Neunzehntes Kapitel.

»Und wenn nicht steh’n er will?«

Shakespeare.

 

Die verschiedenen zu Ende des vorigen Kapitels erzählten Vorgange waren so schnell einander gefolgt, daß der Alte, während ihm nicht das Geringste entging, keine Zeit hatte, seine Meinung über des Fremden Beweggründe zu sagen. Als aber der Pawnee verschwunden war, schüttelte er den Kopf und murmelte, während er langsam nach der Ecke des Dickichts ging, die der Pawnee eben verlassen hatte:

»Es ist Geruch und Schall in der Luft, obgleich meine armen Sinne nicht gut genug sind, den Gehalt des einen zu erfassen oder den andern zu hören.«

»Es ist nichts zu sehen,« sagte Middleton, der dicht bei ihm stand. »Meine Augen und Ohren sind gut, und ich kann Euch versichern, daß ich nichts sehe und höre.«

»Eure Augen sind gut! Und Ihr seid nicht taub!« entgegnete der Andere etwas verächtlich; »nein, Junge, nein, sie können gut sein, durch eine Kirche zu sehen oder eine Stadtglocke zu hören; aber wenn Ihr ein Jahr in diesen Steppen erst zugebracht, werdet Ihr sehen wie Ihr einen Hahn für ein Pferd gehalten, oder fünfzigmal gemeint habt, das Brüllen eines Büffels sei der Donner des Herrn. Von Natur ist eine Täuschung in diesen nackten Ebenen, worin die Luft wie das Wasser das Bild der Dinge darstellt und es schwierig macht, die Steppen von der See zu unterscheiden. Aber dort ist ein Zeichen, das der Jäger nie verkennt.«

Der Streifschütz deutete nach einem Flug Geier, die nicht weit entfernt über die Ebene hinsegelten, offenbar nach der Seite, wohin der Pawnee sein Auge gerichtet hatte. Anfangs konnte Middleton die kleinen, dunkeln Gegenstände nicht unterscheiden, die sich an den finstern Wolken hinzeichneten; aber als sie schnell herbeikamen, wurden zuerst ihre Gestalten, dann ihre schweren, schwingenden Flügeln deutlich sichtbar.

»Hört,« sagte der Streifschütz, als es ihm gelungen war, Middleton die beweglichen Colonnen zu zeigen; »nun hört Ihr die Büffel oder Bison, wie Euer gelehrter Doctor sie zu nennen beliebt, wiewohl unter dem Namen Büffel sie bei allen Jägern dieser Gegenden bekannt sind. Nun sollte ich doch denken, daß ein Jäger ein besserer Beurtheiler eines Thieres ist und seines Namens,« fuhr er fort und winkte dem jungen Soldaten, »als jeder Andere, der nur in Büchern geblättert hat, statt auf der Erde herumzuwandern und die Namen und Naturen ihrer Bewohner aufzufinden.«

»Von ihrer Lebensweise will ich Euch das zugeben,« rief der Naturforscher, der selten eine Gelegenheit vorbeigehen ließ, um einen Punct zu verhandeln, der seine Lieblingsstudien betraf; »das heißt, immer mit der Voraussetzung, daß man Achtung hat vor dem rechten Gebrauch der Definitionen, und daß sie mit wissenschaftlichem Auge betrachtet werden.«

»Augen eines Maulwurfs sind die Augen der Wissenschaft! Als ob des Menschen Auge nicht so gut wäre, Namen zu geben, als die Augen jedes andern Geschöpfs! Wer hat die Werke seiner Hand benannt? Könnt Ihr mir das sagen mit Euern Büchern und Eurer Universitäts-Weisheit? War’s nicht der erste Mensch im Garten, und folgt daraus nicht offenbar, daß seine Kinder seine Rechte erbten?«

»Das ist freilich die mosaische Erzählung von dem Hergang der Sache,« sagte der Doctor, »wiewohl Eure Lesart viel zu buchstäblich ist.«

»Meine Lesart! Nun, wenn Ihr meint, ich hätte meine Zeit in Schulen zugebracht, thut Ihr meinem Wissen solches Unrecht, wie nie ein Sterblicher dem andern ohne hinlängliche Ursache thun sollte. Wenn ich je nach der Kunst zu lesen gestrebt habe, so geschah es, um besser die Sprüche des Buchs, das Ihr nennt, kennen zu lernen; denn es ist ein Buch, das in jeder Zeile nach dem Gefühl des Menschen spricht und mit der Vernunft übereinkommt.«

»Und glaubt Ihr also,« sagte der Doctor, ein wenig über den Dogmatismus seines störrigen Gegners entrüstet und vielleicht insgeheim zu sehr auf seine eigenen, liberaleren, wiewohl kaum so nützlichen Kenntnisse vertrauend. »Glaubt Ihr denn, daß alle diese Thiere wirklich in einem Garten beisammen waren, um in das Namenverzeichniß des ersten Menschen einregistrirt zu werden?«

»Warum nicht? Ich verstehe Euch; denn es ist nicht nöthig, in Städten zu leben, um all‘ die teuflischen Anschläge zu hören, die der Verstand des Menschen erfinden kann, um sein eigenes Glück zu zerstören. Was beweist es, ausgenommen, daß es beweisen soll, der Garten, den Er machte, wäre nicht nach der erbärmlichen Weise unserer Zeiten gewesen, wodurch denn zugleich geradezu das, was die Welt ihre Zivilisation nennt, zu Schanden wird. Nein, nein, der Garten des Herrn war der Wald damals, und ist der Wald jetzt, wo die Früchte wachsen und die Vögel singen nach seiner weisen Anordnung. – Nun, Capitain, könnt Ihr das Geheimniß der Geier durchschauen? Da kommen die Büffel selbst, und eine schöne Heerde ist es. Ich wette, der Pawnee hat einen Trupp seines Volks in einigen Schluchten in der Nähe, und da er zu ihnen geeilt ist, werdet Ihr bald eine herrliche Jagd sehen. Es wird dazu dienen, den Wanderer und seine Brut versteckt zu halten, und für uns ist wenig zu fürchten. Ein Pawnee ist nicht leicht ein boshafter Wilder.«

Jedes Auge richtete sich nun auf das reizende Schauspiel, welches folgte. Selbst die furchtsame Inez eilte an Middletons Seite, um zuzusehn, und Paul rief Ellen von ihren gewöhnlichen Küchengeschäften weg, um Zeuge des belebten Auftritts zu sein.

Während aller jener sich drängenden Vorfälle, die wir haben erzählen müssen, hatten die Steppen in majestätischer, tiefer Stille gelegen. Der Himmel war zwar schwarz vom Zuge der Wandervögel, aber die Hunde der Gesellschaft und der Esel des Doctors waren die einzigen vierfüßigen Thiere gewesen, die die weite Fläche der Wüste unten belebten. Da zeigte sich jetzt plötzlich eine Masse thierischen Lebens, die die Scene änderte, wie durch Magie, in das andere entgegengesetzte Extrem.

Einige ungeheure Bisonochsen bemerkte man zuerst, wie sie längs der entferntesten Anhöhe der Steppe hinstürzten, und dann folgten lange Reihen einzelner Thiere, auf die wieder eine dunkle Masse von Körpern kam, wo das trübfarbige Gestrauch der Steppe gänzlich in der dunkleren Decke ihrer zottigen Häute sich verlor. Die Heerde war, wie die Colonnen sich ausdehnten und drängten, gleich den endlosen Schaaren der kleineren Vögel, deren weite Reihen man so oft sich aus dem Abgrund der Himmel aufhäufen sieht, bis sie so zahllos erscheinen, wie die Blätter in jenen Wäldern, über die sie ihren endlosen Flug hinsteuern. Wolken von Staub stiegen in kleinen Massen aus der Mitte des Haufens auf, wenn einige Thiere, wilder als die übrigen, die Ebene mit ihren Hörnern durchfurchten, und von Zeit zu Zeit ward ein tiefes, hohles Brüllen vom Wind herübergetragen, als wenn tausend Kehlen ihre Klagen in unharmonischem Murren ausstießen.

Langes, sinnendes Schweigen herrschte in der Gesellschaft, als sie auf das Schauspiel wilder, ganz eigener Größe hinstaunten. Endlich ward es von dem Streifschützen unterbrochen, der, lange an ähnlichen Anblick gewöhnt, weniger seinen Einfluß fühlte, oder vielmehr ihn nicht so ergreifend und hinreißend fand, als die, denen der Auftritt neuer war.

»Da gehn zehntausend Ochsen in einem Trieb, ohne Aufseher, ohne Herr, Ihn ausgenommen, der sie erschuf, und ihnen die offenen Ebenen gab zur Weide! Ja hier mag der Mensch Beweise für seine Nichtigkeit und Thorheit finden! Kann der stolzeste Statthalter in all den Staaten auf seine Felder gehen und einen edleren Ochsen schlachten, als hier dargeboten wird der geringsten Hand; und wenn er sein Essen erlangt hat, kann er es mit solcher Lust verzehren, als der, der sein Mahl durch gesunde Arbeit gewürzt und es nach dem Gesetz der Natur sich erworben hat, indem er rechtlich sich dessen bemeisterte, was der Herr vor ihn gestellt!«

»Wenn die Suppenschüssel von einem Büffelschlegel dampft, antwort‘ ich: nein,« fiel der üppige Bienenjäger ein.

»Ja, Bursche, Ihr hab’ts versucht, und die klaren Beweise davon gefühlt. Aber die Heerde kommt etwas hierher zu, und es ist gut, wenn wir uns auf ihren Besuch vorsehen. Wenn wir uns Alle verstecken, wird das Hornvieh durch das Gehölz brechen, und uns zertreten, wie sich krümmende Würmer. So wollen wir nur die Schwächlichen bei Seite thun und vornen Posto fassen, wie es Männern und Jägern geziemt.«

Da nur wenig Zeit übrig war, um die nöthigen Vorkehrungen zu treffen, machte sich die ganze Gesellschaft mit Ernst daran. Inez und Ellen wurden an das Ende des Dickichts auf der von der nahenden Heerde entferntesten Seite hingestellt. Asinus kam in die Mitte, mit Rücksicht auf seine Nerven, und dann theilten der Alte, mit seinen drei männlichen Gefährten sich so ein, wie sie es für nöthig hielten, um die Spitze der stürmenden Colonne wegzuwenden, sollte sie etwa ihrer Position zu nahe kommen. Nach den unsichern Bewegungen einiger fünfzig oder hundert Ochsen, die vorangingen, blieb es zweifelhaft für einige Augenblicke, welchen Weg sie einzuschlagen gedächten. Aber ein furchtbares, schreckliches Gebrüll, das hinter der Staubwolke herkam, die sich im Mittelpunkt erhob, und das wild beantwortet ward von dem Geschrei der Raubvögel, die freudig gerade über dem fliehenden Trieb hinsteuerten, schien ihrer Flucht einen neuen Antrieb zu geben, und mit einem Mal jedes Zeichen von Unentschlossenheit zu entfernen. Gleichsam mit Freuden die geringsten Zeichen von dem Wald aufsuchend, schlug die ganze erschreckte Heerde standhaft ihre Richtung gerade nach dem kleinen Buschwerk ein, das schon so oft benannt worden ist.

Die Gefahr nahm jetzt in der That einen Charakter, daß sie die größte Standhaftigkeit hätte versuchen können. Die Reihen der finstern, sich bewegenden Massen hatten sich so genähert, daß sie eine krumme Linie um die Fronte bildeten, und jedes trotzige Auge, das aus der rohen Wildheit von Haarbüscheln hervorlugte, womit das ganze Haupt der Ochsen verhüllt war, richtete sich in toller Angst auf das Dickicht. Es schien, als wenn jedes Thier seinen Nächsten überholen wollte, um diesen gewünschten Schlupfwinkel zu gewinnen, und da Tausende im Nachzug blindlings die vornen drängten, war die Gefahr nahe, daß die Anführer der Heerde auf die versteckte Gesellschaft gestürzt werden könnten, in welchem Fall der Untergang Aller gewiß war. Jeder unserer Abenteurer fühlte das Bedenkliche seiner Lage nach seinem besonderen Charakter und seinen Umständen.

Middleton war unschlüssig. Manchmal fühlte er sich geneigt, durch das Gebüsch zu stürzen, Inez zu ergreifen und die Flucht zu versuchen. Dann bedachte er die Unmöglichkeit, der wilden Eile eines erschreckten Bisons zuvorzukommen, und griff nach den Waffen, als sei er entschlossen, der zahllosen Menge des Triebs die Spitze zu bieten. Die Geisteskräfte des Doctor Bantus waren bis zum höchsten Grade von Geistesbethörung gesteigert. Die dunkeln Formen der Heerden verloren ihre Begrenzung für’s Auge, und nun begann der Naturforscher sich einzubilden, er sähe eine wilde Sammlung aller Geschöpfe der Welt, die in einem Haufen auf ihn eindrangen, gleichsam die mannichfache Unbill zu rächen, welche im Lauf seines Lebens voll unermüdlichen Eifers für die Naturwissenschaften er gegen ihre verschiedenen Generus verübt hatte. Die Lähmung, die dies in seinem System verursachte, war gleich der Wirkung des Alps. Eben so unfähig, zu fliehen, als vorzuschreiten, stand er auf der Stelle angewurzelt, bis die Täuschung so vollständig wurde, daß der würdige Naturforscher in einem verzweifelten Versuch wissenschaftlicher Entschlossenheit selbst die verschiedenen specimina zu classificiren begann. Auf der andern Seite schrie Paul und rief Ellen, sie solle kommen und ihm im Schreien beistehen, aber sein Ruf verlor sich im Brüllen und Trampeln der Heerde. Wüthend und doch sonderbar erregt von der Störrigkeit des Viehs und der Wildheit des Anblicks, und fast toll vor Theilnahme und einer Art bewußtloser Beängstigung, worin die Ansprüche der Natur sich seltsam mit der Besorgnis? für seine Geliebte mischten, zersprengte er sich beinahe die Kehle in Aufforderungen gegen seinen bejahrten Freund, der einschreiten sollte.

»Kommt herbei, alter Streifschütz,« schrie er, »mit Euren Steppenkünsten, oder wir werden Alle unter einem Berge von Büffelschenkeln erstickt werden!«

Der Alte, welcher die ganze Zeit über, auf seine Büchse gelehnt, dagestanden, und die Bewegungen der Heerde mit festem Auge bewacht hatte, hielt es jetzt für Zeit, einen Schlag zu thun. Er richtete sein Gewehr auf den vordersten Ochsen mit einer Behendigkeit, die seiner Jugend würde Ehre gemacht haben, und feuerte. Das Thier empfing die Kugel auf das struppichte Haar zwischen seinen Hörnern und fiel auf seine Kniee nieder, aber das Haupt schüttelnd stand es alsbald wieder auf, und gerade der Stoß schien seine Anstrengung zu erhöhen. Es war nicht länger Zeit zum Zaudern. Er warf seine Flinte weg, streckte seine Arme aus, und trat unbewaffnet aus dem Versteck hervor, gerade auf die heranrauschende Säule der Thiers hin.

Die Gestalt des Menschen, wenn von Muth und Festigkeit unterstützt, die der Verstand allein geben kann, verfehlt selten, allen geringeren Thieren der Schöpfung Ehrfurcht zu gebieten. Die Seitochsen wichen zurück, und für einen Augenblick trat plötzlicher Stillstand in ihrer Eile ein; eine dichte Masse von Körpern häufte sich an der Spitze auf, bis Hunderte sich auf der Ebene zerstreuten. Dann erschallte ein zweites hohles Gebrüll vom Nachzug her, und setzte die Heerde wieder in Bewegung. Die Spitze der Säule jedoch theilte sich, da die unbewegliche Gestalt des Streifschützen sie gleichsam in zwei vorübergleitende lebendige Ströme zerspaltete. Middleton und Paul machten sich sogleich das ihnen gegebene Beispiel zu Nutz, und streckten die schwachen Schranken durch eine ähnliche Stellung aus.

Für einige Augenblicke diente der frische Eindruck, den die Thiers an der Spitze empfangen hatten, zum Schutz des Dickichts. Aber als die Hauptmasse der Heerde mehr und mehr die offene Linie ihrer Vertheidiger drängte und der Staub dichter ward, so daß er ihre Gestalten verdeckte, erneuerte sich in jedem Augenblick die Gefahr, die Thiere möchten durchbrechen. Der Streifschütz und seine Gefährten mußten immer wachsamer werden, und sie wichen allmählich vor der heranstürmenden Menge zurück, als ein Ochse wüthend so nahe an Middleton vorbeistürzte, daß er ihn berührte, und dann durch das Dickicht mit der Schnelligkeit des Windes hinsauste.

»Steht fest; laßt Euer Leben für den Stand,« rief der Alte, »oder ein Tausend von den T – ln werden ihm folgen!«

All die Anstrengungen jedoch würden gegen den lebendigen Strom vergebens gewesen sein, hätte nicht Asinus, dessen Revier so frech verletzt worden war, seine Stimme im Aufruhr erhoben. Die störrigsten, wüthendsten der Ochsen zitterten bei diesem erschreckenden und unbekannten Geschrei, und dann sah man jedes einzelne Thier wie toll von eben dem Gebüsch sich wegdrängen, das einen Augenblick vorher sie mit demselben Eifer zu erreichen gestrebt hatten, mit dem der Mörder das Asyl der Kirche sucht.

Als der Strom sich theilte, ward die Stelle licht, da die zwei dunkeln Colonnen sich seitwärts von dem Gehölz wegbewegten, um sich eine Meile entfernt an der entgegengesetzten Seite zu vereinigen. Sobald der Alte die plötzliche Wirkung bemerkte, die die Stimme des Esels hervorgebracht hatte, lud er kalt seine Büchse wieder, und überließ sich zugleich seiner so eigenen, herzlichen, stillen Munterkeit.

»Da gehen sie wie Hunde, denen man halbgefüllte Pulverschlage an den Schwanz gebunden, und man braucht nicht zu fürchten, daß sie ihre Ordnung ändern werden; denn was die Thiere im Nachzug nicht mit eigenen Ohren hörten, werden sie so ansehen, als hätten sie’s gehört; wenn sie aber auch ihren Beschluß änderten, wird es nicht schwer halten, den Jakob zu bewegen, daß er sein Lied ferner singt!«

»Der Esel hat gesprochen, aber Bileam schweigt,« schrie der Bienenjäger, der nach einem wiederholten Ausbruch geräuschvollen Lachens, das vielleicht den panischen Schrecken der Büffel noch vermehrt haben mochte, mühsam nach Athem schnappte; »der Mann ist so ganz stumm, als wenn ein Schwarm junger Bienen sich an die Spitze seiner Zunge gehängt hatte, und er aus Furcht vor ihrer Antwort nicht sprechen wollte.«

»Wie nun, Freund,« fuhr der Streifschütz fort und wandte sich zu dem immer noch regungslosen und starren Naturforscher; »wie nun, Freund, seid Ihr, der sein Leben darauf verwendet, die Namen und Naturen der Thiere des Feldes und der Vögel der Luft zu notiren, über eine Heerde springender Büffel erschreckt? Wiewohl Ihr vielleicht geneigt seid, mir mein Recht streitig zu machen, sie bei einem Namen zu nennen, der im Mund jedes Jägers und Handelsmannes auf der Grenze ist?«

Der Alte betrog sich jedoch, wenn er meinte, er könne den betäubten Doctor aufreizen, indem er mit ihm einen Streit über diesen wichtigen Satz anfinge. Von dieser Zeit an hörte man ihn nur noch bei einer Gelegenheit ein Wort aussprechen, das die Species oder das Genus des Thiers anzeigte. Er verweigerte sich hartnäckig die nährende Nahrung der ganzen Ochsfamilie, und selbst bis auf diese Stunde, wo er in aller wissenschaftlichen Würde und Sicherheit eines Gelehrten in einer der Seestädte angestellt ist, kehrt er mit einem Schauder jenen köstlichen, unvergleichlichen Fleischspeisen den Rücken, die so oft auf dem Tische der Innung gesehen werden, und denen nichts gleich kommt, was unter demselben Namen in den gerühmten Gasthäusern zu London oder den berühmtesten der Pariser Restaurateurs aufgetragen wird. Kurz der Widerwille des würdigen Naturforschers gegen Rindfleisch war dem nicht unähnlich, welchen der Schäfer manchmal in seinem strafbaren Hund erregt, indem er ihn bindet und fesselt, und ihn dann zum Schemel der ganzen Heerde macht, die er bei einer Mauer oder an einer Oeffnung der Hürde über ihn hintreibt; ein Experiment, welches, wie man sagt, in dem Schuldigen eine Art Abscheu vor Schöpsfleisch für immer erregt. Als Paul und der Streifschütz endlich die Scherze einzustellen für gut fanden, welche die fortgesetzte Geistesabwesenheit ihres gelehrten Gefährten immer noch veranlaßte, fing er wieder zu athmen an, als sei die unterbrochene Thätigkeit seiner Lungen durch die Anwendung eines Paares künstlicher Blasbälge wieder erneuert worden, und gebrauchte das nachher für immer verbannte Wort, auf welches wir eben hingedeutet haben.

» Boves Americani horridi!« rief der Doctor, und legte großen Nachdruck auf das letzte Wort, worauf er wieder stumm blieb, als wenn er über seltsamen, unerklärlichen Begebenheiten brütete.

»Ja, horrende Augen genug, das will ich gern zugeben,« entgegnete der Streifschütz; »aber so schreckhaft die Wichte auch aussahen, wenn man den Anblick und das Gewühl des natürlichen Lebens nicht gewöhnt ist, so ist doch der Muth des Thiers keineswegs seinem Aeußern gleich. Himmel, Mann, wenn Ihr einmal hübsch von einer Brut gräulicher Bären überfallen würdet, wie das mir und dem Hektor am großen Fall des Miss – Ah, da kommt das Ende der Heerde, und dort geht ein Gang hungriger Wölfe, bereit, die Schwachen wegzuschnappen, oder einen abgesonderten Ochsen zu überfallen. Ha, da sind auch berittene Männer auf ihrer Spur, so wahr ich ein Sünder bin; da, Junge, da könnt Ihr sie sehen, gerade da, wo der Staub vom Wind zerstreut wird. Sie schwärmen um einen verwundeten Büffel und machen dem armen T–l mit ihren Pfeilen den Garaus!«

Middleton und Paul erhaschten einen Strahl von der dunkeln Gruppe, die das schnelle Auge des Alten so leicht entdeckt hatte. Einige fünfzehn oder zwanzig zu Pferde sah man wirklich in schnellen Umkreisen um einen edeln Ochsen reiten, der ihnen die Spitze bot, zu schwer verwundet um zu fliehen, und doch dem Anschein nach nicht willig, sich zu ergeben, obwohl sein rauher Körper die Zielscheibe von hundert Pfeilen gewesen. Ein Lanzenstoß von einem kräftigen Indianer aber vollendete die Eroberung, und das Thier gab den widerstrebenden Geist mit einem Gebrüll auf, das widerhallend zur Stelle drang, wo unsre Abenteurer standen, und die Ohren der erschreckten Heerde erreichend, ihrer Flucht neuen Antrieb gab.

»Wie der Pawnee so gut die Philosophie einer Büffeljagd kannte!« sagte der Alte, nachdem er die belebte Scene mit augenscheinlicher Zufriedenheit einige Minuten betrachtet hatte. »Ihr saht, wie er dem Winde gleich vor dem Trieb wegeilte, es geschah, um die Luft nicht zu verderben und sie von der Seite anzugreifen Ha!

Was ist das? Dort die Rothhäute sind keine Pawnee! Die Federn auf ihren Köpfen sind von den Flügeln und Schwänzen der Eulen. Ah, so wahr ich nur ein armer, halbsichtiger Streifschütz bin, es ist eine Bande verd–ter Sioux! In’s Versteck, Jungen, in’s Versteck! Ein einziger Blick hierher würde uns jedes Kleidungsstückes berauben, so gewiß, als der Blitz den Baum abschält, und selbst unser Leben möchte nicht sehr sicher sein.«

Middleton hatte sich schon vom Schauplatz weggewendet, um zu suchen, was ihm besser gefiel, den Anblick seiner jungen, schönen Braut, Paul ergriff den Doctor bei’m Arm, und da der Streifschütz so schnell wie möglich folgte, war die ganze Gesellschaft bald im Schutz des Dickichts versammelt. Nach einigen kurzen Erklärungen über die Art der neuen Gefahr setzte der Alte, dem die Pflicht geworden, seiner großen Erfahrung wegen alle ihre Schritte zu leiten, folgendermaßen seine Rede fort:

»Dies ist ein Land, wie ihr Alle wissen müßt, wo ein starker Arm weit besser ist, als das Recht, und das Gesetz der Weißen eben so wenig bekannt als nöthig ist. Deßwegen hängt jetzt Alles von Klugheit und Kraft ab. Wenn,« fuhr er fort und legte seinen Finger auf seine Wange, als wenn er tiefsinnig die verzweifelte Lage von allen Seiten betrachte, »wenn wir etwas erdenken könnten, was diese Sioux und des Auswanderers Brut hinter einander bringen könnte, dann könnten wir herbeikommen und, wie die Krähen nach einem Gefecht zwischen den Thieren, den Kampfplatz uns zu Nutz machen, – auch sind Pawnee in der Nähe; das ist gewiß, denn jener Junge würde ohne einen Auftrag sich nicht so weit von seinem Dorfe entfernt haben. Hier und da sind wir vier Parteien auf Kanonschußweite entfernt, von denen keine der andern trauen kann. All das macht eine Bewegung schwierig, besonders da Verstecke nicht im Ueberfluß sind. Aber wir sind drei wohlbewaffnete, und ich darf sagen muthige Männer.« »Vier,« fiel Paul ein.

»Wie!« sagte der Alte und sah zum ersten Mal seine Gefährten an.

»Vier,« wiederholte der Bienenjäger und deutete auf den Naturforscher.

»Jede Armee hat ihre Nachzügler und Marodeurs,« entgegnete der barsche Grenzmann. »Freund, es wird nöthig sein, den Esel zu schlachten.«

»Den Asinus schlachten! Solch eine That würde eine Handlung unnöthiger Grausamkeit sein.«

»Ich verstehe nichts von Worten, die ihren Sinn in Schall einhüllen; aber das ist grausam, was einen Christen einem Thiere opfert. Das ist’s, was ich den Grund der Barmherzigkeit nenne. Es würde gerade so sicher sein, in die Trompete zu stoßen, als das Thier nochmals seine Stimme erheben zu lassen, besonders, da es offenbar eine Herausforderung der Sioux sein würde.«

»Ich will für Asinus Diskretion stehen; er spricht selten ohne Ursache.«

»Man sagt, man könne Jemand aus seinen Umgang kennenlernen,« entgegnete der Alte, »und warum nicht auch ein Thier? Ich machte einst einen forcirten Marsch und hatte viele Gefahren mit einem Begleiter zu bestehen, der nie den Mund aufthat, als um zu singen, und viel Mühe und Kummer machte mir der Bursch. Es war gerade in jenem Geschäft mit Eurem Großvater, Capitain. Aber der Begleiter hatte eine menschliche Kehle und wußte bei Gelegenheit sie wohl zu gebrauchen, obwohl er es nicht immer für nöthig hielt, die für sein Schreien passende Zeit zu beachten. Ach wenn ich jetzt wäre, was ich damals war, eine Bande diebischer Sioux sollte mich nicht leicht aus einer Lagerung wie diese vertreiben! Aber was hilft das Rühmen, wenn Gesicht und Stärke fehlen. Der Krieger, den die Delawaren einst nach dem Falken nannten, der Schärfe seiner Augen wegen, würde jetzt besser nach dem Maulwurf benennt. Nach meinem Urtheil also, wird es gut sein, das Thier zu schlachten.«

»Da ist Beweis und gute Logik,« sagte Paul; »Musik ist Musik, und immer geräuschvoll, komme sie von einer Fidel oder einem Esel; deßhalb stimme ich dem Alten bei, und sage, tödtet den Esel.«

»Freunde,« sagte der Naturforscher und sah mit traurigem Auge von einem zum andern seiner blutgierigen Gefährten; schlachtet Asinus nicht; er ist Specimen von seiner Art von dem viel Gutes und wenig Böses gesagt werden kann. Abgehärtet und gelehrig nach seinem Genus; enthaltsam und geduldig nach seiner niedern Species. Wir sind zusammen gereift, und sein Tod würde mich betrüben. Wie würde es dich beunruhigen, verehrungswürdiger Jäger, wenn du auf so gewaltsame Art dich von deinem treuen Hund trennen solltest?«

»Das Thier soll nicht sterben,« sagte der Alte und räusperte sich plötzlich auf eine Art, die bewies, daß er die ganze Kraft der Appellation fühlte; »aber seine Stimme muß gedämpft werden. Binder ihm die Schnauze mit dem Halfter, und dann, denk‘ ich, können wir das Uebrige der Vorsehung überlassen.«

Mit dieser doppelten Sicherheit für des Esels Diskretion, – denn Paul band ihm sogleich auf die verlangte Weise die Schnauze, – schien der Streifschütz zufrieden. – Darauf ging er an den Rand des Dickichts zu recognosciren.

Der Lärm, welcher den Zug der Heerde begleitet hatte, war jetzt vorüber, oder wurde vielmehr in der Entfernung einer Meile von der Steppe herüberschallen gehört. Die Staubwolken hatte der Wind schon verweht, und das Auge konnte frei um sich blicken, wo zehn Minuten vorher solch ein sonderbarer Auftritt von Wildheit und Verwirrung stattgefunden hatte.

Die Sioux hatten ihre Eroberung vollendet und schienen nun, zufrieden mit dieser Vermehrung ihrer schon so reichen Beute, willens, die übrige Heerde entwischen zu lassen. Ein Dutzend blieb bei dem Leichnam, über den einige Krähen mit stetigem Fittich und gierigen Augen hin und her flogen; die übrigen ritten umher, als wenn sie weitere Beute suchten, die ihnen nach einem so zahllosen Zug in den Weg kommen könnte. Der Streifschütz maß die Gestalten und den Anzug Derer, die dem Dickicht näher kamen, mit sorgsamem Auge. Endlich zeigte er Middleton einen von ihnen, den er für Weucha hielt.

»Nun wissen wir nicht nur, wer sie find, sondern auch ihren Auftrag,« sagte der Alte und schüttelte überlegend den Kopf. »Sie haben die Spur des Wanderers verloren und sind auf der Jagd nach ihm. Die Büffel sind ihnen in den Weg gekommen, und auf ihrer Verfolgung hat ein Unstern sie gerade in offene Aussicht auf den Hügel gebracht, wo Ismael’s Brut lagert. Seht Ihr jene Vögel, die auf die Ueberbleibsel des Thiers warten, das Jene getödtet haben? Darin liegt eine Lehre für die Lebensart in der Steppe. Eine Bande Pawnee liegt im Hinterhalt gerade so gegen die Sioux, wie diese Vögel auf ihren Raub warten, und als Christenleute, die so viel zu verlieren haben, kommt es uns zu, auf Beide Acht zu geben. Ha, was bringt jene zwei schielenden Wichte zum Stehen! So wahr ich lebe, sie haben die Stelle gefunden, wo der unglückliche Sohn des Wanderers seinen Tod fand!«

Der Alte irrte sich nicht. Weucha und ein Wilder, der ihn begleitete, hatte den Ort erreicht, welcher, wie wir schon erwähnten, so schreckliche Spuren von Gewalt und Blutvergießen zeigte. Da saßen sie auf ihren Pferden und untersuchten die wohlbekannten Zeichen mit aller Kenntniß, die den Indianer auszeichnet. Ihr Forschen dauerte lang und war, wie es schien, nicht frei von Mißtrauen. Endlich erhoben Beide zugleich ein Geschrei, das kaum weniger trauernd und ergreifend war, als das, welches die Hunde vorher bei den verhängnißvollen Zeichen gemacht hatten, und das nicht verfehlte, die ganze Bande sogleich um sie zu versammeln, wie das wilde Rufen des Schakals seine Gefährten zur Jagd um ihn versammeln soll.