Drittes Kapitel.

Ansichten von dem Vorfahren unseres Verfassers, zusammt mit dessen eignen und fremden.

Doktor Etherington war beides, ein frommer Mann und ein Mann von Geburt. Als der zweite Sohn eines Baronet alter Herkunft war er so ziemlich in den Ansichten seiner Caste erzogen worden und wahrscheinlich nicht ganz über deren Vorurtheile hinaus; aber dieß zugegeben, hielten wenige Geistliche mehr auf die Moral und den Grund der Bibel als er. Seine Demuth nahm daher eine gebührende Rücksicht auf den Stand; sein Christenthum wurde verständig von den Glaubensartikeln geleitet, und seine Menschenliebe war von jenem unterscheidenden Charakter, wie sie einem warmen Vertheidiger von Kirche und Staat zukam.

Bei Annahme des vertrauten Pfandes, das ihm jetzt geworden, hatte er nur dem wohlwollenden Wunsche nachgegeben, das Sterbekissen meiner Mutter leicht zu machen. Mit dem Charakter ihres Gemahls bekannt, hatte er eine Art frommen Betrugs angewandt, indem er die Bedingung der Stiftung an seine Einwilligung knüpfte; denn trotz der angemessenen Sprache seiner Strafrede, des Versprechens und aller andern kleineren begleitenden Umstände dieses Abends hätte man noch fragen können, wer am meisten erstaunt war, nachdem der Wechsel eingehändigt und gehörig honorirt worden, er, der sich im Besitz der 10,000 Pf. Sterling befand, oder er, der sie verloren hatte. Immer verfuhr Dr. Etherington mit der gewissenhaftesten Rechtlichkeit in der ganzen Sache; und obgleich ich weiß, daß ein Schriftsteller, der so viele Wunder zu erzählen hat, als nothwendiger Weise die folgenden Seiten dieses Manuskripts zieren müssen, eine wohlbewachte Sparsamkeit beobachten sollte, wenn er den Glauben seiner Leser in Anspruch nimmt, so nöthigt mich dennoch die Wahrheit, hinzuzufügen, daß jeder Heller von dem Geld nur im Hinblick auf die Wünsche der sterbenden Christin verwandt ward, die vermittelst der Vorsehung das Werkzeug gewesen, den Armen und Ungelehrten solche Reichtümer zuzuwenden. Ueber die Weise, wie die Wohlthat endlich benutzt ward, werd‘ ich nichts weiter sagen, da keine Untersuchung meinerseits mich jemals in den Stand gesetzt hat, solche Nachweise zu erhalten, als mich zu einiger Glaubwürdigkeit berechtigen würden.

Was mich betrifft, so hab‘ ich wenig mehr über die Begebenheiten der folgenden zwanzig Jahre hinzuzufügen. Ich ward getauft, gesäugt, bekam Hosen, wurde geschult, reiten gelernt, konfirmirt, auf die Universität geschickt und zum Doctor gemacht, ganz wie dieß bei allen Herrn der Hochkirche in den vereinigten Königreichen Großbritannien und Irland der Fall ist. Während dieser wichtigen Jahre unterzog sich Dr. Etherington seiner Pflicht, welche er, nach den vorherrschenden Gefühlen der Menschheit zu urtheilen (die seltsam genug uns im allgemeinen nicht geneigt macht, von andrer Leute Geschäften uns belästigt zu sehen), ziemlich beschwerlich gefunden haben muß; er unterzog sich ihr ganz auf die Art, wie meine gute Mutter nur ein Recht zu erwarten hatte. Der größte Theil meiner Ferien ward in seiner Pfarrwohnung zugebracht; denn er hatte geheiratet, war dann Vater, dann Wittwer geworden, und hatte seine Stadtpfarrei mit einer auf dem Lande vertauscht, alles dieß in der Zeit von dem Tod meiner Mutter an bis zu meinem Abgange nach Eton; und auch nachdem ich Oxford verlassen, brachte ich weit mehr von meiner Zeit unter seinem freundlichen Dach als unter dem meines Vaters zu. In der That, ich sah den letztern wenig.

Er bezahlte meine Rechnungen, versah mich mit Taschengeld, und äußerte seine Absicht, mich reisen zu lassen, wenn ich volljährig geworden. Aber mit diesen Zeichen seiner väterlichen Fürsorge zufrieden, schien er gerne mich meinen eignen Weg gehen lassen zu wollen.

Mein Vater war ein schlagendes Beispiel von der Wahrheit jenes Satzes in der Staatsökonomie, der die Wirksamkeit der Trennung der Arbeit lehrt. Kein Fabrikarbeiter, der die Fertigung des Knopfs einer Stecknadel über sich hat, erreichte je größere Geschicklichkeit in seiner einförmigen Beschäftigung, als mein Vater erlangte in der einzigen Bestrebung, der er so weit als menschliches Wissen gehen konnte, Leib und Seele widmete. Wie jeder Sinn bekanntlich durch beständige Uebung an Schärfe zunimmt, und jede Leidenschaft durch langes Nachgeben wächst, so wuchs sein Eifer in Hinsicht des großen Gegenstands all seines Dichtens und Trachtens mit dessen Wachsthum, und ward immer auffallender, als schon, wie ein gewöhnlicher Beobachter denken möchte, der Grund von dessen Dasein beinahe gänzlich aufgehört hatte. Dieß ist ein moralisches Phänomen, das ich oft zu beobachten Gelegenheit gehabt habe, und welches, wie man glauben muß, auf dem Grundsatz der Anziehung beruht, die bisher dem Scharfsinn der Philosophen entgangen ist, die aber eben so thätig in der immateriellen Welt ist, als die Gravitation in der materiellen. Talente wie die seinigen, so unaufhörlich und unermüdlich geübt, brachten die gewöhnlichen Früchte hervor. Er wurde stündlich reicher und zur Zeit, wovon ich spreche, war er den Eingeweihten so ziemlich allgemein als der reichste Mann bekannt, der etwas mit der Stockbörse zu thun hatte.

Ich glaube nicht, daß die Ansichten meines Vorfahren eben so viele wesentliche Veränderungen zwischen dem fünfzigsten und siebenzigsten Jahre erlitten, als dieß zwischen dem zehnten und vierzigsten der Fall gewesen. In der letzten Zeit treibt der Baum des Lebens gewöhnlich tiefe Wurzeln, seine Neigung ist bestimmt, mag er sie nun durch Beugen unter die Stürme oder durch sein Drängen nach Licht erhalten haben, und Früchte trägt er wahrscheinlich mehr von selbst als durch Bearbeitung und Wartung. Dennoch war mein Vorfahr nicht mehr ganz derselbe Mann, als er seinen siebzigsten Geburtstag feierte, der er an seinem funfzigsten gewesen. Erstlich besaß er drei Mal so viel und folglich war sein moralisches System all den Verändrungen unterworfen gewesen, die, wie man weiß, von einer Verändrung so wichtiger Art abhängig zu sein pflegen.

Zweifelsohne neigte sich aber auch mein Vorfahr, während der letzten fünf und zwanzig Jahre in der Politik ganz besonders zu Gunsten ausschließlicher Vorrechte und Begünstigungen. Ich meine nicht, er sei ein Aristokrat in der gewöhnlichen Bedeutung des Worts gewesen. Ihm war Lehnswesen ein Wort ohne Bedeutung. Er hatte wahrscheinlich es nicht ein Mal gehört; Fallgatter erhoben sich und fielen, Flankenthürme reckten ihre Häupter empor und verschanzte Wälle legten all ihre Pracht vergeblich dar, seine Einbildung ward dadurch nicht gerührt. Er kümmerte sich nicht um Hoftage noch um Baronen-Tage, noch um die Baronen selbst, noch um die Ehren eines Stammbaums (warum sollte er auch? kein Prinz im Lande konnte klarer seine Familie ins Dunkel hinaufführen als er selbst), noch um die Eitelkeiten eines Hofes, noch um die der Gesellschaft, noch um etwas sonst von derselben Art, was wohl Reize für den Schwachköpfigen, den Phantasiereichen oder den Eingebildeten hat. Seine politischen Vorurtheile zeigten sich auf eine ganz andre Art. Während der ganzen fünf und zwanzig Jahre, die ich erwähnt hatte, hörte man ihn nie auch nur lispelnd irgend einen Tadel gegen die Regierung aussprechen, mochten ihre Maßregeln und der Charakter ihrer Verwaltung sein, wie sie wollten; es war ihm genug, daß es die Regierung war. Selbst die Taxen erregten ferner seinen Grimm nicht, noch weckten sie seine Beredsamkeit, er sah ein, sie seien nöthig zur Ordnung und besonders zum Schutz des Eigenthums, ein Zweig der Staatswissenschaft, den er so studirt hatte, daß er gewisser Maßen seinen eignen Besitz sogar gegen diesen großen Alliirten selbst zu schützen vermochte. Nachdem er eine Million reich geworden, bemerkte man, wie alle seine Absichten der Menschheit weniger vortheilhaft wurden, und daß er sehr geneigt war, den Betrag und die Eigenschaften der wenigen Glücksgüter, die die Vorsehung den Armen verliehen, zu überschätzen. Die Nachricht von einer Versammlung der Whigs äusserte gemeiniglich einige Wirkung auf seinen Appetit; ein Beschluß, von dem man argwöhnte, er sei von Brockos Club ausgegangen, beraubte ihn gemeiniglich eines Mittagessens, und die Radicalen machten nie ernstlich eine Motion, ohne daß er eine schlaflose Nacht zubrachte, und einen bedeutenden Theil des nächsten Tags Worte murmelte, die zu wiederholen kaum moralisch wäre. Ich kann jedoch ohne Anstoß hinzufügen, daß bei solchen Gelegenheiten er Anspielungen über den Galgen nicht sparte; Sir Francis Burdett in’s Besondre ward häufig mit Billingsgate zusammenausgesprochen, und Männer so hochherzig und verehrt wie selbst die Lords Grey, Lansdowne und Holland wurden behandelt, als ob sie nicht besser wären, als sie sein sollten. Aber bei diesen kleinen Einzelheiten ist es unnöthig zu verweilen, denn Jedermann muß schon bemerkt haben, daß je erhabener und feiner die Menschen in ihrer politischen Moral werden, desto gewohnter sie sind, Schmutz auf ihren Nächsten zu werfen. Ich will jedoch nur noch hinzufügen, daß, was ich hier erzählt habe, mir größten Theils durch direkte mündliche Ueberlieferung mitgetheilt worden ist, denn ich sah selten meinen Vorfahren, und wenn wir zusammenkamen, geschah es nur, um Rechnungen in Ordnung zu bringen, einen Hammelsschlegel mit einander zu essen, und dann zu scheiden wie Leute, die sich wenigstens niemals gezankt haben.

Nicht so war es mit Dr. Etherington. Gewohnheit (um nichts von meinen eignen Verdiensten zu sagen) hatte ihn mir, der ich seiner Sorgfalt so vieles verdankte, so geneigt gemacht, daß seine Thüre mir immer offen stand, als wenn ich sein Sohn gewesen.

Ich habe schon gesagt, daß der größte Theil meiner müßigen Zeit, (die in der Schule verlorenen nicht gerechnet) in dem Pfarrhaus zugebracht wurden. Der tüchtige Geistliche hatte ein oder zwei Jahre nach meiner Mutter Tod eine sehr liebenswürdige Frau geheirathet, die ihn zum Wittwer und zum Vater eines kleinen Ebenbildes von sich gemacht hatte, ehe noch das Jahr herum war. Bei der Stärke seiner Liebe für die Verstorbene oder für seine Tochter, oder vielleicht weil er sich in einer zweiten Ehe nicht so wohl befinden konnte als in der ersten, hatte Dr. Etherington nie davon gesprochen, eine andre Verbindung einzugehn. Er schien zufrieden, seine Pflichten als Christ und Mann von Ehre zu erfüllen, ohne sie zu vermehren, indem er neue Verbindungen mit der Gesellschaft eingehe.

Anna Etherington war daher meine beständige Gefährtin während vieler langer und köstlicher Besuche in dem Pfarrhause. Da sie drei Jahre jünger als ich war, hatte die Freundschaft meinerseits mit hundert Handlungen kindlichen Wohlwollens begonnen. Zwischen dem siebten und zwölften Jahr schleppte ich sie herum in einem Gartenstuhl, stieß sie auf der Schaukel und trocknete ihre Augen und sprach ihr Worte freundlichen Trostens ein, wenn eine vorübergehende Wolke die sonnige Freude ihrer Kindheit verdunkelte. Vom zwölften zum vierzehnten erzählte ich ihr Geschichten, erstaunte sie durch Berichte von meinen Thaten zu Eton und machte ihre heiteren blauen Augen sich weit aufthun vor Staunen bei den Wundern von London. Im vierzehnten fing ich an ihr Taschentuch aufzuheben, auf ihren Fingerhut Jagd zu machen, sie in Duetten zu begleiten, und ihr Gedichte vorzulesen, während sie sich mit den kleinen zümferlichen Arbeiten der Nadel beschäftigte. Im Alter von siebzehn verglich ich Cousine Anna, so durfte ich sie nennen, mit den andern jungen Mädchen meiner Bekanntschaft und die Vergleichung fiel gemeiniglich zu ihren Gunsten aus. Um diese Zeit auch, wie meine Bewundrung wärmer und deutlicher wurde, zeigte sie sich weniger vertrauend und offen; ich bemerkte auch jetzt als etwas Neues, daß sie Geheimnisse hatte, die sie mir nicht mitzutheilen für gut fand, daß sie öfter bei ihrer Gouvernantin und weniger als früher in meiner Gesellschaft war, und ein Mal bitter fühlte ich die Vernachlässigung, erzählte sie wirklich ihrem Vater die ergötzlichen Vorfälle einer kleinen Geburtstagsfeier, bei der sie zugegen gewesen, und die durch einen Herrn in der Nachbarschaft veranstaltet worden, ehe sie mir nur einen Wink von dem Vergnügen gegeben, das sie dabei gehabt! Ich wurde jedoch größten Theils wieder dafür entschädigt, als sie am Ende ihrer lustigen und launigen Erzählung gütig hinzufügte:

»Es hätte Euch herzlich lachen machen, Jack, wenn Ihr die drollige Art mit angesehen, wie die Bedienten ihre Rolle spielten« (es hatte eine Art maskirter Comödie gegeben) »besonders der fette alte Kellermeister, aus dem sie, wie Dick Griffin sagte, einen Cupido gemacht, um daran zu zeigen, daß die Liebe schläfrig und dumm wird, durch zu gutes Essen und Trinken. Ich wünsche, Ihr hättet dabei sein können, Jack.« Anna war ein liebliches, jungfräuliches Mädchen, mit einem sehr liebegewinnenden Antlitz und ich hatte besonders gern, wenn sie das Wort Jack aussprach, es war so ganz verschieden von dem lärmenden Schreien der Eton-Jungen oder dem affektirten Ruf meiner Gefährten zu Oxford!

»Ich hätte es selbst gerne gewünscht, Anna«, antwortete ich, »besonders da Ihr Euch so sehr an dem Spaß erfreut zu haben scheint.«

»Ja, aber das konnte nicht sein«, fiel Fräulein Norton ein, die Gouvernante, »Sir Harry Griffin ist sehr schwierig in der Wahl seines Umgangs; und Ihr wißt, meine Theure, Herr Goldenkalb, obgleich selbst ein sehr ehrbarer junger Mann, konnte nicht erwarten, daß einer der ältesten Baronets des Landes sich so weit herablassen würde, den Sohn eines Stockreuters zu einem seinem Erben gegebenen Feste einzuladen.«

Zum Glück für Fräulein Norton war Dr. Etherington gleich, nachdem seine Tochter auserzählt hatte, herausgegangen, oder sie hätte einen unangenehmen Commentar über ihre Begriffe von schicklicher Gesellschaft vernehmen mögen. Anna selbst sah ernst auf ihre Gouvernante, und ich bemerkte, wie eine Glut über ihr sanftes Antlitz sich lagerte, die mich an die Morgenröthe erinnerte. Ihr sanftes Auge fiel dann zu Boden, und es dauerte einige Zeit, ehe sie sprach.

Den folgenden Tag brachte ich unter dem Fenster des Studierzimmers eine Fischangel in Ordnung; ich war vom Gebüsch versteckt, als ich die melodische Stimme Annens ihrem Vater guten Morgen wünschen hörte.

Mein Herz schlug stärker, als sie sich der Fensterbrüstung näherte, und zärtlich weiter fragte, wie er die Nacht zugebracht. Die Antworten waren so liebevoll als die Fragen, und dann trat eine kleine Pause ein.

»Was ist ein Stockreuter, Vater«, begann plötzlich Anna wieder, die ich in den Blättern über meinem Haupte ratschlen hörte.

»Ein Stockreuter, meine Liebe, ist ein Mann, der des Gewinns wegen Staatspapiere kauft und verkauft.«

»Und hält man dieß für ein so besonders entehrendes Geschäft?«

»Ei das hängt von Umständen ab; an der Börse ist es angesehen genug, unter Kaufleuten und Banquiers ist, glaube ich, etwas Gehässiges damit verknüpft.«

»Und weißt du warum, Vater?«

»Ich glaube,« sagte Doktor Etherington lachend, »aus keinem andern Grund, als weil es ein unsichres Gewerb ist, plötzlichem Wechsel unterworfen, – was man nennt ein Hazardspiel ist, – und alles, was das Eigenthum unsicher macht, hat notwendig etwas gehässiges bei denen, deren Hauptsorge dessen Vergrößerung ist, und die Zahlfähigkeit andrer als besonders wichtig für sich betrachten.«

»Aber ist es ein entehrendes Geschäft, Vater?«

»Wie jetzt die Zeiten sind, nicht geradezu, wiewohl es dazu leicht werden kann.«

»Und bringt es im Allgemeinen bei der Welt in Mißcredit?«

»Das hängt von Umständen ab, meine Liebe. Wenn der Stockreuter verliert, wird er wahrscheinlich verdammt; aber ich denke sein Charakter wird im Verhältniß zu seinem Gewinnst eher erhabener. Aber warum thust du alle diese Fragen an mich, Liebe?«

Ich meinte, ich hörte Anna tiefer aufathmen, und gewiß ist, sie lehnte sich weiter aus dem Fenster, um eine Rose zu pflücken.

»Miß Norton sagte, Jack sei nicht bei Sir Harry Griffin eingeladen worden, weil sein Vater ein Stockreuter wäre. Glaubst du, daß dem so ist?«

»Sehr wahrscheinlich, meine Liebe,« entgegnete der Geistliche, der, so bildete ich mir ein, bei der Frage lächelte; »Sir Harry hat den Vorzug der Geburt, und er vergaß wahrscheinlich nicht, daß unser Freund Jack nicht so glücklich ist; ferner ist aber Sir Harry, während er sich viel auf seinen Reichthum einbildet, um eine Million oder auch zwei weniger reich als Jack’s Vater: mit andern Worten, wie man auf der Börse sagt, Jack’s Vater könnte seiner zehen auskaufen. Dieser Grund hatte vielleicht mehr Gewicht auf ihn als der erstre. Noch mehr, Sir Harry steht im Verdacht, selbst in Papieren zu speculiren, durch Agenten nämlich, und ein Mann von Geburt, der zu solchen Mitteln greift, sein Vermögen zu vermehren, von dem läßt es sich wohl denken, daß er seine Vorrechte in der Gesellschaft erhöhen will durch Verachtung und Erniedrigung andrer.«

»Und Leute von Geburt werden wirklich Stockreuter, Vater?«

»Anna, die Welt hat heutiges Tags große Veränderungen erlitten. Alte Ansichten sind erschüttert worden, und Staatsverfassungen sind jetzt wenig mehr, als politische Einrichtungen, Gelderwerb zu erleichtern. Das ist jedoch etwas, was du nicht gut verstehen kannst, auch maße ich mir selbst nicht an, darin sehr tiefe Kenntnisse zu haben.«

»Und ist Jack’s Vater wirklich so sehr, sehr reich,« fragte Anna, deren Gedanken von dem Faden des Gesprächs ihres Vaters ganz abgekommen.

»Man hält ihn dafür.«

»Und Jack ist sein Erbe?«

»Sicher, – er hat kein andres Kind, wiewohl es nicht leicht ist, zu sagen, was so ein eigner Mann mit seinem Gelde thun mag.«

»Ich hoffe, er wird Jack enterben!«

»Du setzest mich in Erstaunen, Anna; du, so mild und vernünftig, warum unserm jungen Freunde John Goldenkalb ein solches Unglück wünschen?«

Ich blickte auf voll Erstaunen bei dieser seltsamen Rede und hätte im Augenblick all mein Interesse an dem fraglichen Glück darum gegeben, wenn ich ihr Antlitz, (denn sie war mit dem größten Theil des Körpers ausser dem Fenster, ich hörte sie wieder im Busch über meinem Haupte ratschlen) hätte sehen können, um über den Grund bei diesem ihrem Ausspruch zu urtheilen, aber eine neidische Rose wuchs gerade an dem einzigen Ort, wo es möglich gewesen einen Blick von ihr zu erhalten.

»Warum wünschest du so etwas grausames?« begann wieder Doktor Etherington, etwas ernstlich.

»Weil ich die Stockreuterei und ihre Reichthümer hasse, Vater. Wäre Jack ärmer, er würde, scheint mir, mehr geehrt werden.«

Als sie dieses ausgesprochen, zog sich das theure Mädchen zurück, und ich bemerkte nun, daß ich ihre Wange für eine der größten und blühendsten Blumen gehalten. Doktor Etherington lachte, und ich hörte ihn deutlich das erröthende Antlitz seiner Tochter küssen. Ich glaube, ich würde meine Hoffnungen zu noch einer Million aufgegeben haben, um der Pfarrer von Tenthpig in diesem Augenblick zu sein.

»Wenn dieß alles ist, Kind,« antwortete er, »so gieb deinen Geist in Ruhe; Jack’s Geld wird ihn nie in Verachtung bringen, es sei denn durch den Gebrauch, den er davon macht. Ach, Anna, wir leben in einer Zeit der Verdorbenheit und Gier. Edle Absichten scheinen bei dem allgemeinen Verlangen nach Gewinn ganz aus dem Auge verloren zu werden, und wer zu einer reinen und uneigennützigen Menschenliebe sich hinneigen würde, käme entweder in den Verdacht als ein Heuchler oder würde verlacht als ein Narr. Die fluchwürdige Umwälzung bei unsern Nachbarn, den Franzosen, hat die Ansichten ganz aus der gewöhnlichen Ordnung gebracht, und selbst die Religion hat gewankt unter der wilden Gesetzlosigkeit der Theorien, wozu sie Veranlassung gegeben. Kein weltlicher Vorzug ist strenger von den göttlichen Lehrern angeklagt worden, als der Reichthum, und doch erhebt er sich reißend zum Gott über alles übrige. Nichts von einer Zukunft zu reden, wird die Gesellschaft hier schon durch ihn bis in’s Innerste verderbt und selbst Achtung vor der Geburt weicht dem gewinnsüchtigen Streben.«

»Und hältst du nicht Stolz auf die Geburt, Vater, für ein eben so mißverstandnes Vorurtheil als Stolz auf den Reichthum?«

»Stolz, jeder Art, mein Kind, kann genau genommen nach evangelischen Grundsätzen nicht vertheidigt werden; aber sicher sind einige Unterschiede unter den Menschen nöthig, selbst schon der Ruhe wegen. Würde das gleichmachende Princip anerkannt, dann müßten die Unterrichteten und Gebildeten auf gleiche Linie mit den Unwissenden und Gemeinen herabsteigen, da nicht alle die Vorzüge der erstern erreichen können, und die Welt kehrte zur Barbarei zurück. Der Charakter eines christlichen Edelmanns ist viel zu kostbar, um zur Ausführung einer unthunlichen Theorie seinen Scherz damit zu treiben.«

Anna schwieg, wahrscheinlich war sie verwirrt durch die Ansichten, zu welchen sie sich am liebsten bekannte, und das leichte Glimmern von Wahrheiten, die wir durch die gewöhnlichen Verhältnisse des Lebens annehmen. Was den guten Geistlichen selbst betrifft, so war es mir nicht schwer, seine Vorliebe zu begreifen, obwohl weder seine Vordersätze noch sein Schluß die logische Klarheit hatte, die seine Predigten so angenehm machte, besonders wenn er über die höhere Bedeutung von des Heilands Lehre, von der Barmherzigkeit, allgemeinen Menschenliebe und der gebietenden Pflicht, uns vor Gott zu demüthigen, sprach.

Einen Monat nach diesem zufälligen Gespräch machte mich der Zufall zum Hörer alles dessen, was zwischen meinem Vater und Sir Joseph Job, einem andern berühmten Börsenspekulanten, vorging. Es war bei einer Zusammenkunft im Hause des erstern, in Cheapside. Da der Unterschied so patent war, wie der Franzose es ausdrückt, so will ich hier die Hauptsache anführen.

»Das ist eine sehr ernsthafte und beunruhigende Bewegung, Herr Goldenkalb,« bemerkte Sir Joseph, »und fordert Eintracht und Herzlichkeit unter denen, die etwas besitzen. Sollten diese verdammten Ansichten recht unter dem Volke bekannt werden, was würde aus uns werden?«

»Ich stimme darin mit Euch überein, Sir Joseph; es ist sehr beunruhigend, außerordentlich beunruhigend!«

»Wir werden Agrarische Gesetze bekommen, Sir; Euer Geld, Herr, und meine, unsere harten Ersparnisse werden der Raub politischer Räuber werden, unsere Kinder aber zu Bettlern, um das neidische Verlangen eines erbärmlichen Schurken ohne einen Heller zu befriedigen.« »Es ist ein trauriger Zustand der Dinge, Sir Joseph, und die Regierung ist sehr strafbar, daß sie nicht wenigstens zehen neue Regimenter errichtet.«

»Das schlimmste dabei ist, guter Herr Goldenkalb, daß es gewisse Hausnarren unter der Aristokratie giebt, die die Schurken anleiten, und ihnen die Sanktion ihres Namens leihen. Es ist ein großer Mißgriff, Sir, daß wir auf dieser Insel auf die Geburt so große Wichtigkeit legen, wodurch denn stolze Bettler die ungewaschnen Tollköpfe in Bewegung setzen, und die soliden Unterthanen darunter leiden müssen. Das Eigenthum, Herr, ist in Gefahr, und Eigenthum ist die einzige wahre Basis der Staatsgesellschaft!«

»Sicher, Sir Joseph, ich konnte nie den geringsten Nutzen der Geburt einsehen.«

»Sie ist zu nichts nütze, Herr Goldenkalb, als um Pensionaire zu machen; aber mit Eigenthum ist es anders; Geld ist der Vater des Gelds, und durch Geld wird ein Staat mächtig und glücklich. Aber diese verfluchte Revolution bei unsern Nachbarn, den Franzosen, hat die Ansichten ganz umgekehrt, und ach! Eigenthum ist in beständiger Gefahr!«

»Traurig, daß ich’s sagen muß, aber ich fühle es in allen meinen Nerven, Sir Joseph.«

»Wir müssen uns vereinen und vertheidigen, Herr Goldenkalb, sonst gerathen wir, ihr und ich, beide jetzt noch reiche und solide Männer, in den Abgrund. Seht ihr nicht, daß wir in wirklicher Gefahr einer Theilung des Eigenthums sind?«

»Gott behüte.«

»Ja, Herr, unser geheiligtes Eigenthum ist in Gefahr!« Hier schüttelte Sir Joseph meinen Vater herzlich bei der Hand und schied. Ich finde in einem Memorandum unter den Büchern meines verstorbenen Vorfahren, daß er dem Banquier Sir Josephs von diesem Tag an einen Monat nachher 62,712 Pfund Differenz (als Bull und Bär) ) bezahlen mußte, was daher kam, daß der letztre eine geheime Nachricht durch einen Schreiber auf einem der Staatsbüreau erhielt, ein Vortheil, der ihn in den Stand setzte, in diesem Fall wenigstens einen bessern Handel zu machen, als mein Vater, der gemeiniglich zu den verschlagensten Spekulanten der Börse gerechnet ward.

Meine Gedanken beschäftigten sich beträchtliche Zeit mit den einander so ganz entgegengesetzten Ansichten des Doktor Etherington und Sir Joseph Job. Auf der einen Seite lehrte man mich die Entweihung der Geburt, auf der andern die Gefahren des Eigenthums. Anna war gemeinlich meine Vertraute, aber in diesem Fall war meine Zunge gefesselt, denn ich durfte ihr nicht gestehen, daß ich ihre Unterredung mit ihrem Vater mitangehört, und so war ich genöthigt, die widersprechenden Lehren, so gut ich konnte, zu verdauen.