorgänger in männlicher Linie wagte keine Antwort, denn bis jetzt waren seine Gedanken auf den Profit beschränkt gewesen, und nie hatte er gewagt, seine Ideen bis zu jener Quelle zu erheben, aus der, wie er nothwendig sehen mußte, er in reichem Strom herfloß; aber auf sich selbst beschränkt durch diese unerwartete Frage, und schnell in den Zahlen, fügte er zehn Prozent zu der Summe, welche, wie er wußte, letztes Jahr der Netto-Gewinn ihrer vereinten Kunstfertigkeit gewesen, hinzu, und nannte den Betrag als Antwort auf die Frage.

Mein Großvater von mütterlicher Seite lachte meinem direkten Lenear-Vorfahren gerade zu in das Gesicht. »Du urtheilst, Tom,« sagte er, als seine Lustigkeit sich ein wenig gelegt hatte, »nach dem, was du für die Interessen des wirklichen Kapitals vor deinen Augen hältst, während du auch das in Rechnung bringen solltest, was ich unser schwebendes Kapital nenne.«

Tom sann einen Augenblick; denn wenn er auch wußte, daß sein Herr Geld in den Fonds hatte, so rechnete er doch das nicht als einen Theil der verfügbaren Mittel, die mit seinem gewöhnlichen Geschäft zusammengehangen hätten; und in Hinsicht des schwebenden Kapitals sah er nicht recht ein, wie es von großem Belang sein konnte, da das Mißverhältniß zwischen dem Einkaufspreiß und den Verkaufspreißen der einzelnen Artikel, womit sie handelten, so groß war, daß bei einer solchen Untersuchung nicht viel herauskommen konnte. Da jedoch sein Herr selten für etwas bezahlte, bevor er nicht im Besitz des Einkommens davon war, welches die Schuld einige sieben Mal überstieg, dachte er anfangs, der alte Mann spiele auf die Vortheile an, die er durch Credit erlangte, und nach einigem weitern Nachdenken faßte er ein Herz und sagte noch ein Mal soviel.

Nochmals überließ sich mein mütterlicher Großvater einem herzlichen Lachen. »Du bist geschickt auf deine Art, Tom«, sagte er, »und ich liebe die Genauheit deiner Rechnungen, denn sie zeugen von Talent für die Handlung; aber in unserm Beruf liegt Genie sowohl als Geschicklichkeit. Komm hierher, Junge,« fügte er hinzu, und zog Tom an ein Fenster, von wo sie die Nachbarn auf ihrem Weg zur Kirche sehen konnten, denn an einem Sonntag überließen sich meine zwei vorsichtigen Vorfahren diesen moralischen Ansichten von der Menschheit, als besonders passend für diesen Tag. »Komm hierher, Junge, und du sollst einen kleinen Theil jenes Kapitals sehen, welches, während du es versteckt glaubst, draußen herschreitet am Tageslicht und in den offenen Straßen. Hier, du siehst das Weib unseres Nachbars, des Pastetenbäckers, mit welchem Air wirft sie ihr Haupt, und zeigt die Schleife, die du ihr gestern verkauftest; nun eben jene, müßig und eitel, und wenig trauenswerth wie sie ist, sie trägt einen Theil meines Kapitals bei sich.«

Mein würdiger Vorfahr staunte, denn er wußte nicht, daß der andere jemals sich einer solchen Unvorsichtigkeit schuldig gemacht, um einem Weibe zu trauen, das, wie sie beide wußten, mehr kaufte, als ihr Mann zu bezahlen Willens war.

»Sie gab mir eine Guinee, Meister, für das, was nicht sieben Shillinge kostete.»

»Freilich, Tom, und Eitelkeit trieb sie dazu; ich stelle auf ihre Thorheit, Junge, und auf die aller andern, Wechsel aus; nun siehst du nicht, mit welchem Kapital ich meine Geschäfte führe. Dort, dort ist die Magd, die da hinten die Oberschuhe trägt; ich zog erst letzte Woche auf mein Kapital in jenes Weibes Besitz eine halbe Krone.«

Tom dachte lange Zeit über diese Anspielungen seines vorsichtigen Meisters nach, und obgleich er sie fast eben so gut verstand, als sie von den Eigentümern der sanften Augen und sich spreitzenden Backenbärten unter meinen Lesern verstanden sein werden, gelangte er doch durch Nachdenken zuletzt zu einem praktischen Verstehen des Gegenstandes, den er, ehe er noch in den dreißigen war, ziemlich wohl, um einen französischen Ausdruck zu gebrauchen, exploitirt hatte.

Ich höre nach unbestreitbarer Ueberlieferung, die ich auch aus dem Mund seiner Zeitgenossen empfangen, daß die Ansichten meines Vorfahrs zwischen zehen und vierzig einige wesentliche Veränderungen erlitten; ein Umstand, der mich oft auf den Gedanken gebracht, daß man wohl thun würde, nicht zu sehr auf seine Grundsätze während der beugsamen Periode des Lebens zu vertrauen, wo das Gemüth, gleich dem zarten Schößling, leicht auf die Seite gewandt und der Einwirkung der umgebenden Ursachen unterworfen wird.

Während der früheren Jahre der Bildungsperiode bemerkte man in meinem Vorfahr lebhafte Gefühle des Mitleids beim Anblick von verlassenen Kleinen; auch sah man ihn niemals an einem Kind, besonders an einem Knaben vorübergehen, der noch im Flügelkleide war, und vor Hunger in den Straßen schrie, ohne seine Brodkruste mit ihnen zu theilen. In der That diese seine Gewohnheit soll beständig und gleichförmig gewesen sein, jedes Mal wenn dies Begegnen Statt hatte, nachdem mein würdiger Vater sein eignes Mitgefühl durch ein gutes Mittagessen geschärft hatte, ein Umstand, der einer lebhaftemrn Mitempfindung des Vergnügens, das er verschaffen wollte, zugeschrieben werden mag.

Nach seinem sechszehnten Jahre hörte man ihn manchmal von Politik reden, ein Gegenstand, über den er sich vor seinem zwanzigsten mit Erfahrung und Beredsamkeit ausließ. Sein gewöhnliches Thema war Gerechtigkeit und die heiligen Rechte des Menschen, über welche er bisweilen sehr glänzende Sprüche äußerte, wie sie recht eigentlich einem Manne zukamen, der auf dem Boden des großen Staatstopfs sich befand, welcher damals wie jetzt, tüchtig kochte, und wo ihm die Hitze, die den Topf in Wallungen erhielt, am fühlbarsten ward. Man versichert mich, über Taxen, über die Unbilden Amerika’s und Irland’s konnten wenig junge Leute in dem Pfarrsprengel mit mehr Eifer und Salbung reden. Um diese Zeit hörte man ihn auch in den Straßen rufen: Wilkes und Freiheit!

Aber wie dies bei allen Leuten von seltnen Fähigkeiten so ist, es fand sich im Gemüth meines Vorfahrs eine Centralisation von Kräften, welche bald alle seine herumschweifenden Sympathien, den bloßen Auswuchs lebhafter, überfließender Gefühle, zu einer gehörigen und nützlichen Unterwerfung brachte, indem sie alles in das Eine verschlingende und geräumige Gefach seines eignen Selbst zusammenfaßte. Ich nehme für meinen Vater in der Hinsicht nichts Besondres in Anspruch; wie oft habe ich solche Leute beobachtet; gleich unvernünftigen Reutern, die, ehe sie nur noch fest im Sattel sitzen, vielen Staub erregen, und herum trotten, als wenn die Heerstraße für ihre excentrische Ritte zu enge wäre, die aber hernach gerade auf ihr Ziel losschießen, wie der Pfeil vom Bogen, – ihnen gleich überlassen sich die Meisten beim Eintritt in ihre Laufbahn ihren überschwenglichen Gefühlen, sind aber später gerade die, die am ersten eine gehörige Herrschaft darüber erlangen, und sie in die Schranken des gesunden Menschenverstandes und der Klugheit einschließen. Vor seinem fünf und zwanzigsten Jahr war mein Vater ein so exemplarischer und beständiger Anhänger des Plutus, als nur irgend jemand damals zwischen Ratcliffe-Highway und Bridge-Street gefunden ward, – ich nenne diese Orte besonders, da alle übrige in der großen Hauptstadt, in der er geboren ward, wie man weiß, in Hinsicht des Geldes gleichgültiger sind.

Mein Vorfahr war gerade dreißig Jahr alt, als sein Herr, der wie er selbst ein Junggesell war, sehr unerwartet und zu bedeutendem Aergerniß der Nachbarschaft einen neuen Inwohner in seinen spärlichen Haushalt in der Person eines kleinen Mädchens einführte. Jemand mußte ebenfalls auf sein Kapital von Schwachheit spekulirt haben; denn dieß arme, kleine, hülflose, verlassene Wesen ward seiner Sorgfalt, wie Tom selbst, von der Wachsamkeit des Gemeindeaufsehers übergeben. Viele gutgemeinte Scherze ergingen von Seite der Witzigeren seiner Nachbarn bei dieser plötzlichen Wendung seines Glücks über den gedeihenden Modehändler, und nicht geringen, böswilligen Hohn erhielt er hinter seinem Rücken, da viele der Kundigen in der Nachbarschaft eine weit stärkere Aehnlichkeit des kleinen Mädchens mit all den andern unverheiratheten Männern der acht oder zehn anstoßenden Straßen als mit dem würdigen Haushälter finden wollten, der zu ihrem Unterhalt ausersehen worden. Ich war sehr geneigt, die Ansicht dieser edlen Beobachter als Autorität in meinem Stammbaum anzunehmen, weil ich dadurch das Dunkel, worin alle alten Geschlechter wurzeln, um eine Generation früher erreicht haben würde, als wenn ich zugebe, daß die kleine Betsey die Tochter von dem Herrn meines directen männlichen Vorfahren gewesen; aber bei näherem Nachdenken habe ich mich entschlossen, der weniger allgemeinen, aber einfacheren Auslegung der Sache beizustimmen, da sie mit der Vererbung eines nicht kleinen Theils unseres Besitzes zusammenhängt, ein Umstand, der an und für sich schon der Genealogie Würde und Wichtigkeit gibt.

Was aber auch immer die Ansichten des vermeintlichen Vaters in Hinsicht seiner Rechte auf die Ehren dieses edlen Titels gewesen sein mögen, er faßte bald eine so feste Zuneigung zu dem Kinde, als wenn es ihm wirklich sein Dasein verdankte. Das kleine Mädchen ward sorgfältig gewartet, reichlich genährt und gedieh auch demgemäß. Sie hatte ihr drittes Jahr erreicht, als der Modehändler von seiner kleinen Puppe, die sich eben von dieser Krankheit erholte, die Blattern bekam, und nach dem zehnten Tag starb.

Das war ein unvorhergesehener und betäubender Schlag für meinen Vorfahr, der damals in seinem 35. Jahre stand, und Hauptcommis des Geschäfts war, welches mit den wachsenden Thorheiten und Eitelkeiten der Zeit gewachsen war. Bei Eröffnung von seines Herrn Testament fand sich, daß meinem Vater, der allerdings zuletzt bedeutend zur Erwerbung des Geldes mitgewirkt hatte, der Besitz des Geschäfts, die Verfügung über alle Fonds und die alleinige Verwaltung des Vermögens überlassen ward. Ihm ward auch die ausschließliche Vormundschaft über die kleine Betsey anvertraut, der sein Herr gütigst jeden Shilling seines Vermögens vermachte.

Ein gewöhnlicher Leser wird sich vielleicht erstaunen, daß ein Mann, der so lange die Schwachheiten der Menschen ausgebeutet, so viel Zutrauen auf einen bloßen Commis gehabt haben sollte, um seinen ganzen Besitz so vollständig in seiner Hand zu lassen, aber man muß sich erinnern, daß der menschliche Scharfsinn noch kein Mittel ausgefunden, wodurch wir unsere Habe mit in die andere Welt nehmen können, man muß sich erinnern, daß, was nicht zu ändern, ertragen werden muß, daß er notwendigerweise dieses wichtige Vertrauen zu einem seiner Nebenmenschen haben mußte, und daß es besser war, die Verwaltung seines Geldes einem zu überlassen, der das Geheimniß wußte, wie es aufgehäuft worden, und also weniger Antrieb zur Unredlichkeit hatte, als einem, der den Lockungen der Begehrlichkeit ausgesetzt war, ohne Kenntnis von den directen und gesetzlichen Mitteln zu haben, sein Verlangen zu stillen. Man hat daher angenommen, daß der Erblasser, indem er sein Geschäft einem Manne überließ, der so sehr alle dessen Vollkommenheiten, moralische und pekuniäre, zu würdigen wußte, wie mein Vorfahr, in der festen Ueberzeugung stand, er sichre ihn hinlänglich vor aller Versuchung der Sünde des Raubs und Betrugs, indem er ihn so sehr mit den einfachern Mitteln sich zu bereichern versähe. Außerdem muß man auch billiger Weise annehmen, daß die lange Bekanntschaft hinlängliches Vertrauen erzeugt hatte, um die Wirkung jenes Sprüchworts zu schwächen, das ein Witzbold einem Possenreisser in den Mund gelegt hat: »Macht mich zu eurem Testamentsvollstrecker, Vater, und ich kümmere mich nichts darum, wem ihr das Erbe laßt.«

Dem sei, wie ihm wolle, nichts ist sichrer, als daß mein würdiger Vorfahr das ihm Anvertraute mit der gewissenhaftesten Treue eines Mannes ausführte, dessen Rechtschaffenheit in der Moral des Handels streng geschult worden. Die kleine Betsey wurde ihrem Stand gemäß erzogen, und über ihre Gesundheit so sorgfältig gewacht, als wenn sie statt die einzige Tochter eines Modehändlers die einzige Tochter des Fürsten gewesen; ihre Aufführung wurde beaufsichtigt von einer bejahrten Dame, ihr Geist seiner ursprünglichen Reinheit überlassen, ihre Person eifersüchtig gegen die Pläne gieriger Glücksritter geschützt; ja, um die lange Reihe seiner väterlichen Aufmerksamkeiten und Sorgen voll zu machen, trug mein wachsamer und treuer Vorfahr, um allen Zufällen zuvorzukommen und soweit es menschlicher Vorsicht gestattet wäre, allen Wechseln des Lebens entgegenzuarbeiten, Sorge, sie gesetzlich den Tag, wo sie ihr 19. Jahr erreicht hatte, an den Mann zu verheirathen, welchen, wie wir alle Ursache zu glauben haben, er für den untadeligsten seiner Bekannten hielt, – mit andern Worten an sich selbst. Nähere Bestimmungen waren zwischen beiden Theilen unnöthig, da sie so lange mit einander bekannt gewesen, und bei der großen Freigebigkeit von seines frühern Herrn Testament, bei der langen Minderjährigkeit, und dem Eifer des ehemaligen Hauptcommis, war der Ehesegen kaum gesprochen worden, als unsre Familie in den unbestrittenen Besitz von 400,000 Pf. eintrat. Ein in Hinsicht der Religion und Gesetze weniger gewissenhafter Mann würde es nicht für nöthig gehalten haben, der verwaisten Erbin nach Ablauf der Vormundschaft eine so befriedigende Versorgung zu bereiten.

Ich war der fünfte von den Kindern aus dieser Verbindung, und der einzige unter ihnen, der über das erste Jahr hinauskam. Meine arme Mutter überlebte meine Geburt nicht, und so kann ich von ihren Eigenschaften nur nach jener wichtigen Quelle aller Familienarchive, der Überlieferung, reden. Nach allem, was ich gehört, muß sie ein sanftes, ruhiges, häusliches Weib gewesen sein, die durch Charakter und andere Eigenschaften ausgezeichnet, wohl im Stande war, die klugen Plane meines Vaters für ihre Wohlfahrt zu unterstützen. Wenn sie Ursachen zu Klagen hatte (und daß sie deren hatte, müssen wir denken, denn wer ist ohne sie?), wurden sie mit weiblicher Treue verheimlicht und in dem heiligen Schreine ihres eignen Herzens versteckt; und wenn die trügerische Phantasie manchmal ihr dunkel die Umrisse ehelicher Glückseligkeit verschieden von den Umständen entwarf, die in trüber Wirklichkeit ihr vor Augen standen, verweilte sie nur bei dem Gemälde mit einem Seufzer und zog sich zurück in ein Gemach, wozu niemand den Schlüssel berührte als sie selbst und auch sie selten.

Von diesem unterdrückten und wenig auffallenden Gram, (denn manchmal, fürchte ich, kam es zu dieser Stärke des Gefühls,) hatte mein edler und unermüdlicher Vorfahr, so schien es, keine Ahnung. Er fuhr fort in seinen Geschäften mit seiner gewöhnlichen einförmigen Hingebung, und das letzte, was ihm in den Sinn gekommen, wäre der Zweifel gewesen, daß er in seiner Vormundschaft nicht genau seine Pflicht gethan. Wäre es so gewesen, sicher hätte niemand mehr durch sein Unterlassen gelitten als ihr Gemahl, und niemand mehr Recht zur Klage gehabt. Da sich aber ihr Gemahl nie eine solche Beschuldigung auch nur zu machen gedachte, ist es gar nicht zu erstaunen, daß mein Vorfahr in Unwissenheit von seines Weibes Kummer bis zur Stunde seines Todes verblieb.

Es ist schon bemerkt worden, daß die Ansichten des Nachfolgers von dem Modehändler einige wesentliche Veränderungen zwischen den Jahren zehen und vierzig erlitten. Nachdem er sein zwei und zwanzigstes Jahr erreicht, oder mit andern Worten, sobald er für sich selbst sowohl als seinen Herrn Geld zu verdienen begann, hörte er auf »Wilkes und Freiheit!« zu rufen; man vernahm während der ganzen fünf Jahre, die auf seine Volljährigkeit folgten, keine Sylbe von ihm über die Verpflichtungen der Staatsgesellschaft, dem Schwachen und Unglücklichen gegenüber; er berührte die Pflichten des Christen nur leichthin, nachdem er fünfzig Pfd. reich geworden, und über die Thorheiten der Menschen zu spotten, – das wäre niedrige Undankbarkeit von einem Manne gewesen, der so augenscheinlich sein Brod durch sie verdient hatte. Doch waren um diese Zeit seine Bemerkungen über Taxen ganz besonders bitter und wohl angebracht. Er spottete über die Staatsschuld wie über einen Fluch des Staats, und sagte vorbedeutungsvoll, in Folge der Lasten und Beschwerden, die sie stündlich auf die schon überladenen Schultern des Kaufmanns häufe, die Auflösung der Staatsgesellschaft voraus.

Die Zeit seiner Vermählung und Nachfolge in den Kisten und Kasten seines früheren Herrn kann als die zweite Epoche in den Ansichten meines Vorfahren angesehen werden. Von diesem Augenblick an stieg sein Ehrgeiz, seine Ansichten erweiterten sich wie seine Mittel, und seine Betrachtungen über sein großes schwebendes Kapital wurden tiefer und philosophischer. Ein Mann von meines Vaters angebornem Scharfsinn, dessen ganze Seele in Verfolgung des Gewinns vertieft war, der so lange seinen Geist durch den Verkehr mit den Elementen der menschlichen Schwächen gebildet hatte, und schon 400,000 Pf. besaß, mußte natürlich für sich einen erhabneren Weg nach der Größe einschlagen, als der war, auf welchem er so mühsam während der Jahre peinlicher Prüfung gewandert war.

Das Eigenthum meiner Mutter war hauptsächlich in guten Verschreibungen und Pfändern angelegt worden, da ihr Beschützer, Patron, Wohlthäter und vom Gesetz bestellter Vater einen unbesiegbaren Widerwillen dagegen hatte, sich der seelenlosen, conventionellen, unbegränzten Körperschaft, dem Staate zu vertrauen. Das erste Zeichen, das mein Vater von einer Veränderung seiner beabsichtigten Bestrebungen gab, war, daß er alle seine Ausstände einkassirte, und so den Napoleonischen Plan annahm; er concentrirte seine Kräfte in Einen Punkt, um dann mit Massen zu operiren. Um diese Zeit hörte er auch plötzlich auf, über Taxen zu spotten. Diesen Wechsel kann man dem vergleichen, der mit der Sprache ministerieller Blätter vorgeht, wenn sie aufhören einen fremden Staat zu höhnen, mit welchem die Nation Krieg geführt, den man aber endlich für zweckmäßig hält zu beendigen; und es geschah auch fast aus denselben Gründen, da es die Absicht meines listigen Vorfahrs war, eine Macht sich zum Verbündeten umzuschaffen, die er bisher immer als einen Feind behandelt hatte. Das Ganze der 400,000 Pf. wurde freigebig dem Land vertraut, und der frühere Modehändlers Lehrling betrat den Kampfplatz der tugendhaften und patriotischen Börsenspekulation als Bulle, wenn auch mit mehr Vorsicht, doch wenigstens mit einem Theil der Energie und Störrigkeit jenes verzweifelnden Thiers, das dieser Klasse von Abentheurern den Namen gibt. Erfolg krönte seine lobenswerthen Bestrebungen, das Gold strömte auf ihn ein, wie Wasser bei der Fluth, und erhob ihn, Geist und Körper, zu jener neidenswerthen Höhe, wo, wie es scheinen möchte, allein der rechte Anblick von der Gesellschaft in ihren unzähligen Phasen erlangt werden kann. All seine früheren Ansichten vom Leben, welche er, wie alle andre von ähnlicher Herkunft und ähnlichen politischen Gefühlen, in den frühsten Jahren sich gebildet hatte, und welche mit Recht nähere Ansichten genannt werden können, wurden jetzt vollständig durch die höhere und weitre Aussicht, die sich vor ihm aufthat, verdunkelt.

Ich fürchte die Wahrheit wird mich zuzugeben nöthigen, daß mein Vorfahr nie in der gewöhnlichen Bedeutung des Worts wohlthätig war, aber dann behauptete er immer, seine Theilnahme an seinen Mitgeschöpfen sey von einer höheren Art, umfasse in einem Gesammtblick alle Quellen des Guten und Bösen, sei von jener Art Liebe, die den Vater bestimmt, sein Kind zu züchtigen, damit die Lehre des gegenwärtigen Leidens die Wohlthat künftigen Wohlverhaltens und Brauchbarkeit hervorbringe. Nach diesen Grundsätzen verfahrend, entfremdete er sich immer mehr von seinen Mitmenschen, ein Opfer, das wahrscheinlich die Strenge seiner durch die That bewiesenen Mißbilligung ihrer wachsenden Schlechtigkeit und die unnachsichtliche Staatsklugheit erheischte, die nöthig war, um ihr Gewicht zu geben. Um diese Zeit fühlte auch mein Ahnherr recht innig, was man den Werth des Geldes nennt, ein Gefühl, das meiner Meinung nach ihrem Besitzer eine mehr als gewöhnlich lebhafte Würdigung der Gefahren verleiht, denen diese edle Metalle ausgesetzt sind, sowie es ihn ihre Vorrechte und Anwendung ganz besonders kennen lehrt.

Er ließ sich gelegentlich über die Bürgschaften und Garantie’n aus, die man nothwendig der Staats-Gesellschaft ihrer eignen Sicherheit wegen leisten müsse, stimmte nie, selbst nicht für einen Gemeindediener, wenn er nicht ein eifriger, solider Bürger war, und fing nachgerade an auch als Subscribent bei den patriotischen Fonds und den andern ähnlichen kleinen moralischen und pecuniären Stützen der Regierung aufzutreten, deren allgemeiner und lobenswerther Zweck ja sei, unser Land, unsre Altäre und unsern Heerd zu schützen.

Meiner Mutter Sterbebett ist mir als ein rührender, trauervoller Auftritt beschrieben worden. Es scheint, daß in dem Maße, als diese sanfte, eingezogene Frau der Hülle der Sterblichkeit sich entwand, ihr Geist heller, ihre Seelenkräfte stärker und ihr Charakter in jeder Hinsicht höher und gebietender ward. Obgleich sie weit weniger als ihr Gemahl von unserm »Heerd und unsern Altären« gesprochen, sehe ich doch keinen Grund zu zweifeln, daß sie immer ganz ebenso treu dem erstern und ebenso andächtig bei den andern gewesen. Ich werde ihren Übergang von dieser zu einer bessern Welt beschreiben, wie ich es oft von den Lippen eines Mannes vernommen, der zugegen war, und später mich vorzüglich zu dem machte, der ich bin. Dieser Mann war der Pfarrer der Gemeinde, ein frommer Geistlicher, ein Gelehrter und ein Mann von Ehre sowohl durch seinen Charakter als durch die Geburt.

Meine Mutter, obgleich seit langem sich bewußt, daß sie sich ihrem letzten großen Tag nähere, hatte standhaft verweigert, ihren Gemahl seinen alles verschlingenden Geschäften zu entziehen, indem sie ihn von ihrer Lage hätte benachrichtigen lassen. Es war ihm bekannt, daß sie krank sei, sehr krank, wie er wohl denken mußte, aber da er ihr nicht nur vergönnte, sondern auch von freien Stücken allen Rath, alle Hilfe ihr zukommen ließ, die Geld verschaffen konnte (mein Vorfahr war kein Geizhals in der gemeinen Bedeutung des Worts), so glaubte er alles gethan zu haben, was ein Mensch in Hinsicht auf Leben und Tod thun könnte, denn solche Fälle, gestand er, stünden nicht unter seiner Kontrolle. Er sah den Dr. Ethrington, den Oberpfarrer, täglich kommen und gehen einen Monat lang, ohne Unruhe, ohne Befürchtung; denn er dachte die Unterredung mit ihm werde einen beruhigenden Einfluß auf meine Mutter ausüben, und er hatte eine große Vorliebe für alles, was ihn ungestört der Beschäftigung überließ, worin sich jetzt alle seine Geisteskräfte so ausschließlich concentrirt hatten. Der Arzt erhielt bei jedem Besuch seine Guinee mit gewissenhafter Pünktlichkeit, die Wärterinnen waren wohl aufgenommen und wohl zufrieden, denn Niemand mischte sich in ihr Geschäft als der Arzt, und alle sonstige ihm obliegende Dienste wurden so regelmäßig von meinem Vorfahren erfüllt, als wenn das hinwelkende ergebene Wesen, von dem er bald für immer getrennt werden sollte, die freie Wahl seiner jugendlich frischen Zuneigung gewesen.

Als daher ein Diener hereintrat, um zu melden, Dr. Ethrington wünsche eine geheime Unterredung, war mein würdiger Vorfahr, der sich keiner Vernachlässigung irgend einer dem Freund der Kirche und des Staats zukommenden Pflicht bewußt fühlte, nicht wenig betroffen.

»Ich komme, Herr Goldenkalb, mit einer traurigen Botschaft«, sagte der fromme Oberpfarrer, indem er in das geheime Kabinet trat, wozu auf sein Verlangen er zum ersten Mal zugelassen worden.« Das schreckliche Geheimniß kann Ihnen nicht länger vorenthalten werden, und Ihre Frau gibt endlich ihre Einwilligung, daß es Ihnen durch mich offenbart werden soll.«

Der Pfarrer hielt ein, denn bei solchen Gelegenheiten ist es vielleicht nicht übel, wenn man den Theil, der erschüttert werden soll, etwas von dem Schlag durch sein eignes Errathen aufnehmen läßt: und ziemlich geschäftig soll auch bei dieser peinlichen Gelegenheit die Einbildungskraft meines Vaters gewesen sein. Er ward blaß, öffnete seine Augen, bis sie wieder gänzlich die Höhlen füllten, in die sie allmählig seit zwanzig Jahren eingesunken, und that mit ihnen hundert Fragen, die seine Zunge sich zu thun weigerte.

»Es ist nicht möglich, Herr Pfarrer«, sagte er endlich kläglich, »daß ein Weib wie Betsey, einen Blick in die, mit der letzten großen geheimen Reise verbundenen Vorfälle sollte gethan haben, die meiner Sorge und Erfahrung entgangen sind.»

»Ich fürchte, Sir, Madame Goldenkalb hat Blicke in jene letzte große geheime Reise gethan, zu der wir uns alle früher oder später einschiffen müssen, die aber gänzlich ihrer Wachsamkeit entgangen sind. Aber davon will ich ein ander Mal sprechen. Jetzt ist es meine peinliche Pflicht, Sie zu benachrichtigen, daß der Arzt der Meinung ist, Ihre vortreffliche Frau werde nicht das Ende des Tags, vielleicht nicht dieser Stunde erleben.«

Mein Vater ward von dieser Botschaft betroffen, und länger als eine Minute blieb er schweigend und ohne Regung. Er warf seine Augen auf die Papiere, mit welchen er so eben beschäftigt gewesen, und die einige sehr wichtige mit dem nächsten Abschlußtag zusammenhängende Berechnungen enthielten, und begann alsdann endlich: »Wem dem wirklich so ist, Herr Pfarrer, wird es gut sein, mich zu ihr zu begeben, da in ihrer Lage die arme Frau mir in der That etwas von Wichtigkeit mitzutheilen haben kann.« – »Zu dem Zweck bin ich jetzt gekommen, Ihnen die Wahrheit zu sagen«, antwortete ruhig der Geistliche, der wohl wußte, daß durch Bestreitung seiner ihn ganz beherrschenden Schwachheit mit einem solchen Mann in einem solchen Augenblick nichts zu gewinnen war. Mein Vater nickte mit dem Kopf Beistimmung, und nachdem er erst sorgsam die offenen Papiere in einem Sekretär verschlossen, folgte er seinem Gefährten zum Bette seines sterbenden Weibes.