Vierzehntes Kapitel.

»Zu wessen Fahne schwör’n die Städter jetzt?«

König Johann.

 

Um uns ebenen Weg zwischen den Vorfällen der Erzählung zu sichern, wird es nöthig, zu den Ereignissen zurückzukehren, die sich während des Commando’s der Ellen Wade begaben.

In den ersten Stunden hatten sich die Sorgen des edeln, gefühlvollen Mädchens auf die einfache Pflicht beschränkt, den oft wiederholten Anforderungen zu genügen, welche ihre jüngeren Gefährten an ihre Zeit und Geduld machten. Hunger, Durst und all‘ die andern unaufhörlichen Bedürfnissen der launigen, unbedachtsamen Kinder hatte sie zu bekämpfen. Sie benutzte eine Pause in ihren Quälereien, um sich in das Zelt zu stehlen, wo sie zur Bequemlichkeit einer Person beitrug, die weit mehr ihre Sorgfalt verdiente; als ein Geschrei, das sich unter den Kindern erhob, die sie verlassen, sie zu ihren auf einen Augenblick vergessenen Pflichten zurückrief.

»Sieh, Nelly, sieh!« riefen ein halb Dutzend eifriger Stimmen, als sie wieder zu ihnen kam, »dort sind Männer, und Phöbe sagt, es seien Sioux-Indianer!«

Ellen richtete ihre Augen nach der Richtung, nach der schon so viele Arme sich ausstreckten, und sah zu ihrer Bestürzung die Gestalten mehrerer Männer, die offenbar und schnell in gerader Linie auf den Felsen zugingen. Sie zählte ihrer vier; aber konnte zu keiner Gewißheit kommen über ihren Charakter, außer daß keiner von ihnen ein Recht hatte, Einlaß in die Feste zu begehren. Es war ein furchtbarer Augenblick für Ellen. Um sich schauend auf den jugendlichen, erschreckten Haufen, der sich hinter ihr Gewand verbarg, bemühte sie sich, ihrem verwirrten Geist einige von den vielen Geschichten von weiblichem Heldenmuth zurückzurufen, an denen die Annalen der Westgrenze so reich waren. In einer war eine Palissade glücklich von einem einzigen Mann, den drei oder vier Weiber unterstützten, Tage lang gegen die Angriffe von hundert Feinden vertheidigt worden. In einer andern hatten Weiber allein die Kinder und weniger schätzbaren Habseligkeiten ihrer abwesenden Männer schützen können; und eine dritte kam noch hinzu, worin ein einziges Weib ihre schlafenden Wachen ermordet und nicht allein sich sondern auch einem Haufen furchtsamer, hülfloser Kleinen die Freiheit wieder gegeben hatte. Dieser letzte Fall kam der Lage am nächsten, worin sich Ellen jetzt befand, und mit brennenden Wangen und funkelnden Augen begann das ermuthigte Mädchen ihre schwachen Vertheidigungsmittel zu überschauen und festzustellen.

Sie postirte die größern Mädchen an die kleinen Hebebäume, welche die Felsen auf die Angreifenden stürzen sollten, die kleineren wurden mehr zur Schau als zu wirklichem Dienst, den sie hätten leisten können, gebraucht, während, wie jeder andere Führer, sie für ihre eigene Person die oberste Leitung und Ermuthigung sich vorbehalten hatte. Als diese Anstalten getroffen waren, bemühte sie sich, den Ausgang mit fester Haltung zu erwarten, die ihren Verbündeten das zu einem glücklichen Erfolg nöthige Vertrauen einflößen sollte.

Obwohl Ellen bei weitem durch den Geist hervorragte, der aus moralischen Eigenschaften entspringt, kam sie doch ganz und gar nicht den beiden ältesten Töchtern Esthers in der nicht weniger wichtigen militärischen Eigenschaft der Unempfindlichkeit gegen die Gefahr gleich. Aufgezogen in aller Mühseligkeit eines beständig herumziehenden Lebens an den Kränzen der bürgerlichen Gesellschaft, wo sie vertraut geworden mit dem Anblick und den Gefahren der Wildniß, versprachen diese Mädchen sicher einst nicht weniger sich durch ihren Muth auszuzeichnen, als ihre Mutter durch jene sonderbare Mischung von Gutem und Bösem, welche in einem weiteren Kreis von Thätigkeit das Weib des Auswanderers in den Stand gesetzt haben würde, ihren Namen auf die Liste der merkwürdigen Frauen ihrer Zeit zu bringen. Esther hatte schon bei einer Gelegenheit das Lager Ismael’s gegen einen Anfall der Wilden vertheidigt; und bei einer andern war sie für todt von ihren Feinden nach einer Vertheidigung liegen gelassen worden, die gegen einen gebildeteren Feind ihr Ansprüche auf die Ehre und Achtung einer freien Capitulation gegeben haben würde. Diese Thatsachen und tausend andere ähnlicher Art waren oft mit der gehörigen Freude in Gegenwart ihrer Töchter erzählt worden, und die Brust der jungen Amazone schwankte jetzt auf seltsame Weise zwischen natürlichem Schreck und dem ehrgeizigen Wunsche, etwas zu thun, was sie würdig machen könnte, Kinder einer solchen Mutter zu sein. Es schien jetzt, daß eine Gelegenheit, sich in diesem wilden, unnatürlichen Charakter auszuzeichnen, ihnen nicht länger verweigert ward.

Der Haufen der Fremden war schon auf zweihundert Schritte dem Felsen nahe. Entweder ihre gewöhnliche vorsichtige Art vorzuschreiten befolgend, oder gemahnt durch die drohende Stellung der zwei Gestalten, die die Läufe von eben so vielen alten Musqueten hinter ihrer steinernen Verschanzung hervorstreckten, hielten die Ankömmlinge von einer Unebenheit des Bodens begünstigt, wo ein dichterer Graswuchs ihnen den Vortheil eines Schlupfwinkels anbot. Von dieser Stelle aus recognoscirten sie die Feste einige Zeit; ängstliche, und für Ellen fast unendliche Minuten. Dann trat einer allein vor, und zwar mehr in der Eigenschaft eines Herolds als eines Angreifenden.

»Phöbe, feure,« und »nein Hetty, du,« hörte man zwischen den halberschrockenen und doch eifrigen Töchtern des Wanderers, als Ellen wahrscheinlich den herankommenden Fremden vor einem bevorstehenden Schreck bewahrte, wenn nicht vor größerer Gefahr, indem sie rief:

»Legt die Musqueten nieder; es ist Doctor Battius!«

Ihre Untergebenen folgten insoweit, daß sie ihre Hände vom Hahn wegthaten, obwohl die drohenden Läufe noch ihre verhängnißvolle Lage beibehielten. Der Naturforscher, der mit hinlänglicher Vorsicht vorgeschritten war, um die geringste von der Garnison gemachte feindliche Bewegung zu bemerken, hielt jetzt ein weißes Tuch am Ende seines« eigenen Stutzes empor, und kam der Festung nahe genug, um gehört zu werden. Dann nahm er, wie er dachte, eine recht imponirende Autoritätsmiene an, und sprach mit einer Stimme, die in weit größerer Entfernung hätte gehört werden können:

»Was! hoho! Ich fordere euch alle auf, im Namen der Conföderation der Vereinigten, Unabhängigen Staaten von Nordamerika, Euch den Gesetzen zu unterwerfen!«

»Doctor oder nicht Doctor; er ist ein Feind, Nelly; hör‘, hör‘, er spricht vom Gesetz!«

»Schweig; wart bis ich ihn gehört habe!« sagte die fast athemlose Ellen, und drückte die gefährlichen Waffen zur Seite, welche wieder auf die geduckte Gestalt des Herolds gerichtet waren.

»Ich ermahne und warne Euch alle,« fuhr der erschreckte Doctor fort, »ich bin ein friedlicher Bürger der ebengenannten Conföderation, ein Vertheidiger des Social-Compacts, und ein Freund der Ordnung und Freundschaft;« dann, als er bemerkte, daß die Gefahr wenigstens für einige Zeit vorüber war, erhob er wieder seine Stimme zu jener feindlichen Höhe und fuhr fort: »Ich gebiete euch deßwegen allen, euch den Gesetzen zu unterwerfen.«

»Ich dachte, Ihr wärt ein Freund,« entgegnete Ellen, »und reistet mit meinem Oheim in Folge eines Vertrags?«

»Er ist nichtig! Ich bin in den Hauptsachen betrogen worden, und erkläre hiermit ein gewisses Compactum eingegangen und geschlossen, zwischen Ismael Busch, Grenzwohner, und Obed Battius, Med. Dr. sei von diesem Augenblick an null und ohne Kraft. Aber, Kinder, null ist nur eine negative Eigenschaft, und enthält nichts Schlimmes gegen euren würdigen Vater. So legt denn bei Seite die Feuerwaffen und hört auf die Ermahnungen der Vernunft. – Ich erklär‘ den Vertrag für mangelhaft, null, abgeschafft. Was aber dich betrifft, Nelly, gegen dich bin ich gut gesinnt, und ganz und gar nichts Feindliches habe ich gegen dich, deßwegen hör‘, was ich zu sagen habe, und wend‘ dein Ohr nicht ab im Leichtsinn über deine Sicherheit. Du kennst den Charakter des Mannes, bei dem du wohnst, Mädchen, kennst auch die Gefahr, in so übler Gesellschaft getroffen zu werden. Verlaß also die geringen Vortheile deiner Lage, und übergib friedlich den Felsen denen, welche mich begleiten; eine Legion ist’s, Mädchen, versichere dich, eine unüberwindliche, mächtige Legion. Ueberlaß die Effecten des gesetzlosen, verworfenen Grenzwohners, – ja, Kinder, solche Rücksichtslosigkeit gegen Menschenleben zerstört ganz und gar die Vergnügungen freundschaftlicher Unterredung. Bringt diese gefährlichen Waffen weg, ich bitte euch; mehr euretwegen, als um meinetwillen. Hetty, hast du vergessen, wer deine Schmerzen linderte, als deine Auricularnerven gepeinigt, wurden von der Kälte und den Nebeln der nackten Erde; und du, Phöbe, undankbare, vergeßliche Phöbe, wäre gerade dieser Arm nichts gewesen, den du jetzt mit immerwährender Paralysis schlagen möchtest, deine incisores würden dir noch Schmerz und Pein verursachen. Leg‘ denn zur Seite deine Waffen und hör‘ auf den Rath eines Mannes, der immer dein Freund gewesen ist. Und du, Mädchen,« immer noch hatte er ein wachsames Auge auf die Musqueten, die die Mädchen etwas von ihrer Richtung abgewendet hatten, »und nun Mädchen, frag‘ ich zum letzten Mal und aufs Feierlichste; ich fordere von dir die Uebergabe dieses Felsens, ohne Aufschub und Widerstand, in dem vereinigten Namen der Gewalt, Gerechtigkeit und des –« Gesetzes würde er hinzugefügt haben, erinnerte sich aber, daß dies böse Wort wieder des Grenzwohners Kinder zu Feindseligkeiten reizen möchte; daher gelang es ihm, es noch zu rechter Zeit hinunterzuschlucken, und so schloß er mit dem weniger gefährlichen aber einnehmenderen Worte »Vernunft.«

Diese ungewöhnliche Anrede verfehlte jedoch, die gewünschte Wirkung hervorzubringen. Sie blieb den jüngeren Zuhörern mit Ausnahme der wenigen beleidigenden Ausdrücke, die wir schon hinlänglich ausgezeichnet haben, gänzlich unverständlich, und obwohl Ellen besser den Sinn des Herolds begriff, schien sie doch ebensowenig von seiner Rhetorik gerührt, als ihre Gefährtinnen. Bei jenen Stellen, welche nach seiner Meinung zärtlich und rührend sein sollten, hatte das verständige Mädchen, obwohl sie von peinvollen, widerstreitenden Gefühlen gefoltert wurde, sogar eine Neigung zu lachen verrathen, während sie seinen Drohungen gänzliche Ungerührtheit entgegensetzte.

»Ich fasse nicht den Sinn von allem, was Ihr sagen wollt, Doctor Battius,« erwiederte sie ruhig, als er geendet hatte, »aber das ist gewiß, wenn Ihr mich vermögen wollt, untreu zu werden, so darf ich so etwas nicht einmal hören. Ich rathe Euch, keine Gewalt zu gebrauchen, denn laßt meine Wünsche sein, welche sie wollen, Ihr seht, ich bin mit einer Macht umgeben, die mich leicht niederschmettern kann, und Ihr wißt oder solltet wissen, was das für eine Familie ist, um in solchen Dingen mit einem Glied von ihr zu scherzen, mag es nun von einem Geschlecht oder Alter sein, von welchem es will.«

»Ich bin nicht ganz unbekannt mit dem menschlichen Charakter,« erwiederte der Naturforscher, und wich klüglicher Weise etwas aus seiner Stellung zurück, die er bis jetzt standhaft hart an dem Fuße des Hügels behauptet hatte. »Aber da kommt einer, der dessen geheime Windungen noch besser verstehen mag, als ich.«

»Ellen, Ellen Wade!« rief Paul Hover, der an seine Seite getreten war, ohne etwas von jener Furcht vor Gefahr zu verrathen, die so augenscheinlich den Doctor beunruhigt hatte; »ich erwartete nicht, einen Feind in dir zu finden.«

»Auch sollst du es nicht, wenn du verlangst, was ich ohne Verrätherei und Undank bewilligen kann. Du weißt, daß mein Onkel seine Familie meiner Sorgfalt anvertraut hat, und soll ich so sehr sein Vertrauen verrathen, daß ich seine bittersten Feinde hereinlasse, um seine Kinder vielleicht zu morden, und ihn des Wenigen zu berauben, was die Indianer ihm gelassen haben?«

»Bin ich ein Mörder? Dieser Greis? Dieser Beamte der Staaten?« fragte Paul und deutete dabei auf den Streifschützen und seinen neuen Freund, welche beide zu dieser Zeit neben ihm standen; »ist es wahrscheinlich, daß einer von ihnen so etwas thut?«

»Was verlangt Ihr denn von mir?« sagte Ellen und rang die Hände in großer Ungewißheit.

»Das Thier! Nichts mehr und nichts weniger als des Grenzwohners verborgenes, räuberisches, gefährliches Thier!«

»Herrliches Mädchen,« begann der junge Fremde, der eben erst zu den andern in der Steppe gekommen war, aber sein Mund schloß sich alsbald auf ein bedeutungsvolles Zeichen vom Streifschützen, der ihm in’s Ohr lispelte:

»Laßt den Jungen unsern Sprecher sein. Die Zuneigung wird in der Brust des Kindes wirken, und wir werden all‘ unsern Zweck auf’s baldigste erreichen.«

»Es ist Alles heraus, Ellen,« fuhr Paul fort, »und wir haben dem Grenzwohner bis in seine geheimsten Missethaten nachgespürt. Wir sind gekommen, dem Bedrückten Recht zu schaffen und den Eingekerkerten zu befreien; nun, wenn du das treue Mädchen bist, wie ich immer geglaubt habe, wirst du, weit entfernt, uns Hindernisse in den Weg zu legen, mit dem ganzen Schwarm mitschwärmen und den alten Ismael und seinen Bienenstock von eigner Brut verlassen.«

»Ich hab‘ einen Eid abgelegt –«

»Ein Compactum, das man in Unwissenheit oder Noth eingeht, ist null nach der Einsicht aller guten Moralisten,« schrie der Doctor.

»Hsch, hsch,« lispelte wieder der Streifschütz, »überlaßt Alles der Natur und dem Jungen!«

»Ich habe unter den Augen und im Namen Dessen geschworen, der der Schöpfer und Erhalter von allem Guten ist, sei es in der Moral oder Religion,« fuhr die gereizte Ellen fort, »weder den Inhalt jenes Zeltes zu verrathen, noch den Eingekerkerten zur Flucht behülflich zu sein. Wir haben beide feierlich, furchtbar geschworen, unser Leben war vielleicht die Belohnung, die wir für das Versprechen erhielten. Es ist wahr, Ihr wißt um das Geheimniß, aber nicht durch einen von uns; auch weiß ich nicht, wie ich mich rechtfertigen soll, daß ich nur neutral geblieben bin, während Ihr in die Wohnung meines Oheims auf so feindliche Art eindringt.«

»Ich kann über alle Widerlegung hinaus beweisen,« rief der Naturforscher eifrig, »mit Payley, Berkley, ja selbst mit dem unsterblichen Bynkershoek, daß ein Compactum geschlossen, während einer von den Theilen, sei es nun ein Staat oder ein Individuum, in Noth ist –«

»Ihr werdet nur das Kind durch solche unverständliche Sprache aufbringen,« sagte der vorsichtige Streifschütz, »während der Junge, dem menschlichen Gefühl überlassen, sie zur Sanftmuth eines spielenden Rehs herabbringen wird. Ach, Ihr seid gleich mir wenig bekannt mit der Natur jener Art verborgener Neigung.«

»Ist das das einzige Gelübde, das du abgelegt, Ellen!« fuhr Paul in einem Tone fort, der für den fröhlichen, leichtmüthigen Bienenjäger schmerzvoll und vorwurfsreich schien, »hast du nur das beschworen! Sind die Worte, die der Grenzwohner sagt, wie Honig in deinem Mund, und alle andern Versprechungen nur wie Abwurf?«

Die Blässe, die das sonst so blühende Gesicht Ellens überzogen, ward von einer hohen Röthe verdeckt, die man deutlich selbst in seiner Entfernung sah. Sie stockte einen Augenblick, als bemühte sie sich, etwas wie Unwillen hinunterzuschlucken, ehe sie mit ihrem angebornen Reiz antwortete:

»Ich weiß nicht, welches Recht irgend Jemand hat, mich über Eide und Versprechungen zu befragen, die nur Diejenige angehen können, welche sie abgelegt hat, wenn überhaupt so etwas geschehen ist. Ich werde nicht weiter mit Jemand sprechen, der so sehr an sich denkt und nur sein eigenes Gefühl befragt.«

»Nun, alter Streifschütz, hört Ihr das?« sagte der wenig sophistische Bienenjäger und wandte sich plötzlich zu seinem bejahrten Freund. »Das geringste Insect, das unter dem Himmel flattert, wenn es seine Ladung aufgenommen, fliegt gerade und ehrlich nach seinem Nest oder Stock, je nach seiner Art; aber die Windungen eines Weiberherzens sind so verwickelt, wie eine knotige Eiche, und krummer als der Lauf des Mississippi.«

»Ja, ja, Kind,« sagte der Streifschütz, und schlug sich gutmüthig in’s Mittel zu Gunsten des fehlenden Paul’s; »du mußt bedenken, der Jüngling ist hastig und nicht sehr nachdenkend. Aber dennoch, ein Versprechen ist ein Versprechen, und nicht auf die Seite zu werfen und zu vergessen, wie die Hufe und Hörner eines Büffels.«

»Ich dank Euch, daß Ihr mich an meinen Eid erinnert,« sagte die noch zürnende Ellen, und biß ihre schöne Unterlippe voll Verdruß; »ich möchte ihn sonst vielleicht vergessen haben.«

»Ah! die weibliche Natur erwacht in ihr,« sagte der Alte, und schüttelte den Kopf auf eine Art, die zeigen sollte, wie sehr er durch den Ausgang befremdet worden; »aber sie zeigt sich gegen den wahren Geist!«

»Ellen!« rief der junge Fremde, der bis jetzt ein aufmerksamer Zuhörer der Unterredung gewesen war, »da Ellen der Name ist, bei dem man Euch ruft –«

»Sie fügen oft einen andern hinzu. Ich werde manchmal bei dem Namen meines Vaters genannt.«

»Nennt sie ein für allemal Nelly Wade,« lispelte Paul, »es ist ihr rechtmäßiger Name, und mir liegt nichts daran, wenn sie ihn immer behält.«

»Wade hätte ich hinzufügen sollen,« fuhr der Jüngling fort; »Ihr werdet gestehen, daß, obgleich nicht selbst durch einen Eid gebunden, ich zum wenigsten gelernt habe, den Anderer zu achten. Ihr seid selbst Zeuge, daß ich mich gehütet habe, ein einziges Wort zu rufen, während ich doch gewiß war, daß es Ohren erreichen könnte, die so sehr erfreut darüber sein würden. Erlaubt mir also, allein auf den Felsen zu kommen; ich verspreche Euch vollkommene Schadloshaltung Eures Verwandten für jeden Schaden, der seine Effecten treffen könnte.«

Ellen schien zu schwanken, als sie aber einen Blick auf Paul warf, der, stolz auf seine Büchse gelehnt, dastand, und, dem Anschein nach, mit der grüßen Gleichgültigkeit die Melodie eines Schifferlieds summte, kam sie zu rechter Zeit noch zu sich, um zu antworten:

»Ich bin als Befehlshaber des Felsens zurückgelassen worden, während mein Onkel und seine Söhne jagen, und Befehlshaber will ich bleiben, bis er zurückkommt und mir das Amt abnimmt.«

»Das heißt die Zeit verlieren, die nicht bald wieder kommen wird, und eine Gelegenheit versäumen, die sich nie wieder darbieten möchte,« bemerkte der junge Soldat ernst. »Die Sonne fängt schon an, zu sinken, und lange Zeit kann nicht mehr vorübergehn, ehe der Wanderer und seine wilde Horde in ihre Hütten zurückkommen!«

Doctor Battius warf einen ängstlichen Blick hinter sich, und nahm die Rede wieder auf, indem er sagte:

»Vollkommenheit findet sich immer bei der Reise, mag es nun im Thierreich oder in der intellektuellen Welt sein. Nachdenken ist die Mutter der Weisheit, und Weisheit die Mutter des Erfolgs. Ich schlage vor, daß wir uns in eine vorsichtige Entfernung von dieser unbesiegbaren Position zurückziehn und dort eine Versammlung oder Berathung halten, um zu sehen, auf welche Weise wir regelmäßig den Platz belagern mögen, oder vielleicht indem wir die Einschließung auf eine andere Zeit verschieben, Hülfstruppen aus den unbewohnten Landstrichen an uns zu ziehen, und so die Würde der Gesetze gegen alle Gefahr einer Zurücktreibung sichern könnten.«

»Ein Sturm würde besser sein,« antwortete der Soldat lächelnd, und maß die Höhe und berechnete alle Schwierigkeiten mit berathendem Auge; »es würde höchstens nur einen zerbrochenen Arm oder zerschellten Kopf absetzen.«

»So sei’s denn!« rief der ungeduldige Bienenjäger und that einen Sprung, der ihn mit einem Mal außer alle Gefahr vor einem Schuß setzte, indem er ihn unter die vorragende Zinne brachte, auf der die Garnison stand; »nun thut euer Schlimmstes, junge T – l einer verd–ten Brut; ihr habt nur noch einen Augenblick, all eure Bosheit auszuüben!«

»Paul, rascher Paul!« schrie Ellen, »noch ein Schritt, und die Felsen werden dich zermalmen; sie hängen nur an einem Faden, und diese Mädchen sind bereit und willens, sie fällen zu lassen!«

»Dann treib die verd – te Brut aus dem Korb, denn den Fels will ich ersteigen, find‘ ich ihn auch bedeckt mit Hornissen.«

»Sie versuche, wenn sie’s wagt!« schrie trotzig das älteste Mädchen, und schwang eine Musquete mit einer Miene und Entschlossenheit, die einer Amazone Ehre gemacht hätte; »ich kenne dich, Ellen Wade, du bist im Herzen mit den Gesetzleuten, und wenn du einen Fuß näher kommst, sollst du Grenzbewohnerstrafe erfahren. Steckt noch einen andern Hebel hinein, Mädchen, hinein mit ihm! Ich möchte doch den von ihnen all sehen, der in Ismael Busch’s Lager zu kommen wagte, ohne seine Kinder um Erlaubniß zu fragen!«

»Rühr‘ dich nicht Paul, um’s Leben halt‘ dich unter dem Felsen!«

Ellen ward durch dieselbe glänzende Erscheinung unterbrochen, welche am vorhergehenden Tag einen kaum weniger verhängnißvollen Tumult gestillt hatte, indem sie sich auf derselben luftigen Höhe zeigte, wo sie jetzt gesehen ward.

»In dem Namen dessen, der Alles beherrscht, gebiete ich euch, zu ruhen; beide ihr, die so tollkühn sich in Gefahr stürzen, und ihr, die so rasch sich anschicken, das zu nehmen, was sie nicht wieder erstatten können!«

So sprach eine sanfte, beschwörende Stimme in einem etwas fremdartigen Accent, und zog sogleich Aller Augen aufwärts.

»Inez, Inez,« schrie der Offizier, seh‘ ich dich wieder! Mein sollst du jetzt sein, und hätten tausend T,–l auf den Felsen sich postirt. Dringt vor, meine braven Waldmänner, und macht einem andern Platz!«

Die plötzliche Erscheinung der Gestalt aus dem Zelt hatte ein augenblickliches Staunen unter den Vertheidigern der Felsen erregt, welches mit gehöriger Vorsicht glücklich hätte benutzt werden mögen. Aber, aufgeregt durch Middletons Ruf, schoß die erstaunte Phöbe ihre Musquete auf das Weib ab, sich kaum bewußt, ob sie nach dem Leben eines Sterblichen oder nach einem Wesen ziele, das einer andern Welt angehöre. Ellen stieß einen Schrei des Entsetzens aus, und eilte dann zu ihrer erschreckten oder verwundeten Freundin, sie wußte nicht, welches.

Während dieses gefährlichen Zwischenspiels wurde das Geräusch eines ernsthaften Angriffs sehr deutlich unten gehört. Paul hatte die Bewegung über seinem Haupte benutzt, um seine Stelle in so weit zu ändern, daß er Middleton Platz machte; dem letztern war der Naturforscher gefolgt, welcher in einem Zustand geistiger Abwesenheit, in die der Schall der Musquete ihn versetzt hatte, Instinctmäßig nach dem Felsen eilte, um sich zu schützen. Der Streifschütz blieb da, wo er zuletzt gesehen worden, ein unbewegter, aber aufmerksamer Beobachter dieser verschiedenen Vorgänge. Obgleich nicht willens, sich zu offenen Feindseligkeiten mit ihnen zu verbinden, war doch der Alte gar nicht unnütz. Durch seine Stellung begünstigt, war er in Stand gesetzt, seine Freunde unten von den Bewegungen derer zu benachrichtigen, welche oben ihren Untergang beabsichtigten, und dem gemäß ihr Vorschreiten zu lenken, zu regieren.

Mittlerweile waren Esthers Kinder dem Geiste treu, den sie von ihrer furchtbaren Mutter geerbt hatten. Sobald sie sich von Ellens und ihrer unbekannten Gefährtin Gegenwart befreit sahen, schenkten sie ihren männlicheren und gewiß gefährlicheren Angreifern, die um diese Zeit sich gänzlich unter den Spitzen der Citadelle festgesetzt hatten, ungetheilte Aufmerksamkeit: die wiederholten Aufforderungen zur Uebergabe, die Paul in einem Tone ausstieß, der den jungen Gemüthern Schrecken einflößen sollte, wurden eben so wenig geachtet, als der Ruf des Streifschützen, allen Widerstand aufzugeben, der nur Mehreren unter ihnen verderblich werden konnte, ohne die geringste Wahrscheinlichkeit wirklichen Erfolgs darzubieten. Einander ermuthigend, zu beharren, erschütterten sie die Felsstücke und bereiteten die leichteren Geschosse zu unmittelbarem Gebrauch vor, und richteten die Musquetenläufe mit einer geschäftigen Art und einer Kälte, die Männern, lang geübt in den Gefahren des Kriegs, Ehre gemacht haben würde.

»Haltet Euch unter der Zinne,« sagte der Streifschütz und deutete Paul die Art an, wie er vorschreiten sollte, »zieht den Fuß mehr ein, Junge, – ah, Ihr seht, die Warnung war nicht unnütz! hatte der Stein ihn getroffen, die Bienen hätten ihren Gefährten auf Monate entbehrt. Nun, Namensverwandter meines Freundes Uncas, dem Namen und Muth nach, jetzt, wenn Ihr die Schnelligkeit des Cerf agile habt, jetzt könnt Ihr einen schönen Sprung rechts machen, und gute zwanzig Fuß Höhe gewinnen ohne Gefahr! Hütet Euch vor dem Busch, es ist ein verrätherischer Halt! Ah, er hat’s vollbracht, sicher und tapfer hat er’s vollbracht. Jetzt kommt Ihr an die Reihe, Freund, Ihr eifriger Freund der Natur. Wendet Euch links, und Ihr könnt die Aufmerksamkeit der Kinder theilen. – Ja, Mädchen, feuert immer zu, meine alten Ohren sind an das Pfeifen des Bleies gewöhnt, und bei achtzig Jahren auf dem Rücken, findet sich bei mir kein Hasenherz.«

Er schüttelte den Kopf mit melancholischem Lächeln, aber ohne eine Muskel zu rühren, als die Kugel, welche die erzürnte Hetty abfeuerte, unschädlich in nicht großer Entfernung von der Stelle, wo er stand, vorbei fuhr.

»Es ist sicherer, gerade auf die Mündung Eurer Flinte loszugehen, als auszubeugen, wenn ein so schwacher Finger den Hahn losdrückt;« fuhr er fort, »aber es ist ein ergreifender Anblick zu sehen, wie sehr die menschliche Natur zum Bösen geneigt ist, selbst in so jungen Geschöpfen! Gut gemacht, Mann der Thiere und Pflanzen! Noch so einen Sprung, und Ihr könnt lachen über all des Wanderers Verhaue und Wälle. Der Doctor bietet Muth auf, ich seh’s in seinem Auge, und es kann noch etwas aus ihm werden! Halt dich näher, Mann, näher!«

Der Streifschütz, obwohl er sich über den Zustand von Doctor Battius Muth nicht betrog, war jedoch sehr im Irrthum über die anregende Ursache. Während er die Bewegungen seiner Gefährten nachahmte, und seinen Weg mit der größten Vorsicht auswärts nahm, nicht ohne großen Feuereifer, hatte das Auge des Naturforschers eine unbekannte Pflanze erblickt, wenige Ellen über seinem Haupte, und an einer Stelle, die ganz besonders den Geschossen ausgesetzt war, welche die Mädchen ohne Unterlaß auf die Angreifer herabschickten. Für einen Augenblick alles bei dem Ruhm vergessend, der Erste zu sein, der diesen Juwel in die Cataloge der Wissenschaft niederlege, sprang er aufwärts nach dem Preis mit der Gier, womit der Sperling auf den Schmetterling schießt. Die Felsen, die sogleich donnernd herunter kamen, verkündeten, daß er gesehen worden, und für einen Augenblick, wo seine Gestalt von einer Wolke von Staub und Felsstücken, die auf den Steinregen folgte, verdeckt war, gab der Streifschütz ihn verloren, aber im nächsten Augenblick sah man ihn sicher in einer Höhle sitzend, die von einigen vorragenden Steinen gebildet wurde, welche dem Stoß nachgegeben hatten, triumphirend den eroberten Stengel in der Hand haltend, den er schon mit vergnügten und gewiß nicht ungeschickten Augen verschlang. Paul benutzte diese Gelegenheit, seine Richtung mit Gedankenschnelligkeit ändernd, sprang er auch auf den Posten, den Obed so sicher einnahm, machte ohne Umstände einen Schemel aus seiner Schulter, während er über seinen Schatz brütete, drang durch die von den gefallenen Steinen gemachte Bresche durch, und gewann den Gipfel. Ihm folgte Middleton, der ihm im Ergreifen und Entwaffnen der Mädchen beistand. Auf diese Art erlangten sie einen unblutigen, vollkommenen Sieg über die Citadelle, welche, wie Ismael mit Unrecht sich geschmeichelt hatte, für die kurze Zeit seiner Abwesenheit unbezwingbar hatte sein sollen.