Neunundzwanzigstes Kapitel.

Neunundzwanzigstes Kapitel.

»Wenn der Schäfer nicht handfest ist, so mag er
flieh’n; die Flüche, die er bekommen wird, die Martern,
die er dulden muß, werden den Rücken jedes Menschen,
das Herz eines Ungeheuers brechen.«

Shakespeare.

 

Man wird sich leicht denken, daß der eben erzählte Vorfall von einer außerordentlichen Erregung unter den Sioux begleitet war. Als er die Jäger seiner Bande zurück in das Lager führte, hatte der Häuptling keine von den gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln indianischer Klugheit verabsäumt, um seine Spur den Augen der Feinde zu verbergen. Es wollte jedoch scheinen, als wenn die Pawnee nicht nur die gefährliche Entdeckung gemacht, sondern es auch mit großer Kunst so eingerichtet hatten, daß sie sich dem Ort von der einzigen Seite näherten, wo man es für unnöthig gehalten, die Zugänge durch die gewöhnliche Posten-Linie zu bewachen. Diese Letzteren, die auf den verschiedenen kleinen Anhöhen zerstreut waren, welche hinter den Zelten lagen, waren unter den Letzten, die von der Gefahr in Kenntniß gesetzt wurden.

In einer solchen Crisis blieb wenig Zeit zur Berathung. Dadurch, daß er die Stärke seines Geistes bei Auftritten von ähnlicher Schwierigkeit gezeigt, hatte Mahtoree seine Herrschaft über sein Volk erhalten und befestigt; auch schien es nicht wahrscheinlich, daß er sie durch eine bei dieser Gelegenheit gezeigte Unentschlossenheit verlieren würde. Mitten unter dem Lärm der Jüngeren, dem Geschrei der Weiber und dem wilden Heulen der Matronen, was hinlänglich war, schon an und für sich eine Verwirrung in den Gedanken eines Mannes zu erregen, der weniger gewohnt gewesen, in bedrängten Zeiten zu handeln, behauptete, er fest sein Ansehen, und ließ seine Befehle mit der Kälte eines Veteranen ergehen.

Während die Krieger sich waffneten, wurden die Jungen auf den Grund nach den Pferden geschickt. Die Zelte wurden eiligst von den Weibern abgebrochen und auf solche Thiere gebracht, die nicht zuverlässig in dem Kampf schienen. Die Säuglinge kamen auf den Rücken ihrer Mütter, und die Kinder, die zum Gehen groß genug waren, wurden in die Nachhut gleich einer Heerde weniger vernünftiger Geschöpfe getrieben. Obgleich diese verschiedenen Vorkehrungen unter Geschrei vor sich gingen, und ein Lärm sich erhob, der die Stelle einem zweiten Babel ähnlich machte, wurden sie doch mit unglaublicher Schnelligkeit und großem Geschick ausgeführt.

Indeß versäumte Mahtoree keine Pflicht, die zu seinem verantwortlichen Stande gehörte. Von der Anhöhe, worauf er stand, konnte er vollkommen die Stärke und Schwenkungen des feindlichen Haufens übersehen. Ein grimmiges Lächeln erheiterte sein Antlitz, als er fand, daß an Zahl seine eigene Bande bei weitem überlegen war. Trotz dieses Vortheils jedoch gab es in anderer Hinsicht eine Ungleichheit, die wahrscheinlich seinen Erfolg in dem nahen Kampfe außerordentlich zweifelhaft machen mochte. Sein Volk bewohnte die mehr nördlicheren und weniger wirthlichen Gegenden, und war gar nicht reich an jener Art von Besitz, als: Pferde und Waffen, welche den am höchsten geschätzten Reichthum der westlicheren Indianer ausmacht. Die ansichtig gewordene Bande war ganz beritten, und da sie zur Befreiung oder zur Rachenahme für ihren großen Führer gekommen, hatte er keine Ursache zu zweifeln, sie werde gänzlich aus Tapferen bestehen. Dagegen waren viele aus seinem Gefolge weit besser zur Jagd als zum Kampf; geeignet zwar, die Aufmerksamkeit seiner Feinde zu theilen, aber von geringem Nutzen in verzweifelten Unternehmungen. Noch strahlte sein blitzendes Auge über den Kriegern, auf die er sich oft verlassen und die ihn nie getäuscht; dennoch fühlte er in der besonderen Lage, worin er sich befand, kein Verlangen, die Schlacht zu beschleunigen, welche er sicherlich nicht hätte vermeiden wollen, wenn die Gegenwart der Weiber und Kinder die Wahl der Stellung nicht gänzlich den Feinden überlassen hätte.

Auf der andern Seite zeigten die Pawnee, die so unerwartet glücklich in der Erreichung ihres ersten und größten Zwecks gewesen, kein Verlangen, die Sache zur Entscheidung zu treiben. Der Fluß war eine zu gefährliche Schranke, um sie im Angesicht eines entschlossenen Feindes zu überschreiten, und es würde jetzt mit ihrer ängstlichen Vorsicht in völligem Einklang gestanden haben, wenn sie sich für einige Zeit zurückgezogen, um ihren Anfall in den Stunden der Finsternis; und vermeintlichen Sicherheit zu versuchen. Aber es war für den Augenblick ein Geist in dem Häuptling, der ihn weit über die gewöhnlichen Hülfsmittel der Wilden im Krieg erhob. Seine Brust brannte vor Verlangen, die Schande auszumerzen, die ihm widerfahren, und es ist möglich, daß er glaubte, das fliehende Lager der Sioux enthalte einen Preis, der in seinen Augen einen Werth zu bekommen begann, der den weit übertraf, welchen fünfzig Tetonschädel sonst für ihn hatten. Doch dem sei, wie ihm wolle; Hartherz hatte nicht sobald die kurzen Glückwünsche seiner Bande empfangen und den Häuptlingen solche Mitteilungen gemacht, wie sie ihnen zu wissen wichtig waren, als er sich bereitete, einen Antheil an dem nahen Kampf zu nehmen, der zu gleicher Zeit seinen wohlerworbenen Ruf aufrecht erhalten und seine geheimen Wünsche erfüllen sollte. Ein Leitpferd, eins, das lange zur Jagd abgerichtet worden, brachte man herbei, seinen Herrn nochmals aufzunehmen, da man sich nicht leicht hätte einfallen lassen, daß es in diesem Leben je mehr werde gebraucht werden. Mit einer Zartheit und Bedächtigkeit, welche zeigte, wie sehr die edeln Eigenschaften des Jünglings die Gefühle seines Volks gerührt hatten, war Bogen, Lanze und Köcher über das Thier gehängt, das man zum Opfer auf dem Grab des jungen Tapferen bestimmt; eine Sorgfalt, die die fromme Pflicht überflüssig gemacht hatte, die der Streifschütz übernommen.

Obgleich Hartherz gegen die Güte seiner Krieger nicht unempfindlich war, und in dem Glauben stand, ein Krieger mit solchen Zierden ausgerüstet, könne mit Ehre nach den fernen Jagdgründen des Herrn des Lebens abgehen, schien er doch eben so zu glauben geneigt, seine Vorzüge könnten nicht weniger nützlich in dem Zustand der Dinge hier auf Erden sich erweisen. Sein Antlitz erhellte sich in einem Strahl wilder Freude, als er die Federkraft des Bogens versuchte, und den wohl in’s Gleichgewicht gesetzten Speer wog. Der Blick, den er auf den Schild warf, war flüchtiger und mehr gleichgültig, aber die Lust, mit der er auf sein geliebtestes Streitroß sprang, war so groß, daß sie alle Förmlichkeit indianischer Selbstbezwingung durchbrach. Er ritt unter seinen kaum weniger erfreuten Kriegern auf und ab, und lenkte das Thier mit einer Anmuth und Geschicklichkeit, die keine künstliche Regeln je geben können; zu Zeiten schwang er die Lanze, als wolle er sich seines Sitzes versichern, und dann untersuchte er wieder genau die Beschaffenheit der Feuerwaffe, mit der er auch so freudig sich beschenkt gesehen hatte, als sei er auf wunderbare Weise in den Besitz von Schätzen gekommen, die immer sein Stolz und Glück gewesen waren.

Gerade in diesem Augenblick machte sich Mahtoree, der mit den nöthigen Vorkehrungen fertig geworden, bereit, eine entscheidendere Bewegung zu versuchen. Der Teton hatte sich wegen Unterbringung seiner Gefangnen in nicht geringer Verlegenheit befunden. Die Zelte des Auswanderers waren noch zu sehen, und seine vorsichtige List ermangelte nicht, ihn zu bedeuten, daß es ganz eben so nöthig wäre, sich vor einem Angriff von dieser Seite zu schützen, als er die Bewegungen seines erklärteren und thätigeren Feindes bewachen müsse. Sein erster Entschluß war gewesen, den Tomahawk gegen die Männer zu gebrauchen, und die Weiber unter denselben Schutz, wie die Weiber seiner Bande zu setzen. Aber die Weise, mit der noch so viele von seinen Helden den vermeintlichen Zauberer der Langmesser ansahen, widerrieth ihm, einen so gefährlichen Versuch am Vorabend einer Schlacht zu wagen. Er hatte als eine Vorbedeutung der Niederlage angesehen werden mögen. In diesem Zweifel winkte er einem gealterten Krieger, dem er die Nichtstreitenden übergeben, führte ihn auf die Seite, legte bedeutungsvoll einen Finger auf seine Schulter, und sagte in einem Ton, worin Herrschaft durch Vertrauen gemildert war.

»Wenn meine jungen Leute die Pawnee schlagen, gebt den Weibern Messer. Genug! mein Vater ist sehr alt, er braucht nicht Weisheit zu lernen von einem Knaben.«

Der grimmige, alte Wilde entgegnete mit einem Blick roher Zustimmung, und dann schien des Häuptlings Geist wegen dieses wichtigen Puncts beruhigt. Von diesem Augenblick an richtete er seine ganze Sorgfalt auf die Ausübung seiner Rache und die Aufrechthaltung seines kriegerischen Charakters. Er warf sich auf sein Roß, gab mit dem Blick eines Fürsten seinem Gefolge ein Zeichen, seinem Beispiel nachzuahmen, und unterbrach ohne Weiteres die Kriegsgesänge und feierlichen Ceremonieen, womit viele unter ihnen ihren Geist zu kühnen Thaten anfeuerten. Als alles in Ordnung bewegte sich das Ganze mit großer Festigkeit und Stille nach dem Rande des Flusses.

Die feindlichen Banden waren jetzt durch das Wasser getrennt. Die Breite des Stroms war zu bedeutend, um die Anwendung der gewöhnlichen indianischen Geschosse zuzulassen, aber einige nutzlose Schüsse wechselten die Flinten der Häuptlinge, mehr aus Prahlerei, als daß sie hätten erwarten können, es würde eine Wirkung thun. Da man einige Zeit mit Demonstrationen und nutzlosen Anstrengungen vorübergehen lieh, wollen wir sie jetzt verlassen, um zu den Andern zurückzukehren, die noch als Gefangene in ihren Händen geblieben.

Wir hätten viele Tinte vergebens verschrieben und manche Kiele verbraucht, die vielleicht besser hatten angewendet werden mögen, wenn wir erst dem Leser sagen müßten, daß wenige von den obigen Bewegungen der Aufmerksamkeit des erfahrenen Streifschützen entgingen. Er war, wie die Uebrigen, über die plötzliche That Hartherzens erstaunt gewesen, und für einen Augenblick bekam ein Gefühl des Bedauerns und der Betrübniß die Oberhand über sein Verlangen, das Leben des Jünglings zu retten. Der einfache, gutgesinnte Alte würde, wenn er einen Mangel an Festigkeit von Seiten des Kriegers bemerkt hätte, der so sehr seine Theilnahme auf sich gezogen, denselben Kummer gefühlt haben, den ein christlicher Vater empfindet, wenn er die sterbenden Augenblicke eines gottlosen Kindes mit ansieht. Aber als, statt eines schwachen, unmännlichen Mühens um sein Leben, er bemerkte, daß sein Freund mit der gewöhnlichen, würdigen Ergebung eines Indianers sich benommen hatte, bis eine Gelegenheit zur Flucht sich dargeboten, und daß er den Muth und die Entschlossenheit des größten Tapfern gezeigt, ward seine Freude zu mächtig, um unterdrückt zu werden. Mitten unter dem Geschrei und der Bewegung, welche auf den Tod Weucha’s und das Entrinnen des Gefangenen gefolgt, näherte er sich seinen weißen Gefährten mit dem Entschluß, sich in’s Mittel zu legen, wenn die Wuth der Wilden sich gegen sie wenden sollte. Das Erscheinen der feindlichen Bande ersparte ihm jedoch einen so verzweifelten, und wahrscheinlich fruchtlosen Versuch, und ließ ihn seine Beobachtungen fortsetzen, und seine Pläne mit mehr Muße zur Reife bringen.

Er bemerkte besonders, daß während bei weitem der größere Theil der Weiber und all die Kinder, nebst den Effecten des Haufens in den Nachzug gebracht worden, wahrscheinlich mit dem Befehl, sie in den anliegenden Wäldern zu verbergen, Mahtoree’s Zelt selbst stehen, und sein Inhalt ungestört blieb. Zwei ausgesuchte Pferde jedoch standen nahe bei, und wurden von zwei Jünglingen gehalten, die zu jung waren, um in den Kampf zu gehen, und doch alt genug, sich auf die Lenkung der Pferde zu verstehen. Der Streifschütz sah in dieser Vorkehrung den Widerwillen Mahtoree’s, seine neu gefundenen »Blumen« aus dem Auge zu lassen, und zugleich auch die Vorsicht, sich vor jedem Anfall zu sichern. Auch war die Art, wie der Teton seinen Auftrag dem alten Wilden gegeben, und die stolze Freude, womit der Andere den blutigen Befehl angenommen, seiner Aufmerksamkeit nicht entgangen. Aus all diesen geheimen Bewegungen merkte der Alte, daß die Crisis nahe, und so bot er all seine Wissenschaft auf, die er in einem so langen Leben erlangt hatte, um sie in den verzweifelten Verwickelungen zu benutzen. Während er über die zu ergreifenden Mittel nachdachte, zog der Doctor wieder seine Aufmerksamkeit auf sich, indem er auf erbärmliche Weise seinen Beistand nachsuche.

»Verehrungswürdiger Streifschütz, oder, wie ich jetzt sagen darf, Befreier,« begann der trübselige Obed, »es möchte scheinen, daß eine passende Zeit endlich herangekommen ist, um die unnatürliche und ganz unregelmäßige Verbindung zu brechen, die zwischen meinen unteren Gliedmaßen und dem Leibe des Asinus besteht. Vielleicht wenn solch ein Theil meiner Glieder erlöst würde, der mich zum Herrn über die übrigen machte, und ich benutzte diese günstige Gelegenheit gehörig, indem ich einen forcirten Marsch nach den Ansiedelungen anträte, möchte nicht alle Hoffnung, die Schätze der Wissenschaft zu retten, deren unwürdiger Träger ich bin, verloren sein. Die Wichtigkeit des Erfolgs ist sicherlich die Gefahr eines Versuchs werth.«

»Ich weiß nicht, weiß nicht,« entgegnete der vorsichtige Alte, »die Würmer und Reptile, die Ihr bei Euch habt, waren von dem Herrn für die Steppen bestimmt, und ich sehe keinen Nutzen, wenn sie in Gegenden geschickt werden, die ihrer Natur nicht zusagen. Und außerdem könnt Ihr von großem, ganz besondern Dienste sein, so, wie Ihr jetzt auf dem Esel sitzt, obwohl es mich nicht wundert, daß Ihr es nicht einseht, da Nützlichkeit ganz etwas Neues für so einen Bücher-Mann ist.«

»Von welchem Nutzen kann ich in diesen peinlichen Banden sein, worin die animalischen Functionen gleichsam unterbrochen, und die geistigen oder verständigen durch die geheime Sympathie, die Seele und Leib vereinigt, erblindet sind. Wahrscheinlich wird zwischen jenen beiden feindlichen Heidenhorden Blut vergossen, und so wenig sie auch den Dienst verlangen, würde es besser sein, daß ich mit chirurgischen Versuchen mich beschäftige, als so die kostbaren Augenblicke verliere, indem ich Beides, Leib und Seele nur abhärme.«

»Wenig würde eine Rothhaut sich um einen Physikus bei ihren Verwundungen kümmern, während das Kriegsgeschrei in ihren Ohren tönt. Geduld ist eine Tugend an einem Indianer und kann einem christlichen Weißen nicht zur Schande gereichen. Seht auf diese Haufen von Megären, Freund Doctor; ich verstehe mich nicht auf wilde Gemüther, wenn diese nicht blutgierig sind, und bereit, ihre verdammte Gier an uns Allen auszuüben. Nun, so lange Ihr auf dem Esel bleibt und den stolzen Blick, der Euch sonst gar nicht natürlich ist, bewahrt, kann die Furcht vor einem so großen Zauberer ihren Muth niederhalten. Ich stehe hier wie ein General bei der Eröffnung der Schlacht, und es kommt mir zu, solch einen Gebrauch von meiner Stärke zu machen, als nach meinem Urtheil Jeder am geschicktesten ist, auszuführen. Wenn ich mich darauf Verstehe, werdet Ihr gerade jetzt durch Euer Antlitz nützlicher sein, als durch irgend einen andern bemerklicheren Dienst.«

»Hört, alter, Streifschütz!« rief Paul, dessen Geduld bei den berechnenden und langen Erklärungen des Andern sich nicht länger halten konnte, »wie, wenn Ihr zwei Dinge, die ich Euch nennen kann, gerade abschnittet, nämlich Eure Rede, die angenehm genug bei einem wohlgebratenen Büffelschenkel ist, und diese verd– ten Hautriemen, die nach meiner Erfahrung nirgends angenehm sein können. Ein einziger Schnitt Eures Messers würde gerade jetzt von größerem Nutzen sein, als die längste Rede, die je in einem Kentucky-Gerichtssaal gehalten worden ist.«

»Ei, Gerichtssale sind die glücklichen Jagdgründe, wie eine Rothhaut sagen würde, für die, welche keine bessere Gabe haben, als eine Lüge auf der Zunge. Ich ward selbst einst in eine dieser gesetzlosen Höhlen gebracht, und das um nichts Größeres, als die Haut eines Rehs. Der Herr vergeb‘ ihnen, sie wußten’s nicht besser und thaten nach ihrem schwachen Verstande, und um so mehr müssen sie bemitleidet werden; und doch war es ein hoher Anblick, einen alten Mann zu sehen, der immer in freier Luft gelebt hatte, und der jetzt vom Gesetz ergriffen und als ein Schauspiel für die Weiber und Jungen einer zusammenströmenden Colonie hingestellt ward, um mit Finger auf sich deuten zu lassen.«

»Wenn das Eure löbliche Ansicht von der Einkerkerung ist, ehrlicher Freund, würdet Ihr sie besser an den Tag legen, wenn Ihr uns mit so wenig Verzug als möglich in Freiheit setztet,« sagte Middleton, der wie sein Gefährte das Zögern seines oft erprobten Genossen eben so ungewöhnlich als unangenehm zu finden begann.

»Ich würde ganz dasselbe wünschen, besonders an Eurer Stelle, Capitain, da Ihr als Soldat nicht allein Vergnügen, sondern auch Vortheil dabei finden möchtet, wenn Ihr mehr nach Eurer Bequemlichkeit die Nachstellungen und List eines indianischen Gefechts untersuchen könntet. Was Euern Freund da betrifft, so liegt nur wenig daran, wie weit er die Sache untersucht, und sich überzeugt, daß ein Indianer nicht auf dieselbe Weise besiegt werden mag, als eine Biene.«

»Alter, dies Scherzen mit unserm Unglück ist unbedacht, um ihm nicht einen schlimmern Namen zu geben.«

»Ei, Euer Großvater war von einem hitzigen, schnellen Gemüth, und man muß nicht erwarten, daß das Junge eines Panthers auf der Erde kriechen soll, wie das Junge eines Igels. Nun, haltet euch Beide ruhig, und was ich sage, soll das Ansehen haben, als sprach‘ ich von den Bewegungen dort auf dem Grunde. Das Alles muß die Eifersucht einschläfern und die Augen derer hintergehn, die selten sie schließen als über Niederträchtigkeit und Grausamkeit. Erstlich also müßt Ihr wissen, daß ich zu glauben Ursache habe, jener verrätherische Teton habe einen Befehl hinterlassen, uns Alle zu tödten, sobald er meint, es könne heimlich und ohne Aufsehen geschehen.«

»Gütiger Himmel! wollt Ihr uns wie geduldige Schaafe abschlachten lassen!«

»Hst, Capitain, hst, ein heißes Temperament ist keins von den besten, wenn List nöthiger ist, als Zuschlagen. Ah, der Pawnee ist ein edler Junge; es würde Euerm Herzen wohl thun, wenn Ihr ihn vom Flusse wegziehen sähet, um seine Feinde zum Uebergange einzuladen; und doch zählen sie, nach meinem trüben Auge zu rechnen, zwei Krieger auf einen! Aber, wie gesagt, Schnelligkeit und Ungestüm ist zu wenig nütz. Die Sachen sind so klar, daß jedes Kind ihre Weisheit einsehen kann. Die Wilden sind wegen unserer Behandlung verschiedener Meinung. Einige fürchten uns, unsrer Farbe wegen, und würden uns gerne gehen lassen; und andere möchten uns die Gnade erweisen, die das Reh vom hungrigen Wolf empfängt. Wenn Uneinigkeit in dem Rath eines Stammes entsteht, ist die Menschlichkeit selten der gewinnende Theil. Nun seht Ihr diese runzligen, grausamen Herren? – Nein, Ihr könnt sie nicht sehen, da Ihr liegt; aber dennoch, sie sind da, bereit und willig, wie eben so viele Bärinnen, um ihre Gier, sobald es Zeit ist, an uns zu stillen.«

»Hört, alter Streifschütz,« fiel Paul etwas bitter ein, »sagt Ihr uns das zu unserer Erheiterung oder zu Eurer. Wenn zu unserer, könnt Ihr Euern Athem für Eure nächste Flucht sparen, da ich schon mit meinem Theil fast bis zur Erstickung genug habe.«

»Hst,« sagte der Streifschütz und schnitt mit großer Geschicklichkeit und Schnelle die Riemen durch, welche Paul’s einen Arm an seinen Leib banden, und legte zugleich sein Messer in den Bereich der befreiten Hand. »Hst, Junge, hst, das war ein glücklicher Augenblick!«

Das Geschrei von dem Grunde zieht die Augen dieser Blutsauger nach einer andern Seite, und so weit sind wir sicher. Nun macht den gehörigen Gebrauch von Euerm Vortheil; aber gebt Acht, daß was Ihr thut, unbemerkt geschieht.«

»Dank Euch für diese geringe Gunst, alte Vorsicht,« murmelte der Bienenjäger, »obwohl sie, wie Schnee im Mai, etwas außer der Zeit kommt.«

»Thörichter Junge,« rief mit einem Vorwurf der Andere, der sich etwas von seinen Freunden entfernt hatte und eifrig die Bewegungen der feindlichen Theile zu beobachten schien, »werdet Ihr nie die Weisheit der Geduld einsehen lernen? Und auch Ihr, Capitain, obwohl ich mich nicht sehr um bloße Gefühle kümmere, ich sehe, Ihr seid still, weil Ihr nicht ferner um eine Gunstbezeugung einen Mann bitten wollt, den Ihr so langsam in ihrer Erweisung glaubt. Ohne Zweifel, ihr seid Beide jung und von dem Stolz eurer Stärke und Männlichkeit erfüllt, und haltet es für genug, die Bande zu durchschneiden, um euch zu Herren des Platzes zu machen. Aber, wer viel gesehen hat, denkt viel. Hatte ich wie ein geschäftiges Weib geeilt, euch die Freiheit zu geben, diese Hexen von Sioux hätten es gesehen, und dann, wo wär’t ihr Beide gewesen? Unter dem Tomahawk und Messer, wie hülflose, schreiende Kinder, wenn auch versehen mit der Größe und dem Barte von Männern. Fragt unsern Freund, den Bienenjäger, in welcher Lage er sich befindet, um nach so vielen Stunden der Fesseln nur mit einem Teton Jungen zu ringen, geschweige mit einem Dutzend erbarmungsloser, blutdürstiger Megären!«

»Wahr, alter Streifschütz,« entgegnete Paul und reckte die Glieder, die jetzt ganz befreit waren, und bemühte sich, die gestörte Zirkulation wieder herzustellen; »Ihr habt gewisse richtige Begriffe in diesen Dingen. Nun, hier bin ich, Paul Hover, ein Mann, der Wenigen im Ringen oder Laufen sonst nachstand, und der jetzt fast so hülflos ist, als am Tage, da ich meinen ersten Besuch im Hause des alten Paul machte, der gestorben und fort ist; der Herr vergebe ihm einige geringe Fehler, die er gemacht haben mag, während er sich in Kentucky aufhielt! Nun steht mein Fuß auf dem Boden, soweit ich meinem Auge trauen darf, und doch würde es nicht viel Redens brauchen, mich schwören zu lassen, daß er die Erde nicht berühre, daß er sechs Zoll darüber sei. Ich sag‘, ehrlicher Freund, da Ihr schon so viel gethan, habt die Güte, diese verd– te Vetteln, von denen Ihr so viel interessante Dinge sagt, etwas entfernt zu halten, bis ich das Blut in diesem Arm in Bewegung gebracht und im Stande bin, sie höflich zu empfangen.«

Der Streifschütz gab ein Zeichen, daß er vollkommen die Gefahr ihrer Lage verstünde, und ging auf den bejahrten Wilden zu, der anzudeuten begann, er wolle seine Aufgabe anfangen. Indeß suchte Paul soviel wie möglich den Gebrauch seiner Glieder wieder zu erlangen, und Middleton, sich in eine ähnliche Lage der Vertheidigung zu setzen. Mahtoree hatte sich in seinem Mann nicht geirrt, als er ihn zur Ausführung seines blutigen Plans ausersah. Er hatte einen von jenen erbarmungslosen Wilden gewählt, die mehr oder weniger in jedem Stamme gefunden werden, und die durch Darlegung einer Kühnheit, die ihre Quellen in einer angebornen Liebe zur Grausamkeit fand, sich einen gewissen militärischen Ruf erworben hatten. Gegen den hohen, ritterlichen Geist, der unter den Indianern der Steppen es zu einer rühmlicheren That macht, die Trophäen des Siegs von einem gefallenen Feind davon zu tragen, als ihn zu erschlagen, hatte er sich dadurch ausgezeichnet, daß er das Vergnügen, Leben zu vernichten, dem Ruhme vorzog, Beute zu machen. Während die sich mehr der Gefahr aussetzenden, ehrgeizigeren Tapfern auf ihre persönliche Ehre bedacht waren, hatte man ihn immer sich hinter ein günstiges Versteck stellen sehen, wo er die Verwundeten der Hoffnung beraubte, indem er das, was ein tapferer Krieger begonnen, vollendete. Bei allen Grausamkeiten des Stammes war er immer der Vorderste gewesen, und kein Sioux ward so gleichförmig immer auf der Seite erbarmungsloser Rathschläge gefunden.

Er hatte mit einer Ungeduld, die seine langgeübte Selbstbeherrschung nur schwer überwältigen konnte, den Augenblick erwartet, wo er die Wünsche des großen Häuptlings, ohne dessen Billigung und Schutz er nicht gewagt haben würde, einen von seiner Nation so sehr bestrittenen Schritt zu thun, ausführen möchte. Aber die Vorfälle hatten die Entscheidung zwischen den feindlichen Haufen beschleunigt, und die Zeit war jetzt gekommen, wo er, sehr zu seiner heimlichen, bösartigen Freude, frei war, was er wünschte, zu thun.

Der Streifschütz traf ihn, wie er Messer unter die wilden Weiber austheilte, die die Geschenke mit einem dumpfen, eintönigen Gesang empfingen, der den Verlust ihres Volkes in den verschiedenen Kämpfen mit den Weißen aufzählte, und die Lust und den Ruhm der Rache feierte. Der Anblick einer solchen Gruppe war schon an und für sich hinreichend, einen an solche Auftritte weniger Gewöhnten, als dies bei dem Streifschützen der Fall war, abzuschrecken, sich in den Zirkel ihrer wilden, zurückstoßenden Gebräuche zu wagen.

Jedes der Weiber, wie sie die Waffe empfing, begann einen langsamen, gemessenen, aber unergötzlichen Tanz um den Wilden, bis alle in einer Art magischer Schritte um ihn herum waren. Zu den Bewegungen bildeten gewissermaßen die Worte ihrer Gesänge den Tact, so wie dies bei ihren Geberden durch die Ideen geschah. Wenn sie von ihrem eigenen Verlust sprachen, warfen sie ihre langen, straffen grauen Haare in die Luft, oder ließen sie verwirrt auf ihren gealterten Nacken fallen; aber als die Lust, Schlag mit Schlag zu erwiedern, berührt ward, antworteten sie darauf durch ein Geheul, und durch Geberden, welche hinlänglich die Art ausdrückten, wie sie sich auf die nöthige Höhe der Wuth hinaufreizten.

Gerade in den Mittelpunkt dieses Ringes von scheinbaren Höllengeistern trat der Streifschütz jetzt mit derselben Ruhe und Ueberlegung ein, mit der er in eine Dorfkirche gegangen sein würde. Keine andere Veränderung ward durch seine Erscheinung hervorgebracht, als daß die drohenden Geberden mit einem, wo möglich noch weniger zweideutigen Ausdruck ihrer unerbittlichen Vorsätze erneuert wurden. Der alte Mann gab ihnen ein Zeichen, aufzuhören, und fragte:

»Warum singen die Mütter der Teton mit bitteren Zungen? Die Pawnee-Gefangenen sind noch nicht in ihrem Dorf, ihre jungen Leute sind noch nicht mit Schädeln beladen zurückgekommen!«

Ihm ward durch ein zweites allgemeines Geheul geantwortet, und einige der kühnsten Furien wagten ihm selbst Vorwürfe zu machen, indem sie ihre Messer in einer gefährlichen Nähe an seinen unwandelbaren Augen vorbeischwangen.

»Es ist ein Krieger, den ihr vor euch seht, und kein Flüchtling von den Langmessern, dessen Gesicht bei’m Anblick des Tomahawk’s blasser wird,« entgegnete der Streifschütz, ohne eine Muskel zu verziehen, »Mögen die Sioux-Weiber bedenken; wenn eine Weißhaut stirbt, springen Hunderte auf, wo sie gefallen ist.«

Noch gaben die Weiber keine andere Antwort, als daß sie ihre Eile im Kreis herum vermehrten, und gelegentlich die drohenden Ausbrüche ihres Sangs in lauteren, verständlicheren Noten erhoben. Plötzlich brach eine der ältesten und wildesten von ihnen allen aus dem Kreis, und eilte fort nach ihren Opfern wie ein Raubvogel, der auf schweren Flügeln lange genug sich geschwenkt, um sich seines Gegenstandes zu versichern und endlich auf seinen Raub losschießt. Die andern folgten, eine ungeordnete, schreiende Heerde, fürchtend, sie möchten zu spät kommen, um ihren Theil an der blutigen Lust für sich zu nehmen.

»Mächtiger Zauberer meines Volkes!« rief der Alte in der Teton-Sprache, »erhebe deine Stimme und sprich, daß das Sioux-Volk möge hören.«

Entweder hatte Asinus durch seine früheren Erfahrungen so viel Kenntniß erlangt, daß er den Werth seiner sonoren Eigenthümlichkeiten kannte, oder das sonderbare Schauspiel von einem Dutzend Megären, die an ihm vorübereilten, und die Luft mit Tönen erfüllten, die selbst den Ohren eines Esels empfindlich waren, rührten sein Gemüth am meisten: soviel ist gewiß, das Thier that, was Obed hätte thun sollen, und wahrscheinlich mit weit größerem Effect, als wenn der Naturforscher die mächtigsten Anstrengungen gemacht, um gehört zu werden. Es war das erste Mal, daß das sonderbare Thier seit seiner Ankunft im Lager gesprochen. Durch so furchtbaren Ruf gewarnt, zerstreuten sich die Furien, wie erschreckte Geier, von ihrem Raub, immer noch schreiend, und nur halb von ihrem Vorsatz abgelenkt.

Mittlerweile hatte die plötzliche Erscheinung und Nähe der Gefahr das Blut in Paul’s und Middletons Adern mehr als alle ihre mühsamen Reibungen und physischen Versuche in Bewegung gesetzt. Der Erstere war wirklich aufgesprungen, und nahm eine Stellung an, die vielleicht mehr drohte, als der Bienenjäger auszuführen im Stande war, und selbst der Letztere hatte sich auf seine Kniee erhoben, und seine Absicht verrathen, sein Leben zu vertheidigen. Die unerklärliche Befreiung der Gefangenen von ihren Banden ward von den Weibern den Beschwörungen des Zauberers zugeschrieben, und dieser Irrthum war vielleicht von eben so vielem Nutzen, als die wunderbare und zeitige Einsprache des Esels zu ihren Gunsten.

»Nun ist’s Zeit, aus unserm Versteck hervorzukommen,« rief der Alte, und eilte zu seinen Freunden; »jetzt müssen wir offenen, mannhaften Krieg führen. Es würde klug gewesen sein, den Kampf aufzuschieben, bis der Capitain sich in besserer Lage befunden, um uns beizustehen, aber da wir unsere Batterie demaskirt haben, ei, so müssen wir den Platz behaupten.«

Er ward von der Berührung einer gigantischen Hand auf seiner Schulter unterbrochen. Er wendete sich mit einem wirren Gefühl, daß Todtenbeschwörung nun wirklich an dieser Stelle los wäre, um, und fand sich in den Händen eines nicht weniger gefährlichen und mächtigen Zauberers, als Ismael Busch. Die Reihe von des Auswanderers wohlbewaffneten Söhnen, die man hinter dem nahstehenden Zelt Mahtoree’s hervorkommen sah, zeigte mit einem Mal nicht nur die Art, wie ihre Nachhut umgangen worden, während ihre Aufmerksamkeit so ernstlich auf die Dinge vor ihnen gerichtet gewesen, sondern auch die gänzliche Unmöglichkeit, Widerstand zu leisten.

Weder Ismael noch seine Söhne hielten es für nöthig, in weitläufige Erklärungen einzugehen. Middleton und Paul wurden wieder gebunden, mit ausserordentlicher Stille und Schnelligkeit, und dies Mal ward selbst nicht der alte Streifschütz mit einem ähnlichen Schicksal verschont. Das Zelt wurde abgebrochen, die Frauen kamen auf die Pferde, und das Ganze machte sich auf den Weg nach des Auswanderers Lagerung, Alles mit einer Eile, die wohl auf den Gedanken eines Zaubers hätte bringen mögen.

Während dieser summarischen, kurzen Anordnung der Dinge sah man den getäuschten Helfershelfer Mahtoree’s und seine wilden Gefährtinnen über die Ebene in der Richtung der fliehenden Familien hineilen, und als Ismael die Stelle mit seinen Gefangenen und seiner Beute verließ, ward sie, die eben noch von dem Geräusch und dem Leben einer großen indianischen Lagerung so erfüllt gewesen, so still und leer, wie jeder andere Ort in diesen weiten Wüsten.

Fünfzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

»So Iächle denn der Himmel auf die Feier hin,
Daß künft’ge Stund‘ uns treff‘ mit Trauer nicht.«

Shakespeare.

 

Es ist gut, daß der Lauf der Erzählung stille stehe, während wir zu jenen Ursachen uns wenden, die in ihrer Kette von Folgen den eben beschriebenen sonderbaren Kampf herbeiführten. Die Unterbrechung muß nothwendig eben so kurz sein, als sie, wie wir hoffen, für jene Classe von Lesern genügend sein wird, die verlangen, daß die, welche das Amt der Geschichtschreiber auf sich nehmen, keine Lücke ihrer eigenen fruchtbaren Einbildungskraft auszufüllen überlassen.

Unter den Truppen, welche die Regierung der Conföderation abgeschickt hatte, um Besitz von ihrem neu erworbenen Gebiet im Westen zu nehmen, war ein Detachement, das von dem jungen Krieger angeführt ward, der eine so geschäftige Rolle in den Vorfällen unserer Sage gespielt hat. Die ruhigen, gleichgültigen Abkömmlinge der alten Colonisten empfingen ihre neuen Landsleute ohne Argwohn, da sie wohl wußten, daß die Veränderung sie aus Unterthanen zu beneidenswerthern Bürgern unter der Herrschaft der Gesetze machte. Die neuen Beamten übten ihre Functionen mit Umsicht und gebrauchten ihr übertragenes Ansehen ohne Druck. Bei solch einer neuen Mischung aber, von Leuten, die als freie Bürger geboren und erzogen worden, und von nachgiebigen Sclaven unumschränkter Gewalt, von Katholiken und Protestanten, von Arbeitsamen und Trägen, war einige Zeit nöthig, um diese widerstrebenden Elemente der Gesellschaft zu einigen.

Solch einen wünschenswerthen Zweck zu erreichen, sollte das Weib seine gewohnte freundliche Hülfe bieten. Die Schranken des Vorurtheils und der Religion wurden durch die unwiderstehliche Macht der ersten Leidenschaft der Menschen durchbrochen, und Familien-Vereine begannen bald die Staatsbande zu befestigen, die eine gezwungene Verbindung zwischen einem Volk hervorgebracht hatten, das so verschieden war in seinen Gewohnheiten, seiner Erziehung, und seinen Meinungen.

Middleton war unter den Ersten der neuen Besitzer des Landes, die die Reize louisianischer Damen gefangen nahmen. In der unmittelbaren Nähe des Standquartiers, das er einzunehmen beordert worden, lebte das Haupt einer jener alten Familien der Colonieen, die Jahre lang sich begnügt hatten, in der Ruhe, Gemächlichkeit und dem Wohlstand der spanischen Provinzen hinzuschlummern. Er war ein Officier der Krone, und durch ein reiches Erbe vermocht worden, die Florida zu verlassen und sich unter den Franzosen der angrenzenden Provinz niederzulassen. Der Name des Don Augustin de Certavallos war kaum über die Grenzen der kleinen Stadt hinaus, wo er residirte, bekannt, obwohl er sich ein heimliches Vergnügen daraus machte in großen Rollen rußiger Dokumente einem einzigen Kinde zu zeigen, wie er eingeschrieben sei unter die früheren Helden und Großen Alt- und Neu-Spaniens.

Diese für ihn so wichtige, für jeden Andern so gleichgültige Thatsache war der Hauptgrund, daß, während seine lebendigeren gallischen Nachbarn nicht lässig waren, einen freien Umgang mit ihrem Besuch anzuknüpfen, er lieber allein bleiben wollte, zufrieden, wie es schien, mit dem Umgang seiner Tochter, die eben in den Stand der Mannbarkeit trat.

Die Wißbegierde der jugendlichen Inez war jedoch noch nicht gänzlich unthätig. Sie hatte die kriegerische Musik der Garnison nicht gehört, wie sie mit der Abendluft zerschmolz, nicht das fremdartige Banner gesehen, das über den Höhen flatterte, welche nicht weit von ihres Vaters ausgedehnten Besitzungen sich erhoben, ohne etwas von den geheimen Regungen in sich zu fühlen, welche, wie man meint, ihr Geschlecht auszeichnen. Natürliche Furchtsamkeit und jene sich zurückziehende, vielleicht eigenthümliche Gleichgültigkeit, die die Hauptquelle weiblichen Zaubers in den tropischen Provinzen Spaniens ist, hielten sie in ihren, dem Anschein nach unauflöslichen Banden, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß, hätte sich nicht ein Vorfall ereignet, worin Middleton ihrem Vater einigermaßen nützlich gewesen, so lange Zeit vorübergegangen wäre, ehe sie zusammen gekommen, daß eine andere Richtung den Wünschen eines Wesens hätte gegeben werden mögen, das gerade in einem Alter war, welches für die Macht der Jugend und Schönheit so empfänglich ist.

Die Vorsehung, – oder wenn dieses hohe Wort hier nicht passend scheinen sollte, – das Geschick hatte es anders beschlossen. Der stolze, zurückhaltende Don Augustin war viel zu aufmerksam auf die Formen jenes Ranges, worauf er sich so viel zu gut that, um die Pflichten eines Edelmannes zu vergessen. Dankbarkeit für Middletons Gefälligkeit vermochte ihn, seine Thüre den Offizieren der Garnison zu öffnen und sich auf einen vorsichtigen, aber höflichen Umgang einzulassen. Die Zurückhaltung wich allmählich der Anmuth und Aufrichtigkeit des jungen Anführers, und es dauerte nicht lange, so erfreute der wohlhabende Pflanzer sich eben so sehr als seine Tochter, wenn das wohlbekannte Zeichen am Thor den angenehmen Besuch des Befehlshabers des Postens verkündete.

Es ist unnöthig, sich über den Eindruck zu verbreiten, den Inezens Reiz auf den Soldaten machte, oder die Erzählung aufzuhalten, um eine umständliche Nachricht von dem fortschreitenden Einfluß zu geben, den ein einnehmendes Betragen, männliche Schönheit und ungetheilte Aufmerksamkeit und Geist nothwendig aus das gefühlvolle Gemüth eines romantischen, liebevollen und einsamen Mädchens von sechszehn Jahren sich verschaffen mußten.

Es ist zu unserm Zweck hinlänglich zu sagen, daß sie liebten, daß der Jüngling nicht zögerte, seine Gefühle zu erklären, daß er mit einiger Leichtigkeit sich über die Anstände des Mädchens hinaus setzte, doch mit nicht geringen Schwierigkeiten die Einwürfe des Vaters wegräumte, und daß, ehe noch die Provinz Louisiana sechs Monate im Besitz der Staaten gewesen war, der Beamte der letzteren der Verlobte der reichsten Erbin an den Küsten des Mississippi war.

Obwohl wir versucht haben, den Leser mit der Art bekannt zu machen, wie man zu solchen Ergebnissen gewöhnlich gelangt, muß man doch nicht meinen, daß Middletons Sieg über die Vorurtheile des Vaters und seiner Tochter ganz ohne Mühe erreicht ward. Die Religion war bei Beiden ein schweres und fast unüberwindliches Hinderniß. Der ergebene Jüngling unterzog sich geduldig einem furchtbaren Versuch, den Pater Ignatius machte, der abgesandt ward, um ihn zum wahren Glauben zu bekehren. Die Anstrengungen von Seiten des würdigen Priesters waren systematisch, kräftig, ausdauernd.

Ein Dutzend Mal (nämlich in den Augenblicken, wo die leichte, sylphenähnliche Gestalt der Inez wie ein Feenwesen über die Scene ihrer Unterredungen schritt) dachte der gute Pater, er stünde am Vorabend eines glorreichen Triumphs über den Unglauben; aber alle seine Hoffnungen wurden dann durch einen unvorhergesehenen Widerspruch von Seiten des Gegenstandes seiner frommen Bemühungen wieder vereitelt. So lange der Angriff auf seinen Glauben entfernt und schwach war, wich Middleton, der keine besondern Progresse in der Polemik gemacht, ihren Wirkungen mit der Geduld und Ergebung eines Märtyrers; aber sobald der gute Pater, der so große Sorge für sein künftiges Glück trug, den gewonnenen Boden zu benutzen suchte, um einige von den Spitzfindigkeiten seines eigenen Glaubens zu Hülfe zu rufen, dann war der Jüngling ein zu guter Soldat, um nicht dem heißen Angriff die Spitze zu bieten. Er kam freilich mit keinen furchtbarern Waffen auf den Kampfplatz, als mit seinem gesunden Menschenverstand und mit der geringen Kenntniß von den Gebräuchen seines Vaterlandes, in so weit sie mit denen seines Gegners in Widerspruch standen; aber mit dieser hausbackenen Rüstung verfehlte er nie, den Pater mit einer Kraft zurückzuschlagen, die der in etwas ähnlich war, womit ein nervigter Klopffechter einen geschickten Meister im Rappier empfangen und seine Paraden durch den direkten und unumstößlichen Beweis eines zerschlagenen Kopfes und zersplitterter Waffe auf Nichts zurückführen würde.

Ehe der Streit noch geendigt war, kam ein Einfall der Protestanten dem Soldaten zu Hülfe. Die rücksichtslose Freiheit Solcher von ihnen, die nur an dieses Leben dachten, und die sich gleichbleibende und gemäßigte Frömmigkeit Anderer machte, daß der ehrliche Priester voll Besorgnis um sich sah. Der Einfluß des Beispiels auf der einen Seite, und Ansteckungen eines zu freien Umgangs auf der andern, fing an, sich selbst in dem Theil seiner eigenen Heerde zu zeigen, den er für zu sehr von geistlicher Leitung umwickelt gehalten hatte, als daß er irre gehen könnte. Es war Zeit, daß er seine Gedanken von der Offensive abwandte und seine Bekenner vorbereitete, der gesetzlosen Fluth von Meinungen zu widerstehen, die die Schranken ihres Glaubens umzureißen drohten. Gleich einem weisen Feldherrn, welcher findet, daß er für seine Streitkräfte zu viel Land besetzt hält, begann er, seine Außenwerke zusammen zu ziehen; die Ueberbleibsel wurden profanen Augen verborgen; seine Anhänger wurden ermahnt, nicht von Mirakeln vor einem Haufen zu reden, der nicht allein ihr Dasein leugnete, sondern der selbst die verzweifelte Kühnheit hätte, die Beweise dafür heraus zu fordern. Die Bibel ward nochmals mit furchtbaren Drohungen aus dem siegenden Grunde verboten, weil sie mißverstanden werden könnte. Indeß ward es nöthig, Don Augustin die Wirkungen mitzutheilen, die seine Beweise und Gebete auf die ketzerische Anlage des jungen Kriegers hervorgebracht hatten. Niemand ist geneigt, seine Schwäche gerade in dem Augenblick zu gestehen, wo die Umstände die äußerste Kraftanstrengung erfordern. Durch eine Art frommen Betrugs, wofür ohne Zweifel der würdige Priester Absolution in der Reinheit seiner Beweggründe fand, erklärte er, daß, wenn keine wirkliche Veränderung mit Middletons Gemüth schon vorgegangen, doch aller Grund da sei, um zu hoffen, der eingetriebene Keil der Ueberzeugung sei bis zu seinem Haupte gedrungen, und daß folglich eine Oeffnung da sei, wodurch, wie man vernünftigerweise erwarten könne, der gesegnete Same religiöser Befruchtung seinen Weg finden werde, besonders wenn dem jungen Mann ununterbrochen vergönnt würde, des Segens der katholischen Communion sich zu erfreuen.

Jetzt ward Don Augustin selbst von der Wuth des Proselytismus ergriffen. Selbst die sanfte, liebenswürdige Inez hielt es für eine glorreiche Erfüllung ihrer Wünsche, wenn sie zum geringen Werkzeug dienen könnte, ihren Geliebten in den Schooß der wahren Kirche zurückzuführen. Die Bewerbungen Middletons wurden schnell angenommen, und während der Vater ungeduldig dem zur Vermählung bestimmten Tag entgegen sah, als wäre er das Pfand seines eigenen glücklichen Erfolgs, dachte die Tochter an ihn mit Gefühlen, worin die heiligen Erregungen ihres Glaubens sich mit den sanfteren Gefühlen ihrer Jahre und Lage mischten.

Die Sonne ging am Morgen ihres Hochzeittages so glänzend und wolkenlos auf, daß die gefühlvolle Inez ihm wie dem Bürgen ihres künftigen Glücks entgegen jauchzte. Pater Ignatius beging die kirchliche Handlung in einer kleinen Capelle, die zu Don Augustins Gut gehörte, und lange, ehe die Sonne zu sinken begonnen, drückte Middleton die erröthende, furchtsame Creole, als sein anerkanntes und unzertrennliches Weib, an den Busen.

Es hatte beiden Theilen gefallen, den Tag der Hochzeit in der Stille hinzubringen, und ihn fern von allen den geräuschvollen und gewöhnlich herzlosen Vergnügungen einer erzwungenen Festlichkeit nur den besten und feinsten Gefühlen zu weihen, Middleton kehrte durch Don Augustins Gebiet von einem Pflichtbesuch in sein Lager zurück, zur Zeit, als das Licht der Sonne mit dem Schatten des Abends zu verschmelzen begann; da traf ein Strahl von einem Kleid, das dem ähnlich war, in welchem er Inez zum Altar geführt hatte, sein Auge durch das Blätterwerk eines verlornen Gebüsches. Er näherte sich der, Stelle mit einer Zartheit, welche durch das Recht, das sie ihm vielleicht gegeben hatte, in ihren geheimen Augenblicken sich zuzudrängen, eher vermehrt als vermindert worden, aber die Töne ihrer sanften Stimme, welche Gebete hinaufsendete, in den er sich mit den theuersten aller Benennungen bezeichnet hörte, besiegten seine Anstände, und vermochten ihn, eine Stellung einzunehmen, wo er ohne Furcht vor Entdeckung lauschen konnte. Es war gewiß dem Gefühl eines Gemahls angenehm, auf diese Weise im Stande zu sein, die fleckenlose Seele seines Weibes zu durchschauen, und zu finden, daß sein Bild von ihren reinsten und heiligsten Gefühlen umgeben war. Seine Selbstachtung war zu sehr geschmeichelt, um ihn nicht zu vermögen, den eigentlichen Zweck der Bittenden zu übersehen. Während sie betete, daß sie das geringe Werkzeug werden möchte, um ihn in die Schaar der Gläubigen zurückzubringen, bat sie um Vergebung für sich selbst, wenn Anmaßung oder Gleichgültigkeit gegen den Rath der Kirche sie veranlaßt, zu hohen Werth auf ihren Einfluß zu legen, und sie in den gefährlichen Irrthum verleitet hätte, ihre eigene Seele zu gefährden, indem sie mit einem Ketzer sich vermählte. Es war so viel brünstige Frömmigkeit, gemischt mit so starkem Ausbruch natürlichen Gefühls, so viel von einem Weibe und einem Engel in ihren Gebeten, daß Middleton ihr hätte vergeben können, auch wenn sie ihn einen Heiden genannt, mit so viel Milde und Antheil bat sie für ihn.

Der junge Krieger wartete, bis seine Braut aufgestanden, und trat dann zu ihr, als sei er ganz unbekannt mit Allem, was eben vorgefallen.

»Es wird spät, meine Inez,« sagte er, »und Don Augustin könnte Euch Unaufmerksamkeit gegen Eure Gesundheit vorwerfen, daß Ihr so lange zu solcher Stunde außen seid. Was soll ich nun thun, dem all sein Ansehn übertragen ward, und doppelt seine Liebe?«

»Seid ihm gleich in jedem Stück,« antwortete sie, sah mit Thränen im Auge zu ihm auf, und sprach mit besonderer Wärme; »in jedem Stück! Ahmt meinem Vater nach, Middleton, und ich kann von Euch nicht mehr verlangen.«

»Auch nicht für mich, Inez? Ich zweifle nicht, daß ich alles sein würde, was Ihr wünschen könnt, würde ich so gut wie der würdige, verehrte Don Augustin. Aber Ihr müßt den Schwachheiten und Angewöhnungen eines Soldaten etwas nachsehen. Nun laßt uns gehen und diesen trefflichen Vater sehen?«

»Noch nicht,« sagte die Braut, und wand sich sanft aus seinem Arm, den er um ihre schlanke Gestalt geworfen, als er sie wegzog. »Ich habe noch eine Pflicht zu erfüllen, ehe ich so vorbehaltlos Euern Befehlen mich unterwerfen kann, möcht Ihr auch Soldat sein. Ich versprach der würdigen Inesella, meiner treuen Amme, ihr, die wie Ihr gehört, so lange mir Mutter gewesen ist; Middleton, ich versprach ihr einen Besuch zu dieser Stunde; es ist der letzte, wie sie meint, den sie von ihrem Kind empfangen kann, und ich werde sie nicht vergebens warten lassen. Geht Ihr dann zu Don Augustin, und in einer kleinen Stunde werde ich Euch dort treffen.«

»Erinnert Euch, nur eine Stunde!«

»Eine Stunde,« wiederholte Inez, und warf ihm einen Kuß zu; dann erröthend, als sei sie über ihre Kühnheit beschämt, schoß sie von dem Gesträuch weg, und ward für einen Augenblick nach der Hütte ihrer Amme hineilen gesehen, in welcher sie in der nächsten Minute verschwand.

Middleton kehrte langsam und gedankenvoll nach dem Hause zurück, oft seine Augen nach der Seite richtend, wo er sein Weib zum letzten Mal gesehen, als wollte er gerne ihre liebliche Gestalt in dem Dunkel des Abends auffinden, wo sie ihm noch in dem freien Raum hinzuschweben schien. Don Augustin empfing ihn mit Wärme, und vergnügte sich einige Zeit lang, sich von seinem neuen Schwiegersohne Pläne für die Zukunft vorlegen zu lassen.

Der alte spanische Zuhörer lauschte auf seine blühende, aber treue Beschreibung des Wohlstandes und Glückes jener Staaten, von denen er ein halbes Leben lang ein unwissender Nachbar gewesen war, theils mit jener Art Unglauben, womit man das anhört, was man für übertriebene Beschreibung zu parteiischer Freundschaft hält.

Auf diese Art ging die Stunde, welche sich Inez ausbedungen, viel früher vorüber, als ihr Gemahl in ihrer Abwesenheit hatte für möglich halten können. Endlich richteten sich seine Blicke auf die Uhr, und dann wurden die Minuten gezählt, wie eine nach der andern verrann, und Inez erschien noch nicht. Der Zeiger hatte schon die Hälfte eines andern Umlaufs um das Zifferblatt zurückgelegt, als Middleton aufstand und seinen Entschluß erklärte, zu gehen und sich zum Schützer der Abwesenden anzubieten. Er fand die Nacht dunkel, und den Himmel mit drohenden Dünsten bedeckt, was in jenem Clima der untrügliche Vorläufer eines Sturms war. Getrieben, eben so sehr durch den unheilvollen Anblick der Luft, als durch seine geheime Unruhe, beeilte er seine Schritte, stürzte auf Inesella’s Hütte zu. Zwanzigmal blieb er stehen, glaubte einen Strahl von Inez reizender Gestalt aufzufangen, wie sie auf ihrem Rückweg zum Herrenhaus hinschwebte, und ward eben so oft genöthigt, getäuscht seinen Weg wieder aufzunehmen. Er erreichte die Thür der Hütte, klopfte, öffnete, trat ein und stand selbst vor der bejahrten Amme, ohne auf die zu treffen, die er suchte. Sie hatte schon das Haus verlassen, war schon zu ihrem Vater zurückgekehrt. In der Meinung, er habe sie in der Dunkelheit verfehlt, ging Middleton zurück, um nochmals in seiner Erwartung sich getäuscht zu sehen. Man hatte nichts von Inez vernommen. Ohne seine Absicht irgend Jemand mitzutheilen, ging der Bräutigam mit klopfendem Herzen nach dem kleinen abgelegenen Gebüsch, wo er seine Braut jene Gebete für sein Glück und seine Bekehrung zum Himmel hatte hinaufschicken hören. Auch hier täuschte ihn seine Hoffnung, und nun gerieth er außer sich in der peinvollen Ungewißheit des Zweifels und der Vermuthung.

Mehrere Stunden lang vermochte ein geheimer Verdacht in die Beweggründe seines Weibes Middleton, in seinem Forschen mit Zartheit und Vorsicht vorzuschreiten. Aber als der Tag dämmerte, ohne sie in die Arme ihres Vaters oder Gemahls zurückzubringen, ward jeder Rückhalt bei Seite gelegt, und ihr unerklärliches Verschwinden laut bekannt gemacht. Die Nachforschungen nach der verlorenen Inez geschahen jetzt ohne Umschweife und offen, aber sie zeigten sich gleich fruchtlos.

Niemand hatte sie gesehen oder von ihr gehört, seit sie die Hütte der Amme verlassen.

Ein Tag ging nach dem andern vorüber und noch belohnte keine Nachricht das Nachforschen, das sogleich angestellt worden, bis sie endlich von den meisten ihrer Verwandten und Freunde als unwiederbringlich verloren aufgegeben ward. Eine so außerordentliche Begebenheit ward nicht so bald vergessen. Sie reizte den Erwerbgeist, gab Veranlassung zu einer Fluth von Gerüchten und zu nicht wenig Vermuthungen. Die vorherrschende Meinung unter solchen Auswanderern, die das Land überströmten, und welche bei der Menge ihrer Geschäfte noch Zeit hatten, an fremden Kummer zu denken, war der einfache und unmittelbare Schluß, daß das Verschwinden der Braut nichts mehr und nichts weniger als ein Selbstmord sei. Vater Ignatius hatte manche Zweifel und viele geheime Gewissensunruhe, aber gleich einem weisen Befehlshaber bemühte er sich, den betrübenden Vorfall zu einigem Vortheil in dem bevorstehenden Glaubenskampf zu wenden. Er richtete die Batterie anders und lispelte einigen seiner ältesten Pfarrkinder in die Ohren, er habe sich über den Zustand von Middletons Herz getäuscht, welches, wie er jetzt zu glauben genöthigt wäre, gänzlich in den Schmutz der Ketzerei versunken sei. Er fing wieder an seine Reliquien zu zeigen, und man hörte ihn selbst wieder auf den zarten und fast vergessenen Punct der neuesten Wunden anspielen. In Folge dieser Bemerkungen des ehrwürdigen Priesters, vernahm man ein Wispern unter den Gläubigen, und endlich ward es als ein Theil des Kirchenglaubens aufgenommen, Inez sei gen Himmel aufgehoben worden.

Don Augustin besaß alles Gefühl des Vaters; aber es ward durch die Laßheit der Creolen eingeschläfert. Gleich seinem geistlichen Vormund begann er zu meinen, es sei unrecht gewesen, ein so reines, junges, liebenswürdiges und vor allem so frommes Wesen den Armen eines Ketzers zu überliefern, und er glaubte gern, das Unglück, das sein Alter befallen, sei ein Strafgericht seiner Anmaßung und seines Mangels an Anhänglichkeit, an die festgesetzten Formen. Er fand freilich, als das Lispeln der Congregation zu seinen Ohren drang, für den Augenblick Trost in ihrem Glauben; aber dann war doch die Natur zu mächtig und hielt fest des alten Mannes Herz, um nicht dem rebellischen Gedanken Eingang zu verschaffen, der Eintritt seiner Tochter in das himmlische Erbe sei ein wenig zu frühzeitig.

Aber Middleton, der Liebende, der Gemahl, der Bräutigam, Middleton war fast zerschmettert von der Stärke dieses unerwarteten furchtbaren Schlags. Erzogen unter der Herrschaft des einfachen vernünftigen Glaubens, worin nichts von den Gläubigen zu verbergen gesucht wird, konnte er keine andern Besorgnisse für Inezens Schicksal hegen, als solche, wie seine Kenntniß vor den abergläubischen Begriffen in ihm erregte, die sich Inez von seiner Kirche machte. Es ist unnöthig, sich über den Schmerz auszulassen, den er empfand, oder all die verschiedenen Vermuthungen, Hoffnungen und Täuschungen aufzuzählen, die er während den ersten Wochen seines Unglücks erfahren sollte. Ein eifersüchtiger Verdacht in Inezens Beweggründe und eine geheime glimmende Hoffnung, er werde sie noch wieder finden hatten seine Untersuchungen gemäßigt, ohne jedoch zu bewirken, daß er sie ganz aufgab. Aber die Zeit fing an, ihn selbst des betrübenden Trostes zu berauben, daß er vorsätzlich, wiewohl vielleicht vorübergehend verlassen worden, und er gab allmählig der peinvolleren Ueberzeugung nach, sie sei todt, als seine Hoffnungen plötzlich von neuem und auf seltsame Weise wieder auflebten.

Der junge Befehlshaber kehrte langsam und trübselig von einer Abendparade in sein Quartier zurück, das in einiger Entfernung von dem Lager war, aber auf derselben Erhöhung stand, als seine herumstreifenden Augen auf die Gestalt eines Mannes fielen, die nach den Vorschriften des Ortes zu dieser verbotenen Stunde nicht hätte da sein sollen. Der Unbekannte trug schlechte Kleidung und seine ganze Gestalt und sein Antlitz verriethen die schmutzigste Armuth und die liederlichsten Sitten. Kummer hatte den militärischen Stolz Middletons gemildert, und als er an der niedergebeugten Gestalt des Eingedrungenen vorüber schritt, sagte er in einem Ton großer Milde, oder vielmehr Güte:

»Ihr werdet die Nacht auf der Wache zubringen, Freund, wenn Euch die Patrouille hier findet; – da ist ein Thaler, geht, sucht Euch ein besseres Nachtquartier und etwas zu essen!«

»Ich verschlinge all mein Essen, ohne zu kauen,« entgegnete der Herumstreicher mit der gemeinen Freude eines vollkommenen Taugenichts, während er begierig nach dem Silber griff. »Gebt für diesen Mexikaner zwanzig und ich will Euch ein Geheimniß verkaufen!«

»Geht, geht,« erwiederte der Andere mit etwas von seiner Soldatenstrenge, und nahm seine frühere Weise wieder an; »geht, ehe ich die Wache Euch ergreifen lasse.«

»Gut, mag sein; aber wenn ich gehe, Capitain, nehme ich mein Geheimniß mit mir, und dann mögt Ihr ein gebannter Wittwer bleiben, bis der Zapfenstreich Eures Lebens geschlagen wird.«

»Was meinst du, Bursche?« rief Middleton und wandte sich schnell nach dem Wicht, der seine morschen Knochen schon wegschleppte.

»Ich meine, ich will mir den Thaler in spanischen Branntwein umsetzen lassen und dann zurückkommen und Euch mein Geheimniß theuer genug verkaufen, um dafür ein ganzes Quart zu bekommen.«

»Wenn Ihr etwas zu sagen habt, sagt es jetzt,« fuhr Middleton fort, und unterdrückte kaum die Ungeduld, die ihn trieb, sein Inneres zu verrathen.

»Ich bin trocken und kann nie mit Anstand reden‘, wenn meine Kehle staubig ist, Capitain. Wie viel wollt Ihr geben, wenn Ihr erfahrt, was ich Euch sagen kann; laßt es etwas Hübsches sein, so etwas, wie es ein Mann dem andern anbieten kann.«

»Ich glaube, es würde bessere Rechtspflege sein, Bursche, wenn ich dem Tambour befähle, Euch einen Besuch zu machen.«

»Worauf bezieht sich Euer so gerühmtes Geheimniß?«

»Auf die Hochzeit, ein Weib oder kein Weib! Ein schönes Gesichtchen, eine reiche Braut! Sprech ich jetzt deutlich, Capitain?«

»Wenn Ihr etwas von meinem Weib wißt, sagt es nur gleich; Ihr braucht wegen Eurer Belohnung nicht zu fürchten.«

»Ei, Capitain, ich habe manchen Handel in meinem Leben gemacht; manchmal bin ich mit Geld, manchmal mit Versprechungen bezahlt worden. Das letzte nenn‘ ich faule Nahrung.«

»Sagt denn den Preis!«

»Zwanzig, – nein, verd– mich, es ist dreißig Thaler werth, ja hundert.«

»Nun, da habt Ihr Euer Geld; aber erinnert Euch, wenn Ihr mir nichts Wichtiges sagt, kann ich’s Euch leicht wieder nehmen, und Eure Freiheit noch obendrein bestrafen.«

Der Bursche untersuchte die Banknoten, die er empfangen, mit mißtrauischem Auge und steckte sie dann, wie es schien, wohl zufrieden mit ihrer Aechtheit, ein.

»Ich liebe die nördlichen Banknoten,« sagte er kalt; »sie haben, wie ich, noch die Ehre zu verlieren. Fürchtet nicht Capitain, ich bin ein ehrlicher Mann, und werde Euch kein Wort mehr und kein Wort weniger sagen, als wahr ist.«

»So fangt denn ohne Weiteres an; oder es möchte mich reuen, und ich Euch all Euren Erwerb, Silber und Noten wieder nehmen lassen.«

»Ehre, und wenn Ihr dafür sterben müßt!« entgegnete der Taugenichts, und hielt die Hand empor in erdichtetem Schrecken über so schwere Drohung. »Nun Capitain, Ihr müßt wissen, daß ehrliche Leute nicht alle von demselben Gewerb leben, einige behalten, was sie haben, andere erwerben, was sie können.«

»Ihr seid ein Dieb gewesen.«

»Ich mag nicht das Wort. Ich bin ein Menschenjäger gewesen; wisst Ihr was das heißt? Ei, es hat viele Bedeutungen. Manche meinen, die wolligen Köpfe wären unglücklich, weil sie auf heißen Plantagen unter brennender Sonne arbeiten müssen, andere Unbequemlichkeiten nicht zu gedenken. Nun, Capitain, ich bin zu meiner Zeit ein Mann gewesen, der ihnen wenigstens die Annehmlichkeit der Abwechslung verschaffen wollte, indem er ihnen den Aufenthalt veränderte. Ihr versteht mich?«

»Ihr seid, gerade heraus, ein Menschenverkäufer – –«

»Gewesen, mein guter Capitain, gewesen; aber jetzt gerade ein wenig zurückgekommen, wie ein Kaufmann, der aufhört Tabak centnerweise zu verkaufen und den Handel pfundweis fortsetzt. Ich bin auch meiner Zeit Soldat gewesen. Was man das große Geheimniß unseres Standes nennt, nun, könnt Ihr mir das sagen?«

»Weiß nicht!« sagte Middelton, der anfing, des Schelmen Späße überdrüssig zu werden; »Muth?«

»Nein, Beine, – Beine, damit zu fechten, und Beine, darauf fortzulaufen, und darin kamen, wie Ihr seht, meine beiden Berufsarten überein. Meine Beine sind gerade jetzt keine von den besten, und ohne Beine würde ein Seelenverkäufer einen unvortheilhaften Handel treiben, und es sind Leute genug da, die besser damit versehen sind, als ich.«

»Sie geraubt!« erdröhnte der von Entsetzen niedergeschmetterte Gatte.

»Auf ihrem Weg, so gewiß als Ihr hier steht.« »Schurke, welchen Grund hast du, so etwas Empörendes zu glauben?«

»Laßt die Hand weg, die Hand weg; meint Ihr, meine Zunge werde ihre Pflicht besser thun, wenn Ihr mir die Kehle ein wenig kitzeltet! Habt Geduld und Ihr sollt Alles erfahren; aber wenn Ihr mich wieder so unhonnet behandelt, dann werde ich den Beistand der Gesetzleute anrufen müssen.«

»So sprecht denn; aber wenn Ihr ein einziges Wort mehr oder weniger als die Wahrheit vorbringt, dann erwartet meine alsbaldige Rache!«

»Seid Ihr Thor genug zu glauben, daß ein Schelm wie ich, Euch etwas sagen würde, dessen Wahrscheinlichkeit ihm nicht den Rücken freihielte. Nein, das seid Ihr gewiß nicht; deßwegen will ich Euch meine Beweise und meine Meinung darlegen, und dann mögt Ihr daran kauen, während ich gehe und von Eurem Edelmuth trinke. Ich kenne einen gewissen Abiram White. Ich glaube, der Schurke nahm den Namen an, um dadurch seine Feindschaft gegen die Race der Schwarzen anzudeuten.

Aber dieser Herr ist jetzt und war’s seit Jahren, wie ich gewiß weiß, ein förmlicher Uebersetzer der Menschheit von einem Staat in den andern. Ich hab‘ zu meiner Zeit mit ihm zu thun gehabt, und ein betrügerischer Hund ist es! Er hat nicht mehr Ehre im Leibe, als ich Speise darin. – Ich sah ihn hier, in dieser Stadt hier, am Tag Eurer Hochzeit. Er war in Gesellschaft seines Weibes Bruders, und er gab vor, er sei ein Colonist auf der Jagd nach neuem Land. Es war eine volle Partie, um Geschäfte darin zu machen: sieben Söhne, jeder so groß wie Euer Sergeant mit sammt seiner Mütze. Nun, sobald ich hörte, Euer Weib sei fort, sah ich sogleich, Abiram müsse Hand an sie gelegt haben.«

»Wisst Ihr das, – kann es sein? Welchen Grund habt Ihr zu so schrecklichen Gedanken?«

»Grund genug; ich kenne Abiram White. Nun, wollt Ihr noch eine Kleinigkeit hinzufügen, gerade genug, um meine Kehle vor dem Vertrockenen zu sichern?«

»Geht, geht, Ihr seid schon vom Trunke um den Verstand gebracht, Unglücklicher, und wißt nicht, was Ihr sagt. Geht und nehmt Euch vor dem Tambour in Acht!«

»Erfahrung ist ein guter Führer!« rief der Bursche dem weggehenden Middleton nach, dann wandte er sich mit einem verschluckten Lachen, das zeigte, wie zufrieden er mit sich sei, um, und schleppte sich, so gut es gehen wollte, nach der Kneipe des Branntweinschenks.

Hundertmal dachte Middleton im Verlauf jener Nacht, die Mittheilung des Wichts verdiene Aufmerksamkeit, und eben so oft verwarf er den Gedanken als zu wild und schwärmerisch und nahm einen andern vor. Früh am folgenden Morgen nach einer unruhigen und fast schlaflosen Nacht ward er von seiner Ordonnanz aufgeweckt, die ihm rapportirte, ein Mann sei auf der Parade todt gefunden worden, nicht weit von seinem Quartier. Er warf seine Kleider an, eilte nach der Stelle und sah den Menschen, mit dem er die obige Unterhaltung gehabt, ganz in der Lage, worin er ihn zuerst gefunden. Der unglückliche Schelm war seiner Unmäßigkeit zum Opfer geworden. Diese niederbeugende Thatsache ward hinlänglich bewiesen, durch seine vorgedrungenen Augäpfel, sein aufgedunsenes Gesicht und die fast unerträglichen Gerüche, die selbst dann noch sein Leichnam aushauchte. Voll Ekel über den häßlichen Anblick wollte sich der junge Krieger wegwenden, nachdem er befohlen hatte, die Leiche wegzuschaffen, als die Haltung einer Hand des Todten ihm auffiel. Bei näherer Untersuchung fand er den Vorderfinger ausgereckt, als wolle er in den Sand schreiben, und folgende unvollendete fast unleserliche, aber doch zu entziffernde Worte: »Capitain, es ist wahr, so gewiß ich ein ehrl –«

Er war entweder gestorben, oder in Schlaf gefallen, der der Vorläufer seines Todes war, ehe er endigen konnte.

Dies vor den Andern verbergend, wiederholte Middleton seine Befehle und ging weg. Die hartnäckige Betheurung des Verstorbenen und all diese Umstände zusammen, vermochten ihn, einige geheime Nachforschungen zu machen. Er fand, daß eine Familie, die der ihm gegebenen Beschreibung entsprach, in der That gerade an dem Tag seiner Hochzeit durchgekommen war. Man verfolgte ihren Weg auf einige Strecke dem Rand des Mississippi hinab, bis sie ein Boot nahmen, und dem Flusse hinauf stiegen, bis zu seinem Zusammenfluß mit dem Missouri. Hier waren sie wie hundert Andere verschwunden, den verborgenen Reichthum des Innern erforschend.

Mit diesen Thatsachen ausgerüstet, wählte sich Middleton eine kleine Wache von seinen zuverlässigsten Leuten aus, nahm von Don Augustin Abschied, ohne ihm seine Hoffnung oder Furcht zu entdecken, erreichte die angedeutete Stelle und drang vorwärts forschend in die Wildniß. Es war nicht schwer, einen Haufen wie der Ismael’s zu verfolgen, bis er sich überzeugte, sein Ziel liege weit über den gewöhnlichen Grenzen der Colonieen hinaus. Dieser Umstand an sich schärfte seinen Verdacht und gab seinen Hoffnungen auf endlichen Erfolg neue Stärke.

Als er über den Bereich mündlicher Zurechtweisung hinaus war, nahm der angstvolle Gatte seine Zuflucht zu den gewöhnlichen Fährtezeichen, um die Flüchtlinge zu verfolgen. Auch dies fand er keine schwere Aufgabe, bis er den harten, widerstrebenden Boden der höckerichten Steppen erreichte. Hier wirklich war er gänzlich im Dunkel. Er sah sich endlich genöthigt, sein Gefolge zu vertheilen, bestimmte jedoch auf einen entfernten Tag einen Versammlungs-Ort, und bemühte sich so, die verlorene Spur aufzufinden, indem er soviel wie möglich die Zahl der Augen vervielfältigte. Er war eine Woche allein gewesen, als der Zufall ihn mit dem Streifschützen und Bienenjager zusammenbrachte. Ein Theil ihrer Unterredung ist schon erzählt worden, und der Leser kann sich leicht die Aufschlüsse denken, die auf die von ihm erzählte Geschichte folgten, und, wie wir schon gesehen haben, zur Entdeckung seiner Braut führten.

Fünfzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

»So Iächle denn der Himmel auf die Feier hin,
Daß künft’ge Stund‘ uns treff‘ mit Trauer nicht.«

Shakespeare.

 

Es ist gut, daß der Lauf der Erzählung stille stehe, während wir zu jenen Ursachen uns wenden, die in ihrer Kette von Folgen den eben beschriebenen sonderbaren Kampf herbeiführten. Die Unterbrechung muß nothwendig eben so kurz sein, als sie, wie wir hoffen, für jene Classe von Lesern genügend sein wird, die verlangen, daß die, welche das Amt der Geschichtschreiber auf sich nehmen, keine Lücke ihrer eigenen fruchtbaren Einbildungskraft auszufüllen überlassen.

Unter den Truppen, welche die Regierung der Conföderation abgeschickt hatte, um Besitz von ihrem neu erworbenen Gebiet im Westen zu nehmen, war ein Detachement, das von dem jungen Krieger angeführt ward, der eine so geschäftige Rolle in den Vorfällen unserer Sage gespielt hat. Die ruhigen, gleichgültigen Abkömmlinge der alten Colonisten empfingen ihre neuen Landsleute ohne Argwohn, da sie wohl wußten, daß die Veränderung sie aus Unterthanen zu beneidenswerthern Bürgern unter der Herrschaft der Gesetze machte. Die neuen Beamten übten ihre Functionen mit Umsicht und gebrauchten ihr übertragenes Ansehen ohne Druck. Bei solch einer neuen Mischung aber, von Leuten, die als freie Bürger geboren und erzogen worden, und von nachgiebigen Sclaven unumschränkter Gewalt, von Katholiken und Protestanten, von Arbeitsamen und Trägen, war einige Zeit nöthig, um diese widerstrebenden Elemente der Gesellschaft zu einigen.

Solch einen wünschenswerthen Zweck zu erreichen, sollte das Weib seine gewohnte freundliche Hülfe bieten. Die Schranken des Vorurtheils und der Religion wurden durch die unwiderstehliche Macht der ersten Leidenschaft der Menschen durchbrochen, und Familien-Vereine begannen bald die Staatsbande zu befestigen, die eine gezwungene Verbindung zwischen einem Volk hervorgebracht hatten, das so verschieden war in seinen Gewohnheiten, seiner Erziehung, und seinen Meinungen.

Middleton war unter den Ersten der neuen Besitzer des Landes, die die Reize louisianischer Damen gefangen nahmen. In der unmittelbaren Nähe des Standquartiers, das er einzunehmen beordert worden, lebte das Haupt einer jener alten Familien der Colonieen, die Jahre lang sich begnügt hatten, in der Ruhe, Gemächlichkeit und dem Wohlstand der spanischen Provinzen hinzuschlummern. Er war ein Officier der Krone, und durch ein reiches Erbe vermocht worden, die Florida zu verlassen und sich unter den Franzosen der angrenzenden Provinz niederzulassen. Der Name des Don Augustin de Certavallos war kaum über die Grenzen der kleinen Stadt hinaus, wo er residirte, bekannt, obwohl er sich ein heimliches Vergnügen daraus machte in großen Rollen rußiger Dokumente einem einzigen Kinde zu zeigen, wie er eingeschrieben sei unter die früheren Helden und Großen Alt- und Neu-Spaniens.

Diese für ihn so wichtige, für jeden Andern so gleichgültige Thatsache war der Hauptgrund, daß, während seine lebendigeren gallischen Nachbarn nicht lässig waren, einen freien Umgang mit ihrem Besuch anzuknüpfen, er lieber allein bleiben wollte, zufrieden, wie es schien, mit dem Umgang seiner Tochter, die eben in den Stand der Mannbarkeit trat.

Die Wißbegierde der jugendlichen Inez war jedoch noch nicht gänzlich unthätig. Sie hatte die kriegerische Musik der Garnison nicht gehört, wie sie mit der Abendluft zerschmolz, nicht das fremdartige Banner gesehen, das über den Höhen flatterte, welche nicht weit von ihres Vaters ausgedehnten Besitzungen sich erhoben, ohne etwas von den geheimen Regungen in sich zu fühlen, welche, wie man meint, ihr Geschlecht auszeichnen. Natürliche Furchtsamkeit und jene sich zurückziehende, vielleicht eigenthümliche Gleichgültigkeit, die die Hauptquelle weiblichen Zaubers in den tropischen Provinzen Spaniens ist, hielten sie in ihren, dem Anschein nach unauflöslichen Banden, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß, hätte sich nicht ein Vorfall ereignet, worin Middleton ihrem Vater einigermaßen nützlich gewesen, so lange Zeit vorübergegangen wäre, ehe sie zusammen gekommen, daß eine andere Richtung den Wünschen eines Wesens hätte gegeben werden mögen, das gerade in einem Alter war, welches für die Macht der Jugend und Schönheit so empfänglich ist.

Die Vorsehung, – oder wenn dieses hohe Wort hier nicht passend scheinen sollte, – das Geschick hatte es anders beschlossen. Der stolze, zurückhaltende Don Augustin war viel zu aufmerksam auf die Formen jenes Ranges, worauf er sich so viel zu gut that, um die Pflichten eines Edelmannes zu vergessen. Dankbarkeit für Middletons Gefälligkeit vermochte ihn, seine Thüre den Offizieren der Garnison zu öffnen und sich auf einen vorsichtigen, aber höflichen Umgang einzulassen. Die Zurückhaltung wich allmählich der Anmuth und Aufrichtigkeit des jungen Anführers, und es dauerte nicht lange, so erfreute der wohlhabende Pflanzer sich eben so sehr als seine Tochter, wenn das wohlbekannte Zeichen am Thor den angenehmen Besuch des Befehlshabers des Postens verkündete.

Es ist unnöthig, sich über den Eindruck zu verbreiten, den Inezens Reiz auf den Soldaten machte, oder die Erzählung aufzuhalten, um eine umständliche Nachricht von dem fortschreitenden Einfluß zu geben, den ein einnehmendes Betragen, männliche Schönheit und ungetheilte Aufmerksamkeit und Geist nothwendig aus das gefühlvolle Gemüth eines romantischen, liebevollen und einsamen Mädchens von sechszehn Jahren sich verschaffen mußten.

Es ist zu unserm Zweck hinlänglich zu sagen, daß sie liebten, daß der Jüngling nicht zögerte, seine Gefühle zu erklären, daß er mit einiger Leichtigkeit sich über die Anstände des Mädchens hinaus setzte, doch mit nicht geringen Schwierigkeiten die Einwürfe des Vaters wegräumte, und daß, ehe noch die Provinz Louisiana sechs Monate im Besitz der Staaten gewesen war, der Beamte der letzteren der Verlobte der reichsten Erbin an den Küsten des Mississippi war.

Obwohl wir versucht haben, den Leser mit der Art bekannt zu machen, wie man zu solchen Ergebnissen gewöhnlich gelangt, muß man doch nicht meinen, daß Middletons Sieg über die Vorurtheile des Vaters und seiner Tochter ganz ohne Mühe erreicht ward. Die Religion war bei Beiden ein schweres und fast unüberwindliches Hinderniß. Der ergebene Jüngling unterzog sich geduldig einem furchtbaren Versuch, den Pater Ignatius machte, der abgesandt ward, um ihn zum wahren Glauben zu bekehren. Die Anstrengungen von Seiten des würdigen Priesters waren systematisch, kräftig, ausdauernd.

Ein Dutzend Mal (nämlich in den Augenblicken, wo die leichte, sylphenähnliche Gestalt der Inez wie ein Feenwesen über die Scene ihrer Unterredungen schritt) dachte der gute Pater, er stünde am Vorabend eines glorreichen Triumphs über den Unglauben; aber alle seine Hoffnungen wurden dann durch einen unvorhergesehenen Widerspruch von Seiten des Gegenstandes seiner frommen Bemühungen wieder vereitelt. So lange der Angriff auf seinen Glauben entfernt und schwach war, wich Middleton, der keine besondern Progresse in der Polemik gemacht, ihren Wirkungen mit der Geduld und Ergebung eines Märtyrers; aber sobald der gute Pater, der so große Sorge für sein künftiges Glück trug, den gewonnenen Boden zu benutzen suchte, um einige von den Spitzfindigkeiten seines eigenen Glaubens zu Hülfe zu rufen, dann war der Jüngling ein zu guter Soldat, um nicht dem heißen Angriff die Spitze zu bieten. Er kam freilich mit keinen furchtbarern Waffen auf den Kampfplatz, als mit seinem gesunden Menschenverstand und mit der geringen Kenntniß von den Gebräuchen seines Vaterlandes, in so weit sie mit denen seines Gegners in Widerspruch standen; aber mit dieser hausbackenen Rüstung verfehlte er nie, den Pater mit einer Kraft zurückzuschlagen, die der in etwas ähnlich war, womit ein nervigter Klopffechter einen geschickten Meister im Rappier empfangen und seine Paraden durch den direkten und unumstößlichen Beweis eines zerschlagenen Kopfes und zersplitterter Waffe auf Nichts zurückführen würde.

Ehe der Streit noch geendigt war, kam ein Einfall der Protestanten dem Soldaten zu Hülfe. Die rücksichtslose Freiheit Solcher von ihnen, die nur an dieses Leben dachten, und die sich gleichbleibende und gemäßigte Frömmigkeit Anderer machte, daß der ehrliche Priester voll Besorgnis um sich sah. Der Einfluß des Beispiels auf der einen Seite, und Ansteckungen eines zu freien Umgangs auf der andern, fing an, sich selbst in dem Theil seiner eigenen Heerde zu zeigen, den er für zu sehr von geistlicher Leitung umwickelt gehalten hatte, als daß er irre gehen könnte. Es war Zeit, daß er seine Gedanken von der Offensive abwandte und seine Bekenner vorbereitete, der gesetzlosen Fluth von Meinungen zu widerstehen, die die Schranken ihres Glaubens umzureißen drohten. Gleich einem weisen Feldherrn, welcher findet, daß er für seine Streitkräfte zu viel Land besetzt hält, begann er, seine Außenwerke zusammen zu ziehen; die Ueberbleibsel wurden profanen Augen verborgen; seine Anhänger wurden ermahnt, nicht von Mirakeln vor einem Haufen zu reden, der nicht allein ihr Dasein leugnete, sondern der selbst die verzweifelte Kühnheit hätte, die Beweise dafür heraus zu fordern. Die Bibel ward nochmals mit furchtbaren Drohungen aus dem siegenden Grunde verboten, weil sie mißverstanden werden könnte. Indeß ward es nöthig, Don Augustin die Wirkungen mitzutheilen, die seine Beweise und Gebete auf die ketzerische Anlage des jungen Kriegers hervorgebracht hatten. Niemand ist geneigt, seine Schwäche gerade in dem Augenblick zu gestehen, wo die Umstände die äußerste Kraftanstrengung erfordern. Durch eine Art frommen Betrugs, wofür ohne Zweifel der würdige Priester Absolution in der Reinheit seiner Beweggründe fand, erklärte er, daß, wenn keine wirkliche Veränderung mit Middletons Gemüth schon vorgegangen, doch aller Grund da sei, um zu hoffen, der eingetriebene Keil der Ueberzeugung sei bis zu seinem Haupte gedrungen, und daß folglich eine Oeffnung da sei, wodurch, wie man vernünftigerweise erwarten könne, der gesegnete Same religiöser Befruchtung seinen Weg finden werde, besonders wenn dem jungen Mann ununterbrochen vergönnt würde, des Segens der katholischen Communion sich zu erfreuen.

Jetzt ward Don Augustin selbst von der Wuth des Proselytismus ergriffen. Selbst die sanfte, liebenswürdige Inez hielt es für eine glorreiche Erfüllung ihrer Wünsche, wenn sie zum geringen Werkzeug dienen könnte, ihren Geliebten in den Schooß der wahren Kirche zurückzuführen. Die Bewerbungen Middletons wurden schnell angenommen, und während der Vater ungeduldig dem zur Vermählung bestimmten Tag entgegen sah, als wäre er das Pfand seines eigenen glücklichen Erfolgs, dachte die Tochter an ihn mit Gefühlen, worin die heiligen Erregungen ihres Glaubens sich mit den sanfteren Gefühlen ihrer Jahre und Lage mischten.

Die Sonne ging am Morgen ihres Hochzeittages so glänzend und wolkenlos auf, daß die gefühlvolle Inez ihm wie dem Bürgen ihres künftigen Glücks entgegen jauchzte. Pater Ignatius beging die kirchliche Handlung in einer kleinen Capelle, die zu Don Augustins Gut gehörte, und lange, ehe die Sonne zu sinken begonnen, drückte Middleton die erröthende, furchtsame Creole, als sein anerkanntes und unzertrennliches Weib, an den Busen.

Es hatte beiden Theilen gefallen, den Tag der Hochzeit in der Stille hinzubringen, und ihn fern von allen den geräuschvollen und gewöhnlich herzlosen Vergnügungen einer erzwungenen Festlichkeit nur den besten und feinsten Gefühlen zu weihen, Middleton kehrte durch Don Augustins Gebiet von einem Pflichtbesuch in sein Lager zurück, zur Zeit, als das Licht der Sonne mit dem Schatten des Abends zu verschmelzen begann; da traf ein Strahl von einem Kleid, das dem ähnlich war, in welchem er Inez zum Altar geführt hatte, sein Auge durch das Blätterwerk eines verlornen Gebüsches. Er näherte sich der, Stelle mit einer Zartheit, welche durch das Recht, das sie ihm vielleicht gegeben hatte, in ihren geheimen Augenblicken sich zuzudrängen, eher vermehrt als vermindert worden, aber die Töne ihrer sanften Stimme, welche Gebete hinaufsendete, in den er sich mit den theuersten aller Benennungen bezeichnet hörte, besiegten seine Anstände, und vermochten ihn, eine Stellung einzunehmen, wo er ohne Furcht vor Entdeckung lauschen konnte. Es war gewiß dem Gefühl eines Gemahls angenehm, auf diese Weise im Stande zu sein, die fleckenlose Seele seines Weibes zu durchschauen, und zu finden, daß sein Bild von ihren reinsten und heiligsten Gefühlen umgeben war. Seine Selbstachtung war zu sehr geschmeichelt, um ihn nicht zu vermögen, den eigentlichen Zweck der Bittenden zu übersehen. Während sie betete, daß sie das geringe Werkzeug werden möchte, um ihn in die Schaar der Gläubigen zurückzubringen, bat sie um Vergebung für sich selbst, wenn Anmaßung oder Gleichgültigkeit gegen den Rath der Kirche sie veranlaßt, zu hohen Werth auf ihren Einfluß zu legen, und sie in den gefährlichen Irrthum verleitet hätte, ihre eigene Seele zu gefährden, indem sie mit einem Ketzer sich vermählte. Es war so viel brünstige Frömmigkeit, gemischt mit so starkem Ausbruch natürlichen Gefühls, so viel von einem Weibe und einem Engel in ihren Gebeten, daß Middleton ihr hätte vergeben können, auch wenn sie ihn einen Heiden genannt, mit so viel Milde und Antheil bat sie für ihn.

Der junge Krieger wartete, bis seine Braut aufgestanden, und trat dann zu ihr, als sei er ganz unbekannt mit Allem, was eben vorgefallen.

»Es wird spät, meine Inez,« sagte er, »und Don Augustin könnte Euch Unaufmerksamkeit gegen Eure Gesundheit vorwerfen, daß Ihr so lange zu solcher Stunde außen seid. Was soll ich nun thun, dem all sein Ansehn übertragen ward, und doppelt seine Liebe?«

»Seid ihm gleich in jedem Stück,« antwortete sie, sah mit Thränen im Auge zu ihm auf, und sprach mit besonderer Wärme; »in jedem Stück! Ahmt meinem Vater nach, Middleton, und ich kann von Euch nicht mehr verlangen.«

»Auch nicht für mich, Inez? Ich zweifle nicht, daß ich alles sein würde, was Ihr wünschen könnt, würde ich so gut wie der würdige, verehrte Don Augustin. Aber Ihr müßt den Schwachheiten und Angewöhnungen eines Soldaten etwas nachsehen. Nun laßt uns gehen und diesen trefflichen Vater sehen?«

»Noch nicht,« sagte die Braut, und wand sich sanft aus seinem Arm, den er um ihre schlanke Gestalt geworfen, als er sie wegzog. »Ich habe noch eine Pflicht zu erfüllen, ehe ich so vorbehaltlos Euern Befehlen mich unterwerfen kann, möcht Ihr auch Soldat sein. Ich versprach der würdigen Inesella, meiner treuen Amme, ihr, die wie Ihr gehört, so lange mir Mutter gewesen ist; Middleton, ich versprach ihr einen Besuch zu dieser Stunde; es ist der letzte, wie sie meint, den sie von ihrem Kind empfangen kann, und ich werde sie nicht vergebens warten lassen. Geht Ihr dann zu Don Augustin, und in einer kleinen Stunde werde ich Euch dort treffen.«

»Erinnert Euch, nur eine Stunde!«

»Eine Stunde,« wiederholte Inez, und warf ihm einen Kuß zu; dann erröthend, als sei sie über ihre Kühnheit beschämt, schoß sie von dem Gesträuch weg, und ward für einen Augenblick nach der Hütte ihrer Amme hineilen gesehen, in welcher sie in der nächsten Minute verschwand.

Middleton kehrte langsam und gedankenvoll nach dem Hause zurück, oft seine Augen nach der Seite richtend, wo er sein Weib zum letzten Mal gesehen, als wollte er gerne ihre liebliche Gestalt in dem Dunkel des Abends auffinden, wo sie ihm noch in dem freien Raum hinzuschweben schien. Don Augustin empfing ihn mit Wärme, und vergnügte sich einige Zeit lang, sich von seinem neuen Schwiegersohne Pläne für die Zukunft vorlegen zu lassen.

Der alte spanische Zuhörer lauschte auf seine blühende, aber treue Beschreibung des Wohlstandes und Glückes jener Staaten, von denen er ein halbes Leben lang ein unwissender Nachbar gewesen war, theils mit jener Art Unglauben, womit man das anhört, was man für übertriebene Beschreibung zu parteiischer Freundschaft hält.

Auf diese Art ging die Stunde, welche sich Inez ausbedungen, viel früher vorüber, als ihr Gemahl in ihrer Abwesenheit hatte für möglich halten können. Endlich richteten sich seine Blicke auf die Uhr, und dann wurden die Minuten gezählt, wie eine nach der andern verrann, und Inez erschien noch nicht. Der Zeiger hatte schon die Hälfte eines andern Umlaufs um das Zifferblatt zurückgelegt, als Middleton aufstand und seinen Entschluß erklärte, zu gehen und sich zum Schützer der Abwesenden anzubieten. Er fand die Nacht dunkel, und den Himmel mit drohenden Dünsten bedeckt, was in jenem Clima der untrügliche Vorläufer eines Sturms war. Getrieben, eben so sehr durch den unheilvollen Anblick der Luft, als durch seine geheime Unruhe, beeilte er seine Schritte, stürzte auf Inesella’s Hütte zu. Zwanzigmal blieb er stehen, glaubte einen Strahl von Inez reizender Gestalt aufzufangen, wie sie auf ihrem Rückweg zum Herrenhaus hinschwebte, und ward eben so oft genöthigt, getäuscht seinen Weg wieder aufzunehmen. Er erreichte die Thür der Hütte, klopfte, öffnete, trat ein und stand selbst vor der bejahrten Amme, ohne auf die zu treffen, die er suchte. Sie hatte schon das Haus verlassen, war schon zu ihrem Vater zurückgekehrt. In der Meinung, er habe sie in der Dunkelheit verfehlt, ging Middleton zurück, um nochmals in seiner Erwartung sich getäuscht zu sehen. Man hatte nichts von Inez vernommen. Ohne seine Absicht irgend Jemand mitzutheilen, ging der Bräutigam mit klopfendem Herzen nach dem kleinen abgelegenen Gebüsch, wo er seine Braut jene Gebete für sein Glück und seine Bekehrung zum Himmel hatte hinaufschicken hören. Auch hier täuschte ihn seine Hoffnung, und nun gerieth er außer sich in der peinvollen Ungewißheit des Zweifels und der Vermuthung.

Mehrere Stunden lang vermochte ein geheimer Verdacht in die Beweggründe seines Weibes Middleton, in seinem Forschen mit Zartheit und Vorsicht vorzuschreiten. Aber als der Tag dämmerte, ohne sie in die Arme ihres Vaters oder Gemahls zurückzubringen, ward jeder Rückhalt bei Seite gelegt, und ihr unerklärliches Verschwinden laut bekannt gemacht. Die Nachforschungen nach der verlorenen Inez geschahen jetzt ohne Umschweife und offen, aber sie zeigten sich gleich fruchtlos.

Niemand hatte sie gesehen oder von ihr gehört, seit sie die Hütte der Amme verlassen.

Ein Tag ging nach dem andern vorüber und noch belohnte keine Nachricht das Nachforschen, das sogleich angestellt worden, bis sie endlich von den meisten ihrer Verwandten und Freunde als unwiederbringlich verloren aufgegeben ward. Eine so außerordentliche Begebenheit ward nicht so bald vergessen. Sie reizte den Erwerbgeist, gab Veranlassung zu einer Fluth von Gerüchten und zu nicht wenig Vermuthungen. Die vorherrschende Meinung unter solchen Auswanderern, die das Land überströmten, und welche bei der Menge ihrer Geschäfte noch Zeit hatten, an fremden Kummer zu denken, war der einfache und unmittelbare Schluß, daß das Verschwinden der Braut nichts mehr und nichts weniger als ein Selbstmord sei. Vater Ignatius hatte manche Zweifel und viele geheime Gewissensunruhe, aber gleich einem weisen Befehlshaber bemühte er sich, den betrübenden Vorfall zu einigem Vortheil in dem bevorstehenden Glaubenskampf zu wenden. Er richtete die Batterie anders und lispelte einigen seiner ältesten Pfarrkinder in die Ohren, er habe sich über den Zustand von Middletons Herz getäuscht, welches, wie er jetzt zu glauben genöthigt wäre, gänzlich in den Schmutz der Ketzerei versunken sei. Er fing wieder an seine Reliquien zu zeigen, und man hörte ihn selbst wieder auf den zarten und fast vergessenen Punct der neuesten Wunden anspielen. In Folge dieser Bemerkungen des ehrwürdigen Priesters, vernahm man ein Wispern unter den Gläubigen, und endlich ward es als ein Theil des Kirchenglaubens aufgenommen, Inez sei gen Himmel aufgehoben worden.

Don Augustin besaß alles Gefühl des Vaters; aber es ward durch die Laßheit der Creolen eingeschläfert. Gleich seinem geistlichen Vormund begann er zu meinen, es sei unrecht gewesen, ein so reines, junges, liebenswürdiges und vor allem so frommes Wesen den Armen eines Ketzers zu überliefern, und er glaubte gern, das Unglück, das sein Alter befallen, sei ein Strafgericht seiner Anmaßung und seines Mangels an Anhänglichkeit, an die festgesetzten Formen. Er fand freilich, als das Lispeln der Congregation zu seinen Ohren drang, für den Augenblick Trost in ihrem Glauben; aber dann war doch die Natur zu mächtig und hielt fest des alten Mannes Herz, um nicht dem rebellischen Gedanken Eingang zu verschaffen, der Eintritt seiner Tochter in das himmlische Erbe sei ein wenig zu frühzeitig.

Aber Middleton, der Liebende, der Gemahl, der Bräutigam, Middleton war fast zerschmettert von der Stärke dieses unerwarteten furchtbaren Schlags. Erzogen unter der Herrschaft des einfachen vernünftigen Glaubens, worin nichts von den Gläubigen zu verbergen gesucht wird, konnte er keine andern Besorgnisse für Inezens Schicksal hegen, als solche, wie seine Kenntniß vor den abergläubischen Begriffen in ihm erregte, die sich Inez von seiner Kirche machte. Es ist unnöthig, sich über den Schmerz auszulassen, den er empfand, oder all die verschiedenen Vermuthungen, Hoffnungen und Täuschungen aufzuzählen, die er während den ersten Wochen seines Unglücks erfahren sollte. Ein eifersüchtiger Verdacht in Inezens Beweggründe und eine geheime glimmende Hoffnung, er werde sie noch wieder finden hatten seine Untersuchungen gemäßigt, ohne jedoch zu bewirken, daß er sie ganz aufgab. Aber die Zeit fing an, ihn selbst des betrübenden Trostes zu berauben, daß er vorsätzlich, wiewohl vielleicht vorübergehend verlassen worden, und er gab allmählig der peinvolleren Ueberzeugung nach, sie sei todt, als seine Hoffnungen plötzlich von neuem und auf seltsame Weise wieder auflebten.

Der junge Befehlshaber kehrte langsam und trübselig von einer Abendparade in sein Quartier zurück, das in einiger Entfernung von dem Lager war, aber auf derselben Erhöhung stand, als seine herumstreifenden Augen auf die Gestalt eines Mannes fielen, die nach den Vorschriften des Ortes zu dieser verbotenen Stunde nicht hätte da sein sollen. Der Unbekannte trug schlechte Kleidung und seine ganze Gestalt und sein Antlitz verriethen die schmutzigste Armuth und die liederlichsten Sitten. Kummer hatte den militärischen Stolz Middletons gemildert, und als er an der niedergebeugten Gestalt des Eingedrungenen vorüber schritt, sagte er in einem Ton großer Milde, oder vielmehr Güte:

»Ihr werdet die Nacht auf der Wache zubringen, Freund, wenn Euch die Patrouille hier findet; – da ist ein Thaler, geht, sucht Euch ein besseres Nachtquartier und etwas zu essen!«

»Ich verschlinge all mein Essen, ohne zu kauen,« entgegnete der Herumstreicher mit der gemeinen Freude eines vollkommenen Taugenichts, während er begierig nach dem Silber griff. »Gebt für diesen Mexikaner zwanzig und ich will Euch ein Geheimniß verkaufen!«

»Geht, geht,« erwiederte der Andere mit etwas von seiner Soldatenstrenge, und nahm seine frühere Weise wieder an; »geht, ehe ich die Wache Euch ergreifen lasse.«

»Gut, mag sein; aber wenn ich gehe, Capitain, nehme ich mein Geheimniß mit mir, und dann mögt Ihr ein gebannter Wittwer bleiben, bis der Zapfenstreich Eures Lebens geschlagen wird.«

»Was meinst du, Bursche?« rief Middleton und wandte sich schnell nach dem Wicht, der seine morschen Knochen schon wegschleppte.

»Ich meine, ich will mir den Thaler in spanischen Branntwein umsetzen lassen und dann zurückkommen und Euch mein Geheimniß theuer genug verkaufen, um dafür ein ganzes Quart zu bekommen.«

»Wenn Ihr etwas zu sagen habt, sagt es jetzt,« fuhr Middleton fort, und unterdrückte kaum die Ungeduld, die ihn trieb, sein Inneres zu verrathen.

»Ich bin trocken und kann nie mit Anstand reden‘, wenn meine Kehle staubig ist, Capitain. Wie viel wollt Ihr geben, wenn Ihr erfahrt, was ich Euch sagen kann; laßt es etwas Hübsches sein, so etwas, wie es ein Mann dem andern anbieten kann.«

»Ich glaube, es würde bessere Rechtspflege sein, Bursche, wenn ich dem Tambour befähle, Euch einen Besuch zu machen.«

»Worauf bezieht sich Euer so gerühmtes Geheimniß?«

»Auf die Hochzeit, ein Weib oder kein Weib! Ein schönes Gesichtchen, eine reiche Braut! Sprech ich jetzt deutlich, Capitain?«

»Wenn Ihr etwas von meinem Weib wißt, sagt es nur gleich; Ihr braucht wegen Eurer Belohnung nicht zu fürchten.«

»Ei, Capitain, ich habe manchen Handel in meinem Leben gemacht; manchmal bin ich mit Geld, manchmal mit Versprechungen bezahlt worden. Das letzte nenn‘ ich faule Nahrung.«

»Sagt denn den Preis!«

»Zwanzig, – nein, verd– mich, es ist dreißig Thaler werth, ja hundert.«

»Nun, da habt Ihr Euer Geld; aber erinnert Euch, wenn Ihr mir nichts Wichtiges sagt, kann ich’s Euch leicht wieder nehmen, und Eure Freiheit noch obendrein bestrafen.«

Der Bursche untersuchte die Banknoten, die er empfangen, mit mißtrauischem Auge und steckte sie dann, wie es schien, wohl zufrieden mit ihrer Aechtheit, ein.

»Ich liebe die nördlichen Banknoten,« sagte er kalt; »sie haben, wie ich, noch die Ehre zu verlieren. Fürchtet nicht Capitain, ich bin ein ehrlicher Mann, und werde Euch kein Wort mehr und kein Wort weniger sagen, als wahr ist.«

»So fangt denn ohne Weiteres an; oder es möchte mich reuen, und ich Euch all Euren Erwerb, Silber und Noten wieder nehmen lassen.«

»Ehre, und wenn Ihr dafür sterben müßt!« entgegnete der Taugenichts, und hielt die Hand empor in erdichtetem Schrecken über so schwere Drohung. »Nun Capitain, Ihr müßt wissen, daß ehrliche Leute nicht alle von demselben Gewerb leben, einige behalten, was sie haben, andere erwerben, was sie können.«

»Ihr seid ein Dieb gewesen.«

»Ich mag nicht das Wort. Ich bin ein Menschenjäger gewesen; wisst Ihr was das heißt? Ei, es hat viele Bedeutungen. Manche meinen, die wolligen Köpfe wären unglücklich, weil sie auf heißen Plantagen unter brennender Sonne arbeiten müssen, andere Unbequemlichkeiten nicht zu gedenken. Nun, Capitain, ich bin zu meiner Zeit ein Mann gewesen, der ihnen wenigstens die Annehmlichkeit der Abwechslung verschaffen wollte, indem er ihnen den Aufenthalt veränderte. Ihr versteht mich?«

»Ihr seid, gerade heraus, ein Menschenverkäufer – –«

»Gewesen, mein guter Capitain, gewesen; aber jetzt gerade ein wenig zurückgekommen, wie ein Kaufmann, der aufhört Tabak centnerweise zu verkaufen und den Handel pfundweis fortsetzt. Ich bin auch meiner Zeit Soldat gewesen. Was man das große Geheimniß unseres Standes nennt, nun, könnt Ihr mir das sagen?«

»Weiß nicht!« sagte Middelton, der anfing, des Schelmen Späße überdrüssig zu werden; »Muth?«

»Nein, Beine, – Beine, damit zu fechten, und Beine, darauf fortzulaufen, und darin kamen, wie Ihr seht, meine beiden Berufsarten überein. Meine Beine sind gerade jetzt keine von den besten, und ohne Beine würde ein Seelenverkäufer einen unvortheilhaften Handel treiben, und es sind Leute genug da, die besser damit versehen sind, als ich.«

»Sie geraubt!« erdröhnte der von Entsetzen niedergeschmetterte Gatte.

»Auf ihrem Weg, so gewiß als Ihr hier steht.« »Schurke, welchen Grund hast du, so etwas Empörendes zu glauben?«

»Laßt die Hand weg, die Hand weg; meint Ihr, meine Zunge werde ihre Pflicht besser thun, wenn Ihr mir die Kehle ein wenig kitzeltet! Habt Geduld und Ihr sollt Alles erfahren; aber wenn Ihr mich wieder so unhonnet behandelt, dann werde ich den Beistand der Gesetzleute anrufen müssen.«

»So sprecht denn; aber wenn Ihr ein einziges Wort mehr oder weniger als die Wahrheit vorbringt, dann erwartet meine alsbaldige Rache!«

»Seid Ihr Thor genug zu glauben, daß ein Schelm wie ich, Euch etwas sagen würde, dessen Wahrscheinlichkeit ihm nicht den Rücken freihielte. Nein, das seid Ihr gewiß nicht; deßwegen will ich Euch meine Beweise und meine Meinung darlegen, und dann mögt Ihr daran kauen, während ich gehe und von Eurem Edelmuth trinke. Ich kenne einen gewissen Abiram White. Ich glaube, der Schurke nahm den Namen an, um dadurch seine Feindschaft gegen die Race der Schwarzen anzudeuten.

Aber dieser Herr ist jetzt und war’s seit Jahren, wie ich gewiß weiß, ein förmlicher Uebersetzer der Menschheit von einem Staat in den andern. Ich hab‘ zu meiner Zeit mit ihm zu thun gehabt, und ein betrügerischer Hund ist es! Er hat nicht mehr Ehre im Leibe, als ich Speise darin. – Ich sah ihn hier, in dieser Stadt hier, am Tag Eurer Hochzeit. Er war in Gesellschaft seines Weibes Bruders, und er gab vor, er sei ein Colonist auf der Jagd nach neuem Land. Es war eine volle Partie, um Geschäfte darin zu machen: sieben Söhne, jeder so groß wie Euer Sergeant mit sammt seiner Mütze. Nun, sobald ich hörte, Euer Weib sei fort, sah ich sogleich, Abiram müsse Hand an sie gelegt haben.«

»Wisst Ihr das, – kann es sein? Welchen Grund habt Ihr zu so schrecklichen Gedanken?«

»Grund genug; ich kenne Abiram White. Nun, wollt Ihr noch eine Kleinigkeit hinzufügen, gerade genug, um meine Kehle vor dem Vertrockenen zu sichern?«

»Geht, geht, Ihr seid schon vom Trunke um den Verstand gebracht, Unglücklicher, und wißt nicht, was Ihr sagt. Geht und nehmt Euch vor dem Tambour in Acht!«

»Erfahrung ist ein guter Führer!« rief der Bursche dem weggehenden Middleton nach, dann wandte er sich mit einem verschluckten Lachen, das zeigte, wie zufrieden er mit sich sei, um, und schleppte sich, so gut es gehen wollte, nach der Kneipe des Branntweinschenks.

Hundertmal dachte Middleton im Verlauf jener Nacht, die Mittheilung des Wichts verdiene Aufmerksamkeit, und eben so oft verwarf er den Gedanken als zu wild und schwärmerisch und nahm einen andern vor. Früh am folgenden Morgen nach einer unruhigen und fast schlaflosen Nacht ward er von seiner Ordonnanz aufgeweckt, die ihm rapportirte, ein Mann sei auf der Parade todt gefunden worden, nicht weit von seinem Quartier. Er warf seine Kleider an, eilte nach der Stelle und sah den Menschen, mit dem er die obige Unterhaltung gehabt, ganz in der Lage, worin er ihn zuerst gefunden. Der unglückliche Schelm war seiner Unmäßigkeit zum Opfer geworden. Diese niederbeugende Thatsache ward hinlänglich bewiesen, durch seine vorgedrungenen Augäpfel, sein aufgedunsenes Gesicht und die fast unerträglichen Gerüche, die selbst dann noch sein Leichnam aushauchte. Voll Ekel über den häßlichen Anblick wollte sich der junge Krieger wegwenden, nachdem er befohlen hatte, die Leiche wegzuschaffen, als die Haltung einer Hand des Todten ihm auffiel. Bei näherer Untersuchung fand er den Vorderfinger ausgereckt, als wolle er in den Sand schreiben, und folgende unvollendete fast unleserliche, aber doch zu entziffernde Worte: »Capitain, es ist wahr, so gewiß ich ein ehrl –«

Er war entweder gestorben, oder in Schlaf gefallen, der der Vorläufer seines Todes war, ehe er endigen konnte.

Dies vor den Andern verbergend, wiederholte Middleton seine Befehle und ging weg. Die hartnäckige Betheurung des Verstorbenen und all diese Umstände zusammen, vermochten ihn, einige geheime Nachforschungen zu machen. Er fand, daß eine Familie, die der ihm gegebenen Beschreibung entsprach, in der That gerade an dem Tag seiner Hochzeit durchgekommen war. Man verfolgte ihren Weg auf einige Strecke dem Rand des Mississippi hinab, bis sie ein Boot nahmen, und dem Flusse hinauf stiegen, bis zu seinem Zusammenfluß mit dem Missouri. Hier waren sie wie hundert Andere verschwunden, den verborgenen Reichthum des Innern erforschend.

Mit diesen Thatsachen ausgerüstet, wählte sich Middleton eine kleine Wache von seinen zuverlässigsten Leuten aus, nahm von Don Augustin Abschied, ohne ihm seine Hoffnung oder Furcht zu entdecken, erreichte die angedeutete Stelle und drang vorwärts forschend in die Wildniß. Es war nicht schwer, einen Haufen wie der Ismael’s zu verfolgen, bis er sich überzeugte, sein Ziel liege weit über den gewöhnlichen Grenzen der Colonieen hinaus. Dieser Umstand an sich schärfte seinen Verdacht und gab seinen Hoffnungen auf endlichen Erfolg neue Stärke.

Als er über den Bereich mündlicher Zurechtweisung hinaus war, nahm der angstvolle Gatte seine Zuflucht zu den gewöhnlichen Fährtezeichen, um die Flüchtlinge zu verfolgen. Auch dies fand er keine schwere Aufgabe, bis er den harten, widerstrebenden Boden der höckerichten Steppen erreichte. Hier wirklich war er gänzlich im Dunkel. Er sah sich endlich genöthigt, sein Gefolge zu vertheilen, bestimmte jedoch auf einen entfernten Tag einen Versammlungs-Ort, und bemühte sich so, die verlorene Spur aufzufinden, indem er soviel wie möglich die Zahl der Augen vervielfältigte. Er war eine Woche allein gewesen, als der Zufall ihn mit dem Streifschützen und Bienenjager zusammenbrachte. Ein Theil ihrer Unterredung ist schon erzählt worden, und der Leser kann sich leicht die Aufschlüsse denken, die auf die von ihm erzählte Geschichte folgten, und, wie wir schon gesehen haben, zur Entdeckung seiner Braut führten.

Siebenzehntes Kapitel.

Siebenzehntes Kapitel.

»Tret‘ in’s Gemach, zerstör‘ die Augen dir
Vor einer neuen Gorgo; – frag‘ mich nicht,
Sieh‘, und dann, sprich, du selbst!«

Shakespeare.

 

Der kleine Quell, welcher des Wanderers Familie mit Wasser versah, und die Bäume und Büsche sich aufgezogen hatte, die nahe am Fuß der felsigen Anhöhe wuchsen, hatte seinen Ursprung, nicht weit vom letztern entfernt, in einem geringen Dickicht von Baumwollensträuchen und wilden Reben. Dorthin nun führte der Streifschütz die Fliehenden, als zu einem Ort, der allein in so drängenden Umständen den nöthigen Schutz gewährte. Man wird sich erinnern, daß der Scharfblick des Alten, der durch lange Uebung in ähnlichen Auftritten fast zum Instinct in allen Fällen plötzlicher Gefahr geworden, ihn zuerst veranlaßt hatte, diese Richtung zu nehmen, da sie zwischen ihn und die nahenden Feinde den Hügel setzte. Durch diesen Umstand begünstigt, gelang es ihm, das Gebüsch noch zu rechter Zeit zu erreichen, und Paul Hover hatte eben die athemlose Ellen in das verwachsene Dickicht gebracht, als Ismael auf die schon beschriebene Weise den Gipfel des Felsen erreichte, wo er für einen Augenblick gleichsam seiner Sinne beraubt dastand und auf die Verwirrung blickte, welche unter seinen Habseligkeiten hervorgebracht worden, auf seine eingesperrten, gebundenen Kinder, die die Vorsicht des Bienenjägers unter ein Rindendach, eine Art unregelmäßiger Halle, sicher eingesperrt hatte. Eine weittreibende Büchse würde von der Höhe, auf welcher der Auswanderer jetzt stand, eine Kugel mitten in das Dickicht haben schicken können, wo die Flüchtlinge, die all dies Unheil angerichtet, sich zusammenkauerten.

Der Streifschütz nahm zuerst das Wort, als der Mann, bei dessen Einsicht und Erfahrung sie sich alle Raths erholen mußten; doch erst, nachdem er sein Auge über die Einzelnen sich hatte ergehen lassen, die um ihn standen, sich zu versichern, daß keiner fehle!

»Ah, Natur ist Natur und hat gewirkt!« sagte er, und nickte dem erfreuten Paul mit einem billigenden Lächeln zu. »Ich dachte mir’s, es würde denen schwer werden, die sich so oft begegnet sind im Glück und Unglück, bei Sternenlicht und unter umwölktem Mond, sich für immer zuletzt noch im Unwillen zu trennen. Jetzt ist nicht viel Zeit mit Reden zu verlieren und alles durch Eifer zu gewinnen! Es kann nicht lange dauern und einige von jener Brut werden auf der Erde nach unserer Spur schnüffeln, und sollten sie uns finden, wie dies sicher geschehen wird, und uns treiben, uns auf unsern Muth zu verlassen, so muß der Streit mit der Büchse ausgemacht werden, was der Himmel verhüten möge! Capitain, könnt Ihr uns nach dem Ort führen, wo einige von Euren Soldaten sich befinden? – Die stattlichen Söhne des Wanderers werden einen männlichen Angriff machen, oder ich müßte mich schlecht auf den Krieg verstehen!«

»Der Ort des Zusammentreffens ist viele Meilen von hier an den Ufern des la Plata.«

»Das ist schlimm, sehr schlimm. Müssen wir fechten, so ist’s immer besser unter gleichen Verhältnissen. Aber wie kommt ein Mann, der seinem Ende so nahe ist, zu so bösem, heißem Blut! Hört was ein graues Haupt und einige Erfahrung euch vorzuschlagen hat, und dann, wenn einer unter euch eine klügere Art des Rückzugs andeuten kann, wollen wir seinem Rath folgen und vergessen, daß ich gesprochen. Dieses Dickicht erstreckt sich fast eine Meile weit, gerade in entgegengesetzter Richtung vom Felsen und führt nach Sonnenuntergang, nicht nach den Ansiedelungen.«

»Genug, genug,« rief Middleton, zu ungeduldig, um zu warten, bis der umsichtige und vielleicht geschwätzige Alte seine in’s Einzelne gehende Erklärung geendigt hatte. »Die Zeit ist zu kostbar, laßt uns fliehen!«

Der Steifschütz gab durch eine Geberde seine Einwilligung, wandte sich zurück, führte Asinus über die nachgebende Erde des Gebüsches und kam bald auf festen Boden auf der der Lagerung des Auswanderers entgegengesetzten Seite.

»Wenn der alte Ismael das geringste von diesem verstohlenen Weg durch das Gebüsch bemerkt,« rief Paul und warf, als er die Stelle verließ, einen leichten Blick auf die breiten Fußtapfen, die der Haufen im Dickicht zurückließ, »so braucht er keinen Wegweiser, der ihm sagt, wohin er sich wenden muß. Aber laßt ihn kommen, ich weiß, der Herumstreicher würde gern seine Brut mit etwas ehrlichem Blut versetzen, aber wenn je einer seiner Söhne der Gemahl von – –«

»Hsch, Paul, hsch,« sagte das erröthende und erschreckte Mädchen, das sich auf seinen Arm stützte. »Deine Stimme könnte man hören.«

Der Bienenjäger schwieg, obwohl er nicht aufhörte, gewisse vielbedeutende Blicke hinter sich zu werfen, als sie längs am Rande des Quells hinflohen, die hinlänglich die kriegerische Stimmung seines Gemüths verriethen. Da jeder sich beeilte, brauchte es nur einige Minuten und der Haufen kam an einer Erhöhung der Steppe hervor, stieg, ohne einen Augenblick zu zögern, auf der entgegengesetzten Seite hinab, und war nun mit einem Mal außer aller Gefahr, von Ismael’s Söhnen gesehen zu werden, wenn nur ihre Verfolger nicht zufällig auf ihre Spur kamen. Der Alte machte sich jetzt die Beschaffenheit des Landes zu Nutz, um eine andere Richtung einzuschlagen, in der Absicht, die Verfolgung zu vermeiden, so wie ein Schiff im Nebel und Dunkel seinen Lauf ändert, der Wachsamkeit der Feinde zu entgehen.

Zwei Stunden der größten Eile hatten sie in den Stand gesetzt, die Hälfte des Kreises um den Felsen zurückzulegen, und einen Punct zu erreichen, der gerade der ersten Richtung ihrer Flucht entgegengesetzt war. Den Meisten der Flüchtlinge blieb ihr Weg ganz unbekannt, so wie es auf einem Schiff mitten im Weltmeer bei dem unbelehrten Reisenden der Fall ist; aber der Alte schritt bei jeder Biegung, durch jeden Boden mit einer Bestimmtheit hin, die seinem Gefolge Vertrauen einflößte, da sie zum Vortheil seiner Kenntniß der Oertlichkeiten sprach. Sein Hund stand zu Zeiten, um in seinen Augen zu lesen und ging vor ihm her die ganze Zeit über mit einer Sicherheit, als hätten sie im Voraus und verständlich sich mit einander besprochen, und den Weg festgesetzt, den sie einschlagen wollten. Aber gegen Ende des genannten Zeitraums hielt der Hund wieder plötzlich ein, setzte sich in die Steppe nieder, schnüffelte einen Augenblick und begann ein dumpfes, trauriges Geheul.

»Ja, Bursche, ja, ich kenn‘ den Ort, kenn‘ ihn, und es ist recht, sich wohl an ihn zu erinnern!« sagte der Alte, blieb neben seinem unruhigen Gefährten stehen, bis die, welche folgten, herangekommen waren. »Nun dort ist ein Gehölz vor uns,« fuhr er fort und deutete vorwärts, »wo wir liegen bleiben können, bis schlanke Bäume auf diesen nackten Feldern wachsen, und keiner von des Auswanderers Geschlecht wird es wagen, uns zu belästigen.«

»Die Stelle dort, wo der Todte liegt?« rief Middleton und untersuchte den Ort mit einem Auge, das sich bei der Rückerinnerung empörte.

»Gerade die! Aber ob seine Freunde ihn in den Schooß der Erde gesenkt oder nicht, bleibt noch zu untersuchen. Der Hund kennt den Geruch, aber scheint auch noch ein wenig zweifelhaft. Es ist daher nöthig, daß Ihr hingeht, Freund Bienenjäger, um zu untersuchen, während ich die Hunde halte, daß sie nicht zu laut klagen.«

»Ich!« rief Paul und wickelte seine Hände in seine krausen Locken, wie, wenn man es für räthlich hält zu zögern, ehe man ein gefährliches Abenteuer besteht. »Ei, hört, alter Streifschütz: ich hab‘ in meinem dünnsten Rock mitten unter einem Bienenschwarm gestanden, der seine Königin verloren, ohne zu wanken, und laßt Euch sagen, wer das thun kann, fürchtet sich nicht leicht vor einem lebenden Sohn Ismael’s; aber sich mit Todtenbeinen zu befassen, ei, das ist weder mein Beruf noch meine Neigung; – so, nachdem ich Euch für Eure gütige Wahl gedankt, lehne ich, wie sie sagen, wenn sie einen zum Korporal in der Kentucky-Miliz machen, den Dienst ab.«

Der Alte wandte sich, in seiner Erwartung getäuscht, gegen Middleton, der zu sehr damit beschäftigt war, Inez zu trösten, als daß er seine Verlegenheit hätte bemerken können, aus der dieser jedoch plötzlich von einer Seite her errettet wurde, von der, nach früheren Zeichen, man wenig Grund hatte, eine solche Kraftäußerung zu erwarten.

Doctor Battius hatte sich während des ganzen Rückzugs etwas durch den außerordentlichen Eifer bemerkbar gemacht, mit dem er den gewünschten Erfolg zu erstreben sich bemühte. So ungemein umsichtig war in der That eine Anstrengung, daß sie gänzlich all seine frühern Neigungen sich unterworfen. Der würdige Naturforscher gehörte zu jener Art von Entdeckern, die die schlimmsten Reisegefährten für Jemand sind, der Eile hat. Keinen Stein, keinen Busch, keine Pflanze lassen sie je der Untersuchung ihres wachsamen Auges entgehen, und der Donner mag rollen, Regen niederströmen, er stört nicht die reizende Selbstvergessenheit ihrer Träumereien. Doch das war nicht der Fall mit Linné’s Schüler während des wichtigen Zeitraums, wo der interessante Punct vor dem Tribunal seines Verstandes verhandelt ward, ob des Auswanderers kühne Söhne ihm nicht vielleicht das Recht streitig machen würden, frei die Steppe zu durchziehen. Ein Hund von der beste Race und Zuckt hätte, sein Wild im Auge, nicht eifriger ihm nacheilen können, als der Doctor seine Curvenlinie durchlief. Es war vielleicht ein Glück für seine Tapferkeit, daß die List des Streifschützen ihm unbekannt blieb, der sie um Ismael’s Citadelle herumführte, und daß er in der beruhigenden Meinung lebte, jeder Zoll der Steppe, den er durchlaufe, werde zu der Entfernung zwischen ihm und dem verabscheuten Felsen hinzugefügt. Trotz des augenblicklichen Erstaunens, das er sicher fühlte, als er seinen Irrthum entdeckt, war er doch der Mann, der so kühn sich freiwillig stellte, um das Dickicht zu erforschen, worin er zu glauben Ursache hatte, er werde noch Asa’s Leichnam finden. Vielleicht ward der Naturforscher angetrieben, seinen Muth bei dieser Gelegenheit zu zeigen, weil er sich innerlich bewußt war. daß sein außerordentlicher Eifer auf dem Rückzug der Mißdeutung unterworfen sei, und es ist gewiß, daß, welches auch immer seine besondern Begriffe von der Gefahr vor den Lebenden gewesen sein mögen, seine Sitten und Kenntnisse ihn doch weit über die Furcht, durch Umgang mit Todten in Noth zu kommen, hinausgesetzt hatten.

»Wenn etwas zu thun ist, was vollkommene Beherrschung des Nervensystems verlangt,« sagte der Mann der Wissenschaft, mit einem Blick, der etwas Stolzes hatte, »braucht Ihr nur seinem intellektuellen Vermögen eine Richtung zu geben, und hier steht ein Mann, auf dessen physische Kräfte Ihr Euch verlassen könnt,«

»Der Mann spricht gern in Parabeln,« murmelte der sonderbare Streifschütz, »aber ich vermuthe, es liegt immer ein verborgener Sinn in seinen Worten, obgleich es eben so schwer ist, in seinen Reden Sinn zu finden, als drei Adler auf demselben Baum zu entdecken. Es wird gut sein, Freund, sich versteckt zu halten, die Söhne des Auswanderers möchten uns aus der Spur sein, und wir haben Ursache, wie Ihr wohl wißt, zu fürchten, jenes Gehölz berge einen Anblick, der ein Weib erschrecken könnte. Seid Ihr Mann genug, dem Tod in’s Gesicht zu sehen, oder soll ich uns der Gefahr aussetzen, daß die Hunde ein Bellen erregen, und selbst hineingehen? Ihr seht, der Kleine will schon mit offenem Maule hinrennen.«

»Ob ich Mann genug! Verehrungswürdiger Streifschütz, unsere Bekanntschaft ist neuen Ursprungs oder Eure Frage müßte bezwecken wollen, uns in einen wilden Streit zu bringen. Ich Mann genug! Ich behaupte, von der Klasse mammaIia, der Ordnung primates, dem Genus homo zu sein. Das sind meine physischen Attribute, von meinen moralischen laßt die Nachwelt reden; mir kommt’s zu, stumm zu sein.«

»Der Physikus mag gut sein, für die, welche ihn lieben; nach meinem Geschmack und Urtheil ist sein Erscheinen weder angenehm, noch von Gesundheit zeugend; aber Moral that nie einer lebenden Seele etwas zu Leid, mochte der Mensch sich im Wald aufhalten oder von kristallenen Fenstern und wärmenden Caminen umgeben sein. Nur einige schwere Worte trennen uns, Freund, denn ich bin der Meinung, daß bei Umgang und Freimüthigkeit wir bald einander verstehen sollten, und in der Hauptsache in unserm Urtheil über die Menschen und den Lauf der Welt übereinkommen würden. Still, Hektor, still, was bringt dich auf, Kleiner, bist du nicht an Menschenblut gewöhnt?«

Der Doctor warf einen gnädigen, aber bedauernden Blick auf den Philosoph der Natur und trat einen oder zwei Schritte von der Stelle zurück, wohin ihn sein gereizter Muth getrieben hatte, um mit weniger Athemaufwand und größerer Freiheit in Action und Stellung ihm zu erwiedern.

»Ein homo ist freilich ein homo,« sagte er, und streckte seinen Arm auf eine imponirende und beweisende Art aus; »so weit die animalischen Functionen gehen, find die vereinigenden Ringe der Harmonie, Ordnung, Gleichförmigkeit, Absicht dem ganzen Genus gemein, aber hier hört auch die Aehnlichkeit auf. Der Mensch kann bis zu der Linie, die ihn von dem Thier trennt, durch Unwissenheit herabgewürdigt werden, aber auch erhoben werden zu einer Gemeinschaft mit dem großen Weltgeist durch Wissenschaft; ja, ich weiß nicht, ob er nicht, wären ihm Zeit und Gelegenheit verliehen, Herr alles Wissens und folglich gleich werden könnte dem großen belebenden Princip.«

Der Alte, der sich gedankenvoll auf seine Büchse lehnte, schüttelte den Kopf, als er mit angeborner Festigkeit antwortete, die gänzlich das imponirende Wesen, das sein Gegner hatte annehmen wollen, verdunkelte.

»Das ist nichts mehr und nichts weniger als große Verkehrheit! Jetzt hab‘ ich achtzig und sechsmal die Jahreszeiten sich folgen gesehen, und all diese Zeit die wachsenden oder sterbenden Bäume betrachtet, und doch weiß ich die Ursache nicht, warum die Knospe aufbricht im Sonnenschein, warum das Blatt fällt, wenn der Frost es durchdringt. Eure Gelehrsamkeit, rühmt sich auch ihrer der Mensch, ist Thorheit in dessen Augen, der in den Wolken thront und mit Betrübniß herabblickt auf den Stolz, die Eitelkeit seiner Geschöpfe. Viel sind der Stunden, die ich zugebracht, im Schatten der Wälder liegend, oder hingestreckt auf die Hügel jener offenen Felder, wo ich aufsah in die blauen Lüfte, hin, wo ich mir denken konnte, der große Geist habe seinen Stand genommen, und schaue auf die Verkehrtheit des Wegs der Menschen und Thiere unter ihm, wie ich selbst oft hingeblickt auf die Mücken, die sich überflogen in ihrem Eifer, – doch Er auf eine Weise angemessener seiner Kraft und Herrlichkeit! Wissenschaft! Er spielt damit. Sagt mir, Ihr haltet’s ja für so leicht, hinaufzuklimmen auf den Richtersitz oben, könnt Ihr mir erzählen vom Anfang und Ende? Ja, auch Ihr habt Wissenschaft von der Krankheit und der Heilung, was ist Leben und was ist Tod? Warum lebt der Adler lange Jahre, warum ist des Schmetterlings Zeit so kurz? Beantwortet mir noch eine leichtere Frage: warum ist dieser Hund so unruhig, während Ihr, die Ihr unter Büchern Euer Leben verbracht, keine Ursachen sehen könnt, Euch zu fürchten?«

Der Doctor, den die Würde und Kraft des Alten etwas erstaunt hatte, athmete tief, wie ein bedrängter Kämpfer, der sich eben von dem würgenden Griff seines Feindes losgemacht, und ergriff die Unterbrechung, als günstige Gelegenheit, etwas zu erwiedern:

»Es ist sein Instinkt.«

»Und was ist das?«

»Ein niederer Grad von Vernunft. Eine Art geheimer Verbindung von Gedanke und Materie.« »Und was nennt Ihr Gedanke?«

»Ehrwürdiger Jäger, das ist eine Methode, zu untersuchen, welche allen Nutzen der Definition zu nichte macht, und die auch, ich versichere Euch, ganz und gar in den Schulen nicht geduldet wird.«

»Dann ist noch mehr List in euren Schulen, als ich gedacht hatte, denn gerade das ist die sicherste Methode, ihnen die Eitelkeit zu zeigen,« entgegnete der Streifschütz, und ließ plötzlich eine Unterhaltung fallen, an der der Naturforscher eben so große Freude zu finden begann. Jener wandte sich zum Hund und suchte ihn durch’s Spielen mit seinen Ohren zu beruhigen. »Es ist thöricht, Hektor, und schickt sich besser für einen jungen ohne Zucht, als für einen verständigen Hund, der seine Erziehung durch harte Erfahrung gemacht hat, und nicht, indem er die Spur anderer Hunde nachschnüffelte, wie ein Junge in den Colonieen den Fußstapfen seiner Lehrer folgt, mögen sie nun Recht haben oder nicht. – Nun, Freund, Ihr vermögt so viel, könnt Ihr in’s Dickicht schauen, oder muß ich selbst gehen?«

Der Doctor nahm seine entschlossene Miene wieder an und machte sich fertig, ohne weiteres Reden zu thun, was der Andere verlangte. Die Hunde wurden in so weit durch die Vorstellungen des Alten zurückgehalten, daß sie ihre Klagen auf dumpfes, aber oft wiederholtes Seufzen beschränkten. Als sie aber den Naturforscher vorschreiten sahen, brach der alte Hund durch alle Schranken, und lief um ihn in schnellen Kreisen herum, die Erde beriechend, als er weiter ging, kehrte dann zu seinem Gefährten zurück und heulte laut.

»Der Wanderer und seine Söhne müssen starke Spuren auf dem Boden zurückgelassen haben,« sagte der Alte, und wartete, während er sprach, auf ein Zeichen von seinem gelehrten Gefährten, um ihm zu folgen; »ich hoffe, jener Schulgelehrte versteht genug, um sich des Auftrags zu erinnern, den ich ihm gab.«

Doctor Battius war schon im Gebüsch verschwunden, und der Streifschütz verrieth immer mehr Zeichen von Ungeduld, als die Gestalt des erstem aus dem Dickicht rücklings sich zurückzog, die Augen immer auf die Stelle gerichtet, die er eben verlassen, als sei sein Blick durch die Kraft eines Zaubers hingebannt.

»Nach seinem wilden Blick zu urtheilen, muß es etwas Furchtbares sein,« rief der Alte, ließ Hektor los, und schritt muthig auf den gänzlich sich unbewußten Naturforscher zu. »Was gibt’s, Freund, habt Ihr ein neues Blatt in Eurem Buch der Weisheit gefunden?«

»Es ist ein Basilisk!« murmelte der Doctor, dessen veränderte Gesichtszüge die gänzliche Verwirrung verriethen, die seinen Geist befallen. »Ein Thier von der Ordnung: Schlangen. Ich hatte gemeint, seine Charaktere wären fabelhaft, aber die mächtige Natur kann Alles hervorbringen, was man sich denken kann.«

»Was ist es, was ist’s? Die Schlangen der Steppe sind unschädlich, es müßte denn manchmal eine erboste Klapperschlange sein, und diese benachrichtigt Euch immer mit ihrem Schwanz, ehe sie mit ihren Fängen an’s Werk geht. Himmel, welch erniedrigendes Ding ist die Furcht! Da ist einer, der gewöhnlich zu hohe Worte vorbringt, als sich für einen demüthigen Mund schicken, jetzt so ganz außer sich, daß seine Stimme so sein ist, wie das Zwitschern des Whippoorwill. Muth, Mann, was gibt’s?«

»Ein Wunder, ein lusus naturae (Naturspiel), ein Ungeheuer, das die Natur hat bilden wollen, um ihre Macht zu zeigen. Nie hab‘ ich solch eine Verwirrung in allen ihren Gesetzen gesehn oder ein Exemplar getroffen, das so gänzlich der Unterscheidung in Klassen und Genera Hohn spricht. Laß mich sein Aeußeres aufschreiben,« (er suchte nach seiner Brieftasche, doch zitterten die Hände zu sehr, um ihm den Dienst zu leisten), »so lange es Zeit und Gelegenheit noch erlaubt; Augen, bezaubernd, Farbe, bunt, complex – –«.

»Man sollte denken, der Bursche wär‘ verrückt mit seinen bezaubernden Blicken und seinen Farben!« fiel der unwillige Streifschütz ein, der etwas unruhig zu werden anfing, daß seine Begleiter immer noch nicht sich an einen verdeckten Ort begeben; »wenn ein Reptil im Gebüsch ist, zeigt mir das Ding, und sollte es nicht gutwillig weggehn, nun so müssen wir um den Besitz der Stelle kämpfen.«

»Dort!« sagte der Doctor, und deutete im Gebüsch nach einer Stelle, die etwa fünfzig Fuß von ihnen entfernt war. Der Streifschütz sah hin mit vollkommner Ruhe, aber sobald sein scharfer, geübter Blick auf den Gegenstand traf, der so sehr die Philosophie des Naturforschers verwirrt hatte, prallte er selbst zurück, nahm schnell seine Büchse vor, und wendete sie aber eben so plötzlich wieder weg, als wenn ein anderer Gedanke ihn überzeugt hatte, daß es Unrecht sei. Weder jene Instinctmäßige Bewegung noch das plötzliche Besinnen war ohne Grund. An dem Rande des Dickichts, in enger Berührung mit der Erde, lag eine belebte Kugel, die leicht wegen ihrer Seltsamkeit und Wildheit ihres Anblicks den wirren Zustand in des Naturforschers Geist rechtfertigen konnte. Es war schwer, die Gestalt und Farben dieses ungewöhnlichen Wesens zu beschreiben, man konnte nur im Allgemeinen sagen, daß es fast sphärisch war, und alle Farben des Regenbogens ohne Rücksicht auf Harmonie und ohne bemerkbaren Plan zusammengemischt darlegte. Die vorherrschenden Farben waren ein Schwarz und ein glänzendes Roth. In diese jedoch verschmolzen seltsam und wild die verschiedenen Tinten von weiß, gelb und karmoisin. Wäre dies alles gewesen, würde man kaum haben sagen können, daß das Wesen Leben besäße, denn es lag regungslos da wie ein Stein; aber ein Paar schwarzer, glänzender, bewegter Augäpfel, welche die geringsten Schritte des Streifschützen und seines Gefährten bewachten, bewiesen hinlänglich den wichtigen Punct seines Belebtseins.

»Euer Reptil ist ein Auskundschafter, oder ich verstehe mich nicht auf indianische Färbung und Teufelei,« murmelte der Alte, stieß den Kolben seines Gewehrs auf den Boden und sah mit festem Auge auf den furchtbaren Gegenstand, während er sich kaltblütig auf den Flintenlauf stützte. »Er will uns unser Gesicht und unsere Vernunft aussehen und uns glauben machen, der Kopf einer Rothhaut sei ein mit Herbstblättern bedeckter Stein, oder er hat sonst eine andere teuflische List im Sinn.«

»Das Thier wäre ein Mensch?« fragte der Doctor; »von dem Genus homo! Ich hätte es für ein noch nicht beschriebenes gehalten.«

»Es ist ein menschliches und auch so sterblich, wie je ein Krieger dieser Steppen gewesen ist. Ich hab‘ die Zeit gesehen, wo eine Rothhaut sich tollkühn gezeigt haben würde, wenn sie aus ihrem Versteck in einem solchen Habit einen Jäger angesehen, den ich nennen könnte, der aber jetzt zu alt und seiner Zeit zu nah‘ ist, als etwas besseres zu sein, wie ein elender Streifschütz. Er wird gut sein, zu dem Ungeziefer zu reden, und es wissen zu lassen, daß es mit Leuten zu thun hat, deren Bärte gewachsen sind. Kommt hervor aus Euerm Versteck, Freund,« fuhr er in der Sprache der ausgedehnten Stämme der Dahcotah fort; »es ist auf der Steppe noch Raum für einen Krieger.«

Die Augen schienen noch stolzer zu glühen als vorher, aber die Masse, welche nach des Streifschützen Meinung nichts mehr und nichts weniger als ein Menschenkopf war, den man, wie unter den Kriegern des Westen gewöhnlich, geschoren hatte, blieb noch ohne Regung und ohne jedes andere Zeichen von Leben.

»Es ist ein Irrthum!« rief der Doctor. »Das Thier ist selbst nicht aus der Classe mammalia, viel weniger ein Mensch.«

»Ja, so viel Ihr versteht!« entgegnete der Streifschütz, und lachte mit vieler Selbstzufriedenheit. »Nach der erlernten Weisheit eines Mannes, der in so viele Bücher gesehen, daß seine Augen kein Moschusthier von einer wilden Katze unterscheiden können. Nun, mein Hektor, hier ist ein Hund von Erziehung nach seiner Art, und obgleich der kleinste Bursche in den Colonieen sein Wissen zu Schande zu machen sich getraute, könntet Ihr doch den Hund in einem solchen Fall nicht täuschen. Da Ihr meint, der Gegenstand sei kein Mensch, so sollt Ihr seine ganze Bildung sehen, und dann laßt einen unwissenden alten Streifschützen, der nie einen Tag in seinem Leben im Bereich eines Buchstabirbuchs zubrachte, wissen, wie das Ding zu nennen ist. Bedenkt, ich will ihm nichts Leids zufügen, sondern nur dem Teufel seine Hülle abstreifen.«

Der Streifschütz untersuchte jetzt sehr genau den Hahn seiner Flinte, trug Sorge, so viel möglich, seine feindlichen Absichten recht bemerkbar zu machen, indem er mit der Waffe alle nöthigen Evolutionen vornahm. Als er glaubte, der Unbekannte fange wirklich an, Gefahr zu fürchten, schlug er sehr behutsam die Büchse an und rief laut:

»Nun, Freund, Friede oder Krieg, wie Ihr wollt. – Nein, es ist kein Mensch, wie der gelehrte Mann hier sagt, und es kann nichts schaden, wenn ich so gerade in den Blätterhaufen hineinschieße.«

Die Mündung der Flinte richtete sich dahin, als er schloß, und die Waffe nahm nach und nach eine feste, und, was sich leicht hätte zeigen können, eine gefährliche Haltung an, als ein schlanker Indianer unter seinem Blätter- und Reiserbett hervorsprang, das er wahrscheinlich bei Annäherung des Haufens über sich geworfen, und aufrecht dastand, und den inhaltreichen Ausruf: »Wagh« hervorstieß.

Achtzehntes Kapitel.

Achtzehntes Kapitel.

Die Maske ist Philemons Dach,
Im Haus ist Jupiter’s.

Shakespeare.

 

Der Streifschütz, der keine Gewaltthätigkeit im Sinne hatte, senkte seine Büchse wieder und über den Erfolg seines Experiments lachend, denn groß schien seine Selbstzufriedenheit, zog er den erstaunten Blick des Naturforschers von dem Wilden auf sich selbst, indem er sagte:

»Die Wichte liegen Euch Stunden lang, wie schlafende Krokodille, und brüten über ihren Teufeleien und andern Ränken, bis wirkliche Gefahr droht, und dann sorgen sie für sich, wie andere Leute. Das ist ein Spion in seinem Kriegsfirniß! Es werden noch mehr von seinem Stamm in nicht großer Entfernung sein. Laßt uns aus ihm die Wahrheit herauspressen, denn ein unglücklicher Streit könnte uns gefährlicher werden, als ein Besuch von der ganzen Familie des Wanderers.«

»Es ist in der That eine verzweifelte, gefährliche Species!« sagte der Doctor und erholte sich von seinem Erstaunen durch ein Aufathmen, das alle Luft aus seinen Lungen zu ziehen schien; »eine gewaltthätige Race, eine, die schwer zu bestimmen oder in die gewöhnlichen Schranken der Definitionen einzuclassen ist. Sprecht also mit ihm, aber laßt Eure Worte bei aller Freundschaft streng sein.«

Der Alte warf einen scharfen Blick um sich, als wolle er sich des wichtigen Umstands vergewissern, ob der Unbekannte von Gefährten unterstützt werde, machte dann die gewöhnlichen Friedenszeichen, indem er seine flache, nackte Hand hinhielt, und schritt kühn vor. Indeß zeigte der Indianer nicht die geringste Unruhe. Er ließ den Streifschützen herbeikommen, und behielt in Miene und Stellung alle Würde und Furchtlosigkeit bei. Vielleicht wußte der kluge Streiter auch, daß wegen der Verschiedenheit ihrer Waffen er unter gleichmäßigeren Bedingungen kämpfen würde, wenn er den Angekommenen näher gebracht worden. Da eine Beschreibung dieses Menschen eine Idee von dem Aeußern der ganzen Race geben kann, mag es gut sein, wenn wir die Erzählung aufhalten, um sie hastig und unvollkommen dem Leser vorzulegen. Wollten die scharfsichtigen Augen eines Alston und Leslie sich nur für kurze Zeit von ihrem Anstaunen der Musterbilder des Alterthums wegwenden, um dies verworfene und herabgewürdigte Volk zu betrachten, dann würde wenig für so geringe Künstler, als wir sind, zu zeichnen übrig bleiben.

Der in Frage stehende Indianer war in jeder Hinsicht ein Krieger von schöner Statur und wunderbaren Verhältnissen. Als er seine Maske abwarf, die aus verschiedenfarbigen Blättern bestand, wie er sie eilig zusammengerafft hatte, erschien sein Antlitz in all dem Ernst, der Würde und, man kann hinzufügen, dem Schrecken seines Standes. Seine Gesichtszüge waren auffallend edel, und den römischen sich nähernd, wiewohl einigen geringeren die wohlbekannten Spuren seines asiatischen Ursprungs eingedrückt waren. Der besondere Teint der Haut, der schon an und für sich so sehr geeignet ist, den kriegerischen Ausdruck zu unterstützen, hatte durch die Farben der Kriegerschminke noch einen eigenen Anstrich von Wildheit bekommen. Aber als verschmähe er die gewöhnlichen Kunstgriffe seines Volkes, trug er nichts von jenen sonderbaren, schreckhaften Abzeichen, womit die Kinder des Waldes, wie die gebildeteren schnurrbärtigen Helden, den Ruf ihres Muthes auf die Nachwelt zu bringen pflegen, und begnügte sich mit breiten, dunkelschwarzen Linien, die eine hinlängliche und bewunderungswürdige Folie für den größeren Glanz seiner natürlichen Schwärze waren. Sein Haupt war, der Sitte gemäß, bis zum Wirbel rasirt, wo eine große, mächtige Scheitellocke furchtlos den Griff seiner Feinde herauszufordern schien. Der Schmuck, der im Frieden von dem Knorbel seiner Ohren herabhing, war entfernt worden, seines gegenwärtigen Vorhabens wegen. Sein Leib war trotz der späten Jahrszeit fast nackt, und der bekleidete Theil trug keine wärmere Bekleidung als einen leichten Kittel von fein zubereiteter Rehhaut, die sehr schön mit dem rohen Gemälde eines kühnen Abenteuers geschmückt und sorglos umgeworfen war, gleichsam mehr zum Putz als aus einer unmännlichen Rücksicht auf Bequemlichkeit. Seine Beinbekleidung bestand aus glänzendem Scharlachtuch, das einzige Zeichen an ihm, daß er Gemeinschaft gehabt mit den Handelsleuten der blassen Gesichter. Aber gleichsam um einen Gegensatz gegen diesen einzigen weibischen Schmuck zu bilden, war sie furchtbar von dem geschnürten Knie bis zur Sohle der Halbstiefel mit dem Haar von Menschenschädeln behangen. Er lehnte sich leicht mit der einen Hand auf einen kleinen Bogen, während die andere die zierlich gearbeitete Handhabe einer langen Eschenlanze mehr berührte, als Stütze durch sie suchte. Ein Helm von Cougarhaut, an dem als eine auszeichnende Zierde der Schwanz des Thiers noch herabhing, war auf seinem Rücken befestigt, und ein Schild von Häuten, schön mit einer andern von seinen kriegerischen Thaten bemalt, hing an einem Sehnenbündel an seinem Nacken.

Als der Streifschütz sich näherte, behielt dieser Krieger seine ruhige, aufrechte Stellung bei, und verrieth weder Begierde, den Charakter derer zu untersuchen, die sich ihm näherten, noch den geringsten Wunsch, ihre auf ihn gerichtete forschende Blicke zu vermeiden. Ein Auge, das dunkler und glänzender war, als das eines Hirsches, richtete sich jedoch unaufhörlich von einem zum andern der Fremden und schien nie Ruhe für einen Augenblick zu kennen.

»Ist mein Bruder weit von seinem Dorf?« fragte der Alte in der Pawnee-Sprache, nachdem er die Schminke und die andern kleinen Zeichen untersucht hatte, woran ein geübtes Auge den Stamm der Krieger, mit denen es in den amerikanischen Wüsten zusammentrifft, ganz mit derselben Leichtigkeit, und durch dieselbe Art geheimnisvoller Beobachtung erkennt, mit der der Seemann das entfernte Segel unterscheidet.

»Es ist weiter nach den Städten der Großmesser zu,« war die lakonische Antwort.

»Warum ist ein Pawnee-Wolf so weit von der Gabel seines Flusses, ohne ein Pferd, darauf zu reisen, und in so ödem Ort wie dieser?«

»Können die Weiber und Kinder eines Blaßgesichts ohne Bisonfleisch leben? Es war Hunger in meiner Hütte.«

»Mein Bruder ist zu jung, um schon eine eigene Hütte zu haben,« entgegnete der Streifschütz und sah fest in das unbewegte Gesicht des jungen Wilden; »aber ich muß sagen, er ist tapfer und mancher Häuptling mag ihm seine Töchter angeboten haben. Aber hat er sich nicht vergessen (er deutete auf den Pfeil, den er in der Hand hatte, welche zugleich den Bogen hielt) hat er sich nicht vergessen, daß er einen losen Pfeil mit einem Barte führt, um damit den Büffel zu tödten. Wollen die Pawnee durch die Wunden das Wild verderben?«

»Er ist für die Sioux gut; sieht man sie auch nicht, kann selbst ein Busch sie verbergen.«

»Der Mann ist ein schlagender Beweis für die Wahrheit seiner Worte,« murmelte der Streifschütz auf Englisch; »und ein festgebauter, kräftiger Junge ist es, aber nicht alt genug, um ein Häuptling von einiger Wichtigkeit zu sein. Es ist jedoch gut, mit ihm gütig zu sprechen, denn ein einziger Arm, der zur einen oder andern Partei hinzukommt, kann, wenn es mit dem Wanderer und seinen Söhnen zu Schlägen kommt, den Ausschlag geben. Ihr seht, meine Kinder sind müde,« fuhr er in der Sprache der Steppe fort, und deutete, als er sprach, auf den übrigen Haufen, der um diese Zeit auch herankam. »Wir möchten uns lagern und etwas essen. Gehört meinem Bruder diese Stelle?«

»Die Wandernden von dem Volk am großen Fluß sagen uns, daß Eure Nation mit den Pawnee-Gesichtern gehandelt hat, die über dem Salzsee wohnen, und daß die Steppen jetzt der Jagdgrund der Langmesser sind.«

»Es ist wahr; ich hab’s auch von den Jägern und Streifschützen am La Plata gehört, aber mit den Frenchern (Franzosen?), nicht mit den Leuten, denen die Mexiko gehören, hat mein Volk den Handel geschlossen.«

»Und Krieger ziehen dem langen Fluß hinauf, um zu sehen, ob sie nicht bei ihrem Kauf betrogen worden sind?«

»Ei, auch das ist theilweise wahr, fürcht‘ ich, und es wird nicht lange dauern, und eine verfluchte Bande von Häuslern und Colonisten wird ihnen auf dem Fuße folgen, um die Wildniß zu unterjochen, die so breit und reich daliegt an den Westküsten des Mississippi, und dann wird das Land eine bevölkerte Wüste werden von dem Hauptsee bis zum Fuß der Felsgebirge, erfüllt mit allem Verabscheuungswürdigen, aller List des Menschen, und des Trostes, der Lieblichkeit beraubt, die sie aus den Händen des Herrn empfing!«

»Und wo waren die Häuptlinge der Pawnee-Wölfe, als dieser Handel geschlossen ward?« fragte plötzlich der junge Krieger, und ein Blick hohen Stolzes schoß zugleich aus seinem dunkeln Gesicht. »Kann man eine Nation verkaufen wie ein Bieberfell?«

»Sehr recht, und wo waren ferner Wahrheit und Edelmuth? Aber Gewalt ist Recht nach dem Gang der Welt, und was die Mächtigen thun wollen, muß der Schwache Gerechtigkeit nennen. Wenn man auf der Wahcondah Gesetz eben so hörte, Pawnee, als auf die Gesetze der Langmesser, würde Euer Recht auf die Steppen so gut sein als das des größten Häuptlings in den Colonieen auf das Haus, das sein Haupt schirmt.«

»Die Haut des Reisenden ist weiß,« sagte der junge Eingeborne und legte ausdrucksvoll einen Finger auf die harte, schwülenvolle Hand des Streifschützen. »Spricht sein Herz das, und seine Zunge etwas Anderes?«

»Der Wahcondah, der Weiße hat Ohren und verschließt sie vor der Lüge! Seht auf mein Haupt, gleicht es nicht der erfrorenen Tanne, muß es nicht bald in der Erde ruhen? Warum denn sollt ich vor den großen Geist treten wollen, von Angesicht zu Angesicht, während sein Blick finster auf mir wäre?«

Der Pawnee warf mit Anstand seinen Schild über die eine Schulter, steckte die Hand in seinen Gürtel, und beugte sein Haupt ehrerbietig vor den grauen Locken, die der Streifschütz zeigte, worauf sein Auge fester ward und sein Blick weniger stolz. Noch behielt er all sein Mißtrauen und seine Wachsamkeit bei, die mehr gemäßigt und unterdrückt als vergessen ward. Als diese zweideutige Art von Freundschaft zwischen dem Krieger der Steppen und dem alten, erfahrenen Streifschützen geschlossen worden, gab der letztere seinem Gefährten Paul die nöthige Anweisung wegen der Anordnung des beabsichtigten Halts. Während Inez und Ellen abstieg und der Bienenjäger und Middleton für ihre Bequemlichkeit sorgte, ward die Unterhaltung fortgesetzt, manchmal in der Sprache der Eingebornen, aber oft, da Paul und der Doctor sich unter die Hauptredenden mischten, in der englischen Sprache. Es war ein scharfer, schwerer Wettkampf zwischen dem Pawnee und dem Streifschützen, in welchem jeder die Pläne des andern zu entdecken suchte, ohne den Antheil zu verrathen, den er an der Erforschung nahm. Wie man erwarten konnte, da der Kampf zwischen den Gegnern so gleich war, entsprach der Erfolg des Streits den Erwartungen keines von beiden. Der Letztere hatte all die Fragen, die Scharfsinn und Uebung ihm eingeben konnte, so gestellt, um über den Zustand des Stammes der Wölfe, ihre Ernten, ihren Vorrath an Lebensmitteln für den folgenden Winter, ihre Verhältnisse zu ihren verschiedenen kriegerischen Nachbarn Auskunft zu erhalten, ohne jedoch eine Antwort herauszulocken, die im Geringsten die Ursache angab, warum er einen einzelnen Krieger so fern von seinem Volk antraf. Auf der andern Seite waren die Fragen des Indianers, während sie weit würdevoller und zarter waren, gleich scharfsinnig. Er sprach über den Zustand des Pelzhandels, über das Glück oder Unglück vieler weißen Jäger, denen er entweder begegnet war, oder die er hatte nennen hören, und deutete selbst auf die beständigen Fortschritte hin, die die Nation seines großen Vaters, wie er vorsichtig die Regierung der Staaten nannte, nach dem Jagdgrund seines Stammes hinmachte. Es war jedoch nach der sonderbaren Mischung von Antheil, Verachtung und Unwillen, die zu Zeiten durch das zurückhaltende Wesen des Kriegers brachen, augenscheinlich, daß er das fremde Volk, welches solche Eingriffe in seine angebornen Rechte machte, mehr von Hörensagen als aus wirklichem Umgang kannte. Diese persönliche Unbekanntschaft mit den Weißen verrieth sich eben so sehr in der Art, wie er die Weiber ansah, als durch die kurzen oder kräftigen Ausdrücke, welche ihm gelegentlich entfielen. Während er zu dem Streifschützen sprach, ließ er seine unsteten Blicke nach der verständigen und fast kindlichen Schönheit der Inez hinstreichen, wie man etwa die Lieblichkeit eines ätherischen Wesens anstaunen würde. Es war gewiß, er sah jetzt zum ersten Mal eine von jenen Frauen, von denen die Väter seines Stammes so oft sprachen, und die für so herrlich gehalten wurden, daß sie Allem gleich kamen, was ihre rohe Einbildungskraft als lieblich sich denken konnte. Seine Beobachtung Ellens war weniger auffallend, aber trotz des kriegerischen und strengen Ausdrucks seines Auges lag viel von der Huldigung darin, die der Mann dem Weibe darzubringen pflegt; selbst in seinem schnelleren Aufblicken wandte er sich manchmal zu ihrer reifern und vielleicht belebteren Schönheit. Diese Bewunderung wurde jedoch durch seine Gewohnheiten so gemäßigt, und verlor sich so in seinem Kriegerstolz, daß er jedes Auge vollkommen täuschte, nur nicht das des Streifschützen, der in indianischen Sitten zu bewandert war, zu wohl die Wichtigkeit einsah, den Charakter des Fremden ganz zu erforschen, um sich den geringsten Zug oder den unbedeutendsten seiner Schritte entgehen zu lassen. Indeß machte sich die von nichts wissende Ellen um die schwache und weniger entschlossene Inez mit ihrer gewohnten Thätigkeit und Zärtlichkeit zu schaffen, und zeigte in ihren freien Zügen jene vorübergehenden Bewegungen von Freude und Kummer, die sie zu Zeiten befielen, wenn ihr thätiger Geist bei dem entschlossenen Schritt verweilte, den sie eben gethan, und sich alle widerstreitende Zweifel und Hoffnungen dabei ihr aufdrängen; sie fühlte wohl etwas von der Unentschlossenheit, die ihrem Geschlecht und ihrer Lage so natürlich war.

Nicht so Paul; da er sah, daß er die zwei Dinge, die seinem Herzen die theuersten waren, erreicht hatte, den Besitz Ellens und einen Triumph über Ismael’s Söhne, that er seinen Theil von den Geschäften des Augenblicks mit so viel Kaltblütigkeit, als führe er schon seine willige Braut von der Feier ihrer Hochzeit vor einem Grenzbeamten in die Sicherheit seiner eigenen Wohnung. Er hatte die wandernde Familie, während der unangenehmen Zeit ihres schwierigen Marsches, umschwärmt, sich bei Tag verborgen gehalten, und mit seiner Verlobten, wie Gelegenheit sich darbot, auf die schon beschriebene Weise Zusammenkünfte gesucht, bis das Glück und seine eigene Unerschrockenheit sich vereinigten, ihn in demselben Augenblick an das Ziel seiner Wünsche zu bringen, als er schon anfing zu verzweifeln. Ihn kümmerte jetzt weder Entfernung noch Gewalt noch Mühseligkeit. Seiner sanguinischen Einbildungskraft und Entschlossenheit war alles Uebrige leicht zu vollenden. Das waren seine Gefühle, und von der Art schienen sie zu sein, als, die Mütze auf einer Seite und ein Lied summend, er zwischen dem Gebüsch herumstrich, um einen schicklichen Ruheplatz für die Frauen auszusuchen, während er von Zeit zu Zeit einen billigenden Blick auf die leichte, runde Gestalt Ellens warf, wenn sie im Verfolg ihrer eigenen Geschäfte hinter ihm herkam.

»Und so haben der Stamm der Wolf-Pawnee und ihre Nachbarn, die Konza, die Streitaxt begraben,« sagte der Streifschütz, und setzte eine Unterredung fort, die er kaum hatte fallen lassen, obwohl er gelegentlich durch die verschiedenen Anweisungen war unterbrochen worden, die er für nöthig gehalten einzustreuen, – doch erinnert sich der Leser, daß während er mit dem eingebornen Krieger in seiner eigenen Sprache redete, er nothwendig mit seinen weißen Gefährten Englisch reden mußte. »Die Wölfe und die lichten Rothhäute sind also wieder Freunde. Doctor, das ist ein Stamm, von welchem, ich wette, Ihr oft gehört habt, und von dem manche runde Lüge das unwissende Volk in den Colonieen sich in die Ohren flüstert. Da war eine Geschichte von einer Nation Welsher, die hier herum in den Steppen lebte, und wie sie in’s Land kamen, ehe der unruhige Mann, der zuerst Christen Heiden ihres Erbes berauben ließ, je geträumt, daß die Sonne in einem eben so großen Land unterginge, als das ihres Aufgangs sei. Und wie sie die weißen Wege wüßten und mit weißen Zungen redeten und tausend Thorheiten und dumme Erfindungen weiter.«

»Ob ich nicht von ihnen gehört!« rief der Naturforscher und legte ein Stück gesalzen Bisonfleisch weg, mit dem er in dem Augenblick etwas roh umging. »Ich müßte sehr unwissend sein, wenn ich nicht oft mit Vergnügen bei einer so schönen Theorie verweilt hätte, die so siegend die beiden Sätze beweist, welche ich oft als unbestreitbar, selbst ohne solchen lebenden Beweis zu ihren Gunsten, behauptet habe, nämlich, daß dieser Continent auf eine entferntere Verwandtschaft mit der Cultur Anspruch machen kann, als Columbus Zeiten sind, und daß die Farbe Wirkung des Climas und der Lebensart, nicht Anordnung der Natur ist. Legt diese letztere Frage dem indianischen Herrn vor, verehrungswürdiger Jäger, er ist selbst von rothem Teint, und seine Antwort könnte uns zu Herren der beiden Seiten des bestrittenen Punktes machen.«

»Meint Ihr, ein Pawnee lese Bücher, glaube an gedruckte Lügen wie die Müßiggänger der Städte!« entgegnete verächtlich der Alte; »aber was kann’s schaden, dem Manne den Willen zu thun, da alles, so unmöglich es auch ist, doch nichts mehr und nichts weniger als seine natürlichen Gaben sind, und dem man daher folgen kann, so bemitleidenswerth es auch erscheint. – Was meint mein Bruder? Alle, die er hier sieht, haben weiße Häute, aber die Pawnee-Krieger sind roth; glaubt er, daß der Mensch sich durch das Clima verändert, und daß der Sohn seinen Vätern nicht gleich ist?«‘

Der junge Krieger betrachtete den Fragenden für einen Augenblick mit festem, unwilligem Auge, dann hob er den Finger auf mit stolzer Geberde und antwortete mit Würde:

»Der Wahcondah zieht den Regen aus der Wolke herab; wenn er spricht, erbeben die Hügel, und das Feuer, das die Bäume verzehrt, ist der Zorn seines Auges. Aber er bildet die Kinder mit Sorgfalt und Gedanken. Was er so gemacht, ändert sich nie.«

»Ei, es liegt in der Natur, daß es so ist, Doctor,« fuhr der Streifschütz fort, als er diese Antwort dem betroffenen Naturforscher erklärt hatte; »die Pawnee sind ein weises, großes Volk, und ich bin gewiß, sie sind reich an mancher heilsamen, guten – Die Jäger und Streifschützen, hör‘ ich manchmal, sprechen von einem großen Krieger Eurer Race!«

»Mein Stamm besteht nicht aus Weibern. Ein Tapferer ist kein Fremdling in meinem Dorf.«

»Ei, aber der, von dem sie am meisten sprechen, ist ein Häuptling, weit über den Ruf gewöhnlicher Krieger, einer, der jenem einst mächtigen, aber jetzt gesunkenen Volk den Delawaren der Hügel hätte Ehre machen können.«

»Solch ein Krieger müßte einen Namen haben.«

»Sie nennen ihn Hartherz, wegen der Festigkeit seines Entschlusses, und mit Recht wird er so genannt, wenn Alles, was ich von ihm gehört, wahr ist.«

Der Fremde warf einen Blick, der in dem unverstellten Herzen des Alten zu lesen schien, als er fragte:

»Hat das Blaßgesicht den Obersten meines Stammes gesehen?«

»Nie; es ist jetzt nicht mit mir, wie es vor etwa vierzig Jahren mit mir zu sein pflegte, als Krieg und Blutvergießen mein Beruf und Gewerb war.«

Ein lauter Ruf von dem unbesorgten Paul unterbrach seine Rede, und im nächsten Augenblick erschien der Bienenjäger selbst und führte ein indianisches Streitroß von der Seite des Dickichts her, die der von dem Haufen eingenommenen entgegengesetzt war.

»Hier ist ein Pferd für eine Rothhaut gesattelt!« rief er, während er das Thier einige seiner wilden Sprünge machen ließ. »Es gibt keinen Brigadier in ganz Kentucky, der sich Herr von einem so niedlichen, wohlgefügten Ding nennen kann. Ein spanischer Sattel auch, wie ein Grand aus Mexiko! Und seht die Mähne und den Schweif, behängt und geschmückt mit kleinen Silberkugeln, als wär‘ es Ellen selbst, die ihr glänzend Haar ordnete zum Tanz und zur Fröhlichkeit. Ist es nicht ein tüchtiger Läufer, alter Streifschütz, und der soll aus der Grippe eines Wilden fressen!«

»Langsam, Junge, langsam. Die Wölfe sind berühmt wegen ihrer Pferde, und Ihr könnt oft einen Krieger auf den Steppen weit besser beritten sehen, als einen Congreßmann in den Ansiedelungen. Aber das, in der That, ist ein Thier, das keiner als ein mächtiger Häuptling reiten sollte. Der Sattel, wie Ihr ganz recht glaubt, hat zu seiner Zeit einen großen spanischen Capitain getragen, der ihn und sein Leben zugleich verloren hat, in einer Schlacht, wie sie dies Volk öfters gegen die südlichen Provinzen auskämpft. Ich wette, dieser junge Bursch ist der Sohn eines großen Häuptlings, kann sein des großen Hartherz selbst.«

Während dieser plötzlichen Unterbrechung des Gesprächs zeigte der junge Pawnee weder Ungeduld noch Mißvergnügen; aber als er dachte, das Thier habe genug Stoff zu Bemerkungen gegeben, nahm er sehr kalt und mit der Miene eines Mannes, der gewohnt ist, seinen Willen gethan zu sehen, Paul den Zügel ab, warf ihn um den Nacken des Thiers, und sprang darauf mit der Geschicklichkeit eines Professors der Reitkunst. Nichts konnte schöner und fester sein als der Sitz des Wilden. Der hochgearbeitete, gewichtige Sattel diente offenbar mehr zur Schau als zum Nutzen. In der That, er hinderte mehr die Bewegung der Glieder, als er sie unterstützte, da sie keinen Beistand suchten, und keine Beschränkung zuließen von so weibischen Erfindungen als Steigbügeln. Das Pferd, das sogleich sich zu bäumen anfing, war wie sein Reiter wild und unbändig in allen seinen Bewegungen, aber während sich so wenig Kunst fand, bemerkte man alle Freiheit und Anmuth der Natur in beiden. Das Thier war vermutlich seine Schönheit arabischem Blut schuldig, von dem langen Stammbaum herab, der die Stute von Mexiko, die spanische Barbe und den maurischen Renner umfaßte. Der Reiter hatte mit seiner Stute aus den Provinzen von Centralamerika zugleich jenen Muth, jene Grazie in deren Lenkung erlangt, welche sich vereinigen, um den unerschrockensten und vielleicht geschicktesten Pferdebändiger der ganzen Welt zu bilden.

Trotz dieser plötzlichen Besitznahme seines Thiers schien der Pawnee mit seinem Abzug nicht zu eilen. Mehr in seiner Bequemlichkeit und vielleicht unabhängiger sah er sich jetzt im Besitz aller Mittel des Rückzugs und ritt auf und ab, betrachtete sich die verschiedenen Individuen der Gesellschaft mit größerer Freiheit als zuvor. Aber immer an jedem Ende seiner Reitbahn, wenn der scharfsinnige Streifschütz erwartete, er werde seinen Vortheil benutzen und fliehen, wandte er sein Pferd um, und durchritt nochmals dieselbe Strecke, manchmal mit der Schnelligkeit einer fliehenden Antilope, und dann wieder langsam, mit größerer Würde in Miene und Haltung. Begierig, etwas zu erfahren, was Einfluß auf seine künftigen Schritte haben könnte, beschloß der Alte, ihn zu einer Erneuerung ihrer Unterredung zu veranlassen. Er machte daher eine Geberde, die zu gleicher Zeit seinen Wunsch, das unterbrochene Gespräch wieder aufzunehmen, und seine friedliche Gesinnung ausdrücken sollte. Das schnelle Auge des Fremden ermangelte nicht, das Zeichen zu bemerken, aber erst nachdem hinlängliche Zeit verflossen war, um bei sich die Klugheit der Maßregel zu überlegen, schien er willens, sich einem Haufen wieder nahe zu wagen, der so sehr an Stärke ihm überlegen, und also im Stande war, in jedem Augenblick über sein Leben zu verfügen, oder seine Freiheit zu beschränken. Als er nah genug kam, um sich mit Leichtigkeit zu unterreden, geschah es mit einer sonderbaren Mischung von Hochmuth und Mißtrauen.

»Es ist weit zum Dorf der Wölfe,« sagte er und streckte seine Hand in einer, der gerade entgegengesetzten Richtung aus, in welcher, wie der Streifschütz wohl wußte, der Stamm wohnte; »und der Weg ist sehr winklicht. Was hat das Langmesser zu sagen?«

»Ja, winklicht genug,« murmelte der Alte auf Englisch, »wenn Ihr Eure Reise auf diesem Weg antreten wollt, aber nicht halb so windungsvoll als die List eines Indianergemüths. Sagt, mein Bruder, sehen der Pawnee Häuptlinge gern fremde Gesichter in ihren Wohnungen?«

Der junge Krieger verbeugte sich mit Anstand, jedoch nur leicht über seinen Sattelknopf, als er mit großer Würde antwortete:

»Wenn hat mein Volk vergessen, dem Fremden Speise zu geben?«

»Wenn ich meine Töchter an die Thüren der Wölfe führe, werden die Weiber sie bei der Hand fassen, und die Krieger mit meinen Leuten rauchen?«

»Das Land der Blaßgesichter liegt hinter ihnen, warum ziehen sie so weit nach dem Untergang? Haben sie ihren Weg verfehlt, oder sind dies die Weiber der weißen Krieger, die, wie ich höre, dem Fluß mit trübem Wasser hinaufdringen?«

»Nein; die den Missouri hinaufgehn, sind Krieger meines großen Vaters, der sie auf eine Botschaft ausgeschickt hat, aber wir sind friedliche Wandrer. Die Weißen und Rothen sind Nachbarn, und möchten Freunde sein. Besuchen nicht die Omahaw die Wölfe, wenn der Tomahawk begraben ist auf dem Pfad zwischen den beiden Nationen?«

»Die Omahaw sind willkommen.«

»Und die Yankton und verbrannten Teton, die am Ellenbogen des Flusses mit schmutzigem Wasser leben, kommen sie nicht in die Wohnungen der Wölfe und rauchen?«

»Die Teton sind Lügner!« rief der Andere. »Sie wagen die Augen nicht zu schließen bei der Nacht. Nein, sie schlafen in der Sonne. Seht,« fügte er, in stolzem Triumph auf die furchtbaren Verzierungen seiner Beinbekleidung hindeutend, hinzu, »ihr Haarwuchs ist so reichlich, daß die Pawnee darauf treten! Geht, der Sioux mag auf Schneeschichten leben, die Ebenen und Büffel sind für Männer.«

»Ah, jetzt haben wir das Geheimniß heraus,« sagte der Streifschütz zu Middleton, der ein aufmerksamer, weil ein sehr dabei interessirter, Beobachter der Vorgänge war. »Dieser gutaussehende junge Indianer forscht nach den Schlichen der Sioux; Ihr könnt es an seinen Pfeilköpfen und seiner Schminke sehen. Ja auch an seinem Auge, denn eine Rothhaut nimmt immer ihren Charakter mit, im Frieden wie im Krieg, – still, Hektor, still. Hast du nie vorher einen Pawnee gerochen, Kleiner? – nieder, Hund, nieder. – Mein Bruder hat Recht, Die Sioux sind Diebe. Leute, von allen Farben und Nationen sagen es ihnen nach und sagen’s mit Recht. Aber die Leute vom Aufgang sind keine Sioux, und sie wünschen die Wohnungen der Wölfe zu besuchen.«

»Das Haupt meines Bruders ist weiß,« entgegnete der Pawnee und warf einen jener Blicke auf den Streifschützen, die so sprechend Mißtrauen, Verstand und Stolz ausdrückten, und deutete, als er fortfuhr, nach dem östlichen Horizont; »und seine Augen haben Vieles geschaut, kann er mir den Namen dessen sagen, was ich dort sehe; – ist es ein Büffel?«

»Es gleicht eher einer Wolke, die über den Saum der Ebene, an den Enden von der Sonne beleuchtet, hervorschaut. Es ist der Rauch der Himmel.«

»Es ist ein Erdhügel, und auf seinem Gipfel und die Wohnungen der Blaßgesichter. Laßt die Weiber meines Bruders ihre Füße bei dem Volk von ihrer Farbe waschen.«

»Die Augen eines Pawnee sind gut, wenn er eine Weißhaut so weit sehen kann.«

Der Indianer wandte sich langsam zu dem Sprechenden, und fragte dann ernst nach einer Pause von einem Augenblick:

»Kann mein Bruder jagen?«

»Ach, ich bin nichts weiter als ein armer Streifschütz.«

»Wenn die Ebene mit Büffeln bedeckt ist, kann er sie sehen?«

»Freilich, freilich, es ist leichter einen herumstreichenden Ochsen zu sehen, als ihn zu fangen.«

»Und wenn die Vögel vor der Kälte fliehen, und die Wolken schwarz sind von ihrem Gefieder, kann er sie auch sehen?«

»Ei, es ist nicht schwer, eine Ente oder Gans zu finden, wenn Millionen den Himmel verfinstern.«

»Wenn der Schnee fällt, und die Wohnungen der Langmesser bedeckt, kann dann der Fremde Federn in der Luft sehen?«

»Meine Augen sind keine von den besten jetzt,« erwiederte der Alte ein wenig böse, »aber es war eine Zeit, Pawnee, wo ich einen Namen hatte für das, was ich sah.«

»Die Rothhäute finden die Langmesser so leicht, wie der Fremde den Büffel sieht, oder die Wandervögel und den gefallnen Schnee. Eure Krieger meinen, der Herr des Lebens habe die ganze Erde weiß gemacht; sie irren sich. Sie sind blaß und sehen ihr eigen Gesicht. Geht, ein Pawnee ist nicht blind, daß er sich lang nach Euerm Volk umsehen müßte!«

Der Krieger schwieg plötzlich und wandte sich zur Seite, als lausche er mit all seinen Sinnen. Dann wandte er sein Pferd, ritt zur nächsten Ecke des Dickichts, und schaute eifrig über die falbe Steppe, gerade der Seite entgegengesetzt, wo die Gesellschaft stand.

Als er sich von dieser unerklärlichen und für die Beobachtenden erstaunenden Vorkehrung wegwandte, warf er seine Augen auf Inez, und schritt mehrere Male auf und ab, als kämpfte es in den geheimsten Tiefen seiner Gedanken über einen schwierigen Punct. Er hatte die Zügel der ungeduldigen Stute angezogen und wollte, wie es schien, sprechen, als sein Haupt wiederum auf seine Brust fiel, und er seine frühere aufmerksame Stellung wieder annahm. Wie ein Reh nach dem Orte seiner früheren Beobachtung hineilend, ritt er für einen Augenblick schnell in kurzen, flüchtigen Kreisen, als sei er über seinen Weg ungewiß, und schoß dann weg, wie ein Vogel, der um sein Nest geflattert, ehe er den fernen Flug nimmt. Nachdem er für einen Augenblick die Ebene durchstrichen, verlor er sich dem Auge hinter einer kleinen Erhöhung des Landes.

Die Hunde, welche auch seit einiger Zeit große Unruhe gezeigt, folgten ihm auf kurze Entfernung, und beschlossen ihre Jagd, indem sie sich auf den Boden hinsetzten und ihr gewöhnliches dumpfes, klagendes, erschreckendes Geheul erhoben.

Neunzehntes Kapitel.

Neunzehntes Kapitel.

»Und wenn nicht steh’n er will?«

Shakespeare.

 

Die verschiedenen zu Ende des vorigen Kapitels erzählten Vorgange waren so schnell einander gefolgt, daß der Alte, während ihm nicht das Geringste entging, keine Zeit hatte, seine Meinung über des Fremden Beweggründe zu sagen. Als aber der Pawnee verschwunden war, schüttelte er den Kopf und murmelte, während er langsam nach der Ecke des Dickichts ging, die der Pawnee eben verlassen hatte:

»Es ist Geruch und Schall in der Luft, obgleich meine armen Sinne nicht gut genug sind, den Gehalt des einen zu erfassen oder den andern zu hören.«

»Es ist nichts zu sehen,« sagte Middleton, der dicht bei ihm stand. »Meine Augen und Ohren sind gut, und ich kann Euch versichern, daß ich nichts sehe und höre.«

»Eure Augen sind gut! Und Ihr seid nicht taub!« entgegnete der Andere etwas verächtlich; »nein, Junge, nein, sie können gut sein, durch eine Kirche zu sehen oder eine Stadtglocke zu hören; aber wenn Ihr ein Jahr in diesen Steppen erst zugebracht, werdet Ihr sehen wie Ihr einen Hahn für ein Pferd gehalten, oder fünfzigmal gemeint habt, das Brüllen eines Büffels sei der Donner des Herrn. Von Natur ist eine Täuschung in diesen nackten Ebenen, worin die Luft wie das Wasser das Bild der Dinge darstellt und es schwierig macht, die Steppen von der See zu unterscheiden. Aber dort ist ein Zeichen, das der Jäger nie verkennt.«

Der Streifschütz deutete nach einem Flug Geier, die nicht weit entfernt über die Ebene hinsegelten, offenbar nach der Seite, wohin der Pawnee sein Auge gerichtet hatte. Anfangs konnte Middleton die kleinen, dunkeln Gegenstände nicht unterscheiden, die sich an den finstern Wolken hinzeichneten; aber als sie schnell herbeikamen, wurden zuerst ihre Gestalten, dann ihre schweren, schwingenden Flügeln deutlich sichtbar.

»Hört,« sagte der Streifschütz, als es ihm gelungen war, Middleton die beweglichen Colonnen zu zeigen; »nun hört Ihr die Büffel oder Bison, wie Euer gelehrter Doctor sie zu nennen beliebt, wiewohl unter dem Namen Büffel sie bei allen Jägern dieser Gegenden bekannt sind. Nun sollte ich doch denken, daß ein Jäger ein besserer Beurtheiler eines Thieres ist und seines Namens,« fuhr er fort und winkte dem jungen Soldaten, »als jeder Andere, der nur in Büchern geblättert hat, statt auf der Erde herumzuwandern und die Namen und Naturen ihrer Bewohner aufzufinden.«

»Von ihrer Lebensweise will ich Euch das zugeben,« rief der Naturforscher, der selten eine Gelegenheit vorbeigehen ließ, um einen Punct zu verhandeln, der seine Lieblingsstudien betraf; »das heißt, immer mit der Voraussetzung, daß man Achtung hat vor dem rechten Gebrauch der Definitionen, und daß sie mit wissenschaftlichem Auge betrachtet werden.«

»Augen eines Maulwurfs sind die Augen der Wissenschaft! Als ob des Menschen Auge nicht so gut wäre, Namen zu geben, als die Augen jedes andern Geschöpfs! Wer hat die Werke seiner Hand benannt? Könnt Ihr mir das sagen mit Euern Büchern und Eurer Universitäts-Weisheit? War’s nicht der erste Mensch im Garten, und folgt daraus nicht offenbar, daß seine Kinder seine Rechte erbten?«

»Das ist freilich die mosaische Erzählung von dem Hergang der Sache,« sagte der Doctor, »wiewohl Eure Lesart viel zu buchstäblich ist.«

»Meine Lesart! Nun, wenn Ihr meint, ich hätte meine Zeit in Schulen zugebracht, thut Ihr meinem Wissen solches Unrecht, wie nie ein Sterblicher dem andern ohne hinlängliche Ursache thun sollte. Wenn ich je nach der Kunst zu lesen gestrebt habe, so geschah es, um besser die Sprüche des Buchs, das Ihr nennt, kennen zu lernen; denn es ist ein Buch, das in jeder Zeile nach dem Gefühl des Menschen spricht und mit der Vernunft übereinkommt.«

»Und glaubt Ihr also,« sagte der Doctor, ein wenig über den Dogmatismus seines störrigen Gegners entrüstet und vielleicht insgeheim zu sehr auf seine eigenen, liberaleren, wiewohl kaum so nützlichen Kenntnisse vertrauend. »Glaubt Ihr denn, daß alle diese Thiere wirklich in einem Garten beisammen waren, um in das Namenverzeichniß des ersten Menschen einregistrirt zu werden?«

»Warum nicht? Ich verstehe Euch; denn es ist nicht nöthig, in Städten zu leben, um all‘ die teuflischen Anschläge zu hören, die der Verstand des Menschen erfinden kann, um sein eigenes Glück zu zerstören. Was beweist es, ausgenommen, daß es beweisen soll, der Garten, den Er machte, wäre nicht nach der erbärmlichen Weise unserer Zeiten gewesen, wodurch denn zugleich geradezu das, was die Welt ihre Zivilisation nennt, zu Schanden wird. Nein, nein, der Garten des Herrn war der Wald damals, und ist der Wald jetzt, wo die Früchte wachsen und die Vögel singen nach seiner weisen Anordnung. – Nun, Capitain, könnt Ihr das Geheimniß der Geier durchschauen? Da kommen die Büffel selbst, und eine schöne Heerde ist es. Ich wette, der Pawnee hat einen Trupp seines Volks in einigen Schluchten in der Nähe, und da er zu ihnen geeilt ist, werdet Ihr bald eine herrliche Jagd sehen. Es wird dazu dienen, den Wanderer und seine Brut versteckt zu halten, und für uns ist wenig zu fürchten. Ein Pawnee ist nicht leicht ein boshafter Wilder.«

Jedes Auge richtete sich nun auf das reizende Schauspiel, welches folgte. Selbst die furchtsame Inez eilte an Middletons Seite, um zuzusehn, und Paul rief Ellen von ihren gewöhnlichen Küchengeschäften weg, um Zeuge des belebten Auftritts zu sein.

Während aller jener sich drängenden Vorfälle, die wir haben erzählen müssen, hatten die Steppen in majestätischer, tiefer Stille gelegen. Der Himmel war zwar schwarz vom Zuge der Wandervögel, aber die Hunde der Gesellschaft und der Esel des Doctors waren die einzigen vierfüßigen Thiere gewesen, die die weite Fläche der Wüste unten belebten. Da zeigte sich jetzt plötzlich eine Masse thierischen Lebens, die die Scene änderte, wie durch Magie, in das andere entgegengesetzte Extrem.

Einige ungeheure Bisonochsen bemerkte man zuerst, wie sie längs der entferntesten Anhöhe der Steppe hinstürzten, und dann folgten lange Reihen einzelner Thiere, auf die wieder eine dunkle Masse von Körpern kam, wo das trübfarbige Gestrauch der Steppe gänzlich in der dunkleren Decke ihrer zottigen Häute sich verlor. Die Heerde war, wie die Colonnen sich ausdehnten und drängten, gleich den endlosen Schaaren der kleineren Vögel, deren weite Reihen man so oft sich aus dem Abgrund der Himmel aufhäufen sieht, bis sie so zahllos erscheinen, wie die Blätter in jenen Wäldern, über die sie ihren endlosen Flug hinsteuern. Wolken von Staub stiegen in kleinen Massen aus der Mitte des Haufens auf, wenn einige Thiere, wilder als die übrigen, die Ebene mit ihren Hörnern durchfurchten, und von Zeit zu Zeit ward ein tiefes, hohles Brüllen vom Wind herübergetragen, als wenn tausend Kehlen ihre Klagen in unharmonischem Murren ausstießen.

Langes, sinnendes Schweigen herrschte in der Gesellschaft, als sie auf das Schauspiel wilder, ganz eigener Größe hinstaunten. Endlich ward es von dem Streifschützen unterbrochen, der, lange an ähnlichen Anblick gewöhnt, weniger seinen Einfluß fühlte, oder vielmehr ihn nicht so ergreifend und hinreißend fand, als die, denen der Auftritt neuer war.

»Da gehn zehntausend Ochsen in einem Trieb, ohne Aufseher, ohne Herr, Ihn ausgenommen, der sie erschuf, und ihnen die offenen Ebenen gab zur Weide! Ja hier mag der Mensch Beweise für seine Nichtigkeit und Thorheit finden! Kann der stolzeste Statthalter in all den Staaten auf seine Felder gehen und einen edleren Ochsen schlachten, als hier dargeboten wird der geringsten Hand; und wenn er sein Essen erlangt hat, kann er es mit solcher Lust verzehren, als der, der sein Mahl durch gesunde Arbeit gewürzt und es nach dem Gesetz der Natur sich erworben hat, indem er rechtlich sich dessen bemeisterte, was der Herr vor ihn gestellt!«

»Wenn die Suppenschüssel von einem Büffelschlegel dampft, antwort‘ ich: nein,« fiel der üppige Bienenjäger ein.

»Ja, Bursche, Ihr hab’ts versucht, und die klaren Beweise davon gefühlt. Aber die Heerde kommt etwas hierher zu, und es ist gut, wenn wir uns auf ihren Besuch vorsehen. Wenn wir uns Alle verstecken, wird das Hornvieh durch das Gehölz brechen, und uns zertreten, wie sich krümmende Würmer. So wollen wir nur die Schwächlichen bei Seite thun und vornen Posto fassen, wie es Männern und Jägern geziemt.«

Da nur wenig Zeit übrig war, um die nöthigen Vorkehrungen zu treffen, machte sich die ganze Gesellschaft mit Ernst daran. Inez und Ellen wurden an das Ende des Dickichts auf der von der nahenden Heerde entferntesten Seite hingestellt. Asinus kam in die Mitte, mit Rücksicht auf seine Nerven, und dann theilten der Alte, mit seinen drei männlichen Gefährten sich so ein, wie sie es für nöthig hielten, um die Spitze der stürmenden Colonne wegzuwenden, sollte sie etwa ihrer Position zu nahe kommen. Nach den unsichern Bewegungen einiger fünfzig oder hundert Ochsen, die vorangingen, blieb es zweifelhaft für einige Augenblicke, welchen Weg sie einzuschlagen gedächten. Aber ein furchtbares, schreckliches Gebrüll, das hinter der Staubwolke herkam, die sich im Mittelpunkt erhob, und das wild beantwortet ward von dem Geschrei der Raubvögel, die freudig gerade über dem fliehenden Trieb hinsteuerten, schien ihrer Flucht einen neuen Antrieb zu geben, und mit einem Mal jedes Zeichen von Unentschlossenheit zu entfernen. Gleichsam mit Freuden die geringsten Zeichen von dem Wald aufsuchend, schlug die ganze erschreckte Heerde standhaft ihre Richtung gerade nach dem kleinen Buschwerk ein, das schon so oft benannt worden ist.

Die Gefahr nahm jetzt in der That einen Charakter, daß sie die größte Standhaftigkeit hätte versuchen können. Die Reihen der finstern, sich bewegenden Massen hatten sich so genähert, daß sie eine krumme Linie um die Fronte bildeten, und jedes trotzige Auge, das aus der rohen Wildheit von Haarbüscheln hervorlugte, womit das ganze Haupt der Ochsen verhüllt war, richtete sich in toller Angst auf das Dickicht. Es schien, als wenn jedes Thier seinen Nächsten überholen wollte, um diesen gewünschten Schlupfwinkel zu gewinnen, und da Tausende im Nachzug blindlings die vornen drängten, war die Gefahr nahe, daß die Anführer der Heerde auf die versteckte Gesellschaft gestürzt werden könnten, in welchem Fall der Untergang Aller gewiß war. Jeder unserer Abenteurer fühlte das Bedenkliche seiner Lage nach seinem besonderen Charakter und seinen Umständen.

Middleton war unschlüssig. Manchmal fühlte er sich geneigt, durch das Gebüsch zu stürzen, Inez zu ergreifen und die Flucht zu versuchen. Dann bedachte er die Unmöglichkeit, der wilden Eile eines erschreckten Bisons zuvorzukommen, und griff nach den Waffen, als sei er entschlossen, der zahllosen Menge des Triebs die Spitze zu bieten. Die Geisteskräfte des Doctor Bantus waren bis zum höchsten Grade von Geistesbethörung gesteigert. Die dunkeln Formen der Heerden verloren ihre Begrenzung für’s Auge, und nun begann der Naturforscher sich einzubilden, er sähe eine wilde Sammlung aller Geschöpfe der Welt, die in einem Haufen auf ihn eindrangen, gleichsam die mannichfache Unbill zu rächen, welche im Lauf seines Lebens voll unermüdlichen Eifers für die Naturwissenschaften er gegen ihre verschiedenen Generus verübt hatte. Die Lähmung, die dies in seinem System verursachte, war gleich der Wirkung des Alps. Eben so unfähig, zu fliehen, als vorzuschreiten, stand er auf der Stelle angewurzelt, bis die Täuschung so vollständig wurde, daß der würdige Naturforscher in einem verzweifelten Versuch wissenschaftlicher Entschlossenheit selbst die verschiedenen specimina zu classificiren begann. Auf der andern Seite schrie Paul und rief Ellen, sie solle kommen und ihm im Schreien beistehen, aber sein Ruf verlor sich im Brüllen und Trampeln der Heerde. Wüthend und doch sonderbar erregt von der Störrigkeit des Viehs und der Wildheit des Anblicks, und fast toll vor Theilnahme und einer Art bewußtloser Beängstigung, worin die Ansprüche der Natur sich seltsam mit der Besorgnis? für seine Geliebte mischten, zersprengte er sich beinahe die Kehle in Aufforderungen gegen seinen bejahrten Freund, der einschreiten sollte.

»Kommt herbei, alter Streifschütz,« schrie er, »mit Euren Steppenkünsten, oder wir werden Alle unter einem Berge von Büffelschenkeln erstickt werden!«

Der Alte, welcher die ganze Zeit über, auf seine Büchse gelehnt, dagestanden, und die Bewegungen der Heerde mit festem Auge bewacht hatte, hielt es jetzt für Zeit, einen Schlag zu thun. Er richtete sein Gewehr auf den vordersten Ochsen mit einer Behendigkeit, die seiner Jugend würde Ehre gemacht haben, und feuerte. Das Thier empfing die Kugel auf das struppichte Haar zwischen seinen Hörnern und fiel auf seine Kniee nieder, aber das Haupt schüttelnd stand es alsbald wieder auf, und gerade der Stoß schien seine Anstrengung zu erhöhen. Es war nicht länger Zeit zum Zaudern. Er warf seine Flinte weg, streckte seine Arme aus, und trat unbewaffnet aus dem Versteck hervor, gerade auf die heranrauschende Säule der Thiers hin.

Die Gestalt des Menschen, wenn von Muth und Festigkeit unterstützt, die der Verstand allein geben kann, verfehlt selten, allen geringeren Thieren der Schöpfung Ehrfurcht zu gebieten. Die Seitochsen wichen zurück, und für einen Augenblick trat plötzlicher Stillstand in ihrer Eile ein; eine dichte Masse von Körpern häufte sich an der Spitze auf, bis Hunderte sich auf der Ebene zerstreuten. Dann erschallte ein zweites hohles Gebrüll vom Nachzug her, und setzte die Heerde wieder in Bewegung. Die Spitze der Säule jedoch theilte sich, da die unbewegliche Gestalt des Streifschützen sie gleichsam in zwei vorübergleitende lebendige Ströme zerspaltete. Middleton und Paul machten sich sogleich das ihnen gegebene Beispiel zu Nutz, und streckten die schwachen Schranken durch eine ähnliche Stellung aus.

Für einige Augenblicke diente der frische Eindruck, den die Thiers an der Spitze empfangen hatten, zum Schutz des Dickichts. Aber als die Hauptmasse der Heerde mehr und mehr die offene Linie ihrer Vertheidiger drängte und der Staub dichter ward, so daß er ihre Gestalten verdeckte, erneuerte sich in jedem Augenblick die Gefahr, die Thiere möchten durchbrechen. Der Streifschütz und seine Gefährten mußten immer wachsamer werden, und sie wichen allmählich vor der heranstürmenden Menge zurück, als ein Ochse wüthend so nahe an Middleton vorbeistürzte, daß er ihn berührte, und dann durch das Dickicht mit der Schnelligkeit des Windes hinsauste.

»Steht fest; laßt Euer Leben für den Stand,« rief der Alte, »oder ein Tausend von den T – ln werden ihm folgen!«

All die Anstrengungen jedoch würden gegen den lebendigen Strom vergebens gewesen sein, hätte nicht Asinus, dessen Revier so frech verletzt worden war, seine Stimme im Aufruhr erhoben. Die störrigsten, wüthendsten der Ochsen zitterten bei diesem erschreckenden und unbekannten Geschrei, und dann sah man jedes einzelne Thier wie toll von eben dem Gebüsch sich wegdrängen, das einen Augenblick vorher sie mit demselben Eifer zu erreichen gestrebt hatten, mit dem der Mörder das Asyl der Kirche sucht.

Als der Strom sich theilte, ward die Stelle licht, da die zwei dunkeln Colonnen sich seitwärts von dem Gehölz wegbewegten, um sich eine Meile entfernt an der entgegengesetzten Seite zu vereinigen. Sobald der Alte die plötzliche Wirkung bemerkte, die die Stimme des Esels hervorgebracht hatte, lud er kalt seine Büchse wieder, und überließ sich zugleich seiner so eigenen, herzlichen, stillen Munterkeit.

»Da gehen sie wie Hunde, denen man halbgefüllte Pulverschlage an den Schwanz gebunden, und man braucht nicht zu fürchten, daß sie ihre Ordnung ändern werden; denn was die Thiere im Nachzug nicht mit eigenen Ohren hörten, werden sie so ansehen, als hätten sie’s gehört; wenn sie aber auch ihren Beschluß änderten, wird es nicht schwer halten, den Jakob zu bewegen, daß er sein Lied ferner singt!«

»Der Esel hat gesprochen, aber Bileam schweigt,« schrie der Bienenjäger, der nach einem wiederholten Ausbruch geräuschvollen Lachens, das vielleicht den panischen Schrecken der Büffel noch vermehrt haben mochte, mühsam nach Athem schnappte; »der Mann ist so ganz stumm, als wenn ein Schwarm junger Bienen sich an die Spitze seiner Zunge gehängt hatte, und er aus Furcht vor ihrer Antwort nicht sprechen wollte.«

»Wie nun, Freund,« fuhr der Streifschütz fort und wandte sich zu dem immer noch regungslosen und starren Naturforscher; »wie nun, Freund, seid Ihr, der sein Leben darauf verwendet, die Namen und Naturen der Thiere des Feldes und der Vögel der Luft zu notiren, über eine Heerde springender Büffel erschreckt? Wiewohl Ihr vielleicht geneigt seid, mir mein Recht streitig zu machen, sie bei einem Namen zu nennen, der im Mund jedes Jägers und Handelsmannes auf der Grenze ist?«

Der Alte betrog sich jedoch, wenn er meinte, er könne den betäubten Doctor aufreizen, indem er mit ihm einen Streit über diesen wichtigen Satz anfinge. Von dieser Zeit an hörte man ihn nur noch bei einer Gelegenheit ein Wort aussprechen, das die Species oder das Genus des Thiers anzeigte. Er verweigerte sich hartnäckig die nährende Nahrung der ganzen Ochsfamilie, und selbst bis auf diese Stunde, wo er in aller wissenschaftlichen Würde und Sicherheit eines Gelehrten in einer der Seestädte angestellt ist, kehrt er mit einem Schauder jenen köstlichen, unvergleichlichen Fleischspeisen den Rücken, die so oft auf dem Tische der Innung gesehen werden, und denen nichts gleich kommt, was unter demselben Namen in den gerühmten Gasthäusern zu London oder den berühmtesten der Pariser Restaurateurs aufgetragen wird. Kurz der Widerwille des würdigen Naturforschers gegen Rindfleisch war dem nicht unähnlich, welchen der Schäfer manchmal in seinem strafbaren Hund erregt, indem er ihn bindet und fesselt, und ihn dann zum Schemel der ganzen Heerde macht, die er bei einer Mauer oder an einer Oeffnung der Hürde über ihn hintreibt; ein Experiment, welches, wie man sagt, in dem Schuldigen eine Art Abscheu vor Schöpsfleisch für immer erregt. Als Paul und der Streifschütz endlich die Scherze einzustellen für gut fanden, welche die fortgesetzte Geistesabwesenheit ihres gelehrten Gefährten immer noch veranlaßte, fing er wieder zu athmen an, als sei die unterbrochene Thätigkeit seiner Lungen durch die Anwendung eines Paares künstlicher Blasbälge wieder erneuert worden, und gebrauchte das nachher für immer verbannte Wort, auf welches wir eben hingedeutet haben.

» Boves Americani horridi!« rief der Doctor, und legte großen Nachdruck auf das letzte Wort, worauf er wieder stumm blieb, als wenn er über seltsamen, unerklärlichen Begebenheiten brütete.

»Ja, horrende Augen genug, das will ich gern zugeben,« entgegnete der Streifschütz; »aber so schreckhaft die Wichte auch aussahen, wenn man den Anblick und das Gewühl des natürlichen Lebens nicht gewöhnt ist, so ist doch der Muth des Thiers keineswegs seinem Aeußern gleich. Himmel, Mann, wenn Ihr einmal hübsch von einer Brut gräulicher Bären überfallen würdet, wie das mir und dem Hektor am großen Fall des Miss – Ah, da kommt das Ende der Heerde, und dort geht ein Gang hungriger Wölfe, bereit, die Schwachen wegzuschnappen, oder einen abgesonderten Ochsen zu überfallen. Ha, da sind auch berittene Männer auf ihrer Spur, so wahr ich ein Sünder bin; da, Junge, da könnt Ihr sie sehen, gerade da, wo der Staub vom Wind zerstreut wird. Sie schwärmen um einen verwundeten Büffel und machen dem armen T–l mit ihren Pfeilen den Garaus!«

Middleton und Paul erhaschten einen Strahl von der dunkeln Gruppe, die das schnelle Auge des Alten so leicht entdeckt hatte. Einige fünfzehn oder zwanzig zu Pferde sah man wirklich in schnellen Umkreisen um einen edeln Ochsen reiten, der ihnen die Spitze bot, zu schwer verwundet um zu fliehen, und doch dem Anschein nach nicht willig, sich zu ergeben, obwohl sein rauher Körper die Zielscheibe von hundert Pfeilen gewesen. Ein Lanzenstoß von einem kräftigen Indianer aber vollendete die Eroberung, und das Thier gab den widerstrebenden Geist mit einem Gebrüll auf, das widerhallend zur Stelle drang, wo unsre Abenteurer standen, und die Ohren der erschreckten Heerde erreichend, ihrer Flucht neuen Antrieb gab.

»Wie der Pawnee so gut die Philosophie einer Büffeljagd kannte!« sagte der Alte, nachdem er die belebte Scene mit augenscheinlicher Zufriedenheit einige Minuten betrachtet hatte. »Ihr saht, wie er dem Winde gleich vor dem Trieb wegeilte, es geschah, um die Luft nicht zu verderben und sie von der Seite anzugreifen Ha!

Was ist das? Dort die Rothhäute sind keine Pawnee! Die Federn auf ihren Köpfen sind von den Flügeln und Schwänzen der Eulen. Ah, so wahr ich nur ein armer, halbsichtiger Streifschütz bin, es ist eine Bande verd–ter Sioux! In’s Versteck, Jungen, in’s Versteck! Ein einziger Blick hierher würde uns jedes Kleidungsstückes berauben, so gewiß, als der Blitz den Baum abschält, und selbst unser Leben möchte nicht sehr sicher sein.«

Middleton hatte sich schon vom Schauplatz weggewendet, um zu suchen, was ihm besser gefiel, den Anblick seiner jungen, schönen Braut, Paul ergriff den Doctor bei’m Arm, und da der Streifschütz so schnell wie möglich folgte, war die ganze Gesellschaft bald im Schutz des Dickichts versammelt. Nach einigen kurzen Erklärungen über die Art der neuen Gefahr setzte der Alte, dem die Pflicht geworden, seiner großen Erfahrung wegen alle ihre Schritte zu leiten, folgendermaßen seine Rede fort:

»Dies ist ein Land, wie ihr Alle wissen müßt, wo ein starker Arm weit besser ist, als das Recht, und das Gesetz der Weißen eben so wenig bekannt als nöthig ist. Deßwegen hängt jetzt Alles von Klugheit und Kraft ab. Wenn,« fuhr er fort und legte seinen Finger auf seine Wange, als wenn er tiefsinnig die verzweifelte Lage von allen Seiten betrachte, »wenn wir etwas erdenken könnten, was diese Sioux und des Auswanderers Brut hinter einander bringen könnte, dann könnten wir herbeikommen und, wie die Krähen nach einem Gefecht zwischen den Thieren, den Kampfplatz uns zu Nutz machen, – auch sind Pawnee in der Nähe; das ist gewiß, denn jener Junge würde ohne einen Auftrag sich nicht so weit von seinem Dorfe entfernt haben. Hier und da sind wir vier Parteien auf Kanonschußweite entfernt, von denen keine der andern trauen kann. All das macht eine Bewegung schwierig, besonders da Verstecke nicht im Ueberfluß sind. Aber wir sind drei wohlbewaffnete, und ich darf sagen muthige Männer.« »Vier,« fiel Paul ein.

»Wie!« sagte der Alte und sah zum ersten Mal seine Gefährten an.

»Vier,« wiederholte der Bienenjäger und deutete auf den Naturforscher.

»Jede Armee hat ihre Nachzügler und Marodeurs,« entgegnete der barsche Grenzmann. »Freund, es wird nöthig sein, den Esel zu schlachten.«

»Den Asinus schlachten! Solch eine That würde eine Handlung unnöthiger Grausamkeit sein.«

»Ich verstehe nichts von Worten, die ihren Sinn in Schall einhüllen; aber das ist grausam, was einen Christen einem Thiere opfert. Das ist’s, was ich den Grund der Barmherzigkeit nenne. Es würde gerade so sicher sein, in die Trompete zu stoßen, als das Thier nochmals seine Stimme erheben zu lassen, besonders, da es offenbar eine Herausforderung der Sioux sein würde.«

»Ich will für Asinus Diskretion stehen; er spricht selten ohne Ursache.«

»Man sagt, man könne Jemand aus seinen Umgang kennenlernen,« entgegnete der Alte, »und warum nicht auch ein Thier? Ich machte einst einen forcirten Marsch und hatte viele Gefahren mit einem Begleiter zu bestehen, der nie den Mund aufthat, als um zu singen, und viel Mühe und Kummer machte mir der Bursch. Es war gerade in jenem Geschäft mit Eurem Großvater, Capitain. Aber der Begleiter hatte eine menschliche Kehle und wußte bei Gelegenheit sie wohl zu gebrauchen, obwohl er es nicht immer für nöthig hielt, die für sein Schreien passende Zeit zu beachten. Ach wenn ich jetzt wäre, was ich damals war, eine Bande diebischer Sioux sollte mich nicht leicht aus einer Lagerung wie diese vertreiben! Aber was hilft das Rühmen, wenn Gesicht und Stärke fehlen. Der Krieger, den die Delawaren einst nach dem Falken nannten, der Schärfe seiner Augen wegen, würde jetzt besser nach dem Maulwurf benennt. Nach meinem Urtheil also, wird es gut sein, das Thier zu schlachten.«

»Da ist Beweis und gute Logik,« sagte Paul; »Musik ist Musik, und immer geräuschvoll, komme sie von einer Fidel oder einem Esel; deßhalb stimme ich dem Alten bei, und sage, tödtet den Esel.«

»Freunde,« sagte der Naturforscher und sah mit traurigem Auge von einem zum andern seiner blutgierigen Gefährten; schlachtet Asinus nicht; er ist Specimen von seiner Art von dem viel Gutes und wenig Böses gesagt werden kann. Abgehärtet und gelehrig nach seinem Genus; enthaltsam und geduldig nach seiner niedern Species. Wir sind zusammen gereift, und sein Tod würde mich betrüben. Wie würde es dich beunruhigen, verehrungswürdiger Jäger, wenn du auf so gewaltsame Art dich von deinem treuen Hund trennen solltest?«

»Das Thier soll nicht sterben,« sagte der Alte und räusperte sich plötzlich auf eine Art, die bewies, daß er die ganze Kraft der Appellation fühlte; »aber seine Stimme muß gedämpft werden. Binder ihm die Schnauze mit dem Halfter, und dann, denk‘ ich, können wir das Uebrige der Vorsehung überlassen.«

Mit dieser doppelten Sicherheit für des Esels Diskretion, – denn Paul band ihm sogleich auf die verlangte Weise die Schnauze, – schien der Streifschütz zufrieden. – Darauf ging er an den Rand des Dickichts zu recognosciren.

Der Lärm, welcher den Zug der Heerde begleitet hatte, war jetzt vorüber, oder wurde vielmehr in der Entfernung einer Meile von der Steppe herüberschallen gehört. Die Staubwolken hatte der Wind schon verweht, und das Auge konnte frei um sich blicken, wo zehn Minuten vorher solch ein sonderbarer Auftritt von Wildheit und Verwirrung stattgefunden hatte.

Die Sioux hatten ihre Eroberung vollendet und schienen nun, zufrieden mit dieser Vermehrung ihrer schon so reichen Beute, willens, die übrige Heerde entwischen zu lassen. Ein Dutzend blieb bei dem Leichnam, über den einige Krähen mit stetigem Fittich und gierigen Augen hin und her flogen; die übrigen ritten umher, als wenn sie weitere Beute suchten, die ihnen nach einem so zahllosen Zug in den Weg kommen könnte. Der Streifschütz maß die Gestalten und den Anzug Derer, die dem Dickicht näher kamen, mit sorgsamem Auge. Endlich zeigte er Middleton einen von ihnen, den er für Weucha hielt.

»Nun wissen wir nicht nur, wer sie find, sondern auch ihren Auftrag,« sagte der Alte und schüttelte überlegend den Kopf. »Sie haben die Spur des Wanderers verloren und sind auf der Jagd nach ihm. Die Büffel sind ihnen in den Weg gekommen, und auf ihrer Verfolgung hat ein Unstern sie gerade in offene Aussicht auf den Hügel gebracht, wo Ismael’s Brut lagert. Seht Ihr jene Vögel, die auf die Ueberbleibsel des Thiers warten, das Jene getödtet haben? Darin liegt eine Lehre für die Lebensart in der Steppe. Eine Bande Pawnee liegt im Hinterhalt gerade so gegen die Sioux, wie diese Vögel auf ihren Raub warten, und als Christenleute, die so viel zu verlieren haben, kommt es uns zu, auf Beide Acht zu geben. Ha, was bringt jene zwei schielenden Wichte zum Stehen! So wahr ich lebe, sie haben die Stelle gefunden, wo der unglückliche Sohn des Wanderers seinen Tod fand!«

Der Alte irrte sich nicht. Weucha und ein Wilder, der ihn begleitete, hatte den Ort erreicht, welcher, wie wir schon erwähnten, so schreckliche Spuren von Gewalt und Blutvergießen zeigte. Da saßen sie auf ihren Pferden und untersuchten die wohlbekannten Zeichen mit aller Kenntniß, die den Indianer auszeichnet. Ihr Forschen dauerte lang und war, wie es schien, nicht frei von Mißtrauen. Endlich erhoben Beide zugleich ein Geschrei, das kaum weniger trauernd und ergreifend war, als das, welches die Hunde vorher bei den verhängnißvollen Zeichen gemacht hatten, und das nicht verfehlte, die ganze Bande sogleich um sie zu versammeln, wie das wilde Rufen des Schakals seine Gefährten zur Jagd um ihn versammeln soll.

Zweites Kapitel.

Zweites Kapitel.

»Auf mit dem Zelt! Hier will ich ruh’n die Nacht; –
Wo morgen denn? – Es ist mir Alles eins.«

Richard der Dritte.

 

Die Wanderer entdeckten bald die gewöhnlichen, nie trügenden Zeichen, daß die verschiedenen Erfordernisse ihrer Lage nicht mehr weit zu suchen seien. Ein klarer sprudelnder Quell brach aus der Seite des Abhangs hervor, vereinigte seine Wasser mit andern kleinen Quellen in der Nähe und bildete einen Bach, den das Auge leicht Meilen weit über die Steppe hin verfolgen konnte, – häufiges Blätterwerk und Grün, das im Bereich seiner Frische überall emporwuchs, bezeichnete hinlänglich seinen Lauf. Hierher nun nahm der Fremde seinen Weg, und eifrig folgten ihm die willigen Gespanne, deren Instinct sie Erfrischung und Ruhe von Arbeit voraussehen ließ.

Als er, wie ihm dünkte, eine passende Stelle erreicht, machte der alte Mann Halt, und schien mit forschendem Blick zu fragen, ob der Ort die nöthigen Bequemlichkeiten besitze. Der Führer der Auswanderer warf wie ein Sachverständiger seine Augen umher, und untersuchte die Stelle mit dem Scharfblick eines Mannes, der im Stande ist, eine so schwierige Sache zu beurtheilen, obgleich ganz auf die zögernde, schwerfällige Weise, die ihm selten erlaubte, eine unmännliche Übereilung zu verrathen.

»Ah, hier mag’s geh’n,« sagte er, als ihn seine Untersuchung befriedigt; »Jungen, ihr saht die Sonne sinken; geht an’s Werk!«

Die jungen Leute zeigten sich gegen den Auftrag gehorsam; der Befehl, denn nach Ton und Weise war es einer, ward in der That mit Ehrfurcht aufgenommen, aber die einzige Bewegung war, daß ein oder zwei Aexte von den Schultern auf den Boden fielen, während ihre Eigenthümer fortfuhren, den Ort mit ausdruckslosen, gleichgültigen Augen zu betrachten. Mittlerweile entlud sich der ältere Auswanderer, der die Antriebe kannte, durch welche sich seine Kinder leiten ließen, seines Ranzens und Gewehrs, und schickte sich, unterstützt von dem Manne, der, wie wir erwähnt, so schnell nach der Flinte griff, allmählich an, die Thiere auszuspannen.

Endlich bewegte sich der älteste von den Söhnen schwerfällig vorwärts, und trieb ohne einige Anstrengung, wie es schien, seine Axt bis an das Heft in das zarte Holz eines Baumwollenbaums; dann stand er einen Augenblick und betrachtete die Wirkung seines Hiebs mit der Art Verachtung, womit etwa ein Riese auf den kraftlosen Widerstand eines Zwerges herabsehen würde; schwang von Neuem seine Waffe mit der Grazie und Geschicklichkeit um’s Haupt, mit der ein Fechtmeister seinen edleren, obgleich weniger nützlichen Degen bewegt, trennte schnell den Stamm des Baumes und brachte die schlanke Krone, den Preis seiner Geschicklichkeit, zur Erde. Seine Gefährten hatten den Vorgang mit ruhiger Gleichgültigkeit mit angesehen, bis der Stamm auf dem Boden vor ihnen dalag; jetzt erst, als wäre ein Zeichen zu allgemeinem Angriff gegeben worden, gingen sie in Masse an’s Werk und befreiten in so kurzer Zeit und mit einer Geschicklichkeit, die einen unkundigen Zuschauer erstaunt haben würde, eine geringe aber hinlängliche Stelle von der Waldlast, – so kräftig und fast so schnell, als ob ein Sturmwind darüber hingegangen wäre.

Der Fremde war ein stiller, aber aufmerksamer Beobachter ihres Thuns gewesen. Als Baum auf Baum rauschend herunter kam, warf er seine Blicke aufwärts, sah traurig nach dem leeren Raum, den sie am Himmel ließen und wandte sich endlich mit einem bittern Lächeln weg, als wolle er seinen Unwillen nicht auf eine vernehmlicher Weise auslassen. Als er sich durch die Gruppen der geschäftigen Kinder, die schon ein lustiges Feuer angezündet hatten, durchdrängte, ward die Aufmerksamkeit des alten Mannes zunächst auf die Bewegungen des Führers der Auswanderer und seines wilden Gefährten gerichtet.

Diese beiden hatten schon die Thiere befreit, die eifrig die angenehmen und nährenden Zweige der gefallenen Bäume abfraßen, und waren jetzt um den Wagen beschäftigt, der, wie wir berichteten, seinen Inhalt so sorgfältig verbarg. Obgleich er still und herrenlos, wie die übrigen Fuhrwerke schien, lehnten dennoch die Männer sich mit all ihrer Kraft gegen die Räder und rollten ihn bei Seite, abgesondert von den andern Wagen, auf eine trockene und erhöhte Stelle, nahe am Ausgang des Gehölzes. Hier nahmen sie Pfähle, die dem Anschein nach schon lange zu diesem Zweck gebraucht worden waren, trieben ihre breiteren Enden fest in den Boden und banden die schmaleren an die Reife, welche die Decke des Wagens trugen. Große Ballen Tuch wurden dann zunächst aus dem Fuhrwerk herausgenommen, um das Ganze herumgewunden und so an den Boden befestigt, daß sie ein ziemlich geräumiges und sehr bequemes Zelt bildeten. Nachdem sie ihr Werk mit aufmerksamen und fast eifersüchtigen Blicken nochmals übersehen, und hier eine Falte geordnet, dort einen Pfosten fester getrieben, wandten sich die Männer wieder zum Wagen, zogen ihn an seiner Deichsel aus der Mitte des Zeltes heraus, bis er ganz frei da stand, seiner Decke beraubt, und ohne alle andere Ladung als einigem geringen Hausgeräth. Dieses letztere nahm sogleich der Wanderer und brachte es selbst in das Zelt, als ob es zu betreten ein Vorrecht sei, worauf selbst sein Busengefährte keinen Anspruch habe.

Da Neugierde eine Leidenschaft ist, die durch Hindernisse eher vermehrt, als geschwächt wird, so sah auch der alte Bewohner der Steppen dieses vorsichtige und geheimnißvolle Verfahren nicht mit an, ohne etwas von ihrer Wirkung in sich zu verspüren. Er näherte sich dem Zelt und wollte eben eine Falte auseinander machen, in der offenbaren Absicht, seinen Inhalt genauer zu untersuchen, als der Mann, der schon einmal sein Leben in Gefahr gebracht, ihn beim Arm faßte und ihn auf eine etwas rohe, unhöfliche Weise von der Stelle wegzog, die er sich als die passendste für seinen Zweck ausersehen.

»Es ist ein gutes Sprichwort, Freund,« bemerkte der Bursche trocken, wiewohl mit einem Auge, das mehr als die längste Rede drohte, – »und oft ist es auch ein gar nützliches Sprichwort, das da sagt: Kümmere dich nur um das Deine.«

»Die Leute bringen selten etwas in diese Einöden, was sie zu verbergen brauchen,« antwortete der alte Mann, als wünsche er, wisse aber nicht recht wie, die Freiheit zu entschuldigen, die er sich hatte nehmen wollen, – »und ich dachte, es sei kein Vergehen, wenn ich in das Zelt sähe.«

»Die Leute bringen selten sich selbst hierher, denke ich,« antwortete der andere barsch, – »es sieht aus wie ein altes Land, obgleich es nicht übermäßig bevölkert scheint.«

»Das Land ist so alt, als die übrigen Werke des Herrn, meine ich; aber Ihr spracht recht in Hinsicht der Bewohner. Viele Monden sind vorüber gegangen, seit mein Auge nicht auf einem Antlitz von meiner Farbe ruhte, bis ich jetzt Euch sah. – Ich wiederhol’s Euch, Freund, ich wollt‘ Euch kein Leid; ich wußte nicht, ob ich nicht vielleicht etwas hinter dem Tuche fände, was mir vergangene Tage in’s Andenken zurückbrächte.«

Als der Fremde seine einfache Erklärung geendet, ging er ruhig weg, durchdrungen von der tiefsten Ehrfurcht vor dem Recht, das jeder auf den ruhigen Genuß seines Eigenthums hat, ohne störende Einmischung von Seiten seines Nachbars; – ein heilsamer und gerechter Grundsatz, den er sehr wahrscheinlich bei seiner abgesonderten Lebensart ebenfalls angenommen. Als er nach dem kleinen Lager der Auswanderer, denn das war die Stelle jetzt geworden, zurückschritt, hörte er die Stimme des Führers, der laut in seinem rauhen, gebietenden Tone den Namen: »Ellen Wade« ausrief.

Das Mädchen, das wir schon beim Leser eingeführt haben, und welches mit den übrigen ihres Geschlechts sich um die Feuer beschäftigt hatte, sprang willig auf bei diesem Ruf, und eilte an dem Fremden mit einer Schnelligkeit einer jungen Antilope vorüber; hinter den Falten des verbotenen Zeltes verschwand sie bald seinem Blick. Doch schien weder ihre persönliche Entfernung, noch sonst eine von den Anordnungen, die wir erwähnt haben, das geringste Erstaunen unter den übrigen hervorzubringen. Die jungen Leute, die ihre Arbeit mit der Axt schon vollendet hatten, beschäftigten sich alle nach ihrer schlendernden und dumpfen Weise; einige legten gleiche Theile Futter den verschiedenen Thieren vor, andere ließen den schweren Stößer eines tragbaren Mais-Mörsers arbeiten, und einer oder zwei brachten die übrigen Wagen bei Seite und stellten sie so, daß sie eine Art Außenwerk für ihr sonst vertheidigungsloses Bivouac bildeten.

Diese verschiedenen Arbeiten waren bald gethan, und als die Finsterniß jetzt die Gegenstände auf der umgebenden Steppe verbarg, verkündete die grellschreiende Megäre, deren Stimme sich, seitdem sie Halt gemacht, unter ihrer trägen und schläfrigen Nachkommenschaft fleißig abgearbeitet, in Tönen, die auf eine schreckliche Entfernung hätten gehört werden mögen, daß das Abendessen nur auf die Ankunft derer warte, die es verzehren sollten. Welches auch immer der Charakter eines Grenzwohners sein mag, selten fehlt ihm die Tugend der Gastfreiheit. Der Auswanderer vernahm nicht sobald den scharfen Ruf seines Weibes, als er seine Augen um sich warf, den Fremden suchte, um ihm den Ehrensitz bei dem einfachen Mahle anzubieten, wozu sie so ganz ohne Umstände zusammengerufen wurden.

»Ich dank‘ Euch, Freund,« erwiederte der alte Mann auf die trockene Einladung, einen Sitz in der Nähe des dampfenden Kessels einzunehmen; »ich sage Euch meinen herzlichen Dank, aber ich habe schon für diesen Tag gegessen, und bin keiner von denen, die sich ihr Grab mit ihren Zähnen graben. Doch, da Ihr es wünscht, will ich mich zu Euch setzen, denn es ist schon lange, daß ich Niemand von meiner Farbe sein täglich Brod essen gesehen.«

»Ihr seid ein alter Ansiedler also in diesen Gegenden,« sagte der Auswanderer, mehr wie eine Bemerkung, als wie eine Frage, – den Mund fast bis zum Ueberfließen von dem köstlichen Mais voll, den seine geschickte, wiewohl etwas abstoßende Gemahlin zubereitet hatte. »Sie sagten uns unten, wir würden hierherum die Ansiedler nur sehr dünn gesäet finden, und ich muß gestehen, die Nachricht war so ziemlich wahr, denn wenn wir die Canada-Händler am großen Strom nicht rechnen, seid Ihr das erste weiße Gesicht, dem wir begegneten, auf guten fünfhundert Meilen, nach Eurer eigenen Rechnung.

»Ob ich gleich einige Jahre in diesem Bezirk zugebracht habe, kann man mich doch kaum einen Ansiedler nennen, da ich keine regelmäßige Wohnung habe und selten länger als einen Monat an demselben Ort bleibe.«

»Ein Jäger also?« fuhr der andere fort, und warf seine Augen seitwärts, als wolle er die Effecten seiner neuen Bekanntschaft mustern, »Eure Waffen scheinen nicht zum besten zu einem solchen Geschäft.«

»Sie sind alt und nahe daran, bei Seite gelegt zu werden, wie ihr Besitzer,« antwortete der alte Mann, und betrachtete sein Gewehr mit einem Blick, worin Rührung und Kummer sich einten; »und ich kann sagen, sie werden auch nur noch wenig gebraucht. Ihr irrt Euch, Freund, wenn Ihr mich einen Jäger nennt, ich bin nichts mehr als ein Streifschütz.«

»Wenn Ihr viel von dem einen seid, so behaupte ich, seid Ihr auch etwas von dem andern; denn die zwei Gewerbe gehen in der Hauptsache mit einander in diesen Gegenden.«

»Zur Schande des, der noch Kraft genug hat, sich mit dem ersten abzugeben, sei es gesagt!« erwiederte der Streifschütz, den wir in Zukunft nach seinem Gewerbe benennen wollen; »seit mehr als fünfzig Jahre führte ich meine Flinte in dieser Wildniß; ohne auch nur einem Vogel, der am Himmel fliegt, eine Schlinge zu legen, geschweige einem Thier, das nur seine Beine hat.«

»Da seh‘ ich nur wenig Unterschied, ob Jemand sich den Wamms durch’s Gewehr oder die Falle verschafft,« sagte der finstere Gefährte des Auswanderers, auf seine rauhe, barsche Weise, »die Erd‘ ward für ihn gemacht, und so auch ihre Geschöpfe.«

»Ihr scheint nur wenig Gepäck zu haben, Fremder, und seid so weit von Haus,« unterbrach ihn schnell der Auswanderer, als hätt‘ er Ursach‘, die Unterhaltung auf etwas anderes zu bringen; »ich denk‘, Ihr seid besser mit Fellen versehen.«

»Ich brauch‘ nur wenig von beidem,« antwortete ruhig der Streifschütz; »in meinem Alter ist Nahrung und Kleidung alles, was ich brauche, und habe wenig, was Ihr Beute nennt, nöthig, etwa dann und wann, um ein Horn voll Pulver oder etwas Blei zu erhandeln.«

»Ihr seid also nicht aus dieser Gegend, Freund,« fuhr der Auswanderer fort, indem er an die Bedeutung dachte, worin der andere das sehr vieldeutige Wort genommen, und das er selbst nach der Gewohnheit des Landes für »Kleidung,« »Effekten,« gebraucht hatte.

»Ich ward an der Seeküste geboren, obgleich ich den größten Theil meines Lebens in den Wäldern zubrachte.«

Jetzt sah die ganze Gesellschaft auf ihn, wie man die Blicke auf einen unerwarteten Gegenstand von allgemeinem Interesse wirft. Einer oder zwei von den jungen Leuten wiederholten die Worte »Seeküste,« und das Weib erwies ihm von jetzt an einige von den Höflichkeiten, womit sie, so unbeholfen sie auch waren, doch nur selten ihre Gäste zu ehren pflegte, gleichsam aus Ehrfurcht vor ihrem vielgewanderten Gaste. Nach einem langen und scheinbar nachdenkenden Schweigen nahm der Wanderer, der jedoch es nicht für nöthig gehalten hatte, das Geschäft seiner Kauorgane zu unterbrechen, das Gespräch wieder auf.

»Es ist ein weiter Weg, wie ich gehört habe, von den Wassern des Westen zu den Küsten des großen Stroms.«

»Es ist ein rauher Pfad, freilich, Freund, und viel hab‘ ich gesehen und manches erduldet, als ich ihn durchschritt.«

»Viel harte Arbeit mag erfahren, wer ihn zurücklegt?«

»Fünf und siebzig Jahre bin ich auf dem Weg gewesen, und auf der ganzen Entfernung, vom Hudson an, gibt es kaum eine Meile, wo ich nicht Wildpret, das ich selbst getödtet, gekostet hatte. Aber das ist leeres Rühmen! Wozu nutzen frühere Thaten, wenn die Zeit zu Ende ist.«

»Ich hörte einst Jemand, der hatte den Fluß beschifft, den er nennt,« bemerkte einer der Söhne leise, als mißtraue er seinem Wissen, und halte es für klug, Ungewißheit in Gegenwart eines Mannes zu zeigen, der so viel gesehen; »nach seiner Aussage muß es ein großer Strom sein, tief genug für das schwerste Schiff.«

»Es ist ein weiter, tiefer Wasserspiegel, und viele herrliche Städte stehen an seinen Ufern,« erwiederte der Streifschütz, »und doch ist es nur ein Bach gegen die Wasser des endlosen Stroms.«

»Ich nenne nichts einen Strom, was ein Mensch umgehen kann,« rief der finstere Gefährte des Auswanderers, »ein wahrer Strom muß durchschritten nicht umzingelt werden, wie ein Bär auf der Jagd.«

»Seid Ihr weit gegen Sonnen-Untergang gewesen, Freund,« unterbrach ihn wiederum der Auswanderer, als wünsche er seinen rauhen Begleiter so viel als möglich von der Unterhaltung auszuschließen; »ich finde, dies ist eine weite Ebene, worin ich mich verwickelt habe.«

»Ihr könnt Wochen lang reisen, und werdet’s immer so finden. Ich denke oft, der Herr hat diesen wüsten Steppengürtel hinter die Staaten gesetzt, um die Menschen zu warnen, wohin ihre Thorheit noch das Land bringen kann. Ja, Wochen, wenn nicht Monden könnt Ihr in diesen offenen Feldern ziehen, wo weder Wohnung noch eine Herberge für Menschen und Vieh sich findet. Selbst die wilden Thiere reisen Meilen weit, eine Stätte zu finden, und doch weht der Wind selten von Osten, daß nicht die Schläge der Axt und das Getös fallender Bäume in meinen Ohren wiederhallen.

Da der alte Mann mit dem Ernst und der Würde sprach, die das Alter selten auch den weniger ergreifenden Reden mitzutheilen verfehlt, so waren seine Zuhörer sehr aufmerksam, und still wie das Grab. In der That mußte der Streifschütz selbst seine Rede wieder aufnehmen, was er bald durch eine Frage that, die er nach der bei den Grenzwohnern so beliebten Weise ganz indirekt hinstellte.

»Ihr fandet es nicht leicht, über die Wasser zu setzen, und so weit in die Steppen vorzudringen, Freund, mit Euren Gespannen und Hornviehheerden?«

»Ich hielt mich am linken Ufer des großen Flusses,« erwiederte der Auswanderer, »bis ich fand, daß er zu weit nach Norden führte, wo wir denn uns mitten durch machten, ohne viel einzubüßen. Das Weib verlor ein oder zwei Felle von der nächsten Schur, und die Mädchen haben eine Kuh weniger beim Melken. Seit der Zeit, haben wir uns tapfer gehalten, und fast jeden Tag über einen Bach eine Brücke geschlagen.«

»Ihr geht, scheint’s, immer weiter nach Westen, bis Ihr in ein Land kommt, das sich zur Ansiedelung besser eignet?«

»Bis ich eine Ursache, zu halten oder umzukehren, finde,« antwortete der Auswanderer kurz, stand auf und machte der Unterhaltung durch einen unzufriedenen Blick und durch sein schnelles Aufbrechen ein Ende. Seinem Beispiel folgte der Streifschütz und die übrige Gesellschaft, worauf die Wanderer, ohne viel Rücksicht auf die Gegenwart ihres Gastes zu nehmen, Vorbereitungen zur Nachtruhe zu treffen begannen. Einige kleine Lauben, oder vielmehr Hütten waren schon von Baumästen gebildet worden, Stücke von rauher Leinwand und Büffelhäute wurden ohne andere Rücksicht, als auf das Bedürfniß des Augenblicks mit einander vereinigt. Unter diese Bedachung begaben sich alsbald die Kinder mit ihrer Mutter, wo sie, es ist nicht bloß möglich, schnell alle in die Vergessenheit des Schlafs hinabsanken. Ehe aber die Männer die Ruhe suchen konnten, waren noch tausend kleine Geschäfte abzumachen, die Vertheidigungswerke mußten vervollständigt, das Feuer sorgfältig verwahrt, das Futter für ihr Vieh vermehrt und die Wache bestimmt werden, die in den nahen Stunden der Nacht den Zug schützen sollte.

Das erstere geschah, indem die Stämme von einigen Bäumen in die von den Wagen gelassenen Zwischenräume und auf die freien Stellen gelegt wurden, die sich zwischen den Wagen und dem Walde fanden, auf den, um in der Kriegssprache zu reden, das Lager sich stützte. Es war so auf den drei Seiten der Position eine Art spanischer Reuter. In diesen engen Schranken sammelten sich jetzt, mit Ausnahme dessen, was das Zelt enthielt, sowohl Menschen als Thiere; die letzteren fanden sich viel zu glücklich, ihre matten Glieder auszuruhen, als daß sie ihren kaum um etwas verständigeren Gefährten eine unnöthige Mühe gemacht hätten. Zwei der jungen Leute nahmen ihre Gewehre, schütteten neues Pulver darauf, untersuchten mit der größten Sorgfalt die Steine, und wandten sich dann, der eine zur äußersten Rechten, der andere zur Linken des Lagers, wo sie sich in den Schatten des Waldes stellten, aber so, daß Jeder seinen Theil der Steppe übersehen konnte.

Der Streifschütz, der die Streu des Auswanderers nicht hatte theilen wollen, trieb sich auf dem Platze herum, bis die ganze Anordnung zu Ende war; dann zog er sich, ohne erst Abschied zu nehmen, langsam von der Stelle zurück.

Es war jetzt um die erste Nachtwache; das blasse, zitternde, trügerische Licht des Neumonds spielte über die endlosen Wellen der Steppe, bestrich die Erhöhungen mit sparsamem Schein, und ließ das Zwischenland in tiefem Schatten. Gewöhnt an die Scenen der Einsamkeit, wie die gegenwärtige, ging der alte Mann, als er das Lager verließ, allein in die weite Wüste, wie ein kühnes Schiff seinen Haven verläßt, um sich dem unbegrenzten Feld des Meeres zu vertrauen. Er schien sich einige Zeit ohne Zweck, oder wenigstens ohne Bewußtsein, wohin ihn seine Glieder trügen, fortzubewegen; endlich, als er den Fuß einer der Anhöhen erreicht, kam er zum Stehen, und zum ersten Mal, seit er die Gruppe verlassen, die mit einer solchen Fluth von Betrachtungen und Rückerinnerungen sein Gemüth überfüllt hatte, ward der alte Mann seiner Lage sich bewußt. Er brachte die Flinte zur Erde, lehnte sich darauf, und stand wieder mehrere Minuten in tiefen Betrachtungen verloren, während der Hund sich ihm näherte, und sich fest zu seinen Füßen hinkauerte.

Ein tiefes, drohendes Murren des treuen Thiers brachte ihn erst aus seiner sinnenden Stellung.

»Was gibt’s, Hund?« sagte er, sah nieder zu seinem Begleiter, als spräche er mit einem, ihm an Verstand gleichen Wesen und sprach gerührt: »Was ist’s, Alter? Nun, Hektor, was schnupperst du denn jetzt? Es ist vorbei, du Armer, es geht nicht mehr; die Rehe, selbst die jüngsten, spielen vor unsern Augen, ohne sich um so zwei abgelebte Bursche zu kümmern, wie du und ich. Der Instinct sagt’s ihnen; sie haben gemerkt, wie wenig wir zu fürchten sind; ja, ja, sie haben’s bemerkt.«

Der Hund richtete den Kopf aufwärts, und antwortete auf die Rede seines Herrn, mit einem langen, klagenden Seufzer, der noch fortdauerte, nachdem er schon wieder sein Haupt in’s Gras gesteckt, als unterhalte er sich verständlich mit seinem Herrn, der so wohl die dumpfe Rede zu erklären wußte.

»Das ist offenbar eine Warnung, Hektor,« fuhr der Streifschütz fort, indem er seine Stimme zu den Tönen der Vorsicht herabdämpfte, und sorgsam um sich sah; »was gibt’s, Alter, was gibt’s?«

Aber der Hund hatte schon die Nase auf den Boden gelegt, und war still; er schien zu schlummern. Doch der scharfe, schnelle Blick seines Herrn fing bald den Schein von einer entfernten Gestalt auf, die bei dem täuschenden Licht auf eben der Anhöhe zu schweben schien, worauf er selbst stand. Jetzt wurden ihre Verhältnisse deutlicher und ein leichtes, weibliches Wesen schien zu zögern, als überlege sie, ob es klüglich sei, näher zu kommen. Obgleich man jetzt die Augen des Hundes im Mondschein glänzen sah, sie sich bald öffneten und wieder schlossen, gab er doch kein weiteres Zeichen von Unwillen.

»Komm näher, wir sind Freunde,« sagte der Streifschütz, und zählte so seinen alten Gefährten mit, so stark war das geheime Band, das sie vereinigte, »wir sind deine Freunde, keiner wird dir ‚was zu Leid thun.«

Ermuthigt durch den sanften Ausdruck seiner Stimme, und vielleicht durch ernstere Beweggründe getrieben, näherte sie sich, bis sie ihm zur Seite stand; da entdeckte der alte Mann, daß der Besuch das junge Mädchen war, mit welchem unter dem Namen »Ellen Wade« der Leser schon bekannt geworden ist.

»Ich dacht‘, Ihr wäret fort,« sprach sie, und sah furchtsam und ängstlich um sich; »sie sagten, Ihr wärt fort, und wir würden Euch nie wieder sehen; – ich glaubte nicht, daß Ihr es wäret.«

»Menschen sind in diesen leeren Feldern kein gewöhnlicher Gegenstand,« erwiederte der Streifschütz, »und ich hoffe doch, ich habe, obgleich ich so lange mit den Thieren der Wildniß verkehrt, noch nicht die Gestalt meines Geschlechtes verloren.«

»O, ich erkannte wohl, daß es ein Mensch war, und glaubte selbst den Seufzer des Hundes zu unterscheiden,« antwortete sie hastig, als wolle sie etwas erklären, ohne recht zu wissen, was? und stockte dann wieder, als fürchte sie, schon zu viel gesagt zu haben.«

»Ich sah keine Hunde in dem Zug Eures Vaters,« bemerkte der Streifschütz trocken.

»Vater?« rief das Mädchen gerührt aus; »ich habe keinen Vater, ja ich möchte fast sagen keinen Freund!« Der alte Mann wandte sich zu ihr mit einem Blick voll Freundlichkeit und Teilnahme, der fast noch mehr für ihn einnahm, als der gewöhnliche, aufrichtige, wohlwollende Ausdruck seines vom Wetter gepeitschten Antlitzes.

»Warum wagt Ihr Euch denn an einen Ort, den nur der Starke betreten sollte?« fragte er. »Wußtet Ihr nicht, daß Ihr bei’m Ueberschreiten des großen Flusses einen Freund hinter Euch ließet, der immer geneigt ist auf das Junge und Schwache, wie Ihr, zu sehen?«

»Von wem sprecht Ihr?«

»Vom Gesetz. – Es ist schlimm, es zu haben; aber ich meine manchmal, es sei noch schlimmer, wo es gar nicht zu finden ist. Ja, ja, Gesetze thun Noth, wenn für solche, denen Stärke und Weisheit nicht verliehen ist, Sorge getragen werden soll. Ich hoffe, junges Weib, wenn Ihr keinen Vater habt, habt Ihr zum wenigsten einen Bruder.«

Das Mädchen fühlte den schweigenden Vorwurf, der in dieser verdeckten Frage lag, und schwieg einen Augenblick verlegen. Doch als sie einen Blick geworfen auf die freundlichen, ernsten Züge ihres Gefährten, der sie immer mit Theilnahme ansah, erwiederte sie fest; und auf eine Art, die keinen Zweifel übrig ließ, daß sie seine Meinung verstanden:

»Behüte der Himmel, daß einer von denen, wie Ihr sie gesehen habt, ein Bruder von mir, oder sonst mir nahe und theuer sein sollte. Aber sagt mir, lebt Ihr denn wirklich allein in dieser wüsten Gegend, alter Mann; ist wirklich außer Euch Niemand hier?«

»Hunderte, ja Tausende von den rechtmäßigen Eigenthümern des Landes schweifen in diesen Ebenen herum; aber wenige von meiner Farbe.«

»Und seid Ihr denn Niemanden außer uns begegnet, der weiß war?« unterbrach ihn das Mädchen, als könne sie die zögernde Erklärung nicht erwarten, die sein Alter und seine Ueberlegung eben geben wollte.

»Nicht seit vielen Tagen – hsch, Hektor, hsch!« fügte er hinzu, als Antwort auf ein dumpfes und kaum hörbares Knurren seines Hundes. »Das Thier riecht Unheil. Die schwarzen Bären von den Bergen nehmen manchmal ihren Weg noch tiefer herunter als hierher. Der Bursche beklagt sich nicht leicht über harmloses Wild. Ich bin nicht mehr so flink und sicher mit meiner Flinte als sonst, aber damals habe ich auch die stolzesten Thiere der Steppe niedergedonnert; so brauchst du dich weiter nicht zu fürchten, Kind.«

Das Mädchen schlug die Augen empor, auf die besondere Art, wie es so oft von ihrem Geschlecht geschieht, wenn sie ihr Schauen damit beginnen, daß sie die Erde zu ihren Füßen untersuchen, und damit endigen, daß sie alles erfassen, was in den Kreis ihrer Sehkraft fällt; aber sie zeigte eher Ungeduld als ein Gefühl von Unruhe.

Ein kurzes Bellen vom Hund gab jedoch bald den Blicken beider eine neue Richtung, und dann ward die wahre Ursache seiner zweiten Warnung dunkel sichtbar.

Zwanzigstes Kapitel.

Zwanzigstes Kapitel.

»Willkommen, alter Pistol.«

Shakespeare.

 

Es dauerte nicht lange, und der Streifschütz zeigte ihnen den Anführer Mahtoree, als den Häuptling der Sioux. Dieser Befehlshaber, der am letzten der lauten Aufforderung Weucha’s gehorcht hatte, erreichte nicht sobald die Stelle, wo sein ganzer Haufen sich jetzt sammelte, als er sich von seinem Pferde stürzte und sich anschickte, mit jenem Grad von Würde und Aufmerksamkeit die sonderbare Spur zu erforschen, wie sie seiner hohen und geehrten Stellung zukam. Die Krieger, – denn es war nur zu augenscheinlich, daß sie zu jener furchtlosen und unbändigen Classe gehörten, – erwarteten mit geduldiger Zurückhaltung den Erfolg seines Forschens, und keiner als einige von den tapfersten nahm sich heraus, auch nur zu reden, während ihr Anführer so ernst beschäftigt war. Es dauerte mehrere Minuten, ehe Mahtoree sich zufrieden stellte. Er wandte dann seine Augen über den Boden nach jenen verschiedenen Stellen, wo Ismael dieselben empörenden Spuren des Wegs gefunden, den irgend ein blutiger Streit genommen haben mußte, und winkte seinem Volk, ihm zu folgen.

Die ganze Bande schritt zugleich nach dem Dickicht zu und machte einige Schritte von derselben Stelle Halt, wo Esther ihre trägen Söhne angereizt hatte, in das Gebüsch zu brechen. Der Leser wird sich leicht denken, daß der Streifschütz und seine Gefährten keine gleichgültigen Beobachter solch einer drohenden Bewegung waren. Der Alte rief Alle, welche im Stande waren, die Waffen zu tragen, zu sich und fragte in sehr bestimmten Ausdrücken, obwohl mit einer Stimme, die etwas gedämpft war, um den Ohren seiner gefährlichen Nachbarn zu entgehen, ob sie geneigt wären, für ihre Freiheit zu kämpfen, oder ob sie das sanftere Mittel der Unterhandlung versuchen wollten. Da dies eine Frage war, die für Alle gleiches Interesse hatte, legte er sie ihnen gleichsam wie einem Kriegsrath vor, und nicht ohne einige Spuren eines fast erloschenen Kriegerstolzes zu verrathen. Paul und der Doctor waren in ihrer Meinung einander schnurstracks entgegengesetzt; da der Erstere ohne Weiteres zu den Waffen zu greifen rieth, und der Andere mit Wärme die Klugheit friedlicher Maßregeln vertheidigte. Middleton, welcher sah, es sei ein heißer Wortstreit zwischen Beiden zu befürchten, da sie von so ganz entgegengesetzten Ansichten beherrscht wurden, hielt es für gut, das Amt eines Mittlers zu übernehmen, oder vielmehr die Frage zu entscheiden, da seine Lage ihn gewissermaßen zum Richter machte. Auch er neigte sich auf die Seite des Friedens; denn er sah deutlich, daß wegen der großen Uebermacht ihrer Feinde, Gewalt unabänderlich zu ihrem Untergang führen würde.

Der Streifschütz hörte auf die Gründe des jungen Soldaten mit großer Aufmerksamkeit, und da sie mit der Festigkeit eines Mannes dargelegt wurden, der sein Urtheil nicht durch Besorgnisse geblendet werden ließ, verfehlten sie nicht, den gehörigen Eindruck zu machen.

»Es ist vernünftig,« begann der Streifschütz wieder, als der Andere seine Gründe gesagt hatte, »es ist sehr vernünftig; denn was der Mensch durch seine Kraft nicht bewegen kann, muß er durch List umgehen. Die Vernunft macht ihn stärker als der Büffel, schneller als das Rennthier. Nun bleibt ihr hier stehen und haltet euch in der Nähe. Mein Leben und Gewerb ist nur wenig werth, wenn das Wohl so vieler Menschenseelen auf dem Spiel steht, und vorzüglich darf ich sagen, ich verstehe mich auf die Windungen der Indianerlist. Deßwegen will ich allein auf die Steppe gehen. Es kann sein, daß ich noch die Augen der Sioux von dieser Stelle abziehen und euch Zeit und Raum zum Fliehen geben kann.«

Gleichsam entschlossen, auf keine Vorstellung zu hören, schulterte der Alte ruhig die Büchse, ging gemächlich durch das Dickicht und trat heraus auf die Ebene, an einem Punct, wo er zuerst den Sioux in die Augen fallen konnte, ohne Verdacht zu erregen, daß er aus dem Versteck kam.

Sobald die Gestalt eines Mannes im Jägergewand und mit der wohlbekannten und sehr gefürchteten Büchse vor den Sioux erschien, entstand eine merkliche, wiewohl unterdrückte Bewegung in der Bande. Die List des Streifschützen war in so weit gelungen, als es außerordentlich zweifelhaft blieb, ob er von einem Punct in der offenen Ebene, oder aus dem Dickicht käme, obgleich die Indianer immer noch häufige und verdachtsvolle Blicke auf das Versteck warfen. Sie hatten auf Pfeilschußweite von den Büschen Halt gemacht; aber als der Streifschütz nahe genug kam, um sehen zu lassen, daß die tiefe Farbe Roth und Braun, die die Zeit und das Ausgesetztsein der Luft seinen Zügen gegeben hatte, auf der eigentlichen Farbe eines Blaßgesichts lag, wichen sie langsam von der Stelle zurück, bis sie eine Entfernung erreichten, die die Kraft der Feuerwaffe weniger unheilvoll machen könnte.

Indeß schritt der Alte immer vorwärts, bis er nah genug gekommen, um ohne Schwierigkeit gehört zu werden. Hier blieb er stehen, brachte die Büchse zur Erde und erhob zum Friedenszeichen die Hand, das Innere auswärts gekehrt. Nachdem er einige Worte als Verweis zu seinem Hund gemurmelt, der die wilde Gruppe mit Augen bewachte, die sie als die früheren Gefangenwärter seines Herrn zu erkennen schienen, begann er in der Sioux-Sprache »Meine Brüder sind willkommen,« sagte er und stellte sich listig als Herrn des Landes dar, in dem sie auf einander getroffen, und nahm die Pflichten der Gastfreundschaft auf sich. »Sie sind weit von ihren Dörfern und hungrig; wollen sie mir zu meinem Lager folgen und essen und schlafen?«

Nicht sobald ward seine Stimme gehört, als ein Freudenschrei, der aus einem Dutzend Kehlen kam, den scharfsichtigen Streifschützen überzeugte, daß auch er erkannt worden. Er sah ein, es sei zum Rückzuge zu spät, benutzte also die Verwirrung, welche unter ihnen herrschte, und schritt, während Weucha ihn beschrieb, vor, bis er wieder Angesicht zu Angesicht vor dem furchtbaren Mahtoree selbst stand. Die zweite Zusammenkunft zwischen diesen beiden Männern, von denen jeder in seiner Art etwas Ungewöhnliches hatte, zeichnete sich durch die gewöhnliche Vorsicht der Grenze aus. Sie standen fast einen Augenblick und sahen einander an, ohne zu sprechen.

»Wo sind Eure jungen Leute?« fragte ernst der Teton-Häuptling, als er gefunden, daß die unbeweglichen Züge des Streifschützen unter seinem einschüchternden Blick keine von ihres Herrn Geheimnisse verrathen wollten.

»Die Langmesser kommen nicht in Banden, um dem Biber Fallen zu stellen; ich bin allein.«

»Euer Haupt ist weiß, aber Eure Zunge ist spitzig. Mahtoree ist in Euerm Lager gewesen. Er weiß, daß Ihr nicht allein seid.

Wo ist Euer junges Weib und der Krieger, den ich auf der Steppe fand?«

»Ich hab‘ kein Weib. Ich hab‘ meinem Bruder gesagt, daß das Weib und ihr Freund Fremde sind. Die Worte eines grauen Hauptes sollten gehört und nicht vergessen werden. Die Dahcotah fanden Wanderer schlafen und dachten, sie brauchten nicht Pferde. Die Weiber und Kinder eines Blaßgesichts sind nicht gewohnt, weit zu Fuß zu gehen. Laßt sie suchen, wo Ihr sie ließet.«

Die Augen des Tetons sprühten Feuer, als er antwortete: »Sie sind fort, aber Mahtoree ist ein weiser Häuptling und seine Augen können weit sehen!«

»Sieht der Führer der Teton Leute auf diesen nackten Feldern?« entgegnete der Streifschütz mit großer Festigkeit. »Ich bin alt und meine Augen werden dunkel. Wo stehen sie?«

Der Häuptling blieb einen Augenblick stumm, als halte er es für erniedrigend, eine Thatsache länger zu bestreiten, über die er schon gewiß war. Dann deutete er auf die Spur am Boden und sagte mit einem plötzlichen Uebergang zur Milde in Aug und Haltung.

»Mein Vater hat in den vielen Wintern Weisheit gelernt, kann er mir sagen, wessen Stiefel diese Spur zurückgelassen?«

»Es sind Wölfe und Büffel auf den Steppen gewesen und auch an Cougar mag’s nicht gefehlt haben.«

Mahtoree warf sein Auge auf das Dickicht, als wenn er die letztere Vermuthung nicht für unmöglich hielte. Er deutete nach der Stelle und befahl seinen Leuten, sie sorgsamer zu untersuchen, während er sie zugleich mit einem ernsten Blick auf den Streifschützen ermahnte, sich vor der Verrätherei der Großmesser zu wahren. Drei oder vier halbnackte, eifrig aussehende Jünglinge ließen ihren Pferden auf sein Wort die Zügel schießen und eilten davon, seinem Befehl zu gehorchen. Der Alte zitterte etwas für die Klugheit Paul’s, als er diese Bewegung sah. Die Teton umkreisten zwei- oder dreimal die Stelle, sich jedesmal ihr mehr nähernd, und galoppirten dann zu ihrem Führer mit der Nachricht zurück, das Gehölz schien leer. Obgleich der Streifschütz Mahtoree’s Ange bewachte, um die innere Bewegung seines Gemüths zu entdecken, und wo möglich voraus zu vermuthen, um seinen Verdacht zu berichtigen, konnte doch die äußerste Anstrengung eines Mannes, der so lange die kalten Gewohnheiten der indianischen Race studirt hatte, kein Zeichen, keinen Ausdruck wahrnehmen, der verrieth, in wie weit er dieser Botschaft Glauben schenkte. Statt auf die Benachrichtigung seiner Spionen etwas zu erwiedern, sprach er freundlich zu seinem Pferd, winkte einem Jüngling, den Zaum oder vielmehr Halfter zu halten, woran er das Thier lenkte, nahm den Streifschütz bei’m Arm, und führte ihn etwas seitwärts von den Uebrigen der Bande.

»Ist mein Bruder ein Krieger gewesen?« sagte der listige Teton in einem Ton, der verbindlich sein sollte.

»Bedecken die Blätter die Bäume zur Zeit der Frucht! Geht. Die Dahcotah haben nicht so viele lebendige Krieger gesehen, als ich in ihrem Blut! Aber was hilft eitle Rückerinnerung,« fügte er auf Englisch hinzu, »wenn die Glieder steif werden und das Gesicht fehlt?«

Der Häuptling betrachtete ihn einen Moment mit ernstem Blick, als wollte er das Falsche aufdecken, das er gehört, aber als er im ruhigen Auge, in der festen Miene des Streifschützen eine Bestätigung der Wahrheit dessen fand, was er gesagt hatte, nahm er die Hand des Alten und legte sie leise auf sein Haupt, zum Zeichen der Ehrfurcht, die des andern Jahren und Erfahrung gebührte.

»Warum denn sagen die Großmesser ihren rothen Brüdern, sie sollten den Tomahawk begraben,« entgegnete er, wenn ihre jungen Leute nie vergessen, daß sie tapfer sind, wenn sie einander so oft mit blutiger Hand begegnen?«

»Meine Nation ist zahlreicher als die Büffel auf den Steppen oder die Tauben in der Luft. Ihre Streitigkeiten sind häufig, doch sind ihrer Krieger wenig. Niemand zieht uns auf den Weg des Kriegs als die, welche begabt sind mit den Eigenschaften eines Tapfern, und deßwegen sehen solche viele Schlachten.«

»So ist es nicht, – mein Vater irrt sich,« entgegnete Mahtoree, und überließ sich einem Lächeln vor Freude über seine Scharfsicht, während er zu gleicher Zeit die Stärke seiner Verneinung aus Ehrfurcht vor den Jahren und Diensten eines solchen Greises milderte. »Die Großmesser sind sehr weise, sind Männer, sie alle möchten Krieger sein, und die Rothhäute Wurzeln graben und Korn schneiden lassen. Aber ein Dahcotah ist nicht geboren, um wie ein Weib zu leben, er muß den Pawnee und Omahaw schlagen oder wird den Namen seiner Väter verlieren.«

»Der Herr des Lebens sieht mit offenem Auge auf seine Kinder, die in einer Schlacht fallen, die für das Recht gekämpft wird, aber er ist blind, und seine Ohren sind dem Geschrei des Indianers verschlossen, der getödtet wird, während er plünderte, und Uebel that seinem Nachbar.«

»Mein Vater ist alt,« sagte Mahtoree und sah auf seinen bejahrten Gefährten mit einem Ausdruck voll Hohn, der hinlänglich zeigte, daß er einer von jenen war, die die Schranken der Erziehung überschreiten und vielleicht ein wenig geneigt sind, die Geistesfreiheit zu mißbrauchen, die sie so erlangen. »Er ist sehr alt; hat er eine Reise gemacht in das ferne Land und ist in dem Gewirr gewesen, um zurückzukommen und den Jüngeren zu erzählen, was er gesehen?«

»Teton,« entgegnete der Streifschütz, und stieß den Kolben seiner Büchse mit wilder Wuth auf den Boden und betrachtete seinen Gefährten mit festem Ernst, »ich habe gehört, daß es Leute unter meinem Volke gibt, die ihre großen Arzneien studiren, bis sie sich für Götter halten, und die über jeden Glauben lachen, ihre eigene Eitelkeit ausgenommen. Es mag wahr sein; es ist wahr, denn ich habe sie gesehen. Wenn der Mensch in Städten und Schulen eingeschlossen ist mit seinen Thorheiten, mag es leicht sein, daß er sich für größer hält, als den Herrn des Lebens, aber ein Krieger, der in einem Hause lebt, dessen Dach die Wolken sind, wo er in jedem Augenblick beides, den Himmel und die Erde betrachten kann, und der täglich die Macht des großen Geistes sieht, der wird demüthiger sein. Ein Dahcotah-Häuptling muß zu weise sein, um über Gerechtigkeit zu lachen.«

Der listige Mahtoree, welcher sah, daß seine freie Denkungsart nicht leicht einen günstigen Eindruck auf den Alten machen möchte, veränderte sogleich den Gegenstand des Gesprächs, indem er auf den eigentlicheren Zweck ihrer Unterredung kam. Er legte dem Streifschützen freundlich die Hand auf die Schulter, und führte ihn weiter, bis sie beide fünfzig Fuß vom Rand des Dickichts standen. Hier heftete er seine forschenden Augen auf des Andern ehrliche Mienen, und fuhr fort:

»Wenn mein Vater seine jungen Leute im Gebüsch versteckt hat, so lasse er sie hervorkommen. Ihr seht, ein Dahcotah fürchtet sich nicht. Mahtoree ist ein großer Häuptling. Ein Krieger, dessen Haupt weiß ist, und der bald in das Land der Geister geht, kann nicht doppelzüngig sein wie eine Schlange.«

»Dahcotah, ich hab‘ keine Lüge gesagt. Seit der große Geist mich zum Mann gemacht, hab‘ ich in der Wildniß gelebt, oder in diesen nackten Steppen ohne Haus und Familie. Ich bin ein Jäger und geh‘ meinen Pfad allein!«

»Mein Vater hat einen guten Carabiner, Er richte ihn in’s Gebüsch und feuere.«

Der Alte zögerte einen Augenblick, und machte sich dann langsam bereit, um den gefährlichen Beweis von der Wahrheit seiner Rede zu geben, da er wohl einsah, seines listigen Gefährten Verdacht könne auf andere Weise nicht beschwichtigt werden. Als er seine Buchse richtete, eilte sein Auge, obwohl vom Alter sehr dunkel und geschwächt, über die wirre Menge der Dinge hin, die in dem bunten Laub des Dickichts verborgen lag, bis es die braune Decke eines kleinen Baumstamms gewahrte; diesen Gegenstand im Auge, schlug er die Büchse an und feuerte. Die Kugel hatte kaum den Lauf verlassen, als des Schützen Hand ein Zittern befiel, das, wenn es einen Augenblick früher gekommen, ihn gänzlich unfähig gemacht zu so gewagtem Beginnen. Ein schreckliches Schweigen von einem Augenblick folgte auf den Schuß, während dessen er das Geschrei der Weiber zu hören erwartete, und dann, als der Rauch im Wind wegwirbelte, erblickte er die zerschossene Rinde, und überzeugte sich, daß all seine frühere Geschicklichkeit ihn nicht ganz verlassen. Das Gewehr kam zu Boden und er wandte sich wieder mit einem Blick des größten Gleichmuths zum Wilden und fragte:

»Ist mein Bruder zufrieden?«

»Mahtoree ist ein Häuptling der Dahcotah,« entgegnete der listige Teton und legte die Hand auf die Brust, zum Zeichen, daß er des andern Aufrichtigkeit anerkenne. »Er weiß, daß ein Krieger, der an so vielen Rathsfeuern geraucht, bis sein Haupt weiß ward, nicht in schlechter Gesellschaft gefunden werden wird. Aber ritt nicht einst mein Vater ein Pferd, gleich einem reichen Häuptling der Blaßgesichter, statt wie ein hungriger Konza zu Fuß zu gehen?«

»Nie. Wahconda hat mir Beine gegeben und den Entschluß, sie zu gebrauchen. Sechzig Sommer und Winter zog ich in Amerika’s Wäldern herum, und dann haben traurige Jahre mich in diese Steppen gebracht, ohne daß ich nöthig gehabt, oft die Gaben der andern Geschöpfe des Herrn anzusprechen, um mich von Ort zu Ort zu bringen.«

»Wenn mein Vater so lange in den Schatten gelebt, warum ist er auf die Steppen gekommen? Die Sonne wird ihn brennen.«

Der Alte sah sich für einen Augenblick traurig um, und wandte sich dann mit einer Art von Zutrauen zum Andern, als er erwiederte:

»Ich brachte den Frühling, Sommer und Herbst des Lebens unter den Bäumen zu. Der Winter meiner Tage war gekommen, und fand mich, wo ich gern sein mochte, in der Ruhe, – ja und in der Ehrlichkeit der Wälder. Teton, damals schlief ich glücklich, wo mein Auge aufschauen konnte durch die Zweige der Tannen und Birken zur Wohnung des guten Geistes meines Volks. Wenn ich Noth hatte, mein Herz ihm zu öffnen, während seine Lichter über meinem Haupte brannten, fand ich, die Thüre offen und vor meinen Augen. Aber die Aexte der Holzfäller weckten mich. Lange Zeit hörten meine Ohren nichts als den Lärm der Anbauung. Ich ertrug es wie ein Krieger und Mann; ich hatte meine Ursache dazu, aber als diese Ursache nicht mehr da war, beschloß ich, diesen verfluchten Lärm zu meiden. Es war eine schwere Probe für meinen Muth und meine Gewohnheiten; aber ich hatte von diesen weiten, nackten Feldern gehört, und kam hierher, der zerstörenden Wuth meines Volks zu entgehen. Sagt mir, Dahcotah, hab‘ ich nicht wohl gethan?«

Der Streifschütz legte, als er endete, seine langen, dürren Finger auf die nackte Schulter des Indianers, und schien dessen Glücklichpreisen über seine Klugheit und seinen Erfolg mit einem rauhen Lächeln zu erwarten, worin sich seltsam Triumph mit Trauer mischte. Sein Gefährte hörte aufmerksam zu, und erwiederte auf die Frage, indem er in der seinem Stamme eigenthümlichen kurzen Weise sagte:

»Das Haupt meines Vaters ist sehr grau, er hat immer unter Menschen gelebt, und Alles gesehen. Was er thut ist gut, was er spricht ist weise. Nun laßt ihn sagen, ob er sicher mit den Langmessern unbekannt ist, die überall in den Steppen nach ihrem Vieh suchen und es nicht finden können.«

»Dahcotah, was ich gesagt, ist wahr. Ich leb‘ allein, und hab‘ nie zu schaffen mit den Leuten, deren Haut weiß ist, wenn – –«

Sein Mund schloß sich plötzlich durch eine Unterbrechung, die eben so niederschlagend als unerwartet war. Die Worte lagen noch auf seiner Zunge, als die Büsche auf der Seite des Dickichts, wo sie standen, sich öffneten, und die ganze Gesellschaft, die er eben verlassen und zu deren Gunsten er sich bemühte, seine Wahrheitsliebe mit der Nothwendigkeit zu täuschen, zu vereinigen, offen hervortrat. Eine Pause stummen Erstaunens folgte auf diesen überraschenden Anblick. Dann deutete Mahtoree, der durch nichts sein Verwundern und Staunen verrieth, das ihn wirklich befiel, auf die herankommenden Freunde des Streifschützen mit einer Art angenommener Höflichkeit und einem Lächeln, das sein stolzes, finsteres Gesicht erleuchtete, wie der Blick der untergehenden Sonne die Ungeheuern Massen und furchtbare Ladung der Wolke darstellt, die bis zum Bersten mit elektrischem Stoffe gefüllt ist. Doch hielt er es nicht für würdig zu reden, oder ein anderes Zeichen seines Plans zu geben, als daß er die ferne Bande zu sich rief, die auf seinen Befehl mit der Schnelligkeit ergebener Unterworfenen herbeisprangen.

Indeß schritten die Freunde des Alten immer voran. Middleton war der vorderste und führte die leichte, feenartige Gestalt der Inez, auf deren ängstliches, ausdrucksvolles Gesicht er zu Zeiten Blicke einer zarten Theilnahme warf, wie in ähnlichen Umständen sie ein Vater auf sein Kind richten würde. Paul geleitete Ellen dicht hinter ihnen. Aber, während das Auge des Bienenjägers seine blühende Gefährtin nicht versäumte, schaute es trotzig, und glich mehr dem Blick des finstern, fliehenden Bären, als dem sanften Ausdruck eines begünstigten Begleiters. Obed und der Esel kamen zuletzt, und jener führte diesen mit einem Grade von Güte, die kaum von einem Andern in der Gesellschaft übertroffen wurde. Der Gang des Naturforschers war weit weniger schnell als der jener, die ihm vorangingen. Sein Fuß schien gleich unwillig, vorzuschreiten als stehen zu bleiben, seine Lage hatte große Ähnlichkeit mit der von Mahomed’s Sarg, nur mit dem Unterschied, daß mehr die Repulsions- als Attractionskraft ihn im Stand der Ruhe hielt. Die Repulsivkraft hinter ihm schien jedoch vorzuherrschen, und nach einer sonderbaren Ausnahme, wie er selbst gesagt haben würde, von allen philosophischen Grundsätzen, schien sie durch Entfernung eher zu wachsen als abzunehmen. Da die Augen des Naturforschers standhaft eine Richtung behaupteten, die seinem Weg entgegengesetzt war, dienten sie dazu, denen der Beobachter aller dieser Bewegungen eine Richtung zu geben, und lieferten mit einem Mal einen guten Schlüssel, durch den man sich das Geheinmiß eines so plötzlichen Hervorbrechens aus dem Versteck öffnen konnte.

Ein zweiter Haufen stattlicher, bewaffneter Männer ward in nicht weiter Entfernung bemerkt, der eben um die Spitze des Gehölzes herumkam und gerade, jedoch vorsichtig, auf die Stelle zuging, wo die Bande der Sioux stand; so steht man oft eine Schwadron Kreuzer über die Weite der Wasser auf die reichen aber wohlgeschützten Handelsschiffe lossteuern. Kurz die Familie des Auswanderers oder wenigstens solche von ihr, die Waffen tragen konnten, erschienen auf der weiten Steppe, offenbar begierig ihre Schmach zu rächen.

Mahtoree und sein Haufen zog sich langsam vom Dickicht zurück, sobald er die Fremden ansichtig ward, und hielt auf einer Erhöhung, die eine weite und ungehinderte Aussicht auf die nackten Felder gewährte, auf denen sie standen. Hier schien der Dahcotah entschlossen, Posto zu fassen, und es zur Entscheidung kommen zu lassen. Trotz dieses Rückzugs, auf dem er den Streifschützen nöthigte, ihn zu begleiten, ging Middleton immer vorwärts, bis er auch auf derselben Anhöhe und in gehöriger Entfernung von den kriegerischen Sioux hielt. Die Grenzwohner nahmen ebenfalls eine günstige Stellung ein, obwohl in weit größerer Entfernung. Die drei Gruppen glichen jetzt eben so vielen Flotten auf der See, die die Segel am Mast in der lobenswerthen Absicht stille legen, zu erforschen, wen von den Fremden sie als Freund oder Feind betrachten sollten.

Während dieses augenblicklichen Aufschubs fuhr das schwarze drohende Auge Mahtoree’s von einem Haufen der Fremden zum andern, scharf und hastig beobachtend, und wandte dann seinen durchbohrenden Blick auf den Alten. Er sagte in hohem, bittern Unwillen:

»Die Langmesser sind Thoren! Es ist leichter den Cougar schlafend als einen blinden Dahcotah zu finden. Glaubten die Weißen, sie würden auf dem Pferd eines Sioux reiten?«

Der Streifschütz, welcher Zeit gefunden, seine verwirrten Seelenkräfte zu sammeln, sah sogleich, daß Middleton, als er Ismael auf der Spur bemerkte, auf der er geflohen, sich lieber der Gastfreundschaft der Wilden als der Behandlung hatte überlassen wollen, die er wahrscheinlich vom Auswanderer hätte erdulden müssen. Er entschloß sich daher, der Aufnahme seiner Freunde das Wort zu reden, da er fand, daß diese unnatürliche Vereinigung nöthig geworden, um das Leben, wenn nicht die Freiheit der Gesellschaft zu sichern.

»Machte mein Bruder sich je auf den Weg, um mein Volk zu schlagen?« fragte er ruhig den unwilligen Häuptling, der noch seine Antwort erwartete.

Der finstere Blick des Tetonkriegers verlor in so weit seine Strenge, als er einen Strahl von Lust und Triumph dessen Wildheit mäßigen ließ. Er bewegte seinen Arm in einem Zirkel und antwortete:

»Welcher Stamm und welche Nation hat nicht die Schläge der Dahcotah gefühlt? Mahtoree ist ihr Haupt.«

»Und hat er die Großmesser als Weiber gefunden, oder als Männer?«

Eine Menge wilder Leidenschaften schienen gegen einander in dem trotzigen Gesicht des Indianers zu kämpfen, als er diese Frage vernahm. Für einen Augenblick schien unauslöschlicher Haß die Oberhand zu behaupten, und dann bemeisterte sich ein edler Ausdruck, einer, der besser dem Charakter eines tapferen Kriegers angemessen war, seiner Züge, und behauptete sich, bis er sein leichtes Gewand von bemalter Rehhaut abwarf, und aus die Narbe eines Bayonnetstichs deutend antwortete:

»Es ward gegeben, wie es genommen ward, Angesicht zu Angesicht.«

»Es ist genug. Mein Bruder ist ein tapferer Häuptling, und sollte auch ein weiser sein. Möge er sehen. Ist das ein Krieger von den Blaßgesichtern? War es so einer, der dem großen Dahcotah die Wunde beibrachte?«

Die Augen Mahtoree’s folgten der Richtung der ausgestreckten Hand des Alten und fielen auf die zitternde Gestalt der Inez. Der Blick des Teton währte lang, war fest und bewundernd. Wie der des jungen Pawnee glich er mehr dem Staunen eines Sterblichen auf ein himmlisches Gebild als der Bewunderung, womit man selbst die Lieblichkeit einer Frau zu betrachten pflegt.

Auffahrend, als bemerke er plötzlich seine Selbstvergessenheit, wandte der Häuptling zunächst seine Augen auf Ellen, wo sie einen Augenblick mit einem weit merklicheren Ausdruck von Bewunderung verweilten, und dann ihren Lauf fortsetzten, bis sie nochmals jeden einzelnen der Gesellschaft betrachtet hatten.

»Mein Bruder sieht, daß meine Zunge nicht falsch ist,« fuhr der Streifschütz fort und bewachte die Bewegungen, die der Andere verrieth, mit einer Schnelligkeit der Auffassung, die der des Tetons selbst wenig nachgab. »Die Großmesser schicken ihre Weiber nicht in den Krieg. Ich weiß, der Dahcotah wird mit den Fremden rauchen.«

»Mahtoree ist ein großer Häuptling. Die Großmesser sind willkommen;« sagte der Teton und legte seine Hand mit einer Art nachläßiger Höflichkeit, die jeder Gesellschaft Ehre gemacht haben würde, auf die Brust. »Die Pfeile meiner jungen Leute sind in den Köchern.«

Der Streifschütz winkte Middleton, heranzukommen und in wenig Augenblicken waren die beiden Parteien vereinigt, nachdem jeder der Männer freundliche Grüße nach Art der Steppenkrieger gewechselt hatte. Aber selbst während sie auf diese gastfreundliche Weise beschäftigt waren, unterließ der Dahcotah nicht, ein strenges Auge auf die entferntere Gruppe der Weißen zu haben, als argwöhne er noch eine List, oder suche weitere Erklärung. Der Alte seinerseits sah die Nothwendigkeit ein, weitläufiger zu werden und den geringen, zweideutigen Vortheil sich zu sichern, den er schon erlangt hatte. Während er sich stellte, als untersuche er die Gruppe, die nah an der Stelle zögerte, wo sie zuerst Halt gemacht, gleichsam um den Charakter der Gegenüberstehenden zu entdecken, sah er deutlich, daß Ismael geradezu Feindseligkeiten bezwecke. Das Ergebniß eines Kampfes auf der offnen Steppe zwischen einem Dutzend entschlossener Grenzleute und den halbbewaffneten Eingebornen, selbst wenn sie von ihren weißen Verbündeten unterstützt würden, war nach seinem erfahrnen Urtheil ein sehr Ungewisser Punct, und obwohl weit entfernt, für seine eigene Person dem Kampf abgeneigt zu sein, hielt es doch der bejahrte Streifschütz für weit passender für seine Jahre und seinen Charakter, den Streit zu vermeiden, als ihn zu suchen. Seine Gefühle waren aus sehr naheliegenden Ursachen, mit denen Paul’s und Middletons in Uebereinstimmung, da diese noch weit kostbarere Leben als ihre eignen zu bewahren und zu schützen hatten.

In dieser Lage beratschlagten die drei über die Mittel, den schrecklichen Folgen zu entgehen, welche unmittelbar aus einem feindseligen Act der Grenzwohner hervorgehen mußten, und der Alte trug Sorge, daß ihre Unterredung in den Augen derer, welche den Ausdruck ihres Antlitzes mit eifersüchtiger Aufmerksamkeit bewachten, nur als Erklärung über die Ursache erschiene, die solch einen Haufen Reisender in die Steppen gebracht.

»Ich weiß, daß die Dahcotah ein weises und großes Volk sind;« begann endlich der Streifschütz und wandte sich wieder an den Häuptling, »aber kennt ihr Anführer keinen einzigen Bruder, der schlecht ist?«

Mahtoree’s Auge durchlief stolz seine Bande, aber ruhte einen Augenblick mit Widerwillen auf Weucha, als er antwortete:

»Der Herr des Lebens hat Häuptlinge gemacht und Krieger und Weiber, damit wollte er alle Stufen der menschlichen Herrlichkeit von der höchsten zur niedrigsten umfaßt wissen.«

»Und er hat auch Blaßgesichter gemacht, die schlecht sind? Das sind die, welche mein Bruder dort sieht.«

»Kommen sie zu Fuß, um Uebel zu thun?« fragte der Teton mit einem wilden Blick, der hinlänglich verrieth, wie gut er die Ursache wisse, warum sie so herabgekommen.

»Ihre Thiere sind fort, aber ihr Pulver und Blei und ihn Decken sind noch da.«

»Tragen sie ihren Reichthum in der Hand, wie die ärmsten Konza? Oder sind sie tapfer und lassen ihn bei den Weibern, wie Leute thun sollen, die wieder zu finden wissen, was sie verloren haben.«

»Mein Bruder sieht die blaue Stelle dort über der Steppe, seht, die Sonne hat sie zum letzten Mal für heute berührt.« »Mahtoree ist kein Maulwurf.«

»Es ist ein Felsen, und auf ihm ist die Habe der Großmesser.«

Ein Ausdruck wilder Freude schoß in das finstere Antlitz des Tetons, als er es hörte; er wandte sich zu dem Alten, als wolle er in seiner Seele lesen, und sich versichern, daß er nicht getäuscht würde. Dann richtete er seinen Blick auf Ismael’s Begleiter und zählte sie.

»Einer fehlt,« sagte er.

»Sieht mein Bruder die Krähen? Dort ist sein Grab. Fand er Blut auf der Steppe, es war seins.«

»Genug, Mahtoree ist ein weiser Häuptling. Setzt Eure Weiber auf der Dahcotah Pferde, wir werden sehen, unsere Augen sind weit offen.«

Der Streifschütz verlor keine unnöthigen Worte mit weiterer Erklärung. Bekannt mit der Kürze und Schnelligkeit der Eingebornen, theilte er sogleich das Ergebniß seinen Gefährten mit. Paul saß in einem Augenblick zu Pferde, Ellen mit ihm. Einige Augenblicke mehr waren nöthig, um Middleton von der Sicherheit und Bequemlichkeit der Inez zu versichern. Während er so beschäftigt war, trat Mahtoree an die Seite des Thieres, das er zu diesem Dienst bestimmt hatte und welches sein eigen war und zeigte seine Absicht, seinen gewöhnlichen Platz darauf einzunehmen. Der junge Soldat ergriff den Zügel des Pferdes und Blicke plötzlicher Wuth und hohen Stolzes wurden zwischen ihnen gewechselt.

»Niemand nimmt diesen Sitz ein, als ich selbst,« sagte Middleton streng auf Englisch.

»Mahtoree ist ein großer Häuptling,« entgegnete der Wilde, ohne nur den Sinn seiner Worte zu verstehen.

»Der Dahcotah wird zu spät kommen,« lispelte der Alte an seiner Seite; »seht, die Langmesser sind erschreckt und werden bald davon laufen.«

Der Teton-Häuptling gab sogleich seinen Anspruch auf, warf sich auf ein anderes Pferd, und wies einen seiner Leute an, für den Streifschützen auch eines herbeizuschaffen. Die Abgestiegenen setzten sich hinter ihren Gefährten auf. Doctor Battius bestieg den Esel, und trotz der kurzen Unterbrechung, war die Gesellschaft in halb der Zeit, die wir zum Erzählen gebraucht haben, bereit, aufzubrechen.

Als er sah, daß Alles geschehen, gab Mahtoree das Zeichen zum Abmarsch. Einige der Bestberittenen, mit dem Häuptling selbst, waren ein wenig voraus und machten eine drohende Demonstration, als wollten sie die Andern angreifen. Der Auswanderer, der in der That sich langsam zurückzog, machte sogleich Halt und bot willig die Spitze. Statt jedoch in den Bereich der gefährlichen Westflinte zu kommen, jagten die gewandten Wilden um die Fremdlinge herum, bis sie, die letztern in beständiger Erwartung eines Angriffs haltend, einen Halbkreis um sie beschrieben hatten. Dann der Erreichung ihres Zweckes gewiß, erhoben die Teton ein lautes Geschrei und schossen in gerader Linie über die Steppe auf den fernen Felsen los, so sicher und fast eben so schnell, wie ein Pfeil, der eben dem Bogen entflohen.

Zwölftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

O, daß der Herzog von York sich könnt‘ entschuldigen.

König Heinrich VI.

 

Die Zusammenkunft der Grenzwohner am folgenden Morgen war still, dumpf und traurig. Das Mahl zu dieser Tageszeit entbehrte der unharmonischen Begleitung, womit Esther gewöhnlich ihre Gerichte würzte; denn die Wirkungen des mächtigen Schlaftrunks, welchen der Doctor ihr beigebracht, umnebelten noch ihren sonst so lebhaften Geist. Die jungen Leute machten sich über die Abwesenheit ihres ältern Bruders Gedanken, und selbst Ismael’s Braunen waren ernst zusammengezogen, als er seine forschenden Augen von einem zum andern warf, als rüste er sich, einem erwarteten Angriff auf sein Ansehen zu begegnen und ihn zurückzuschlagen. Mitten unter diesem Familienhader nahm Ellen und ihr mitternächtiger Cumpan jeder seinen gewöhnlichen Sitz unter den Kindern ein, ohne Verdacht zu erregen, ohne zu einer Bemerkung Veranlassung zu geben. Die einzige sichtbare Folge des Abenteuers, welches sie bestanden hatten, war ein gelegentliches Aufblicken von Seiten des Doctors, welches von den Beobachtern für eine von seinen gelehrten Betrachtungen des Himmels gehalten ward, aber in der That nichts weiter war, als ein verstohlenes Hinsehen nach den flatternden Wänden des verbotenen Zeltes.

Endlich entschloß sich der Auswanderer, der vergebens sich auf eine entschiedenere Darlegung des erwarteten Aufruhrs unter seinen Söhnen gefaßt gemacht hatte, seinen eigenen Plan ihnen zu erkennen zu geben.

»Asa soll mir dies ungebührliche Betragen entgelten!« bemerkte er kalt. »Da ist die liebe lange Nacht vorübergegangen, und er hat draußen gelegen in der Steppe, während sein Arm und seine Büchse uns sehr nöthig hätten sein können in einem Kampf mit den Sioux; denn was könnte er vom Gegentheil wissen?«

»Spare den Athem, Guter,« entgegnete sein Weib, denn du möchtest lange nach deinem Sohn rufen müssen, ehe er dir antwortet.«

»Es ist wahr, manche Männer sind so weibisch, daß sie die Jungen die Alten meistern lassen, aber du, Esther, solltest’s doch besser wissen, solltest nicht meinen, daß je so etwas in Ismael Busch’s Familie geschehen könnte.«

»Ei, du bist ein Tyrann gegen die Jungen, wenn es sich trifft, ich weiß es wohl, Ismael, und jetzt hast du einen von deinen Söhnen durch deinen Zorn fortgetrieben, gerade wenn du ihn am nöthigsten brauchst.«

»Vater,« sagte Abner, dessen schläfrige Natur sich allmählig zu der Kraftäußerung hinaufgewunden hatte, um so was Kühnes zu wagen, »die Jungen und ich haben einmüthig beschlossen, Asa aufzusuchen. Uns gefällt gar nicht, daß er in der Steppe campirt, statt in sein Bett zu kommen, was, wie wir wissen, er sonst gerne that.«

»Psah,« murmelte Abiram, »der Junge hat einen Bock getödet, oder vielleicht einen Büffel, und schlief bei der Beute, um die Wölfe bis zu Tage abzuhalten. Wir werden ihn bald sehen oder nach Hülfe rufen hören, um die Last hereinzubringen.«

»Ein Sohn wie meiner braucht wenig Hülfe, um einen Bock aufzuschultern oder wildes Rind zu vierteln!« entgegnete die Mutter. »Und du, Abiram, du magst so Unwahrscheinliches vorbringen, du, der selbst sagte, die Rothhäute seien noch gestern um diese Stelle herumgestreift?«

»Ich!« rief ihr Bruder hastig, als möchte er gerne seinen Irrthum zurücknehmen, »ich sagte es damals und sag‘ es noch, und so wirst du es finden. Die Teton sind in unserer Nähe, und es ist noch ein Glück für den Jungen, wenn sie ihn gut getroffen haben!«

»Mir scheint es,« sagte Doctor Battius, und sprach mit der Ueberlegung und Würde, wie man sie anzunehmen pflegt, wenn man seine Meinung durch hinlängliches Nachdenken gehörig hat reisen lassen; »mir scheint es, mir, einem Mann, der sich nur wenig auf die Zeichen und Eigenheiten der indianischen Kriegskunst versteht, besonders wie sie in diesen entfernten Ebenen ausgeübt wird, obwohl ich ohne Ruhmredigkeit sagen darf, daß ich einige Einsicht in die Geheimnisse der Natur habe; mir scheint es also, mir, der nur so wenig hierüber zu urtheilen im Stande ist, daß wenn Zweifel über eine Sache von so großer Wichtigkeit bestehen, es immer das Weiseste sein würde, sich zu vergewissern.«

Mir nichts weiter von Eurem doctern!« rief Esther grimmig, »nichts weiter von Euren Siebenfachen in einer gesunden Familie, sag‘ ich; da war ich ganz gesund, nur etwas abgespannt durch das viele Wehren unter den Kleinen, und Ihr gabt mir einen Trunk, der mir noch auf der Zunge hängt, wie ein Pfundgewicht an dem Flügel eines Sommervogels!«

»Ist die Medizin vorüber,« fragte Ismael trocken, »es muß ein rarer Verschreiber sein, der, – wenn es der Zunge der alten Esther ein schweres Gefühl macht!«

»Freund!« fuhr der Doctor fort, und winkte dem erbosten Weibe mit der Hand, stille zu bleiben, »daß sie nicht Alles wirkt, was man von ihr rühmt, davon ist gerade die Anklage der guten Frau Busch ein hinlänglicher Beweis. Aber um von dem abwesenden Asa zu sprechen. Es besteht ein Zweifel über sein Schicksal, und auch ein Vorschlag ist da, ihn zu heben. Nun, in den Naturwissenschaften ist die Wahrheit immer ein Desideratum, und ich gestehe, es möchte auch so im gegenwärtigen Fall scheinen, den man ein Vacuum wo? nennen könnte, da nach den Gesetzen der Physik einige tastbare Beweise von der Materialität da sein sollten.«

»Hört ihn nicht, hört ihn nicht!« rief Esther, als sie bemerkte, daß die Uebrigen mit einer Aufmerksamkeit ihm zuhörten, die eben sowohl von Hingebung zu seinen Vorschlägen, als von der Unverständlichkeit seines Vortrags herrühren mochte. »In jedem Wort, das er ausspricht, ist ein Schlaftrunk!«

»Doctor Battius wünschte zu sagen,« bemerkte Ellen bescheiden, »daß, da Einige von uns meinen, Asa sei in Gefahr, und Andere anders denken, die ganze Familie eine oder zwei Stunden ihn suchen sollte!«

»So, meint er das?« fiel das Weib ein, »dann hat Doctor Battius mehr Verstand, als ich geglaubt hatte. Sie hat Recht, Ismael, und was sie sagt, soll geschehen. Ich will selbst eine Büchse auf die Schulter nehmen; und wehe dem Rothhäutigen, der mir in den Weg kommt. Ich habe schon eher den Hahn losgedrückt, und zu meiner Pein schon genug den Lärm der Indianer gehört!«

Esther’s Muth theilte sich, wie der Antrieb, der ein siegreiches Kriegsgeschrei begleitet, ihren trägen Söhnen mit. Sie erhoben sich alle zugleich, und erklärten ihre Bereitwilligkeit, so kühnen Anschlag zu unterstützen. Ismael gab klüglicher Weise einem Eifer nach, dem er nicht widerstehen konnte, und in wenigen Augenblicken erschien das Weib, ihre Waffe auf der Schulter, und bereit, in Person die von ihren Nachkommen anzuführen, welche ihr folgen wollten.

»Laßt bei den Kindern zurückbleiben, wem es gefällt, und mitgehn mag, wer nicht feigherzig ist!« –

»Abiram, es geht nicht, die Hütten ohne Wache zu lassen,« lispelte Ismael, und warf seinen Blick nach oben. Der Mann, zu dem er sprach, stand, und verrieth ungewöhnlichen Eifer in seiner Antwort:

»Ich will bleiben und das Lager bewachen.«

Ein Dutzend Stimmen erhoben sich sogleich gegen diesen Vorschlag. Man brauchte ihn, um den Ort anzuzeigen, wo die feindlichen Spuren gesehen worden, und seine mannhafte Schwester tadelte offen den Gedanken als eines Mannes unwürdig. Der widerstrebende Abiram mußte nachgeben, und Ismael traf eine neue Anordnung zur Vertheidigung des Orts, der von Allen als sehr wichtig für ihre Sicherheit und Bequemlichkeit angesehen ward.

Er bot den Posten eines Commandanten dem Doctor Battius an, der jedoch peremtorisch und etwas stolz die zweifelvolle Ehre ausschlug, und dabei Blicke von ganz eigener Bedeutung mit Ellen wechselte. In dieser Verlegenheit mußte der Wanderer das Mädchen selbst zum Castellan machen, trug jedoch Sorge, als er ihr dies wichtige Amt übergab, es nicht an Ermahnungen zur Vorsicht und an Lehren fehlen zu lassen. Als diese vorgängigen Einrichtungen getroffen waren, machten die jungen Leute einige Vorkehrungen zur Vertheidigung und stellten Lärmzeichen fest, die der Schwäche und dem Charakter der Garnison angemessen waren. Mehrere Felsenmassen wurden an den Abhang der oberen Plattform gebracht und so hingelegt, daß es dem Gutdünken der schwachen Ellen und ihren Gefährten überlassen blieb, sie, wie es ihnen beliebte, auf die Häupter jedes Angreifers, der nothwendig die Anhöhe auf dem schwierigen, engen Weg, den wir schon oft erwähnt haben, hätte ersteigen müssen, hinunter zu wälzen oder nicht. Außer dieser furchtbaren Verschanzung wurden die Eingänge verstärkt und fast unzugänglich gemacht. Kleinere Wurfgeschosse, die selbst von den Händen der jüngern Kinder regiert werden mochten, die aber von der Höhe des Orts herab außerordentlich gefährlich werden konnten, wurden in Menge herbeigeschafft. Ein Haufen dürrer Blätter und Scheiter wurde wie ein Leuchthurm auf dem oberen Felsen aufgethürmt, und so ward, selbst nach dem vorsichtigen Urtheil des Wanderers, der Posten für stark genug gehalten, eine ziemliche Belagerung zu ertragen.

Sobald man den Felsen hinlänglich gesichert glaubte, machte sich der Theil, den man als den Ausfall bildend betrachten konnte, auf seinen gefährlichen Zug. Er ward von Esther in Person angeführt, die in einem halb männlichen Anzuge und eine Waffe wie die übrigen tragend, kein unpassender Häuptling für einen Haufen wilder Grenzleute schien, der ihr langsam folgte.

»Nun Abiram!« schrie die Amazone mit einer Stimme, die rauh und heiser war, aus dem einfachen Grunde, weil sie zu oft in einem zu hohen unnatürlichen Schlüssel angestrengt wurde; »nun Abiram lauf, die Nase am Boden; zeig dich als ein Hund von guter Race, und mach‘ deiner Zucht Ehre. Du sahst die Spur des indianischen Stiefels, und du mußt Andere auch so gelehrt machen. Komm, komm an die Spitze, Mann, und führ‘ uns tapfer!«

Der Bruder, welcher zu jeder Zeit eine heilsame Ehrfurcht gegen seiner Schwester Ansehen zu hegen schien, folgte, obwohl es mit so offenbarem Widerstreben geschah, daß es selbst unter den wenig beobachtenden und schläfrigen Söhnen des Auswanderers Spott erregte. Ismael selbst schritt unter seinen schlanken Kindern daher, als erwarte er nichts von dem Suchen, und sei gleichgültig für den Erfolg und das Mißlingen. Auf diese Weise marschirte der Haufen, bis die entfernte Feste so niedrig geworden war, daß sie keine größere Höhe darstellte, als irgend ein dunkler Punct am Rande der Steppe. Bisher war ihr Zug still und etwas schnell gewesen, denn da Anhöhe auf Anhöhe erstiegen und zurückgelassen wurde, ohne daß eine Abwechslung sich zeigte, oder etwas Lebendiges entdeckt ward, die Einöde zu beleben, so hatte die Eintönigkeit der Aussicht selbst Esther’s Zunge mit stets wachsender Erwartung gefesselt. Hier jedoch wollte Ismael stehen bleiben, und den Kolben seiner Büchse von der Schulter auf den Boden stoßend, bemerkte er:

»Es ist genug. Büffelspur und Wildfährte sieht man genug, aber wo sind der Indianer Fußtapfen, die du gesehen hast, Abiram?«

»Noch weiter gen Westen,« entgegnete dieser, und deutete nach der genannten Gegend. »Das war der Ort, wo ich die Fährte des Bocks traf, den ich tödtete; erst nachdem ich das Thier gejagt, kam ich auf die Tetonspur.«

»Und ein blutiges Werk hast du daraus gemacht, Mann,« rief der Auswanderer, und deutete erstaunt auf das besudelte Kleid seines Verwandten, worauf er die Aufmerksamkeit der Zuschauer, über den Gegensatz triumphirend, auf sein eigenes richtete. »Hier habe ich zwei Ziegen die Kehle abgeschnitten und einem herumstreichenden Pfau, ohne Flecken und Mackel, während du, Ungeschickter, du der Esther und den Mädchen so viele Arbeit gemacht hast, als wäre die Schlächterei dein gewöhnliches Geschäft. Kommt, Jungen; ich sage, es ist genug. Ich bin zu alt, um die Zeichen der Grenze nicht zu kennen; kein Indianer ist hier gewesen, seit dem letzten Fallen des Wassers. Folgt mir, und ich will eine Richtung einschlagen, die uns wenigstens für unsere Mühe das Fleisch einer fahlen Kuh geben soll!«

»Folgt mir,« rief Esther, und schritt unaufhaltsam vorwärts. »Ich bin heute der Anführer, und verlange Gehorsam. Wer ist auch so geschickt dazu als eine Mutter, bei einem Zug, um ihr Kind zu suchen, sich an die Spitze zu stellen.«

Ismael sah seine schwer zu behandelnde Ehehälfte mit einem nachsichtigen Lächeln an. Als er bemerkte, daß sie schon selbst einen Weg eingeschlagen hatte, der von dem Abiram’s und dem, welchen er selbst wählen wollte, verschieden war, und da er es nicht für gut hielt, gerade in diesem Augenblick die Zügel seines Ansehens zu straff anzuziehen, gab er wieder düster ihrem Willen nach. Aber Doctor Battius, der bis jetzt das Weib schweigend und gedankenvoll begleitet hatte, wollte jetzt eine schwache Stimme in einer Vorstellung erheben.

»Ich stimme mit Eurem Lebensgefährten überein, würdige, liebe Frau Busch,« sagte er, »und glaube, daß ein ignis fatuus (Irrwisch) der Einbildungskraft Abiram bei den Zeichen oder Symptomen betrogen hat, von welchen er gesprochen.«

»Symptomen, selbst Symptomen!« unterbrach ihn das Mannweib. »Das ist keine Zeit für Bücherwörter, auch kein Ort, still zu stehen, und Medizin zu verschlucken. Wenn Euch die Beine matt sind, so sagt’s wie ein aufrichtiger Mann, setzt Euch in die Steppe, wie ein lahmer Hund, und überlaßt Euch der Ruhe.«

»Das bin ich zufrieden,« entgegnete der Naturforscher ruhig, und folgte buchstäblich dem Rath der spottenden Esther, indem er kalt seinen Sitz an der Seite eines inländischen Strauchs nahm, und sogleich die Untersuchung damit begann, auf daß die Wissenschaft in keinem von ihren gerechten und wichtigen Ansprüchen zu kurz käme. »Ich ehre, wie Ihr seht, Euren kostbaren Rath, Mrs. Esther. Geht, sucht Euren Sohn auf, während ich hier weile, und das, was besser ist, verfolge, nämlich die Einsicht in die Geheimnisse des Buchs der Natur.«

Das Weib antwortete durch ein hohles, unnatürliches, verächtliches Lachen, und selbst ihre schwerfälligen Söhne, als sie langsam an dem Sitz des schon ganz vertieften Naturforschers vorüber gingen, ermangelten nicht, ihre Verachtung in bedeutendem Lächeln zu erkennen zu geben. In wenigen Augenblicken hatte der Zug die nächste Anhöhe erstiegen, und als er sich dem Abhang hinabwandte, war der Doctor allein, und seinen nützlichen Untersuchungen in gänzlicher Einsamkeit überlassen.

Noch eine halbe Stunde ging vorüber, während welcher Esther in ihrem, dem Anschein nach fruchtlosen, Suchen fortfuhr. Die Pausen wurden jedoch häufiger, ihre Blicke unsteter und ungewisser, als man Tritte durch die Gegend ertönen hörte, und einen Bock im nächsten Augenblick die Anhöhe heraufspringen. uns vor ihren Augen vorbei nach der Seite des Naturforschers hinschießen sah. So plötzlich und unerwartet war das Vorübereilen des Thiers gewesen, und so sehr war es durch die Natur des Bodens begünstigt worden, daß, ehe noch einer von den Waldleuten Zeit hatte, seine Büchse an die Wange zu bringen, es schon außer dem Bereich einer Kugel war.

»Sieh‘ dort den Wolf!« rief Abner und schüttelte unwillig den Kopf, daß er einen Augenblick zu spät gekommen. »Eine Wolfshaut wird nichts Geringes für eine Winternacht sein; ach, dort kommt der hungrige Teufel.«

»Halt,« schrie Ismael, und schlug die angeschlagene Büchse seines zu eifrigen Sohnes weg. »Das ist kein Wolf, sondern ein Hund und das von guter Race. Ah, wir haben Jäger in der Nähe; dort sind deren zwei.«

Er sprach noch, als die genannten Thiere auf der Fährte des Wildes hineilten, und sich im edlen Eifer einander zu übertreffen suchten. Der eine war ein altes Thier, dessen Kräfte nur noch durch seine Anstrengung aufrecht gehalten zu werden schienen, und der andere noch jung, welcher, während er eifrig die Jagd betrieb, mancherlei Sprünge machte. Beide liefen jedoch in großer Eile hin, und trugen die Nase hoch, ganz wie Thiere von scharfer, feiner Spürkraft. Sie waren vorüber, und würden im nächsten Augenblick mit offener Schnauze dem ansichtig gewordenen Wild nachgeeilt sein, wäre nicht der jüngere Hund plötzlich von seinem Lauf abgesprungen und in einen Schrei des Entsetzens ausgebrochen. Sein bejahrter Gefährte hielt ebenfalls und kehrte tiefathmend und erschöpft nach dem Ort zurück, wo der andere in schnellen und fast tollen Umkreisen die Stelle umlief, und sein Schreien mit kurzem, heisern Bellen fortsetzte. Aber als der ältere angelangt war, setzte er sich, erhob die Nase hoch in die Luft, und brach in ein langes, lautes, schmerzvolles Geheul aus.

»Es muß eine starke Fährte sein,« sagte Abner, der mit der übrigen Familie ein erstaunter Beobachter von den Bewegungen der Hunde gewesen war, »die zwei solche Burschen so plötzlich von ihrer Spur abbringen kann!«

»Tödte sie!« rief Abiram. »Ich schwöre der alte Hund gehört dem Streifschütz, den wir jetzt als unsern Todtfeind erkannt haben.«

Obwohl Esther’s Bruder einen so feindseligen Rath gab, schien er doch ganz und gar nicht geneigt, ihn selbst in Ausführung zu bringen. Das Erstaunen, welches sich des ganzen Haufens bemächtigt hatte, zeigte sich in seinem leeren, verwunderten Hinstarren eben so stark, als in irgend einem von den andern sich wundernden Gesichtern, die ihn umgaben. Sein Aufruf ward daher trotz seines wilden Gehalts nicht beachtet, und die Hunde ließ man dem Antrieb ihres geheimnißvollen Instinkts folgen, ohne Rückhalt, ohne Hinderniß.

Es dauerte lange, ehe einer der Zuschauer das Schweigen brach; aber der Auswanderer erlangte endlich wieder in soweit sein Ansehen, daß er das Recht erwarb, die Bewegungen seiner Kinder zu lenken.

»Kommt weg, Jungen; kommt, und laßt die Hunde ihre Noten zu ihrer eigenen Belustigung absingen;« sagte Ismael in seiner ruhigsten Weise, »Ich möchte nicht gerne einem Thier das Leben nehmen, weil sein Herr sich zu nahe an meine Ansiedelung festgesetzt hat. Kommt weg, Jungen, kommt, wir haben genug für uns selbst zu thun, ohne uns um die ganze Nachbarschaft zu kümmern.«

»Geht nicht fort!« schrie Esther in Tönen, die wie die Ermahnung einer Sibylle erschallten. »Ich sag Euch, geht nicht, meine Kinder. Das ist ein Wink und eine Warnung, und so wahr ich ein Weib und Mutter bin, will ich Alles erfahren!«

So sagend schwang das gereizte Weib des Auswanderers ihre Waffe, auf eine Art, die nicht ohne wilden geheimen Einfluß war, und ging voran nach der Stelle, wo noch die Hunde zögerten und die Luft mit ihren langgezogenen mitleidigen Klagen erfüllten. Der ganze Haufen folgte ihr, einige zu lässig, zu widerstreben, andere ihrem Willen gehorsam, und alle aufgeregt durch die ungewöhnliche Beschaffenheit des Auftritts.

»Sagt mir, Abner – Abiram – Ismael!« rief das Weib, als sie an einer Stelle stand, wo die Erde zertreten, und zerstampft und mit Blut befleckt war; »sagt mir, ihr seid Jäger, was für ein Thier hat hier seinen Tod gefunden? Sprecht! Ihr seid Männer und versteht euch auf die Zeichen der Steppe, ihr alle! Ist es das Blut eines Wolfs oder Panthers?«

»Ein Büffel, – und ein edles, kräftiges Thier ist’s gewesen!« entgegnete der Wanderer, der ruhig auf die verhängnißvollen Zeichen herab sah, die sein Weib so sonderbar rührten. »Hier sind die Zeichen der Stelle, wo er seine Hufe in die Erde gegraben, als er mit dem Tod rang, und dort hat er mit seinen Hörnern den Boden zerrissen und aufgewühlt. Ah, ein Büffelochse von wunderbarer Stärke und Muth ist es gewesen.«

»Und wer hat ihn erschlagen?« fuhr Esther fort. »Mann, wo sind denn die Stücke? Wölfe? Sie fressen die Haut nicht! Sagt mir ihr Männer und Jäger, ist das das Blut eines Thieres?«

»Der Kerl hat sich der Anhöhe hinabgestürzt,« sagte Abner, der etwas weiter als die übrigen gegangen war. »Ah, dort werdet Ihr ihn finden, in jenem Weidengehölz. Seht ein Tausend Raubvögel fliegen in diesem Augenblicke darüber hin!«

»Das Thier lebt noch,« entgegnete der Wanderer, »sonst würden die Geier auf ihren Raub herabfliegen! Nach dem Verhalten der Hunde muß es etwas von einem Raubthiere sein; ich glaube es ist der weiße Bär von den obern Wasserfällen. Sie sollen ausserordentlich zähes Leben haben.«

»Ach, laßt uns zurück gehen,« sagte Abiram, »es könnte Gefahr dabei sein, und es kann zu nichts dienen, ein Raubthier anzugreifen. Bedenk Ismael, es könnte ein gefährliches Spiel sein, und wenig dabei herauskommen!«

»Die jungen Leute lächelten bei diesem neuen Zeichen von der wohlbekannten Feigherzigkeit ihres zu empfindsamen Oheims. Der Aelteste ging selbst so weit, seine Verachtung durch beleidigende Reden zu erkennen zu geben.

»Man kann es zu dem andern Thier einsperren, das wir mit uns führen, dann können wir, beide Hände voll, in die Ansiedelungen zurückkehren, und sie sehen lassen in den vornehmen Häusern und Plätzen von Kentucky.«

Die finstere, drohende Stirn, die der Vater zusammenzog, ermahnte den jungen Mann abzulassen. Blicke, die halb rebellisch waren, mit seinen Brüdern wechselnd, hielt er’s für gut zu schweigen. Aber statt die von Abiram empfohlene Vorsicht zu beobachten, gingen sie zusammen weiter vor, bis sie wieder eine geringe Strecke von dem verdeckten Dickicht Halt machten.

Die Scene war jetzt in der That wild und schrecklich genug geworden, um einen mächtigen Eindruck selbst auf besser vorbereitete Gemüther zu machen, als es bei der Familie des Auswanderers der Fall war, die wenig solch einem erregenden Anblick zu widerstehen vermochte. Der Himmel war, wie gewöhnlich zu dieser Jahreszeit, mit dunkeln, treibenden Wolken bedeckt, unter denen unermeßliche Schwärme von Wasservögeln wieder auf den Flügeln waren, und ihren mühsamen, schweren Weg nach den fernen Wassern des Südens nahmen. Der Wind hatte sich erhoben, und fuhr wieder über die Steppe in Stürmen, denen oft zu widerstehen vergebens war, und die dann in die obere Luft sich zu versteigen schienen, als wollten sie mit den ziehenden Nebeln spielen, die ungeheure Massen von dumpfen, zerrissenen Dünsten in furchtbarer und doch erhabener Verwirrung übereinander thürmten. Ueber dem kleinen Gehölz setzten immer noch Schaaren von Vögeln ihren Flug fort und umkreisten mit schwerem Flügel die Stelle, bald gegen den Luftstrom ankämpfend, bald von ihrem Standpunkt und der Höhe begünstigt, kühne Angriffe auf das Dickicht machend, doch immer wieder erschreckt und schreiend forteilend, als würden sie durch den Anblick oder ihren Instinct gewarnt, daß die Stunde ihrer gefräßigen Herrschaft noch nicht gekommen.

Ismael stand viele Augenblicke mit Weib und Kindern in eine Gruppe zusammengedrängt voll Staunen da, in das sich auf sonderbare Weise eine gewisse Ehrfurcht gemischt hatte, in todtengleicher Stille auf den furchterregenden Ort hinstarrend. Esthers Stimme brach endlich den Zauber und erinnerte die Schauenden an die Nothwendigkeit, ihre Zweifel auf eine Männern würdigere Weise zu lösen, als durch dumpfes, unthätiges Hinschauen.

»Ruft die Hunde,« sagte sie, »treibt sie in das Dickicht, es sind genug Männer da, wenn ihr nicht den Muth verloren habt, mit dem ich weiß, ihr geboren seid, um die Wuth all‘ der Bären westlich vom großen Strom zu bezähmen! Ruf‘ die Hunde herbei, sag‘ ich, du Enoch! Abner! Gabriel! Hat euch Verwunderung taub und stumm gemacht?«

Einer der jungen Leute folgte; und als es ihm gelungen war, die Hunde von der Stelle wegzubringen, um die sie bis jetzt ohne Unterlaß herumgelaufen waren, führte er sie herunter an den Rand des Dickichts.

»Treib‘ sie hinein, Junge, hinein!« fuhr das Weib fort; »und du, Ismael und Abiram, wenn irgend etwas Gefährliches oder Verletzendes hervorkommt, dann zeigt ihm euere Büchsen, wie Grenzleute. Wenn es euch an Muth fehlt, will ich vor meinen Kindern euch beide beschämen!«

Die Jungen, welche bis jetzt die Hunde gehalten hatten, ließen die Riemen fahren, an welchen sie sie lenkten, und trieben sie durch ihren Zuruf zum Angriff. Aber es wollte scheinen; als wenn der ältere Hund durch ein ganz ungewöhnliches Gefühl zurückgehalten würde, oder als wenn er viel zu erfahren wäre, um rasch ein solches Abenteuer zu bestehen. Nachdem er einige Schritte zum Rand des Gehölzes vorgegangen war, machte er eine plötzliche Pause, und stand an allen seinen alten Gliedern zitternd, offenbar gleich unfähig zurück als vorwärts zu gehen. Die ermuthigende Zusprache der jungen Leute blieb unbeachtet, oder ward nur durch ein dumpfes, klägliches Winseln beantwortet. Für einen Augenblick machte es auch auf den jüngeren einen ähnlichen Eindruck, aber weniger vorsichtig, oder leichter erregt, ward er endlich bewogen vorwärts zu springen und dann in das Dickicht einzudringen. Ein erschrecktes, furchtsames Geheul ward gehört, und im nächsten Augenblick brach er heraus, und fing wieder die Stelle auf dieselbe wilde, unstete Art zu umkreisen an, wie vorher.

»Hab‘ ich einen Mann unter meinen Kindern?« fragte die erregte Esther. »Gebt wir ein sichereres Stück, als eine Kinderflinte, und ich will euch zeigen, was der Muth eines Grenzweibes vermag.«

»Bleibt, Mutter,« rief Abner und Enoch; »wenn du das Ding sehen willst, wollen wir dir’s vortreiben!«

Gerade so viel pflegten die Jungen selbst bei wichtigeren Gelegenheiten zu sprechen; aber als sie so ihren Plan angedeutet hatten, waren sie weit entfernt, in seiner Ausführung zurückzubleiben. Sie setzten ihre Waffen mit der äußersten Sorgfalt in Stand, und schritten dann beherzt auf das Gehölz zu. Weniger geübte Nerven, als die der jungen Grenzwohner, möchten leicht vor den Gefahren einer so ungewissen Unternehmung zurückgeschreckt sein. Als sie vorschritten, ward das Geheul der Hunde greller und klagender. Die Geier und Krähen kamen so weit herab, daß sie mit ihren schweren Flügeln die Büsche bestrichen, und der Wind strich rauh über die nackte Steppe, als wenn die Geister der Luft auch herabgestiegen wären, um bei der nahenden Auflösung zugegen zu sein.

Es war ein athemloser Augenblick, wo selbst das Blut der sonst so unbewegbaren Esther zurück nach ihrem Herzen floß, als sie ihre Söhne an den dürren Zweigen des Dickichts vorbei, sich in sein Labyrinth begeben sah. Eine tiefe, feierliche Pause folgte. Dann hörte man zweimal ein lautes, durchdringendes Geschrei, schnell auf einander, dem dann eine noch schrecklichere, entsetzendere Stille folgte.

»Kommt zurück, meine Kinder, kommt zurück!« rief das Weib, und die Gefühle der Mutter bekamen gänzlich die Oberhand in ihrem Busen.

Aber ihre Stimme versagte ihr, und alle ihre Kräfte schienen starr vor Schreck, als in diesem Augenblick das Gebüsch nochmals sich aufthat und die beiden Abenteurer wieder erschienen und, blaß und fast unempfindlich selbst, zu ihren Füßen niederlegten den steifen, regungslosen Leichnam des verlornen Asa, mit allen Zeichen eines gewaltsamen Todes nur zu deutlich in jedem blassen Gesichtszug.

Die Hunde stießen ein langes, letztes Geheul aus und brachen dann zusammen auf und verschwanden auf der verlassenen Fährte des Wilds. Die Heerde von Vögeln stieg auf gen Himmel und erfüllte die Luft mit Klagen, daß sie eines Opfers beraubt worden, das, schreckbar und entstellt, wie es war, doch noch zuviel von dem Menschenbilde an sich trug, um das Opfer ihres schmutzigen Hungers zu werden.

Dreizehntes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

»Die Pickelhack‘, den Spaten her,
Zum Schuß ’ne Erdeschicht;
Und Schollen dann, nicht braucht es mehr,
Braucht mehr zur Ruh‘ ihm nicht.«

Gesang in Hamlet.

 

»Tretet zurück, zurück ihr Alle!« sagte Esther barsch zu dem Haufen, der sich zu nahe an den Leichnam drängte; »ich bin seine Mutter, und mein ist das Recht vor euch Allen! Wer hat das gethan? Sagt’s mir, Ismael, Abiram, Abner! Oeffnet euern Mund und euer Herz und laßt sie Gottes Wahrheit und nichts Anderes reden! Wer beging diese blutige That?«

Ihr Mann gab keine Antwort; erstand auf seine Buchse gelehnt, düster, doch mit unverändertem Auge, auf die zerrissenen Ueberreste seines Sohns hinblickend. Nicht so die Mutter; sie warf sich zur Erde, nahm das kalte, starrende Haupt des Todten in ihren Schooß auf und saß, viele Augenblicke auf jene muskelvolle Züge schauend, in die der Todeskampf sich eingeprägt, mit einem Schweigen, da? sprechender war, als alle Klagetöne hätten sein können.

Die Stimme des Weibes war wirklich von Gram gefesselt. Vergebens versuchte Ismael einige rauhe Trostworte; sie hörte, sie antwortete nicht. Ihre Söhne standen im Kreis um sie und bewiesen nach ihrer ungeschlachten Weise ihre Theilnahme an ihrem Kummer, so wie ihre Empfänglichkeit für ihren eignen Verlust; aber sie winkte sie ungeduldig weg. Manchmal spielten ihre Finger in dem wirren Haar des Getödteten, und dann versuchte sie leichthin, die furchtbar ausdrucksvollen Muskeln seines geisterhaften Antlitzes zu sänftigen, wie wenn die Hand der Mutter oft freundlich über den Mienen des schlafenden Kindes sich hinbewegt. Dann, aufspringend von ihrem trostlosen Geschäft, waren ihre Hände in rastloser Bewegung, als suchten sie vergeblich ein Mittel gegen den furchtbaren Schlag, der so plötzlich das Kind vernichtet, auf das sie ihre größte Hoffnung, als ihren mütterlichen Stolz gesetzt hatte. Während sie mit dieser unbegreiflichen Bemühung beschäftigt war, wandte der schläfrige Abner sich zur Seite und zerdrückte die ungewohnte Bewegung, die ihn ergriffen durch die Bemerkung: »Die Mutter will, wir sollen nach den Zeichen forschen, um zu entdecken, wie Asa seinen Tod gefunden.«

»Das verdanken wir den verfluchten Sioux!« antwortete Ismael; »zweimal haben sie mich arg zu ihrem Schuldner gemacht; mit dem dritten Male werden wir quitt sein!«

Aber gleichsam nicht zufrieden mit dieser annehmlichen Erklärung, und vielleicht in’s Geheim froh, ihre Augen von einem Schauspiel abwenden zu können, das so außerordentliche und ungewöhnliche Bewegungen in ihrer wilden Brust erweckte, wandten die Söhne des Auswanderers zusammen sich weg von ihrer Mutter und dem Leichnam und machten Anstalten, die Untersuchungen anzustellen, welche die erstere nach ihrer Meinung so wiederholt gefordert hatte. Ismael widerstrebte nicht; aber obgleich er seine Söhne in ihrer Untersuchung begleitete, geschah’s mehr dem Schein nach, um ihren Wünschen nachzugeben zu einer Zeit, wo Widerstand nicht rathsam war, als mit irgend einer sichtlichen Theilnahme an dem Erfolg. Da die Grenzwohner trotz ihres gewöhnlichen Stumpfsinns wohl erfahren waren in den meisten Dingen, die ihre Lebensart betrafen, mußte ein Nachforschen, dessen Erfolg so sehr auf Zeichen und Beweisen beruhte, die alle mit den Verrichtungen der Jagd so große Ähnlichkeit hatten, nothwendig mit Geschicklichkeit und Scharfsinn betrieben werden. So gingen sie an die traurige Aufgabe mit großer Fertigkeit und vielem Geschick.

Abner und Enoch trafen überein in ihrer Erzählung von der Lage, worin sie den Leichnam gefunden. Er saß fast aufrecht, den Rücken mit einer Masse zerknicktem Buschwerk unterstützt, und in der Hand noch einen abgebrochenen Weidenast festhaltend. Wahrscheinlich diesem erstern Umstand mußte man es zuschreiben, daß der Leichnam der Gier der Raubvögel entgangen war, die man über dem Dickicht hatte herumfliegen sehen, und das Letztere bewies, daß das unglückliche Opfer noch nicht ganz ohne Leben war, als er in das Gehölz kam. Die Meinung wurde jetzt allgemein, der Junge habe seine tödtliche Wunde auf der offenen Steppe erhalten und seine schwachen Glieder in das Dickicht geschleppt, um sich zu verbergen; eine Spur durch das Gebüsch bestätigte diese Ansicht. Man fand auch bei näherer Untersuchung, daß ein verzweifeltes Ringen am Rand des Wäldchens selbst stattgefunden. Das zeigte sich deutlich an den zertretenen Zweigen, den tiefen Fußstapfen auf dem nassen Boden und den Blutflecken.

»Er ist aus dem freien Land geschossen worden, und hierher gekommen, des Schutzes wegen« sagte Abiram. »Diese Zeichen würden es klar beweisen. Der Junge ist von einer ganzen Schaar Wilder angegriffen worden und hat wie ein Held gefochten, der er auch war, bis sie seine Kraft übermeistert und ihn in’s Gebüsch gezogen haben.«

Gegen diese wahrscheinliche Meinung war jetzt nur noch Eine abweichende Stimme, die des langsam begreifenden Ismael; er verlangte, der Leichnam solle selbst zu einer genauer Kenntnisse der Verletzungen untersucht werden. Beim Nachforschen fand sich, daß eine Büchsenkugel gerade durch den Leib des Verstorbenen gegangen war, unter einer seiner breiten Schultern hinein, und durch die Brust heraus. Es erforderte einige Kenntnisse von Schusswunden, um diesen schwierigen Punkt zu entscheiden; aber die Erfahrung der Grenzzone war der Aufgabe ganz gewachsen, und ein Lächeln wilder, gewiss sonderbarer Selbstgefälligkeit verbreitete sich unter Israels Söhnen, als Abner fest behauptete, Asa’s Feinde hätten ihn im Rücken angegriffen.

»Es muß so sein,« sagte der finstere aber aufmerksame Wanderer; »er war von zu guter Art, zu gut unterrichtet, um die schwache Seite einem Menschen oder Thier zuzuwenden. Erinnert euch, Jungen, daß so lang ihr die männliche Stirn euerm Feinde bietet, mag er sein, wer er will, ihr sicher seid vor schurkischem Ueberfall. – Ei, Esther, Weib! Du bist ganz außer dir, zupfst an dem Haar, dem Kleid des Kindes! Wenig kannst du ihm jetzt helfen, altes Kind!«

»Sieh!« fiel Enoch ein und brachte aus den Ueberresten von Asa’s Kleidern eine Bleikugel heraus, die die Kraft eines so Starken zu Boden geworfen. »Da ist die Kugel.«

Ismael nahm sie in die Hand und betrachtete sie lang und genau.

»Es kann kein Zweifel sein;« murmelte endlich der Vater zwischen den Zähnen; »die Kugel kommt von dem Stutz des verfluchten Streifschützen. Wie viele Jäger, hat er ein Zeichen an seiner Munition, um die Dienste wieder zu erkennen, die ihm seine Büchse thut; und hier seht Ihr es deutlich, sechs kleine Löcher kreuzweis.«

»Ich will darauf schwören!« rief Abiram triumphirend. »Er zeigte mir das besondere Merkmal selbst, und rühmte sich der Menge Wild, die er eben mit diesen Kugeln auf den Steppen niedergestreckt hatte. Nun, Ismael, werdet Ihr mir glauben, wenn ich Euch sage, daß der alte Schurke ein Spion der Rothhäute ist!«

Das Blei ging von Hand zu Hand; und zum Unglück für die Ehre des Alten erinnerten sich noch mehrere von ihnen, die ebengenannten Kugelzeichen gesehen zu haben, als sie seine Habseligkeiten genau untersuchten. Außer dieser Wunde jedoch fanden sich noch viele andere von weniger gefährlicher Art, welche alle die vermeintliche Schuld des Streifschützen bethätigen sollten, Spuren vom Ringen fand man noch an mehreren Orten zwischen der Stelle, wo das erste Blut vergossen worden, und, dem Dickicht, wohin sich, wie zu einem Zufluchtsort, Asa sollte zurückgezogen haben. Dies wurde als eben so viele Beweise von der Schwäche des Mörders dargestellt, welcher weit eher sein Opfer hingerichtet haben würde, hätte nicht die sterbende Kraft des Jünglings ihn der Hinfälligkeit eines so alten Mannes furchtbar gemacht. Die Gefahr, noch andere Jäger herbeizuziehen, wenn er nochmals gefeuert hätte, hielt man für einen hinlänglichen Grund, daß er nicht nochmals seine Büchse zur Hand nahm, nachdem sie ihm durch Entwaffnung des Opfers einen so wichtigen Dienst gethan hatte. Die Waffe des Todten war nicht zu finden, war ohne Zweifel mit noch mehreren andern weniger werthvollen Dingen, die der Verstorbene bei sich zu tragen pflegte, eine Beute seines Mörders geworden.

Aber was noch außer der Kugel die verruchte That mit ganz besonderer Gewißheit auf den Streifschützen zu bringen schien, das war der noch dazu kommende Beweis, den man von den Fußstapfen hernahm, welche zeigten, daß trotz der tödtlichen Verwundung Asa noch im Stande gewesen war, den folgenden Anstrengungen seines Mörders einen langen, verzweifelten Widerstand zu leisten. Ismael schien dies Zeugniß mit einer seltsamen Mischung von Kummer und Stolz besonders geltend zu machen; mit Kummer über den Verlust eines Sohnes, den er zur Zeit ihrer Eintracht hoch geschätzt; mit Stolz über den Muth und die Kraft, die er bis zu seinem letzten schwächsten Athemzug gezeigt hatte.

»Er starb, wie ein Sohn von mir sterben sollte;« sagte der Wanderer, und zog einen düstern Trost aus einer so unnatürlichen Freude; »ein Schrecken seines Feindes bis an sein Ende, und ohne Hülfe von dem Gesetz! Kommt, Kinder; erst müssen wir sein Grab machen, dann seinen Mörder verfolgen!«

Die Söhne des Auswanderers gingen an ihr Werk stille und betrübt. Mit großem Aufwand von Mühe und Zeit ward ein Loch in die harte Erde gemacht, und der Leichnam in die ärmlichen Gewänder gehüllt, die man unter den Grabenden sammeln konnte. Als diese Vorkehrungen getroffen waren, näherte sich Ismael der dem Anschein nach unempfindlichen Esther und theilte ihr seine Absicht mit, den Todten einzusenken. Sie hörte ihn und ließ ruhig den Leichnam los, stand schweigend auf, und folgte ihm zu seinem engen Ruheort. Hier setzte sie sich wieder an das Grab, und bewachte jede Bewegung der Jungen mit eifrigem, sorgsamem Auge. Als hinlänglich Erde auf Asa’s empfindungslose Hülle geworfen worden, um sie vor jeder Entweihung zu schützen, stiegen Enoch und Abner in die Gruft, und traten durch das Gewicht ihrer hohen Gestalten die Masse fest, alles mit einer sonderbaren, um nicht zu sagen wilden Mischung von Sorgfalt und Gleichgültigkeit. Diese wohlbekannte Vorsichtsmaßregel ward getroffen, um das schnelle Ausgraben des Leichnams durch die gefräßigen Thiere der Steppe zu verhindern, deren Instinct sie sicher auf diese Stelle führen mußte. Auch schienen die Raubvögel die Art dieser Ceremonie zu begreifen; denn geheimnißvoll unterrichtet, daß das unglückliche Opfer jetzt von den Menschen verlassen werden sollte, begannen sie wieder ihre luftigen Kreise um die Stelle, mit lautem Geschrei, als wollten sie die Verwandten zurückschrecken von der Arbeit ihrer Vorsicht und Liebe.

Ismael stand mit gefalteten Armen, standhaft die Art beobachtend, auf welche diese nöthige Pflicht erwiesen ward, und als das Ganze vorüber war, rückte er seine Mütze vor seinen Söhnen und dankte ihnen für ihren Dienst mit einer Würde, die selbst einem viel besser Erzogenen angestanden haben würde. Während des Ganzen einer Ceremonie, die immer feierlich und ergreifend ist, hatte der Wanderer eine ernste, nachdenkende Haltung bewahrt. In seinen groben Zügen lag offenbar der Ausdruck großen Kummers, aber nicht einmal verriethen sie Schwäche, bis er dem Grabe seines Erstgebornen, wie er glaubte für immer, den Rücken wandte. Da regte sich mächtig die Natur in ihm, und der Muskeln seines ernsten Gesichts begannen, merklich zu kämpfen. Seine Kinder warfen ihre Augen auf ihn, als suchten sie einen Ableiter für die sonderbaren Erregungen, die ihre schwerfälligen Naturen erschütterten, als der Kampf in des Auswanderers Brust plötzlich aufhörte, er sein Weib am Arm ergriff und sie aufzog, als wäre sie ein Kind, während er mit einer Stimme, die vollkommen fest war, obgleich ein scharfsichtiger Beobachter entdeckt haben würde, daß sie sanfter war als gewöhnlich, sagte: »Esther, wir haben jetzt alles gethan, was wir thun können. Wir zogen den Knaben auf und bildeten ihn, daß wenige ihm gleich waren auf den Grenzen von Amerika, und jetzt haben wir ihm ein Grab bereitet. Laß uns gehen.«

Das Weib wandte langsam ihre Augen von der frischen Erde weg, legte ihre Hand auf die Schulter ihres Gemahls, und sah ihm ängstlich für einige Augenblicke in die Augen, ehe sie mit einer tiefen, furchtsamen und fast erstickten Stimme sagte:

»Ismael, Ismael, du verließest den Jungen in deinem Zorn!«

»Möge der Herr ihm seine Sünden so gerne verzeihen, als ich ihm seine schwersten Vergehungen vergeben habe,« entgegnete ruhig der Wanderer; »Weib, geh‘ du zurück zum Felsen, und lies in deiner Bibel; ein Kapitel aus diesem Buch tröstet dich immer. Du kannst lesen, Esther, ein Vorzug, dessen ich mich nie erfreute.«

»Ja, ja,« murmelte das Weib und gab seiner Stärke nach, und ließ sich, obwohl mit großem Widerstreben, von der Stelle wegführen. »Ich kann lesen, und wie hab‘ ich diese Kenntniß benutzt! Er, Ismael, er hat nicht die Sünde auf sich, sein Lernen nicht gebraucht zu haben. Diese wenigstens haben wir ihm erspart, ob aus Liebe oder Grausamkeit, ich weiß es nicht.«

Ihr Gemahl antwortete nicht, sondern führte sie immer weiter nach ihrer einstweiligen Wohnung zu. Als sie den Gipfel der geringen Anhöhe erreichten, welche, wie sie wußten, die letzte Stelle war, von wo Asa’s Grab gesehen werden konnte, wandten sie sich Alle, wie durch gemeinsamen Antrieb, um, um zum letzten Mal einen Blick auf den Ort zu werfen. Der kleine Hügel selbst war nicht sichtbar, aber er wurde auf schreckliche Weise durch die Heerde schreiender Vögel angedeutet, die über ihm kreisten. In der entgegengesetzten Richtung bezeichnete eine niedere, blaue Erhöhung an den Grenzen des Horizonts den Ort, wo Esther ihre übrigen Kleinen gelassen, und diente als ein Anziehungsmittel für ihre Schritte, die sich nur widerstrebend von der letzten Wohnung ihres ältesten Sohnes entfernten. Die Natur regte sich in dem Busen der Mutter bei dem Anblick, und die Rechte des Todten wichen endlich den drängenderen Ansprüchen der Lebenden.

Die eben erzählten Vorgänge hatten den rohen Gemüthern, die so sonderbar durch ihre wilde Lebensweise sich gestaltet hatten, einen Funken entlockt, der dazu beitrug, die erlöschende Gluth der Familienanhänglichkeit lebendig zu erhalten. An ihre Eltern durch keine stärkeren Bande geknüpft, als die waren, welche der Umgang erzeugt, war große Gefahr gewesen, wie Ismael vorausgesehen hatte, daß der überladene Stock bald schwärmen, und ihn belastet mit der Sorge für eine junge, hülflose Brut verlassen würde, nicht mehr unterstützt von den Bemühungen derer, die er schon zum Mannesalter herangezogen. Der Geist des Ungehorsams, der von dem unglücklichen Asa ausgegangen, hatte sich unter seinen jüngeren Brüdern verbreitet und den Wanderer in die traurige Nothwendigkeit gesetzt, an die Zeit zu denken, wo im Leichtsinn der Jugend und Kraft, er, die Ordnung der Thierwelt umkehrend, seinen eigenen bejahrten, hinfälligen Vater zurückgestoßen hatte, um in die Welt zu gehen, ungefesselt und frei. Aber die Gefahr war jetzt vorüber, eine Zeit lang wenigstens; und wenn sein Ansehen nicht mehr in all seinen früheren Einfluß eingesetzt ward, gab man doch offenbar zu, daß es bestand und seine Herrschaft noch etwas länger behielt.

Es ist wahr, seine langsamen Söhne, selbst während sie sich den Eindrücken des jüngsten Vorfalls überließen, hatten Anfälle von gefährlichem Mißtrauen über die Art, wie ihr älterer Bruder seinen Tod gefunden. Es waren dunkele und undeutliche Bilder in dem Geist von zwei oder drei der ältesten, welche den Vater selbst für fähig hielten, Abrahams Beispiel nachzuahmen, ohne die Entschuldigung des göttlichen Ansehens zu haben, das dem heiligen Mann gebot, die empörende That zu versuchen. Aber dann waren diese Bilder so vorübergehend und so sehr von Verstandesscrupeln verdunkelt, daß sie keine feste Eindrücke zurückließen, und das Ergebniß der ganzen Verhandlung ging, wie wir schon gesagt haben, eher dahin, Ismael’s Ansehen zu befestigen als zu schwächen.

In dieser Gemüthsverfassung setzte der Haufen seinen Weg nach dem Ort fort, wo sie diesen Morgen auf ein Nachsuchen ausgegangen waren, das mit einem so traurigen Erfolg gekrönt worden. Der lange fruchtlose Marsch, den sie unter Abiram’s Leitung gemacht, die Entdeckung des Leichnams und die darauf folgende Beerdigung, hatten in soweit den Tag weggenommen, daß um die Zeit, wo sie über den breiten Strich der Wüste hinschritten, welcher zwischen Asa’s Grab und dem Felsen lag, die Sonne schon weit unter ihre Meridianhöhe hinabgesunken war. Der Hügel hatte sich allmählig, wie sie sich näherten, gleich einem Thurme aus dem Busen der See, erhoben, und als sie ihm auf eine Meile nahe kamen, wurden die einzelnen Gegenstände, die seine Höhe krönten, dunkel sichtbar.

»Es wird eine traurige Zusammenkunft für die Mädchen sein,« sagte Ismael, der von Zeit zu Zeit nicht unterließ, etwas zu sagen, was tröstend sein sollte für den zerrütteten Geist seiner niedergeschlagenen Gemahlin. »Asa war sehr geachtet von all den Kindern, und verfehlte selten, etwas von der Jagd mitzubringen, was sie gern hatten.«

»Ja, das that er,« murmelte Esther; »der Junge war der Stolz der Familie. – Meine anderen Kinder sind nichts gegen ihn.«

»Sag‘ das nicht, gutes Weib,« entgegnete der Vater und warf sein Auge etwas stolz auf den athletischen Zug, der in nicht großer Entfernung folgte. »Sag‘ das nicht, alte Esther; denn wenige Väter und Mütter haben größere Ursache stolz zu sein als wir.«

»Dankbar, dankbar,« murmelte das demüthige Weib, »du meinst dankbar, Ismael!«

»Nun denn dankbar, wenn du das Wort lieber willst, mein gutes Kind; aber was ist aus Nelly geworden und den Kleinen! Das Kind hat den Auftrag vergessen, den ich ihr gab, und nicht nur die Kleinen schlafen lassen, sondern ich wette, träumt auch selbst von den Feldern von Tenessee in diesem Augenblick. Der Sinn deiner Nichte ist nur, ich glaub’s gewiß, auf die Ansiedelungen gerichtet.«

»Ach sie ist nicht für uns; ich sagt‘ es und dacht‘ es, wie ich sie sah, da der Tod sie all‘ ihrer Freunde beraubt hat. Der Tod ist ein böser Werkmann in den Familien. Ismael! Asa hatte Liebe zu dem Kind, und sie hätten eines Tags an unsere Stelle treten können, wenn es gegangen wäre.«

»Nein, sie paßt nicht zu einem Grenzweib, wenn das die Art ist, wie sie das Haus wahrt, während der Gemahl auf der Jagd ist. Abner, laß deine Flinte hören, daß sie merken, daß wir kommen. Ich fürchte Nelly und die Kleinen schlafen.«

Der junge Mann folgte mit einer Schnelligkeit, welche verrieth, wie gern er die gerundete, lebhafte Gestalt Ellens die zackigen Gipfel des Felsens beleben sehen möchte. Aber dem Schalle folgte weder ein Zeichen noch eine Antwort irgend einer Art. Für einen Augenblick stand der ganze Haufen in Erwartung, auf den Erfolg gespannt, und dann trieb ein plötzlicher Entschluß sie Alle, ihre Gewehre zu gleicher Zeit abzufeuern, was ein Geräusch hervorbrachte, das nicht verfehlen konnte, Aller Ohren in so geringer Entfernung zu erreichen.

»Ach, da kommen sie endlich!« rief Abiram, der gewöhnlich unter den ersten war, einen Umstand zu ergreifen, welcher Befreiung von unangenehmer Befürchtung versprach.

»Es ist ein Rock, der auf der Leine flattert,« sagte Esther, »ich hing ihn selbst dahin.«

»Du hast Recht; aber jetzt kommt sie. Die Dirne hat Trost im Zelt gesucht.«

»So ist’s auch nicht,« sagte Ismael, dessen sonst so unveränderliche Züge anfingen die Unruhe zu verrathen, die er fühlte. »Es ist das Zelt selbst, das leicht in dem Wind flattert. Sie haben es am Boden losgemacht, wie sie denn thörichte Kinder sind, und wenn wir nicht Sorge tragen, wird das Ganze herunterkommen.«

Die Worte waren kaum ausgesprochen, als ein wilder, rauschender Windstoß an der Stelle vorbeisauste, wo sie standen, und Staub in kleinen Theilchen mit sich fortriß; dann, wie von einer Meisterhand geleitet, den Boden verließ, und in seinem Fortgang gerade nach dem Ort zustieg, auf den Aller Augen eben jetzt gerichtet waren. Die losgemachte Leinwand fühlte seinen Einfluß und wankte; gewann jedoch das Gleichgewicht wieder und ward für einen Augenblick ruhig. Die Wolke von Blättern spielte dann in kreisenden Wirbeln um die Stelle und fiel mit der Schnelligkeit eines schwebenden Habichts herab, worauf sie fortsegelte in der Steppe in langen, geraden Linien, wie eine Flucht von Schwalben, die ausruhen auf ihren ausgebreiteten Flügeln. Ihr folgte auf einige Entfernung das schneeweiße Zelt, das jedoch bald hinter den Felsen fiel, und dessen höchste Spitze so nackt ließ, als läg‘ er in gänzlicher Verlassenheit in der Wüste.

»Die Mörder find hier gewesen,« seufzte Esther. »Meine Kleinen, meine Kleinen!«

Für einen Augenblick fuhr selbst Ismael vor dem Gewicht eines so unerwarteten Schlags zurück. Aber sich schüttelnd, wie ein erwachter Löwe, sprang er vorwärts, warf zur Seite die Hindernisse der Verschanzung, als seien es Federn, und eilte der Höhe mit einer Unaufhaltsamkeit hinauf, welche verrieth, wie furchtbar eine lässige Natur werden konnte, wenn sie recht erregt wird.