Zwölftes Kapitel.

O, daß der Herzog von York sich könnt‘ entschuldigen.

König Heinrich VI.

 

Die Zusammenkunft der Grenzwohner am folgenden Morgen war still, dumpf und traurig. Das Mahl zu dieser Tageszeit entbehrte der unharmonischen Begleitung, womit Esther gewöhnlich ihre Gerichte würzte; denn die Wirkungen des mächtigen Schlaftrunks, welchen der Doctor ihr beigebracht, umnebelten noch ihren sonst so lebhaften Geist. Die jungen Leute machten sich über die Abwesenheit ihres ältern Bruders Gedanken, und selbst Ismael’s Braunen waren ernst zusammengezogen, als er seine forschenden Augen von einem zum andern warf, als rüste er sich, einem erwarteten Angriff auf sein Ansehen zu begegnen und ihn zurückzuschlagen. Mitten unter diesem Familienhader nahm Ellen und ihr mitternächtiger Cumpan jeder seinen gewöhnlichen Sitz unter den Kindern ein, ohne Verdacht zu erregen, ohne zu einer Bemerkung Veranlassung zu geben. Die einzige sichtbare Folge des Abenteuers, welches sie bestanden hatten, war ein gelegentliches Aufblicken von Seiten des Doctors, welches von den Beobachtern für eine von seinen gelehrten Betrachtungen des Himmels gehalten ward, aber in der That nichts weiter war, als ein verstohlenes Hinsehen nach den flatternden Wänden des verbotenen Zeltes.

Endlich entschloß sich der Auswanderer, der vergebens sich auf eine entschiedenere Darlegung des erwarteten Aufruhrs unter seinen Söhnen gefaßt gemacht hatte, seinen eigenen Plan ihnen zu erkennen zu geben.

»Asa soll mir dies ungebührliche Betragen entgelten!« bemerkte er kalt. »Da ist die liebe lange Nacht vorübergegangen, und er hat draußen gelegen in der Steppe, während sein Arm und seine Büchse uns sehr nöthig hätten sein können in einem Kampf mit den Sioux; denn was könnte er vom Gegentheil wissen?«

»Spare den Athem, Guter,« entgegnete sein Weib, denn du möchtest lange nach deinem Sohn rufen müssen, ehe er dir antwortet.«

»Es ist wahr, manche Männer sind so weibisch, daß sie die Jungen die Alten meistern lassen, aber du, Esther, solltest’s doch besser wissen, solltest nicht meinen, daß je so etwas in Ismael Busch’s Familie geschehen könnte.«

»Ei, du bist ein Tyrann gegen die Jungen, wenn es sich trifft, ich weiß es wohl, Ismael, und jetzt hast du einen von deinen Söhnen durch deinen Zorn fortgetrieben, gerade wenn du ihn am nöthigsten brauchst.«

»Vater,« sagte Abner, dessen schläfrige Natur sich allmählig zu der Kraftäußerung hinaufgewunden hatte, um so was Kühnes zu wagen, »die Jungen und ich haben einmüthig beschlossen, Asa aufzusuchen. Uns gefällt gar nicht, daß er in der Steppe campirt, statt in sein Bett zu kommen, was, wie wir wissen, er sonst gerne that.«

»Psah,« murmelte Abiram, »der Junge hat einen Bock getödet, oder vielleicht einen Büffel, und schlief bei der Beute, um die Wölfe bis zu Tage abzuhalten. Wir werden ihn bald sehen oder nach Hülfe rufen hören, um die Last hereinzubringen.«

»Ein Sohn wie meiner braucht wenig Hülfe, um einen Bock aufzuschultern oder wildes Rind zu vierteln!« entgegnete die Mutter. »Und du, Abiram, du magst so Unwahrscheinliches vorbringen, du, der selbst sagte, die Rothhäute seien noch gestern um diese Stelle herumgestreift?«

»Ich!« rief ihr Bruder hastig, als möchte er gerne seinen Irrthum zurücknehmen, »ich sagte es damals und sag‘ es noch, und so wirst du es finden. Die Teton sind in unserer Nähe, und es ist noch ein Glück für den Jungen, wenn sie ihn gut getroffen haben!«

»Mir scheint es,« sagte Doctor Battius, und sprach mit der Ueberlegung und Würde, wie man sie anzunehmen pflegt, wenn man seine Meinung durch hinlängliches Nachdenken gehörig hat reisen lassen; »mir scheint es, mir, einem Mann, der sich nur wenig auf die Zeichen und Eigenheiten der indianischen Kriegskunst versteht, besonders wie sie in diesen entfernten Ebenen ausgeübt wird, obwohl ich ohne Ruhmredigkeit sagen darf, daß ich einige Einsicht in die Geheimnisse der Natur habe; mir scheint es also, mir, der nur so wenig hierüber zu urtheilen im Stande ist, daß wenn Zweifel über eine Sache von so großer Wichtigkeit bestehen, es immer das Weiseste sein würde, sich zu vergewissern.«

Mir nichts weiter von Eurem doctern!« rief Esther grimmig, »nichts weiter von Euren Siebenfachen in einer gesunden Familie, sag‘ ich; da war ich ganz gesund, nur etwas abgespannt durch das viele Wehren unter den Kleinen, und Ihr gabt mir einen Trunk, der mir noch auf der Zunge hängt, wie ein Pfundgewicht an dem Flügel eines Sommervogels!«

»Ist die Medizin vorüber,« fragte Ismael trocken, »es muß ein rarer Verschreiber sein, der, – wenn es der Zunge der alten Esther ein schweres Gefühl macht!«

»Freund!« fuhr der Doctor fort, und winkte dem erbosten Weibe mit der Hand, stille zu bleiben, »daß sie nicht Alles wirkt, was man von ihr rühmt, davon ist gerade die Anklage der guten Frau Busch ein hinlänglicher Beweis. Aber um von dem abwesenden Asa zu sprechen. Es besteht ein Zweifel über sein Schicksal, und auch ein Vorschlag ist da, ihn zu heben. Nun, in den Naturwissenschaften ist die Wahrheit immer ein Desideratum, und ich gestehe, es möchte auch so im gegenwärtigen Fall scheinen, den man ein Vacuum wo? nennen könnte, da nach den Gesetzen der Physik einige tastbare Beweise von der Materialität da sein sollten.«

»Hört ihn nicht, hört ihn nicht!« rief Esther, als sie bemerkte, daß die Uebrigen mit einer Aufmerksamkeit ihm zuhörten, die eben sowohl von Hingebung zu seinen Vorschlägen, als von der Unverständlichkeit seines Vortrags herrühren mochte. »In jedem Wort, das er ausspricht, ist ein Schlaftrunk!«

»Doctor Battius wünschte zu sagen,« bemerkte Ellen bescheiden, »daß, da Einige von uns meinen, Asa sei in Gefahr, und Andere anders denken, die ganze Familie eine oder zwei Stunden ihn suchen sollte!«

»So, meint er das?« fiel das Weib ein, »dann hat Doctor Battius mehr Verstand, als ich geglaubt hatte. Sie hat Recht, Ismael, und was sie sagt, soll geschehen. Ich will selbst eine Büchse auf die Schulter nehmen; und wehe dem Rothhäutigen, der mir in den Weg kommt. Ich habe schon eher den Hahn losgedrückt, und zu meiner Pein schon genug den Lärm der Indianer gehört!«

Esther’s Muth theilte sich, wie der Antrieb, der ein siegreiches Kriegsgeschrei begleitet, ihren trägen Söhnen mit. Sie erhoben sich alle zugleich, und erklärten ihre Bereitwilligkeit, so kühnen Anschlag zu unterstützen. Ismael gab klüglicher Weise einem Eifer nach, dem er nicht widerstehen konnte, und in wenigen Augenblicken erschien das Weib, ihre Waffe auf der Schulter, und bereit, in Person die von ihren Nachkommen anzuführen, welche ihr folgen wollten.

»Laßt bei den Kindern zurückbleiben, wem es gefällt, und mitgehn mag, wer nicht feigherzig ist!« –

»Abiram, es geht nicht, die Hütten ohne Wache zu lassen,« lispelte Ismael, und warf seinen Blick nach oben. Der Mann, zu dem er sprach, stand, und verrieth ungewöhnlichen Eifer in seiner Antwort:

»Ich will bleiben und das Lager bewachen.«

Ein Dutzend Stimmen erhoben sich sogleich gegen diesen Vorschlag. Man brauchte ihn, um den Ort anzuzeigen, wo die feindlichen Spuren gesehen worden, und seine mannhafte Schwester tadelte offen den Gedanken als eines Mannes unwürdig. Der widerstrebende Abiram mußte nachgeben, und Ismael traf eine neue Anordnung zur Vertheidigung des Orts, der von Allen als sehr wichtig für ihre Sicherheit und Bequemlichkeit angesehen ward.

Er bot den Posten eines Commandanten dem Doctor Battius an, der jedoch peremtorisch und etwas stolz die zweifelvolle Ehre ausschlug, und dabei Blicke von ganz eigener Bedeutung mit Ellen wechselte. In dieser Verlegenheit mußte der Wanderer das Mädchen selbst zum Castellan machen, trug jedoch Sorge, als er ihr dies wichtige Amt übergab, es nicht an Ermahnungen zur Vorsicht und an Lehren fehlen zu lassen. Als diese vorgängigen Einrichtungen getroffen waren, machten die jungen Leute einige Vorkehrungen zur Vertheidigung und stellten Lärmzeichen fest, die der Schwäche und dem Charakter der Garnison angemessen waren. Mehrere Felsenmassen wurden an den Abhang der oberen Plattform gebracht und so hingelegt, daß es dem Gutdünken der schwachen Ellen und ihren Gefährten überlassen blieb, sie, wie es ihnen beliebte, auf die Häupter jedes Angreifers, der nothwendig die Anhöhe auf dem schwierigen, engen Weg, den wir schon oft erwähnt haben, hätte ersteigen müssen, hinunter zu wälzen oder nicht. Außer dieser furchtbaren Verschanzung wurden die Eingänge verstärkt und fast unzugänglich gemacht. Kleinere Wurfgeschosse, die selbst von den Händen der jüngern Kinder regiert werden mochten, die aber von der Höhe des Orts herab außerordentlich gefährlich werden konnten, wurden in Menge herbeigeschafft. Ein Haufen dürrer Blätter und Scheiter wurde wie ein Leuchthurm auf dem oberen Felsen aufgethürmt, und so ward, selbst nach dem vorsichtigen Urtheil des Wanderers, der Posten für stark genug gehalten, eine ziemliche Belagerung zu ertragen.

Sobald man den Felsen hinlänglich gesichert glaubte, machte sich der Theil, den man als den Ausfall bildend betrachten konnte, auf seinen gefährlichen Zug. Er ward von Esther in Person angeführt, die in einem halb männlichen Anzuge und eine Waffe wie die übrigen tragend, kein unpassender Häuptling für einen Haufen wilder Grenzleute schien, der ihr langsam folgte.

»Nun Abiram!« schrie die Amazone mit einer Stimme, die rauh und heiser war, aus dem einfachen Grunde, weil sie zu oft in einem zu hohen unnatürlichen Schlüssel angestrengt wurde; »nun Abiram lauf, die Nase am Boden; zeig dich als ein Hund von guter Race, und mach‘ deiner Zucht Ehre. Du sahst die Spur des indianischen Stiefels, und du mußt Andere auch so gelehrt machen. Komm, komm an die Spitze, Mann, und führ‘ uns tapfer!«

Der Bruder, welcher zu jeder Zeit eine heilsame Ehrfurcht gegen seiner Schwester Ansehen zu hegen schien, folgte, obwohl es mit so offenbarem Widerstreben geschah, daß es selbst unter den wenig beobachtenden und schläfrigen Söhnen des Auswanderers Spott erregte. Ismael selbst schritt unter seinen schlanken Kindern daher, als erwarte er nichts von dem Suchen, und sei gleichgültig für den Erfolg und das Mißlingen. Auf diese Weise marschirte der Haufen, bis die entfernte Feste so niedrig geworden war, daß sie keine größere Höhe darstellte, als irgend ein dunkler Punct am Rande der Steppe. Bisher war ihr Zug still und etwas schnell gewesen, denn da Anhöhe auf Anhöhe erstiegen und zurückgelassen wurde, ohne daß eine Abwechslung sich zeigte, oder etwas Lebendiges entdeckt ward, die Einöde zu beleben, so hatte die Eintönigkeit der Aussicht selbst Esther’s Zunge mit stets wachsender Erwartung gefesselt. Hier jedoch wollte Ismael stehen bleiben, und den Kolben seiner Büchse von der Schulter auf den Boden stoßend, bemerkte er:

»Es ist genug. Büffelspur und Wildfährte sieht man genug, aber wo sind der Indianer Fußtapfen, die du gesehen hast, Abiram?«

»Noch weiter gen Westen,« entgegnete dieser, und deutete nach der genannten Gegend. »Das war der Ort, wo ich die Fährte des Bocks traf, den ich tödtete; erst nachdem ich das Thier gejagt, kam ich auf die Tetonspur.«

»Und ein blutiges Werk hast du daraus gemacht, Mann,« rief der Auswanderer, und deutete erstaunt auf das besudelte Kleid seines Verwandten, worauf er die Aufmerksamkeit der Zuschauer, über den Gegensatz triumphirend, auf sein eigenes richtete. »Hier habe ich zwei Ziegen die Kehle abgeschnitten und einem herumstreichenden Pfau, ohne Flecken und Mackel, während du, Ungeschickter, du der Esther und den Mädchen so viele Arbeit gemacht hast, als wäre die Schlächterei dein gewöhnliches Geschäft. Kommt, Jungen; ich sage, es ist genug. Ich bin zu alt, um die Zeichen der Grenze nicht zu kennen; kein Indianer ist hier gewesen, seit dem letzten Fallen des Wassers. Folgt mir, und ich will eine Richtung einschlagen, die uns wenigstens für unsere Mühe das Fleisch einer fahlen Kuh geben soll!«

»Folgt mir,« rief Esther, und schritt unaufhaltsam vorwärts. »Ich bin heute der Anführer, und verlange Gehorsam. Wer ist auch so geschickt dazu als eine Mutter, bei einem Zug, um ihr Kind zu suchen, sich an die Spitze zu stellen.«

Ismael sah seine schwer zu behandelnde Ehehälfte mit einem nachsichtigen Lächeln an. Als er bemerkte, daß sie schon selbst einen Weg eingeschlagen hatte, der von dem Abiram’s und dem, welchen er selbst wählen wollte, verschieden war, und da er es nicht für gut hielt, gerade in diesem Augenblick die Zügel seines Ansehens zu straff anzuziehen, gab er wieder düster ihrem Willen nach. Aber Doctor Battius, der bis jetzt das Weib schweigend und gedankenvoll begleitet hatte, wollte jetzt eine schwache Stimme in einer Vorstellung erheben.

»Ich stimme mit Eurem Lebensgefährten überein, würdige, liebe Frau Busch,« sagte er, »und glaube, daß ein ignis fatuus (Irrwisch) der Einbildungskraft Abiram bei den Zeichen oder Symptomen betrogen hat, von welchen er gesprochen.«

»Symptomen, selbst Symptomen!« unterbrach ihn das Mannweib. »Das ist keine Zeit für Bücherwörter, auch kein Ort, still zu stehen, und Medizin zu verschlucken. Wenn Euch die Beine matt sind, so sagt’s wie ein aufrichtiger Mann, setzt Euch in die Steppe, wie ein lahmer Hund, und überlaßt Euch der Ruhe.«

»Das bin ich zufrieden,« entgegnete der Naturforscher ruhig, und folgte buchstäblich dem Rath der spottenden Esther, indem er kalt seinen Sitz an der Seite eines inländischen Strauchs nahm, und sogleich die Untersuchung damit begann, auf daß die Wissenschaft in keinem von ihren gerechten und wichtigen Ansprüchen zu kurz käme. »Ich ehre, wie Ihr seht, Euren kostbaren Rath, Mrs. Esther. Geht, sucht Euren Sohn auf, während ich hier weile, und das, was besser ist, verfolge, nämlich die Einsicht in die Geheimnisse des Buchs der Natur.«

Das Weib antwortete durch ein hohles, unnatürliches, verächtliches Lachen, und selbst ihre schwerfälligen Söhne, als sie langsam an dem Sitz des schon ganz vertieften Naturforschers vorüber gingen, ermangelten nicht, ihre Verachtung in bedeutendem Lächeln zu erkennen zu geben. In wenigen Augenblicken hatte der Zug die nächste Anhöhe erstiegen, und als er sich dem Abhang hinabwandte, war der Doctor allein, und seinen nützlichen Untersuchungen in gänzlicher Einsamkeit überlassen.

Noch eine halbe Stunde ging vorüber, während welcher Esther in ihrem, dem Anschein nach fruchtlosen, Suchen fortfuhr. Die Pausen wurden jedoch häufiger, ihre Blicke unsteter und ungewisser, als man Tritte durch die Gegend ertönen hörte, und einen Bock im nächsten Augenblick die Anhöhe heraufspringen. uns vor ihren Augen vorbei nach der Seite des Naturforschers hinschießen sah. So plötzlich und unerwartet war das Vorübereilen des Thiers gewesen, und so sehr war es durch die Natur des Bodens begünstigt worden, daß, ehe noch einer von den Waldleuten Zeit hatte, seine Büchse an die Wange zu bringen, es schon außer dem Bereich einer Kugel war.

»Sieh‘ dort den Wolf!« rief Abner und schüttelte unwillig den Kopf, daß er einen Augenblick zu spät gekommen. »Eine Wolfshaut wird nichts Geringes für eine Winternacht sein; ach, dort kommt der hungrige Teufel.«

»Halt,« schrie Ismael, und schlug die angeschlagene Büchse seines zu eifrigen Sohnes weg. »Das ist kein Wolf, sondern ein Hund und das von guter Race. Ah, wir haben Jäger in der Nähe; dort sind deren zwei.«

Er sprach noch, als die genannten Thiere auf der Fährte des Wildes hineilten, und sich im edlen Eifer einander zu übertreffen suchten. Der eine war ein altes Thier, dessen Kräfte nur noch durch seine Anstrengung aufrecht gehalten zu werden schienen, und der andere noch jung, welcher, während er eifrig die Jagd betrieb, mancherlei Sprünge machte. Beide liefen jedoch in großer Eile hin, und trugen die Nase hoch, ganz wie Thiere von scharfer, feiner Spürkraft. Sie waren vorüber, und würden im nächsten Augenblick mit offener Schnauze dem ansichtig gewordenen Wild nachgeeilt sein, wäre nicht der jüngere Hund plötzlich von seinem Lauf abgesprungen und in einen Schrei des Entsetzens ausgebrochen. Sein bejahrter Gefährte hielt ebenfalls und kehrte tiefathmend und erschöpft nach dem Ort zurück, wo der andere in schnellen und fast tollen Umkreisen die Stelle umlief, und sein Schreien mit kurzem, heisern Bellen fortsetzte. Aber als der ältere angelangt war, setzte er sich, erhob die Nase hoch in die Luft, und brach in ein langes, lautes, schmerzvolles Geheul aus.

»Es muß eine starke Fährte sein,« sagte Abner, der mit der übrigen Familie ein erstaunter Beobachter von den Bewegungen der Hunde gewesen war, »die zwei solche Burschen so plötzlich von ihrer Spur abbringen kann!«

»Tödte sie!« rief Abiram. »Ich schwöre der alte Hund gehört dem Streifschütz, den wir jetzt als unsern Todtfeind erkannt haben.«

Obwohl Esther’s Bruder einen so feindseligen Rath gab, schien er doch ganz und gar nicht geneigt, ihn selbst in Ausführung zu bringen. Das Erstaunen, welches sich des ganzen Haufens bemächtigt hatte, zeigte sich in seinem leeren, verwunderten Hinstarren eben so stark, als in irgend einem von den andern sich wundernden Gesichtern, die ihn umgaben. Sein Aufruf ward daher trotz seines wilden Gehalts nicht beachtet, und die Hunde ließ man dem Antrieb ihres geheimnißvollen Instinkts folgen, ohne Rückhalt, ohne Hinderniß.

Es dauerte lange, ehe einer der Zuschauer das Schweigen brach; aber der Auswanderer erlangte endlich wieder in soweit sein Ansehen, daß er das Recht erwarb, die Bewegungen seiner Kinder zu lenken.

»Kommt weg, Jungen; kommt, und laßt die Hunde ihre Noten zu ihrer eigenen Belustigung absingen;« sagte Ismael in seiner ruhigsten Weise, »Ich möchte nicht gerne einem Thier das Leben nehmen, weil sein Herr sich zu nahe an meine Ansiedelung festgesetzt hat. Kommt weg, Jungen, kommt, wir haben genug für uns selbst zu thun, ohne uns um die ganze Nachbarschaft zu kümmern.«

»Geht nicht fort!« schrie Esther in Tönen, die wie die Ermahnung einer Sibylle erschallten. »Ich sag Euch, geht nicht, meine Kinder. Das ist ein Wink und eine Warnung, und so wahr ich ein Weib und Mutter bin, will ich Alles erfahren!«

So sagend schwang das gereizte Weib des Auswanderers ihre Waffe, auf eine Art, die nicht ohne wilden geheimen Einfluß war, und ging voran nach der Stelle, wo noch die Hunde zögerten und die Luft mit ihren langgezogenen mitleidigen Klagen erfüllten. Der ganze Haufen folgte ihr, einige zu lässig, zu widerstreben, andere ihrem Willen gehorsam, und alle aufgeregt durch die ungewöhnliche Beschaffenheit des Auftritts.

»Sagt mir, Abner – Abiram – Ismael!« rief das Weib, als sie an einer Stelle stand, wo die Erde zertreten, und zerstampft und mit Blut befleckt war; »sagt mir, ihr seid Jäger, was für ein Thier hat hier seinen Tod gefunden? Sprecht! Ihr seid Männer und versteht euch auf die Zeichen der Steppe, ihr alle! Ist es das Blut eines Wolfs oder Panthers?«

»Ein Büffel, – und ein edles, kräftiges Thier ist’s gewesen!« entgegnete der Wanderer, der ruhig auf die verhängnißvollen Zeichen herab sah, die sein Weib so sonderbar rührten. »Hier sind die Zeichen der Stelle, wo er seine Hufe in die Erde gegraben, als er mit dem Tod rang, und dort hat er mit seinen Hörnern den Boden zerrissen und aufgewühlt. Ah, ein Büffelochse von wunderbarer Stärke und Muth ist es gewesen.«

»Und wer hat ihn erschlagen?« fuhr Esther fort. »Mann, wo sind denn die Stücke? Wölfe? Sie fressen die Haut nicht! Sagt mir ihr Männer und Jäger, ist das das Blut eines Thieres?«

»Der Kerl hat sich der Anhöhe hinabgestürzt,« sagte Abner, der etwas weiter als die übrigen gegangen war. »Ah, dort werdet Ihr ihn finden, in jenem Weidengehölz. Seht ein Tausend Raubvögel fliegen in diesem Augenblicke darüber hin!«

»Das Thier lebt noch,« entgegnete der Wanderer, »sonst würden die Geier auf ihren Raub herabfliegen! Nach dem Verhalten der Hunde muß es etwas von einem Raubthiere sein; ich glaube es ist der weiße Bär von den obern Wasserfällen. Sie sollen ausserordentlich zähes Leben haben.«

»Ach, laßt uns zurück gehen,« sagte Abiram, »es könnte Gefahr dabei sein, und es kann zu nichts dienen, ein Raubthier anzugreifen. Bedenk Ismael, es könnte ein gefährliches Spiel sein, und wenig dabei herauskommen!«

»Die jungen Leute lächelten bei diesem neuen Zeichen von der wohlbekannten Feigherzigkeit ihres zu empfindsamen Oheims. Der Aelteste ging selbst so weit, seine Verachtung durch beleidigende Reden zu erkennen zu geben.

»Man kann es zu dem andern Thier einsperren, das wir mit uns führen, dann können wir, beide Hände voll, in die Ansiedelungen zurückkehren, und sie sehen lassen in den vornehmen Häusern und Plätzen von Kentucky.«

Die finstere, drohende Stirn, die der Vater zusammenzog, ermahnte den jungen Mann abzulassen. Blicke, die halb rebellisch waren, mit seinen Brüdern wechselnd, hielt er’s für gut zu schweigen. Aber statt die von Abiram empfohlene Vorsicht zu beobachten, gingen sie zusammen weiter vor, bis sie wieder eine geringe Strecke von dem verdeckten Dickicht Halt machten.

Die Scene war jetzt in der That wild und schrecklich genug geworden, um einen mächtigen Eindruck selbst auf besser vorbereitete Gemüther zu machen, als es bei der Familie des Auswanderers der Fall war, die wenig solch einem erregenden Anblick zu widerstehen vermochte. Der Himmel war, wie gewöhnlich zu dieser Jahreszeit, mit dunkeln, treibenden Wolken bedeckt, unter denen unermeßliche Schwärme von Wasservögeln wieder auf den Flügeln waren, und ihren mühsamen, schweren Weg nach den fernen Wassern des Südens nahmen. Der Wind hatte sich erhoben, und fuhr wieder über die Steppe in Stürmen, denen oft zu widerstehen vergebens war, und die dann in die obere Luft sich zu versteigen schienen, als wollten sie mit den ziehenden Nebeln spielen, die ungeheure Massen von dumpfen, zerrissenen Dünsten in furchtbarer und doch erhabener Verwirrung übereinander thürmten. Ueber dem kleinen Gehölz setzten immer noch Schaaren von Vögeln ihren Flug fort und umkreisten mit schwerem Flügel die Stelle, bald gegen den Luftstrom ankämpfend, bald von ihrem Standpunkt und der Höhe begünstigt, kühne Angriffe auf das Dickicht machend, doch immer wieder erschreckt und schreiend forteilend, als würden sie durch den Anblick oder ihren Instinct gewarnt, daß die Stunde ihrer gefräßigen Herrschaft noch nicht gekommen.

Ismael stand viele Augenblicke mit Weib und Kindern in eine Gruppe zusammengedrängt voll Staunen da, in das sich auf sonderbare Weise eine gewisse Ehrfurcht gemischt hatte, in todtengleicher Stille auf den furchterregenden Ort hinstarrend. Esthers Stimme brach endlich den Zauber und erinnerte die Schauenden an die Nothwendigkeit, ihre Zweifel auf eine Männern würdigere Weise zu lösen, als durch dumpfes, unthätiges Hinschauen.

»Ruft die Hunde,« sagte sie, »treibt sie in das Dickicht, es sind genug Männer da, wenn ihr nicht den Muth verloren habt, mit dem ich weiß, ihr geboren seid, um die Wuth all‘ der Bären westlich vom großen Strom zu bezähmen! Ruf‘ die Hunde herbei, sag‘ ich, du Enoch! Abner! Gabriel! Hat euch Verwunderung taub und stumm gemacht?«

Einer der jungen Leute folgte; und als es ihm gelungen war, die Hunde von der Stelle wegzubringen, um die sie bis jetzt ohne Unterlaß herumgelaufen waren, führte er sie herunter an den Rand des Dickichts.

»Treib‘ sie hinein, Junge, hinein!« fuhr das Weib fort; »und du, Ismael und Abiram, wenn irgend etwas Gefährliches oder Verletzendes hervorkommt, dann zeigt ihm euere Büchsen, wie Grenzleute. Wenn es euch an Muth fehlt, will ich vor meinen Kindern euch beide beschämen!«

Die Jungen, welche bis jetzt die Hunde gehalten hatten, ließen die Riemen fahren, an welchen sie sie lenkten, und trieben sie durch ihren Zuruf zum Angriff. Aber es wollte scheinen; als wenn der ältere Hund durch ein ganz ungewöhnliches Gefühl zurückgehalten würde, oder als wenn er viel zu erfahren wäre, um rasch ein solches Abenteuer zu bestehen. Nachdem er einige Schritte zum Rand des Gehölzes vorgegangen war, machte er eine plötzliche Pause, und stand an allen seinen alten Gliedern zitternd, offenbar gleich unfähig zurück als vorwärts zu gehen. Die ermuthigende Zusprache der jungen Leute blieb unbeachtet, oder ward nur durch ein dumpfes, klägliches Winseln beantwortet. Für einen Augenblick machte es auch auf den jüngeren einen ähnlichen Eindruck, aber weniger vorsichtig, oder leichter erregt, ward er endlich bewogen vorwärts zu springen und dann in das Dickicht einzudringen. Ein erschrecktes, furchtsames Geheul ward gehört, und im nächsten Augenblick brach er heraus, und fing wieder die Stelle auf dieselbe wilde, unstete Art zu umkreisen an, wie vorher.

»Hab‘ ich einen Mann unter meinen Kindern?« fragte die erregte Esther. »Gebt wir ein sichereres Stück, als eine Kinderflinte, und ich will euch zeigen, was der Muth eines Grenzweibes vermag.«

»Bleibt, Mutter,« rief Abner und Enoch; »wenn du das Ding sehen willst, wollen wir dir’s vortreiben!«

Gerade so viel pflegten die Jungen selbst bei wichtigeren Gelegenheiten zu sprechen; aber als sie so ihren Plan angedeutet hatten, waren sie weit entfernt, in seiner Ausführung zurückzubleiben. Sie setzten ihre Waffen mit der äußersten Sorgfalt in Stand, und schritten dann beherzt auf das Gehölz zu. Weniger geübte Nerven, als die der jungen Grenzwohner, möchten leicht vor den Gefahren einer so ungewissen Unternehmung zurückgeschreckt sein. Als sie vorschritten, ward das Geheul der Hunde greller und klagender. Die Geier und Krähen kamen so weit herab, daß sie mit ihren schweren Flügeln die Büsche bestrichen, und der Wind strich rauh über die nackte Steppe, als wenn die Geister der Luft auch herabgestiegen wären, um bei der nahenden Auflösung zugegen zu sein.

Es war ein athemloser Augenblick, wo selbst das Blut der sonst so unbewegbaren Esther zurück nach ihrem Herzen floß, als sie ihre Söhne an den dürren Zweigen des Dickichts vorbei, sich in sein Labyrinth begeben sah. Eine tiefe, feierliche Pause folgte. Dann hörte man zweimal ein lautes, durchdringendes Geschrei, schnell auf einander, dem dann eine noch schrecklichere, entsetzendere Stille folgte.

»Kommt zurück, meine Kinder, kommt zurück!« rief das Weib, und die Gefühle der Mutter bekamen gänzlich die Oberhand in ihrem Busen.

Aber ihre Stimme versagte ihr, und alle ihre Kräfte schienen starr vor Schreck, als in diesem Augenblick das Gebüsch nochmals sich aufthat und die beiden Abenteurer wieder erschienen und, blaß und fast unempfindlich selbst, zu ihren Füßen niederlegten den steifen, regungslosen Leichnam des verlornen Asa, mit allen Zeichen eines gewaltsamen Todes nur zu deutlich in jedem blassen Gesichtszug.

Die Hunde stießen ein langes, letztes Geheul aus und brachen dann zusammen auf und verschwanden auf der verlassenen Fährte des Wilds. Die Heerde von Vögeln stieg auf gen Himmel und erfüllte die Luft mit Klagen, daß sie eines Opfers beraubt worden, das, schreckbar und entstellt, wie es war, doch noch zuviel von dem Menschenbilde an sich trug, um das Opfer ihres schmutzigen Hungers zu werden.