Neunundzwanzigstes Kapitel.

Neunundzwanzigstes Kapitel.

Der Kommandeur des Pfeils und sein halbverzückter Schiffsleutnant erreichten schweigend die Schanze. Das erste, was letzterer hier tat, war, daß er sich nach dem nahen Schiffe umsah, und zwar mit einem Blick, dessen ungewisses, bewußtlos Hin- und Herirren das Bild eines augenblicklichen Wahnsinns gab. Toch war das Fahrzeug des Rovers in dem vollen, schönen Ebenmaße seines bewunderungswürdigen Baues klar genug vor Augen. Start noch in einem Zustande der Ruhe zu liegen, hatte man, seit er es verlassen, die Vorderrahen umgeschwungen, so daß das stolze Gebäude, dessen Segel nun der Wind füllte, bereits angefangen, sich zierlich, obgleich nicht sehr schnell, vorwärts zu bewegen. Das Manöver trug indes auch nicht den fernsten Anschein eines Versuchs, die Flucht zu ergreifen. Im Gegenteil, die höheren, leichteren Segel waren alle angeschnürt, und einige ließen eben mit vieler Geschäftigkeit jene dünneren Spieren aufs Verdeck hinab, die zum Ausbreiten der zur schleunigern Flucht nötigen Leinwand durchaus unentbehrlich gewesen wären. Mit banger Besorgnis wendete sich Wilder weg von dem Anblick; gar wohl war ihm bekannt, daß dies die Vorkehrungen waren, die erfahrene Seeleute zu treffen pflegen, wenn sie beschlossen haben, im Kampfe das Äußerste zu wagen.

»Ha, ha, dort geht mein Seeheld von St. James, hat seine drei Bramsegel voll und seinen Besan heraus, als wenn er schon vergessen hätte, daß er bei mir zu Mittag essen soll, und daß sein Name auf der Kommandeursliste an dem einen Ende zu finden ist, und meiner an dem andern«, brummte der unwillige Bignall. »Doch er wird schon zu rechter Zeit wieder rechtsum machen, denk‘ ich, wenn ihm sein Appetit sagt, es sei Essenszeit. Übrigens könnte er immer in Gegenwart eines ältern im Amte seine Flagge aufziehen, unbeschadet seiner adeligen Würde. Beim Himmel, Harry, er handhabt die Rahen dort allerliebst! Na, was gibt’s, irgendeines ehrlichen Mannes Sohn ist ihm unter der Gestalt eines Premierleutnants zur Amme mit an Bord gegeben worden; da wird er uns denn bei Tische die Ohren vollprahlen, als da ist: ›Dieses mache ich auf meinem Schiffe so‹, und ›jenes leide ich auf meinem Schiffe nicht‹, und dergleichen mehr. Ha, ha, nicht wahr, Sir? Er hat einen ausgelernten Matrosen zu seinem Premier?«

»Wenig Leute,« erwiderte Wilder, »verstehen die Schifffahrtskunde besser als der Kapitän jenes Fahrzeuges in eigener Person.«

»Den Teufel auch mag er davon verstehen! Sie haben mit ihm über derlei Dinge geschwatzt, Herr Arche, und da hat er denn dem Pfeil dies und jenes abgelernt, das ist alles. Ich kann ebenso schnell hinter die Wahrheit kommen als irgendein anderer.«

»Ich versichere Sie, Kapitän Bignall, es ist höchst gefahrvoll, sich durch den Glauben an die Unwissenheit des außerordentlichen Mannes in jenem Schiffe sicher machen zu lassen.«

»Aha, nun komme ich aufs rechte Fahrwasser, in Beziehung auf seinen Charakter. Der junge Hund ist ein Spaßvogel und hat einen Matrosen aus der alten Schule, wie er es nennt, zum besten gehabt. Hab‘ ich’s, Sir? Der hat vor dieser Reise schon Salzwasser gesehen, ha, ha?«

»Die See ist fast seine Heimat; er lebt schon länger als dreißig Jahre auf dem Element.«

»Da, Harry, hat er Sie nicht übel angeführt. Ha, ha, ha! Ich habe es aus seinem eigenen Munde, daß er morgen erst dreiundzwanzig Jahre alt wird.«

»Auf mein Wort, er hat Sie hintergangen, Sir.«

»Ich weiß nicht, Herr Arche. Mich hintergehen, das ist leichter unternommen als ausgeführt. Fünfundeindrittel Dutzend Jahre mögen wohl die Füße etwas schwerfällig machen; dagegen füllen sie aber auch den Kopf mit gewichtiger Klugheit! Kann sein, daß ich eine zu geringe Meinung von der Geschicklichkeit des Junkers faßte, aber was seine Jahre anbetrifft, so kann ich mich unmöglich sehr geirrt haben. – Aber, wo zum Teufel steuert denn der Kerl hin? Will er sich erst von seiner gnädigen Frau Mama eine Vorsteckserviette holen, um sein Mittagsmahl an Bord eines Kriegsschiffes einzunehmen?«

»Sieh! Er stellt sich wirklich seewärts!« rief Wilder mit einer solchen Hast und Freude, daß ein aufmerksamerer Beobachter als sein Kommandeur Verdacht hätte schöpfen müssen.

»Was Sie sagen, ist wahr, oder ich weiß nicht mehr den Spiegel eines Schiffes von seinem Vorkastell zu unterscheiden«, erwiderte der andere etwas barsch. »Wissen Sie was, Herr Arche, ich habe große Lust, den Stutzer Respekt gegen seinen Vorgesetzten zu lehren, und ihm noch ein bißchen mehr Raum zum Rudern zu geben, um seinen Appetit zu schärfen. Ja, beim Himmel, ich will’s; mag er dann mit seinen nächsten Depeschen nach Hause auch von diesem Manöver einen Bericht abstatten. He! Braßt die Hinterrahen voll, Sir; braßt sie voll! – Da diesem ehrenwerten Jüngling beliebt, sich mit einer Schnellsegelpartie zu amüsieren, ei nu, so darf’s ihn nicht verdrießen, wenn andere dieselbe Laune haben.«

Der Leutnant der Wache, an den die Order ergangen war, gehorchte, und nach einer Minute fing der Pfeil an, sich vorwärts zu bewegen, allein in einer Richtung, die der des Delphin gerade entgegengesetzt war. – Dem alten Manne machte sein schnellfertiger Entschluß nicht wenig Freude, die er durch hundert Späße und selbstgefälliges Händereiben zu erkennen gab. Er war zu sehr mit dem eben getanen Schritt beschäftigt, um gleich wieder auf den Gegenstand, der ihm vor einigen Augenblicken der angelegentlichste war, zurückzukommen; und die beiden Schiffe, ein jedes auf seinem Striche sich leicht und stetig bewegend, hatten schon ein breites Wasserfeld zwischen sich gelassen, als er erst wieder daran dachte, das Gespräch fortzusetzen.

»So! Mag er dies in sein Logbuch eintragen, Herr Arche«, nahm der reizbare alte Teer wieder auf, indem er zu Wilder, der sich in der Zwischenzeit nicht von seinem Platze gerührt hatte, zurückkehrte. »Mein Koch versteht sich zwar nicht darauf, wie man einen Frosch schmackhaft zubereite, wer aber kosten will, ob er sonst was zubereiten könne, der muß zu ihm kommen. Beim Himmel, Junge, es wird ihm zu schaffen machen, wenn er es unternimmt, mit dieser Wendung zu uns heranzukommen. – Doch, durch welchen Zufall sind denn Sie in sein Schiff geraten? Von diesem ganzen Teil der Reise weiß ich ja noch kein Sterbenswörtchen.«

»Ich habe Schiffbruch gelitten, Sir, seit Sie meinen letzten Brief erhalten haben.«

»Wie! So ist denn der rote Patron dem Teufel endlich doch anheimgefallen?«

»Der Unfall ereignete sich in einem Schiffe aus Bristol, wo ich als eine Art von Prisenmeister angestellt war. Wahrhaftig, er hält sich langsam, aber stetig nordwärts!«

»So lassen Sie doch den jungen Stutzer laufen! Sein Abendessen wird ihm um so besser schmecken. Da sind Sie also von dem königlichen Schiffe, die Gazelle, aufgenommen worden. So: ich sehe nun schon, wie das Ganze hergegangen ist. Ja, ja, man gebe einem alten Seehund nur seinen Strich und Kompaß, so findet er seinen Weg zum Hafen, mag die Nacht noch so dunkel sein. Aber wie kam’s, Sir, daß dieser Herr Howard sich stellte, als wäre Ihr Name ihm unbekannt, als er denselben auf meiner Offiziersrolle sah?«

»Unbekannt! Schien mein Name ihm unbekannt? Vielleicht …«

»Nicht weiter davon, mein tapferer Junge, nicht weiter davon«, unterbrach Wilders besonnener, aber ebenso hitziger Kommandeur. »Mir ist dergleichen vornehme Behandlung ebenfalls widerfahren: doch wir stehen über ihnen, hoch über ihnen, mitsamt ihren Unverschämtheiten. Niemand braucht sich zu schämen, sich seinen Rang so wie Sie und ich, durch sauern, schweren Dienst, bei gutem und schlechtem Wetter, selber erworben zu haben. Zum Henker, Junge, hatte ich nicht einen dieser Emporkömmlinge einst eine ganze Woche gefüttert, und wie ich in den Straßen Londons auf ihn stoße, stiert er Ihnen nicht quer über die Straße eine Kirche an, so daß ein Einfältiger geglaubt hätte, der Gelbschnabel wisse wirklich, zu welchem Zweck ein solches Gebäude diene? Denken Sie nicht weiter daran, lieber Harry: mir sind schon ärgere Dinge passiert, ich versichere Sie.«

»Ich ging unter meinem angenommenen Namen, solange ich in jenem Schiffe war«, gewann endlich Wilder Gewalt über sich, hinzuzufügen. »Selbst die Damen, die mit mir Schiffbruch litten, kennen mich unter keinem andern.«

»Ach, das war vernünftig: so hat das junge Adelsreis am Ende doch nicht aus vornehmem Stolz Unwissenheit vorgeschützt. Na, Master Fid, wie geht’s? Du bist willkommen wieder hier auf dem Pfeil.«

»Ich habe mir die Freiheit genommen, mich beinahe selbst schon willkommen zu heißen, gnädiger Herr«, versetzte der Toppgast, der sich nicht weit von seinen beiden Offizieren etwas zu schaffen machte, offenbar, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, »’s ist ein hübsches Zimmerwerk, das dort, hat einen kühnen Befehlshaber, und derbe, wackere Mannschaft: aber was mich anbelangen tut, sintemalen ich einen Charakter zu verlieren habe, so ist’s doch mehr nach meinem Geschmack, in einem Schiffe zu segeln, das sein Patent aufweisen kann, wenn es von denen, die befugt sind, dazu aufgefordert wird.«

Die Farbe wechselte auf Wilders Wange, wie der rötlich schillernde Abendhimmel, und sein Auge nahm jede Richtung, nur die nicht, in der es dem erstaunten Blicke seines Freundes, des Veterans, begegnen mußte.

»Verstehe ich auch den Burschen nicht unrecht, Herr Arche? Jeder Offizier in der königlichen Flotte, vom Kapitän bis zum Bootsmann, das heißt nämlich, ein jeder, der nur seine fünf Sinne beisammen hat, führt zur See die schriftliche Befugnis zu seinem Amte bei sich; sonst könnte er sich leicht einmal in einer Lage befinden, die nicht minder kitzlig wäre als die eines Piraten.«

»Das ist’s ja eben, was ich sage, Sir; nur daß Ew. Gnaden durch Studia und die lange Übung besser mit Worten aufgetakelt sind. Guinea und ich haben die Sache oft hin und her besprochen, und fürwahr, Kapitän Bignall, wir sind mehr als einmal nicht wenig nachdenklich dabei geworden. ›Angenommen,‹ frug ich den Schwarzen, ›angenommen, einem der Schiffe Sr. Majestät stößt gegenwärtiges Fahrzeug auf, und es kommt zum Handgemenge und Losbrennen, was,‹ fragte ich, ›was würden zwei unseresgleichen, Guinea, bei einer solchen Bescherung tun?‹ – ›Nu,‹ sagte der Schwarze, ›wir täten bei unsere Kanonen halten, aus der Seite von Master Harry‹, sagte er; ich hatte auch nichts dawider einzuwenden, aber mit schuldigem Respekt vor seiner Gegenwart und Ew. Gnaden Ihrer muß ich gestehen, ich war so frei, hinzuzusetzen, daß, nach meiner geringen Meinung, es doch viel bequemer wäre, aus einem ehrlichen Schiffe getötet zu werden, als auf dem Deck eines Bukaniers.«

»Eines Bu … kaniers!« schrie der Kommandeur mit großen Augen und offenem Munde.

»Kapitän Bignall,« sagte Wilder, »ich habe vielleicht die von Ihnen erfahrene Nachsicht gemißbraucht, daß ich solange schwieg; doch hören Sie meine Erzählung an, ich hoffe, einige Stellen darin werden zu meiner Entschuldigung sprechen. Das Fahrzeug, das Sie dort sehen, ist das Schiff des berühmten roten Freibeuters – unterbrechen Sie mich nicht, ich beschwöre Sie bei aller Liebe, die Sie mir solange bewiesen haben, lassen Sie mich vollenden, und dann tadeln Sie, wenn Sie können.«

Wilders Worte und der männliche Ernst, mit dem er sie begleitete, hielten den aussteigenden Unwillen des ehrlichen Alten zurück. Ernst und hoch gespannt lauschte er der bündigen, aber klaren Erzählung, die sein Leutnant sich ihm zu geben beeilte; und ehe dieser noch fertig war, war auch er von jenem dankbaren, wenigstens hochherzigen Gefühl großenteils eingenommen, das den Jüngling so abgeneigt gemacht hatte, den anstößigen Charakter eines Mannes zu verraten, von dem er eine so großmütige Behandlung erfahren hatte. Einige starke, seinem Fache eigentümliche Ausrufungen der Überraschung und der Bewunderung unterbrachen wohl den Bericht hier und da; im ganzen aber zähmte er seine Ungeduld und seine Gefühle auf eine Weise, die merkwürdig genug war, wenn man das Temperament des Kapitäns in Erwägung zieht.

»In der Tat wunderbar!« rief er, als der andere geendigt hatte; »und jammerschade, daß ein so grundehrlicher Kerl ein solcher Erzspitzbube ist. Aber, Harry, bei alledem können wir ihn doch nicht frei passieren lassen; unsre Untertanenpflicht wie unsre Religion verbieten es. Wir müssen wenden und auf ihn zusteuern; wenn er mit guten Worten nicht zur Vernunft bewogen werden kann, so bleibt kein anderes Mittel als Zuschlagen, soviel ich davon verstehe.«

»Ich fürchte, unsre Pflicht läßt uns keine andere Wahl, Sir«, erwiderte der junge Mann mit einem tiefen Seufzer.

»Auch unsre Religion nicht. – Und so ist also der Schwatzhans, den er mir an Bord schickte, gar nicht einmal ein Kapitän gewesen! Aber doch hat er mich in Hinsicht auf das Äußere und das Benehmen eines Mannes von Stande nicht hintergehen können. Ich stehe dafür, es war irgendein junger Taugenichts aus guter Familie, sonst könnte er den vornehmen Wüstling nicht so gut gespielt haben. Hören Sie, Herr Arche, wir müssen versuchen, seinen Namen geheim zu halten, damit keine Schande auf seine Angehörigen falle. Unsere aristokratischen Säulen, wenn sie auch anfangen einige Sprünge und Ritzen zu bekommen, sind denn doch am Ende die Stützen des Throns, und es geziemt uns nicht, gemeine Augen zu deutlich sehen zu lassen, daß sie morsch sind.«

»Der Mann, der den Pfeil besuchte, war der Korsar selber.«

»Ha! Der rote Freibeuter auf meinem Schiff, ja sogar in meiner persönlichen Gegenwart!« schrie der alte Teer mit einer Art heiligen Abscheues. »Es gefällt Ihnen, meine Leichtgläubigkeit zum besten zu haben, Sir.«

»Ich müßte tausend Verbindlichkeiten erst aus den Augen setzen, ehe ich so dreist sein könnte. Nehmen Sie meine feierliche Versicherung, Sir, es war kein anderer.«

»Das ist unbegreiflich! Außerordentlich bis zum Wunderbaren! Außerordentlich! Seine Vermummung war sehr vollständig, ich muß es gestehen, da er imstande war, jemand zu täuschen, der sich so genau auf die Züge im menschlichen Gesicht versteht. Ich habe nichts von seinem borstigen Backenbart gesehen, nichts von seiner bestialischen Stimme gehört, kurz, bemerkte keine jener monströsen Entstellungen, die diesen Menschen auszeichnen, wie allgemein bekannt ist.«

»Alles dies sind nur Ausschmückungen, die ihm das gemeine Gerücht geliehen. Ich fürchte, Sir, die verwegensten und gefährlichsten unter der Anzahl menschlicher Laster verbergen sich oft hinter der anziehendsten Außenseite.«

»Aber der mißt ja nicht einmal seine Zolle, Sir.«

»Sein Körper ist nicht groß, allein er umfaßt einen Riesengeist.«

»Und halten Sie, Herr Arche, jenes Schiff für dasselbe Fahrzeug, das mit uns vergangenen März in den Nachtgleichen handgemein war?«

»Ich weiß es ganz gewiß.«

»Na, hören Sie, Harry, Ihretwegen will ich großmütig mit dem Schelm verfahren. Einmal ist er mir entwischt, daran war aber der Verlust einer oberen Stenge und das ungünstige Wetter schuld; doch jetzt haben wir einen guten, wirksamen Wind, auf den man mit Sicherheit rechnen kann, und eine herrliche, ruhige See. Ich brauche also bloß zu wollen, so ist er mein – denn ich denke wirklich, daß er nicht vorhat, Reißaus zu nehmen.«

»Ich fürchte, nein«, erwiderte Wilder, und verriet in den Worten unwillkürlich seine eigentlichen Wünsche.

»Kämpfen, mit der geringsten Hoffnung guten Erfolges, kann er nicht; und da er eine ganz andere Personage zu sein scheint, als ich mir ihn dachte, so wollen wir versuchen, was Unterhandlung bei ihm vermag. Wollen Sie es übernehmen, der Überbringer meiner Bedingungen zu sein? – Doch, seine Mäßigung könnte ihn vielleicht gereuen.«

»Meine Ehre zum Unterpfand, er hält Wort«, rief Wilder mit Eifer. »Lassen Sie eine Kanone leewärts lösen. Aber nicht zu vergessen, Sir, alle Zeichen müssen freundschaftliche Absichten andeuten; eine Parlamentärflagge wehe von unserm Hauptmast, so will ich mich jeder Gefahr unterziehen, um ihn in den Schoß der Gesellschaft zurückzuführen.«

»Beim heiligen Georg, es wäre wenigstens eine christliche Tat,« erwiderte der Kommandeur nach einer augenblicklichen Überlegung; »und wenn wir auch des Sieges verlustig gehen und somit nicht zu Rittern auf Erden geschlagen werden, so werden unser um so sanftere Hängematten dort oben warten.«

Kaum hatten der warmherzige und vielleicht etwas schwärmerische Kapitän des Pfeils und sein Leutnant diese Maßregel beschlossen, so trafen sie auch eifrig die nötigen Vorkehrungen, um den Erfolg zu sichern. Das Ruder wurde leewärts gelenkt; und als das Vorkastell sich dem Winde zuwendete, blitzte eine Feuersäule aus einer Pfortgate aus der Leeseite und schickte die herkömmliche, freundschaftliche Aufforderung über das Wasser, daß die, die den Pfeil regierten, den Bewohnern des andern Schiffes eine Mitteilung zu machen hätten. Zu gleicher Zeit sah man eine kleine Flagge mit schneeweißem Felde von der höchsten Spitze des Spierenwerkes wehen, während die Wimpel Englands von der Gaffel herabgelassen wurden. Eine halbe Minute tiefer Besorgnis im Busen derer, die diese Signale zu geben befohlen hatten, folgte jetzt. Indessen wurde ihrer Ungewißheit bald ein Ende gemacht. Eine Rauchwolke aus dem Fahrzeug des Rover trieb vor dem Winde, und gleich darauf erscholl der dumpfe Knall der erwidernden Kanone. Eine der ihrigen ähnliche Flagge flatterte, gleichsam wie die Fittiche einer fliegenden Taube, hoch über allen Stengentopps; dagegen war an der Spitze, wo man gewöhnlich die Farben sieht, die die Nation eines Küstenfahrers andeuten, durchaus kein Signal der Art zu entdecken.

»Der Kerl ist doch so bescheiden, in unserer Gegenwart mit nackter Gaffel zu fahren«, sagte Bignall, indem er seinen Gefährten auf den Umstand, als eine ihren Wünschen günstige Vorbedeutung aufmerksam machte. »Bis zu einer mäßigen Entfernung wollen wir auf ihn lossteuern, und dann sollen Sie das Boot besteigen.«

Diesem Entschluß gemäß wurde der Pfeil gewendet und mehr Segel beigesetzt, um die Schnelligkeit zu vermehren. Als sie innerhalb einer halben Kanonenschußweite gekommen waren, brachte Wilder seinem Obern bei, daß es ratsam wäre, nicht weiter vorzurücken, um den Anschein feindseliger Gesinnung zu vermeiden. Sogleich wurde das Boot hinab in die See gelassen und bemannt: eine Waffenstillstandsflagge vorn aufgepflanzt und dann Bericht abgestattet, daß alles bereit sei, um den Überbringer der Botschaft aufzunehmen.

»Sie können ihm diese schriftliche Auseinandersetzung unserer Streitkräfte einhändigen, Herr Arche; denn da er ein Mann ist, der Vernunft annimmt, so wird ihn dies Papier belehren, wie sehr wir im Vorteil stehen«, sagte der Kapitän, nachdem er sich in der Wiederholung seiner mannigfaltigen Instruktionen erschöpft hatte. »Ich denke, Sie können ihm immer Verzeihung für das Vergangene zusichern, wenn er nämlich in meine sämtlichen übrigen Bedingungen einwilligt; in jedem Fall aber können Sie soviel sagen, daß alle mögliche Verwendung geschehen soll, um für seine Person wenigstens eine vollständige Reinigung zu erwirken. Gott erhalte dich, Junge! Daß Sie ja nichts fallen lassen von der Havarie, die wir in der Affäre vom vergangenen März gelitten haben; denn … hm … denn die Winde der Nachtgleichen bliesen gerade etwas scharf, wie Sie wissen. Adieu! Und guten Erfolg!«

Das Boot stieß von der Seite des Schiffes ab, als er fertig war, und nach wenigen Augenblicken war Wilder, obgleich er sich zu hören anstrengte, schon zu weit, um von dem fernern guten Rat, den der Alte noch nachrief, ein Wort vernehmen zu können. Während des Ruderns nach dem noch ziemlich entfernten Korsarenschiffe hatte unser Abenteurer hinlänglich Muße, über die außerordentliche Lage, in der er sich jetzt befand, seine Betrachtungen anzustellen. Ein- oder zweimal durchzuckte seine Seele ein Schimmer von Mißtrauen in die Klugheit des Schrittes, den er zu tun im Begriff war; doch war er nur flüchtig und vorübergehend, denn die Erinnerung an die großartige Gesinnung des Mannes, dem er sich anvertraute, ließ diese Besorgnis nicht vorherrschend werden. Ungeachtet der Bedenklichkeit seiner Lage wurde doch, sowie er dem Fahrzeuge des Rover näher kam, das Interesse am Seewesen immer mächtiger, ein Interesse, das jedem echten Matrosen so charakteristisch ist und in seinem Busen selten ganz verstummt. Das vollkommene Ebenmaß der Spieren, das anmutige Auf- und Niederschweben des ganzen Gebäudes, indem es sich auf den langen, regelmäßigen Wogen, wie sie sich unter Passatwinden zu gestalten pflegen, gleich einem Seevogel wiegte, endlich das zierliche, schiefe Aufschießen der schlanken Masten, wie sie sich Bahn brachen vorwärts durch den blauen, von dem künstlich verwickelten Netzwerk der Taue durchschnittenen Äther, waren reizende Gegenstände für ein Auge, das ihre Schönheit nicht nur im ganzen fühlte, sondern auch die Anordnung jedes einzelnen Teils dieses schönen Ganzen würdigen konnte. So konnte es geschehen, daß Wilder einen Augenblick ganz vergaß, was für eine wichtige Botschaft er hatte, als das Schiff, das mit Recht darauf Anspruch machen konnte, ein Juwel des Ozeans zu sein, nun klar vor seinen Augen lag.

»Laßt einmal eure Ruder ruhen, Burschen,« sagte er, und winkte den Leuten, den Lauf des Bootes anzuhalten; »setzt die Ruder beiseite! Hast du je schöner aufschießende Masten als diese da gesehen, Master Fid, oder Segel, die herrlicher gebraßt gewesen wären?«

Der Toppmann, der an dem Hauptruder in der Pinasse saß, warf einen Blick über seine Schulter, und nachdem er sich die eine Wange mit einem Stück Rollentabak angestaut hatte, das dreist mit einem Kanonenpfropfen verglichen werden darf, ließ er sich bei einer Gelegenheit, wo so unmittelbar ein Gutachten von ihm verlangt wurde, ohne Zögern also vernehmen:

»Ich kümmere mich nicht, wer es hört, denn mag’s nu von ehrlichen Kerlen oder von Spitzbuben gehandhabt werden, so hab‘ ich doch den Vorkastellmännern aus dem Pfeil gleich in den ersten fünf Minuten, nachdem ich wieder bei ihnen angelangt war, gerade raus gesagt, daß sie einen ganzen Monat im Portsmouther Hafen liegen könnten, ehe sie einen so leichten und doch so gute Dienste tuenden Windsang zu sehen bekämen, wie der an Bord dieses Rumschwärmers. Ist doch sein unteres Tauwerk eingefädelt und schlank wie Jungfer Lene Dale, wenn sie die Stagtaljereepen an ihrem Schnürleibchen wacker angeholt hat! Da ist auch nicht ein einziger Block, der da, wo er sitzt, größer aussähe, als in dem niedlichen Mädchengesicht die Guckäugelein. Sehen Sie dort das Taugewinde an dem Fockbrassenblock? Das ist von der Hand eines gewissen Richard Fid verfertigt, und das Herz in dem großen Stag, das hat der Guinea hier eingedreht; man muß zwar bedenken, daß er nur ein Neger ist, aber nach Schiffsart ist es doch gemacht, sag‘ ich.«

»Es ist in allen seinen Teilen herrlich, das Schiff!« rief Wilder, tief Atem holend. »Zugerudert, Leutchen, Angerudert! Glaubt ihr denn, ich sei da, um die Seetiefen zu sondieren?«

Die Leute schraken zusammen bei der Hast, womit ihr Leutnant sprach, und nach einer zweiten Minute war das Boot an der Seite des Piratenschiffs. Die wilden, drohenden Blicke, die ihn trafen, als er die Planken betrat, machten ihn einen Augenblick unschlüssig, ob er sich mitten durch die Mannschaft vorwärts wagen sollte oder nicht. – Allein die persönliche Gegenwart des Freibeuters, der mit der ihm eigentümlichen, hohen, imposanten Herrschermiene auf der Schanze stand, ermutigte ihn nach einem Zaudern, das von zu kurzer Dauer war, um bemerkt werden zu können, seinen Gang fortzusetzen. Schon öffnete er die Lippe zum Sprechen, da gab ihm der andere einen Wink, worauf sich beide schweigend in die einsame Kajüte zurückzogen.

»Der Argwohn unter meinen Leuten ist wach geworden, Herr Arche«, hob der Rover, als sie allein waren, das Gespräch an und legte einen besondern, bedeutsamen Nachdruck auf den Namen des Angeredeten. »Der Verdacht regt sich unter ihnen, obgleich sie vorerst kaum wissen, was sie eigentlich glauben sollen. Die Bewegungen beider Schiffe sind nicht von der Art gewesen, wie sie sie zu sehen gewohnt sind, und es fehlt nicht an Stimmen, deren Einflüsterungen gerade nicht sehr günstig für Sie lauten. Sie haben nicht wohlgetan, Sir, daß Sie wieder zu uns zurückkehrten.«

»Ich bin auf Befehl meines Obern gekommen, und unter dem Schutze einer Parlamentärflagge.«

»Wir geben uns wenig damit ab, über die gesetzlichen Unterscheidungszeichen der Welt zu vernünfteln, und könnten leicht Ihre Rechte in Ihrer so neuen Eigenschaft verkennen. Doch«, fügte er rasch und mit Würde hinzu, »wenn Sie der Überbringer einer Botschaft sind, so darf ich wohl voraussetzen, daß sie für meine Ohren bestimmt ist.«

»Und für keine anderen. Wir sind nicht allein, Kapitän Heidegger.«

»Achten Sie auf den Knaben nicht; wenn ich will, so ist er taub.«

»Ich wünschte, die Anerbietung, die ich überbringe, Ihnen allein mitteilen zu können.«

»Dieser Mast ist nicht bewußtloser als Roderich«, sagte der andere ruhig, aber mit Entschiedenheit.

»Wohlan, so muß ich denn reden, auf jede Gefahr hin. – Der Kommandeur des Schiffes dort, angestellt von unserem königlichen Herrn, Georg dem Zweiten, hat mir befohlen, folgendes Ihrer reiflichen Erwägung vorzulegen: Unter der Bedingung, daß Sie dies Fahrzeug mit seinen sämtlichen Magazinen, Waffenrüstungen und sonstiger Kriegsmunition unbeschädigt übergeben, will er sich mit zehn aus Ihrer Mannschaft durchs Los auszuhebenden Geiseln, Ihnen selbst und noch einem Ihrer Offiziere begnügen; den Rest will er entweder in königliche Dienste aufnehmen oder ihm erlauben, auseinander zu gehen und sich einem ehrenvolleren und, wie ich wohl jetzt sagen darf, sicherern Beruf zu widmen.«

»Dies ist die Großmut eines Fürsten! Ich sollte hinknien und das Deck küssen vor einem, dessen Lippen solche Gnadenworte entströmen.«

»Ich wiederhole nur die Worte meines Vorgesetzten«, fuhr Wilder fort, und das Blut schoß nach seinen Wangen. »Was Sie selbst betrifft, so macht er sich ferner anheischig, sich höchstangelegenrlich zu verwenden, um einen Pardon zu erhalten, unter der Bedingung, daß Sie das Meer verlassen und dem Namen eines Engländers auf ewig entsagen.«

»Letzteres ist bereits geschehen; aber darf ich die Ursachen erfahren, warum man einem, dessen Name solange von den Menschen präskribiert ist, solche milde Bedingungen macht?«

»Kapitän Bignall hat vernommen, wie großmütig Sie seinen Offizier, wie zart Sie die Tochter und Witwe zweier ehemaliger Waffenbrüder behandelt haben. Er gesteht, das Gerücht habe Ihrem Charakter keine sonderliche Gerechtigkeit widerfahren lassen.«

Mit einer mächtigen Anstrengung gelang es dem Zuhörenden, den Triumph, der auf seinen Zügen leuchtete, zu unterdrücken, so daß er durchaus gelassen, ohne äußerliche Bewegung und mit einer gewissen Kälte die offenbar zum Fortfahren auffordernde Zwischenbemerkung hinwarf:

»Man hat ihn falsch berichtet, Sir.«

»Dies räumt er ohne Anstand ein. Eine Berichtigung des allgemein verbreiteten Irrtums an den gehörigen Ort ergehend, wird Gewicht genug haben, um die versprochene Amnestie für das Vergangene, ja wie er hofft, glänzendere Aussichten für die Zukunft herbeizuführen.«

»Und gibt er keinen Grund an, warum ich diese meine ganze Lebensweise so gewaltsam ändern, warum einem Element entsagen soll, das mir ebensosehr wie das, was ich atme, zum Bedürfnis geworden ist, und warum ich namentlich den vielgepriesenen Vorzug aufgeben soll, mich einen Briten zu nennen? Gibt er zu alle diesem keinen weitern Grund an als sein hohes Belieben?«

»Ja. Hier diese Beschreibung seiner Streitkräfte, die Sie, wenn Sie wollen, mit eigenem Auge untersuchen können, muß Sie überzeugen, daß Widerstand hoffnungslos sei, und wird, denkt er, Sie bewegen, seine Anerbietungen anzunehmen.«

»Und was ist Ihre Meinung?« fragte der andere mit einem vielsagenden Lächeln und ganz eigentümlichem Nachdruck, indem er die Hand ausstreckte, um das Papier in Empfang zu nehmen. »Doch ich bitte um Verzeihung«, setzte er schnell hinzu und kehrte, als er das ernste Antlitz seines Gefährten gewahr wurde, selbst zum Ernst zurück. »Ich scherze, während der Moment uns so sehr zum Gegenteil auffordert.«

Rasch durchflog er die Schrift; nur zwei oder drei Punkte, die am meisten seiner Aufmerksamkeit würdig zu sein schienen, fesselten seinen Blick etwas länger und gewannen ihm eine flüchtige Äußerung von größerem Interesse ab.

»Sie finden doch durch diese Auseinandersetzung meine Behauptung von unserer Überlegenheit bestätigt?« fragte Wilder, als das Auge des andern von dem Papier wegsah.

»Ja.«

»Darf ich nun fragen, was sie für einen Entschluß fassen auf dies Anerbieten?«

»Zuerst sagen Sie mir, welchen Rat gibt Ihr eigenes Herz? Dies ist nur die Sprache eines Dritten.«

»Kapitän Heidegger,« sagte Wilder errötend, »ich will nicht zu leugnen streben, daß ich andere Ausdrücke gewählt haben würde, hätte die Abfassung der Botschaft von mir allein abgehangen; demungeachter, bei der lebendigsten und wärmsten Erinnerung an Ihre Großmut, und als ein Mann, der mit Wissen und Willen selbst seinen Feind zu keinem entehrenden Schritt verleiten möchte, rate ich Ihnen dringend zur Annahme. Erlauben Sie mir zu sagen, daß ich schon während unseres Umganges vor kurzem nicht ohne Grund in Ihnen die Einsicht voraussetzen durfte, daß in Ihrer jetzigen Lebensweise weder der Charakter, den Sie gewiß zu verdienen wünschen, noch die Zufriedenheit, nach der alle sich sehnen, zu finden sei.«

»Ei, ei, daß ich in Herrn Heinrich Wilder einen so haarfeinen Kasuisten bewirtete, ließ ich mir in der Tat nicht träumen. Haben Sie außerdem noch etwas vorzubringen, Sir?«

»Nichts«, erwiderte der schmerzlich getäuschte Abgesandte des Pfeil.

»Doch, doch, noch etwas,« sprach eine eifrige Stimme hinter dem Rover, aber so leise, daß die Silben mehr hervorgehaucht als wirklich ausgesprochen schienen: »noch nicht die Hälfte seines Auftrags hat er ausgerichtet, oder er ist des heiligen Vertrauens zu ihm auf eine schreckliche Weise uneingedenk.«

»Der Knabe hat oft seine Träume«, unterbrach der Rover mit dem wohlbekannten, wild entstellenden Lächeln. »Er läßt zuweilen seine inhaltslosen Gedanken in äußere Gestalt heraustreten, indem er sie in Worte einkleidet.«

»Nicht inhaltlos sind meine Gedanken«, fuhr Roderich lauter und bei weitem kühner geworden fort. »Ach, wenn sein Frieden, sein Wohl Ihnen teuer ist, verlassen, verlassen Sie ihn noch nicht. Halten Sie ihm seinen hohen, ehrenvollen Namen vor; seine Jugend, jenes teure und tugendhafte Wesen, das er einst so unsäglich liebte, dessen Andenken er noch, ja noch immer, anbetet. Da Sie zu sprechen verstehen, o, sprechen Sie mit ihm von diesen Dingen; und bei meinem Leben, sein Ohr wird nicht taub, sein Herz kann nicht hart bei Ihren Worten bleiben.«

»Das kleine Wesen ist wahnsinnig!«

»Ich bin nicht wahnsinnig; oder wenn ich es bin, so ist es durch die Verbrechen, die Gefahren derer, die ich liebe. Ach! Herr Wilder, verlassen Sie ihn nicht. Seit Sie bei uns waren, ist er weit mehr wieder das, was er, ich weiß es, einst gewesen. Weg mit dieser schlecht berechneten Aufzählung Ihrer Streitkräfte; Drohungen verhärten ihn nur. Als Freund ermahnen Sie, aber hoffen Sie nichts als Diener der Rache. Sie kennen das furchtbare Gemüt dieses Mannes nicht, sonst würden Sie nicht einem reißenden Strome Einhalt zu tun versuchen. Jetzt – ach jetzt reden Sie! Sieh, sein Auge wird schon milder.«

»Aus Mitleid, Knabe, daß ich sehen muß, wie deine Vernunft wankt.«

»O, daß sie nie mehr als in diesem Augenblick gewankt hätte, Walter! Dann würde es zwischen dir und mir der Rede eines Dritten nicht bedurft haben; dann würden meine Worte beachtet, meine Stimme laut genug gewesen sein, um von dir vernommen zu werden. – Ach, warum sind Sie stumm? Eine einzige Silbe könnte ihn jetzt retten.«

»Wilder, das Kind ist durch diese Aufzählung von Kanonen und Truppen in Schrecken gejagt. Er fürchtet den Zorn Ihres gesalbten Herrn. Gehen Sie; schenken Sie ihm einen Platz in Ihrem Boot, und empfehlen Sie ihn der Gnade Ihres Vorgesetzten.«

»Hinweg, hinweg!« schrie Roderich. »Ich werde nicht, will nicht, kann dich nicht verlassen. Wer bleibt mir hienieden noch außer dir?«

»Ja,« fuhr der Rover fort, in dessen Ausdruck nicht mehr die erzwungene Ruhe, wohl aber tiefes, trauriges Nachdenken vorherrschte: »so wird es wirklich besser sein! Schauen Sie her, hier ist viel Gold; Sie werden ihn der Sorgfalt jenes vortrefflichen Weibes anempfehlen; ihr ist ja ohnedies schon ein Wesen anvertraut, kaum weniger verlassen, obgleich vielleicht weniger …«

» Schuldig! Sprich es immerhin aus, das Wort, Walter! Verdient habe ich den Zusatz, und werde nicht zittern, ihn aussprechen zu hören. Sieh,« sagte er, haschte dabei die schwere Geldbörse, die Wildern hingehalten wurde, und hielt sie mit Verachtung hoch über sein Haupt weg, »dies kann ich wegwerfen; aber das Band, das mich mit dir verbindet, soll nie zerrissen werden.«

Während des Sprechens hatte der Knabe sich einem offenen Fenster der Kajüte genähert; es ertönte das Geplätscher eines fallenden Körpers, und ein Schatz, der einem Menschen von mäßigen Wünschen ein immerwährendes Auskommen hätte sichern können, war für den Gebrauch derer, die ihm den Wert beigelegt, auf ewig verloren. Der Leutnant des Pfeil eilte herbei, um den Zorn des Rovers zu beschwichtigen; allein keine Spur von einem andern Gefühl als Mitleid konnte sein Auge auf den Zügen des gesetzlosen Häuptlings entdecken, aber ein Mitleid, so innig, daß es selbst durch sein ruhiges, unbewegliches Lächeln hindurchdrang.

»Roderich würde einen schlechten Zahlmeister abgeben«, sagte er. »Dennoch ist es nicht zu spät, ihn den Seinigen wieder zu schenken. Der Verlust des Goldes ist nicht unwiederbringlich; aber wenn ein wirkliches Leid das Kind träfe, es wäre auf immer um meinen Seelenfrieden geschehen.«

»So behalten Sie ihn in Ihrer Nähe«, lispelte der Knabe, dessen heftige Erschütterung ihn erschöpft zu haben schien. »Gehen Sie, Herr Wilder, gehen Sie; Ihr Boot wartet, längeres Bleiben ist zwecklos.«

»Das befürchte ich!« erwiderte unser Abenteurer, der während des vorhergehenden Gesprächs unaufhörlich den Blick voll männlichen Bedauerns auf das Antlitz des Knaben geheftet hielt; »sehr befürchte ich das! – Da ich indessen als Abgesandter eines Dritten hier bin, Kapitän Heidegger, so ist es nun an Ihnen, auf meinen Antrag eine zweckmäßige Antwort zu geben.«

Hierauf nahm ihn der Rover beim Arme und führte ihn an eine Stelle, von wo aus man sehen konnte, was draußen vorging. Hier zeigte er mit dem Finger hinauf auf seine Spieren, machte seinen Gesellschafter auf die geringe Anzahl Segel, die er führte, aufmerksam, und sprach diese wenigen Worte: »Sir, Sie sind Seemann, und was Sie sehen, wird Sie meine Absichten erraten lassen. – Ich werde den prahlenden Kreuzer Ihres Königs Georg weder suchen noch vermeiden.«

Dreißigstes Kapitel.

Dreißigstes Kapitel.

»Sie bringen mir die dankbare Unterwerfung des Piraten auf meine Anerbietungen!« rief der zu leicht der Hoffnung sich hingebende Kommandeur des Pfeil seinem Abgesandten entgegen, als dieser kaum mit dem Fuß das Verdeck wieder betrat.

»Ich bringe nichts als Widerstand!« war die überraschende Antwort.

»Und Sie haben mein Dokument vorgewiesen? Sie werden doch eine so wesentliche Schrift nicht vergessen haben, Herr Arche?«

»Nichts ist vergessen worden, was die wärmste Teilnahme an seiner Sicherheit nur eingeben konnte, Kapitän Bignall. Allein der Chef des gesetzlosen Schiffes dort weigert sich nichtsdestoweniger, Ihren Bedingungen zu entsprechen.«

»Er wähnt vielleicht, Sir, der Pfeil sei mit seinem Spierenwerk nicht recht imstande,« erwiderte der etwas voreilige, alte Seemann und drückte mir einem Blicke verletzten Stolzes die Lippen zusammen: »oder aber er spannt sein schnellfüßiges Schiff voll mit Segeln und meint so zu entwischen.«

»Sieht das aus wie Vorbereitung zur Flucht?« fragte Wilder, den Arm ausstreckend und auf die fast ganz entblößten Spieren und die regungslose Masse des nahen Schiffes hinweisend. »Das Äußerste, was ich erlangen konnte, ist die Versicherung, daß er nicht der angreifende Teil sein wolle.«

»Traun, beim heil’gen Georg, es ist doch ein barmherziger Jüngling! Das nenn‘ ich mir eine lobenswürdige Mäßigung, in der Tat! Er will mit seiner buntscheckigen, undisziplinierten Seeräuberhorde nicht unter die Kanonen eines britischen Kriegsschiffes rennen, weil er der Flagge seines Herrn einige Ehrfurcht schuldig ist! Lassen Sie sich was sagen, Herr Arche, den Umstand wollen wir doch erwähnen, wenn wir von den Gerichten zu Hause verhört werden. Zum Kuckuck auch mit den Narrenspossen! Die Leute an ihre Kanonen beordert, Sir, und das Schiff gehalset, sonst schickt er uns noch ein Boot an Bord, um uns über unsere amtlichen Befugnisse zu untersuchen.«

»Kapitän Bignall,« sagte Wilder, indem er seinen Kommandeur weiter wegführte, um von den Subalternen nicht gehört zu werden, »ich darf Anspruch machen, daß meine Dienste unter Ihren eigenen Augen und Befehlen einiger Berücksichtigung nicht unwert sind. Sollte mein früheres Betragen mir ein Recht zu der Kühnheit geben, einem Mann von Ihrer großen Erfahrung einen Rat zu geben, so erlauben Sie mir dringend, einen kurzen Verzug vorzuschlagen.«

»Verzug! Kann Heinrich Arche zaudern, wenn ihn der Trotz der Feinde seines Königs, ja mehr, der Feinde der Menschen, an seine Pflicht mahnt.«

»Sir, Sie mißverstehen mich. Ich zögere, damit die Flagge, unter der wir segeln, fleckenlos bleibe, und nicht aus der Absicht, ein Gefecht zu vermeiden. – Es ist unserem, wenn Sie wollen, meinem Feinde, nunmehr bekannt, daß er, im Falle des Gefangenwerdens, wegen seiner frühern Großmut nur gütige Behandlung zu erwarten habe. Dennoch, Kapitän Bignall, bitte ich um Zeit, damit ich den Pfeil auf einen Kampf, der alle seine gerühmten Eigenschaften auf die Probe stellen wird, in Bereitschaft setzen und die nötigen Anstalten treffen könne, um uns eines, gewiß nicht ohne Preis zu erlangenden Sieges zu versichern.«

»Aber wenn er nun entwischte …«

»Bei meinem Leben, er wird keinen Versuch dazu machen. Ich kenne nicht nur den Mann, sondern auch seine furchtbaren Mittel zum Widerstande. Eine kleine halbe Stunde genügt, um uns gehörig instand zu setzen, und gereicht weder unserem Mute noch unserer Klugheit zur Unehre.«

Der Veteran gab gezwungen nach, begleitete indessen die Einwilligung mit nicht wenigem Gebrumme über die Schande, daß ein britisches Kriegsschiff nicht ohne weiteres dem kühnsten Piraten auf dem Ozean Seite an Seite liefe und ihn mit einer einzigen Lunte in die Luft puffte. Wilder war aber schon au die ehrlichen seemännischen Prahlereien gewöhnt, womit die Seeleute jener Zeit ihre allerdings feste und männliche Entschlossenheit auszuschmücken pflegten; daher ließ er ihm gerne sein verdrießlich gutmütiges Poltern, und ging an Beschäftigungen, die kraft seines Ranges im Schiffe in sein Gebiet fielen, und deren Besorgung, wie er recht gut einsah, jetzt von der höchsten Wichtigkeit war.

Die Order: »All zu Hauf! Das Schiff kampffertig gemacht!« wurde nochmals ausgegeben und mit der Fröhlichkeit empfangen, womit Matrosen jeden wichtigeren Wechsel in ihrem Seeleben zu bewillkommnen gewohnt sind. Es blieb jedoch wenig zu tun übrig; denn größtenteils befanden sich alle Sachen noch in dem bereiten Zustand, in den sie bei dem ersten Begegnen beider Fahrzeuge gesetzt worden waren. Jetzt erschallte der Trommelschlag: Posten gefaßt! und die ernsteren, einen schrecklichen Anblick gewährenden Vorkehrungen zur bevorstehenden Schlacht folgten. Als man mit diesen verschiedenen Anordnungen fertig war, die Mannschaft bei ihren Kanonen, die Segelsetzer an ihren Brassen und die Offiziere auf ihren respektiven Batterien, wurden die Hinterrahen umgeschwungen und das Schiff abermals in Bewegung gesetzt.

Während dieser kurzen Zwischenzeit lag das Schiff des Freibeuters in der Entfernung von ungefähr einer Viertelstunde vollkommen ruhig und ohne den Schein, daß es sich an die unzweideutigen Bewegungen seines feindlichen Nachbars im mindesten kehre. Als aber der Pfeil dem Druck des Windes nachgab und allmählich seine Schnelligkeit vermehrte, so daß das Wasser unter seinem Vorsteven schon eine kleine, rollende Schaumwoge zu bilden begann, da fiel das Vorkastell des andern von der Richtung des Windes ab, das Bramsegel füllte sich, und der Delphin erhielt nun auch seinerseits die nötige Bewegung, um besser regiert werden zu können. Jenes breite Feld, das schon über die Gefahren und dem Blutvergießen von tausend Schlachten triumphierend geweht hatte und diesmal während der Zusammenkunft von der Gaffel des Pfeil herabgelassen war, wurde nun wieder aufgehißt. Die Flaggenspitze des Feindes wies indes kein erwiderndes Signal.

Auf diese Weise gewannen beide Schiffe einander Raum ab und bewachten sich gegenseitig mit Augen so gierig, als wären es zwei sich messende Seeungeheuer gewesen, jedes sich bemühend, den Gegner die beabsichtigte Evolution des nächsten Augenblicks nicht erraten zu lassen. Die ungewöhnlich ernste Haltung Wilders verfehlte nicht, in dem schlichten Seemann, der dem Pfeil als Kommandeur vorstand, eine entsprechende Wirkung hervorzubringen; nachgerade fühlte er sich nicht weniger als sein Leutnant geneigt, ohne Übereilung und mit gemessener Vorsicht in den Kampf zu gehen.

Wolkenlos war bis jetzt der Tag gewesen. Noch nie hatte ein reineres Blau, als das des sich während der letzten Stunden über den Häuptern unserer Seeabenteurer wölbenden Bogens, die Meereswüste angelächelt. Allein, gleichsam als zürnte die Natur ob ihres jetzigen, blutigen Vorhabens, verwischte eine finster drohende Nebelmasse die Umrisse von Himmel und Ozean, so daß beide, nach der dem stetig anhaltenden Windstrich entgegengesetzten Richtung hin, ineinander zu fließen schienen. – Nicht entgingen diese wohlbekannten, schlimmen Vorboten der Wachsamkeit derer, die die feindlichen Schiffe bemannten, doch hielt man die Gefahr noch für zu entfernt, um die Aufmerksamkeit, die allein dem nahen Kampf gewidmet war, dadurch teilen zu lassen.

»Eine Bö braut sich dort im Westen aus,« sagte der erfahrene und umsichtige Bignall und zeigte beim Sprechen auf die finsteren Symptome hin; »doch wir können schon den Piraten in die Mache nehmen und alles wieder in Ordnung haben, ehe sie sich dieser straffen Kühlde entgegengearbeitet hat.«

Wilder stimmte ihm bei; denn nunmehr schwoll auch sein Busen von hohem, seemännischem Stolze, und ein hochherziger Wetteifer erlangte die Oberhand über Gefühle, die höchstwahrscheinlich mit seiner Pflicht nicht im besten Einklang standen, wie natürlich sie auch einem dem Guten so offenen Gemüte sein mochten.

»Der Rover läßt sogar seine leichteren Masten fallen!« rief der Jüngling; »er muß dem Wetter doch gar nicht trauen.«

»Wir wollen durchaus nicht sein Beispiel nachahmen; denn er wird wünschen, sie wären wieder, wo sie gewesen sind, sobald wir ihn nur hübsch unterm Spiel unserer Batterien haben. Beim König Georg, er hat doch ein allerliebstes, munteres Boot unter sich! Losgelassen das große Untersegel, Sir, los damit, sonst haben wir Nacht, ehe wir mit dem Schelm Seite an Seite sind.«

Die Order wurde vollzogen; und nun, unter dem mächtigen Druck der vorwärtsdrückenden Segel, verdoppelte der Pfeil seine Schnelligkeit – gleich einem belebten Wesen, das sich durch Furcht oder Verlangen zu frischer Tätigkeit angespornt fühlt. Jetzt hatte er bereits eine Stellung auf der Luvseite seines Gegners gewonnen, ohne daß dieser das geringste Streben verriet, die Erreichung eines so wesentlichen Vorteils zu vereiteln. Im Gegenteil holte der Delphin bei voller Ausspannung seines großen Untersegels immer mehr von seinem obern Windfang ein und ließ auf diese Weise soviel Wucht als nur möglich von der ungeheuern Höhe seiner schlanken Masten in den sicherern Rumpf herunter. Noch immer war, der Meinung Bignalls zufolge, der Raum zwischen ihnen zu groß, um den Kampf beginnen zu können, und zu gleicher Zeit drohte die Leichtigkeit, mit der sein Gegner vor ihm hersegelte, den wichtigen Moment viel zu lange hinauszuschieben. Nicht minder bedenklich war’s, eine Masse von Segeln aufzuspannen, die, wenn das Schiff erst vom Rauch umhüllt und von der Schlacht bedrängt wurde, die Verwirrung nur vermehren mußten.

»Wir wollen ihn bei seinem Stolze fassen, Sir, da Sie ihn für einen Mann von Feuer halten,« sagte der Veteran zu seinem treuen Gehilfen: »Lösen Sie eine Kanone von der Luvseite, und weisen Sie ihm noch einige Flaggen seines Herrn.«

Der Knall des Geschützes und das schnell hintereinander folgende Aufflattern von noch drei Feldern Englands aus verschiedenen Teilen des Pfeil waren vergebens; der scheinbar empfindungslose Nachbar tat vollkommen, als habe er nichts gesehen und nichts gehört. Der Delphin verfolgte seinen Pfad, machte dann und wann einen zierlichen Satz an den Wind heran und bog gleich darauf wieder leewärts ab wie ein Meerschwein, das, längs seines salzigen Pfades träge spielend, von Zeit zu Zeit nach der Seite schnappt, um den Wind einzuschnuppern.

»Nichts, was beim regelmäßigen, gewöhnlichen Kriege als Trutzzeichen gilt, macht Eindruck auf ihn«, sagte Wilder, als er die Gleichgültigkeit sah, mit der man ihre Herausforderung aufnahm.

»Versuchen wir’s denn mit einem Schuß.«

Jetzt wurde eine Kanone gelöst und zwar aus der Seite, die dem sich noch immer zurückziehenden Delphin zugekehrt war. Der eiserne Abgesandte sprang in kleinen Bogen längs der Meeresoberfläche leicht von Woge zu Woge, spritzte eine kleine Wolke Wasserstaub aufs Deck des Feindes und schoß harmlos am Rumpfe vorüber. Ein zweiter, ein dritter folgte; vom Seeräuber war nicht das geringste Signal zu ertrotzen.

»Was ist denn das?« schrie der unwillige Bignall. »Hat er einen Zauber für sein Schiff, daß alle unsere Kugeln an ihm vorbeifliegen und ihm nur Wasser aufs Verdeck spritzen können! Master Fid, könnt Ihr denn zum Kredit ehrlicher Leute und zur Ehre einer königlichen Flagge gar nichts tun? Laßt uns doch Eure alte Geliebte wieder mal hören; sie hat vordem doch immer gewußt, wann sie sprechen sollte!«

»Ganz richtig, Sir«, erwiderte der schmiegsame Richard, dessen plötzliche Glückswechsel im Leben es wollten, daß er sich jetzt als Kanonier an einem Stücke Geschütz befand, das er ausnehmend liebte und lange blank zu putzen pflegte. »Ich habe die Kanone nach Jungfer Schwatz-Käthe getauft, Ew. Gnaden, weil die eine wie die andere keines Dritten bedarf, wenn’s zu reden gilt. Itzo, beiseite gestanden, Jungens, und laßt die Schwatz-Käthe auch eins mitsprechen.«

Richard hatte während des Sprechens mir großer Ruhe sein Ziel genommen, legte nun mit eigener Hand die Lunte an, und schickte mit einer Besonnenheit, die für einen bloßen Söldling höchst rühmlich zu nennen war, einen »völligen Gradausmarschierer«, wie er mit großem Selbstvertrauen den Schuß nannte, quer übers Wasser seinen ehemaligen Kameraden zu. Nun folgten wie gewöhnlich ein paar Augenblicke der Erwartung, dann aber verkündigten die in der Luft umhergeschleuderten Fetzen, daß die Kugel durch das Segelwerk des Delphin gegangen war.

Augenblicklich, fast zauberhaft, war die Wirkung! So plötzlich, wie wenn ein Vogel seine ausgebreiteten Fittiche schließt, verschwand ein langer Streifen von milchweißer Leinwand, der längs der Linie der Kanonenpforten vom Vorsteven bis zum Spiegel künstlich ausgespannt war, und enthüllte einen breiten, blutroten Gürtel, aus dem die Kanonenschlünde des Schiffes hervorgähnten. Zugleich stieg eine Fahne von derselben unheilverkündenden Farbe über dem Hüttendeck empor, finster und wild bis an die Gaffelspitze hinanflatternd.

»Jetzt gibt er sich kund als den Schurken, der er ist!« schrie der aufgeregte Bignall. »Seht! Er hat die falsche Schminke abgewischt und fletscht jetzt mit dem wohlbekannten blutigen Rachen, von dem er seinen Namen hat. Haltet euch bei euern Kanonen, Leute! Der Pirat scherzt nun nicht mehr.«

Noch hatte er nicht ausgesprochen, als längs des roten Streifens, dessen Wirkung auf die abergläubische Furcht der gemeinen Matrosen so gut berechnet war, ein leuchtendes Flammenmeer hervordrang und gleich darauf der gleichzeitige Knall aus fast einem Dutzend weitmäuliger Kanonen. Kein Herz war so kühn an Bord des königlichen Kreuzers, auf das der grelle Wechsel von Achtlosigkeit und Gleichmut zu dieser Tat kühner und entschiedener Feindseligkeit nicht eine starke Wirkung gemacht hätte. In Blick und Haltung regungslos und tief gespannt brachte jeder den Augenblick der Ungewißheit zu. Jetzt hörte man den eisernen Sturm klappernd durch die Lüfte schrecklich heranrauschen; und nun verkündigte ein Krach, vermischt mit Menschengestöhn, und schnell darauf das Geknarre zerschmetterter Planken, das Umherfliegen von tausend Hölzern, Tauen, Blöcken und Kriegsgeräte, mit welcher verhängnisvollen Genauigkeit die volle Lage gezielt war. – Allein nur einen Augenblick dauerte der Schreck und die ihn begleitende Verwirrung. Männlich und rasch von dem allerdings empfindlichen Stoß sich erholend, schickten die Engländer mit hellem Hurrageschrei dem todverbreitenden Angriff eine Erwiderung zurück.

Jetzt folgte die regelmäßigere Kanonade eines gewöhnlichen Seegefechtes. Begierig, den Ausgang zu beschleunigen, drangen beide Schiffe während des Schießens näher aneinander, bis nach wenigen Augenblicken das doppelte weißliche Rauchgewölke, das die Massen eines jeden der Schiffe umwirbelt hatte, in eines zusammenfloß und inmitten einer Szene weitumhin auf den glänzenden Wellen schlummernde Stille den einsamen Fleck blutigen Zwistes bezeichnete. Heiß, dicht und Schlag auf Schlag, war das Kanonenfeuer. Wie sehr sich aber auch die feindlichen Parteien gleichkamen in dem Wetteifer, Zerstörung um sich her zu verbreiten, so erhielt sich doch ein eigentümlicher Unterschied zwischen ihnen, der auf die Charakterverschiedenheit beider Mannschaften hinwies. Lautes, ermunterndes Geschrei begleitete jede volle Lage des gesetzlichen Seefahrers, während die Leute des Rovers ihr mörderisches Werk mit der Totenstille der Verzweiflung fortsetzten.

Das Getös, der allgemeine Aufruhr der Szene strömte neues Leben in das Blut des Veteranen Bignall, dessen Kreislaus das Alter etwas minder feurig gemacht hatte.

»Der Kerl hat seine Kunst nicht vergessen!« rief er, als sich die Geschicklichkeit seines Feindes nur zu deutlich in den zerfetzten Segeltüchern, zersplittertem Spierenwerk und wankenden Masten seines Schiffes zu zeigen anfing. »Hätte er nur die königliche Bestallung in seiner Tasche, so könnte man ihn dreistweg einen Helden nennen!«

Der Augenblick war zu drangvoll, um die Zeit mit Worten zu vergeuden. Wilder antwortete nur durch Zurufen an seine Leute, sie zu ihrem gräßlichen und mühevollen Geschäft aufmunternd. Beide Schiffe hatten nunmehr eine solche Stellung gewonnen, daß sie nebeneinander vor dem Winde liefen, dabei aber nicht aufhörten, Flammensäulen auszuspeien, die die ungeheuren Rauchwirbel durchleuchteten. – Nichts blieb von den Schiffen sichtbar als die Spieren, und auch diese in häufig durchbrochenen Linien. So waren viele Minuten verflossen, die den Kämpfenden freilich nur wie ein Augenblick erschienen; da gewahrte die Mannschaft auf dem Pfeil, daß sich ihr Schiff nicht mehr mit der ihrer Lage so nötigen Leichtigkeit regieren ließ. Der wichtige Umstand wurde auf der Stelle vom dritten Offizier Wildern und von diesem dem Kapitän rapportiert. Eine eilige Beratung über die Ursache und Folgen dieses unerwarteten Ereignisses war natürlich das, wozu unmittelbar geschritten wurde.

»Schauen Sie!« schrie Wilder; »schon flappen die Segel gleich Lumpen gegen die Masten; die Artillerie der Schiffe hat den Wind unwirksam gemacht.«

»Horch!« antwortete der erfahrenere Bignall, »da dröhnt die Artillerie des Himmels zwischen der unsrigen. Die Bö ist uns schon über den Köpfen, – An Backbord das Steuer, Sir, und gieren Sie das Schiff aus dem Rauch! Ganz an Backbord mit dem Ruder, Sir, nicht innegehalten! Dicht ans Backbord damit, sag‘ ich!«

Allein die träge Bewegung des Schiffes entsprach keineswegs der Ungeduld seiner Lenker und ebensowenig dem drangvollen Heischen des Augenblicks. Mittlerweile, während Bignall – nebst den durch die Pflicht in seiner nähern Umgebung gehaltenen Offizieren und den Segelsetzern unterstützt – auf diese Weise beschäftigt war, ließen die Kanoniere an den Batterien von ihrem todverbreitenden Werk nicht ab. Fortwährend und fast betäubend brüllte das Geschütz, obgleich sich das tiefe, bedeutungsschwere Geheul in der Atmosphäre von Zeit zu Zeit nur zu deutlich unterscheiden ließ. Um aber ein bestimmtes Urteil über ihre Lage erlangen zu können, hätte das Auge dem Gehör der Seeleute zu Hilfe kommen müssen, was unmöglich war. Denn gleich umgeben waren Schiffe, Spieren und Segel von den Rauchwirbeln, die ohne Unterschied Himmel, Luft, Fahrzeug und Ozean mit einem weißlichdunkeln, dichten Nebelmantel verhüllten. Selbst die Menschengestalten, wie sie an den Kanonen arbeiteten, waren nur auf Augenblicke durch schnell wieder verwischte, lichte Raumpunkte sichtbar.

»Hab‘ ich doch noch niemals den Rauch sich so fest auf dem Verdeck aufeinanderschichten sehen«, sagte Bignall mit einer Besorgnis, die er, bei aller Vorsicht, dennoch nicht zu unterdrücken vermochte, »Halten Sie das Ruder an Backbord – drücken Sie’s hart an! Beim Himmel, Harry, die Spitzbuben wissen recht gut, daß sie um ihr Leben kämpfen!«

»Wir fechten ja ganz allein!« schrie der zweite Schiffsleutnant von den Kanonen her, sich das Blut aus einer schweren, von einem zerschmetterten Holz empfangenen Gesichtswunde beim Sprechen trocknend, und viel zu sehr mit seinem eigenen unmittelbaren Dienst beschäftigt, um die Wetterzeichen gewahr zu werden, »Fast schon eine Minute lang hat er auch mit keinem einzigen Schuß geantwortet.«

»Beim Georg, die Schurken haben genug!« rief der entzückte Bignall. »Dem Sieg sei dreimal Hur …«

»Halten Sie ein, Sir!« unterbrach Wilder, mit einem so bestimmten Ton, daß sein Kommandeur mitten in seinem vorschnellen Triumphieren verstummte. »Bei meinem Leben, unser Werk ist sobald noch nicht zu Ende. Freilich schweigen seine Kanonen, ich gestehe es – doch sehen Sie! Der Rauch fängt an, sich zu heben. Hören wir nur zu feuern auf, so ist die Aussicht in wenigen Minuten klar.«

Ein Aufjauchzen der Leute an den Batterien unterbrach seine Worte, und gleich darauf erscholl das Geschrei, daß die Piraten auf und davon segelten. Doch nur zu bald und mit Schrecken endete das Frohlocken ob dieses vermeintlichen Beweises ihrer Überlegenheit. Ein blendender jäher Blitz durchzuckte den verfinsterten Dunstkreis, der sie noch immer auf eine höchst außerordentliche Weise umgab; ihm folgte ein Krach aus den Wolken, gegen den der gleichzeitige Knall von fünfzig Stück Geschützen nur wie sanftes Gemurmel geklungen hätte.

»Rufen Sie die Leute von ihren Kanonen ab!« sagte Bignall, mit jener Dämpfung in der Stimme, deren erzwungene, unnatürliche Ruhe die Schrecken nur noch erhöht; »rufen Sie sie alle ab, Sir, und holen Sie die Leinwand ein!«

Weniger entsetzt durch Worte, an die er schon längst gewöhnt war, als durch die Nähe und offenbare Furchtbarkeit des Sturms, zauderte Wilder nicht, die so dringend erscheinende Order auszuteilen. Die Leute verließen ihre Batterien wie Kämpfer die Schranken, einige blutend und abgemattet, andere noch im vollen Grimm, alle durch die wütende Szene, in der sie soeben Mitspielende waren, mehr oder weniger aufgeregt. Viele erreichten die ihnen wohlbekannten Taue durch einen Sprung, andere stiegen auf den Strickleitern hinan und verloren sich bald in der noch immer über dem Schiff lagernden Wolke.

»Soll ich bloß reffen oder ganz beschlagen lassen?« fragte Wilder, die Trompete an die Lippen haltend, und bereit, den nötigen Befehl hinaufzurufen.

»Halt, Sir; noch eine Minute, so haben wir eine Öffnung.«

Der Leutnant gehorchte, denn auch ihm entging nicht, daß jetzt allerdings der Schleier, der ihren wahren Zustand verhüllte, weggezogen werden sollte. Der Rauch, der sich, gleichsam niedergedrückt von der darauf liegenden Wucht der Atmosphäre, bis jetzt nicht vom Verdeck regen wollte, kam zuerst in Bewegung, umwirbelte dann die Masten, bis endlich oben der gewaltige Windzug ihn faßte und wild vor sich hertrieb. Jetzt lag die Aussicht in der Tat enthüllt vor ihnen.

Statt der herrlichen Sonne und des blauen Gewölbes, das sie erst vor einer halben Stunde umglänzt hatte, war der Himmel mit einem ungeheuern schwarzen Schleier überzogen. Die Oberfläche der See gab zürnend die schreckenweissagende Farbe zurück. Schon stiegen und sanken die Wogen nicht mehr mit der bisherigen Regelmäßigkeit, sondern taumelten hin und her, als ob sie mit Ungeduld der Macht entgegensähen, von der sie ihre Richtung und größere Gewalt erhalten sollten. Die Blitze kamen nicht in schneller Aufeinanderfolge aus den Wolken, allein die wenigen, die die düstere Szene durchbrachen, blendeten durch ihren Glanz und ihre Majestät, und es begleitete sie der entsetzliche Donner der Wendekreise, von dem man ohne Lästerung sagen könnte, er sei die Stimme, in der der Schöpfer des Weltalls mit seinen Geschöpfen redet. Mit einem Worte, man mochte hinschauen, wohin man wollte, dem Auge trat der Anblick des wilden gefahrvollen Kampfes der Elemente entgegen. Leicht und behende lief dort das Fahrzeug des Rovers vor einer frischen, stoßweise bereits aus den Wolken kommenden Kühlde, die Segel eingezogen und die Mannschaft besonnen, aber emsig damit beschäftigt, die in dem Gefecht erhaltene Havarie auszubessern.

Kein Augenblick war zu verlieren, dem Beispiel des vorsichtigen Freibeuters nachzuahmen. – Rasch wurde das Vorderteil des Pfeil glücklich in die dem Winde entgegengesetzte Richtung gedreht; und während er so dem vom Delphin genommenen Strich zu folgen begann, bemühte sich die Mannschaft, die zerrissene und fast unbrauchbar gewordene Leinwand an die Rahen anzuholen. Allein kostbare Augenblicke hatte man vielleicht unwiederbringlich während der Verhüllung durch den Rauch dahinschwinden lassen. Das dunkle Grün der Wogen verwandelte sich jetzt in ein schimmerndes Weiß, und jäh hörte man nun die entsetzliche Sturmeswut mit unwiderstehlicher Gewalt einherbrausen.

»Munter, Leute!« schrie Bignall selbst in der Not, der sein Fahrzeug ausgesetzt war. »Rollt die Tücher zusammen; alles zusammengerollt – nicht einen Fetzen vor der Bö flattern gelassen! Beim Georg, Herr Arche, dieser Wind versteht keinen Spaß! Muntern Sie die Leute bei ihrer Arbeit auf, sprechen Sie ihnen Mut zu, Sir!«

»Beschlagt ohne weiteres!« schrie Wilder, »kappt, wenn’s zu spät ist; arbeitet mit den Messern, mit den Zähnen – herab, alle herab – so lieb euch das Leben ist, kommt alle herab!«

Ein gewisses Etwas in der Stimme des Leutnants ließ sie den Leuten wie einen übernatürlichen Schrei vorkommen. Vielleicht war es der Umstand, daß er erst so kürzlich einem ähnlichen Unglück wie dem jetzt drohenden, beigewohnt hatte, der seinen Tönen dies Entsetzenerregende verlieh. Einige Dutzend Gestalten sah man flink durch eine Finsternis, die man greifen zu können schien, heruntergleiten. Auch war ihre Flucht, die mit der des nach seinem Nest senkrecht herabschießenden Vogels verglichen werden kann, um keine Sekunde zu eilig. Das hohe, überladene Spierenwerk, von keinem Tau mehr festgehalten und an zahllosen Stellen beschädigt, hatte schon längst geschwankt und unterlag nun vollends dem Sturm; eine Stenge nach der andern stürzte auf den Rumpf hernieder, bis nichts mehr stehen blieb als die drei festeren, aber entblößten und beinahe nutzlosen, niederen Masten. Die bei weitem größere Anzahl der Matrosen erreichte noch das Deck zeitig genug zur Rettung, einige jedoch waren zu eigensinnig und noch zu sehr von der Kampfeswut erfüllt, um der warnenden Stimme Gehör zu geben. Diese Opfer ihrer eigenen Halsstarrigkeit sah man noch die Trümmer der Spieren umklammern, als der Pfeil in einer Wolke Schaums bei dem Fleck, wo sie schwammen, vorüberschoß, bis der Anblick ihres Jammers durch die Ferne den traurig Nachschauenden entzogen wurde.

»Es ist die Hand Gottes!« rief mit heiserer Stimme der Veteran und stierte bangen Auges auf die Verheerung um sich her. »Hören Sie mich, Heinrich Arche: ich werde stets beteuern, daß es nicht die Kanonen des Korsaren waren, die uns so zugerichtet haben.«

Wenig geneigt, denselben armseligen Trost zu suchen wie sein Kommandeur, strengte sich Wilder vielmehr an, so sehr es die Umstände erlauben wollten, dem Schaden entgegenzuwirken, der jedoch, wie er sich nur zu klar überzeugte, in diesem Augenblick nicht wieder gutzumachen war. Inmitten des Sturmgeheuls und des Donnergekrachs, bei einer Atmosphäre, bald grell vom Blitz erleuchtet, bald wieder von der dicken Finsternis des Dunstes aufgesogen, die entsetzliche Wirkung des Gefechtes frisch, gräßlich, blutend vor Augen – blieb die Mannschaft des britischen Kreuzers sich selbst und ihrem alten Rufe treu. Die Stimmen Bignalls und seiner Offiziere, den Orkan durchdringend, erschollen teils in Befehlen, mit denen alle durch lange Erfahrung vertraut geworden waren, teils in Zurufe, um die Leute bei ihrer Arbeit aufzumuntern. Zum Glück war der Kampf der Elemente nur von kurzer Dauer. Die Bö fuhr bald über den Fleck Meeres dahin, so daß die Passatwinde wieder in ihren früheren Strich zurückkehren konnten und die Wogen durch die Gegenwirkung der streitenden Winde eher zum Stehen gebracht wurden, als aufgeregt blieben.

Allein kaum sah die Mannschaft des Pfeils die eine Gefahr vor ihren Augen schwinden, als eine, beinahe ebenso furchtbare, sich ihrem Blicke aufdrängte. Alle Erinnerungen an frühere Gunstbezeigungen, jegliches Gefühl der Dankbarkeit verbannte der gewaltige Seemannsstolz und die dem Krieger endlich zur Natur werdende Ruhmliebe aus Wilders Seele, als er nun den Delphin gewahr wurde, mir dem unversehrt gebliebenen schönen Ebenmaße seiner Spieren und der vollkommensten Ordnung seiner Takel. Schien es doch, als ob ihn ein Zauber schütze, oder eine übernatürliche Macht dabei tätig gewesen wäre, ihn auch in der Wut dieses zweiten Sturmes unbeschädigt zu erhalten. Nüchterneres und unparteilicheres Nachdenken zwangen jedoch unserem Abenteurer das innere Geständnis ab, daß die Wachsamkeit und die weisen Vorkehrungen des außerordentlichen Mannes der nicht nur das Schiff, sondern auch dessen Schicksale zu regieren schien, nicht wenig zur Herbeiführung eines so günstigen Resultats beigetragen hatten.

Nur kurze Muße war ihm vergönnt, über den eigenen Glückswechsel Betrachtungen anzustellen, oder darüber, wie der Vorteil des Feindes zu vereiteln sei. Das Fahrzeug des Piraten entfaltete schon zahlreiche, große Segeltücher, und, da ihm die Rückkehr des Passatwindes jetzt die Luvseite gab, so nahte es sich wieder, und zwar unausweichbar und mit Blitzesschnelle.

»Beim Georg, Herr Arche, das Glück ficht heute durchgängig auf der Seite des Unrechts«, sagte der Veteran, als er an der vom Delphin eingeschlagenen Richtung bemerkte, daß das Treffen wahrscheinlich von neuem beginnen würde. »Schicken Sie die Leute wieder an ihre Posten, und lassen Sie die Kanonen lösen; denn es hat allen Anschein, daß wir noch einen Strauß mit den Spitzbuben zu bestehen haben.«

»Einen kurzen Verzug, ich rate Ihnen sehr dazu«, bemerkte Wilder angelegentlich, als er seinen Obern den Leuten die Order erteilen hörte, sich bereit zu halten, in dem Augenblick abzufeuern, wo ihr Feind innerhalb eines erreichbaren Punktes käme. – »Ich beschwöre Sie, noch zu warten; wir kennen ja seine gegenwärtige Absicht noch nicht.«

»Niemand soll den Fuß aufs Verdeck setzen, der nicht die Autorität des königlichen Herrn des Schiffes anerkennt«, erwiderte der strenge, alte Teer. »Gebt es ihm, meine Leute! Sprengt die Halunken von ihren Kanonen! damit sie erfahren, wie gefährlich es sei, einem Löwen nahe zu kommen, und wär‘ er auch verkrüppelt!«

Zu spät, das sah Wilder, waren jetzt Gegenvorstellungen; denn der Pfeil hatte dem Rover von neuem eine volle Lage entgegengeschleudert, was jede großmütige Absicht, die er hegen mochte, notwendig vernichten mußte. Das Korsarenschiff war im Heransegeln begriffen, als es den eisernen Sturm empfing, worauf es sogleich mit Leichtigkeit auf eine solche Weise aus dem Strich lenkte, daß ein zweiter nicht treffen konnte. Jetzt jagte es auf den fast seeunfähig gemachten Kreuzer zu, und dumpf erscholl der Befehl herüber, die Flagge zu streichen.

»Kommt heran, ihr Schurken!« schrie der erhitzte Bignall. »Kommt, und tut es mit eigenen Händen!«

Das zierliche Fahrzeug, als fühle es die höhnende Herausforderung seines Feindes, sprang näher an den Wind und schoß Kanone nach Kanone quer in den Vorsteven des Pfeils, mit einer solchen besonnenen, todbringenden Zielrichtigkeit, daß jede Kugel genau diesen wehrlosen Teil des Gegners traf. Und nun das Krachen zweier aufeinanderstoßenden Körper, und gleich darauf die Erscheinung fünfzig grimmig aussehender Kerle, mit den Werkzeugen des Kampfes von Mann gegen Mann bewaffnet, zum Schauplatz blutigen Gemetzels vordringend. Ein so nahes, verderbensprühendes Gewehrfeuer mußte im ersten furchtbaren Augenblicke der Überraschung den Widerstand der Angegriffenen lähmen; als aber nun der Rauch zerstob und Bignall und sein Leutnant auf ihrem eigenen Verdeck die finsteren Gestalten erblickten, so forderte jeder von ihnen mit einer Stimme, die selbst jetzt noch den vollkommenen Herrscherklang hatte, einen Haufen Krieger zu sich heran, an dessen Spitze sie sich dem von den entgegengesetzten Laufplanken her eindringenden reißenden Feindesstrom mutig entgegenwarfen, um ihn aufzuhalten. Entsetzlich, tödlich war der erste Stoß; beide Parteien, wichen zurück, um auf Verstärkung zu warten und Atem zu schöpfen.

»Heran, ihr Raubmörder!« schrie der unerschrockene Veteran an der Spitze seines Haufens und erkennbar an den grauen Locken um seinen entblößten Scheitel, »das Gewissen sagt’s euch doch, daß der Himmel dem Rechte beistehe!«

Die grimmigen Freibeuter fielen zurück und machten eine Lücke in der Linie; da kam ein Blitz aus der Zeile des Delphin durch eine leere Stückpforte des Pfeil hindurch, mit hundert tödlichen Geschossen in seiner Mitte. Bignalls Schwert flog in wilden Schwingungen in die Lüfte, und die Worte, die er noch schrie, bis er röchelnd fiel, waren: »Heran, ihr Schurken! Heran! … Harry … Harry Arch … O Gott! … Hurra!«

Gleich einem Baumstamme stürzte er nieder und starb ohne zu wissen, daß ihm der Rang wirklich geworden, um den er ein mühe- und gefahrvolles Leben hindurch gearbeitet hatte. – Bis jetzt hatte Wilder seinen Posten auf dem Verdeck behauptet, obgleich von einer Bande bedrängt, die an Wut und Mut der seinigen nicht nachstand; doch jetzt in der schreckenvollen Krise wurde eine Stimme mitten im Gemetzel laut, die ihm durch jeden Nerv dröhnte, ja selbst die Gemüter seiner Leute mit Entsetzen erfüllte.

»Platz gemacht, ihr da, Platz gemacht!« erscholl der tiefe, volle Herrscherton, »macht Platz und mir gefolgt; keine andere Hand als die meine soll jene prahlerische Flagge streichen!«

»Bleibt getreu, meine Leute!« schrie Wilder seinerseits. Wildes Gerufe, Schwüre, Flüche und Gestöhn bildeten die gräßliche Begleitung dieses heißen Handgemenges, das indessen viel zu heftig war, um anhaltend sein zu können. Mit tödlichem Schmerz sah Wilder, wie seine Handvoll Truppen vor den unwiderstehlich eindringenden Massen nach allen Seiten zerstob; und zu wiederholten Malen brachte er sie durch seinen Ruf wieder zusammen, oder befeuerte ihren ersterbenden Mut durch sein Beispiel.

So fiel Freund nach Freund vor seine Füße, bis er sich an den äußersten Rand des Verdeckes getrieben sah. Hier gelang es ihm nochmals, eine kleine Rotte zu sammeln, die gegen mehrere wütende Angriffe standhielt.

»Ha!« kreischte eine Stimme, die er wohl kannte; »Tod allen Verrätern! Spießt den Spion gleich einem Hund! Eingehauen, Jungens; ein Korporalsäbel dem Helden, der sein Herz durchbohrt!«

»Aus dem Weg, du Lümmel!« schrie ihm der ausdauernde Richard in barschen Tönen entgegen. »Tut dir ein Spieß not? Hier steht ein Weißer und Neger, dir zu dienen.«

»Zwei andere von der Bande!« fuhr der General fort, und zielte beim Sprechen einen Streich von oben herab, der den Toppmann zu vernichten drohte.

Eine dunkle, halbnackte Gestalt warf sich dazwischen und fing die herabfahrende Klinge mit dem Stiel einer Halbpicke auf, die von ihr wie ein Schilf entzweigehauen wurde. Ohne die mindeste bange Rücksicht auf den wehrlosen Zustand, in dem er sich befand, brach sich Scipio Bahn zur Front, wo Wilder focht. Hier teilte er, von allen Kleidungsstücken bis an die Lenden entblößt, ohne andere Waffen, als seine muskelvollen Arme, Faustschläge aus, achtlos auf die Schwerthiebe und Stöße, denen seine Athletengestalt ohne entsprechende Gegenwehr ausgesetzt war.

»Gib’s ihnen, rechts und links, Guinea,« schrie Fid; »hier ist einer, der dich verstärken soll, wenn er erst dem Marinen da den Garaus gemacht hat.«

Nichts halfen in diesem Augenblick dem unglücklichen General seine Fechterstöße; alle seine Künste vereitelte ein Hieb von Richard, er drang durch die Entermütze und Hirnschale bis zum Genick.

»Haltet ein, ihr Mörder!« schrie Wilder, als er sah, wie zahllose Hiebe auf den unbewaffneten Körper des noch immer mutigen Schwarzen eindrangen. »Mit mir schlagt euch, und nicht mit einem Waffenlosen!«

Das Gesicht unseres Abenteurers wurde umnebelt, denn er sah den Neger, zwei von den Angreifenden mit sich niederreißend, aufs Verdeck stürzen; und in demselben Augenblick erschallte dicht vor seinen Ohren eine Stimme, deren hohler Ton der Schreckensszene ganz entsprach:

»Unser Werk ist getan! Wer noch einen Schlag tut, macht mich zu seinem Feinde.«

Erstes Kapitel.

Erstes Kapitel.

Wer nur einigermaßen mit dem Gewühl und dem Leben einer Handelsstadt bekannt ist, wurde in dem stillen, geschäftslosen Newport den Platz nicht wiedererkennen, der in früheren Zeiten für einen der wichtigsten und besuchtesten Häfen an der ausgedehnten Küstenstrecke von Nordamerika galt. Newport auf Rhode-Island scheint beim ersten Blick der von der Natur begünstigte Ort, der alles in sich vereinigt, was den Bedürfnissen des Seemanns entgegenkommen und seine Wünsche verwirklichen kann. Ein bequemer Hafen, ein ruhiges Becken, ein sicherer Ankerplatz, eine gute Reede mit einer klaren Abfahrt in die offene See. Im Besitz dieser Vorzüge war in den Augen unserer europäischen Vorfahren Newport der Platz, den sie zur Aufnahme großer Flotten und zur Bildung eines Stammes kühner und geschickter Matrosen bestimmt hatten. Dies Bestreben ist nicht ganz ohne Erfolg geblieben; aber wie wenig ist die erste Erwartung in Erfüllung gegangen! In der Nähe des von der Natur anscheinend zu ihrem Liebling auserkorenen Ortes hat sich ein glücklicherer Rival eingefunden, der alle Berechnungen kaufmännischen Scharfsinns zuschanden gemacht und zu den neunhundertundneunundneunzig Beweisen, daß des Menschen Weisheit eitel Torheit sei, den tausendsten geliefert hat.

Es gibt nur wenig Städte von einigem Belang in unserem fast grenzenlosen Gebiet, in dem sich, seit einem halben Jahrhundert, alles so unverändert erhalten hätte, als in Newport. Bis zum Zeitpunkt, wo sich die ungeheuern Hilfsquellen des inneren Landes zu entwickeln anfingen, war die Provinz Rhode-Island der Sammel- und Ruheplatz, dem die südlichen Pflanzer zuströmten, um sich vor der Hitze und den übrigen Ungemächlichkeiten ihres brennenden Landstrichs zu bergen. Sie zogen scharenweise dahin, die stärkenden Hauche der Seeluft einzuatmen. Damals noch derselben Regierung Untertan, ließen sich die Einwohner beider Karolinas und Jamaikas freundschaftlich in Newport nieder, teilten sich gegenseitig Gewohnheiten und Verfassungen mit und überließen sich der süßen Täuschung, die ihre Nachkommen vom dritten Geschlecht sich zurückzuwünschen anfangen.

Die einfachen, unerfahrenen Kinder der Puritaner nahmen aus dieser Verbindung Gutes und Böses an. Während sie der Umgang mit den feineren und vornehmeren Bewohnern der südlichen Kolonien abgeschliffener machte, weckte er in ihnen neue Begriffe von dem Unterschiede der Stände, wovon sie vorher wenig oder nichts ahnten, und die ihnen jetzt von den Ankömmlingen eingeimpft wurden. So ward unter allen Provinzen Neu-Englands Rhode-Island die erste, die sich von den Sitten und Meinungen ihrer schlichten Altvordern entfernte. Dadurch wurde dem strengen, rauhen und unfreundlichen Benehmen der erste Stoß versetzt, das man früherhin als ein notwendiges Bindungsmittel der wahren Religion, als eine äußere Bürgschaft für die Gesundheit des innern Menschen ansah; dadurch wurde der erste merkbare Schritt veranlaßt, der von den puritanischen Grundsätzen abführte, die der abstoßenden Außenseite das Wort redeten. Ein seltsames Zusammentreffen und Gemisch von Umständen und Eigenschaften machte die Kaufleute von Newport zugleich zu Sklavenhändlern und zu Gentlemen.

Wie aber auch der moralische Zustand der Einwohner im Jahre 1759 beschaffen sein mochte, so war doch Rhode-Island nie reizender und verlockender als damals. Die schwellender Hügelrücken der Insel waren mit hundertjährigen Wäldern bekränzt, die kleinen Täler mit dem frischen, lebendigen Grün des Nordens überzogen, die anspruchslosen, dabei reinlichen und bequemen Landhäuser lagen von schattigen Gebüschen und bunten Blumenbeeten umgürtet. Die Schönheit und Fruchtbarkeit der Gegend hatte dem Eiland einen Namen erworben, der mehr ausdrückte, als man in früheren Zeiten darunter verstand. Die Einwohner nannten nämlich ihre Besitzungen den » Garten von Amerika«, und ihre Gäste, die Ankömmlinge aus den brennenden Ebenen des Südens, fanden sich nicht berufen, diese Benennung streitig zu machen. Der Name hat sich zum Teil fast bis auf unsere Zeiten erhalten und ist nicht eher verschwunden, bis der Reisende in den Stand gesetzt worden, die Tausende von weiten und lachenden Tälern zu durchwandeln, die vor fünfzig Jahren noch in dem undurchdringlichen Schatten der Wälder begraben lagen.

Das soeben von uns angeführte Datum bezeichnet eine Periode, die für die britischen Besitzungen in unserem Festlande vom höchsten Interesse war. Ein blutiger Rachekrieg, dessen Anfang Unglück und Niederlage gebracht hatte, war im Begriffe, glorreich zu enden. Frankreich hatte sein letztes Besitztum am Weltmeere eingebüßt, während die unermeßliche Länderstrecke zwischen der Hudsonsbai und den spanischen Provinzen der englischen Macht unterworfen war. Die Kolonien hatten einen großen Anteil an den Erfolgen des Mutterlandes gehabt. Stolz und Freude über den glücklichen Ausgang ließen vergessen, was die törichten Vorurteile europäischer Anführer für Fehler begangen, für Verluste und Schande herbeigeführt hatten. Braddocks grobe Verstöße gegen die Kriegskunst, Laudons Gleichgültigkeit, Abercrombies Schwäche waren durch die Kraft Amhersts und Wolfes Genie ersetzt worden. In allen vier Weltteilen siegten die Waffen der Briten. Die loyalen Bewohner der Provinzen stimmten am lautesten in die Triumphe des Mutterlandes ein, überließen sich der reinsten Freude und schlossen gutwillig die Augen bei den kargen Beifallsbrocken, die ihnen zugeworfen wurden – denn auch hier zeigte sich das gewöhnliche Verfahren großer Völker, die nur mit Widerstreben einen kleinen Teil ihres Ruhmes an die gelangen lassen, die sie als Abhängige ansehen; dem Geizigen gleich, der gern alles für sich allein behielte, und desto habsüchtiger wird, je mehr ihm die Nachsicht einräumt.

Das System von Unterdrückung und Regellosigkeit, das eine Losreißung zur Folge hatte, die früher oder später erfolgen mußte, hatte noch nicht angefangen. War das Mutterland auch nicht gerecht, so zeigte es sich doch gefällig. Gleich allen alten und großen Nationen, überließ es sich dem angenehmen, aber gefährlichen Genuß der Selbstbeschauung. Die Dienste und Verdienste eines Volksteils, der von ihm unterschätzt wurde, hatten das Schicksal, bald vergessen zu werden; oder wenn man sich ihrer hier und da erinnerte, so war es, sie zu mißdeuten, zu tadeln, zu schmähen. Die Herabsetzung nahm in dem Maße zu, als die Übereinstimmung der Gemüter abnahm; das Unrecht wurde immer fühlbarer, die eitle Torheit griff immer weiter um sich. Männer, deren Beobachtungsgeist sich hätte besser unterrichten können und sollen, waren die ersten, die, selbst in dem höchsten Rate der Nation, schamlos erklärten, ihnen sei der Charakter eines Volks unbekannt, das ihnen doch blutbefreundet war. Selbstschätzung gab der Meinung der Toren Gewicht. Von einschläferndem Dünkel eingenommen, machten graue Krieger ihrem edeln Handwerk Schande, Prahlereien sich erlaubend, die man einem Stutzer, der kein Pulver gerochen, nicht unbestraft hätte hingehen lassen. So gab z. B. ein Burgoyne in hochtrabendem Tone dem Unterhause das sinnlose Versprechen, mit einer Macht, die er zu bestimmen sich nicht scheute, von Quebeck nach Boston vorzudringen; ein Versprechen, das er in der Folge hielt, indem er mit einer doppelt so starken Macht, kriegsgefangen von Boston nach Quebeck zurückging. So hat England, vom Torheitsschwindel ergriffen, in der Folge seine hunderttausend Leben und seine hundert Millionen Pfund verschwendet.

Die Geschichte dieses denkwürdigen Kampfes ist jedem Amerikaner bis auf die kleinsten Umstände bekannt. Damit zufrieden, daß sein Land gesiegt, überläßt er es gern den Annalen der Welt, den ruhmvollen Ausgang in ihren Blättern aufzubewahren. Ihm genügt es, daß sein Land auf einer breiten, natürlichen Grundfeste ruht und nicht des Lobpreisens feiler Federn bedarf; für seinen innern Frieden, sowie für seinen Charakter ist es hinreichend, zu fühlen, daß der Wohlstand der Republik nicht in der Herabwürdigung angrenzender Nationen gesucht werden darf.

Der Faden unserer Geschichte führt uns in jene ruhige Periode zurück, die den Stürmen der Revolution vorausging. In den ersten Tagen des Oktobermonats 1759 war Newport, wie jede andere Stadt von Amerika, mit dem doppelten Gefühle der Freude und des Schmerzes erfüllt. Mitten unter den Triumphen über seinen Sieg beweinten die Einwohner Wolfes Tod. Quebeck, das Bollwerk von Kanada, der letzte feste Platz, den ein Volk noch inne hatte, das man seit der Kindheit gewohnt war, für den natürlichen Feind Englands anzusehen, war gefallen und hatte den Herrn gewechselt. Die loyale Anhänglichkeit an die Krone von England, die so lange an- und aushielt, bis das seltsame Prinzip, das ihr zum Grunde diente, nachgab und einstürzte, hatte den höchsten Punkt erreicht. Es gab in den Kolonien vielleicht nicht einen einzigen, der nicht seine eigene Ehre mit dem eingebildeten Ruhme des Oberhauptes aus dem Hause Braunschweig gewissermaßen verflochten und vereint hätte.

Der Tag, an dem die Handlung unserer Geschichte beginnt, war feierlich dazu angesetzt worden, die Gefühle der guten Stadtbewohner sowohl, als des umliegenden Landvolks, über den Sieg laut und lebendig werden zu lassen, den die königlichen Waffen erfochten hatten. Beim Anbruch dieses, wie in der Folge beim Anbruch vieler tausend ähnlicher Tage, wurde mit allen Glocken geläutet; der Kanonendonner rollte, die Volksmenge ergoß sich vom frühesten Morgen an durch die Straßen und legte in ihre Bewegungen den Eifer, der gewöhnlich die Freude begleitet, wenn sie zum allgemeinen Volksfeste wird. Der zur Feier des Tages bestellte Redner hatte in einer Art prosaischen Trauergedichts zum Preise des verblichenen Helden seine ganze Beredsamkeit aufgeboten und eine Probe grenzenloser Loyalität dadurch abgelegt, daß er den Ruhm, den das Todesopfer des Generals Wolfe und vieler Tausende seiner Mitstreiter so teuer erkauft hatte, auf das alleruntertänigste dem Throne zu Füßen legte.

Zufrieden mit diesen Äußerungen ihrer Treupflicht, fingen die Einwohner an, sich allmählich wieder nach Hause zu begeben, als die Sonne sich den unermeßlichen Gegenden zuneigte, die sich damals wie endlose, unbetretene Wildnisse im Westen erstreckten, jetzt aber mit den Erzeugnissen und dem Segen des Kunstfleißes üppig übersäet sind. Die Landleute der Umgegend und jenseits der Meerenge waren auf ihren zum Teil weiten Rückweg bedacht, und zwar aus jenen klugen Gründen der Sparsamkeit, die diese Klasse arbeitender Menschen mitten in ihren Vergnügungen nie verläßt. Sie eilten nach Haus, aus Furcht, daß sie der herannahende Abend zu Kosten verleiten möchte, die mit dem eigentlichen Zweck ihres Ausflugs in die Stadt nichts gemein hatten. Die Zeit, die sie auf das Fest verwendet, war abgelaufen; der Hausvater machte sich auf, mit den Seinen in die ruhig fließenden Kanäle der gewöhnlichen Geschäfte wieder einzutreten, damit die auf das außerordentliche Schauspiel verwandte Zeit eingeholt würde, die er sich schon halb und halb als verloren vorwarf.

Auch in der Stadt wurden Hammer, Axt und Säge schon wieder gehört und die Läden von mehr als einer Werkstatt halbgeöffnet, als wolle der Eigentümer zwischen seinem Gewissen und seinem Geschäft ein Abfinden treffen. Die Inhaber der drei, damals in ganz Newport befindlichen Wirtshäuser standen vor ihren Türen und sahen auf die abgehenden Landleute mit Augen hin, die deutlich zu erkennen gaben, daß sie unter dem Landvölkchen, das mehr vom Einnehmen als vom Ausgeben hält, doch auf Gäste lauerten. Eine gar kleine Anzahl lärmender, gedankenloser Seeleute, die zu den Schiffen im Hafen gehörten, zusamt einem halben Dutzend bekannter Zechkunden, war alles, was die Wirte mit ihren Winken erobern konnten, ihrem Anrufen und Anreden, ihren Erkundigungen nach dem Wohlsein der lieben Frauen und Kinder, und bei einigen geradezu mit ihren Einladungen, einzutreten und sich zu erfrischen.

Weltliche Sorge und ein steter, nur zuweilen schiefer Blick auf die Zukunft, bildete den Hauptcharakterzug des ganzen Volks, das damals auf dem Boden zerstreut lebte, der unter dem Namen von Neu-England bekannt war. Das große Ereignis des Tages blieb unvergessen, obschon man es für unnötig hielt, sich in der Wirtsstube bei der Flasche darüber zu besprechen und die edle Zeit im Müßiggange zu vergeuden. Die Abgehenden, die in verschiedenen Richtungen den Weg ins Innere einschlugen, schlossen sich in kleine Gruppen. Unter sich in freimütigen Gesprächen die Gegenstände der Tagespolitik abhandelnd, berührten sie die großen Staatsereignisse und die Art und Weise, wie sie von den Männern vorgetragen wurden, denen der Auftrag zugefallen war, sie zu entwickeln; doch setzten sie keineswegs dabei die Achtung aus den Augen, die sie dem Rufe der Hauptpersonen schuldig waren. Es wurde im Gegenteil allgemein zugegeben, daß die gehaltenen Gebete (zwar etwas im Konversationstone und historisch vorgetragen), durchaus fehlerfrei und eindringend gewesen waren. Es hatten wohl einige Lust, als Dissenters aufzutreten, unter andern die Klienten eines Advokaten, der einem der Redner entgegen war; allein das Resultat blieb, daß aus keines Mannes Munde eine so vortreffliche, kunstvolle Rede geflossen sei, als die heutige. In demselben Sinn und Geist fiel das Urteil der Zimmerleute aus, die an einem Schiffe arbeiteten, das im Hafen erbaut wurde und der Gegenstand der allgemeinen Bewunderung der Provinz war; ja, von dem mit voller Überzeugung behauptet wurde, daß es das seltenste Muster eines in allen Teilen und Verhältnissen durchaus vollkommenen Meisterwerks der Schiffsbaukunst sei.

Der Redner, von dem ich hier spreche, war das gewöhnliche Orakel der Nachbarschaft, so oft ihn irgendein großes Ereignis, wie z. B. das heutige, antrieb, sich zusammenzunehmen. Er galt im Vergleich mit anderen für den allertiefsten, kenntnisreichsten Geist: so daß sogar von ihm behauptet wurde, er habe mehr als einen europäischen Gelehrten in Erstaunen gesetzt, der es gewagt hätte, sich mit ihm im Felde der alten Literatur zu messen. Sein Ruf gewann gleich der Hitze an Intensität, je enger die Grenzen waren, die ihn umschlossen. Dabei verstand sich niemand besser als er darauf, seine hohen Gaben ausschließlich zu seinem Vorteil anzuwenden. Nur ein einziges Mal verließ ihn die Klugheit. Der Himmel weiß, wie es kam, genug, er war nicht auf seiner Hut und tat einen Schritt, der ihm einen Teil des erworbenen Rufes raubte; er ließ es nämlich zu, daß einer seiner beredsamen Aufflüge in Druck gegeben wurde, oder, wie sich sein witziger, aber nicht so hochstehender Nebenmann, der zweite Rechtsgelehrte des Orts, ausdrückte: er gab es zu, daß die Presse einen seiner flüchtigen Versuche festhielt. So wenig man aber weiß, welchen Eindruck die Schrift im Auslande gemacht hat, so sehr trug sie dazu bei, seinen Ruf in der Umgegend zu vergrößern. Von nun an stand er vor seinen Bewunderern in aller Pracht und Würde der »gegossenen Lettern«, und machte es der erbärmlichen Brut

Die Tierchen, die durch hungriges Benagen
Der körperlichen Teile des Genies
Ihr Leben fristen

unmöglich, einen Ruf zu untergraben, der in dem Glauben so manchen Sprengels so tief eingewurzelt war. Die kleine Schrift wurde fleißig in die benachbarten Provinzen verteilt, in Teegesellschaften gepriesen, in öffentlichen Blättern von einem geistverwandten Freunde hoch erhoben – die gleiche Schreibart verriet den Lobredner – und von einem frommen Gläubigen, vielleicht aus reinem Eifer, vielleicht aus näherer Teilnahme, dem nächsten Schiffe an Bord mitgegeben, das nach Hause segelte (denn so nannte man damals England). Sie lag in einem Umschlage, der keine schlechtere Überschrift führte, als: »An Se. Königliche Majestät von England«. Es ist nie bekannt worden, was sie auf den geraden Sinn des dogmatischen Deutschen, der damals den Thron des Konquestors einnahm, für eine Wirkung gemacht hat, obschon die in das Geheimnis der Übersendung Eingeweihten lange vergebens auf die ausgezeichnete Belohnung warteten, deren sich ein so seltenes Erzeugnis des menschlichen Verstandes gewärtigen konnte.

Dieser hohen, wohltätigen Geistesgaben ungeachtet, beschränkte sich der Mann nun wieder, als sei er seiner Talente unbewußt, auf die Arbeiten seines gewöhnlichen Berufs, die mit der Beschäftigung eines – Schreibers die schlagendste Ähnlichkeit hatten; so sehr war ihm von der Natur, die ihn so trefflich ausstattete, die Eigenschaft der Selbstschätzung versagt worden, was um so mehr wundernehmen mußte, da ihn außer diesen Kraftäußerungen seines Geistes, der Fleiß und die Pünktlichkeit, womit er seiner kostbaren und unwiederbringlichen Augenblicke wahrnahm, zu weit höheren Ansprüchen zu berechtigen schien. Nur ein kritischer Beobachter könnte vielleicht in der erzwungenen Demut seines Äußern Spuren seines Triumphs über Quebecks Fall gefunden haben.

Wir überlassen diesen Günstling der Natur, dieses Schoßkind des Glücks sich selbst und wenden uns von ihm zu einem ganz andern Individuum in einem sehr verschiedenen Stadtviertel. Der Schauplatz ist nichts mehr und nichts weniger, als eine Schneiderwerkstätte. Hier sehen wir den Mann, der nicht verschmäht, sich in höchsteigener geschäftiger Person den geringsten Forderungen seines Berufs zu unterziehen. Die demütige Hütte, die er seine Wohnung nannte, lag unweit des Wassers, ganz am Ende der Stadt, und setzte ihn in den Stand, das heitere innere Becken nicht nur zu überschauen, sondern durch eine Wasseröffnung zwischen zwei Inseln den Anblick des äußern Hafens zu genießen, der sich hier wie ein Landsee ausdehnte. Eine schmale, unbesuchte Kaje erstreckte sich vor dem Hause und bewies durch ihren Verfall sowohl, als durch den wenigen Verkehr, daß dieser Teil des Hafens nicht zu den lebhaftesten und betriebsamsten gehörte.

Der Nachmittag glich einem Frühlingsmorgen. Der Kühlwind riffelte leicht das Becken. Sein Gesäusel und seine Kühle machen bekanntlich den amerikanischen Herbst so angenehm. Der fleißige Nadelheld genoß den schönen Abend in seiner ganzen Fülle. Er saß auf seinem Werktisch am offenen Fenster, besser mit sich zufrieden, als mancher, der sein Glück darin sucht, im höchsten Staate unter einem Baldachin von Sammet und Gold zu sitzen. Draußen vor dem kleinen Hause stand in der Stellung eines Lungerers ein langer, tölpischer, dabei starker, wohlgewachsener Landmann; mit der Schulter lehnte er sich an die Wand, als wäre es für seine Beine eine zu schwere Last, allein die ganze Masse ohne fremde Hilfe zu tragen. Er wartete darauf, daß ein Kleidungsstück fertig würde, woran der Meister emsig nähte, und womit er am nächsten Sonntag in seinem Dorfe Staat machen wollte.

Um die Zeit zu verkürzen, und wohl auch zum Teil, weil der Mann mit der Nadel von Natur gern sprach, vergingen wenige Minuten, ohne daß ihm oder dem andern nicht ein Wort entfallen wäre. Der Schneider befand sich schon in den abnehmenden Lebensjahren, und seine Außenseite ließ erkennen, daß ihn Mangel an Geschick oder an Glück in die Notwendigkeit versetzt habe, sich kümmerlich durch die Welt zu winden, und daß er nur durch äußersten Fleiß und die strengsten Entbehrungen der bittern Armut entgangen sei. Sein müßiger Zuschauer hingegen war ein junger Mann und gehörte zu einer Klasse, bei der ein neuer Rock und ein Paar neue Beinkleider Epoche im Leben machen.

»Ja,« rief der unermüdete Kleidermacher aus, und begleitete dieses Ja mit einem Seufzer, der ebensogut für die Bestätigung seines innern Wohlgefühls, als für einen Beweis seines körperlichen Mißbehagens gelten konnte: »Ja, gewiß und wahrhaftig, Pardon, stärkere Worte sind selten einem Manne von den Lippen geflossen, als es die waren, die der Squire am heutigen Tage hören ließ. Als er von den Ebenen Vater Abrahams sprach und vom Rauch und dem Donner der Schlacht, ja Pardon, da regte sich so was in mir, da fühlte ich in meinem Innern, ich weiß nicht was, so daß ich wahrhaftig glaube, ich würde das Herz gehabt haben, Nadel und Fingerhut von mir zu werfen und mich aufzumachen, um ins Feld, in die Schlacht zu ziehen, Ruhm zu ernten und für des Königs Sache zu fechten.«

Der junge Mann, dem der Taufname oder, wie es jetzt allgemein in Neu-England heißt, die Zugabe (given name) Pardon von seinen frommen Paten beigelegt worden war, damit ihm seine künftigen Hoffnungen immer demütig vor Augen lägen, drehte in diesem Augenblicke den Kopf nach dem heldenmütigen Schneider mit einem Ausdruck drolliger Laune im Auge, der bewies, daß ihn die Natur in der Austeilung des Humors nicht stiefmütterlich bedacht habe, obschon sie dabei mehr auf Maß als Feinheit gesehen.

»Hört, Nachbar Homespun, da gibt’s für einen Mann, der Ambition hat, eine prächtige Gelegenheit, sich hervorzutun, seit Se. Majestät Dero besten General verloren hat.«

»Ja doch, ja,« erwiderte der Nadelfädler, der als Knabe oder Jüngling den Hauptfehler begangen hatte, zu einem ganz verkehrten Handwerk zu greifen, »eine herrliche Aussicht für einen, der fünfundzwanzig zählte; aber ach! der größte Teil meiner Tage ist dahin, und ich muß meine übrigen Paar Jahre hier wie Ihr seht zwischen Zeug und Futter zubringen … Wer hat Euch das Tuch gefärbt, Pardy? Schöne, echte Farbe! Ich hab‘ wer weiß wie lange kein solches unter der Nadel gehabt.«

»Glaub’s wohl! Ich lobe mir die Alte, die verstehts Färben wie’s Weben. Gewiß und wahrhaftig, Nachbar Homespun, wenn Ihr dem Zeuge nur das rechte Ansehen gebt, daß es sitzt wie angegossen, so soll auf der Insel keiner so glatt und drell einhergehen, als meiner Mutter Sohn!… Aber, um wieder drauf zu kommen, könnt Ihr auch eben kein General sein, Männchen, so könnt Ihr Euch wenigstens damit trösten, daß es mit dem Bataillieren aus ist, und es nicht mehr ohne Euch losgeht. Sagt man doch allgemein, daß sich die Franzmänner nicht länger halten können, und daß wir Friede bekommen müssen, weil wir keinen Feind mehr vor uns haben.«

»Desto besser, Freundchen, desto besser; denn wer so viel von Kriegen und Kriegsnöten erlebt hat wie ich, weiß den Segen des Friedens zu schätzen – ja, zu schätzen.«

»Also seid Ihr nicht so ganz unerfahren in der Lebensart, wozu Ihr soeben Lust hattet?««

»Ich? Nichts weniger. Ich bin, wie Ihr mich seht, durch fünf blutige Kriege gegangen und habe Gott zu danken, der mir aus allen fünfen geholfen hat ohne Wunde – nicht mal so groß, als ein Nadelstich. Fünf lange, blutige Kriege, sag‘ ich und setze hinzu: fünf glorreiche bin ich durchgegangen – frisch und gesund wie ein Fisch.«

»Das muß eine gefährliche Zeit für Euch gewesen sein, Nachbar. Doch erinnere ich mich nur zweier Kriege mit den Franzosen.«

»O, Ihr seid ja nur ein Kiekindiewelt im Vergleich zu einem wie ich, der über sein Schock Jahre hinaus ist. Zählt mir mal nach. Erstlich dieser Krieg, der gottlob! das Ansehen hat, bald beendet zu werden; der Himmel, der alles mit Weisheit regiert, sei dafür gedankt und gepriesen! Dann, zweitens, der Vorgang von Fünfundvierzig, als der unerschrockene Warren unsere Küsten auf und nieder fuhr; eine Geißel für die Feinde Sr. Majestät, und eine Salvegarde für alle loyale Untertanen. Dann, drittens, gab’s einen Strauß in Germanien, von dem wir in den Zeitungen lasen, und viele, viele blutige Schlachten, in denen die Menschen fielen und weggemäht wurden, wie das Wiesengras unter Eurer Sense. Das macht drei« – er schob seine Brille in die Höhe und zählte mit seinem Fingerhut an den Fingern der andern Hand. – »Numero vier war die Rebellion von Fünfzehn, von der ich eben nicht viel gesehen zu haben mich rühmen kann, da ich nur erst ein junger Knabe war, und zum fünften und letzten rechne ich das entsetzliche Gerücht, das durch alle Provinzen ging, daß sich die Schwarzen und Indianer in Masse aufgewiegelt und zusammengerottet hätten, um uns allen guten Christenseelen in einer Minute das Lebenslicht auszublasen.«

»Ei, seht doch, Nachbar!« versetzte der verwunderte Landmann; »ich habe Euch von jeher für einen eingezogenen, stillen und friedlichen Mann gehalten, und hätte es mir nie im Traume einfallen lassen, daß Ihr Euch in so vielen Kriegshändeln herumgetummelt.«

»Pardon, ich bin kein Prahler, sonst hätt‘ ich die Liste verlängern und noch andere, wichtige Händel reinbringen können. Da war z. B. nicht länger als Anno zweiunddreißig im Osten ein gefährlicher Krieg um den persischen Thron. Ihr habt ohne Zweifel von den Gesetzen und der Regierungsform der Perser und Meder gelesen. Nu gut, um den Besitz dieses Thrones, von dem jene unveräußerlichen Gesetze ausgingen, handelte es sich in einem furchtbaren Kampfe, worin Blut floß wie Wasser. Doch, da es kein Christenblut war, so mag ich diesen Krieg nicht zu meinen eigenen Erfahrungen zählen. Nur hätte ich wohl mit gutem Fug und Recht den Porteoustumult erwähnen können, weil er in einem Teile des Landes stattfand, das mein Vaterland ist.«

»Ihr müßt doch weit rumgekommen sein, guter Freund, und Euch überall genau umgesehen haben, da Ihr so manches erlebt und mitgemacht, und immer Eure heile Haut davongetragen habt.«

»Ja, ja, ich will’s gestehen, Pardy, ich hab‘ ein gut Stück der Welt mit meinen beiden Fußellen gemessen. Zweimal bin ich zu Lande nach Boston gewesen, und einmal gar zu Wasser durch den Great-Sound von Long-Island bis York gefahren. Das letzte besonders war ein schweres, gefährliches Stück Arbeit, wenn man die Länge des Weges betrachtet, und vollends, wenn man bedenkt, daß man durch eine Stelle muß, deren Namen an den Eingang ins Tal Tophet erinnert.«

»Wie oft hab‘ ich nicht von Hell-Gate dem Höllentor gehört? Ja noch mehr, ich hab‘ einen Mann von hier persönlich gekannt, der zweimal durch das Loch gemußt – stellt Euch vor! Einmal, wie er nach York ging, und das andere Mal, als er zurückkam.«

»Nu, der wird’s satt haben, des bin ich gewiß. Hat er Euch erzählt von dem großen Topf, der kocht und brodelt, als brennten alle tausend Beelzebubs Feuer unter ihm? Und von dem Schweinsrücken, über den das Wasser hinschießt, als stürzte es sich den großen Wasserfall im Westen herab? Zu unserem großen Glück hatten wir erfahrene Seeleute und waren lauter beherzte Passagiere; so kamen wir denn diesmal mit einem blauen Auge davon, denn soviel kann ich Euch sagen – und ich kümmere mich nichts drum, wer’s hört – es gehört eine tüchtige Portion Courage dazu, in so ’ne schreckliche Straße mit offenen Augen einzulaufen. Wir gebrauchten Vorsicht, warfen in einiger Entfernung bei ein paar Inseln diesseits der gefährlichen Stelle unsere Anker aus und schickten die Pinasse mit dem Kapitän und zwei stämmigen, mannhaften Matrosen zum Rekognoszieren aus, damit sie alles genau untersuchen und berichten möchten, ob der Schlund in friedlichem Stande sei oder nicht. Und da sich alles erwünscht befand, so ging’s nu mutig weiter; wir Passagiere wurden ans Land gesetzt, das Schiff ging zu Wasser durch, und mit Gottes Hilfe lief beides glücklich ab.

Wir hatten aber alle Ursache, uns zu freuen, daß wir uns vor der Abfahrt den Gebeten unserer Gemeine empfohlen hatten: sie waren, wie Ihr seht, höheren Orts gnädiglich erhört worden.«

»Wie? Ihr umginget das Höllentor zu Fuß?« fragte der aufhorchende Landmann.

»Freilich! Es wäre ja ein sündlicher, lästerlicher Trotz, ein unheiliges Versuchen der Vorsehung gewesen, wenn wir anders gehandelt hätten. Was hatten wir für Pflicht und Beruf, uns der Gefahr auszusetzen, und das Opfer unsers Lebens zu bringen? Doch jene Gefahr ist nun, wie gesagt, glücklich vorüber, und so vertraue ich denn auch zu Gott, dieser blutige Krieg, an dem wir beide teilgenommen haben, werde ebenfalls glücklich vorübergehen, und hoffe, Seine geheiligte Majestät werden Zeit und Raum gewinnen, sein königliches Augenmerk auf die Seeräuber zu richten, die die Küsten beunruhigen und verheeren, und werde einigen seiner besten Seekapitäns Befehl geben, die Schurken mit eben dem Maße zu messen, womit sie sich erfrechen, andere zu messen. Was würde es in meinen alten Tagen eine Freude für mich sein, wenn ich den berüchtigten, schon so lange vergeblich gehetzten Red-Rover in diesen Hafen einlaufen sähe, von einem königlichen Kreuzer ins Schlepptau genommen?«

»Ist denn der wirklich so ein abscheulicher Bube?«

»Er? O, sein Piratenschiff steckt voll lauter er’s. Bis zum letzten Schiffsjungen sind sie, einer wie der andere, blutdürstige heillose Räuber und Mörder. Lieber Pardy, es ist herzbrechend und eine Not, bloß mitanzuhören, was diese Canaillen auf der hohen See Sr. Majestät für Unheil und Greuel anrichten.«

»Ich habe oft von diesem Red-Rover erzählen hören,« versetzte der Landmann, »doch nur im allgemeinen; von den näheren Umständen hab‘ ich bis jetzt noch nichts erfahren.«

»Wie solltest du auch, junger Mann vom Lande? Woher kämen die Nachrichten von dem, was in offener See vorgeht, bis zu deinen Ohren. So was ist nur für unsereinen, der in einem so besuchten Hafen lebt… Aber mir ist bange, Pardon, du wirst spät nach Hause kommen« – setzte er hinzu, indem er zugleich auf gewisse Striche sah, die er auf das Fensterbrett gezogen, um mit deren Hilfe den Stand der Sonne bemerken zu können. – »Es geht stark auf fünfe, und Ihr habt doppelt so viel Meilen zu gehen, ehe Ihr an die nächste Grenze von Eures Vaters Meierei gelangt.«

»Ei was! Der Weg ist eben, und die Leute ehrlich«, erwiderte der Pachtersohn, dem es einerlei war, ob er erst um Mitternacht ankomme, wenn er nur der Überbringer von Nachrichten aus der Stadt sein und vor allem von einem bedeutenden Seeraub erzählen konnte; denn er wußte wohl, daß ein ganzer Haufe auf ihn mit der Frage einstürmen würde: was bringst du Neues? – »Und ist er wirklich so furchtbar als man sagt? Sucht man ihn wirklich auf?«

»Ihn aufsuchen? Ihn? Wird Tophet von einem betenden Christen aufgesucht? Glaubt mir, auf dem mächtigen See-Element gibt es wenige, sollten sie auch so tapfere Kriegsmänner sein als Josua gewesen, der große jüdische Feldhauptmann, die nicht tausendmal lieber Land, als die Bramsegel dieses verwünschten Piraten sehen! Menschen fechten des Ruhmes wegen. Das könnt Ihr mir glauben, Pardon, mir, der ich so viele Kriege erlebt habe; aber niemand findet Vergnügen daran, es mit einem Feinde aufzunehmen, der beim ersten Schuß eine blutige Flagge aufzieht, und fertig und bereit ist, beide Teile in die Luft zu sprengen, wenn er findet, daß Satans Hand nicht mehr stark genug ist, ihm zu helfen.«

»Ist der Kerl so desperat,« sagte der junge Mann, indem er sich stolz in die Brust warf und seine mächtigen Glieder reckte, »so begreif‘ ich nicht, warum die Insel und die Pflanzer nicht ein Küstenfahrzeug ausrüsten, ihn aufzubringen, damit er mal lerne, wie ein ehrlicher Galgen aussieht? Laßt nur heute oder morgen in unserer Nachbarschaft die Trommel rühren und die Botschaft ausrufen, und ich will meinen Hals verwetten, daß sie wenigstens einen Freiwilligen mitnehmen wird.«

»So sprecht Ihr, weil Ihr kein Pulver gerochen habt! Wozu würden aller Welt Dreschflegel und Heugabeln dienen, gegen Leute, die sich dem Teufel verschrieben haben? Wie oft ist der Räuber nicht von königlichen Kreuzern bei Nachtzeit oder bei Sonnenuntergang gesehen worden? Wie oft glaubten sie schon, ihn umzingelt und die Diebe im Netz zu haben? Wie oft hielten sie sie schon in Gedanken im Folterstock! – Wenn aber der Morgen graute, husch! war die Prise verschwunden, auf einem oder dem andern Wege.«

»Sind denn die Kerle solche Bluthunde, daß man sie die Roten nennt?«

»Den Namen haben sie von ihrem Anführer«, erwiderte mit wichtiger Miene der ehrwürdige Kleidermacher, dessen Kamm zu schwellen anfing, je weiter er in der Mitteilung seiner interessanten Legende vorrückte. »Es ist sein Name und auch seines Schiffes Name; wenigstens hat niemand, der mal einen Fuß darauf gesetzt hat, es wieder verlassen, um zu sagen, ob es einen bessern oder schlechtern führe; niemand, das will sagen, kein ehrlicher Seemann oder braver Passagier. Das Schiff hat übrigens, wie man sagt, die Größe einer Kriegsjacht, auch die Gestalt, auch die Ausrüstung; es ist wie durch Wunder mancher tapfern Fregatte entkommen, ja einmal, Pardon – so zischelt man sich ins Ohr, denn kein loyaler Untertan würde es wagen, den Skandal laut nachzusprechen – einmal lag es eine ganze Stunde unter den Batterien eines Linienschiffs von fünfzig Kanonen und schien dann vor aller Augen wie ein Klumpen Blei in den Grund zu sinken. Wer im Augenblick, wo alles voller Freude war, sich die Hand schüttelte, sich Glück wünschte, daß die Buben nun Wasser die Fülle zu trinken bekämen, lief ein Westindier in den Hafen ein, den der Seeräuber am Morgen nach der Nacht, wo jedermann glaubte, daß er mit der ganzen Equipage in die Ewigkeit übergegangen sei – rein ausgeplündert hatte. Und was das Tollste dabei war, Freund, ist, daß, während das durchschossene Kriegsschiff kielholen mußte, um sich auszubessern und die Lecke zu stopfen, das Raubschiff die Küste auf und nieder spazierte, so heil und ganz wie es war, als es die Werkleute vom Stapel lausen ließen.«

»Nu, das ist unerhört!« rief der Landmann, auf den die Geschichte anfing, einen tiefen Eindruck zu machen. »Wie sieht denn das Schiff sonst wohl aus? Hat’s ’ne gefällige Gestalt? Ein angenehmes Äußere? Oder ist es überhaupt ausgemacht, ob es ein – lebendes wirkliches Schiff sei?«

»Man ist verschiedener Meinung. Einige sagen ja; einige sagen nein. Aber ich bin mit jemandem bekannt, der eine Woche mit einem Matrosen gearbeitet hat, der mal bei einem Kühlwind nicht weiter als hundert Schritt weggesegelt ist. Sein und der Equipage Glück war’s, daß des Herrn Hand so mächtig auf dem Meere war, und daß der Rover alle Hände voll mit sich und seinem Schiff zu tun hatte, um nicht zu sinken. Der Bekannte meines Freundes konnte den günstigen Moment benutzen, Schiff und Kapitän in vollen Augenschein zu nehmen, ohne was dabei zu wagen. Er hat ausgesagt, der Pirat sei ein Mann, noch halbmal so dick, als der lange Prediger jenseits des Wassers; sein Haar habe die Farbe der Sonne im Nebel, und Augen habe er, in die kein Mensch ein zweites Mal gucken möchte. Er hat ihn so klar und deutlich gesehen, wie ich Euch in diesem Augenblick; denn der Schurke hing in der Takelage seines Schiffs und winkte mit einer Hand, so groß wie eine Rocktaschpatte, dem ehrlichen Kauffahrer zu, auszuweichen, damit beide Schiffe nicht aneinanderstoßen und sich übersegeln möchten.«

»Das nenn‘ ich mir einen verwegenen Segler, diesen Kauffahrer! Dem unbarmherzigen Schurken so nahe auf den Leib zu kommen.«

»Bedenkt doch nur, Pardon, es war wider seinen Willen; und die Nacht war so finster, daß man …«

»So finster, sagt Ihr?« unterbrach jener, der trotz seinem Hange zur Leichtgläubigkeit von der Neigung des Neu-Engländers, verfängliche Fragen zu stellen, nicht frei war. »Wie konnte er denn alles so deutlich sehen und es nachher beschreiben?«

»Das weiß kein Mensch,« sagte der Schneider, »’s schadet aber nicht; genug, er sah es, und sah es gerade so, wie er es beschrieb, alles haarklein, wie ich es Euch wiedererzählt habe. Noch mehr; er merkte sich das Schiff genau, damit er es wiedererkenne, wenn es ihm ein Ungefähr oder die göttliche Vorsehung wieder mal in den Weg führen sollte. Es war ein langes, schwarzes Schiff, ging flach im Wasser wie die Schnecke im Grase, hatte ein verzweifelt boshaftes Ansehen und eine ganz verrückte Bauart. Dann versichert auch noch die ganze Welt, es scheine die Wolken zu übersegeln und sich wenig um den Wind zu kümmern, so daß man hinsichtlich seiner Geschwindigkeit um kein Jota besser daran ist, als mit seiner Ehrlichkeit … Wenn ich es recht bedenke, alles zusammennehme, so hat das Schiff etwas von dem Fahrzeug dort, von dem Guineafahrer, der, weiß der Himmel warum? seit voriger Woche im äußern Hafen liegt.«

Das alte Weib von Schneider hatte beim Erzählen köstliche Augenblicke verloren; diese suchte er nun durch fleißigeres Nähen wieder einzuholen, und begleitete jeden Stich und jede Bewegung der Nadel mit korrespondierendem Rucken mit dem Kopfe und den Schultern. Währenddessen drehte sich der Bauer, der seinen dicken Kopf mit einer Last von wunderbaren Nachrichten dergestalt angefüllt hatte, daß er sie kaum nach Hause zu tragen vermochte, nach der Gegend, wohin jener mit dem Finger wies, um sich nun noch das einzige, was ihm fehle, das Bild des Schiffs, zu verschaffen, das er, als Kupferstich zu der Schneiderrelation, seinem Gedächtnisse einprägen wollte. Hierdurch, und durch die gleichzeitige Beschäftigung beider Parteien, entstand eine Pause. Der Schneider brach sie zuerst dadurch, daß er den Faden abknipste, denn das Kleidungsstück war soeben fertig geworden. Jetzt warf er alles von sich, Rock, Nadel, Fingerhut, schob seine Brille an die Stirn hinauf, stützte seine Arme auf die Knie, so daß er einer Pagode glich und seine Glieder untereinander ein wahres Labyrinth bildeten, und rückte den Vorderleib soweit zum Fenster hinaus, daß er ebenfalls das Schiff, worauf er seinen Kompagnon aufmerksam gemacht hatte, in vollen Augenschein nehmen konnte.

»Wißt Ihr wohl, Pardon,« sagte er zu gleicher Zeit, »daß sich über dieses Schiff da bei mir seltsame Gedanken und furchtbare Ahnungen entsponnen haben? Die Leute nennen es ein Sklavenschiff und sagen, es nehme Holz und Wasser ein; und da liegt es schon ganzer acht Tage, und in all dieser Zeit ist kein Stück Holz, dicker als ein Ruder, an Bord gebracht worden, und ich wollte wohl wetten, daß es zehn Tropfen Jamaikarum für einen Tropfen Quellwasser eingenommen hat. Und dann, seht nur nach, wo es vor Anker liegt; seht, wie es nur von einer einzigen Kanone der Batterie bestrichen werden kann. Wär‘ es ein gewöhnliches Handelsschiff, das Schutz sucht, es würde sich natürlich eine Stelle gewählt haben, wo ein Pirat, der sich in den Hafen hineinwagen und sich daranmachen möchte, es unter dem vollen Feuer der Batterie finden würde.«

»Lieber, guter Alter,« bemerkte der junge Landmann, »Ihr habt ein bewundernswürdiges Auge. Ich für mein Teil hätte mir dergleichen nicht ausgedacht, wenn auch das Schiff dicht vor der Batterieinsel läge.«

»So ist’s, Pardon. Gewohnheit und lange Erfahrung machen uns zu Menschen. Ich verstehe mich etwas auf Batterien, da ich so manchen Krieg gesehen und sogar einen Feldzug von acht Tagen im Fort selbst mitgemacht habe, als es hieß, die Franzosen wollten von Louisburg aus Kreuzer längs den Küsten senden. Da kam es denn, daß ich gerade vor jener Kanone Schildwache stand, und so hab‘ ich nicht ein- sondern wohl zwanzigmal ihren Lauf entlangvisiert, um den Fleck aufzufinden, den die Kugel treffen würde, wenn der Fall eintreten sollte, was Gott verhüte! daß die Kanone wirklich geladen und abgeschossen werden müßte.«

»Aber wer sind jene Leute dort?« fragte Pardon mit jener Art träger Neugierde, die durch die erzählten Wunder ein wenig aus ihrem Schlummer gebracht war. »Sind es Matrosen vom Sklavenschiff oder sind es Newporter, die nichts zu tun haben, als die Straßen auf und ab zu gehen?«

»Jene dort?« rief der Schneider aus: »Gewiß und wahrhaftig, das sind Fremde, und es tut in diesen unruhigen Zeiten not, ein wachsames Auge auf sie zu haben. Hier, Nab, nimm mir das Stück ab; bügle die Nähte, hörst du, faules Stück Fleisch! Nachbar Hopkins ist eilig, seine Zeit ist edel, er ist nicht wie du, deren Zunge geläufig ist wie die eines Advokaten in der Gerichtsstube. Nur die Ellbogen und die Armknochen nicht gespart, Dirne; du hast da ein seines Musselin aus Indien unter dem Bügeleisen, das ist ein Zeug, womit man Wände ausfüttern könnte. Ja, ja, Pardy, Eurer Mutter Gewebe bricht Nadel und Zwirn, und macht dem Nähter doppelte Arbeit.«

Mit diesen Worten übergab er das soweit vollendete Stück einem linkischen schmollenden Mädchen, das mit einer Nachbarsklatsche in lebhaftem Gespräch begriffen war und das angenehme Geschäft mit einem verdrießlichen vertauschen mußte. Er selbst schob seine kleine, hinkende Person – denn er hatte das Unglück gehabt, mit einem kürzeren Fuß auf die Welt zu kommen – vom Fenster weg, zur Tür hinaus, in die freie Luft.

Neunzehntes Kapitel.

Neunzehntes Kapitel.

Erwägt der Leser die Schnelligkeit, mit der das Fahrzeug vor dem Winde flog, so darf es ihn nicht befremden, daß wir imstande sind, die Szene des gegenwärtigen Kapitels in einer ganz verschiedenen Gegend zu eröffnen, wenn wir von dem Zeitpunkte an, wo sich die bisher erzählten Ereignisse schließen, eine Woche überspringen. Wir halten es für überflüssig, dem Rover in den Krümmungen jener irren und oft scheinbar ungewissen Fahrt zu folgen, während der sein Kiel weit mehr als tausend Seemeilen durchschnitten, mehr als einem königlichen Kreuzer geschickt die Spur verdorben und verschiedene minder gefahrvolle Tete-a-tetes ebensosehr aus Neigung als aus irgendeinem andern zu vermutenden Grunde vermieden hatte. Zu unserem Zwecke reicht es vollkommen hin, den Vorhang, der eine Zeitlang die Bewegungen des Fahrzeuges verhüllen mußte, zu lüften, um es in einem mildern Klima und, bedenkt man die Jahreszeit, in einer günstigern See wieder auftreten zu lassen.

Genau sieben Tage also, nachdem Gertraud und ihre Erzieherin Genossen des Freibeuterschiffes geworden waren, befand es sich, als die Sonne über seinen flatternden Segeln, symmetrischen Spieren und dunklem Rumpfe aufstieg, innerhalb des Gesichtskreises einiger niedrigen, kleinen, felsigen Eilande. Wenn man auch nicht das geringste Hügelchen blauen Landes sich aus der Welt von Gewässern hätte heben sehen, so würde doch die Farbe des Elementes schon jeden Seemann belehrt haben, daß sich der Boden des Meeres mehr als gewöhnlich der Oberfläche nähere und man folglich gegen die wohlbekannten, gefürchteten Gefahren der Küste auf der Hut sein müsse. Kein Wind regte sich; denn das schwankende, ungewisse Wehen, das von Zeit zu Zeit auf einen Augenblick die leichtere Leinwand des Fahrzeuges füllte, verdiente nur der Hauch eines Morgens genannt zu werden, der über dem Meere anbrach, sanft, mild, und mit einem scheinbar so weichen Lüftchen, daß es dem Ozean den stillen Charakter eines schlafenden Binnensees verlieh.

Alles im Schiffe, was Leben hatte, war schon auf und munter. Fünfzig kräftige und von Gesundheit strotzende Kerle hingen in verschiedenen Teilen der Takelage, einige lachend und sich leise mit Kameraden unterhaltend, die nachlässig auf den nächsten Spieren ausgestreckt lagen, andere gemächlich eine leichte und unbedeutende Arbeit verrichtend, mehr um nicht müßig zu gehen, als weil sie nötig gewesen wäre. Eine noch größere Anzahl von anderen schlenderte auf dieselbe Weise sorgenlos unten auf dem Verdeck umher. – Das Ganze trug das Gepräge von Leuten, die sich etwas, wenn auch noch so Unwesentliches zu tun machten, mehr um den Vorwurf der Trägheit zu vermeiden, als daß die Notwendigkeit das Werk geboten hätte. Die Schanze, der geheiligte Fleck eines Fahrzeuges, das auf Disziplin oder auch nur auf einen Schein darauf Anspruch macht, war von anderen Personen eingenommen, die freilich auch ebenso unbeschäftigt und nachlässig waren, als die übrigen. Kurz, die Stille auf dem Schiffe glich der auf dem Ozean und in der Luft, die beide eine gelegenere Zeit zur Entfaltung ihrer Macht abzuwarten schienen.

Drei oder vier Jünglinge, die nichts weniger als ein unangenehmes Äußeres hatten, besonders wenn man die Beschaffenheit ihres Gewerbes erwägt, erschienen in einer Art von halber Schiffsuniform, bei deren Schnitt und Farbe jedoch die Mode keiner besondern Nation vorzugsweise zu Rat gezogen war. Ungeachtet der offenbaren Ruhe, die rings um sie her herrschte, trug jeder von ihnen einen kurzen, geraden Dolch am Gürtel; und als sich einer von ihnen zufällig über die Galerie lehnte, konnte man den Schaft eines Terzerols durch eine offene Falte seiner Uniform entdecken. Da indessen keine anderen unmittelbaren Zeichen der Vorsicht zu bemerken waren, so konnte man nur schließen, daß dies die gewöhnliche Tracht auf dem Schiffe sein müsse. Ein paar grimmige und verhärtet aussehende Schildwachen, ganz wie Militär zu Lande uniformiert und bewaffnet, die, gegen den Gebrauch in Flotten, auf der Grenzlinie zwischen dem Sammelplatz der Offiziere und dem Vorderteil des Verdecks ihren Posten hatten, deuteten ebenfalls auf ungemeine Vorsicht hin. Allein alle diese Einrichtungen ließen die Matrosen in einer solchen Gleichgültigkeit, daß man wohl sehen konnte, die Gewohnheit habe sie längst schon damit vertraut gemacht.

Das Individuum, das dem Leser bereits unter dem hochtönenden Titel General bekannt ist, stand aufrecht und steif wie ein Schiffsmast da und studierte kritischen Blickes die Equipierung seiner beiden Söldlinge, augenscheinlich so achtlos auf alles, was um ihn her vorging, als wenn er sich buchstäblich zu den unbeweglichen architektonischen Teilen des Schiffes rechnete. Eine Gestalt aber zeichnete sich unter allen, die sich umherbewegten, durch ihre würdevolle Miene und das selbst in ruhiger Stellung nicht zu verkennende gebieterische Wesen aus. Es war der rote Freibeuter, der allein stand, indem es niemand wagte, dem Fleck nahe zu kommen, wo es ihm beliebte, seine gewandte, grazienvolle und imposante Person hinzupflanzen, seinen lebendigen, überall hin gerichteten Blick verließ nie der Ausdruck des strengen Prüfens, sowie er bald den einen, bald den andern Gegenstand der Schiffgeräte traf, und zuweilen, wenn sein Auge eine der durchsichtigen, gekräuselten Wolken, die in dem blauen Äther schwammen, betrachtete, umzog seine Brauen jene Düsterheit, die man gewöhnlich als die Begleiterin angestrengten Denkens anzusehen pflegt. In der Tat, so finster und bedrohlich wurde zuweilen das Zürnen seines Auges, daß selbst das blonde Haar, dessen Locken unter einer schwarzsamtenen, mit einer tief herabhängenden Goldquaste geschmückten Kapitänsmütze hervorquollen, seinem Gesicht jenen milden Zug nicht zu verleihen vermochte, den es zu anderen Zeiten hatte. Gleichsam als verschmähe er Verheimlichung und als gefalle er sich in der Verkündigung seiner Macht, trug er seine Pistolen offen in einem ledernen Gürtel, über einen blauen mit Gold zierlich eingefaßten Rock: außerdem trug er noch, mit derselben Verachtung des Geheimnisvollen, einen leichtgearbeiteten, krummen, türkischen Säbel und ein Stilett im Gürtel, das, nach der Verzierung des Handgriffes zu urteilen, wahrscheinlich von den Händen eines italienischen Künstlers verfertigt worden war.

Auf dem Deck der Hütte, erhaben über die anderen, und von der unten sich bewegenden Menge zurückgezogen, stand Mistreß Wyllys und das ihr anvertraute Mädchen. Weder in dem Blick, noch im Wesen irgendeiner von ihnen war jene Ängstlichkeit zu bemerken, die man als etwas Natürliches bei Frauen voraussetzen darf, die sich in einer so kritischen Lage, in der Gesellschaft gesetzloser Freibeuter befinden. Im Gegenteil, als die Gouvernante ihrer Anvertrauten den fernen mattblauen, über die Wasser wie eine dunkle, genau begrenzte Wolke hervorragenden Hügel zeigte, da war in dem gewöhnlich ruhigen Ausdruck ihres Gesichtes der rege Zug der Hoffnung nicht zu verkennen. Sie rief auch Wildern mit heiterer Stimme herbei, und der Jüngling, der lange mit einer gewissen Eifersucht auf der von der Schanze hinaufführenden Treppe gestanden und sie bewacht hatte, war im Nu an ihrer Seite.

»Ich versicherte Gertraud soeben,« sagte die Gouvernante mit jenem zutraulichen Tone, den gemeinschaftlich ausgestandene Gefahren zu erzeugen pflegen, »daß dort ihre Heimat läge, und wir hoffen dürften, sie bald zu erreichen, wenn erst der Wind eintrete; allein nachdem wir soviel Schrecknisse erlebt haben, will das eigensinnige, furchtsame Kind ihren Sinnen durchaus nicht eher trauen, als bis sie zum wenigsten die Wohnung ihrer Kindheit und das Antlitz ihres Vaters erblickt. Sie sind doch schon oft an dieser Küste gewesen, Herr Wilder?«

»Oft, Madame.«

»Dann können Sie uns ja sagen, was für Land das ist, das wir in der Ferne sehen.«

»Land!« wiederholte unser Abenteurer, sich verwundert stellend; »ist denn irgendwo Land zu sehen?«

»Irgendwo zu sehen! Es ist ja schon vor mehreren Stunden von dem Manne im Mastkorbe angekündigt worden.«

»Kann sein; wir Seeleute sind nach einer durchwachten Nacht etwas stumpf und hören oft wenig von dem, was um uns her vorgeht.«

Die Erzieherin warf, aus Furcht, sie wußte selbst nicht wovor, einen flüchtigen, verdachtvollen Blick auf ihn, ehe sie fortfuhr: »Hat der Anblick des freundlichen, teuern Bodens von Amerika seinen Zauber bei Ihnen so schnell verloren, daß Sie sich ihm so teilnahmlos nähern? Ich habe es mir noch immer vergebens zu enträtseln gesucht, wie die Leute Ihres Faches für ein so gefährliches, verratvolles Element so bis zur Betörung eingenommen sein können?«

»Sind die Seeleute denn wirklich ihrem Beruf mit einer so ungeteilten Liebe ergeben?« fragte Gertraud mit einer Hast, von der es ihr schwer gewesen wäre, den innersten Grund anzugeben.

»Es ist eine Schwäche, die man uns oft zur Last legt«, erwiderte Wilder, sie mir einem Lächeln anblickend, worin nicht der leiseste Schatten der frühern Zurückhaltung zu erkennen war.

»Und mir Recht?« fragte Gertraud.

»Ich fürchte, mir Recht.«

»Ach wohl!« rief Mistreß Wyllys mit einer bedeutsamen Emphase aus, die sanften und doch bittern Gram verriet; »sie lieben die See oft mehr, als ihre stille, friedliche Heimat!«

Gertraud setzte das Gespräch nicht weiter fort, allein ihr schönes, großes Auge senkte sich auf das Verdeck, als ob sie tief nachsinne über den verkehrten Geschmack, der es lieber mit den wilden Gefahren des Ozeans aufnimmt, als sich den Freuden der Häuslichkeit hingibt.

»Ich wenigstens fühle mich von der letzten Beschuldigung nicht getroffen«, rief Wilder. »Mir ist ein Schiff immer das gewesen, was anderen die Heimat.«

»Auch ein großer Teil meines Lebens floß in einem Schiffe dahin«, fuhr die Gouvernante fort, offenbar in ihrem tiefsten Innern Bilder langer Vergangenheit zurückrufend. »Glücklich und traurig zugleich waren die Stunden, die ich auf der See zugebracht habe! Auch ist dies nicht das erste königliche Schiff, in das mich mein Schicksal geworfen hat. Und doch scheinen sich die Gebräuche seit jenen Tagen sehr geändert zu haben, wenn anders mein Gedächtnis die Eindrücke eines Alters nicht zu verlieren beginnt, wo jenes Seelenvermögen am stärksten zu sein pflegt. Ist es gebräuchlich, Herr Wilder, einem Erzfremden, wie Sie hier sind, in einem Kriegsschiff ein Kommando anzuvertrauen?«

»Durchaus nicht!«

»Und doch führten Sie, wenn mein schwaches Urteil nicht trügt, von dem Augenblicke an, wo wir als Schiffbrüchige, Hilflose dies Fahrzeug betraten, das zweite Kommando darin.«

Unser Abenteurer wendete abermals den Blick ab und suchte augenscheinlich nach Worten, ehe er erwiderte: »Ein Patent gebietet überall Achtung; das meinige hat mir die Wichtigkeit verschafft, von der Sie Zeuge waren.«

»Sie sind also ein königlicher Offizier?«

»Würde man irgendeine andere Autorität in einem königlichen Schiffe gelten lassen? Durch den Tod wurde die zweite Stelle in diesem Kreuzer vakant. Zum Glück für das Bedürfnis des Dienstes, vielleicht auch für mich, war ich bei der Hand, die Stelle auszufüllen.«

»Aber sagen Sie mir doch noch,« fuhr die Gouvernante fort, entschlossen, die Gelegenheit nicht vorübergehen zu lassen, ohne sich noch mehr Aufklärung zu verschaffen, »ist es Sitte, daß die Offiziere eines Kriegsschiffs bewaffnet unter ihren Leuten erscheinen, wie es hier geschieht?«

»Es ist der Wille unseres Kommandeurs.«

»Dieser Kommandeur ist offenbar ein geschickter Seemann, allein seine Kapricen und seinen Geschmack finde ich ebenso außergewöhnlich wie seine Miene. Ich muß ihn schon einmal gesehen haben, und wo ich nicht irre, erst vor kurzem.«

Mistreß Wyllys verfiel in ein mehrere Minuten langes Stillschweigen. Während der ganzen Zeit blickte sie unverrückt hin auf die Gestalt des regungslosen Menschen, der noch immer in seiner ruhigen Haltung verharrte, entfernt von dem ganzen Haufen, den er so gewandt in unbedingter Abhängigkeit von seinem Befehl zu erhalten wußte. Die Gouvernante schien in diesen paar Augenblicken auch die flüchtigste Eigentümlichkeit seiner Person mit ihrem Auge einsaugen zu wollen, das sie nicht müde wurde, auf ihm ruhen zu lassen. Sie holte alsdann tief Atem und ließ vom Sinnen nach, indem sie sich erinnerte, daß sie nicht allein sei, und daß andere, schweigend und sie beobachtend, das Ergebnis ihres Nachdenkens abwarteten. Ohne Verwirrung jedoch wegen einer Geistesabwesenheit, an die ihre Schülerin schon zu sehr gewöhnt war, als daß sie ihr auffallen sollte, nahm sie, den Blick wie zuvor auf Wilder gerichtet, das Gespräch wieder da auf, wo sie selbst es unterbrochen hatte.

»Sind Sie denn schon lange mit dem Kapitän Heidegger bekannt?«

»Wir haben uns schon früher gesehen.«

»Dem Tone nach ist der Name deutschen Ursprungs, mir wenigstens ist er vollkommen neu. – Doch gab es eine Zeit, wo mir wenige im Dienste des Königs stehende Offiziere seines Ranges dem Namen nach unbekannt waren. Ist seine Familie in England eine alte?«

»Diese Frage kann er selbst wahrscheinlich besser beantworten«, sagte Wilder, froh, erlöst zu sein, denn der Gegenstand des Gesprächs näherte sich ihnen eben mir einer Miene, die das Bewußtsein ausdrückte, daß ihm niemand in dem Schiffe das Recht streitig machen durfte, an jedem ihm zusagenden Gespräch teilzunehmen. »Jetzt, Madame, ruft mich die Pflicht anderswohin.«

Wilder zog sich offenbar nur ungern zurück, und wenn seine Reisegefährtinnen überhaupt Verdacht gehegt hätten, so würde ihnen der mißtrauische Blick nicht entgangen sein, womit er die Art beobachtete, die sein Kommandeur annahm, als er den Damen einen guten Morgen wünschte; und doch war nichts im Wesen des Rovers, was ein solch eifersüchtiges Bewachen hätte veranlassen können, im Gegenteil, etwas Kaltes und Abweisendes darin gab den Anschein, daß er mehr aus Gastfreundlichkeit, als aus dem Wunsch sich zu unterhalten, an der Unterredung teilnehme. Indessen hatte sein Benehmen viel Gütiges, und seine Stimme war mild wie die Luft, die von dem herrlichen Klima der nahen Insel herüberwehte.

»Dort ist ein Anblick,« sagte er, indem er auf den blauen Rand des Kontinents hinzeigte, »der den Landbewohner mit Wonne und den Seemann mit Schrecken erfüllt.«

»Sind denn Seeleute dem Anblick von Regionen so abgeneigt, wo so viele Millionen ihrer Mitgeschöpfe mit Vergnügen wohnen?« fragte Gertraud, an die er seine Worte gerichtet hatte. Die Offenherzigkeit, mit der sie die Frage tat, bewies hinlänglich, daß ihre flecken- und arglose Seele von seinem wahren Charakter nicht die entfernteste Ahnung hatte.

»Zu denen auch Fräulein Grayson gehört«, erwiderte er, sich leise verbeugend, und mit einem Lächeln, hinter dessen Heiterkeit sich Ironie verbarg. »Nach den Gefahren, die Sie so kürzlich ausstehen mußten, kann selbst ich, ein so verstocktes und hartnäckiges Seeungeheuer, Ihnen die Abneigung gegen unser Element nicht verdenken. Doch ist es, wie Sie sehen, nicht ohne seine Reize. Kein See, von dem Festlande dort umkränzt, kann ruhiger und angenehmer sein, als dies Stückchen Meer. Befänden wir uns einige Grade südlicher, so wollte ich Ihnen Landschaften zeigen, zusammengesetzt aus Felsen, Gebirgen, Buchten, grüngetupften Hügelabhängen, spielenden Walfischen, nachlässig ausgestreckten Fischern, Bauernhütten in der Ferne und schlaffen Segeln – kurz, es würde sich selbst in einem Buche nicht übel ausnehmen, das die glänzenden Augen einer Dame mit Vergnügen lesen.«

»Und doch gehören die meisten Gegenstände, die Sie nannten, dem Festlande an. Zum Dank für dies Gemälde möchte ich Sie nach Norden fuhren, Ihnen dort finstere, drohende Wolken zeigen, ein grünes, verdrießliches Meer, Schiffstrümmer, Untiefen; auch Hütten, Hügelabhänge und Berge sind da, aber nur in der Sehnsucht der Ertrinkenden, endlich Segeltücher, gebleicht von Gewässern, die den gefräßigen Haifisch und den ekelhaften Polypen beherbergen.«

Gertraud hatte in seinem eignen, heitern Tone geantwortet; allein ihre blasse Wange und ein leises Zittern ihrer weichen, vollen Lippe verriet nur zu deutlich, daß die Erinnerung mit ihren entsetzlichen Bildern in ihr geschäftig war. Dieser Wechsel entging dem scharfforschenden Blicke des Rovers keineswegs, daher gab er, um jedes schmerzliche Andenken zu verbannen, auf eine ebenso gewandte als zarte Weise dem Gespräche eine andere Wendung.

»Es gibt Leute, die da glauben, die See habe nichts Unterhaltendes«, sagte er. »Für ein schwächliches, see- und heimwehkrankes Wesen mag das freilich wahr sein; allein der, dessen Geist kräftig genug ist, die Launen seines tierischen Teils zu unterdrücken, weiß ein anderes zu erzählen. So zum Beispiel haben wir regelmäßig unsere Bälle, und am Bord des Schiffes befinden sich Künstler, die vielleicht keinen so entschiedenen rechten Winkel mir ihren Beinen beschreiben können wie die Solotänzer in den Balletts, hingegen ihre Tanzfiguren im Sturmwind zu machen wissen, was mehr ist, als man von dem leichtfüßigsten Landhüpfer rühmen kann.«

»Ein Ball ohne Damen würde von ununterrichteten Leuten des Festlandes wenigstens für ein ungeselliges Vergnügen gehalten werden.«

»Hm! – es könnte freilich nicht schaden, wenn eine oder zwei Damen dabei wären. Dabei haben wir unser Theater, Posse, Lustspiel, spanischer Stiefel, alles kommt an die Reihe, um uns Kurzweil zu geben. Der Kerl, den Sie dort aus der Vormarssegelrahe ausgestreckt sehen wie eine träge Schlange, die sich auf einem Baumzweige sonnt, brüllt Ihnen so sanft wie eine Lachtaube! Und da drüben steht ein Verehrer des Momus, der selbst einen seekranken Mönch zum Lachen bringen würde: ich kann, glaube ich, nichts Empfehlenderes von ihm sagen.«

»Das nimmt sich in der Beschreibung recht gut aus,« erwiderte Mistreß Wyllys, »allein wieviel gehört davon dem – Dichter, oder soll ich Sie eher Maler nennen?«

»Keins von beiden, sondern einen ernst- und wahrhaften Chronisten. – Indes, da Sie Ihre Zweifel haben, und da Sie so seeneu sind …«

»Verzeihung!« unterbrach die Dame. »Ich bin im Gegenteil seealt, ich habe den Ozean schon oft gesehen.«

Der Rover, dessen unsteter Blick bis jetzt mehr das frische Antlitz Gertrauds als das ihrer Gefährtin getroffen hatte, richtete ihn hier auf die letztere, ja ließ ihn so lange auf ihr weilen, daß sie dadurch in einige Verlegenheit geriet.

»Es scheint Sie zu befremden, daß eine Dame ihre Zeit auf eine solche Weise zugebracht haben sollte«, bemerkte sie, nicht ohne die Absicht, ihn das Unschickliche seines stieren Blickes fühlen zu lassen.

»Wir sprachen von der See, wenn ich mich recht erinnere«, fuhr er fort, wie einer, der plötzlich von tiefem Nachdenken wieder zu sich kommt. »Ja, ja, von der See war es, denn ich war etwas prahlerisch in meiner Lobeserhebung geworden, hatte Ihnen gesagt, dies Schiff sei ein besserer Schnellsegler, als …«

»Nichts von alledem!« rief Gertraud, über seine Verwirrung herzlich lachend. »Sie spielten vielmehr den Zeremonienmeister in einem Schiffsball.«

»Wollen Sie ein Menuett tanzen? Wollen Sie meine Bretter mit den Grazien Ihrer Person beehren?«

»Ich, mein Herr? Mit wem? Vielleicht mit dem Herrn, der seine Tanzfiguren in einem Sturmwinde machen kann?« »Sie wollten unsere etwaigen Zweifel an den Vergnügungen der Seeleute beseitigen«, sagte die Erzieherin, mir einem ernsten Blick die Ausgelassenheit ihrer Schülerin verweisend.

»Jawohl, es war die Laune des Augenblicks, auch will ich ihren Lauf nicht hemmen.« Hierauf wandte er sich zu Wilder, der sich nahe genug postiert hatte, um das Gespräch mit anhören zu können, und fuhr fort: »Die Damen bezweifeln unsere Lustigkeit, Herr Wilder; der Bootsmann soll seinen Zauberruf ertönen lassen, verteilen Sie die Parole: zum Unheil unter die Leute.«

Unser Abenteurer verbeugte sich gehorchend und gab den erforderlichen Befehl.

Wenige Augenblicks danach erschien dasselbe Individuum, mit dem der Leser bereits im Schenkzimmer des Unklaren Ankers Bekanntschaft gemacht hat, in der Mitte des Schiffes, dicht bei der großen Luke, geschmückt wie damals, mir einer silbernen Kette, an der eine Pfeife befestigt war, und von zwei Gehilfen, geringeren Scholaren aus derselben rohen Schule, begleitet. Nun ließ Nightingale mit seinem Instrumente einen langen, grellen Pfiff erschallen, und als der Ton dem Ohre verhallt war, erhob er seine tiefe Baßstimme: »Alle zu Hauf, zum Unheil, ahoi!«

Wir haben bei einer frühern Gelegenheit diese Töne mir dem Brüllen eines Stieres verglichen; in gegenwärtigem Fall sinnen wir vergebens auf eine Vergleichung, die passender wäre, daher mag es bei der frühern sein Bewenden haben. Ein jeder der beiden Bootsmannsgehilfen wiederholte nun die gebrüllte Aufforderung, und damit war’s genug. Wie schroff und unverständlich auch der Ruf dem musikalischen Ohr Gertrauds klingen mochte, auf die Gehörorgane der Mehrzahl machte er einen absonderlich angenehmen Eindruck. – Schon als die Schwingungen des ersten schwellenden und anhaltenden Tones die obere stille Luftregion erreichten, hob sich hier der Kopf eines jungen Kerls, der auf einer Spiere ausgestreckt dalag, spitzte dort ein anderer das Ohr, der auf einem Tau hin und her schaukelte, jeder, um die Worte, die nun folgen würden, aufzufangen, wie ein wohldressierter Pudel aufpaßt, wenn er seinen Herrn sprechen hört. Aber kaum war das emphatische Wort, das unmittelbar dem langgezogenen »Ahoi!« folgte, womit Nightingale den Aufruf schloß, ausgesprochen, so entlud sich das dumpfe, bisherige Stimmengemurmel der Seeleute in einem gleichzeitigen und allgemeinen »Hurra!« Im Nu war jedes Zeichen von Lässigkeit verschwunden, und alles in der lebendigsten Regsamkeit. Die jungen, behenden Toppgasten schwangen sich wie hüpfende Tiere in das Tauwerk des jedem einzelnen angewiesenen Mastes, und erkletterten die sich hin und her schwingenden Strickleitern wie Eichhörnchen, die auf das Signal von Gefahr in ihre Schlupfwinkel flüchten. – Die ernsthafteren und schwerfälligeren Matrosen des Vorkastells, die noch wichtiger aussehenden Kanoniere und Quartiermeister, die minder schlauen und halb erschrockenen Kuhlgasten, endlich die ganz erschrockenen Rekruten der Hinterwache, alle eilten instinktmäßig auf ihre verschiedenen Posten; die Geübteren, um heillose Pläne gegen ihre Kameraden zu schmieden, die Einfältigeren, um sich über Verteidigungsmittel zu beraten.

Nun erschollen auf den Topps und Rahen Gelächter und geräuschvoller Witz, indem bald der eine übermütige Matrose droben seinen Einfall dem Kameraden verkündigte, bald ein anderer schadenfroh zankend darauf drang, seine Erfindung, Unheil anzustiften, sei die witzigere. Von der passiven Partei andererseits, nämlich von dem Haufen, der sich auf der Schanze und um den Fuß des großen Mastes immer dichter zusammenballte, wurden mißtrauische und oft wiederholte Blicke halb verstohlen in die Höhe geworfen, die genugsam die Zaghaftigkeit an den Tag legten, mit der die Neulinge auf dem Verdeck dem beginnenden Kampf gegen den handgreiflichen Witz ihrer Kameraden entgegensahen. Die solideren und ernsteren Seeleute aus der Back behaupteten jedoch ihren Posten mit einer Art von strenger Entschlossenheit, an der sich das Vertrauen, das sie in ihre physische Kraft setzten, und ihre genaue Bekanntschaft, sowohl mit den Gefahren, als auch mit den lustigen Launen des Seelebens, nicht verkennen ließ.

Außer diesen sah man noch einen Knäuel von Leuten, die sich, mitten im allgemeinen Wirrwarr und Getöse, so hastig und doch so taktmäßig versammelten, daß man bei ihnen einerseits ein Bewußtsein von der dringenden Notwendigkeit, unter obwaltenden Umständen vereint zu handeln, voraussetzen mußte, sowie andererseits die Gewohnheit, in Massen zu agieren. Dies waren die einexerzierten soldatischen Abhänglinge des »Generals«. Zwischen diesen und den minder taktfesten Seeleuten bestand nicht nur jene fast instinktmäßige, gegenseitige Antipathie von Marinesoldat und Matrose, sondern eine erhöhtere, die, aus leicht einzusehenden Ursachen, in dem Schiffe, von dem wir schreiben, so sehr genährt wurde, daß sie oft in unruhige und fast meuterische Zwiste ausbrach. Es waren in allem zwanzig Soldaten, die sich so schnell versammelten, und obgleich bei dergleichen Lustbarkeiten Feuergewehr verpönt war, so konnte man dem erpichten Grimm im Gesicht dieser schnurrbärtigen Helden leicht abfühlen, daß im Notfall keinem von ihnen der Appell an das Bajonett, das sie an den Schultern hängen hatten, schwer ankommen dürfte.

Ihr Kommandeur zog sich mit den übrigen Offizieren auf das Deck der Hütte zurück, um das Zwanglose der Lustbarkeiten, zu denen sie einmal das Fahrzeug hergegeben hatten, durch ihre Gegenwart nicht zu stören.

Es mochten wohl ein paar Minuten draufgegangen sein, bis die verschiedenen, soeben geschilderten Veränderungen zuwege gebracht waren. Sobald sich aber die Toppgasten überzeugt hatten, daß kein unglücklicher Nachzügler ihrer Partei irgendeiner der unten versammelten Gruppen nahe genug war, um ihrer wahrscheinlichen Wiedervergeltung ausgesetzt zu sein, so begannen sie, dem Ruf des Bootsmanns buchstäblich nachzukommen, indem sie Pläne zum »Unheil« schmiedeten.

Verschiedentliche Eimer, wovon der größte Teil die Bestimmung hatte, bei ausbrechendem Feuer Dienste zu tun, sah man bald an den Klappläufertauen von den äußeren Enden der Rahen in die See herabkommen. Trotz dem linkischen Widerstande der Untenstehenden waren die ledernen Gefäße bald gefüllt und in den Händen derer, die sie heruntergelassen hatten. Gar manch ein gaffender Kuhlgast und steifer Marine wurde jetzt mit dem Element, auf dem er schwamm, näher vertraut, als ihm lieb und bequem war. Solange indessen, als sich die Späße auf diese erst halb eingeweihten Individuen beschränkten, kühlten die Toppgasten ihr Mütchen ungestraft; kaum aber war die Würde eines Kanoniers verletzt, als die ganze Bande von Unteroffizieren und Backgasten in Masse aufstand, die Schmach zu rächen, wobei ihre Geschicklichkeit einen Beweis abgab, wie vertraut die ältern Matrosen mit allem waren, was in ihr Fach einschlug. Eine kleine Kanone wurde nun aufs Vorderteil heraufgeschafft und gleich einer genau zielenden Batterie, die zum beginnenden Kampfe Platz macht, auf den nächsten Topp gerichtet. Das laut lachende Gesindel droben machte sich aber bald aus der Schußweite, einige in die Höhe, andere auf den nächsten Topp, alle auf Seilen und über schwindlige Höhen hinweg, die für jedes Tier, minder behende als ein Eichhörnchen oder ein Affe, unerklimmbar schienen.

Nun forderten die siegreichen und boshaften Matrosen die Seesoldaten heraus, doch Gebrauch von ihrem Vorteil zu machen. Schon durch und durch naß, aber gierig, ihren Peinigern die Unbill wiederzuvergelten, rückte ein halb Dutzend Soldaten heran, von einem Korporal angeführt, dessen reich gepudertes Haupthaar durch eine zu innige Bekanntschaft mit einem Wassereimer in zusammengepappte Zotteln metamorphosiert war. Sie versuchten an der Takelage hinanzuklettern, ein Heldenstück, das ihnen schwerer ankam, als durch eine Bresche in die Festung zu stürmen. Die gottlosen Kanoniere und Quartiermeister, mit ihrem eigenen Erfolg zufrieden, feuerten sie zum Unternehmen noch mehr an; und Nightingale nebst seinen Gehilfen, die sich bald vor zurückgehaltenem Lachen die Zunge zerbissen, gaben mit ihren Flöten das Kommando: »Aufgehißt!« Der Anblick dieser waghalsigen Abenteurer, wie sie langsam und bedächtig die Strickleitern hinankletterten, hatte auf die zerstreuten Toppgasten ungefähr dieselbe Wirkung wie Fliegen, die sich einem Spinnengewebe nähern, auf ihre verborgene, blutdürstige Feindin. Die Matrosen in der Höhe bekamen von denen unten durch sprechende Blicke den Wink, daß Marinesoldaten erlaubtes Wild seien. Daher waren letztere noch kaum recht ins Netz gegangen, als schon zwanzig Toppgasten aus sie losstürzten, um ihre Prisen in Sicherheit zu bringen, ein Hauptstreich, der unglaublich schnell ausgeführt war. Zwei oder drei der aufstrebenden Ritter wurden da, wo der Feind auf sie stieß, mit einer Tracht Prügel bewillkommt, ohne sich verteidigen zu können, da sie sich an einem Orte befanden, wo der Instinkt selbst ihnen die unumgängliche Pflicht einzuschärfen schien, mit beiden Händen ja recht festzuhalten; andere von ihnen hatten ein verschiedenes, obgleich nicht besseres Los: man sah sie plötzlich vermittelst Klappläufertaue ihrem Orte enthoben und nach verschiedenen Spieren, wie ebenso viele leichte Segel oder Rahen hinschweben.

Mitten in der geräuschvollen Freude über diesen Sieg zeichnete sich ein Individuum durch die Ernsthaftigkeit und geschäftige Miene aus, mit der es seine Rolle in der Posse spielte. Auf dem äußern Ende einer der niederen Rahen sitzend, so sicher als befände es sich auf einer Ottomane, war es sorgfältigst damit beschäftigt, die Lage eines armen Gefangenen zu untersuchen, der, dicht vor seinen Füßen, weder vor- noch rückwärts konnte, während der lose Befehlshaber auf dem Topp herabschrie, ihn vollends aufzuhissen, einen »Juwelenblock« aus ihm zu machen; eine Benennung, die man den an gewissen Rahenenden herabhängenden Blöcken gibt, und die den Juwelenbommeln, die man so oft an den Ohren des schönen Geschlechtes glänzen sieht, entliehen zu sein scheint.

»Ja, ja,« brummte der bedächtige, ernsthafte Teer, der kein anderer war als Richard Fid, »das Bindsel, das der Kerl mitbringt, ist nicht vom haltbarsten; wenn er schon jetzt so quiekt, was wird er erst tun, wenn er, mit einem Tau durchrefft, in der Luft baumelt! Meiner Seel, Burschen, ihr hättet den Jungen besser ausreeden sollen, ehe ihr ihm die Ehre zudachtet, ihn in gute Gesellschaft raufzuschicken. Da sind ja mehr Löcher in seiner Jacke als Kajütenfenster in einer chinesischen Junke. Hilloa! – Du, da unten! – Du, Guinea, faß mir mal ein Schneiderlein und schick’s rauf, um diesem Kuhlgast die Windluken zu verstopfen.«

Der athletische Afrikaner, dem wegen seiner Riesenstärke ein Posten im Vorkastell angewiesen war, schaute einen Augenblick hinauf, dann schritt er im Trabe mit verschränkten Armen das Verdeck entlang, so ernsthaft, als wäre er in einem Dienste von höchster Wichtigkeit begriffen. Ein höchst kläglich und hilflos aussehendes Wesen, von dem Aufruhr über seinem Haupte aufgeschreckt, war von einem verborgenen Winkel des Bachdecks auf die Leiter der Vorluke herausgekrochen. Nur mit dem halben Körper über die Planken hervorragend, eine Strähne Kamelgarn um den Hals, ein Stück Wachs in der einen Hand und eine Nähnadel in der andern, stand es da und schaute stieren Blickes um sich her. Ein chinesischer Mandarin, der plötzlich in die Geheimnisse des Ballens eingeweiht werden soll, hätte nicht verdutzter aussehen können. Auf dies Subjekt fiel das Auge Scipios. Er streckte einen Arm aus, warf es sich auf die Schultern, und ehe noch der verblüffte Gegenstand seines Angriffs wußte, in wessen Händen er eigentlich gefallen, war auch schon ein Haken an den Gurt seiner Beinbekleidung angebracht und er selbst unterwegs zwischen dem Wasser und der Spiere, wo Fid, dem er eben Gesellschaft leisten sollte, thronte.

»Gib acht, daß der Mann nicht in die See fällt!« rief Wilder streng von seinem Stande auf dem Deck der Hütte her.

»Is Schneider, Messer Harry,« erwiderte der Schwarze, ohne eine Muskel zu verziehen; »wenn seine Hosen halten nicht fest, er nur sich selber mag schuld geben.«

Während dieses kurzen Zwiegesprächs hatte der gute Mann Homespun schon das Ziel seines erhabenen Aufschwungs erreicht. Hier wurde er von Fid standesgemäß empfangen; selbiger hob ihn an seine Seite, und nachdem er ihn bequem zwischen Rahe und Baum gesetzt, befestigte er ihn mit einem Riemen, damit das Schneiderlein den freien Gebrauch seiner nähefertigen Hände haben möge.

»Ziehe mal ’n bißchen mit der Hand auf und nieder auf diesen Kuhlgast da!« sagte Richard, nachdem er den guten Mann gehörig sichergesetzt hatte: »so, beleg‘ mir die ganze Stelle da.«

Hierauf umschloß er mit dem einen Kniegelenk den Hals seines Gefangenen, faßte diesen dann bei einem gewissen Teil des Körpers, der nun durch den Druck am Kopfgelenk in die Höhe geschwungen wurde, und legte diesen Teil ruhig dem erschrockenen Schneider in den Schoß.

»Hier, Freundlein,« sagte er, »hantiere jetzt mit deiner Nadel wie bei deiner gewöhnlichen Arbeit. Dein schlaues Metier fängt ohnedies immer bei dem Fundament an, damit die Oberkardeele auch halte.«

»Gott behüte mich und alle sterblichen Sünder vor einem unzeitigen Ende!« schrie Homespun, den der Blick in die leere Luft von seiner schwindligen Höhe mit einem Gefühl erfüllte, das wahrscheinlich viel Ähnlichkeit mit dem hatte, das ein Luftschiffer bei seiner ersten Fahrt haben mag, wenn er von oben herunterschaut.

»Laßt mir den Kuhlgast da wieder hinab,« rief Fid wieder; »er stört alle vernünftige Unterhaltung durch sein Geschrei; dieser Schneider hier hat über seine Kardeele das Verdammungsurteil gesprochen, drum mag der Schiffszahlmeister eine neue Ausstaffierung für ihn bestellen.«

Die wahre Ursache jedoch, daß er den hängenden Gesellen fortschaffen ließ, war ein Funken von Menschlichkeit, der noch in dem rohen Gemüte des Teer schimmerte, denn er wußte, daß sein Gefangener nur auf Kosten körperlichen Wohlbehagens in der hängenden Stellung verbleiben konnte. Sobald sein Wunsch erfüllt war, wendete er sich zur Wiederanknüpfung des Gesprächs gegen den guten Schneider, ebenso geruhig, als säßen sie beide auf dem Verdeck, und ohne sich im mindesten dadurch stören zu lassen, daß über, neben und unter ihm, ein Dutzend Streiche von derselben Art, wie der eben geschilderte, ausgeführt wurden.

»Warum glotzen denn Eure Augen so, Bruder, wie ein paar Pfortgaten?« fing der Toppgast an. »Das ist lauter Wasser, was Ihr da um Euch her seht, ausgenommen die blaue Hängematte dort nach Osten, was ein Stück Hochland in den Bahamas ist, seht Ihr?«

»Ach, was ist das für eine sündenvolle, übermütige Welt, in der wir leben«, erwiderte der Schneider. »Niemand kann sagen, in welchem Augenblick seine Tage abgeschnitten werden. Fünf blutige, grausame Kriege hab‘ ich erlebt und überstanden, und doch ist es nun mein beschiedenes Los, dieses schmachvolle und gottlose Ende zu nehmen.«

»Na, da du in den fünf blutigen und grausamen Kriegen mit einem blauen Auge davongekommen bist, so hast du ja um so weniger Ursache zu brummen, daß dir ein bißchen Seewasser zwischen die Kleider kam, wie sie dich auf die Rahenocke hier raufzogen. Kann dich versichern, Brüderlein, hab‘ schon gesehen, wie ganz andere, kräftigere Bengels als du bist, diesen Schwung taten, die nicht gewußt haben, wie oder wann sie wieder runtergekommen sind.«

Homespun, der Fids Anspielung nur zur Hälfte verstand, sah ihn jetzt mit einem Blicke an, der einerseits den Wunsch einer nähern Erklärung, andererseits aber starke Bewunderung ausdrückte über die Sorglosigkeit, mit der sich sein Gefährte, ohne die geringste Hilfe, nur durch seine equilibristische Fertigkeit, in seinem Sitze erhielt.

»Ich sage, Bruder,« nahm Fid wieder auf, »daß mancher kräftige Seemann schon mit dem Klappläufertau zum Ende einer Rahe hinaufgehißt wurde, der bei dem Signal eines Flintenschusses zusammenschreckte, oder der just so lange dort sitzen bleiben mußte, als der Präsident des Kriegsgerichts zur Besserung seiner Ehrlichkeit für nötig zu halten beliebte.«

»Daß sich Gott erbarm! Selbst der am wenigsten Schuldige, selbst der gewissenhafteste Seemann, der solche erschreckliche Strafe, bloß zum Spaß, im Spiele ausführen ließe, würde sich an der Vorsehung sowohl schrecklich als auch entsetzlich versündigen; aber doppelt schwer ist die Versündigung, sag‘ ich, in der Mannschaft eines Schiffes, das jede Stunde von der Wiedervergeltung und der Reue getroffen werden kann. Es scheint mir unweise, die Vorsehung durch dergleichen Schauspiele zu versuchen.«

Fid warf einen ganz ungewöhnlich bedeutsamen Blick auf den Schneider und schob sogar die Antwort auf, bis er seine Gedanken durch ein neues, großes Stück Tabak aufgefrischt hatte, das er dem, das seine Backen schon füllte, noch nachstieß. Hierauf schaute er sich um, ob sich auch keiner seiner lärmenden und zum Aufstand geneigten Kameraden innerhalb Gehöresweite befände, dann heftete er einen noch sprechenderen Blick auf den Schneider und sagte:

»Merk dir’s, Brüderlein, der Richard Fid kann wohl viele gute Eigenschaften an sich haben, die nicht jedermann bekannt sind, aber das wissen alle seine Freunde, daß er kein großer Gelehrter ist. Da aber nun dem so ist, so hat er es nicht für gutgehalten, als er an Bord dieses trauten Schiffes kam, erst nach dem Schiffspatent zu fragen. Ich glaube dennoch, daß es zum Vorschein kommen kann, wenn’s nottut, und daß kein ehrlicher Mann sich zu schämen braucht, unter seiner Flagge die Küste zu befahren.«

»Ach, wenn erst die Stunde dieses Kreuzers geschlagen hat, so sei der Himmel den Schuldlosen gnädig, die gezwungenerweise hier dienen!« erwiderte Homespun. »Aber ich sollte doch meinen, daß Ihr als ein seefahrender und gescheiter Mann Euch nicht habt zu dieser Fahrt einschreiben lassen, ohne das Handgeld zu empfangen und Euch zuerst über die Beschaffenheit des Dienstes zu unterrichten.«

»Dem Teufel auch ließ ich mich einschreiben, weder in der ›Entreprise‹ noch in dem ›Delphin‹, wie sie dieses Schiff benamsen. Seht Ihr dort unten auf der Hütte den jungen Herrn, den Harry, der Euch zu einem Toppgast heraufrufen kann, so lieblich, als wenn das Männchen vom Walfisch brüllte; dem seinem Signale folg‘ ich, seht Ihr. Mit Fragen, was für eine Richtung er heute oder morgen seinem Schiffchen geben wolle, laß ich ihn in der Regel ungeschoren, das ist seine Sache.«

»Wie! Wollt Ihr Eure Seele auf diese Art an Beelzebub verkaufen, und noch dazu ohne Kaufschilling?«

»Ich sage, Freundchen, es könnte nicht schaden, wenn Ihr Eure Gedanken erst etwas straff anholtet, ehe Ihr sie auf diese unmanierliche Art Eurer Zunge entfahren laßt. Nicht gern möcht‘ ich einen Herrn, der sich zu mir herausbemüht hat, um mir einen Besuch abzustatten, anders als mit der Höflichkeit behandeln, die meinem Topp Ehre macht, wenn auch die Mannschaft jetzt heillose Streiche ausführt, seht Ihr. Aber ein Offizier wie der, dem ich folge, besitzt selber einen Namen und braucht sich nicht erst einen von der Person zu borgen, die Ihr eben zu nennen beliebtet. Ich verachte jämmerliches Drohen: aber einem Mann von Euern Jahren darf ich nicht erst sagen, daß es just so leicht ist, von dieser Spiere hier hinabzuspazieren, als herauf, seht Ihr.«

Das Schneiderlein warf einen furchtsamen Blick auf das Salzwasser hinab und beeilte sich, den ungünstigen Eindruck zu verlöschen, den die letzte unglückliche Frage so offenbar auf seinen sonnverbrannten Gesellschafter gemacht hatte.

»Fern sei es von mir, daß ich irgend jemand einen andern als seinen Tauf- und Familiennamen beilege, wie es das Gesetz befiehlt,« sagte er; »ich wollte bloß fragen, ob Ihr dem Herrn, dem Ihr dient, zu so einem unanständigen und verderblichen Ort, wie ein Galgen ist, zu folgen Lust hättet?«

Fid sann eine Weile hin und her, ehe er für gut hielt, auf eine so hohe und gehaltvolle Frage zu antworten. Während des ihm ungewohnten Prozesses, des Nachdenkens, bewegte sich das Kraut, von dem sein Mund vollgestopft war, ungemein schnell, bald nach der einen, bald nach der andern Backe hin; drauf einen Strahl Tabakssaft fast bis zur Sprietsegelrahe hinspritzend, machte er seinen Betrachtungen und dem Kauen zugleich mit folgenden entschlossenen Worten ein Ende:

»Soll mich der Teufel holen, ich tät’s! Nach einem vierundzwanzigjährigen, gemeinschaftlichen Segeln mit dem Harry müßte ich ärger als der feigste Kriecher sein, wollte ich die Kameradschaft aufsagen, weil uns eine Kleinigkeit von Galgen auf der Fahrt zu Gesicht käme.«

»Der Lohn in so einem Dienste muß sowohl reichlich als pünktlich sein, und Speise und Trank von der besten Sorte«, bemerkte Gevatter Homespun angelegentlich, so daß man sehen konnte, eine Antwort würde ihm nicht unlieb sein. Fid war auch gar nicht gestimmt, seine Neugier unbefriedigt zu lassen, vielmehr hielt er sich, da er einmal den Punkt berührt hatte, dazu verpflichtet, ihn von allen Seiten hinlänglich zu beleuchten.

»Was den Lohn betreffen tut, seht Ihr, so ist’s just soviel, als einem Matrosen gebührt. Ich würde mich verachten, weniger zu nehmen, als der besten Fockmasthand in einem Schiffe zukommt, denn seht Ihr, das wär‘ gerade, als wenn ich eingestände, daß ich nicht mehr verdienen täte. – Aber der junge Herr, der Harry, hat seine eigene Manier, die Dienste von unsereinem zu berechnen; und wenn seine Gedanken in einer Sache dieser Art erst mal fest eingeklemmt sind, so kann ich sie mit dem größten Splißhorn nicht wieder flott kriegen. Ich spielte einst so von fern drauf an, es wäre doch nicht unschicklich, wenn er mir eine Quartiermeisterstelle verschaffen täte, aber den Teufel auch wollte er sich zu der Sache im geringsten verstehen, sintemal, wie er selber sagt, ich die Eigenheit an mir habe, von Zeit zu Zeit ein bißchen beduselt zu sein, was mich nur der Gefahr, beschimpft zu werden, aussetzen müßte; indem es männiglich bekannt ist, je höher ein Affe die Takelage hinaufklettert, desto leichter jeder auf dem Verdeck sehen kann, daß er einen Schwanz hat. Dann, was den Tisch anbelangen tut, es ist halt Matrosenkost; bald hat man eine Krume übrig für einen Freund, bald einen hungrigen Magen.«

»Aber da gibt’s doch oft Verteilung des hm … hm … des Prisengeldes in diesem siegreichen Kreuzer?« fragte der Gevatter, mit abgewendetem Gesicht, wahrscheinlich weil er wußte, daß es eine ungeziemende Gespanntheit auf die Antwort verraten würde. »Ihr bekommt gewiß alle Eure Mühseligkeit reichlich vergütet, wenn der Schatzmeister die Beute verteilt.«

»Hör‘ mal. Schneiderlein,« sagte Fid, indem er wieder eine bedeutsame Miene annahm, »kannst du mir sagen, wo die Seebehörde sitzt, die seine Prisen verteilt?«

Gevatter Homespun erwiderte den Blick nicht ohne Angelegentlichkeit: aber ein ungewöhnlicher Lärm in einem andern Teil des Schiffes machte dem Gespräch gerade da ein Ende, wo es aller vernünftigen Wahrscheinlichkeit nach zu einer tröstlichen Erklärung zwischen den beiden gekommen wäre.

Zwanzigstes Kapitel.

Zwanzigstes Kapitel.

Während die beiden aus der Nocke der Fockrahe des Korsaren diese kleine Zwischenhandlung spielten, wurden anderswo tragikomische Szenen ausgeführt. Der oft erwähnte Kampf zwischen den Inhabern des Verdecks und den regsamen Bewohnern der Höhe war noch lange nicht zum Schluß gediehen. Mehr als einmal kam es von zornigen Worten zu Prügeln: und da dieses letztere Ingrediens des Schauspiels von einer Art war, worin sich die Marinesoldaten und Kuhlgasten mit ihren erfindungsreichen Peinigern messen konnten, so fing der Krieg nachgerade an, einigen Anschein sehr zweifelhaften Ausganges zu gewinnen. Nightingale war indessen immer zur Hand, die streitenden Parteien mit seiner wohlbekannten Bootsmannsflöte und seiner tiefen Baßstimme zum Gefühl des Schicklichen zurückzurufen. Ein langer, greller Pfiff, mit den Worten: »Bei Laune geblieben, ahoi!« war bisher hinreichend, den entbrennenden Zorn der verschiedenen Beteiligten zu unterdrücken, wenn der Spaß dem aufbrausenden Soldaten oder den, zwar minder feurigen, aber doch ebenso rachelustigen Mitgliedern der Hinterwacht zu arg zu werden begann. Allein ein Versehen von seiten dessen, der sonst ein so wachsames Auge auf die Bewegungen aller unter seinem Befehle Stehenden zu haben pflegte, hätte beinahe weit ernstlichere Ereignisse herbeigeführt.

Bald nachdem die verschiedenen rohen Spiele, die wir soeben mitgeteilt haben, unter der Mannschaft ihren Anfang genommen hatten, ließ die Laune, die den Rufer verleitet hatte, die Zügel der Disziplin auf einen Augenblick schlaffer zu halten, plötzlich nach. Das muntere, heitere Aussehen, das er während des Gespräches mit seinen weiblichen Gästen (oder Gefangenen, wir wissen nicht, ob er sie für das eine oder das andere zu halten geneigt war) behauptet hatte, war verschwunden. Unter einer gedankenvollen und umwölkten Stirn glänzte sein Auge jetzt nicht mehr von jenem Strahl spielender, sarkastischer Laune, der er sich so gerne überließ, sondern gewann einen schmerzlich regungslosen, abschreckenden Ausdruck. Sein Geist war offenbar in das träumende Hinbrüten zurückgesunken, das so oft seine munteren und lebendigen Mienen verfinsterte, wie die Schatten eines vorüberziehenden Gewölks die goldenen Tinten eines reifen, wogenden Ährenfeldes.

Während die meisten derer, die nicht selber eine Rolle in den tosenden und lustigen Streichen der Mannschaft zu spielen hatten, aufmerksame Zuschauer abgaben, einige mit Überraschung, andere mit Besorglichkeit, doch alle mehr oder weniger von der allgemein herrschenden Laune beseelt, stand der Freibeuter da, augenscheinlich ohne alles Bewußtsein von dem, was in seiner Gegenwart vorging. Zwar hob er dann und wann die Augen in die Höhe auf die behenden Wesen, die wie Eichhörnchen an den Tauen hingen, oder senkte sie auf die trägeren Bewegungen der Leute unterhalb seines Standpunktes; allein es war immer etwas Stieres in dem Blick, was bewies, daß das Bild für seinen Geist trüb und wesenlos war. Die Blicke, die er hin und wieder auf Mistreß Wyllys und ihre schöne von den Spielen ganz in Anspruch genommene Schülerin warf, verrieten, was in seinem innern Menschen vorging. Nur in diesem kurzen, aber bedeutsamen Anschauen konnte man dem Ursprung der Gefühle, die ihn beherrschten, einigermaßen auf die Spur kommen. – Jedoch würde der Versuch, ein Urteil über den ganzen Charakter der in seinem Gemüte herrschenden Bewegungen zu fällen, auch für den feinsten Beobachter eine schwere, wo nicht unauflösliche, Aufgabe gewesen sein. Zuweilen war man zu glauben versucht, daß eine unheilige, wollüstige Leidenschaft in ihm die Oberhand erhielte, doch nur eine Sekunde; dann überflog er mit dem Auge das keusche Matronengesicht der noch immer anziehenden Gouvernante, und es bedurfte nicht vieler Einbildungskraft, um Zweifel und tiefe Achtung zugleich in diesem Blicke zu lesen.

Inzwischen wurden die Spiele zuweilen mit so vieler Laune fortgesetzt, daß sie selbst der halb erschreckten Gertraud ein Lächeln abzwangen, allein immer mit einer Hinneigung zu jener Heftigkeit, jenem Hervorbrechen des Zorns, das in jedem gegebenen Augenblicke die Mannszucht in einem Schiffe mit Fußen treten konnte, wo es keine andere Mittel gab, Gehorsam einzuschärfen, als nur jene, die die Offiziere unmittelbar aufzubieten vermochten. Mit dem Wasser war man so verschwenderisch umgegangen, daß das Verdeck überall davon überschwemmt war, und mehr als einmal wurde selbst das privilegierte Deck der Hütte tüchtig bespritzt. Keinen bei dergleichen Auftritten üblichen Schabernack ließen die droben unbenutzt, um ihre minder günstig auf dem Verdeck postierten Kameraden herzlich zu necken, sowie sich diese ihrerseits aller Mittel, die ihnen durch Übung und Fertigkeit zu Gebote standen, zur Wiedervergeltung bedienten. Hier sah man ein großes Schwein und einen Kuhlgast unter einem Topp an zwei Tauen baumeln und sich beim Zusammenschlagen unsanft begrüßen; dort steckte ein Marine in der hin und her geschwungenen Takelage und mußte sich die Manipulationen eines kecken, abgerichteten kleinen Affen gefallen lassen, der, auf den Schultern des armen Teufels postiert, seinen Kamm so ernsthaft und aufmerksam handhabte, als wenn er bei einem Friseur in die Lehre gegangen wäre. Kurz, überall verkündigte ein oder der andere rohe, derbe Scherz, daß für den Augenblick die ungebundenste Freiheit einer Klasse von Wesen gestattet war, die, soll in einem bewaffneten Schiffe Disziplin, Bequemlichkeit und Sicherheit walten, in der Regel mit strengem Zügel regiert werden muß.

Mitten in diesem wilden Lärmen drang eine gleichsam dem Ozean entsteigende Stimme herauf, das Schiff mittelst einer an dem äußern Rand einer Klüsgate angebrachten Ruftrompete beim Namen begrüßend.

»Wer spricht den Delphin an?« erwiderte Wilder fragend, als er sah, daß der Gruß das Ohr seines Kommandeurs zwar traf, ohne ihn aber von seinem Brüten zu der bevorstehenden Handlung zurückzuführen.

»Vater Neptun befindet sich unter Euerm Vorderkiel.«

»Was will der Gott?«

»Er hat vernommen, daß gewisse Fremdlinge in sein Gebiet gekommen sind, und ersucht um die Erlaubnis, an Bord des Patzigen Delphin zu kommen, um sich zu erkundigen, was sie wollen, und das Logbuch ihrer Charaktere zu untersuchen.«

»Er sei willkommen. Laßt den alten Mann zum Galion ins Schiff herein. Er hat viel zuviel Schiffsmannserfahrung, um zu wünschen, durch die Kajütenfenster einzusteigen.«

Hier endete die Parlamentierung; denn Wildern wurde endlich seine Rolle in der Posse langweilig, und er drehte sich auf dem Absatz herum.

Eine athletische Matrosengestalt, dem Scheine nach unmittelbar dem Elemente entstiegen, dessen Gottheit er sich zu repräsentieren vermaß, machte bald ihre Erscheinung. Beteerte Kalfaterquasten, von Salzwasser triefend, vertraten die Stelle von greisem Haupt- und Barthaar. Aus Golfgräsern, wovon ganze Felder eine Seemeile weit um das Schiff her die Wasserfläche bedeckten, war sein Mantel nachlässig zusammengeflochten, und in der Hand führte er einen Dreizack aus drei, an die Stange einer Halbpike in gehöriger Ordnung befestigten Marlpfriemen bestehend. – So kostümiert schritt der Meeresgott, der keine geringere Person war als der Vordermann im Vorderkastell, höchst pathetisch und würdevoll das Deck entlang, von einem Gefolge bärtiger Wassernymphen und Najaden begleitet, deren Anzug nicht minder grotesk war als der seinige. Auf der Schanze in der Front des Platzes angekommen, den die Offiziere einnahmen, begrüßte die Hauptperson die dortige Gruppe mit einer Neigung ihres Zepters und nahm das abgebrochene Gespräch mit Wilder, der sich gezwungen sah, die Stelle seines noch immer in Zerstreuung versunkenen Kommandeurs zu vertreten, folgendermaßen wieder auf:

»Fürwahr, ein trautes und wacker betakeltes Boot, in dem Ihr diesmal in See gegangen seid, mein Sohn; scharmant angefüllt mit einer edeln Rasse meiner Kinder. Wie lange ist es her, seit Ihr Land aus den Augen verloren habt, wenn’s beliebt?«

»Ungefähr acht Tage.«

»Kaum Zeit genug, den Kiekinsmeerleutchen das Gehen zu lehren. Ich werde sie wohl an der Manier herausfinden, mit der sie sich während einer Windstille festhalten.«

Der General, der sich mit abgewendetem und wegwerfendem Blick an der Besanwand festhielt, aus keinem andern abzusehenden Grunde, als um vollkommen unbeweglich dazustehen, ließ hier den Arm plötzlich fallen; Neptun lächelte und fuhr fort:

»Ich werde mich nicht bei der Frage aufhalten, welchen Hafen Ihr zuletzt besucht habt, sintemalen an Euern Ankerflügeln noch das Schilf von den Tiefen von Newport zu gewahren ist. Hoffe, Ihr habt nicht viele neue Leute unter Euch, denn ich wittere schon den Stockfisch am Bord eines Seefahrers vom Baltischen Meere, der mit den Passatwinden runterkommt und keine hundert Seemeilen mehr von hier entfernt sein kann; werde also nur wenig Zeit brauchen, um Eure Leute zu visitieren und ihnen die Patente auszustellen.«

»Ihr seht sie alle vor Euch. Ein so erfahrener Matrose wie Neptun kann schon einen echten Teer ausfindig machen, ohne daß man ihm erst ausführlich das Wenn und Wie zu erklären braucht.«

»So werde ich denn bei diesem Herrn da den Anfang machen«, fuhr der neckische Vormann des Kastells fort, indem er sich gegen das noch immer regungslose Soldatenoberhaupt wandte. »Er sieht mir sehr nach dem Lande aus, und ich wünschte zu wissen, wieviel Stunden es ist, seit er zuerst auf blauem Wasser schwimmt.«

»Ich glaube, er hat schon viele Seereisen mitgemacht; und ich will gut für ihn sagen, daß er Ew. Majestät schon längst den schuldigen Tribut bezahlt hat.«

»Na, schon gut, ’s kann wohl sein, obzwar ich Schüler gekannt habe, die in der Zeit mehr gelernt hatten, wenn er wirklich schon so lange zu Wasser ist, als Ihr sagt. Wie steht’s mit diesen Damen?«

»Beide waren schon wiederholt zur See und haben ein Recht, unbefragt zu passieren«, erwiderte Wilder etwas hastig.

»Die Jüngste ist hübsch genug, um in meinem Reiche geboren zu sein,« erwiderte der galante Souverän des Meeres; »allein niemand darf einen Gruß, der unmittelbar aus dem Munde des alten Neptun kommt, unerwidert lassen; wenn’s daher Ew. Gnaden nicht sonderlich viel ausmacht, so will ich die junge Person ein wenig ersuchen, für sich selbst zu sprechen.«

Hieraus, ohne den zornigen Blick, den Wilder auf ihn schoß, im geringsten zu beachten, wandte sich der rüstige Gott geradezu an Gertraud.

»Wenn Ihr, mein hübsches Jüngferchen, wie der Ruf von Euch sagt, wirklich schon ehedem blaues Wasser gesehen habt, so könnt Ihr mir wahrscheinlich sagen, auf welchem Schiffe dies geschah, und noch einiges andere zur Fahrt Gehörige.«

Das Antlitz unserer Heldin wechselte die Farbe, von glühender Röte zur Marmorblässe, wie sich der Abendhimmel rötet und dann wieder seine liebliche Perlfarbe annimmt: doch unterdrückte sie ihre Gefühle hinlänglich, um mit Selbstbeherrschung die Worte herauszubringen:

»Wenn ich Euch alle diese kleinen Einzelheiten erzählen wollte, so würde das Euch von wichtigeren Gegenständen abhalten. Diese Bescheinigung wird Euch vielleicht überzeugen, daß ich kein Neuling zur See bin.«

Bei diesen Worten fiel eine Guinee aus ihrer weißen Hand in die breite, ausgestreckte, hohle Hand des fragenden Gottes.

»Die große Ausdehnung und wichtige Beschaffenheit meiner Geschäfte muß mich schon entschuldigen, daß ich mich auf Ew. Gnaden nicht früher entsinnen konnte«, erwiderte der freche Freibeuter, sich mit der Miene roher Höflichkeit verbeugend, indem er dabei das Douceur in die Tasche praktizierte. »Hätte ich meine Bücher nachgesehen, ehe ich an Bord dieses Schiffes kam, so müßte ich das Versehen gleich entdeckt haben: denn jetzt fällt mir eben ein, daß ich einem meiner Maler befohlen hatte, Ihr hübsches Gesicht abzukonterfeien, damit ich’s meiner Frau zu Hause zeigen könnte. Der Kerl hat’s ziemlich gut auf einer ostindischen Austerschale ausgeführt; ich werde nicht unterlassen, Ihrem Herrn Gemahl, sobald Sie einen zu wählen haben, eine in Korallen eingefaßte Kopie davon zu überschicken.«

Hierauf, seine Verbeugung mit noch einem Kratzfuße wiederholend, wandte er sich an die Erzieherin, um seine Untersuchung fortzusetzen.

»Und Sie, Madame, ist dies das erstemal, daß Sie mein Gebiet betreten oder nicht?«

»Weder das erste- noch das zwanzigstemal; ich habe Ew. Majestät schon oft vor diesem gesehen.«

»Eine alte Bekanntschaft! In welcher Breite mag’s denn wohl gewesen sein, wo wir zuerst aufeinander trafen, wenn’s beliebt?«

»Ich glaube, ich genoß diese Ehre zuerst vor mehr als dreißig Jahren unter der Linie.«

»Ja, ja, dort pfleg‘ ich oft zu sein, um mich nach den Indienfahrern und euern zurückkehrenden brasilianischen Kauffahrern umzuschauen. In jener Zeit hab‘ ich grade recht viel geerntet, kann aber nicht sagen, daß mir Euer Gesicht entsinnlich wäre.«

»Ich fürchte, dreißig Jahre haben es etwas verändert«, erwiderte die Gouvernante mit einem Lächeln, das, obgleich traurig, doch auch zugleich so würdevoll war, daß der Verdacht, als traure sie über einen so eiteln Verlust wie der ihrer persönlichen Reize, in keinem aufkommen konnte. »Ich war in einem königlichen Fahrzeuge, und zwar in einem solchen, das sich durch seine Größe ein wenig auszeichnete, es war ein Dreidecker.«

Der Gott empfing die Guinee, die ihm heimlich dargeboten wurde; allein Erfolg mußte seine Habsucht wachgerufen haben, denn, statt zu danken, schien er vielmehr nicht übel Lust zu haben, sich noch mehr bestechen zu lassen.

»Das kann alles so sein, wie Ew. Gnaden da sagen,« versetzte er: »doch die Sorge für mein Reich und meine zahlreiche Familie zu Haus machen es notwendig, daß ich über meine Gerechtsame ein wachsames Augenmerk führe. Wehte eine Flagge auf dem Schiff?«

»Ja.«

»Nicht wahr, sie hatten sie auf dem Klüverbaum aufgehißt?«

»Sie wehte, wie gewöhnlich auf Admiralsschiffen, vom Fock.«

»Gut geantwortet für eine Weibsperson!« brummte die Gottheit, ein wenig getäuscht in ihrer List. »Es ist doch verzweifelt kurios, mit Respekt vor Ew. Gnaden sei’s gesagt, daß ich ein solches Schiff ganz vergessen haben sollte; fiel nichts Außerordentliches vor, was einem nicht leicht aus dem Gedächtnis zu entschlüpfen pflegt?«

Die erzwungene Fröhlichkeit in den Zügen der Gouvernante hatte schon einem düstern, ernsten Nachdenken Platz gemacht, und ihr Auge blickte ins Leere, als sie, sich vergessend, ihre Gedanken in der Antwort laut werden ließ:

»Ich sehe noch, wie schlau und schelmisch der muntere Knabe, damals erst acht Jahre alt, die List des mimischen Neptun hintertrieb und sich für dessen Neckereien volle Rache verschaffte, indem er das Gelächter aller, die an Bord waren, auf seine Seite brachte.«

»War er nicht älter als acht?« fragte eine tiefe Stimme dicht bei ihr.

»Nicht älter an Jahren, aber wohl an Schlauheit«, erwiderte Mistreß Wyllys, und erst als ihre Augen dabei auf das Gesicht des Räubers fielen, schien sie wie von einer Verzückung wieder zu sich selbst zu kommen.

»Schon gut,« unterbrach der Vormann des Vorderkastells, dem zur Fortsetzung seiner Untersuchung der Mut entsank, als er sah, daß sein gefürchteter Kommandeur teil an dem Gespräche nahm, »es wird wohl alles seine Richtigkeit haben, werde in meinem Tagebuch nachsehen; finde ich’s so, gut, wo nicht – ei nu, so schick‘ ich dem Schiffe so lange einen Wind entgegen, bis der Däne untersucht ist, und dann ist’s immer noch Zeit, den Rest der Gebühren einzukassieren.«

Mit diesen Worten eilte der Meeresgott hinweg von den Offizieren und leitete seine Aufmerksamkeit auf die Marinegarde. Sich heimlich eingestehend, daß eine so strenge Untersuchung jedem die Hilfe der übrigen nötig machen dürfte, hatten die Soldaten eine dichte Gruppe gebildet. – Das Oberhaupt des Vorkastells war seinerseits mit der Karriere, die jeder einzelne in dem Korsarenschiff gemacht hatte, gar wohl bekannt und nicht ganz ohne Besorgnisse, daß ihm seine Macht plötzlich entrissen werden könnte. Daher wählte er nicht den ersten besten, sondern ersah sich einen frischen Rekruten vom Festlande und hieß seine Begleiter das Opfer an einen entlegenen Ort schleppen, um die unbarmherzige Posse, die er nun zu spielen beabsichtigte, mit weniger Gefahr einer Unterbrechung durchführen zu können. Die Marinen, durch das auf ihre Kosten erregte Gelächter längst erbost und entschlossen, ihren Kameraden zu verteidigen, leisteten diesem Vorhaben Widerstand. In dem langen, lauten und heftigen Streit, der jetzt folgte, bestanden beide Parteien auf ihr Recht, so und nicht anders zu handeln. Auch dauerte es nicht lange, so ging man von Worten zu minder zweideutigen Feindseligkeitsbezeigungen über. – Während der ganzen Szene stand der General mit verhaltenem Ingrimm da, wegen der offenbaren Verletzung aller Disziplin, aber nicht eher als jetzt, wo der Friede im Schiffe gleichsam nur noch an einem Haare hing, brach er los, sich an seinen noch immer in Gedanken versunkenen Obern wendend.

»Ich protestiere gegen dieses aufrührerische, unmilitärische Verfahren. Ich hoffe, meine Leute haben von mir gelernt, wie ein Soldat fühlen muß, und darum betrachten sie es mit Recht als die größte Schmach, die ihnen widerfahren kann, wenn Hand an sie gelegt wird, es müßte denn in der regelmäßig heilsamen Manier geschehen, nämlich mit der Fuchtel. Ich will daher jeden gewarnt haben, daß, wird einer meiner Hunde nur mit dem Finger berührt, ausgenommen, wie gesagt, nach den Regeln der Disziplin, mit einem Schlage erwidert werden soll.«

Der General hatte sich keineswegs bemüht, seine Stimme zu dämpfen, daher sie von seinen Untergebenen gehört wurde und die natürliche Wirkung hervorbrachte. Ein kräftiger Faustschlag des Unteroffiziers ließ dem Meeresgott zur Ader, und das Blut, das diesem entströmte, bewies unwidersprechlich dessen irdische Abkunft. Auf diese Weise aufgefordert, sich als Mensch und Mann zugleich geltend zu machen, gab der rüstige Seemann den Gruß zurück und fügte noch einige ihm nötig scheinende Verschönerungen hinzu. Aber dieser Höflichkeitsausbruch von seiten zweier so bedeutsamen Personagen war nur das Losungswort zum allgemeinen Kampfe, und ihre Untergebenen wurden handgemein. Der ungeheure Lärm beim Angriff erregte Fids Aufmerksamkeit, der sich alsbald von der Art des Spiels, das auf dem Deck vorging, überzeugte, seinen Gefährten auf der Rahe sitzen ließ, und an einer Pardune hinabglitt, fast mit derselben Leichtigkeit, als es ein Affe, die Karikatur des Menschen, hätte tun können. Seinem Beispiele folgten alle übrigen Toppgäste, und in weniger als einer Minute war jeder Anschein vorhanden, daß die verwegenen Marinen von der überlegenen Anzahl ihrer Feinde überwältigt werden dürften. Allein beharrlich bei ihrem Entschlusse und im höchsten Grade erbittert, verschmähten diese einexerzierten, racheschnaubenden Krieger jeden Rückzug und schlossen sich nur um so dichter aneinander. Schon glänzten die Bajonette in der Sonne, schon legten die Matrosen, die außerhalb des sich anballenden Haufens standen, Hand an die kurzen Piken, die als kriegerischer Schmuck den Fuß des Hauptmastes umstanden.

»Haltet ein! Zurück, sag‘ ich, ein jeder von euch!« schrie Wilder und stürzte, sich rechts und links Bahn brechend, in die Mitte des Gedränges. Seine Hast dabei mochte wahrscheinlich durch den Gedanken noch verstärkt worden sein, daß die unbeschützten Frauen in doppelter Gefahr schwebten, wenn einmal der Verband der Subordination von einer so regellosen, verzweifelten Mannschaft durchbrochen war. »Bei euerm Leben, zurück, und gehorcht! Und Sie, Herr, der Sie ein so guter Soldat sein wollen, Sie fordere ich auf, Ihren Leuten Einhalt zu gebieten!«

Wie sehr auch der vorangegangene Auftritt den Zorn des Generals entflammt haben mochte, so war ihm doch aus mehr als einer wichtigen Rücksicht zuviel an der Erhaltung des Friedens auf dem Schiffe gelegen, als daß er dieser Aufforderung nicht hätte entsprechen sollen. Alle Subalternoffiziere, die recht gut wußten, daß ihr Hab und Gut, ja ihr Leben auf dem Spiele stand, wenn der so unerwartet ausgetretene Strom nicht zurückgedämmt würde, unterstützten den General; allein dies diente nur zu zeigen, wie schwer es sei, eine Autorität aufrecht zu erhalten, die nicht auf eine gesetzmäßige Gewalt gegründet ist. Neptun hatte bereits seine Verkleidung von sich geworfen und bereitete sich, an der Spitze seiner rüstigen Vorkastellmänner eifrig zu einem Kampfe, dessen Ausfall ihm vielleicht schnell zu besseren Ansprüchen auf Unsterblichkeit verholfen hätte, als die eben abgeworfenen. Teils durch Drohungen, teils durch Vorstellungen, war es bis jetzt den Offizieren nur insofern gelungen, den Aufruhr zu bewältigen, daß man sich während der Zeit nur auf Tätlichkeiten vorbereitete, statt zu diesen selber zu kommen. Die Marinen hatten zu den Waffen gegriffen, und auf beiden Seiten des Hauptmastes bildeten die Matrosen zwei dichtgedrängte Haufen, die reichlich mit Piken, Lukenstangen und Handspaken bewaffnet waren. Ja, einer oder zwei der Besonneneren unter den letzten gingen noch weiter, sie schnallten eine Kanone aus den Riemen, richteten sie einwärts, und zwar so, daß sie die eine Hälfte der Schanze bestreichen konnte. Kurz, der Streit war so weit herangereift, daß ein einziger Schlag von der einen oder andern Seite das Schiff notwendig der Plünderung und Metzelei preisgab. – Die Gefahr aber, daß eine solche Krisis eintreten werde, vermehrte sich mit jedem Augenblicke dadurch, daß Schmähungen aus fünfzig profanen Lippen hervorgestoßen wurden, und der Mund eines jeden seinen Feind mit den gemeinsten Beschimpfungen überschüttete.

Fünf Minuten schon hatten diese unheildrohenden Symptome der Insubordination gedauert, und noch verharrte der, der an der Aufrechterhaltung der Disziplin am meisten beteiligt war, in der größten Gleichgültigkeit, oder vielmehr in vollkommener Bewußtlosigkeit dessen, was so nahe bei ihm vorging. Mir verschränkten Armen, den Blick fest auf die ruhige See geheftet, stand er da, regungslos wie der Mastbaum, gegen den er lehnte. Längst durch die Gewohnheit abgestumpft gegen den Lärm von Auftritten, wie der gegenwärtige, den er selbst veranlaßt hatte, hörte er in dem verworrenen Getöse, das sein Ohr traf, nichts als die Unruhe, die gewöhnlich in dergleichen ausgelassenen Stunden zu herrschen pflegt.

Die nächsten im Kommando waren bei weitem tätiger. Wilder hatte schon die Verwegensten der Matrosen zurückgeschlagen, so daß zwischen den beiden feindlichen Parteien ein Raum entstand, den seine Gehilfen, wohl wissend, wieviel von ihrem jetzigen Dienste abhinge, in aller Eile einnahmen. Leicht hätte dieser augenblickliche Sieg von ihnen zu weit getrieben werden können: unser Abenteurer glaubte, der meuterische Geist sei gänzlich gedämpft, und machte Anstalt, seinen Vorteil zu benutzen, indem er den Frechsten unter dem Haufen beim Kragen faßte, der aber seinem Griffe auf der Stelle von mehr als zwanzig der Meuterer entrissen wurde.

»Wer ist der, der sich am Bord des Delphin zum Kommodore aufwirft!« schrie, sehr zur Unzeit für das Ansehen des jüngst ernannten Schiffsleutnants, eine Stimme aus dem Haufen hervor. »Auf welche Weise ist er in unser Schiff gekommen, und in welchem Dienste hat er sein Handwerk gelernt?«

»Jawohl, jawohl,« fügte eine zweite unheimliche Stimme hinzu, »wo ist der Bristoler Kauffahrer, den er uns ins Garn führen sollte, und dessetwegen wir so viele der profitabelsten Tage ungenützt vor einem müßigen Anker zubrachten?«

Diesem folgte der Ausbruch eines allgemeinen und gleichzeitigen Murrens, das schon allein, wär‘ ein solches Zeugnis erst nötig gewesen, beweisen konnte, daß der ungekannte Offizier in seinem jetzigen Amte nicht viel mehr Glück hatte, als in dem, das er auf der Carolina bekleidete. Beide Parteien verwarfen einmütig seine Dazwischenkunft, und von beiden Seiten ließen sich verächtliche Äußerungen über seine Herkunft vernehmen, vermischt mit gewissen bitteren, persönlichen Beschuldigungen. Durch diese handgreiflichen Beweise von der Gefahr, in der er sich befand, ließ sich unser Abenteurer jedoch keineswegs zurückschrecken, er setzte vielmehr den zahlreichen Schmähungen ein wegwerfendes Lächeln entgegen und forderte jeden einzelnen seiner Gegner heraus, hervorzutreten, um sein Wort mit einer entsprechenden Handlung zu begleiten, wenn er es wagte.

»Hört, wie er spricht!« riefen sie alle. »Sollte man nicht glauben, er sei ein königlicher Offizier, der ein Konterbandschiff verfolgt!« rief einer. – »Ja, ja, er hat Mut genug in einer Windstille«, sagte ein zweiter. – »Er ist ein Jonas, der sich zum Kajütenfenster hereingeschlichen hat«, rief ein dritter; »und solange er im Delphin bleibt, hält sich das Glück windab von uns.« – »In die See mit ihm! Über Bord mit dem Pilz! In die See mit ihm! Schon mancher kühnere und bessere Mann als er hat den Sprung gemacht!« erschallte es von einem Dutzend zugleich, von denen einige sehr unzweideutig die Absicht zu erkennen gaben, ihre Drohung ohne Verzug auszuführen. Da sprangen mit Blitzesschnelle zwei Gestalten hinein in den Haufen und warfen sich, wütenden Löwen gleich, zwischen Wilder und seine Feinde. Die eine, die in der Befreiung die vorderste war, drehte sich plötzlich gegen die eindringenden Matrosen um und warf mit einem unwiderstehlichen Arme den Repräsentanten Neptuns zu Boden, als wäre es eine bloße Wachspuppe gewesen; die andere Gestalt folgte wacker diesem Beispiele, und wie der Haufe bei dieser Desertion aus seinen eigenen Reihen zurückfiel, sah man Fid, denn kein anderer war es, die Faust schwingen, die ziemlich die Größe eines nicht unbeträchtlichen Kindskopfes hatte: dabei schrie er mächtig:

»Fort mit euch, ihr Lümmel! Fort mit euch! Wollt ihr gegen einen einzelnen Mann anlaufen, noch dazu gegen einen Offizier, und zwar einen Offizier, wie ihr noch keinen gesehen habt, außer zufällig in der Manier, wie die Katze den König anblinzelt? Möchte unter euch den sehen, der ein schweres Schiff in schmalem Wasser handhaben kann, wie ich den jungen Herrn, den Harry hier, handhaben sah die patzige …«

»Zurück!« schrie Wilder, indem er sich zwischen seinen Verteidigern hindurch zu den Feinden hervordrängte. »Zurück sage ich, laßt mich allein den frechen Schurken die Stirne bieten!«

»Über Bord mit ihm! Über Bord mit ihnen allen!« schrien die Seeleute, »er samt seinen Knappen!«

»Können Sie es ruhig mitansehen, wie ein Mord vor Ihren eigenen Augen begangen wird?« rief Mistreß Wyllys, die von ihrem zurückgezogenen Platz hervorstürzte und den Rover hastig beim Arm faßte.

Er schrak zusammen, wie jemand, der plötzlich aus einem leisen Schlafe geweckt wird, und sah ihr gerade und scharf ins Auge.

»Sehen Sie!« fuhr sie fort, indem sie auf den heftig sich bewegenden Haufen unten, wo alle Merkmale eines zunehmenden Tumultes zu erkennen waren, hinzeigte. »Sehen Sie doch, man mordet Ihren Offizier, und niemand ist da, der ihm beisteht!«

Als sein Auge flüchtig die Szene überflog, verschwand die blasse Marmorfarbe, die solange auf seinem Gesicht geruht hatte. Er bedurfte nur eines raschen Blickes, um über die Beschaffenheit dessen, was vorging, vollkommen unterrichtet zu sein; dies brachte alles Blut in die Adern seiner Stirn. Ein Tau, das unmittelbar über ihm von einer Rahe herabhing, erfassend, schwang er sich vom Deck der Kajüte hinab, und zwar in die volle Mitte des hellen Haufens hinein. Da stand er, leicht und voller Grazie, als wäre er von den Wolken herabgeschwebt. Beide Parteien wichen zurück, und auf ein Geschrei, das das Rauschen eines Kataraktes überboten hätte, erfolgte augenblicklich eine Stille, in der man das Atemholen jedes einzelnen vernehmen konnte. Stolz und wegwerfend hob er den Arm empor und sprach mit einer Stimme, die keine Veränderung wahrnehmen ließ, ja fast leiser und minder drohend als gewöhnlich tönte. Allein auch die leisesten und tiefsten seiner Akzente erreichten jedes noch so entfernte Ohr, so daß niemand über deren Bedeutung im Zweifel blieb.

»Meuterei!« sagte er in einem Tone, der seltsam zwischen Ironie und Verachtung schwankte, »offene, gewaltsame und blutdürstige Meuterei! – Seid ihr euers Lebens müde, meine Leute! Ist unter euch allen einer, der zum Wohl der andern ein Exempel an sich statuieren lassen will? Er hebe eine Hand, einen Finger, ein Härchen empor; er spreche, sehe mir ins Auge, oder wage es, durch einen Wink, Atem oder Bewegung zu zeigen, daß Leben in ihm sei!«

Er schwieg; und so allgemein, so zwingend war der durch seine Gegenwart und seine Miene hervorgebrachte Zauber, daß in dem ganzen Haufen roher, aufgeregter Menschen auch nicht ein einziger war, der gewagt hätte, seinem Zorne zu trotzen. – Matrosen wie Marinen standen eingeschüchtert, gedemütigt und unterwürfig da wie Kinder, die etwas verbrochen haben und sich vor eine Autorität gestellt sehen, von der sie ein tiefes, inneres Gefühl haben, daß sie ihr nicht entfliehen können. Als keine Stimme antwortete, kein Glied sich bewegte, ja kein Auge kühn genug war, seinem festen, glühenden Blicke zu begegnen, fuhr er in demselben tiefen und gebieterischen Tone fort:

»Schon gut; die Vernunft ist zwar spät zurückgekommen, aber ein Glück für euch alle, daß sie wiederkehrte. Macht Raum, Raum, sag‘ ich, ihr befleckt die Schanze nur.« – Hier fielen die Leute rechts und links einen oder zwei Schritte von ihm zurück. – »Daß die Waffen da wieder aufgestellt werden; es wird an der Zeit sein, sie zu gebrauchen, wenn ich verkünde, daß es nötig sei. Und ihr, Kerle, die ihr so frech waret, eine Pike zu erheben, ohne Order dazu, nehmt euch in acht, daß sie euch die Hand nicht verbrenne!« – Hier fielen ein Dutzend Piken aufs Verdeck. – »Ist ein Trommelschläger im Schiff? Er soll herkommen!«

Ein erschreckendes Wesen von kriechendem, feigem Aussehen kam zum Vorschein, das sein Instrument gleichsam durch eine Art Instinkt, wie in der Verzweiflung, erhaschte.

»Jetzt laß dich hören, damit ich ohne Verzug erfahre, ob ich eine Mannschaft ordnungsliebender, gehorsamer Leute kommandiere, oder einen Haufen Rebellen, die erst eine Reinigung passieren müssen, ehe ich ihnen trauen darf.«

Die ersten paar Trommelschläge reichten hin, die Leute zu unterrichten, daß »auf eure Posten« getrommelt werde, und ohne einen Augenblick Schwankens und Zauderns zerstreute sich die Menge, und jeder Delinquent schlich stumm nach seinem Posten. Hierbei zeichnete sich besonders die Gruppe, die die einwärtsgerichtete Kanone bemannt hatte, durch die Geschicklichkeit aus, womit sie sie so unbemerkt als möglich wieder in ihre Pfortgate zurückzuschieben verstand, eine Geschicklichkeit, die ihnen im Gefecht von nicht geringem Vorteil sein mußte. Während des ganzen Verlaufs hatte der rote Seeräuber weder Zorn noch Ungeduld verraten. – Tiefeingewurzelte Verachtung und hohes Selbstvertrauen waren allerdings in seiner stolzaufgeworfenen Lippe, in seiner rückgebogenen Gestalt nicht zu verkennen, aber keinen Augenblick erlaubte er dem Unmut die Oberhand über seine Vernunft. Und nun, nachdem er seine Leute zur Pflicht zurückgerufen hatte, war er ebensowenig vom Siege aufgeblasen, als ihn der unmittelbar vorhergehende Sturm erschreckt hatte, der seinem Ansehen gänzlichen Untergang drohte. Statt jetzt seine zu nehmenden Maßregeln mit Übereilung zu verfolgen, wartete er die Ausführung der geringfügigsten Förmlichkeit ab, die Herkommen und Dienst bei solcher Gelegenheit üblich gemacht hatten.

Die Offiziere näherten sich und rapportierten über ihre respektiven kampffertigen Abteilungen, genau mit derselben Regelmäßigkeit, als wäre ein Feind im Anzuge. Die Toppgasten und Segelsetzer wurden gemustert und bereit gefunden, Schießpfroppen und Stopper ausgeteilt, ja das Magazin geöffnet, die Wasserkisten ausgeleert – kurz, die Vorbereitungen ließen auf etwas weit Außerordentlicheres als das tägliche Exerzitium schließen.

»Verseht die Rahen mit Nottauen, befestigt die Segel und Brassen«, sagte er zum ersten Leutnant, der jetzt dieselbe genaue Bekanntschaft mit dem militärischen Teile seines Gewerbes entwickelte, als bisher mit dem nautischen. »Den Enterern ihre Piken und Äxten gegeben, Sir; wir wollen den Kerlen zeigen, daß wir uns nicht fürchten, ihnen Waffen anzuvertrauen!«

Diesen verschiedenen Befehlen wurde pünktlich bis zum Buchstaben nachgekommen; dann folgte jene tiefe, ernste Stille, die eine auf ihrem Posten kampfbereit harrende Mannschaft selbst denen, die vom Knabenalter her daran gewöhnt sind, zu einem so imposanten Schauspiel macht. So wußte der gewandte Führer mit den Fesseln der Mannszucht die gewalttätigen Leidenschaften dieser Bande verzweifelter Freibeuter zu zügeln. Nachdem er die Stimmung jedes einzelnen wieder in die gehörigen Schranken zurückgewiesen hatte, indem er sie auf ihren verschiedenen Posten solcher Aufsicht unterwarf, daß sie wohl wußten, ein Wort, ja ein Blick des Ungehorsams würde eine augenblickliche und furchtbare Strafe finden, ging er mit Wilder auf die Seite und ließ sich von ihm den Hergang der Sache erzählen.

Wie groß auch unseres Abenteurers natürliche Hinneigung zur Milde sein mochte, so war er doch zur See erzogen und konnte daher das Verbrechen der Meuterei nicht mit Nachsicht betrachten. Selbst wenn das Andenken an seine neuliche Rettung vom Wrack des Bristoler Kauffahrers aus seinem Gemüt vertilgt gewesen wäre, blieben ihm doch noch die Eindrücke eines ganzen Lebens, die ihn die Notwendigkeit lehrten, jene durch die Erfahrung als unentbehrlich bewährten Zügel straff zu halten, um durch tumultuarische Bande, den Schranken der Gesellschaft, dem besänftigenden Einflusse des andern Geschlechts entzogen, und aufgereizt durch die beständige Reibung von Gemütern, die sich einander ebenso schonungslos beleidigen, als sie zu Gewaltsamkeiten geneigt sind, regieren zu können. Wenn er also dem Groll nicht verstattete, in den Bericht, den er ablegte, Galle einfließen zu lassen, so milderte er doch auch keineswegs irgendeinen Umstand, sondern legte sämtliche Tatsachen seinem Kommandeur in der geraden, unumwundenen Sprache der Wahrheit vor.

»Durchs Predigen kann man diese Menschen nicht bei ihrer Pflicht halten«, erwiderte der Korsarenhäuptling, als der andere geendigt hatte. »Wir haben kein Richtverdeck für unsere Delinquenten, keine gelbe Flagge, die der Flotte die fürchterliche Strafe verkündet, keine tief gelehrten Seerichter, die ein paar Folianten durchblättern und endlich den Ausspruch tun: Hängt ihn. Die Schurken wußten, daß mein Auge nicht auf sie gerichtet war. Schon einmal hatten sie mein Schiff zum lebendigen Beweis jener Stelle im Neuen Testament gemacht, die allen die Demut einschärft, durch die Worte, daß die Letzten die Ersten, und die Ersten die Letzten sein werden. Ich fand ein Dutzend Gleichmacher in der Kajüte, ganz unzeremoniös bei den Getränken, und sämtliche Offiziere als Gefangene im vordern Raum – ein Zustand, der, wie Sie mir ohne Schwierigkeit einräumen werden, der Gebühr und Dezenz etwas zuwiderlief.«

»Ich staune – und Sie brachten sie wieder zur Subordination zurück?«

»Allein kam ich unter sie, mit keiner andern Hilfe als einem Boot vom Lande; doch ich verlange nur soviel Platz, um Posten fassen zu können, und Raum für meinen Arm, um ein Tausend solcher Geister in Ordnung zu halten. Jetzt wissen sie, wen sie vor sich haben, und nur selten mißverstehen wir einander.«

»Sie müssen ein strenges Exempel statuiert haben.«

»Die Gerechtigkeit ist befriedigt worden. – Ich fürchte, Herr Wilder, Sie finden unsern Dienst etwas unregelmäßig; allein nur ein Monat Erfahrung mehr, und Sie werden uns gleichstehen und eine Wiederholung dieses Auftritts nicht mehr zu befürchten haben.« Bei diesen Worten blickte der Rover seinen Neuling mit einem Gesicht an, in das er sich bemühte, Heiterkeit zu bringen, allein trotz aller Gewalt, die er sich antat, hatte sein Lächeln doch mehr Fürchterliches als Heiteres. »Kommen Sie,« setzte er rasch hinzu, »diesmal hatte ich das Unheil in Gang gesetzt; und da Sie sehen, daß wir wieder die Herren sind, so darf es uns auf ein bißchen Gnade nicht ankommen. Und dann,« fuhr er fort, indem er nach der Seite hinblickte, wo Mistreß Wyllys und Gertraud noch immer in tiefer Ungewißheit seine Entscheidung erwarteten, »es kann nicht schaden, wenn wir in einem solchen Augenblick das Geschlecht unserer Gäste berücksichtigen.«

Hierauf entfernte sich der Räuber von seinem Untergeordneten, begab sich in die Mitte der Schanze und ließ die Rädelsführer des Tumultes aufbieten, dort vor ihm zu erscheinen, seinen Verweisen, in die er mehr als eine ermahnende Warnung gegen die Folgen eines zweiten Vergehens dieser Art einstreute, lauschten die Leute wie Geschöpfe, die sich in der Gegenwart eines höhern Wesens befinden. Auch jetzt sprach er in seinem gewöhnlichen, ruhigen Tone, doch ging, ebensowenig wie vorher, die geringste Silbe, selbst für die von seiner Mannschaft am entferntesten Stehenden, verloren; und als er seine Lektion ganz beendigt hatte, standen die Leute vor ihm, nicht nur wie Verbrecher, die zwar begnadigt worden sind, aber doch Verweise erhalten hatten, sondern mit der Miene von Schuldigen da, die nicht minder von ihrem eigenen Gewissen, als von der allgemeinen Stimme verurteilt werden. Unter allen war nur ein Matrose, der, vielleicht durch früher geleistete Dienste ermutigt, einige Worte zu seiner Rechtfertigung wagte.

»Was die Marinen anbelangt, so wissen Ew. Gnaden, daß wir einander zu keiner Zeit besonders grün sind, obgleich gewiß ist, daß die Schanze nicht ein passender Ort ist, um unsere Zwistigkeiten zu schlichten; aber was den Herrn anbetrifft, der für gut fand, einzutreten in das Kommando von …«

»Es ist mein Wille, daß er es behalte«, unterbrach hastig sein Kommandeur. »Über sein Verdienst kann niemand urteilen als ich.«

»Gut; da es Ihr Wille ist, je nu, so darf freilich keiner was dagegen haben. Aber keine Rechenschaft ist von dem Bristoler gegeben worden, obgleich man sich hier an Bord so große Erwartung von jenem Schiff gemacht hatte. Ew. Gnaden sind ein billiger Herr und werden es nicht auffallend finden, daß Leute, die einem Westindier auflauern auf seiner Fahrt auswärts, sich nur ungern statt seiner mit einer leeren, zerschellten Barkasse begnügen.«

»Doch, doch; wenn ich es will, so müßt Ihr mit einem Ruder, einer Pinne, einem Holzbolzen für Euer Anteil zufrieden sein. Nicht weiter davon! Ihr habt mit eigenen Augen gesehen, in welcher Lage sich sein Schiff befand; und wo ist der Matrose, den nicht ein oder der andere unheilvolle Tag zu der Erkennung zwang, daß seine Kunst unnütz sei, wenn sich die Elemente gegen ihn verschwören? Wer hat denn während desselben Sturms, der uns die Prise entriß, dieses Schiff gerettet? War es eure Geschicklichkeit, oder war es die eines Mannes, der es schon oft getan hat, und der euch vielleicht einst eurer Unwissenheit überläßt, daß ihr zusehen möget, wie ihr allein fertig werdet? Genug, ich halte ihn für treu, finde aber keine Zeit dazu, euern Stumpfsinn von der Gehörigkeit eines jeden einzelnen Schrittes zu überzeugen, den ich zu tun für gut finde. Fort, und schickt mir die beiden Männer, die sich so wacker zwischen ihre Offiziere und die Meuterei geworfen haben.«

Hierauf kam Fid, hinter ihm schlenderte der Neger einher, dessen eine Hand den Hut zusammenknitterte, während sich die andere linkisch in einem gewissen Teil seiner Hosen zu verbergen suchte.

»Hast brav gehandelt, mein Junge, du und dein Tischkamerad …«

»Mit nichten Tischkamerad, halten zu Gnaden, sintemalen er ein Neger ist«, unterbrach Fid. »Der Kerl tischt mit den andern Schwarzen, aber wir tun zuweilen einen Zug aus einer Kanne miteinander.«

»Tu und dein Freund also, wenn dir der Ausdruck lieber ist.«

»Ganz recht, Sir, wir sind ziemlich freundschaftlich, wenn wir Zeit dazu übrig haben, obgleich sich dann und wann eine kleine Bö zwischen uns erhebt. Der Guinea hat eine verzweifelt seltsame Manier, windwärts zu blasen, wenn er sich mit einem unterhält; und, das wissen Ew. Gnaden, es ist einem Weißen nicht immer bequem, sich von einem Schwarzen leewärts getrieben zu sehen. Auch tue ich’s ihm oft genug sagen, daß es mir nicht immer bequem ist, sehen Ew. Gnaden. Aber nichtsdestoweniger und dennoch ist er, im ganzen genommen, ein hinlänglich guter Kerl, Sir; und da er nu mal ein Afrikaner ist, nicht bloß von Erziehung, sondern auch was die Geburt anbelangen tut, so hoffe ich, Sie werden so gütig sein und es mit seinen kleinen Schwachheiten nicht allzu gestrenge nehmen.«

»Wollte ich’s auch,« erwiderte der Rover, »so würde sein heutiges festes und wackeres Betragen sein Fürsprecher sein.«

»Ja, ja, Sir, er ist etwas fest, was ich nicht immer von mir selbst sagen kann. Ferner, was Seemannskunst anbelangt, so übertreffen ihn wenige. Ich wünschte, Ew. Gnaden wollten sich in den vordern Raum bemühen und den Strang sehen, den er erst während der letzten Windstille im großen Stengenstag gedreht hat; der Strang macht sich aus einem straffen Winde nicht mehr als das Gewissen eines reichen Mannes aus einer kleinen Sünde.«

»Deine Beschreibung genügt mir; du nennst ihn Guinea?«

»Gleichviel bei welchem Namen, wenn er nur von seiner Küste hergenommen ist; denn sehen Sie, er ist gar nicht eigen hierinnen, sintemalen er niemals getauft worden ist und nichts von den Lagen und Distanzen der Religion weiß. Sein eigentlicher, gesetzmäßiger Name ist Sip, oder Scipio Afrika. Aber, wie gesagt, in Betracht der Namen ist der Kerl so zahm wie ein Schaf; Sie können ihn rufen, wie Sie wollen, wenn Sie ihn nur nicht zu spät zu seinem Grog rufen.«

Während dieser ganzen Zeit stand der Afrikaner dicht dabei und glotzte mit seinen großen, dunklen Augen überall hin, nur nicht nach den Sprechenden, denn er lebte in der ruhigen Überzeugung, daß sein langbewährter Schiffsgenosse und Dolmetscher sein Interesse schon wahren würde. Die Aufgeregtheit, die durch das kürzlich Vorgefallene in dem Gemüt des Korsarenhauptes entstanden war, schien sich bereits zu legen; seine gerunzelte Stirn glättete sich allmählich, und der stolze Zornblick verwandelte sich in den milderen der Neugier.

»Ihr seid lange zusammen zur See, meine Jungens«, fuhr er nachlässig fort, indem er weder den einen noch den andern von beiden insbesondere anredete.

»Voll und dicht beim Winde, in mancher schweren Bö und in mancher Windstille, halten zu Gnaden. ’s sind vierundzwanzig Jahre letztes Äquinoktium geworden, Guinea, seit der junge Harry uns quer über die Klüsgaten fiel; und damals waren wir schon drei Jahre im Donnerer zusammen, nicht gerechnet die Fahrt ums Horn in dem Kaper, die Bai.«

»So? Ihr seid schon vierundzwanzig Jahre mit Herrn Wilder? Dann ist’s freilich kein Wunder, daß ihr einen so hohen Wert auf sein Leben setzet.«

»Das fällt mir ebensowenig ein, als einen Preis auf die Krone des Königs zu setzen!« unterbrach der schlichte Seemann. »Sehen Sie, Sir, ich hörte, wie die Jungens gerade ein Komplott machten, uns drei über Bord zu werfen, da haben wir denn geglaubt, es sei Zeit, ein Wort für uns selbst zu sprechen: da aber Worte nicht immer bequem zur Hand sind, so hielt es der Schwarze für angemessen, die Lücke mit etwas anderm auszufüllen, das ebenso gute Dienste tun würde. Denn, sehen Ew. Gnaden, der Guinea da ist kein großer Redner; und was diese Sache anbetreffen tut, so kann ich, in diesem Betracht und Rücksicht zu meinen eigenen Gunsten just auch nichts Sonderliches anführen. Da wir inzwischen ihre Bewegungen mit einem Stopper gehemmt haben, so werden Ew. Gnaden zugestehen, daß es just so gut war, als wenn wir so hübsch gesprochen hätten, wie ein junger Seekadett, der frisch von der Schule kommt, und den Toppgasten immer die Befehle lateinisch zuruft, weil er, sehen Sie, kein Englisch verstehen tut.«

Der Rover lächelte und tat einen Seitenblick, offenbar um unsern Abenteurer zu suchen. Da er sah, daß er nicht in der Nähe war, fühlte er sich versucht, in seinen Erkundigungen verdeckterweise fortzufahren, denn er hatte zuviel Selbstachtung, um seine brennende Neugierde in einer direkten Frage zu erkennen zu geben. Allein ein Augenblick Besinnung rief ihn zu sich selbst zurück, und er verwarf diese Idee als seines Charakters unwürdig.

»Eure Dienste sollen nicht vergessen werden. Hier ist Gold«, sagte er dem Neger, der ihm zunächst stand, eine Handvoll davon anbietend. »Teilt es unter euch wie redliche Schiffsgenossen, und ihr könnt euch meines Schutzes stets versichert halten.«

Scipio zog sich zurück, machte eine ablehnende Bewegung mit dem Ellbogen und erwiderte:

»Ihro Gnaden geben das da Master Harry.«

»Dein Herr Harry hat selber genug, Junge; der braucht kein Geld.«

»Dann Sip auch keines nicht braucht.«

»Sie werden gütigst Nachsicht mit den schlechten Manieren des Kerls haben, Sir,« sagte Fid, indem er ganz kalt seine eigene Hand dazwischenschob und ebenso ruhig die Gabe in die Tasche steckte; »ich brauche aber einem so alten Seemann, wie Ew. Gnaden, nicht erst zu sagen, daß Guinea kein Land ist, wo einer ein abgehobeltes Betragen lernen kann. Nichtsdestoweniger und dennoch, so viel kann ich für ihn sagen, nämlich, daß er sich bei Ew. Gnaden herzlich bedankt, just als wenn Sie ihm das Doppelte gegeben hätten. Verbeuge dich gegen Seine Gnaden, Junge, daß man sehen kann, du hast dich zu guter Gesellschaft gehalten. Und nu, da diese kleine Schwierigkeit wegen des Geldes durch meine Geistesgegenwart überwunden ist, so will ich mit Ew. Gnaden Erlaubnis raufsteigen und das bißchen Schneiderlein da oben auf der Fockrah des Backbords von den Riemen losschnüren. Der Wicht ist einmal zum Toppgast verdorben, was Sie an der Manier ersehen können, wie er seine unteren Stützen quer übereinander kreuzt. Der Kerl macht Euch mit seinen Beinen einen Kreuzknoten mit derselben Leichtigkeit, wie ich mit einem Zwirnfaden.«

Der Rover entließ ihn mit einem Wink; und als er sich herumdrehte, stand Wilder vor ihm. Ihre Blicke begegneten sich, und ein leises Erröten des Korsaren verriet, daß er sich etwas vergeben hatte. Er erlangte jedoch augenblicklich seine gewöhnliche Selbstbeherrschung wieder und sprach lächelnd von Fids drolligem Charakter, sodann nahm er die Kommandeurmiene wieder an und befahl seinem Leutnant, zum »Rückzug von den Posten« trommeln zu lassen.

Die Flinten wurden nun wieder in Sicherheit gebracht, das Magazin verschlossen, die Trompriemen über die Pfortgaten der Kanonen gezogen, und von der Mannschaft begab sich ein jeder an seine gewöhnliche Beschäftigung und bewies dadurch, daß seine Gewalttätigkeit durch einen Herrschergeist vollkommen unterdrückt worden sei. Hierauf wurde das Verdeck auf eine Zeitlang unter das Kommando des wachthabenden Offiziers gestellt, und der Rover verschwand.

Einundzwanzigstes Kapitel.

Einundzwanzigstes Kapitel.

Während dieses ganzen Tages blieb sich das Wetter gleich. Der schlafende Ozean lag da, ein glatter, glänzender Spiegel, und nur das Steigen und Fallen langer Wellenlinien deutete an; daß am entfernten Horizont eine starke Bewegung im Anzuge sein müsse. Der Pirat, der es so gut verstand, die wilde, unbändige Stimmung seiner Untergebenen unter seine Autorität zu beugen, war von dem Zeitpunkte an, wo er das Verdeck verlassen hatte, bis zu dem, wo die Sonne ihren Glutball in der See abkühlte, unsichtbar geworden. Zufrieden mit seinem Siege, schien er die Möglichkeit, daß jemand zum Umsturz seiner Macht Kühnheit genug besitzen könne, gar nicht zu befürchten; auch verfehlte dieses offenbare Selbstvertrauen die beabsichtigte Wirkung auf seine Leute nicht. Da keine Vernachlässigung im Dienste unbemerkt, kein Fehler ungestraft blieb, so setzte sich bei ihnen der Glaube fest, daß sie ein unsichtbares Auge stets bewache, ein unsichtbarer Arm zu allen Zeiten ausgestreckt sei, gleich bereit zu strafen und zu belohnen. Durch diese Methode nämlich, durchgreifend zu handeln, wenn es der Augenblick gebot, und wieder nachsichtig zu sein, wenn Ausübung und Strenge nur dazu gedient hätte, die Gemüter zu erbittern, gelang es dem außerordentlichen Mann, auf seinem Schiffe nicht nur den Verrat zu ersticken, sondern auch seinen offenen Feinden trotz ihren schlauesten Anschlägen und ausdauernsten Verfolgungen zu entgehen.

Als nun aber die Wache für die Nacht abgelöst war und die gewöhnliche Stille das Schiff umgab, erschien der Rover wieder auf dem Deck der Hütte, wo sich jetzt niemand aufhielt, um dort raschen Schrittes auf und ab zu gehen. Obgleich beiliegend, war doch das Fahrzeug mit dem Golfstrom so weit nördlich gelaufen, daß die kleine, blaue Erhöhung in der Ferne längst unter den Meeresrand getaucht war und, für den Bereich menschlicher Sehkraft wenigstens, nur eine grenzenlose Wasserwüste rund umher lag. Da sich auch nicht der leiseste Windhauch rührte, so waren sämtliche Segel beschlagen, und die hohen, entblößten Spieren gaben in der Finsternis der Nacht dem Schiffe das Ansehen, als läge es vor Anker. Mit einem Worte, es war eine jener Stunden vollkommener Ruhe, wie sie den Abenteurern, die ihr Glück dem eigensinnigen Spiel der verräterischen und unbeständigen Winde anvertrauen, zuweilen von den Elementen vergönnt werden.

Selbst die Leute, denen der Dienst das Wachen zur Pflicht machte, ließen sich auf ihren Posten durch die tiefe, allumgebende Stille zur Nachlässigkeit verleiten; sie lagen teils zwischen den Kanonen, teils an verschiedenen andern Orten des Verdecks und genossen den süßen Schlaf, den sie, der strengen Mannszucht und guten Ordnung wegen, nicht in ihren Hängematten suchen durften. Ja, an manchen Stellen konnte man selbst Offiziere gegen ein Bollwerk oder eine außerhalb des geheiligten Bezirks der Schanzen stehende Kanone sich anlehnen und, mit dem trägen Steigen und Sinken des Kiels Takte haltend, im Schlafe nicken sehen. Nur eine Gestalt stand aufrecht, munter, und offenbar mit einem wachsamen Auge über das Ganze. Es war Wilder, an den schon wieder, nach der regelmäßigen Einteilung des Offizierdienstes, die Reihe gekommen war, auf dem Verdeck zu bleiben.

Zwei Stunden gingen vorüber, ohne daß zwischen dem Rover und seinem Leutnant die geringste Mitteilung stattgefunden hätte. Beide vermieden vielmehr eine Unterredung; denn jeglicher hatte seine besonderen, geheimen Gegenstände der Betrachtung. Als diese zwei Stunden Schweigens zu Ende waren, hielt der erstere im Gehen inne und blickte lange und unverrückt hinab nach der noch immer regungslos auf dem Verdeck stehenden Gestalt. – Endlich sagte er:

»Herr Wilder, hier oben auf der Hütte ist die Luft frischer und den unreinen Dünsten des Schiffes weniger ausgesetzt, wollen Sie heraufkommen?«

Der Angeredete gehorchte. Mehrere Minuten lang wandelten sie nach Seemannssitte in stiller Nacht schweigend und schritthaltend nebeneinander.

»Wir hatten einen unruhigen Tag, Wilder,« fing der Rover endlich an, indem er dadurch unwillkürlich seine Gedanken verriet, aber doch immer so behutsam sprach, daß der Ton nur die Ohren Wilders erreichen konnte; »haben Sie diesem allerliebsten Abgrunde, den man Meuterei nennt, schon einmal im Leben so nahe gestanden?«

»Der, den die Kugel getroffen hat, muß der Gefahr doch wohl näher gewesen sein als einer, der bloß den Druck der Luft fühlte.«

»Aha, Sie haben in Ihrem Schiffe offene Widersetzlichkeit gefunden! Auch hier ließen sich einige von den Kerlen einfallen, persönlichen Haß gegen Sie zu äußern, aber beunruhigen Sie sich nicht deshalb; ich kenne ihre geheimsten Gedanken, wie Sie bald sehen werden.«

»Ich leugne es nicht, an Ihrer Stelle würde ich bei solchen Beweisen von der Gesinnung meiner Untergebenen auf Dornen schlafen. Wer bürgt Ihnen dafür, daß nicht heute oder morgen ein Aufruhr innerhalb weniger Stunden das Fahrzeug der Regierung ausliefert und Ihr Leben dem …«

»Henker! Und warum nicht auch Ihres?« fügte der Räuber hastig hinzu und ließ einen leisen Anflug von Mißtrauen durchblicken. »Doch das Auge, das viele Schlachten gesehen hat, ist nicht leicht zum Blinzeln zu bringen; meines hat der Gefahr zu oft gerade ins Angesicht geschaut, als daß mich der Anblick einer königlichen Flagge erschrecken könnte. Überdies halten wir uns auch nur selten an dieser kitzligen Küste auf. Wir kreuzen meist bei den Inseln und auf der spanischen See, was mit weniger Gefahren verknüpft ist.«

»Wie kommt es denn, daß Sie sich jetzt gerade hierher wagen, wo einige über den Feind errungene Vorteile dem Admiral Zeit geben, Sie von einer bedeutenden Schiffsmacht verfolgen zu lassen?«

»Ich hatte meine Ursachen dazu. Nicht immer läßt sich der Mensch von dem Befehlshaber trennen. Hab‘ ich über die Sehnsucht des ersten die Pflichten des letzten hintangesetzt, so hat es doch bis jetzt wenigstens noch keine nachteiligen Folgen gehabt. Kann ja auch sein, daß es mich langweilte, ewig Jagd auf die bequemen spanischen Dons zu machen, oder spanische Zollschiffe in ihre Häfen zurückzutreiben. Dies unruhevolle Leben lieb‘ ich nun einmal! Selbst einer Meuterei weiß ich Interesse abzugewinnen!«

»Ich kann Verrat nicht lieben und gestehe gern, daß es mir in dieser Beziehung nicht besser geht wie dem Bauer, der nur so lange Mut hat, als es hell ist. Solange der Feind sichtbar ist, sollen Sie mich so bewährt finden wie einen, doch über einer Mine schlafen, ist ein Vergnügen, das meinem Geschmack nicht zusagt.«

»Das kommt vom Mangel an Übung! Gewagt ist gewagt, sei’s auf welche Weise es wolle; der menschliche Geist kann es durch Gewohnheit endlich dahin bringen, daß er bei geheimen Anschlägen ebenso großen Gleichmut behält, als bei offenem Wagnis. Still! Schlug es da sechs oder sieben?«

»Sieben. Die Leute schlafen fort, wie Sie sehen. Wäre es ihre Stunde, so würden Sie instinktmäßig aufwachen.«

»Gut. Schon fürchtete ich, die Zeit sei vorüber. Ja, ich liebe die schwebende Ungewißheit, Wilder; sie hält die Seelentätigkeit stets regsam und verweist uns auf die edleren Kräfte unserer Natur. Mag wohl sein, daß es nur mein Eigensinn ist, aber wahrlich, selbst ein konträrer Wind ist nicht ohne Genuß für meinen Geist.«

»Und eine Windstille?«

»Die mag für friedliebende Gemüter ihre Reize haben, allein es gibt nichts zu tun, nichts zu besiegen dabei. Können wir auch die Elemente nicht zum Kampf herausfordern, so vermögen wir uns ihnen doch entgegenzusetzen und ihr Wirken zu vereiteln.«

»Sie haben doch Ihr Handwerk nicht angetreten …«

» Ihr Handwerk!«

»Ich hätte sagen können unseres, da ich jetzt ebenfalls Pirat geworden bin.«

Der Scharfsinn des Rovers durchschaute wohl, was Wilder sagen wollte; ja, seine Antwort zeigte, daß er sogar manche Zwischengedanken übersprang:

»Sie sind noch in Ihrem Noviziat, und die Beichte, die Sie mir von Ihren Wünschen ablegten, gewährte mir nicht wenig Vergnügen. Sie wußten das eigentlich Gewollte so gut anzudeuten, ohne es zu berühren; eine Gewandtheit, die mich in Ihnen einen gelehrigen Schüler voraussehen ließ.«

»Aber keinen büßenden, hoffentlich.«

»Das kommt auf die Umstände an; Augenblicken der Schwachheit sind wir alle ausgesetzt, zumal wenn wir das Leben ansehen, wie es die Bücherschreiber schildern, und da, wo wir den Genuß ergreifen sollten, nur die Prüfung erkennen. Ja, ich angelte nach Ihnen, wie der Fischer nach dem Karpfen. Auch glauben Sie nicht, daß ich die Gefahr des Verrates aus dem Gesichte verlor. Im ganzen genommen waren Sie treu, ob ich gleich für die Zukunft dagegen protestiere, daß Sie, gegen mein Interesse, Intrigen spielen, um das Wild aus meinem Netz zu halten.«

»Wann, und wie hätte ich das getan? Sie haben selbst zugegeben …«

»Daß die Royal Carolina nicht ungeschickt geführt worden sei und ihr Untergang nur dem Himmel zur Last falle. Allein ich spreche jetzt von edlerem Wild als das, worauf jeder Habicht Jagd machen kann. Sind Sie ein Weiberfeind, daß Sie alles aufboten, um das edelmütige Weib und die liebliche Jungfrau, die in diesem Augenblick hier unten sind, von dem Vorzug und hohen Genuß Ihrer Gesellschaft zurückzuschrecken?«

»War Verrat in dem Wunsche, Frauen von dem Schicksale zu retten, das zum Beispiel erst diesen Tag beide bedrohte? Denn, solange in diesem Schiffe Ihr Ansehen die Oberhand behält, glaube ich freilich nicht, daß selbst die Liebliche das geringste zu besorgen hat.«

»Beim Himmel, Wilder, Sie lassen mir nur Gerechtigkeit widerfahren. Ehe diese schöne Unschuldige Leid treffen sollte, würde ich mit dieser Hand das Pulvermagazin anzünden, und sie, rein und fleckenlos wie sie ist, gen Himmel senden, von wo sie herabgekommen zu sein scheint.«

Gierig lauschte unser Abenteurer diesen Worten, ob ihm auch der enthusiastische Ausdruck der Bewunderung, in dem der Freibeuter sein großherziges Gefühl einzukleiden für gut fand, nicht sonderlich behagte. Endlich, nach einer Pause, die keiner von beiden gern zu unterbrechen schien, fragte er:

»Wie kommt es, daß Sie von meinem Wunsch, den Damen zu dienen, unterrichtet sind?«

»Konnte ich Ihre Sprache mißverstehen? Mich dünkt doch, Sie haben sich deutlich genug ausgesprochen.«

»Ausgesprochen!« rief Wilder erstaunt. »Am Ende hab‘ ich gar meine eigentliche Beichte in einem Augenblicke abgelegt, wo ich mich dessen am wenigsten versah.«

Antwort gab der Rover nicht; aber an dem vielsagenden Lächeln, das um seinen Mund spielte, konnte sein Gefährte nur zu deutlich erkennen, daß er durch eine ebenso verwegene als vollkommen gelungene Vermummung hintergangen worden war, und daß er in der Person des alten Matrosen Bob Bunt mit niemand anders, als mit seinem Kommandeur selbst verkehrt hatte. Das Benehmen Jorams und das rätselhafte Verschwinden des Nachens waren ihm jetzt völlig klar. Tief bewegt, vielleicht weil er nun die Entdeckung machte, wie verwickelt die Schlingen waren, in die er sich gestürzt hatte, vielleicht auch aus Ärger, daß er sich so zum besten haben ließ, machte er in starken Schritten einige Gänge quer über das Deck, ehe er antwortete:

»Ich hab‘ mich hintergehen lassen, ich geb‘ es zu, und unterwerfe mich von nun an einem Meister, von dem man wohl vieles lernen, den man aber nie übertreffen kann. Aber der Wirt zum › Unklaren Anker‹, der hat doch wenigstens in eigener Person gehandelt, wer auch immer der alte Matrose gewesen sein mag?«

»Der ehrliche Joram! Fürwahr, ein Matrose in Not kann sich keinen nützlicheren Mann wünschen, das werden Sie nicht leugnen. Wie hat Ihnen denn der Newporter Lotse gefallen?«

»Auch der Ihr Geschäftsträger?«

»Nur zum Scherz, solchen Schurken vertraue ich von meinem Geheimnis nicht mehr, als sie etwa von selbst erraten können. Doch sachte! Hörten sie nichts?«

»Mich dünkt, ich hörte ein Tau im Wasser plätschern.«

»Ganz recht, so ist es. Nun werden sie sich überzeugen, wie durch und durch ich mich auf diese unruhigen Herren verstehe.«

Hier brach der Rover das seinem Gefährten immer interessanter werdende Gespräch kurz ab, ging leisen Schrittes nach dem Spiegel des Schiffes und lehnte sich einige Augenblicke einsam über die Galerie, wie einer, der ein Vergnügen daran findet, die dunkle Oberfläche des Meeres anzuschauen. Kaum indessen traf das Ohr seines Gesellschafters ein leises Geräusch von hin und her bewegten Tauen, so kam er heran und stellte sich neben ihn, wo er bald noch mehr Beweise erhalten sollte, wie fein der Kommandeur sowohl ihn, als die übrige Schiffsbemannung zu überlisten verstand.

Ein Mann bewegte sich äußerst behutsam und nicht ohne Schwierigkeit von der Stelle, wo er sich befand, um die Schiffsviering herum. Er erreichte auch seinen Zweck, indem er sich teils mit Tauen, teils mit einigen Mallen vorwärts half, bis er an eine vom Hinterschiff herabhängende Strickleiter gelangte. – Auf einer ihrer Sprossen schwebend, stierte er nach den herüberlehnenden, ihm zusehenden Gestalten, sich offenbar anstrengend, auszufinden, wer von beiden das Individuum wäre, das er suchte.

Der Rover berührte Wilder leise mit der Hand, um ihm zu verstehen zu geben, daß er jetzt aufmerken sollte, und sprach dann flüsternd hinab: »Bist du da, Davis? Ich fürchte, man hat dich gesehen, oder doch gehört.«

»Nichts zu befürchten, Ew. Gnaden. Ich schlüpfte zum Schottengat der Kajüte hinaus; die ganze Hinterwacht schläft so tief, als wenn sie die Wache im Raum unten hätte.«

»Gut. Was für Nachricht bringst du von den Leuten?«

»Traun, Ew. Gnaden dürfen ihnen befehlen, in die Kirche zu gehen, und der derbste Seehund unter ihnen würde nicht Herz genug haben, einzuwenden, er könne sein Gebet nicht mehr auswendig.«

»Glaubst du, sie seien jetzt in besserer Stimmung als vorher?«

»Ich weiß es, Sir. Nicht daß einem oder zweien von den Leuten der gute Wille zur Unordnung fehlte; aber sie wagen es nicht, einander zu trauen. Ew. Gnaden haben so was Gewinnendes an sich, daß einer nie weiß, ob er sich auf sicherem Boden befindet, wenn er sich’s beikommen ließe, sich zum Herrn aufzuwerfen.«

»Ja, ja, das sieht dem Charakter von Empörung ähnlich genug«, brummte der Rover, so daß ihn nur Wilder hören konnte. »Gerade dazu, daß einer des andern Zutrauen genieße, fehlt ihnen ein bißchen mehr Ehrlichkeit, als sie besitzen. (Laut:) Und wie haben die Kerle meine Gnade aufgenommen? War’s wohlgetan, oder muß der Morgen auch seine Strafe mit sich bringen?«

»Lassen Sie es beim jetzigen Stand der Dinge sein Bewenden haben, Sir. Die Leute kennen das gute Gedächtnis einer gewissen Person und sprechen schon von der Gefahr, noch ein Ditto zu der Rechnung hinzuzufügen, von der sie recht gut wissen, daß Ew. Gnaden sie sich angeschrieben haben. Da ist der Vordermann des Backs, der wie gewöhnlich etwas sauer tut, und bei dieser Gelegenheit um so mehr, wegen des Andenkens an die betäubende Faust des Negers.«

»Ich weiß schon, der ist stets ein Störenfried; ich werde mit dem Schurken doch endlich einen Abrechnungstag halten müssen.«

»Das wird nicht schwer sein! Sie verwenden ihn auf irgendeinen Dienst im Boote, Sir: die Schiffsmannschaft wird sich desto wohler fühlen, wenn er aus dem Wege ist.«

»Schon gut; nichts weiter von ihm«, unterbrach ihn der Korsar mit einiger Ungeduld, wahrscheinlich, weil er nicht wünschte, daß sein Gefährte auf dieser frühen Stufe seiner Einweihung schon einen so tiefen Blick in seine Regierungsweise tun sollte.

»Ich werde schon sorgen für ihn, aber du selbst, Kerl! – Irre ich nicht, so hast du deine Rolle heute ein wenig zu gut gespielt, und zeigtest dich etwas zu bereitwillig, die Matrosen anzuführen.«

»Ich hoffe, Ew. Gnaden werden sich erinnern, daß die Bootsmannspfeife einmal die Mannschaft zum Unheil kommandiert hatte; zudem konnte es nicht viel schaden, einigen Marinesoldaten den Puder von den Köpfen zu waschen.«

»Schon gut, aber du setztest das Spiel fort, nachdem dein Offizier für gut gefunden hatte, sich dazwischen zu legen. Nimm dich in acht, daß du in Zukunft deine Rolle nicht mit so vieler Natur und Wahrheit spielst, sonst dürfte der Beifall nicht minder wahr und natürlich sein!«

Der Kerl versprach Vorsicht und Besserung, worauf er seine Belohnung in Gold erhielt, und mit der Einschärfung strenger Verschwiegenheit entlassen wurde. Kaum war diese Zusammenkunft vorüber, so versicherte sich der Kapitän zunächst, daß kein Unberufener, der sich in seine heimliche Verbindung mit dem Spion einstehlen könnte, in der Nähe weilte, und setzte dann sein Auf- und Abgehen mit Wilder fort. Nach einer langen, gedankenvollen und tiefen Stille fing er wieder an:

»In einem Schiffe wie dieses sind feine Ohren fast ebenso wichtig als ein unerschrockenes Herz. Die Schufte im Vorderraum dürfen nicht von dem Baum der Erkenntnis kosten, auf daß wir, die wir in den Kajüten sind, nicht sterben mögen.«

»Es ist doch ein gefahrvoller Dienst, den wir übernommen haben«, bemerkte Wilder, seinen geheimen Gedanken unwillkürlich freien Lauf gebend.

Der Rover schwieg. Lange ging er hin und her auf dem Deck, ehe er sprach, und als er es tat, war es mit einer Stimme, so einschmeichelnd weich und sanft, daß seine Worte mehr den ermahnenden Tönen eines besonnenen Freundes glichen, als der Sprache eines Mannes, der lange der Gefährte von Wesen war, so rauh und grundsatzlos wie die, von denen man ihn jetzt umgeben sah.

»Sie sind noch an der Türschwelle Ihres Lebens, Herr Wilder; ganz liegt es vor Ihnen und ladet Sie ein, zu wählen, welchen Pfad Sie betreten wollen. Noch sind Sie von keinem Auftritte Zeuge gewesen, der eine Verletzung dessen genannt werden könnte, was die Welt ihre Gesetze nennt; und es ist noch nicht zu spät zu sagen, daß Sie es nie sein werden. Mich hat vielleicht bei meinem Wunsche, Sie zu gewinnen, die Selbstsucht regiert; doch stellen Sie mich auf die Probe, Sie werden finden, daß diese Leidenschaft zwar oft tätig, aber nie in meinem Geiste herrschend wird, noch werden kann. Sie dürfen nur Ihren Wunsch, frei zu sein, ausdrücken, und Sie sind es; leicht lassen sich die geringen Spuren, daß Sie zu meiner Mannschaft je gehört haben, vertilgen. Sehen Sie den blassen Lichtstreifen dort, unweit davon ist Land; ehe noch die morgende Sonne untergeht, können Sie es betreten.«

»Ach, warum nicht auch Sie? Ist dies regellose Treiben für mich ein Übel, so ist es nicht minder eines für Sie. Dürfte ich der Hoffnung …«

Er stockte. Der Rover schwieg lange, so daß er sich überzeugen konnte, sein Gefährte nehme Anstand, fortzufahren; endlich fragte er ruhig:

»Was wollten Sie sagen? Sprechen Sie frei, Sie reden mit einem Freunde.«

»So will ich mich Ihnen denn wie einem Busenfreunde eröffnen. Sie sagen, das Land sei dort im Westen nahe. Beide zur See erzogen, würde es Ihnen und mir ein leichtes sein, dies Boot ins Wasser zu lassen und, indem wir uns die Dunkelheit zunutze machten, wären wir, lange ehe unsere Abwesenheit kund würde, den Augen der uns Suchenden entschwunden.«

»Nach welcher Gegend möchten Sie zusteuern?«

»Nach den Küsten Amerikas, wo Obdach und Friede in tausend verborgenen Orten zu finden sind.«

»Können Sie wollen, daß ein Mann, der solange als Fürst unter seinen Leuten lebte, Bettler in einem Lande von Fremdlingen werde?«

»Sie haben ja Gold. Sind wir nicht die Herren hier? Wer mag es wagen, unser Tun auch nur mit einem beobachtenden Auge zu verfolgen, bis es uns gefällt, von selbst die Autorität, womit wir bekleidet sind, von uns abzuwerfen? Noch ehe die Mitternachtswache abgelöst ist, könnte alles geschehen sein.«

» Allein? Wünschen Sie, daß wir allein gehen?«

»Nein … nicht ganz … das heißt … es würde uns, als Männern, kaum ziemen, die Damen der rohen Macht derer preiszugeben, die wir hier zurücklassen.«

»Und würde es uns, als Männern, ziemen, die ihrem Schicksale preiszugeben, die in unsere Treue ihre Zuversicht setzen? Herr Wilder, Ihr Plan würde mich zu einem Niederträchtigen machen! Gesetzlos, in der Meinung der Welt wenigstens, bin ich schon lange; aber ein Verräter an meiner Treue und meinem gegebenen Worte war ich nie! Wohl wird einst die Stunde schlagen, wo die Menschen, deren ganze Welt jetzt von diesem Schiffe umschlossen ist, auseinandergehen; allein die Trennung muß offen, freiwillig, manneswürdig sein. – Haben Sie nie erfahren, was mich damals, als wir uns im Leben das erstemal in der Stadt Boston trafen, nach dem Aufenthalt der Menschen hinzog?«

»Nie«, erwiderte Wilder in dem wehmütigen Tone gänzlich getäuschter Hoffnung.

»So hören Sie. Ein handfester Kerl von meinen Leuten war von den Handlangern des Gesetzes erwischt worden. Gerettet sollte und mußte er werden. Es war ein Mann, den ich nicht besonders liebte, allein er war zu jeder Zeit ehrlich, nach seinen Begriffen von Ehrlichkeit. Ich konnte das Opfer nicht verlassen, und doch war außer mir keiner imstande, seine Rettung zu bewirken. Dem Golde und der List blieb der Sieg; und nun erfüllt der Kerl hier am Bord die Ohren der Mannschaft mir Gesängen, Psalmen und Hymnen zum Lobe und Preise seines Kommandeurs. Soll ich mir nun den Verlust eines mit so vielem Wagnis errungenen guten Namens zuziehen?«

»Sie würden die gute Meinung von Spitzbuben verlieren, und dafür den Gewinn eines guten Rufes bei Menschen eintauschen, deren Lob eine Ehre ist.«

»Das weiß ich nicht. Sie verstehen sich wenig auf die Menschennatur, wenn Sie jetzt erst lernen müssen, daß, wer sich einmal Berühmtheit erworben hat, sei’s auch durch lasterhafte Taten, seinen Stolz darein setzt, den so erworbenen Ruf aufrecht zu halten. Übrigens passe ich nicht zu der Welt, wie sie zwischen unterjochten Kolonisten gestaltet ist.«

»Sie sind vielleicht stolz auf Ihre Geburt im Mutterlande?«

»Ich bin nur ein armer Teufel aus der Provinz, Sir! Ein demütiger Satellit der mächtigen Sonne. Sie haben meine Flaggen gesehen, Herr Wilder: – eine einzige fehlte darunter; ach, diese eine, existierte sie, so wäre es mein Stolz, mein Ruhm gewesen, sie mit meinem besten Herzblute zu verteidigen.«

»Ich kann Ihren Sinn nicht erraten.«

»Ich darf einem Seemann wie Ihnen, nicht erst sagen, wieviel herrliche Ströme längs der Küste, von der wir gesprochen haben, ihre Gewässer der See entgegenführen – wieviel weite und bequeme Hafen sie besitzt – oder wieviel Segel den Ozean beglänzen, bemannt von Leuten, die das Licht der Welt zuerst in jenem geräumigen und friedlichen Lande erblickten.«

»Wohl kenne ich die Vorzüge meines Heimatlandes.«

»Ich fürchte, nein!« erwiderte hastig der Freibeuter. »Kennten Sie und andere, die Ihnen gleichen, jene Vorzüge, wie Sie es sollten, so würde die Flagge, die ich meine, bald auf jedem Meere anzutreffen sein, und unsere Landsleute nicht den Mietlingen eines ausländischen Fürsten unterliegen dürfen.«

»Ich will mich nicht stellen, als verstände ich Sie nicht; denn ich kenne mehrere Enthusiasten, die wie Sie der Schimäre nachhangen, daß ein solches Ereignis möglich wäre.«

»Möglich! So gewiß, als sich jener Stern dort in den Ozean senkt, so gewiß der Tag auf die Nacht folgt, es ist notwendig. O, hätte jene Flagge geweht, Herr Wilder, kein Mensch würde je den Namen des roten Freibeuters gehört haben.«

»Der König hat ja auch eine Flotte, und der Dienst darin steht jedem seiner Untertanen gleich offen.«

»Ja, ich konnte der Untertan eines Königs sein; aber Untertan eines Untertans, Wilder, das geht über die Grenzen meiner armen Geduld. Ich bin in einem seiner Schiffe erzogen, ich darf fast sagen, geboren; wie oft mußte ich mit blutendem Herzen fühlen, daß ein Ozean mein Geburtsland vom Schemel seines Thrones trennt! Werden Sie es glauben, Sir, einer seiner Kommandeurs wagte es, den Namen meines Vaterlandes mit einem Titel zu verbinden, den ich nicht wiederholen mag, um Ihr Ohr nicht zu verletzen!«

»Ich hoffe, Sie lehrten den Schurken Lebensart.«

Der Rover blickte seinen Gefährten starr an, ein fürchterliches Lächeln durchzuckte seine sprechenden Züge, als er antwortete:

»Nie wiederholte er die Beleidigung! Es galt sein Blut oder meins; er hat seine Roheit teuer bezahlt.«

»Ihr fochtet wie Männer, und das Glück war dem beleidigten Teile günstig, nicht wahr?«

»Wir fochten, Sir. – Allein ich hatte mich erkühnt, die Hand gegen einen Eingeborenen der heiligen Insel zu erheben! – Es ist genug, Herr Wilder; der König brachte einen treuen Untertan zur Verzweiflung, und er hat vielleicht Ursache gehabt, es zu bereuen. Genug für jetzt; ein anderes Mal vielleicht mehr. Gute Nacht!«

Wilder sah seinen Kommandeur die Leiter hinabsteigen zur Schanze; und nun war er allein, und konnte seinen Gedanken während einer Wache, die seiner Ungeduld endlos vorkam, freien Lauf lassen.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Wenn auch die meisten von der Mannschaft des Delphin teils in ihren Hängematten, teils zwischen den Kanonen in tiefen Schlaf versunken lagen, so gab es doch in einem andern Teile des Fahrzeugs glänzende Augen, die sich vor Angst nicht schließen wollten. Der rote Freibeuter hatte den Damen gleich bei ihrer Aufnahme ins Schiff seine eigene Kajüte abgetreten; dort saßen sie in ernstem Gespräche beisammen.

Von der Lampe aus geschlagenem, massivem Silber, die von der Decke herabhing, fiel ein schiefer Strahl des milden, weichen Lichtes auf das schmerzlich sinnende Antlitz der Erzieherin; ein hellerer umglänzte das blühende und frische Gesicht ihrer Gefährtin, das aber nicht soviel Ausdruck hatte, weil sie weniger in Gedanken versunken war. Den schattigen Hintergrund des Gemäldes bildete die schwärzliche Gestalt der schlummernden Kassandra.

»Ich bleibe dabei, teuerste Madame, daß sowohl die Fasson dieser Verzierungen als der Stoff, aus dem sie bestehen, etwas Außergewöhnliches in einem Schiffe sind.«

»Und was schließen Sie daraus?«

»Ich weiß nicht, aber ich wünschte, wir wären wohlbehalten im Hause meines Vaters.«

»Gott gebe es! Es wäre unklug, länger zu schweigen… Gertraud, alles, wovon wir heute Zeuge waren, hat mein Gemüt mit fürchterlichem, entsetzlichem Verdacht erfüllt.«

Das Mädchen erbleichte, während jeder ängstliche Zug in ihrem Antlitz um eine nähere Erklärung zu bitten schien.

»Ich war lange genug auf einem Kriegsschiffe, um mit den Schiffsgebräuchen vertraut zu sein,« fuhr die Gouvernante fort, die eine so lange Pause gemacht hatte, um sich selbst erst alle Gründe ihres Verdachtes klar werden zu lassen; »allein niemals sah ich Sitten, wie sie sich in diesem Schiffe von Stunde zu Stunde deutlicher entwickeln.«

»Aber was für einen Verdacht haben Sie in Hinsicht des Schiffes?«

Der Blick tiefer, zunehmender mütterlicher Angst, den die liebenswürdige Fragestellerin als Antwort erhielt, würde genügt haben, um eine andere, die mehr als dies reine Wesen gewohnt gewesen wäre, über die Verderbtheiten der menschlichen Natur nachzudenken, mit einer bestimmten Ahnung zu erfüllen; Gertrauden jedoch gab der Blick nur den allgemeinen Begriff von unbestimmter Gefahr.

»Warum sehen Sie mich so an, meine Erzieherin – meine Mutter?« rief sie, indem sie sich vorwärtsbeugte und mit einer bittenden Miene ihre Hand auf den Arm der Wyllys legte, als wollte sie diese aus einer Verzückung zurückrufen.

»Ja, ich will mein Schweigen brechen: besser ist’s, Sie wissen das Ärgste, als daß Sie bei Ihrer schuldlosen Unbefangenheit der Täuschung ausgesetzt bleiben. Ich traue dem Gewerbe dieses Schiffes nicht, und ebensowenig dem Charakter aller, die dazu gehören.«

» Aller?«

»Ja, aller.«

»Es kann freilich böse und mißwollende Menschen in der königlichen Flotte geben, aber sie dürfen uns gewiß nichts zuleide tun; die Furcht vor der Strafe, wenn nicht die Furcht vor Entehrung, wird uns schützen.«

»Ich fürchte, die unbändigen Gemüter, die dieses Schiff hegt, unterwerfen sich nur den Gesetzen, die sie sich selber machen, und erkennen keine fremde Autoritär an.«

»Dann wären sie ja Seeräuber!«

»Und daß sie Seeräuber sind, fürchte ich, werden wir erfahren.«

»Seeräuber? Wie? Alle?«

»Nicht anders, alle. Wo einer eines solchen Verbrechens schuldig ist, können seine Gefährten unmöglich unverdächtig sein.«

»Aber, teuerste Wyllys, wir wissen ja doch, daß wenigstens einer darunter unschuldig ist; da er mit uns ins Schiff gekommen ist, und noch dazu unter Umständen, die gar keinen Trug zulassen.«

»Ich bezweifle es. Es gibt verschiedene Grade von Verworfenheit, so wie die davon befleckten Gemüter verschieden sind; aber ich fürchte, alle, die auf Ehrlichkeit in diesem Schiffe Anspruch machen können, befinden sich in dieser Kajüte versammelt.«

Hier sank der Blick des Mädchens auf den Boden, und ihre Lippen bebten, teils unwillkürlich und daher unwiderstehlich, teils vielleicht aus einer innern, ihr selbst unerklärbaren Bewegung. Mit unterdrückter Stimme sagte sie:

»Wie gegründet auch Ihr Verdacht gegen alle übrigen sein mag, so glaub‘ ich doch, daß Sie unserem gewesenen Begleiter unrecht tun; wir wissen ja, woher er kommt.«

»Es kann sein, daß ich in Beziehung auf ihn irre; doch ist es wichtig, daß wir uns auf das ärgste bereit halten. Fassen Sie sich, Liebe; unser Diener kommt heraus, vielleicht kommen wir durch seine Mitteilungen der Wahrheit näher.«

Hier gab Mistreß Wyllys ihrer Schülerin noch ein ausdrucksvolles Zeichen, eine ruhige Miene anzunehmen, und ging ihr mit dem Beispiel voran, indem ihr Ansehen wieder jene gewohnte sinnende Gelassenheit gewann, die selbst von einem weit erfahreneren Wesen als der Knabe, der jetzt langsam in die Kajüte trat, allen Verdacht ferngehalten hätte. Gertraud verhüllte das Gesicht in ihr Gewand, während Wyllys den Knaben mit einer Stimme anredete, die von Güte und inniger Teilnahme zeugte:

»Roderich, mein Kind, deine Augenlider werden schon schwer. Du bist gewiß noch nicht an den Schiffsdienst gewöhnt?«

»Gewöhnt genug, um nicht einzuschlafen, solang‘ ich auf meinem Posten bin«, erwiderte ruhig der Knabe.

»Für ein Kind in deinen Jahren würde eine sorgsame Mutter besser passen, als die Schule eines Bootsmanns. Wie alt bist du, Roderich?«

»Für meine Jahre könnte ich immer weiser und besser sein«, antwortete er, und ein leiser Zug der Schwermut umdüsterte seine Stirn. »Im nächsten Monat bin ich zwanzig Jahre alt.«

»Zwanzig! Du hast meine Neugier zum besten, junger Schelm.«

»Sagte ich zwanzig, Madame? Fünfzehn würde der Wahrheit näher sein.«

»Das glaub‘ ich auch. Und wieviele von diesen Jahren hast du zu Wasser zugebracht?«

»Eigentlich nur zwei, ob es mir zuweilen auch vorkommt, als wären es zehn; dennoch gibt es auch wieder Stunden, wo sie mir nur ein einziger Tag scheinen.«

»Du schwärmst früh genug, Knabe. Und wie gefällt dir das Kriegshandwerk?«

»Kriegshandwerk!«

»Allerdings. Ich spreche doch deutlich. Wer in einem Fahrzeug dient, das ausdrücklich auf Schlachten berechnet ist, folgt doch wahrlich dem Kriegshandwerk.«

»Ach so! Ja; der Krieg ist allerdings unser Handwerk.«

»Und hast du schon etwas von seinen Schrecken gesehen? War dieses Schiff schon in einem Gefecht, seit du daraus dienst?«

»Dieses Schiff?«

»Nun ja, dieses Schiff; hast du denn schon in einem andern gedient?«

»Niemals.«

»Nun, so kann auch meine Frage nur auf dieses Schiff Bezug haben. Nicht wahr, Prisengelder werden recht oft unter die Mannschaft verteilt?«

»Sehr oft: sie leiden nie Mangel.«

»Dann ist der Kapitän und das Schiff bei den Leuten beliebt; der Matrose pflegt immer das Fahrzeug und den Befehlshaber zu lieben, wo er ein rührig Leben findet.«

»Ganz recht, Madame, wir führen ein rühriges Leben hier. Und es gibt auch einige unter uns, denen das Schiff und der Befehlshaber lieb sind.«

»Und hast du eine Mutter oder sonst Verwandte, denen deine Gage zugute kommt?«

»Habe ich …«

Der Ton von Betäubung, in dem der Knabe ihre Fragen beantwortete, fiel hier der Gouvernante auf, daher wandte sie sich und überflog mit einem schnellen Blick sein Gesicht, um dessen Ausdruck zu lesen. In einer Art von Besinnungslosigkeit stand der Knabe da, und obgleich er sie anzuschauen schien, so war sein Auge doch zu stier, als daß man hätte glauben können, er sähe wirklich den Gegenstand, auf den er blickte.

»Sag‘ mir doch, Roderich,« fuhr sie fort, behutsam jede Anspielung auf seinen Zustand, die seine Empfindlichkeit hätte reizen können, vermeidend, »sag‘ mir doch, wie findest du denn diese Lebensweise? Nicht wahr, recht lustig?«

»Ich finde sie traurig.«

»Seltsam. Die jungen Schiffsknaben gehören doch sonst immer zu den lustigen Sterblichen. Dein Offizier behandelt dich wahrscheinlich sehr strenge.«

Keine Antwort.

»Ich hab’s getroffen: dein Kapitän ist ein Tyrann.«

»Sie irren; nie hat er ein hartes, ungütiges Wort zu mir gesprochen.«

»Ach, er ist also sanft und gütig. Du bist sehr glücklich, Roderich.«

»Ich … glücklich, Madame?«

»Sprech‘ ich denn nicht deutlich? Ja, glücklich.«

»Ach so! Ja; wir sind alle sehr glücklich hier.«

»Das ist schön. Ein Schiff voller Unzufriedenen ist kein Paradies. Und dann befindet ihr euch auch wohl oft an Hafenorten, Roderich, um die Annehmlichkeiten des festen Landes zu genießen.«

»Ich würde mich wenig um das feste Land kümmern, wenn ich nur im Schiff Freunde hätte, die mich liebten.«

»Und hast du denn keine? Ist Herr Wilder nicht dein Freund?«

»Ich kenne ihn nur wenig; ich sah ihn nie früher, als …«

»Als, Roderich?«

»Als damals, wo ich ihn in Newport traf.«

»In Newport?«

»Nun ja; wissen Sie denn nicht, daß wir beide zuletzt von Newport kamen?«

»Ach ja, ich verstehe schon. Zu Newport machtest du also die Bekanntschaft des Herrn Wilder? Gewiß als euer Schiff im Angesicht des dortigen Hafens lag?«

»Wohl. Ich brachte ihm ja den Befehl, daß er das Kommando des Bristoler Kauffahrteischiffs übernehmen sollte, und den Abend vorher war er das allererstemal bei uns.«

»Erst? Das war freilich eine sehr junge Bekanntschaft. Aber dein Kommandeur, denk‘ ich, kannte seine Verdienste?«

»Die Mannschaft hofft es. Doch …«

»Was wolltest du sagen, Roderich?«

»Keiner an Bord darf sich herausnehmen, den Kapitän nach seinen Ursachen zu fragen. Sogar ich muß verstummen.«

» Sogar du!« rief Mistreß Wyllys mit einem Erstaunen aus, das auf einen Augenblick ihre Zurückhaltung besiegte. Allein der Knabe war so sehr in Gedanken versunken, daß er den plötzlichen Wechsel in ihrem Tone nicht bemerkte. Ja, er hatte so wenig Bewußtsein von dem, was um ihn vorging, daß die Gouvernante, ohne im mindesten zu befürchten, er könne es gewahr werden, Gertraud bei der Hand faßte, und schweigend auf die besinnungslose Gestalt des Knaben hinwies.

»Was meinst du, Roderich, würde er auch uns eine Antwort verweigern?«

Der Knabe schrak auf: und sowie sein Blick auf das sanfte, sprechende Antlitz Gertrauds fiel, blitzte auch das Bewußtsein wieder durch seine Seele, und er antwortete feurig:

»Ob sie auch von seltener Schönheit ist, so überschätze sie diese nicht. Kein Weib vermag es, sein Gemüt zu zähmen.«

»Ist er denn so harten Herzens? Glaubst du, daß eine Frage von dieser Schönen keine Rücksicht bei ihm finden werde?«

Mit ebenso vielem Ernst als Weichheit und Trauer in der Stimme antwortete er: »Hören Sie mich, Dame. Meine letzten zwei Jahre sind so angefüllt mit Erfahrungen, ich hab‘ soviel währenddem gesehen, daß mancher Jüngling wohl zwischen seinen Kinder- und Mannesjahren nicht mehr sehen und erfahren kann. Dies ist kein Ort für Unschuld und Schönheit. O, verlassen Sie das Schiff, selbst wenn Sie es mit dem Zustande vertauschen sollten, in dem Sie sich bei Ihrer Ankunft befanden, ohne ein Verdeck, unter dem Sie das Haupt zur Ruhe legen können!«

»Leicht dürfte es zu spät sein, diesem Rat zu folgen«, erwiderte tiefsinnig Mistreß Wyllys, indem sie einen Blick auf die schweigende Gertraud warf. »Doch sag‘ mir mehr von diesem außerordentlichen Schiffe. Roderich, du bist nicht geboren, um eine solche Stelle, wie deine jetzige, zu bekleiden.«

Der Knabe schüttelte den Kopf, hob aber die Augen nicht vom Boden, offenbar abgeneigt, mehr über diesen Punkt zu antworten.

»Wie kommt es, daß der Delphin jeden Tag eine andere Flagge führt? Und warum ist das Schiff seit mehreren Tagen ganz anders bemalt, so daß es dem Sklavenhändler von Newport gar nicht mehr ähnlich sieht.«

»Und warum«, erwiderte der Knabe mit einem halb traurigen, halb bittern Lächeln, »kann niemand in das Interesse dessen hineinschauen, der diese Veränderungen ganz nach eigenem Willen vornimmt? Wenn sich im Schiffe weiter nichts veränderte als die Farben, so ließe sich noch immer glücklich darin leben!«

»So bist du also nicht glücklich, Roderich? Soll ich Kapitän Heidegger für dich bitten, daß er dir deine Entlassung gebe?«

»Ich kann nicht wünschen, je einem andern zu dienen.«

»Wie! Du klagst, und doch liebst du deine Fesseln?«

»Ich klage nicht.«

Die Gouvernante betrachtete ihn scharf; nach einer kleinen Pause fuhr sie fort: »Fallen solche aufrührerische Auftritte, wie der, den wir heute gesehen haben, öfter unter den Leuten dieses Schiffes vor?«

»O nein. Sie haben von den Leuten nur wenig zu besorgen; der sie zur Ordnung zurückbrachte, versteht sich schon drauf, sie zu bändigen.«

»Sind sie denn nicht aus königlichen Befehl angeworben?«

»Auf königlichen? Jawohl, der ist wahrlich ein König, der keinen Höhern über sich hat.«

»Sie wagten’s aber doch, das Leben des Herrn Wilder zu bedrohen. Pflegen Matrosen in königlichem Dienste so frech zu sein?«

Der Knabe schoß einen Blick auf Mistreß Wyllys, der zu verstehen gab, daß er recht gut ihre Verstellung, als wäre sie mit dem Gewerbe des Schiffes unbekannt, durchschaue – aber er schwieg.

»Glaubst du, Roderich,« fuhr die Gouvernante fort, die es jetzt freilich für überflüssig hielt, ihre weiteren Fragen auf die bisherige verdeckte Weise zu tun – »glaubst du, Roderich, daß uns der – Frei… daß uns der Kapitän Heidegger erlauben würde, im ersten Hafen, der sich uns darbietet, zu landen?«

»Wir sind schon bei vielen vorübergefahren, seit Sie im Schiffe sind.«

»Wohl viele, allein es waren vielleicht solche, denen sich der Kapitän nicht gerne nähern mochte; wie aber, wenn wir einen Hafen erreichen, in den sein Schiff ohne Gefahr einlaufen kann?«

»Solcher Orte sind nicht viele.«

»Aber wenn ein solcher Ort kommt, glaubst du nicht, daß er uns erlauben wird, zu landen? Wir haben Gold, ihn für seine Mühe zu lohnen.«

»Er macht sich nichts aus Gold. Er gibt mir immer eine Handvoll, wenn ich von ihm was verlange.«

»Dann bist du ja aber glücklich. Überfluß an Gold entschädigt doch wohl für einen kalten Blick, den man dann und wann erhält.«

»Nie!« erwiderte der Knabe schnell und ausdrucksvoll. »Hätte ich ein ganzes Schiff voll von diesem Staube, ganz gäbe ich es dahin, um seinem Auge einen einzigen gütigen Blick damit zu entlocken.«

Das Feuer in der Sprache des Knaben erregte die höchste Aufmerksamkeit der Mistreß Wyllys. Sie stand auf, näherte sich ihm von der Seite, wo das Licht der Lampe voll auf seine Züge fiel, und sah den großen Tropfen, der unter den langen, seidenen Augenwimpern hervorbrach, herabrollen über eine Wange, von der Sonne zwar gebräunt, die aber nun, vom durchdringenden Blick der Dame getroffen, in ein immer tiefer werdendes Rot aufglühte; langsam und scharf ließ nun die Gouvernante das Auge an der Gestalt des Knaben hinabgleiten bis zu dessen zarten Füßen, die kaum groß genug schienen, ihn zu tragen. – Das Sinnende und Gütige, der gewöhnliche Zug im Gesicht der Gouvernante, machte hier einem Blicke kalter, fremder Achtung Platz, und ihre ganze Gestalt schien erhabener, als sie streng und mit der keuschen Würde einer Matrone fragte:

»Knabe, hast du eine Mutter?«

»Ich weiß nicht«, war die halberstickte Antwort aus kaum sich trennenden Lippen.

»Genug; ein andermal sprech‘ ich mehr mit dir. Kassandra wird künftig den Dienst in der Kajüte verrichten; wenn ich deiner bedarf, werde ich den Gong anschlagen.«

Roderich ließ das Haupt fast auf die Brust sinken, so wenig konnte er das kalte, prüfende Auge der Matrone ertragen, das seine Gestalt verfolgte, bis sie in der Luke untertauchte. Kaum war der Knabe verschwunden, als Frau Wyllys auf Gertraud zueilte, sie umarmte und das erschreckte Mädchen mit einem Feuer an ihr Herz drückte, das deutlich zeigte, wie bekümmert sie in diesem schrecklichen Augenblicke um ihren geliebten Pflegling war.

Wieviel Stoff zum Nachdenken indessen beide auch haben mochten, so blieb ihnen doch keine Zeit zum Austausch ihrer Ideen, denn es klopfte sanft an die Tür, die Gouvernante gab die übliche Antwort, und der Rover trat in die Kajüte.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Der Zwang, womit die Damen ihren Besuch empfingen, erschien nach dem soeben stattgefundenen Gespräch sehr natürlich. Gertraud fuhr plötzlich zusammen, ihre Erzieherin bewahrte jedoch die Unbefangenheit ihrer Miene mit größerer Fassung, obgleich der forschende Blick, den sie auf den Ankömmling warf, als wolle sie schon in seinen Zügen den Zweck dieses Besuches lesen, ängstliche Besorgnis ausdrückte.

Das Antlitz des Korsaren selbst war gedankenvoll bis zum Tiefsinn. Als er in den Bereich des Lampenscheins trat, verbeugte er sich, einige leise rasche Silben mehr vor sich hin murmelnd als sprechend, so daß sie von den Damen nicht verstanden werden konnten. In der Tat war die Geistesabwesenheit, in die er versunken war, so groß, daß er offenbar nahe daran war, sich auf den leeren Diwan ohne weitere Erklärung oder Entschuldigung hinzuwerfen, wie jemand, der von seinem Eigentume Besitz nimmt, und die Erinnerung kam gerade noch zeitig genug, um diese Verletzung des Anstandes zu verhindern. Lächelnd und sich noch tiefer verbeugend trat er jetzt mit vollkommener Selbstbeherrschung vor bis zum Tisch und drückte die Besorgnis aus, daß Mistreß Wyllys seinen Besuch ungelegen, wenigstens nicht mit gehöriger Zeremonie angekündigt, finden möchte. Seine Stimme bei dieser kurzen Einleitung war weich wie eine weibliche, und so sehr trug seine Miene das Gepräge der Höflichkeit, daß man zu glauben verführt war, er fühle sich wirklich unbescheiden, in die Kajüte eines Schiffes eingetreten zu sein, in dem er doch buchstäblich Alleinherrscher war.

»Wie unpassend auch die Stunde ist,« fuhr er fort, »so würde ich doch meine Hängematte mit dem Bewußtsein bestiegen haben, mangelhaft in der Pflichterfüllung eines höflichen und aufmerksamen Wirtes gewesen zu sein, wenn ich es unterlassen hätte, Sie vorher nochmals von der Wiederherstellung der Ruhe im Schiffe nach dem Auftritte, den Sie heute mit angesehen, zu versichern. Es macht mir Vergnügen, Ihnen sagen zu können, daß sich die Aufgeregtheit meiner Leute schon ganz gelegt hat; Schafe in ihren nächtlichen Hürden können nicht friedlicher sein, als sie in diesem Augenblick in ihren Matten.«

»Die Autorität, die so schnell die Unruhe dämpfte, ist, glücklich für uns, stets gegenwärtig, uns zu schützen,« erwiderte die vorsichtige Gouvernante, »wir vertrauen gänzlich Ihrer Klugheit und Ihrer Großmut.«

»Sie schenken Ihr Vertrauen keinem Unwürdigen. Gegen die Gefahr der Meuterei wenigstens sind Sie gesichert.«

»Wie gegen jede andere hoffentlich.«

»Wir wohnen auf einem wilden, unbeständigen Element,« antwortete er, den Sitz, zu dem ihn Mistreß Wyllys mit einer Bewegung der Hand einlud, nach einer dankenden Verbeugung einnehmend; »allein Sie sind damit schon vertraut und brauchen nicht erst unterrichtet zu werden, daß wir Matrosen selten Herren unserer Bewegungen sind. Wenn heute die Zügel der Mannszucht etwas lockerer gehalten wurden, so war es meine eigene Schuld,« fügte er nach einer augenblicklichen Pause hinzu, »ich lockte gewissermaßen den Aufruhr hervor, der darauf erfolgte; er ist jedoch vorüber wie der brausende Orkan, und der Ozean ist in diesem Augenblick nicht glatter als die Gemüter meiner Jungen.« »Ich war oft auf königlichen Schiffen Zeuge dieser rohen Spiele, erinnere mich aber nicht, daß jemals eine ernstere Folge daraus entstanden wäre, als etwa das Abmachen eines alten Grolls, oder irgendein toller Streich seemännischer Laune, der aber nicht minder harmlos als drollig war.«

»Richtig; allein das Schiff, das sich oft den Gefahren von Untiefen aussetzt, strandet zuletzt doch«, murmelte der Rover. »Selten gebe ich die Schanze den Leuten preis, ohne ein genaues Augenmerk auf ihre Launen zu haben, aber … heute …«

»Heute! Sie wollten etwas hinzufügen.«

»Neptun mit seinen großen Einfällen ist Ihnen kein Fremdling, Madame.«

»Nein, ich habe den Gott in früheren Zeiten schon gesehen.«

»So glaubte ich Sie verstanden zu haben – unter der Linie?«

»Und anderswo.«

»Anderswo!« wiederholte halb unwillig der Rover. »Ach ja, der barsche Despot ist in jeder See anzutreffen, und Hunderte von Schiffen, ja sogar von großen Schiffen, glühen unter den Windstillen des Äquators – es war töricht, an den Gegenstand länger zu denken.«

»Sie beliebten etwas zu sagen, allein ich habe Sie nicht verstanden.«

Der Rover schrak zusammen; denn er hatte die vorhergehenden Worte mehr vor sich hingemurmelt als gesprochen. Er warf einen hastigen, prüfenden Blick um sich her, gleichsam um gewiß zu sein, daß sich kein unberufener Horcher herangestohlen habe, sich der Geheimnisse seines Innern zu bemächtigen, das er selten seinen Schiffsgenossen zu erschließen für gut fand. Und nun war er auch schon wieder im Besitz besonnener Gelassenheit und setzte das Gespräch so unbefangen fort, als wenn es gar keine Unterbrechung erlitten hätte.

»Ja, mir war entfallen, daß Ihr Geschlecht ebenso furchtsam als schön ist,« sagte er und lächelte dabei so einnehmend sanft, daß die Erzieherin unwillkürlich einen besorgten Blick auf ihre Pflegebefohlene warf, »sonst würde ich mit meiner Versicherung, daß jeder Grund zur Furcht verschwunden sei, nicht solange verzogen haben.«

»Sie ist uns selbst jetzt noch willkommen.«

»Und Ihre junge, sanfte Freundin,« fuhr er fort, sich gegen das Mädchen verbeugend, während er seine Worte noch immer an die Gouvernante richtete, »hoffentlich wird ihr Schlummer wegen des Vorgefallenen nicht schwerer sein.«

»Der Unschuldige findet selten ein hartes Kissen.«

»Diese Wahrheit enthält ein heiliges, ein unerforschliches Geheimnis: Die Unschuldigen schlafen so ruhig! – Wollte Gott, auch die Schuldigen könnten irgendeinen Zufluchtsort gegen die Dolche ihrer Gedanken finden! Allein wir leben in einer Welt, in einer Zeit, wo keiner gegen den andern, ja, nicht gegen sich selbst sicher ist.«

Er schwieg und blickte mit einem so wild entstellenden Zug des Lächelns um sich her, daß die ängstliche Gouvernante unwillkürlich ihrer Schülerin näher rückte, gleichsam als wollte sie sie gegen das gewisse Vorhaben eines Wahnsinnigen schützen und wieder von ihr beschützt werden. Der Rover verharrte jedoch in einem so langen und tiefen Schweigen, daß sie endlich das Verwirrende dieser Lage durch eigenes Sprechen beseitigen zu müssen glaubte.

»Finden Sie Herrn Wilder ebenso zur Gnade geneigt, als Sie selbst sind? Seine Nachsicht würde um so verdienstvoller sein, als gerade er offenbar der besondere Gegenstand des Zorns der Meuterer war.«

»Dennoch war er nicht ohne seine Freunde. Haben Sie nicht bemerkt, wie innig ihm die beiden Leute anhängen, die ihm zu Hilfe eilten?«

»Allerdings; es ist erstaunlich, wie es ihm in so kurzer Zeit gelingen konnte, diese zwei rohen Naturen so ganz für sich zu gewinnen.«

»Vierundzwanzig Jahre sind freilich ein anderes, als die Bekanntschaft von einem Tage!«

»Und schreibt sich ihre Freundschaft von so früher Zeit her?«

»Ich habe sie diesen Zeitraum unter sich nennen hören. Nichts ist gewisser, als daß der Jüngling durch irgendein außerordentliches Band mit diesen seinen zwei niedrigen Gefährten zusammenhängt. Vielleicht war dies nicht der erste gute Dienst, den sie ihm geleistet haben.«

Schmerz trübte den Blick der Mistreß Wyllys. Wohl war sie darauf vorbereitet, Wilder für einen geheimen Verbündeten des Rover zu halten, doch hatte sie sich zu hoffen bemüht, daß seine Verbindung mit den Seeräubern aus Umständen erklärt werden könnte, die ein minder ungünstiges Licht auf seinen Charakter werfen würden. Wie groß auch sein Anteil an der gemeinschaftlichen Schuld derer sein mochte, die den Zufälligkeiten und Gefahren eines für vogelfrei erklärten Schiffes leichtsinnig ihr Schicksal anvertraut hatten; davon hatte sie sich überzeugt, sein Herz sei zu edel, um wünschen zu können, daß sie und das junge, arglose Mädchen der Willkür seiner Kameraden geopfert würden.

Nunmehr bedurften seine häufigen und geheimnisvollen Warnungen keiner Erklärung. In der Tat, alles was ihr bisher sowohl von ihrer früheren unbegreiflichen Ahnung, als von dem ungewöhnlichen Betragen der Genossen dieses Schiffes dunkel geblieben war, wurde mit jedem Augenblicke klarer. Die Rätsel lösten sich eines nach dem andern von selber auf. Jetzt brachte ihr auch die Person und das Gesicht des Rover die Erinnerung in die Gestalt und die Züge des Individuums zurück, das, in dem Tauwerk des Sklavenhändlers stehend, den vorübersegelnden Bristoler Kauffahrer begrüßt hatte – eine Gestalt, die sich unbegreiflicherweise seit ihrer Anwesenheit in seinem Schiffe ihrer Einbildungskraft immer von neuem aufdrängte, wie ein Bild aus trüber Ferne. Nun begriff sie mit einem Male, wie schwierig Wilders Lage war, da er ihren Bitten ein Geheimnis zu verbergen hatte, auf das nicht nur sein Leben stand, sondern auch die, für ein im Laster nicht verhärtetes Gemüt ebenso gefürchtete Strafe – der Verlust ihrer Achtung. Kurz, viele von den Rätseln, die unsern Lesern leicht zu entwirren wurden, lösten sich nun auch dem Verstande der Erzieherin, obgleich noch manche Dunkelheiten übrigblieben, die sie ebensowenig aufzuhellen, als von sich zu verbannen vermochte. Sie hatte Muße, alle diese Gedanken zu durchlaufen; denn ihr Gast oder Wirt, welche Bezeichnung nun auch die richtigere sein mochte, gab nicht die entfernteste Neigung zu erkennen, sie in ihrem kurzen, traurigen Nachsinnen zu unterbrechen.

»Wunderbar!« nahm sie endlich das Gespräch wieder auf, »daß eine Anhänglichkeit, wie sie sich gewöhnlich nur unter Menschen von Erziehung und Bildung zu zeigen pflegt, hier ihren Einfluß auf so rohe Wesen geltend macht.«

»Es ist wunderbar, wie Sie bemerken«, erwiderte der andere, gleich einem vom Traum Erwachenden. »Tausend der blanksten Guineen, die je aus der Münze Georgs des Zweiten gekommen sind, gäbe ich darum, könnte ich die Geheimgeschichte dieses Jünglings erfahren.«

Mit der Schnelle des Gedankens unterbrach hier Gertraud fragend das Gespräch: »Also ist er Ihnen fremd?«

Der Rover starrte sie an, mit einem Auge aber, das sich, je länger es schaute, in klareres Bewußtsein und in einen solchen Ausdruck auflöste, daß der Fuß der Gouvernante hörbar bebte, und nach und nach ihre ganze Gestalt.

»Wer mag von sich behaupten, das Menschenherz zu kennen!« antwortete er mit einer Kopfneigung, die zu sagen schien, daß die Angeredete zu einer viel tiefern Huldigung vollkommen berechtigt sei. »Alle sind uns fremd, bis wir ihr geheimstes Innere gelesen haben.«

»Die Geheimnisse der menschlichen Seele durchdringen können, ist ein nur wenigen vergönnter Vorzug«, bemerkte die Erzieherin. »Viele Erfahrungen und gründliche Kenntnis der Welt muß der besitzen, der sich über die Beweggründe seines Nebenmenschen ein Urteil erlauben darf.«

»Und doch ist’s eine angenehme Welt, es kommt nur darauf an, daß man den Mut habe, sie sich dazu zu machen«, rief der Rover; ein Gedankensprung, der seiner Unterhaltungsweise charakteristisch war. »Wer selbständig genug ist, ungeteilt der natürlichen Richtung seines Geistes zu folgen, findet nichts schwierig. Glauben Sie mir, das wahre Geheimnis des Weisen besteht nicht darin, die gegebene Lebenszeit zu verlängern, sondern sie wirklich zum Leben zu verwenden. Wer nach Vollgenuß im fünfzigsten Jahre stirbt, hat mehr und länger gelebt, als wer sich mühsam durch ein Jahrhundert schleppt, ohne es je gewagt zu haben, die Kapricen der Welt, diese schwere Bürde, von sich zu werfen, der nie ein lautes Wort sprach, weil ihn die Furcht, sein Nachbar könnte etwas an seinen Worten auszustellen finden, zum ewigen Flüstern verdammte.«

»Dennoch gibt es einige, die in der Ausübung der Tugend ihre Freude finden.«

»Die Worte lassen Ihrem Geschlechte gut«, antwortete er mit einer Miene, in der die scharfsinnige Frau die Zügellosigkeit des Freibeuters zu entdecken glaubte, und gern hätte sie ihren Besuch jetzt entlassen; allein ein gewisser Blitz in seinem Auge und die Fröhlichkeit, die er durch eine Art von unnatürlicher Anstrengung gewonnen hatte, erinnerte sie an die Gefahr, einen Menschen zu reizen, der kein anderes Gesetz als seinen Willen anerkannte. Daher suchte sie dem Gespräch geschickt eine andere Wendung zu geben; mit einem Tone und einer Weise, die, obgleich der Würde ihres Geschlechts nichts vergebend, doch von Strenge entfernt waren, zeigte sie auf verschiedene musikalische Instrumente hin, die einen Teil des seltsam zusammengesetzten Ameublements der Kajüte ausmachten, und sagte:

»Der, dessen Seele die Harmonie erweichen kann, dessen Gefühle dem Einfluß des Wohlklanges offen stehen, sollte von den Freuden der Tugend nicht geringschätzig sprechen. Diese Flöte und die Gitarre dort, beide erkennen Sie als Ihren Meister an.«

»Und wegen dieser Tändeleien, die um mich her liegen, sind Sie geneigt, mir die genannten Vollkommenheiten zuzutrauen! Dies ist wieder einer jener Mißgriffe, denen wir armselige Sterbliche bloßgestellt sind. Der Schein ist das Alltagsgewand der Ehrlichkeit. Ebensogut könnten Sie es mir zum Verdienst anrechnen, daß ich jeden Morgen und jeden Abend vor dem glänzenden Spielzeug dort hinknie!« Hier wies er auf das Kruzifix aus Brillanten, das an dem schon bezeichneten Orte über der Türe des Gemaches hing.

»Ich hoffe doch, daß Sie dem Wesen, an das jenes Bild erinnern soll, Ihre Huldigung nicht versagen. Im Stolze des Kraftbewußtseins und des Glücks kann der Mensch die Tröstungen, die eine stärkere Macht als seine einzuflößen vermag, verschmähen; wer aber ihren Wert am meisten in seinem Innern erfahren hat, wird auch am tiefsten von Anbetung und Dank gegen den Urheber alles Trostes durchdrungen sein.«

Sie hatte anfangs von ihrem Gesellschafter den Blick weggewendet; allein während ihrer Rede fiel ihr mildes, sinniges Auge allmählich wieder auf ihn. Ernst und tiefsinnig wie der ihrige war der Blick, dem sie begegnete. So leise, daß sie es kaum fühlte, berührte er ihren Arm mit dem Finger, indem er die Frage äußerte:

»Glauben Sie, es sei unsere Schuld, wenn der Zug unseres Temperamentes zum Bösen stärker ist als die Macht, ihm zu widerstehen?«

»Niemand strauchelt, als wer ohne höhern Beistand auf dem Pfade des Lebens zu wandeln versucht. Wird es Ihre männliche Würde beleidigen, wenn ich die Frage tue, ob Sie je sich mit Gott unterhalten?«

»Seit langer Zeit, Madame, ist dieser Name in meinem Schiffe nur gehört worden, um jenem niedrigen, profanen Gespötte, dem einfachere Rede nicht mehr pikant genug ist, eine Würze beizufügen. Aber in Wahrheit, sie, die ungekannte Gottheit, was ist sie mehr als das, was dem empfindsamen Menschen aus ihr zu machen beliebte?«

Mit einer so festen Stimme, daß selbst der, der solange an den Tumult und die großartigen Auftritte seines wilden Treibens gewöhnt war, bei den Tönen zusammenschrak, sprach sie: » Der Tor spricht in seinem Herzen: Es ist kein Gott. – Gürte deine Lenden wie ein Mann; ich will dich fragen, antworte mir: Wo warest du, als ich die Erde gründete: Sage mir’s, wenn du klug bist?«

Er blickte lange und stumm das hochgerötete Antlitz der Sprecherin an. Dann wandte er das Gesicht unwillkürlich seitwärts und brach in die Worte aus, die offenbar mehr ein Lautwerden seiner Gedanken, als eine Fortsetzung des Gespräches waren:

»Habe ich doch dies alles schon so oft gehört, und dennoch weht es jetzt meine Gefühle mit der Frische heimatlicher Lüfte an!« Hier erhob er sich, trat auf seine ruhige, würdevolle Gesellschafterin zu und sagte halb flüsternd: »Dame, sprich jene Worte noch einmal, verändere keine Silbe daran, und laß in allem die Betonung der Stimme dieselbe sein, ich bitte dich.«

Verwundert und innerlich erschrocken über dies Gesuch gewährte es Mistreß Wyllys, indem sie die geheiligte Sprache der gotterfüllten Propheten mit einem Feuer wiedergab, das seine Nahrung und Gewalt aus ihrem innersten Gefühle zog. Ihr Zuhörer lauschte wie ein verzücktes Wesen. Fast eine Minute stand er vor ihr, die so eindringlich für die Majestät Gottes gesprochen hatte, regungslos in Haltung und Blick, wie der Mast hinter ihm.

»Ja, das heißt mit einem einzigen großen Schritte wieder zum Pfad des Lebens zurückkehren«, sagte er und ließ seine Hand auf die seiner Gesellschafterin fallen. »Ich weiß es nicht, warum ein Puls, der sonst Zeit hält wie ein Hammer, jetzt so wild und unregelmäßig schlägt. O Dame, diese kleine, schwache Hand wäre stark genug, ein Gemüt zu leiten, das so oft schon Trotz geboten der Gewalt von…«

Plötzlich hielt er inne; denn als sein Auge bewußtlos der Richtung seiner Hand folgte, fiel es auf die zarte, aber nicht mehr ganz junge Hand der Erzieherin, und mit einem tiefen Seufzer, gleichsam als erwachte er von einer angenehmen, aber vollkommenen Täuschung, wendete er sich weg und ließ seine Rede unvollendet.

»Sie verlangten ja Musik!« rief er nachlässig. »So wollen wir denn Musik haben, und sollten wir dem Gong die Sinfonie entlocken!«

Hierbei schlug er dreimal an die chinesische Glocke, so rasch hintereinander und so heftig, daß der dröhnende Widerhall des Metalls alle andern Wahrnehmungen der Sinne verwirrte. Wie tief es auch die Gouvernante kränkte, teils daß er sich so schnell dem Einfluß entzog, den sie bis zu einem gewissen Grade über ihn gewonnen hatte, teils daß er es wieder für gut befand, sie mit so wenigen Umständen seine Unabhängigkeit fühlen zu lassen, so vergaß sie doch nicht, daß ihr die Notwendigkeit die Verheimlichung ihrer Gefühle zur Pflicht machte. Als die betäubenden Töne verklungen waren, sagte sie: »Gewiß, dies ist nicht die Harmonie, zu der ich einlud; auch halte ich sie nicht für geeignet, die Ruhesuchenden in den Schlaf zu wiegen.«

»Seien Sie unbesorgt um die Leute. Der Matrose schläft dicht bei der Mündung der Kanone, wenn sie donnert, und nur die Bootsmannpfeife weckt ihn auf. Er ist zu lange bei der Gewohnheit in die Schule gegangen, um dieses Geräusch für mehr als einen Flötenton zu halten; vielleicht, wenn Sie wollen, für einen stärkern und vollern als gewöhnlich, aber doch immer für einen solchen, der ihn nichts angeht. Ein vierter Schlag hätte Feuerlärm bezeichnet; aber drei bedeuten nur Musik. Es war das Signal für das Musikkorps; die Nacht ist still und ihrer Kunst nicht abhold, lauschen wir den süßen Klängen.«

Kaum hatte er gesprochen, so hörte man einige Blasinstrumente tief intonieren. Die Künstler standen draußen vor der Kajüte, wahrscheinlich einem frühern Befehl ihres Kapitäns gehorchend. Nach einem Lächeln des Triumphes über die Schnelligkeit, womit seinen Befehlen Folge geleistet wurde, die allerdings der Macht, die er besaß, viel mehr einen zauberischen als despotischen Charakter verlieh, warf er sich auf den Diwan und lauschte der Musik.

Die Klänge, die jetzt durch die Nacht tönten und sanft und melodisch über die Wellen dahinglitten, würden in Wahrheit weit schulgerechteren Künstlern Ehre gemacht haben. Schwärmerisch wild und melancholisch war die Weise, und vielleicht um so mehr im Einklang mit der augenblicklichen Laune des Mannes, für dessen Ohr sie gespielt ward. – Darauf, dem aufregenden Charakter entsagend, konzentrierte sich die ganze Gewalt der Instrumente in sanftere und weichere Klänge, und der Genius, der die Melodie erzeugt hatte, schien darin seine innersten und erhabensten Gefühle erschließen zu wollen. Die Gemütsstimmung des Rover entsprach dem wechselnden Ausdruck der Musik; ja, als die Klänge den höchsten Grad von Rührung ausdrückten, ließ er das Haupt sinken wie ein Weinender.

Mistreß Wyllys und ihre Schülerin, obgleich selbst von der Musik ergriffen, konnten den Blick von dem so eigentümlich geschaffenen Wesen nicht abwenden, in dessen Hände sie ihr böser Stern geführt hatte. Bewunderung über den furchtbaren Gegensatz von Leidenschaften, die sich unter so verschiedenen und so gefährlichen Gestalten in einem und demselben Menschen offenbaren konnten, erfüllte die erstere, während Gertraud mit der ihren Jahren eigenen Nachsicht und Teilnahme urteilend, dem Glauben Raum gab, daß ein Mensch, dessen bessere Gefühle so leicht ins Leben gerufen werden konnten, wohl das Opfer der Verhältnisse, aber nicht der Schöpfer seines unglücklichen Schicksals sein könne.

Als der letzte Akkord dem Ohr verklungen war, sagte der Freibeuter: »Italien atmet in diesen Tönen, das süße, träge, üppige, leichtsinnige Italien! Ist es Ihnen je zuteil worden, Madame, jenes Land zu sehen, dessen Erinnerungen ebenso groß sind, als seine jetzige Lage ohnmächtig?«

Die Gouvernante gab keine Antwort, und die Neigung ihres Hauptes ließ ihre Gefährtin vermuten, daß auch sie dem erschütternden Einflüsse der Musik huldige. Endlich dem Drange seines wechselvollen Innern nachgebend, schritt der Korsar auf Gertraud zu, indem er mit der Galanterie, die einer sehr verschiedenen Szene Ehre gemacht hätte, und sie in einer Sprache, ganz im Charakter der Höflichkeit des Zeitalters, anredete:

»Die, deren bloße Stimme schon Musik ist, hat sicherlich die Gaben der Natur nicht vernachlässigt. Sie singen?«

Wenn Gertraud das Talent, das er ihr zutraute, auch besaß, so würde ihr die Stimme bei seiner Aufforderung doch den Dienst versagt haben. Sie machte eine erwidernde Verneigung, und die Worte, die ihre Entschuldigung enthalten sollten, waren selbst dem angestrengt Lauschenden kaum vernehmbar. Indes bestand er nicht auf einer Bitte, die offenbar unwillkommen war, wendete sich und tat einen leisen, aber doch erweckenden Schlag an die Glocke.

»Roderich,« fuhr er fort, als der leichte Tritt des Knaben auf der zur Kajüte herabführenden Treppe hörbar ward, »schläfst du?«

Die langsame und halb unterdrückte Antwort war natürlich verneinend.

»Apollo war nicht abwesend, als Roderich das Licht der Welt erblickte, Madame. Dem Knaben stehen Töne zu Gebote, an denen mehr als einmal schon die verhärteten Gefühle des Seemanns schmolzen. – Geh, lieber Roderich, stelle dich an die Kajütentüre, und laß die Musik deine Worte leise begleiten.«

Der Knabe gehorchte; die Stellung, die seine schlanke Gestalt einnahm, war so beschaffen, daß denen, die innerhalb der Beleuchtung der Lampe saßen, der Ausdruck seiner bewegten Züge unsichtbar bleiben mußte. Nun intonierten die Instrumente eine liebliche Einleitung, die bald zu Ende war; zweimal hatten sie die Weise angefangen, und noch immer ließ sich keine Stimme hören.

»Worte, Roderich, Worte; wir verstehen uns schlecht darauf, den Sinn der Flötentöne zu deuten.«

Auf diese Weise an seine Pflicht erinnert, fing der Knabe an, in einem vollen, reichen Konteralt, doch nicht ohne eine Bebung, die offenbar nicht zur Melodie gehörte, einige Strophen zu singen:

Im Westen, dort am Meeresrand,
Dehnt weit sich aus und schön
Das süße, heilige Zauberland,
Wo Fried‘ und Freiheit wehn.
Dort eilet nicht
Der Sonne Licht,
Vergoldet jedes Tages Abend,
Und ruht auf Baum und Seen.

Für dich, o Mensch, strahlt es so labend,
Strahlt es so schön
Auf Tal und Baum und Seen!
Das Mädchen sehnsuchtsvoll durchirrt
Mit ungewissem Fuß
Den Hain, und ihm entgegen schwirrt
Der Vögel Liebesgruß.
O süß Gestad‘,
Wann Abend naht,
Spricht Hoffnung …

»Genug hiervon, Roderich«, unterbrach ungeduldig sein Herr, »Dieser Gesang hat zuviel vom verliebten Korydon, um der Laune eines Matrosen zuzusagen. Singe uns von der See und ihren Freuden, Knabe; und heb‘ die Töne auf eine Weise hervor, die mit dem Geschmack eines Seemanns in besserem Einverständnis stehen.«

Der Knabe blieb stumm; kann sein, aus Abneigung gegen diese Aufforderung, vielleicht aber auch, weil er ihr wirklich nicht genügen konnte.

»Wie, Roderich! Verläßt dich die Muse? Oder wird dein Gedächtnis schwach? Sie sehen, das Kind ist eigensinnig in seinen Melodien; wenn er nicht von Liebe und Sonnenschein singen kann, so weiß er nichts. Wohlan, meine Leute, gebt einen kräftigern Akkord, und laßt Leben in den Kadenzen wehen, ich will zur Ehre des Schiffes ein Seelied versuchen.«

Das Korps, angesteckt von der augenblicklichen Laune seines Herrn (denn wahrlich! den Namen verdiente er), spielte eine kraftvolle und graziöse Einleitung zu dem Gesang des Korsaren. Jene verräterischen, berückenden Klänge, die sich so oft, wenn er sprach, durchhören ließen, mußten allerdings zu der Erwartung führen, daß seinem Gesang Fülle, Tiefe und Metall nicht fehlen werde; und solche Erwartung wurde nicht getäuscht. Von diesen natürlichen Vorzügen begünstigt, und von einem ausgebildeten Ohre unterstützt, sang er folgende Stanzen auf eine Weise, die, seltsam genug, halb dem Lebemann, halb dem Sentimentalen angehörte. Die Worte waren höchstwahrscheinlich eigene Komposition; denn außerdem, daß sie im ganzen das Gepräge seines Handwerks an sich trugen, fehlten ihnen auch nicht Züge des dem Sänger eigentümlichen Geschmackes:

Zu Hauf! Macht Anker licht!
Nun schallet rauh und froh der Ton,
Und keinen hält der süße Schlummer;
Im Takte knarrt das Gangspill schon,
Der Bootsmann pfeift und scheucht den Kummer!
Das junge Schiffsvolk, freudentbrannt,
Jauchzt auf; es lärmt die Meng‘ am Strand:
Zu Hauf! Macht Anker licht!

Ein Segel dort! ahoi!
Spannt alle Nerven zum Gefecht,
Steuert mutig zu, den Feind zu fassen;
Ein still Gebet fürs heilige Recht,
Fürs Weib, so wir daheim gelassen.
Nun los von jedem Segelbaum!
Zerstiebt der Meeresfluten Schaum!
Ein Segel! ho, ahoi!

Dem Sieg dreimal Hurra!
Nicht folg den Tapfern Klag‘ hinab;
Nein: pflegt die Wunden eurer Brüder;
Das Meer ist des Matrosen Grab,
Und Helden sehn sich droben wieder!
Genug, daß uns das Werk gelang,
Drum jauchzet hoch den Siegsgesang:
Hurra! Hurra! Hurra!

Gleich nachdem er dieses Lied beendigt hatte, ohne zu warten, ob seiner Leistung in Hinsicht der Stimme oder des Vortrags einige Worte der Anerkennung folgen würden, erhob er sich, ersuchte seine Gäste, über die Dienste seines Musikkorps nach Gefallen zu gebieten, wünschte ihnen sanfte Ruhe und angenehme Träume und stieg dann gelassen, offenbar, um sich gleichfalls zur Ruhe zu begeben, hinab in eines der untern Gemächer. – Mistreß Wyllys und Gertraud, obgleich beide sich unterhalten, oder vielmehr verlockt fühlten, durch das Gewinnende einer Charakterweise, die sich bei allem Eigensinn nie der Roheit näherte, hatten dennoch, als er verschwand, ein ähnliches Gefühl, als wenn man nach der eingeschlossenen Atmosphäre eines Kerkers endlich wieder freie Luft schöpfen darf. Die Gouvernante betrachtete ihre Schülerin mit einem Blick, in dem unverkennbare Liebe mit tief verborgener Besorgnis kämpfte; doch sprach keine, denn eine leise Bewegung an der Kajütentüre sagte ihnen, daß sie nicht allein waren.

»Wünschen Sie noch mehr Musik, Madame?« fragte Roderich mit erstickter Stimme, furchtsam während des Sprechens aus dem Schatten hervortretend. »Ich will Sie in den Schlaf singen, wenn Sie es wünschen; aber mir versagt die Stimme, wenn er mir befiehlt, meinen Gefühlen Gewalt anzutun und fröhlich zu sein.«

Schon hatte sich die Stirn der Gouvernante zusammengezogen, und es war ihr anzusehen, daß sie sich auf eine zurückweisende Antwort vorbereitete; da sprach die trauernde Stimme, die eingeschreckte, unterwürfige Gestalt des Knaben so stark zu ihrem Herzen, und an die Stelle des strengen Blickes trat ein weicher, verweisender Blick, wie man ihn oft das Zürnen mütterlicher Teilnahme mildern sieht.

»Roderich, ich hatte geglaubt, du würdest dich für diese Nacht nicht mehr zeigen.«

»Sie hörten ja die Glocke. Ach, wenn er auch in seinen aufgeräumten Augenblicken so heiter sein, so das Innerste ergreifend singen kann – Sie haben ihn noch nie im Zorn gehört.«

»Und ist denn sein Zorn so schrecklich?«

»Vielleicht ist er es anderen nicht so sehr, aber ich kenne nichts Fürchterlicheres, als ein einziges Wort von ihm, wenn sein Gemüt düster ist.«

»Er ist dann rauh gegen dich?«

»Niemals.«

»Du widersprichst dir selbst, Roderich. Er ist es, und ist es wieder nicht. Erzähltest du nicht, wie fürchterlich dir seine düstere Rede sei?«

»Ja; denn ich finde sie verändert. Einst war er nie tiefsinnig oder übelgelaunt, allein seit kurzem ist er nicht mehr er selbst.«

Mistreß Wyllys antwortete nicht. Des Knaben Rede war ihr allerdings weit verständlicher, als ihrer jungen aufmerksamen, aber von allem Verdacht freien Gefährtin, die, während sie selbst dem Knaben einen Wink gab, sich zu entfernen, nicht wenig Lust zeigte, ihre Neugier zu befriedigen und sich von dem Leben und den Sitten des Freibeuters mehr erzählen zu lassen. Indes wurde der Wink gebieterisch wiederholt, und der Knabe zog sich, offenbar sehr ungern, langsam zurück.

Hierauf ging auch die Gouvernante und ihre Pflegebefohlene in ihre Staatskajüte. Viele Minuten weihten beide dem stillen Opfer des Gebets und des Dankes, ein Opfer, von dem sie sich nie durch Verhältnisse abhalten ließen, sie mochten sein, von welcher Art sie wollten. Das Bewußtsein der Schuldlosigkeit und die Zuversicht in einen allvermögenden Schutz, sicherte ihnen einen süßen Schlaf. Außer der Schiffsuhr, die regelmäßig die Wachen der Nacht hindurch die Stunden schlug, störte während der Dunkelheit kein anderer Ton die Ruhe, die über den Ozean und alles, was aus seinem Spiegel schwamm, ihren beschwichtigenden Fittich gebreitet hatte.

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Wohl hätte man den »Delphin« während jener Augenblicke trügerischer Stille mit einem schlafenden Raubtiere vergleichen können. Aber gleichwie der Ruhezeit der Geschöpfe aus der Tierwelt von der Natur gewisse Grenzen gesetzt sind, so war auch, allem Anscheine nach, die Untätigkeit der Piraten nicht bestimmt, von anhaltender Dauer zu sein. Mit der Morgensonne blies ein frischer, Landgeruch mit sich führender Wind über das Wasser und setzte das träge Schiff abermals in Bewegung. – Mit breiter, längs allen Segelbäumen ausgespannter Leinwandfläche war sein Lauf diesen ganzen Tag hindurch südwärts gerichtet. Wachen folgten Wachen, Nächte Tagen, immer eine und dieselbe Richtung. Dann hoben sich die blauen Inseln, eine nach der andern, über die Meeresflächen empor. Die Gefangenen des Rover, denn für solche mußten die Damen sich nun halten, beobachteten schweigsam jeden grünen Hügel, bei dem das Fahrzeug vorbeiglitt, jede kahle, sandige Kaje, jeden Abhang, bis sie, nach der Berechnung der Gouvernante, schon mitten im westlichen Archipelagus steuerten.

Während dieser ganzen Zeit fiel keine Frage vor, die auch nur auf die entfernteste Weise dem Rover verraten konnte, daß seine Gäste recht wohl wüßten, er führe sie nicht in den versprochenen Hafen des Festlandes. Gertraud weinte bei dem Gedanken an den Schmerz ihres Vaters, der auf die Nachricht von dem verunglückten Bristoler Kauffahrteischiffe notwendig vermuten mußte, ihr sei ein gleiches Schicksal zuteil geworden; doch flossen ihre Tränen nur heimlich, oder an dem mitfühlenden Busen ihrer Erzieherin. Wildern vermied sie, denn sie hatte nun das bis zur Anschauung klare Bewußtsein, daß er nicht das sei, wofür sie ihn gehalten; gegen alle übrigen im Schiffe aber bemühte sie sich, in Blick und Mienen stets gleich heiter zu erscheinen. In diesem Benehmen, das freilich weit ratsamer war, als ohnmächtige Bitten, ward sie von ihrer Gouvernante kräftig unterstützt, deren Menschenkenntnis sie gelehrt hatte, daß die Tugend in Zeiten der Not am meisten Achtung gebiete, wenn sie es versteht, ihren Gleichmut zu behaupten. Auf der anderen Seite suchte weder der Befehlshaber des Schiffes, noch sein Leutnant ferneren Umgang mit den Bewohnerinnen der Hauptkajüte, als die Gesetze der Höflichkeit durchaus nötig machten.

Der Freibeuter, dem es bereits leid tat, daß er die Launen und Kapricen seines Gemüts so bloßgestellt hatte, zog sich allmählich in sich selbst zurück, indem er Vertraulichkeit bei keinem suchte und von keinem zuließ; während Wilder zeigte, daß er die gezwungene Miene der Gouvernante und den veränderten, obgleich mitleidsvollen Blick ihrer Schülerin vollkommen verstehe; auch bedurfte es der Erklärung keineswegs, um ihn mit der Ursache dieses Wechsels bekannt zu machen. Statt aber eine Gelegenheit zu suchen, seinen Charakter zu reinigen, zog er es vor, ihre Zurückhaltung nachzuahmen. – Mehr brauchte es nicht, um seine ehemaligen Freundinnen von der Beschaffenheit seines Gewerbes zu überzeugen; bis jetzt hatte selbst Mistreß Wyllys ihrer Pflegebefohlenen noch zugegeben, daß seine Handlungsweise die eines Menschen wäre, in dem die Verworfenheit noch nicht jenen Grad erstiegen hatte, wo das Gewissen, jenes untrüglichste Merkmal der Schuldlosigkeit, gänzlich schweigt.

Gertraud indessen empfand ein natürliches Bedauern, als sich diese traurige Überzeugung ihrem Verstande aufdrängte, und sie hegte innige Wünsche, daß der Besitzer so vieler männlicher, großartiger Eigenschaften den Irrtum, in dem sein Leben befangen war, bald einsehen und zu einer Laufbahn zurückkehren möchte, für die er, selbst nach dem Eingeständnis ihrer kalt und scharf urteilenden Erzieherin, von der Natur auf eine so ausgezeichnete Weise ausgestattet war. Ja, vielleicht riefen die Ereignisse der letzten zwei Wochen nicht nur Wünsche allgemeinen Wohlwollens in ihrem Busen wach, vielleicht flocht sie in ihre stille Andacht heiße Gebete, die eine persönlichere Beziehung hatten.

Mehrere Tage lang hatte das Schiff gegen die stehenden Winde jener Regionen anzukämpfen. Statt sich aber wie ein beladenes Kauffahrteischiff zu bemühen, irgendeinen bestimmten Hafen zu erreichen, gab der Rover seinem Schiffe plötzlich eine neue Richtung und glitt durch eine der vielen sich darbietenden Meeresengen hindurch, mit der Leichtigkeit des seinem Neste zueilenden Vogels. Hundert Segel verschiedener Größe hatte man zwischen den Inseln steuern sehen, allen wurde ausgewichen; denn Klugheit riet dem Freibeuter die Notwendigkeit der Mäßigung in einer von Kriegsschiffen so überfüllten See. Nachdem das Fahrzeug durch eine der Meeresengen hindurchgesteuert war, die die Ketten der Antillen durchschneiden, kam es in Sicherheit auf die offenere See, die jene Inseln von dem spanischen Ozean trennt. Kaum war die Durchfahrt glücklich bewerkstelligt, kaum streckte sich nach allen Seiten hin ein helles, landfreies Meer, so zeigte sich in der Miene eines jeden Individuums der Mannschaft eine nicht zu verkennende Veränderung. Jetzt glättete sich die gefurchte Stirn des Rover, jetzt verschwand der ängstliche Blick, der über den ganzen Menschen die Hülle der Zurückhaltung geworfen hatte; das eigentümliche Wesen dieses Mannes stand nun wieder in seinem ganzen Eigensinn da, in seiner ganzen Sorglosigkeit. Selbst die Bemannung, die, als sie noch in den engeren Seen, zwischen den daselbst in ganzen Schwärmen segelnden Kreuzern durch die Daggen liefen, keines fremden Antriebs zur Behutsamkeit bedurft hatte, selbst sie schien jetzt freier Atem zu schöpfen – kurz, Töne sorgloser, leichtsinniger Fröhlichkeit durchhallten wieder einmal einen Ort, den die Wolke des Mißtrauens solange umdüstert hatte.

Allein der Betrachtung der Erzieherin entstanden durch die Richtung, die das Fahrzeug nunmehr nahm, neue Gründe zur Besorgnis. – Solange die Inseln noch im Gesichtskreis blieben, gab sie, und zwar nicht ohne Grund, der Hoffnung Raum, ihr Gefangennehmer warte nur eine günstige Gelegenheit ab, um sie dem Schutze der Gesetze irgendeiner der Kolonialregierungen wieder zurückzugeben. Ihre Beobachtungsgabe lehrte sie, daß die Grundsatzlosigkeit der beiden vornehmsten Personen im Schiffe mit so vielem vermischt war, was einst gut, ja edel genannt werden konnte, daß sie in solcher Erwartung nichts Übertriebenes finden konnte. Selbst in den Sagen der Zeitgenossen, die die verwegenen Taten des Freibeuters schilderten, wenn auch eine erhitzte und übertreibende Einbildungskraft die Farben aufgetragen hatte, fehlte es nicht an zahllosen, merkwürdigen Beispielen von entschiedener, ja ritterlicher Großsinnigkeit. Mit einem Worte, sein Charakter war der eines Mannes, der, in erklärter Feindseligkeit mit allen lebend, dennoch einen Unterschied zwischen den Schwachen und den Starken zu machen verstand, und dem es oft ebenso viele Freude gewährte, sich der ersteren anzunehmen, als den Stolz der letzteren zu demütigen.

Als aber nun die letzte Spitze der ganzen Inselgruppe hinter ihnen ins Meer sank, und außer dem Schiffe sich weit und breit kein anderer Gegenstand auf der Wasserfläche zeigte, da sank auch ihr die letzte Hoffnung auf die Großmut des Korsaren. Der Rover, gleichsam unbekümmert, länger die Maske vorzuhalten, befahl, die Segel zu vermindern, und trotz der günstigen Kühlde das Schiff nahe beim Wind anzulegen. Kurz, der »Delphin« wurde mitten im Wasser angehalten, und, als sei nun das Hauptziel erreicht, und die unmittelbare Aufmerksamkeit der Mannschaft nicht weiter in Anspruch genommen, überließen sich die Offiziere sowohl als die Leute ihren Vergnügungen oder dem Müßiggang, je nachdem sie Laune oder Neigung bestimmte.

Wie lange auch der Verdacht der Gouvernante, daß man ihnen nicht erlauben würde, das Schiff zu verlassen, schon rege sein mochte, in Worten hatte sie ihn noch nicht geäußert; als aber jetzt dem Kommando, das Schiff beizulegen, gehorcht wurde, redete sie den Kapitän Heidegger, wie er sich nennen ließ, zum ersten Male wieder an:

»Ich hatte gehofft, Sie würden uns, sobald es sich mit Ihrer Bequemlichkeit vertrüge, an einer der Seiner Majestät gehörenden Inseln zu landen erlauben. Ich fürchte, Sie finden es beschwerlich, Ihre eigene Kajüte solange von Fremden besetzt zu sehen.«

»Sie kann nicht besser besetzt sein«, antwortete er, fein ausweichend, obgleich die ängstliche Dame zu entdecken glaubte, daß sein Blick mehr Kühnheit und sein ganzes Wesen weniger Zurückhaltung verrate, als bei einer früheren Gelegenheit, wo derselbe Gegenstand zur Sprache kam. »Verlangte es das Herkommen nicht, daß ein Schiff die Farbe einer oder der anderen Nation führte, so sollte über dem meinigen stets eine Flagge spielen, die die Farbe der Schönen trüge.«

»Und jetzt?«

»Jetzt ziehe ich die Zeichen des Dienstes auf, in dem ich mich befinde.«

»Während der fünfzehn Tage, seit ich Ihnen mit meiner Gegenwart lästig fallen muß, bin ich noch nicht so glücklich gewesen, die Farbe aufgezogen zu sehen, die Ihren Dienst bezeichnete.«

»Nicht!« rief der Rover und schoß einen Blick auf sie, als wollte er ihre innersten Gedanken durchdringen: »Nun, dann sollen Sie am sechzehnten Tage von dieser Ungewißheit befreit werden. Heda, wer ist im Schiffe hinten?«

»Kein besserer und kein schlechterer Mann als Richard Fid,« erwiderte der Matrose, den Kopf aus einem großen Wandkorbe hervorhebend, in den er ihn gesteckt hatte, als suchte er irgendein verlegtes Stück Werkzeug, und als er entdeckte, wer der Fragende war, mit Hast hinzufügend: »Stets zu Ew. Gnaden Befehl.«

»Aha! Es ist der Freund unseres Freundes,« erwiderte der Rover mit einem Nachdruck, der den anderen verständlich genug war; »der soll mein Dolmetscher sein. Komm her, Bursch; ich habe ein Wort mit dir zu sprechen.«

»Tausend zu Ihren Diensten, Sir,« erwiderte Richard, indem er bereitwillig näher trat; »denn wenn ich auch kein großer Redner bin, so hab‘ ich doch stets was in meinen Gedanken zur Hand, was zur Not unterhalten kann, sehen Sie.«

»Ich hoffe; deine Hängematte in meinem Schiff wiegt sanft in Schlaf?«

»Ich kann’s nicht leugnen, Ew. Gnaden; denn ein leichter segelndes Fahrzeug, sonderlich wenn es aufs Handhaben seiner Rahesegeltaue ankommt, findet sich nicht leicht.«

»Und die Fahrt selbst? Ich hoffe doch, du findest auch die so, wie sie ein Seemann gerne mag.«

»Schauen Sie, Sir, ich bin früh aus der Schule genommen und in die Fremde geschickt worden; da nehme ich mir denn selten heraus, das Schiffspatent des Kapitäns lesen zu wollen.«

»Aber demungeachtet, guter Mann, seid Ihr nicht ohne Eure Neigungen«, sagte Mistreß Wyllys mit Festigkeit, entschlossen, die Untersuchung weiter zu treiben, als ihr Gesellschafter beabsichtigen mochte.

»Kann nicht sagen, daß es mir an natürlichen Gefühlen gebricht, gnädige Frau,« erwiderte Fid, indem er sich bemühte, eine Probe von seiner Bewunderung des schönen Geschlechts in einem Kratzfuß gegen die Dame als deren Repräsentantin abzulegen, »ob mir zwar Durchkreuzungen und Unfälle quer über den Weg gekommen sind, was schon Vornehmern als mir geschehen ist. Ich hatte geglaubt, ein Notankertau könne nicht stärker angesplißt sein, als ich an Käthe Whiffle und sie an mich; aber ja, da kam’s Gesetz mit seinen Ordonnanzen und Schiffsreglements, das hat dicht bei meinem Glück vorbei querüber aufgestochen und ohne weiteres alle Hoffnungen der Dirne in ein Wrack verwandelt, und mit den meinigen eine flämische Rechnung gemacht.«

»So? Es wurde bewiesen, daß sie schon einen Mann hatte, nicht wahr?« sagte der Rover, schlau mit dem Kopfe nickend.

»Vier, Ew. Gnaden. Die Dirne hatte Geschmack an Gesellschaft, und sie kannte keinen größeren Schmerz als ein leeres Haus. Aber was tat das? Mehr als einer von uns konnte doch nicht zu gleicher Zeit im Hafen sein; da hätte man keinen solchen Lärm um die Affäre machen sollen, als man gemacht hat. Aber es war nichts als Neid, Sir; Neid und die Habsucht der Landhaifische. Wenn sich ein jedes Weib in der Gemeinde so vieler Männer zu rühmen gehabt hätte, wie die Käthe, den Teufel auch würden sie den Richtern und Geschworenen die kostbare Zeit damit verdorben haben, daß sie sich drum kümmern mußten, auf welche Weise so eine Dirne ihre ruhige Haushaltung führte.«

»Und seit jener unglücklichen Zurückweisung hast du dich dem Heiraten ganz aus dem Wege gehalten?«

»Ja, ja; seitdem, Ew. Gnaden,« erwiderte Fid und sah seinen Obern wieder mit einem jener drolligen Blicke an, in denen eine ganz eigene Schlauheit mit der schlichteren, geradezu gehenden Ehrlichkeit um die Herrschaft kämpfte; » seitdem, wie Sie ganz richtig bemerken, Sir. Die Leute hatten freilich ihr Gerede von einer Kleinigkeit, die zwischen mir und einer anderen Weibsperson im Handel war, wie sie aber die Sache näher untersuchten, na, da fanden sie, daß es nicht viel anders war, als mit der armen Käthe; die Schiffsartikel wollten nicht stimmen, und sie konnten halter, sehen Sie, nichts aus mir machen. Da hat man mich denn durch und durch reingesprochen und, weißgetüncht wie das Zimmer einer Königin, laufen lassen.«

»Und das hat sich alles nach deiner Bekanntschaft mit Herrn Wilder zugetragen?«

»Vorher, halten zu Gnaden, vorher. War ja zu der Zeit noch weiter nichts als so ein Auflaufer, sintemalen es vierundzwanzig Jahre her ist, wenn der Mai wiederkommt, seit mich der junge Herr Harry an sein Schlepptau genommen hat. Da ich nun aber seit jenen Tagen eine Art von eigener Familie besitze, ei, wozu soll ich da einem anderen in die Hängematte kommen?«

»Wie, wolltet Ihr wirklich sagen, es sei schon vierundzwanzig Jahre, seit Ihr Herrn Wilders Bekanntschaft machtet?« unterbrach Mistreß Wyllys.

»Bekanntschaft! Du lieber Gott, gnädige Frau, der wußte zu jener Zeit wenig von Bekanntschaften; obgleich der liebe, gute Junge seitdem oft genug Gelegenheit gehabt hat, sich dran zu erinnern.«

»Das Zusammentreffen zweier Männer von so seltenem Verdienste muß gar nicht uninteressant gewesen sein«, bemerkte der Rover.

»Was das anbelangen tut, so war’s hinlänglich interessant, Ew. Gnaden; aber das Verdienst dabei, sehen Sie, der junge Herr, der Harry, der will das immer mit in die Rechnung setzen, aber bei mir ist’s ausgemacht, ’s ist ganz und gar kein Verdienst dabei.«

»Ich gestehe, in einem Falle, wo zwei Männer, die beide ein so gutes Urteil haben, verschiedener Meinung sind, da fühle ich mich in Verlegenheit, wem ich recht geben soll. Freilich, wenn ich wüßte, wie alles hergegangen ist, so wär‘ ich vielleicht imstande, ein richtiges Urteil zu fällen.«

»Ew. Gnaden vergessen den Guinea, der ganz meiner Meinung in der Sache ist; der kann ebenfalls nicht sehen, wo das Verdienst im Dinge eigentlich stecken soll. Aber, wie Sie sagten, der einzige wahre Weg, zu wissen, wie geschwind ein Schiff geht, ist, das Log zu lesen; wenn also diese Dame und Ew. Gnaden gern hinter die Wahrheit der Sache kommen wollen, je nu, dann brauchen Sie’s bloß zu sagen, so leg‘ ich’s Ihnen alles vor in glaubwürdiger Sprache.«

»Aha! Dieser Vorschlag läßt sich hören«, versetzte der Rover und winkte seiner Gefährtin, daß sie ihm nach einem Platz auf der Hütte folgen möchte, wo sie den neugierigen Blicken der Leute weniger ausgesetzt wären. »Wohlan, wenn du uns jetzt das Ganze klar vor Augen legst, so sollst du endlich Entscheidung bekommen, wie sich die Sache eigentlich und von Rechts wegen verhält.«

Fid war weit entfernt, die geringste Abneigung gegen die verlangte ausführliche Erzählung zu zeigen, und bis er sich hinlänglich geräuspert, den Mund mit frischen Tabaksblättern versehen und alle anderweitigen Vorkehrungen getroffen hatte, war es der Gouvernante gelungen, ihre Skrupel darüber zu beseitigen, inwiefern es recht sei, sich in die Geheimnisse anderer auf diese Weise einzustehlen, indem sie einer unwiderstehlichen Neugierde nachgab; sie nahm daher den Sitz ein, den ihr der Kapitän mit einer Handbewegung angeboten hatte.

Nachdem nun also alle Punkte in Richtigkeit gebracht waren, fing Fid folgendermaßen an: »Ich bin früh von meinem Vater zur See geschickt worden; er war ein Mann, der gleich mir mehr von seiner Zeit auf dem Wasser zubrachte als auf trockenem Boden, obgleich er, als ein bloßer Fischermann, das Land immer im Gesicht behielt, was freilich nicht vielmehr sagen will, als ganz und gar drauf zu leben. Jedennoch aber, als ich ging, machte ich ohne weiteres eine Reise in die weite, offene See, denn ich dublierte das Horn gleich in meinem allerersten Ausflug, was für einen neuen Anfängling, sehen Sie, keine kleine Reise ist; aber, sehen Sie, da ich nur erst acht Jahre alt war …«

»Acht! Sprecht Ihr jetzt von Euch selber?« unterbrach die ungeduldige Gouvernante.

»Versteht sich, Madame; zwar könnte von Leuten gesprochen werden, die vornehmer sind, aber schwer wäre es, die Unterhaltung auf einen zu richten, der besser verstände, wie man ein Schiff auf- und abtakeln muß. Ich hätte beim rechten Ende meiner Geschichte angefangen, weil ich aber glaubte, die gnädige Frau verderbe sich nicht gern die Zeit mit Anhören von Dingen, die meinen Vater und meine Mutter betreffen, so machte ich’s kurz und sprang gleich ins achte Jahr, ohne mich erst aufzuhalten bei meiner Geburt, Namen und dergleichen mehr, was gewöhnlich in den Alltagsgeschichten auf eine ganz ungebührliche Weise im Logbuch mir aufgeführt wird.«

»Fahret nur fort«, versetzte sie, als sie sah, daß nichts übrig blieb als geduldige Ergebung.

»Mir geht’s ziemlich so wie einem Schiff, das eben vom Stapel laufen soll«; nahm Fid wieder auf. »Wenn’s einen hübschen Anlauf tut und sich’s nicht einklemmt noch reibt, rutsch! geht es ins Wasser, wie ein Segel, das man in einer Windstille losläßt; bleibt es aber erst einmal hängen, so gehört keine geringe Arbeit dazu, es wieder flott zu kriegen. Um nun meine Gedanken gehörig einzudämmen und die Geschichte geschmeidig zu machen, so daß ich glatt durchfahren kann, muß ich notwendig noch einmal das Tau durchlaufen, das ich soeben fahren ließ; das war also, wie mein Vater ein Fischermann war, und wie ich das Horn dublierte. – Halt! Nu hab‘ ich’s wieder! Gut also, ich dublierte, wie gesagt, das Horn und mochte ungefähr, so drüber und drunter, vier Jahre zwischen den Inseln und Seen jener Gegenden gekreuzt haben, die, beiläufig gesagt, zu der Zeit keine von den besten waren, und was das anbelangen tut, es auch jetzt noch nicht sind. Hierauf machte ich in der königlichen Flotte den ganzen Krieg mit, wurde dreimal blessiert und erfocht soviel Ehre, als ich nur immer bequem unter die Luken packen konnte. Gut, damals traf ich mit dem Guinea zusammen – das ist der Schwarze, gnädige Frau, den sie dort einen neuen Geitaublock eindrehen sehen für das Steuerbord-Schotthorn des Focksegels.«

»Schon gut; da kamst du also mit dem Afrikaner zusammen«, sagte der Rover.

»Da war’s, wo wir uns kennen lernten; und obgleich seine Farbe nicht weißer ist als der Rücken eines Walfisches, meinetwegen mag’s hören, wer will, nächst dem jungen Herrn Harry, lebt keine ehrlichere Haut auf der See, und keiner, an dessen Gesellschaft ich mehr Vergnügen fände. Allerdings, Ew. Gnaden, der Kerl ist etwas rechthaberisch, hat eine große Meinung von seiner Stärke und glaubt, seinesgleichen sei in keiner Nocke auf ’ner Windseite oder in ’nem Bramsegeltuch zu finden, aber dafür ist’s auch ein bloßer Schwarzer, und man muß nicht zu genau sein mit den Fehlern von Menschen, die nu mal nichts dafür können, daß sie unsere eigentliche Nebengeschöpfe nicht sind.«

»Nein, nein; das würde äußerst lieblos sein.«

»Just die Worte, die der Schiffskaplan an Bord der Fregatte ›Braunschweig‹ loszulassen pflegte. ’s ist doch ganz was anderes, wenn man was in der Schule gelernt hat, Ew. Gnaden; denn wenn’s auch zu weiter nichts taugt, so macht es einen doch geschickt, ein Bootsmann zu werden, und da ist man im besten Fahrwasser, um ohne alles Lavieren dem kürzesten Weg nach dem Himmel zuzusteuern. Aber wie gesagt, da wurde Guinea mein Schiffsgenosse und Freund, versteht sich, soweit sich’s mit der Vernunft vertrug, für die nächsten fünf Jahre, und dann kam die Zeit, wo uns der Unfall des Schiffbruchs in Westindien begegnete.«

»Was für ein Schiffbruch?« fragte hier sein Oberer.

»Verzeihen Ew. Gnaden; ich schwenke niemals meine Vorderrahen, als bis ich gewiß weiß, daß das Schiff nicht wieder in den Wind hineinluvt. Ehe ich mich also auf das Nähere des Schiffbruchs einlasse, muß ich abermals meine Gedanken übersehen, ob auch nichts vergessen ist, was von Rechts wegen vorher erwähnt werden müßte.«

Als der Rover an den ungeduldigen Seitenblicken seiner Gesellschafterin und am ganzen Ausdruck ihres Gesichtes sah, wie sehr sie sich sehnte nach dem Erfolg der Erzählung, die mit so langsamen Schritten vorwärts rückte, und wie unangenehm ihr eine Unterbrechung sein würde, so gab er ihr einen bedeutsamen Wink, daß sie den schlichten Teer seinen eigenen Weg gehen lassen möchte, als das beste Mittel, endlich in den Besitz der Tatsachen zu kommen, die sie beide so sehnlich zu wissen wünschten. Fid, als man ihn nun nicht mehr unterbrach, wiederholte noch einmal alles Erzählte auf die ihm eigene, drollige Weise, und wie er nun zum Glücke fand, daß er nichts ausgelassen hätte, was nach seinem Ermessen mit der gegenwärtigen Geschichte in Verbindung stand, so ging er endlich zu dem wesentlicheren und dem, seinen Zuhörern wenigstens, bei weitem interessantesten Teil seiner Erzählung über.

»Gut,« fuhr er fort, »Guinea war damals, wie ich Ew. Gnaden schon sagte, an Bord der ›Proserpina‹, ein schnellsegelnder Zweiunddreißiger, an der Marsrahe angestellt, und ich gleichfalls; da stießen wir zwischen den Inseln und der spanischen See auf einen winzigen Schmuggler, aus dem der Kapitän ohne weiteres Prise machte und uns befahl, ihn in den Hafen zu schleppen, wozu er, wie ich nicht anders glauben kann, seine Order hatte, denn er war ein gescheiter Mann. Aber dem mag nu gewesen sein, wie ihm wolle, das Fahrzeug hatte seine längste Fahrt gemacht und strandete, als wir ungefähr ein paar Tagefahrten leewärts von unserem Hafen gekommen sein mochten, in einem schweren Orkan, der uns eingeholt hatte. Gut, ’s war nur ein kleines Ding; und da es den Einfall bekam, sich erst auf die Seite zu legen, ehe es vollends schlafen ging, so glitten der Gehilfe, der des Schiffspatrons Stelle versah, und noch drei andere vom Verdeck runter in den Meeresboden. Hier war’s, wo Guinea mir den ersten guten Dienst leistete; denn, obgleich wir früher schon oft Hunger und Durst mit ’nander gelitten hatten, so war doch dies das erstemal, wo er über Bord sprang, um zu verhüten, daß ich Salzwasser schluckte wie ein Fisch.«

»Das heißt, wenn er nicht gewesen wäre, wärst du mit den übrigen ertrunken.«

»Das will ich nu gerade nicht sagen, Ew. Gnaden; denn man kann nicht wissen, welcher glückliche Zufall mir denselben guten Dienst hätte leisten können. Nichtsdestoweniger, sintemalen ich nicht besser und nicht schlechter als eine Stangenkugel schwimmen kann, so bin ich immer geneigt gewesen, dem Schwarzen meine Rettung zuzuschreiben, obgleich wir niemals viel über die Sache gesprochen haben, und zwar aus keinem anderen Grunde, soviel ich absehen kann, als weil eben der Abrechnungstag bis jetzt noch nicht rangekommen ist. Gut, wir machten, daß wir das Boot vom Schmugglerschiff flott kriegten, und genug hinein, um die Seele im Leibe zu halten, dann steuerten wir, so schnell wir konnten, landwärts, da es doch nu mal mit dem Schmugglerschiffe aus und an keine weitere Fahrt darin zu denken war. Eine ausführliche Beschreibung von dem, was zum Dienst in einem Boote gehört, brauche ich der Dame hier wohl nicht zu geben, da es noch nicht lange her ist, daß sie selbst einige Erfahrung hierin machte; aber soviel kann ich ihr sagen: Ohne jenes Boot, in dem der Schwarze und ich an zehn Tage zubrachten, würde es ihr in ihrer neulichen Fahrt nicht sonderlich ergangen sein.«

»Erkläre dich deutlicher.«

»Mein Sinn ist deutlich genug, Ew. Gnaden; nämlich, daß wenig anderes, als die nette Manier, womit der junge Herr, der Harry, ein Boot regiert, die Barkasse des Bristoler Kauffahrers an dem Tage, wo wir Sie trafen, über Wasser hätte halten können.«

»Aber was hat Euer Schiffbruch für Zusammenhang mit der Erhaltung des Herrn Wilder?« fragte die Gouvernante, unfähig, die breite Erklärung des weitschweifigen Seemanns länger abzuwarten.

»Aber was hat Euer Schiffbruch für Zusammenhang meine gnädige Frau, wie Sie selbst sagen werden, wenn Sie erst den tragischen Teil meiner Erzählung werden gehört haben. Gut also, ich und Guinea, wir ruderten im Meere rum, hatten Mangel an allem, nur nicht an Arbeit, aber immer steuerten wir doch, quer durch, nach den Inseln zu; denn, sehen Sie, wenn wir uns auch nicht sonderlich auf den Kompaß verstanden, so konnten wir doch das Land riechen, und da holten wir denn wacker aus, wenn Sie bedenken, daß die Wette in diesem Rennen nichts Geringeres galt als das Leben, bis wir bei Morgenanbruch, als wär’s ungefähr hier Ost zu Süden, ein kahlgeschorenes Schiff gewahr wurden, wenn anders ein Schiff kahl zu nennen ist, das nichts Besseres mehr aufrecht stehen hat, als die Stümpfe seiner drei Masten, und diese noch dazu ohne ein Stück Tau oder einen Fetzen Segel, woran man hätte sehen können, was für Takelage es führte, oder welcher Nation es angehörte. Aber nichtsdestoweniger ließ ich’s mir von dem Guinea nicht nehmen, daß es ein wohlbetakeltes Schiff müsse gewesen sein, wegen der drei Stümpfe, und wie wir nahe genug rangekommen waren, um den Rumpf sehen zu können, erklärte ich geradezu, daß es in England gezimmert sei.«

»Ihr entertet es«, bemerkte der Rover.

»Das war keine schwere Arbeit, gnädiger Herr, sintemalen ein halbverhungerter Hund die ganze Bemannung war, die es aufstellen konnte, um uns davon abzuhalten. Es war ein feierlicher Anblick, als wir aufs Verdeck kamen, und so oft ich das Logbuch meines Gedächtnisses aufschlage,« fuhr Fid mit einer immer ernster werdenden Weise fort, »erschüttert es meine Männlichkeit.«

»Ihr fandet die Mannschaft in bitterem Mangel.«

»Wir fanden ein edles Schiff, so hilflos wie eine Heilbutte in einem Zuber. Da lag es, ein Zimmerwerk von vierhundert Tonnen Last oder drüber, von Wasser angefüllt, und unbeweglich wie ’ne Kirche. Es macht mich immer niedergeschlagen, Sir, wenn ich ein stattliches Schiff sehe, mit dem es mal soweit gekommen ist; denn, sehen Sie, man kann es vergleichen mit einem Mann, dem die Floßfedern abgeschoren sind, und der nachgerade für weiter nichts mehr taugt, als auf einen Krahnbalken gesetzt zu werden, um aufzupassen, wo ’ne Bö herkommt.«

»Das Schiff war also verlassen?«

»So war’s; die Leute hatten sich entweder davon gemacht oder wurden in dem Sturme, der das Schiff umgelegt hatte, von den Wellen fortgespült; hab’s niemals zur Gewißheit hierin bringen können. Der Hund mußte sich wohl auf dem Verdeck unnütz gemacht haben, weswegen man ihn wahrscheinlich auf ein Inholz trieb, und das hat ihn gerettet, da er zum Glücke auf der Windseite war, als der Rumpf sich wieder etwas in die Höhe hob, nachdem die Masten schon abgebrochen waren. Gut, Sir, da war also der Hund; sonstiges bekamen wir nicht viel zu sehen, obgleich wir einen halben Tag im Schiffe umherstöberten, in der Hoffnung, irgendeine Kleinigkeit zu finden, die uns von Nutzen sein könnte. Aber da der Raum und die Kajüte mit Wasser angefüllt waren, i nu, so mußte freilich unser Bergelohn spärlich genug ausfallen.«

»Und dann verließet Ihr das Wrack.«

»Noch nicht, gnädiger Herr. Wie wir so unter den Enden von Stricken und sonstigem Plunder, der das Deck belemmerte, rumsuchten, sagte Guinea, sagte er: ›Herr Dick, ich höre, wie jemand ihr miserables Geschrei drunten erheben.‹ Nu, Sir, sollen Sie wissen, daß ich das Kreischen wohl auch gehört hatte; aber ich nahm es für ausgemacht an, es seien die Geister der Mannschaft, die über ihren Verlust heulten, und schwieg aber still davon, um den Aberglauben des Schwarzen nicht aufzuregen; denn, sehen Sie, gnädige Frau, die Besten von ihnen bleiben am Ende doch nur abergläubische, unwissende Neger. Drum sagte ich nichts von dem, was ich hörte, bis er selbst davon anzufangen für gut dachte. Hierauf legten wir uns beide mit allem Fleiß aufs Lauschen; und wahrhaftig, das Gestöhn wurde immermehr menschengleich. Es dauerte jedoch eine geraume Zeit, ehe ich darüber mit mir einig werden konnte, ob es weiter was wäre als das Klagen des Schiffswracks selber; denn sie wissen, gnädige Frau, daß ein Schiff, ehe es untergeht, sein Wehklagen erhebt, so gut wie jedes andere lebendige Geschöpf.«

»Ich weiß es, ich weiß es«, erwiderte schaudernd die Gouvernante. »Ich habe sie gehört, und die Töne werden nie aus meinem Gedächtnis schwinden.«

»Jawohl, ich konnte mir denken, daß Sie von den Tönen auch eine Geschichte zu erzählen hätten; sie haben was Feierliches an sich, diese Töne. Doch da der Schiffsrumpf noch immer auf der Meeresoberfläche zu schlingern fortfuhr und keine weitere Zeichen gab, daß er sinken wolle, so dachte ich, es könnte nicht schaden, im Hinterteil ein Loch einzuhauen, um uns von da aus zu versichern, daß kein Unglücklicher etwa in seiner Matte hängen geblieben, als das Schiff sich auf die Seite legte. Ei nun, guter Wille und eine Axt halfen uns bald hinter das Geheimnis, von wem das Gejammer herkam.«

»Ihr fandet ein Kind?«

»Mit seiner Mutter, gnädige Frau. Der glückliche Zufall fügte es, daß sie sich in einer Kajüte auf der Windseite befanden, und das Wasser war noch nicht bis zu ihnen gedrungen. Verschlossene Luft und Hunger hatten jedoch fast denselben schlechten Dienst getan wie das Salzwasser. Die Frau war in den letzten Zügen, als wir sie rausbrachten, und was den Knaben anbetreffen tut, stattlich und kräftig, wie Sie ihn dort auf der Kanone sehen, gnädige Frau, so war er Ihnen so miserabel, daß es nicht wenig Mühe kostete, bis er einen Tropfen Wein und Wasser schlucken lernte, was der liebe Gott uns übrig gelassen hatte, damit, wie ich seitdem steif und fest glaube, der Junge einmal der Stolz des Ozeans werden möchte, was er denn in diesem Augenblick auch wirklich ist.«

»Aber die Mutter?«

»Die Mutter! Die hatte den einzigen Bissen Zwieback, den sie noch hatte, dem Kinde gegeben, und starb, damit der Kiekindiewelt am Leben bliebe. Ich hab‘ niemals ganz klug draus werden können, gnädige Frau, wie ein Weib, das doch, wenn’s auf Stärke ankommt, nicht viel besser ist wie ein Laskar, und wenn es Mut gilt, nicht besser wie ein verhätscheltes Muttersöhnchen, bei dergleichen Gelegenheiten imstande sein kann, so ruhig das Leben fahren zu lassen, wo doch mancher rüstige Seemann um jeden Mundvoll Luft, den der liebe Gott aus Gnaden schenkt, bis aufs Blut fechten würde. Aber da saß sie, weiß wie das Segeltuch, das der Sturm zerzauste, und alle Glieder hängen lassend, wie eine Flagge in einer Windstille, den abgemagerten, schwachen Arm um das Kind geschlungen, und in der Hand den einzigen Bissen, der ihr die Seele noch eine Weile im Leibe hätte halten können.«

»Womit war sie beschäftigt, als Ihr sie heraus an das Tageslicht gebracht?«

»Womit sie beschäftigt war?« wiederholte Fid, dessen Stimme hier rauh und heiser wurde, »i nu, es war ein verzweifelt ehrliches Stück Beschäftigung; sie gab dem Knaben die Krume und winkte, so gut wie es eine Frau in den letzten Zügen vermochte, daß wir ein Auge auf ihn haben möchten … bis die Fahrt des Lebens vorüber war.«

»Und das war alles?«

»Ich hab‘ immer geglaubt, daß sie noch betete; denn was muß zwischen ihr und Einem, der nicht zu sehen war, vorgegangen sein, nach der Manier zu urteilen, wie ihre Augen aufwärts gerichtet waren, und wie sich ihre Lippen bewegten. Ich hoffe, sie hat unter andern auch für einen gewissen Richard Fid ein gutes Wort eingelegt; denn das ist gewiß, wenn irgendeiner nicht nötig hat, für sich selbst zu bitten, so war’s sie’s. Aber was sie sprach, wird wohl niemand erfahren, sintemalen ihr Mund sich von der Zeit an auf immer geschlossen.«

»Sie starb!«

»Es tut mir leid, daß ich’s sagen muß, ja. – Aber die arme Frau konnte nichts mehr zu sich nehmen, als sie in unsere Hände kam, und überdies hätten wir ihr auch nur wenig geben können. Ein Quart Wasser, mit ungefähr einer Viertelpinte Wein, ein Zwieback und eine Handvoll Reis, war keine übergroße Portion für zwei gesunde Kerle, die ein Boot etliche und siebenzig Seestunden innerhalb der Wendepunkte fortrudern sollten. Als wir nun sahen, daß nichts weiter auf dem Wrack zu suchen war, und daß es, nu rasch zu sinken anfing, da die Luft durch das Loch, das wir eingehauen hatten, rausgelassen war, so hielten wir’s für geraten, uns davon zu machen. Und, meiner Treu! Es war nicht im geringsten zu früh, denn es ging unter, just als wir unser Boot soweit gerudert hatten, daß der Strudel es nicht mehr anziehen konnte.«

»Und der Knabe, das arme, verlassene Kind!« rief die Gouvernante, deren tränenvollen Augen jetzt zwei große Tropfen entquollen.

»Da steuern Sie auf ganz unrichtigem Pfade, gnädige Frau. Weit entfernt davon ihn zu verlassen, nahmen wir ihn mit, wie auch das einzige, andere lebendige Geschöpf, das auf dem Wrack zu finden war. Allein, wir hatten noch eine lange Reise vor uns, und, was das Übel ärger machte, das Kielwasser der Kauffahrer verloren. Ich erklärte also, unser Fall mache einen allgemeinen Schiffsrat notwendig; der bestand nu freilich bloß aus mir und dem Schwarzen, sintemalen der Junge zum Sprechen zu schwach war, und auch in unserer Lage nicht viel anderes hätte vorbringen können. So fing ich denn selber an: Guinea, sagte ich, wir müssen entweder den Hund hier oder den Knaben hier essen. Essen wir den Knaben, so sind wir nicht besser, als das Volk bei dir zu Hause, das, wie Sie wissen, gnädige Frau, lauter Kannibalen sind; essen wir den Hund, mager wie er ist, so kriegen wir vielleicht so viel raus, daß wir Seele und Leib zusammenhalten und dem Knaben das übrige geben können. So sagte der Guinea, sagt er: Ich gar nichts essen brauchen, dem Knaben die Speise lieber geben, sagt er, denn er klein ist und fehlt ihm an Kräfte. – Indessen, dem jungen Herrn, dem Harry, wollte der Hund nicht sonderlich behagen, der bald zwischen uns alle wurde, denn warum, er war gar zu dünn. Wie das vorbei war, gab’s für uns beide eine hungrige Zeit; denn wenn wir das Leben in dem Jungen nicht festgehalten hätten, so wär’s uns durch die Finger geschlüpft, sehen Sie.«

»Und Ihr nährtet also das Kind, indem Ihr selbst fastetet?«

»Nein, ganz müßig waren wir gerade nicht, gnädige Frau; unsere Zähne übten sich wacker an der Haut des Hundes, obgleich ich nicht behaupten will, daß die Kost zu schmackhaft gewesen wäre. Fürs zweite, da uns das Essen nicht viel Zeit wegnahm, so hielten wir uns um so lebhafter ans Rudern. Gut, nach einiger Zeit erreichten wir eine der Inseln, aber freilich konnte weder der Neger noch ich uns auf Stärke oder Gewicht viel zugute tun, als wir die erste Küche, auf die wir stießen, zu Gesicht bekamen.«

»Und das Kind?«

»O, der Junge befand sich ziemlich wohl; denn, wie uns nachher die Doktors sagten, die kleine Portion, die auf sein Teil fiel, hatte ihm nicht geschadet.«

»Suchtet Ihr seine natürlichen Freunde nicht auf?«

»Ei nu, was das anbetrifft, gnädige Frau, soweit ich wenigstens entdecken konnte, so war er eigentlich schon bei seinen besten Freunden. Wir hatten weder Seekarten, noch eine Liste der Landungsplätze bei uns, wonach wir hätten steuern können, um seine Familie ausfindig zu machen. Er nannte sich Master Harry, ein Beweis, daß er von vornehmer Geburt sein mußte, wie man ihn denn auch nur anzusehen braucht, um davon überzeugt zu sein; sonst aber konnte ich über seine Verwandten, Vaterland und dergleichen kein Wort mehr erfahren. Da er indessen Englisch sprach und in einem englischen Schiffe gefunden wurde, so steht, aller natürlichen Ursache nach zu vermuten, daß er in England gezimmert ist.«

»Habt Ihr den Namen des Schiffes nicht erfahren können?« fragte der aufmerksame Rover, in dessen Gesicht der Zug der lebendigsten Teilnahme auf das Deutlichste zu unterscheiden war.

»Schauen Ew. Gnaden, was das anbelangen tut, so waren Schulen in meiner Gegend nicht sehr häufig; und in Afrika ist, wie Sie wissen, auch nicht viel Erhebliches von Gelehrsamkeit anzutreffen, so daß, wenn der Name des Schiffes auch noch über Wasser gewesen wäre, was er aber nicht war, wir mit dem Lesen doch nicht hätten zurecht kommen können. Dafür aber war ein Schlageimer, der wahrscheinlich auf dem Verdeck herumfuhr, glücklicherweise in den Pumplöchern festsitzen geblieben und ging also nicht über Bord, als bis wir ihn mitnahmen. Gut, auf dieser Putse war ein Name gemalt; und wie wir Zeit dazu hatten, ließ ich den Guinea, der ein natürliches Talent zum Tätowieren besitzt, mir den Namen mit Schießpulver in den Arm einreiben, als den kürzesten Weg, dergleichen Kleinigkeiten ins Logbuch einzutragen. Ew. Gnaden sollen sehen, wie der Schwarze mit dem Abschreiben fertig geworden ist.«

Hierbei zog Fid ganz ruhig seine Schiffsjacke aus und entblößte bis zum Ellbogen hinauf einen seiner stämmigen Arme, auf dem die bläuliche Inschrift noch sehr deutlich stand. Obgleich die Buchstaben nur sehr roh auf dem Fleische nachgeahmt waren, so war es doch nicht schwer, die Worte zu lesen: » Arche von Lynnhaven.«

»Hier hattet Ihr also gleich einen Schlüssel zur Auffindung der Verwandten des Knaben«, bemerkte der Rover, nachdem er die Schrift entziffert hatte.

»Es scheint doch nicht, Ew. Gnaden, denn wir nahmen das Kind mit uns an Bord der Proserpina, und unser würdiger Kapitän spannte alle Segel nach den Leuten aus; allein niemand konnte uns irgendeine Nachricht geben von so einem Fahrzeuge, wie die Arche von Lynnhaven, und nach einem Zwölfmond oder drüber mußten wir die Jagd aufgeben.«

»Konnte das Kind selbst nichts über seine Verwandten berichten?« fragte die Erzieherin.

»Nur weniges, gnädige Frau; aus dem einfachen Grunde, weil es nur wenig über sich selbst wußte. Daher gaben wir denn die Sache endlich ganz auf und machten uns selbst, das heißt, ich, der Guinea, der Kapitän samt allen übrigen, daran, dem Knaben Erziehung zu geben. Sein Seemannshandwerk hat er vom Schwarzen und mir gelernt, vielleicht auch etwas von seinen guten Sitten. Seine Schiffahrerkunst und Lateinisch aber, das hat er vom Kapitän, der sein Freund geworden ist, bis zu der Zeit, wo er für sich selber sorgen konnte, und, kann wohl sein, auch noch einige Jahre nachher.«

»Und wie lange blieb Herr Wilder in einem königlichen Schiff?« fragte der Rover nachlässig und scheinbar auf eine gleichgültige Weise.

»Lange genug, um alles zu lernen, was dort gelehrt wird, Ew. Gnaden«, war die ausweichende Erwiderung.

»Er hat es wohl bis zum Offizier gebracht?«

»Wenn das nicht ist, so verliert der König am meisten bei dem Handel. – Doch was seh‘ ich da von der Seite, zwischen der Pardune und dem Geerdentau; es sieht aus wie ein Segel, oder ist’s nur eine Möwe, die die Flügel schwingt, ehe sie aufsteigt?«

»Segel, ho!« rief der Matrose im Mastkorbe.

»Segel, ho!« ging’s wie ein Echo vom Topp bis zum Deck herunter, indem der schimmernde, obgleich entfernte Gegenstand von einem Dutzend spähender Augen in einem und demselben Moment erblickt wurde. Einem so oft wiederholten Rufe konnte der Rover seine Aufmerksamkeit nicht vorenthalten, und Fid benutzte den Umstand, um von der Hütte zu springen, was er mit einer Hast tat, die wohl bewies, daß ihm die Unterbrechung gar nicht unangenehm war. Hier erhob sich auch die Gouvernante und suchte, gedankenvoll und traurig, die Einsamkeit ihrer Kajüte.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

»Segel ho!« war in der wenig besuchten See, wo der Korsar lag, ein Ruf, der im Busen seiner Mannschaft jeden langsamern Herzensschlag belebte. Viele Wochen waren nun, nach ihrer Berechnungsweise, mit den schwärmerischen und profitlosen Plänen ihres Obern vollkommen nutzlos zugebracht worden. Sie waren keineswegs in einer Laune, um die unabänderlichen Bestimmungen des Geschickes, die das Bristoler Kauffahrteischiff ihrem Netze entführte, mit in Anschlag zu bringen; für diese rohen Naturen war es genug, daß ihnen der reiche Fang einmal entgangen war. Ohne sich erst auf Untersuchung der Ursachen dieses Verlustes einzulassen, suhlten sie sich nur zu sehr geneigt, den unschuldigen Offizier, dem ein Fahrzeug anvertraut war, daß sie schon als ihre Prise betrachteten, ihre getäuschten Erwartungen schwer entgelten zu lassen. Jetzt also zeigte sich endlich eine Gelegenheit, den Verlust zu vergüten. Das fremde Segel war im Begriff, in einer Gegend der See mit ihnen handgemein zu werden, wo Hilfe eine so gut wie vergebliche Hoffnung war, und wo die Freibeuter Zeit genug hatten, jeden errungenen Sieg bis zum Äußersten zu benutzen. Jeder von den Schiffsgenossen schien eine Idee von diesen Vorteilen zu haben; und wie die Worte vom Maste bis zu den Rahen, von den Rahen bis aufs Verdeck hinabtönten, wurden sie von mehr als fünfzig Stimmen wiederholt, bis sie wie ein heiteres, vieltöniges Echo in den abgelegensten, innersten Teilen des Schiffes widerhallten.

Der rote Freibeuter selbst bezeugte mehr als gewöhnliches Vergnügen bei dieser Aussicht auf eine Prise. Ihm entging keineswegs, daß irgendeine glänzende oder gewinnbringende Tat auszuführen unumgänglich notwendig sei, um die erregten Gemüter seiner Leute zu beschwichtigen; und lange Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß er die Zügel der Mannszucht niemals straffer spannen durfte, als in solchen Augenblicken, die offenbar die Ausübung seines persönlichen hohen Mutes und die Anwendung seiner vollendeten Kenntnisse erforderten. Er schritt daher zu den Leuten in den Vorderraum mit einem nicht mehr von Zurückhaltung umwölkten Gesicht, sprach mit mehreren, indem er sie beim Namen anredete, ja, verschmähte es nicht, sie um ihre Meinungen über das Segel in der Ferne zu befragen. Auf diese Weise wußte er ihnen stillschweigend die Versicherung beizubringen, daß ihr neuliches meuterisches Betragen nicht gerügt werden sollte; und nun ließ er Wildern, den General und einen oder zwei von den anderen höheren Offizieren zu sich aufs Verdeck der Hütte entbieten, wo sie sich alle anschickten, mit Hilfe eines halben Dutzends vortrefflicher Ferngläser genauere und zuverlässigere Beobachtungen anzustellen.

Eine geraume Weile wurde jetzt in stiller, angestrengter Untersuchung zugebracht. Der Himmel war frei von Wolken, der Wind frisch, ohne stürmisch zu sein, die See ging in langen, gleichmäßigen und keineswegs hohen Wellen, kurz, alle Umstände vereinigten sich, sofern eine solche Vereinigung auf dem rastlosen Ozean nur möglich ist, nicht nur, um ihr Spähen zu unterstützen, sondern auch die Evolutionen zu begünstigen, von denen es mit jedem Augenblicke wahrscheinlicher wurde, daß sie unumgänglich nötig sein und bald erfolgen würden.

»Es ist ein Schiff!« rief der Rover, der erste, der das Fernrohr vom Auge nahm und das Ergebnis seines langen und genauen Forschens verkündete.

»Es ist ein Schiff!« widerhallte es von dem Munde des Generals, der, trotz der Gewalt, die er gewöhnlich über seine Gesichtszüge besaß, ein lebendiges Aufglänzen der Freude nicht ganz unterdrücken konnte.

»Ein vollständig aufgetakeltes Schiff!« setzte ein dritter hinzu, indem er ebenfalls das Glas vom Auge nahm und das grimmige Lächeln des Soldaten erwiderte.

»So viele stolze Segelbäume führen gewiß keine Kleinigkeit«, nahm ihr Kommandeur das Wort wieder auf. »Sie haben ein Schiff von Wert unter sich. – Doch Sie sagen ja nichts, Herr Wilder! Wofür halten Sie es?«

»Für ein Schiff von mehr als gewöhnlicher Größe«, erwiderte unser Abenteurer, der, obgleich er bis jetzt geschwiegen hatte, weit davon entfernt war, bei seiner Untersuchung geringeres Interesse als die übrigen zu fühlen – »Trügt mich mein Fernglas … oder …«

»Oder was, Sir?«

»Mir ist es schon bis zum Anfang seiner großen Untersegel sichtbar.«

»Sie sehen es wie ich. Es ist ein stattliches Schiff, das seine Rahesegeltaue leicht handhabt und aufgesetzt hat, was nur immer ziehen will. Und seine Richtung ist gerade auf uns zu. Seine unteren Segel sind innerhalb dieser letzten fünf Minuten aufgezogen worden.«

»Das dacht‘ ich mir auch. Aber …«

»Aber was, Sir? Es kann nur geringem Zweifel unterliegen, daß es Nord bei Ost einsetzt. Wohlan, da es so gütig ist, uns die Mühe des Jagdmachens zu ersparen, so brauchen wir uns um so weniger mit unseren Bewegungen zu beeilen. Mag es herankommen! Wie gefällt Ihnen das Avancieren des Fremden, General?«

»Nicht sehr militärisch, aber außerordentlich lockend! Man kann ihm die Goldbergwerke schon an den Bramsegeln ansehen.«

»Und Sie, meine Herren, sehen Sie ebenfalls die Manier einer Galione an seinen oberen Segeln?«

»Es ist nichts Unvernünftiges in der Annahme«, antwortete einer der Subalternen. »Es heißt, die Dons machen oft die Fahrt durch diese Gewässer, um uns Herren, die wir mit selbstausgestellten Kaperbriefen segeln, nicht sprechen zu müssen.«

»Ah! Ein Don ist Euch ein Fürst der Erde? Aus purer Liebe schon muß man ihm die goldene Bürde leichter machen, damit der Segler nicht drunter sinke, wie die römische Matrone unter der Wucht der Sabinerschilde. Nicht wahr, Herr Wilder, Sie können nichts von jener goldenen Schönheit an dem Fremden entdecken?«

»Es ist ein schweres Schiff!« »Um so wahrscheinlicher führt es eine edle Fracht. Sie sind neu, Sir, in diesem unserem lustigen Handwerk, sonst würden Sie wissen, daß Größe eine Eigenschaft ist, die wir immer an den uns Besuchenden vorzüglich schätzen. Führen sie königliche Flaggen, so überlassen wir ihnen nach geschehener Begrüßung Zeit, über den oft langen Weg zwischen Löffel und Mund ihre Betrachtungen anzustellen: und sind sie mit keinem gefährlicheren Metall angestaut, als dem aus den Minen von Potosi, so segeln sie in der Regel um so schneller, nachdem sie ein paar Stunden in unserer Gesellschaft zugebracht haben.«

»Hängt der Fremde nicht Signale aus?« – fragte Wilder gedankenvoll.

»Sieht er uns so bald schon? – Es gehört eine aufmerksame Wache dazu, ein Fahrzeug, das nur seine Stabsegel los hat, aus solcher Ferne zu entdecken. Wer so auf seiner Hut ist, der führt ganz gewiß eine kostbare Ladung.«

Es folgte eine Pause, während der alle, dem Beispiele Wilders folgend, die Fernrohre von neuem ansetzten und nach dem Fremden schauten. Die Meinungen fielen verschieden aus: einige bestätigten, andere bezweifelten den Umstand von ausgehängten Signalen. Der Rover selbst beobachtete scharf und anhaltend, äußerte aber keine Meinung.

»Wir haben uns die Augen abgemüdet, so daß uns die Gesichtsgegenstände ineinanderschillern«, sagte er endlich. »Ich habe es von Nutzen gefunden, frische Organe zu Hilfe zu rufen, wenn die meinigen mir den Dienst versagten. Komm her, Junge«, fuhr er fort, indem er einen Mann anredete, der auf der Hütte unweit des Flecks, wo die Gruppe von Offizieren stand, mit einem künstlichen Stück Matrosenarbeit beschäftigt war. »Komm her: sag‘ mir, was du an dem Segel hier, vom südwestlichen Bord aus, entdeckst?«

Der Mann, der wegen seiner Geschicklichkeit zur Ausführung dieses Auftrags gewählt wurde, war kein anderer als Scipio. Er legte seine Mütze aufs Verdeck mit einer Ehrfurcht, die noch tiefer war, als der Seemann in der Regel gegen seine Oberen bezeigt, dann hielt er mit der einen Hand das Glas vors rechte Auge, während er mit der anderen Hand das linke bedeckte. Aber kaum hatte er mit dem schwankenden Instrumente den fernen Gegenstand getroffen, so ließ er es sinken und heftete den Blick mit einer Art von verblüffter Verwunderung auf Wilder.

»Hast du das Segel gesehen?« fragte der Rover.

»Herr, ihn kann sehen mit dem Aug‘ nackt.«

»Gut, aber was entdeckst du daran mit Hilfe des Fernrohrs?«

»Er ein Schiff is, Sir.«

»Wahr. Welche Richtung?«

»Er die Steuerbordsegel auf hat, Sir.«

»Auch wahr. Hat er aber Signale aufgezogen?«

»Er die drei neue Stück Tücher in die große Bramsegel hat, Sir.«

»Um so besser für ihn, wenn seine Segel hübsch ausgebessert sind. Hast du aber seine Flaggen gesehen?«

»Er Flaggen keine zeigen tut, Herr.«

»Das dacht‘ ich mir auch. Geh‘ wieder in den Vorderraum, Junge – halt – man kommt oft auf die Wahrheit, indem man sie da sucht, wo man sie nicht vermutet. Welche Größe glaubst du, hat das fremde Schiff?«

»Er just siebenhundertundfünfzig Tonnen, Herr.«

»Was ist das, die Zunge Ihres Negers, Herr Wilder, ist genau wie das Winkelmaß eines Zimmermanns. Der Kerl gibt die Größe eines Schiffes, dessen Rumpf noch gar nicht zu sehen ist, gerade so absprechend und bestimmt an, wie es nur immer von einem königlichen Zolleinnehmer geschehen könnte, nachdem er das Schiff amtlich gemessen hätte.«

»Sie werden die Unwissenheit des Schwarzen berücksichtigen; Menschen in seinem unglücklichen Zustande sind selten geschickt, Fragen zu beantworten.«

»Unwissenheit!« wiederholte der Rover und schoß den unruhigen Blick mit einer ihm eigentümlichen Schnelligkeit bald auf den einen, bald auf den anderen und dann auf den am Horizont emporsteigenden Gegenstand: »Ich weiß nicht; der Mensch sieht nicht aus als ob er zweifelte. – Und du glaubst, seine Lastfähigkeit sei durchaus nicht größer und nicht geringer, als du angegeben hast?«

Die großen dunklen Augen Scipios rollten abwechselnd von seinem neuen Obern auf seinen früheren Herrn, während seine Seelenvermögen in eine unauflösbare Verwirrung geraten zu sein schienen. Doch diese Ungewißheit dauerte nur einen Augenblick. Kaum las er den finstern Zorn, der sich auf Wilders gefurchter Stirn zusammenzog, so trat an die Stelle der Zuversichtlichkeit, womit er seine vorige Meinung ausgesprochen hatte, ein Blick von so hartnäckiger Zurückhaltung, daß man alle Hoffnung aufgeben mußte, ihn durch gute oder böse Worte jemals wieder auch nur zu dem Schein eigenen Denkens zu vermögen.

»Ich verlange zu wissen, ob der Fremde nicht ein Dutzend Tonnen größer oder kleiner sein könne, als du genannt hast?« fuhr der Rover fort, als er fand, daß er auf seine erste Frage wahrscheinlich nicht sobald eine Antwort erhalten würde.

»Er just is, wie Herr wünscht«, erwiderte Scipio.

»Nun, dann wünsche ich, daß er tausend Tonnen groß sei; um so reicher wäre die Prise.«

»Ich ihn halte gerade für Dausent, Sir.«

»Ein nettes Schiff von dreihundert, mit Gold angefüllt, wäre zwar auch nicht zu verachten.«

»Er aussieht sehr wie ein Dreihunderter.«

»Mir scheint es eine Brigg zu sein.«

»Ich ihn auch für einen Brick halte, Sir.« »Kann am Ende auch sein, daß der Fremde ein Schoner ist, mit vielen hohen und leichten Segeln.«

»Ein Schuner oft ein Bramsegel führt«, erwiderte der Schwarze, entschlossen, sich durchaus in alles, was der andere sagte, zu fügen.

»Wer weiß, ob es überhaupt ein Segel ist! He, da vorne! Es kann nicht schaden, über einen so wichtigen Gegenstand mehr als eine Meinung anzuhören. Heda, im Vorderraume, Ihr, schickt einmal vom Vormars den Matrosen, namens Fid, aufs Hüttendeck herab. Ihre Begleiter, Herr Wilder, sind so verständig und so treu, daß es Sie nicht wundernehmen muß, wenn mich etwas mehr als gebührlich nach ihrer Belehrung verlangt.«

Wilder drückte die Lippen zusammen, und der Rest der Gruppe bezeigte nicht wenig Erstaunen. Diese waren indes schon zu lange an die Kapricen ihres Kommandeurs gewöhnt, und jener zu weise, als daß sie in einem Augenblicke, wo seine Reizbarkeit die höchste Spitze erstiegen zu haben schien, Einrede für ratsam erachtet hätten. Indessen dauerte es nicht lange, bis der Toppgast erschien, worauf der Kommandant das Schweigen brach und also fortfuhr:

»Du hältst es also für zweifelhaft, Scipio, ob’s überhaupt ein Segel ist?«

»Er g’wiß nichts is als so ’n Ding, das wegfliegt«, erwiderte der hartnäckige Schwarze.

»Ihr hört, was Euer Freund, der Neger sagte, Herr Fid; er glaubt, der Gegenstand dort, leewärts, der so schnell zu Gesicht steigt, sei gar kein Segel.«

Da der Toppgast keinen hinlänglichen Grund sah, sein Erstaunen über diese närrische Meinung zu verbergen, so legte er es mit allen den Verschönerungen an den Tag, die dem Individuum, von dem wir sprechen, bei jeder lebhaften Gemütsbewegung so natürlich waren. Nachdem er einen kurzen Blick nach der Richtung des fremden Schiffes hin getan hatte, um sich zu überzeugen, daß auch wirklich keine Täuschung vorhanden sei, wendete er die Augen mit großem Unwillen aus Scipio, als wollte er die Ehre der Kameradschaft durch einige Geringschätzung der Unwissenheit des Kameraden selbst retten.

»Und was zum Teufel ist es denn, du Guinea? Eine Kirche?«

»Ich glaube er ’ne Kirche is«, wiederholte der beifällige Schwarze wie ein Echo.

»Gott steh‘ dem schwarzhäutigen Narren bei! Ew. Gnaden ist bekannt, daß das Gewissen in Afrika ganz verflucht verwahrlost wird, und werden den Neger nicht zu hart beurteilen, wegen eines kleinen Schnitzers, den er vielleicht in bezug auf seine Religion machen tut. Aber der Kerl ist ein ausgemachter Seemann und sollte ein Bramsegel von einem Turmknopfe unterscheiden können. Sieh, Siv, zur Ehre deiner Freunde, wenn dich dein eigener Stolz nicht rührt, sag‘ Seiner…«

»Ist schon gut!« unterbrach ihn der Rover. »Nehmt Ihr das Fernglas, und gebt Euer eigenes Dafürhalten über das Segel vor uns.«

Fid machte einen langen Kratzfuß und tiefen Bückling zum Dank für das Kompliment; hierauf legte er seinen kleinen teerleinwandenen Hut aufs Hüttendeck und setzte gemächlich, und wie er sich schmeichelte, kennermäßig seine Person in Positur zu der verlangten Operation. Der Toppgast schaute weit anhaltender, wahrscheinlich also auch viel genauer als der ihm befreundete Schwarze. Statt jedoch gleich mit seinem Gutachten herauszuplatzen, senkte er, nachdem sein Auge müde war, das Glas und zugleich auch den Kopf und stand da in der Stellung eines Menschen, dem sich ein Gegenstand von großer Wichtigkeit zum Nachdenken plötzlich aufdrängt. Während dieses Denkprozesses passierte das Tabakskraut in seinem Munde mit ungewöhnlicher Schnelligkeit von Wange zu Wange; die eine Hand steckte er quer in die Weste, gleichsam als wolle er alle seine Seelenkräfte bei einer ganz außerordentlichen inneren Anstrengung zum Beistand aufrufen.

»Ich warte auf Eure Meinung«, nahm der ihm zusehende Kommandeur seine Rede wieder auf, als er glaubte, die Pause sei lang genug gewesen, um selbst das Urteil eines Richard Fid zur Reife zu bringen,

»Wollen Ew. Gnaden mir bloß sagen, was das heut wohl für ein Tag im Monat ist, und, wenn’s angeht, zugleich auch den Tag der Woche, wenn es Ihnen nicht zuviel Mühe macht.«

Seine beiden Fragen wurden ohne Verzug beantwortet.

»Wir hatten den Wind Ost zum Süd am ersten Tag der Fahrt, dann setzte er nachts um und blies schußweise Nordwest, wo er sich hielt, mag sein eine Woche lang. Drauf kam ein irländischer Orkan, gerade von oben herunter, einen Tag: dann sind wir in diese Passatwinde hier hineingeraten, die all die Zeit über so unabänderlich angehalten haben wie ein Schiffskaplan bei einer Bowle Punsch.«

Hier schloß der Toppgast seinen Monolog, um den Tabak wieder in Bewegung zu setzen, indem es ihm nicht gelingen wollte, den Kau- und Sprechprozeß zu vereinbaren.

»Nun, was hältst du von dem Fremden?« fragte der Rover etwas ungeduldig.

»’s ist keine Kirche, soviel ist gewiß, Ew. Gnaden«, sagte Fid mit großer Bestimmtheit.

»Läßt er Signale flattern?«

»Er spricht vielleicht durch seine Flaggen, aber zu wissen, was er eigentlich sagen wollen tut, dazu gehört ein größerer Gelehrter als Richard Fid. Soviel ich sehen kann, hat er drei neue Stücke Leinwand in seinem großen Oberbramsegel, aber kein Flaggentuch.«

»Das Schiff ist glücklich, daß sein Segeltuch so gut imstande ist. Herr Wilder, sehen auch Sie die dunkleren Stücke Leinwand, von denen die Rede ist?«

»Es ist allerdings Leinwand, die man versucht wird, für später aufgezogen zu halten, als die übrige. Ich glaube, ich habe sie vorher, als die Sonne auf das Segel schien, aus Irrtum für Signale genommen.«

»Dann sieht man uns noch nicht, und wir können noch eine Zeitlang ruhig vor Anker bleiben, obgleich wir den Vorteil voraushaben, daß wir dem Fremden Fuß vor Fuß, bis zu den neuen Tüchern in seinem Bramsegel hinauf messen können.«

Der Ton, in dem der Rover sprach, war seltsam zwischen Satire und Argwohn geteilt. Eine ungeduldige Bewegung, die er nun machte, zeigte den beiden Matrosen an, daß sie die Hütte verlassen sollten. Als er sich wieder allein mit seinen Offizieren sah, die sprachlos und voller Ehrfurcht da standen, wandte er sich zu ihnen und setzte seine Rede auf eine Weise fort, die zugleich ernst und begütigend war:

»Meine Herren, unsere Muße hat ein Ende; das Glück hat uns wieder in den Pfad regsamer Tätigkeit geführt. Ob das Schiff vor uns genau siebenhundertundfünfzig Tonnen groß sei, ist mehr als ich zu behaupten imstande bin, aber etwas gibt es, was jeder Seemann wissen kann. Aus der Art, wie dessen obere Rahen gebraßt sind, an ihrem Ebenmaß, endlich an der Wucht von Leinwand, die es im Winde führt, erkenne und erkläre ich, daß es ein Kriegsschiff ist. Ist irgend jemand anderer Meinung? Herr Wilder sprechen Sie.«

»Ich fühle die Wahrheit aller Ihrer Gründe und stimme Ihnen bei.«

Das finstere Mißtrauen, das sich während des vorhergehenden Auftritts auf der Stirn des Rover verbreitet hatte, hellte sich um einen Schatten auf, als er die unumwundene, offene Aussage seines ersten Leutnants hörte.

»Sie glauben also, daß es eine königliche Flagge führe! Diese männliche Festigkeit in Ihrer Antwort gefällt mir. Der nächste Punkt, den wir nun zu überlegen haben, ist: Sollen wir uns mit dem Schiff in ein Gefecht einlassen?«

Nicht so leicht war es, auch auf diese Frage eine bestimmte Antwort zu geben. Jeder Offizier wollte erst in den Augen seiner Kameraden deren Meinung lesen, ehe er selbst eine gab; daher hielt es der Kommandeur für gut, seine Anfrage persönlicher zu stellen:

»Wohlan, General, hier ist ein Punkt, der sich ganz besonders für Ihre Weisheit eignet. Sollen wir einer königlichen Flagge den Kampf anbieten? Oder die Flügel ausbreiten und uns davonmachen?«

»Auf die Retirade sind meine Hunde nicht einexerziert. Geben Sie ihnen jedes andere Stück Arbeit, und ich verbürge mich dafür, daß sie standhalten.«

»Sollen wir uns aber in ein Wagnis einlassen, ohne hinlänglichen Grund dazu?«

»Der Spanier schickt seine Goldbarren oft unter der Larve eines bewaffneten Kreuzers nach Hause«, bemerkte einer der Subalternen, dem selten ein Risiko behagte, das keine Aussicht auf eine verhältnismäßige Beute darbot. »Lassen Sie uns dem Fremden erst den Puls fühlen; führt er noch etwas außer seinen Kanonen, so wird er es verraten durch seine Abgeneigtheit, uns zu sprechen; ist er aber arm, so werden wir ihn kampflustig finden wie einen halbsatten Tiger.«

»Ihr Rat ist vernünftig, Brace, er soll berücksichtigt werden. So gehen Sie also, meine Herren, jeder an seinen Posten. Die halbe Stunde, die es noch dauern wird, ehe der Rumpf des fremden Schiffes zu Gesichte steigt, wollen wir dazu anwenden, daß wir unsere Kardeelen in Ordnung bringen und die Kanonen visitieren. Da kein Beschluß zur Schlacht gefaßt ist, so lassen Sie alles Nötige so ausführen, daß nichts von unserer Vorbereitung zu merken ist. Meine Leute dürfen nichts sehen, was sie auf den Gedanken bringen könnte, daß wir einen schon gefaßten Beschluß wieder fahren ließen.«

Er winkte, und die Gruppe zerstreute sich, indem sich ein jeder zur Besorgung eines Teils der Vorbereitung anschickte, der seinem Posten im Schiffe anheimfiel. Wilder war im Begriff, sich mit den übrigen zu entfernen, als ihn sein Oberer zu sich winkte, so daß beide allein auf der Hütte blieben.

»Die Eintönigkeit unserer Lebensweise, Herr Wilder, wird nun wahrscheinlich eine Unterbrechung erleiden«, fing der Rover an, nachdem er zuvor um sich geschaut hatte, ob sie allein wären. »Ich habe von Ihrem Mut und Ihrer Ausdauer genug gesehen, um überzeugt zu sein, sollte der Zufall mich außerstand setzen, die Schicksale dieser Menschen zu leiten, daß meine Autorität in feste und geschickte Hände fallen wird.«

»Wenn uns ein Unfall treffen sollte, so hoffe ich, der Ausgang werde Ihre Erwartungen nicht täuschen.«

»Ich habe Vertrauen, Sir: und wo ein tapferer Mann sein Vertrauen setzt, da ist er zur Hoffnung berechtigt, es werde nicht gemißbraucht werden. Hab‘ ich recht?«

»Ich sehe die Richtigkeit Ihrer Worte ein.«

»Ach, Wilder, ich wünschte, wir hätten uns früher gekannt. Doch was nützt fruchtloses Bedauern! Ihre Kerle da haben ein scharfes Gesicht, daß sie jene Segeltücher so bald unterscheiden konnten.«

»Die Bemerkung war von der Art, wie sie sich von Leuten dieser Klasse erwarten ließ: Sie aber waren der erste, der die feineren Unterscheidungen entdeckte, die das Schiff als einen königlichen Kreuzer bezeichnen.«

»Und dann die siebenhundertundfünfzig Tonnen des Schwarzen! – Das heißt doch wirklich seine Meinung mit großer Bestimmtheit geben!«

»Es ist die Eigenschaft der Unwissenheit, positiv zu sein.«

»Sehr wahr. Richten Sie doch einmal den Blick auf den Fremden, und sagen Sie mir, wie geschwind er herankommt.«

Wilder gehorchte, offenbar froh, von einem Gespräch befreit zu sein, das ihn vielleicht in Verlegenheit gesetzt hätte. Lange schaute er, bevor er das Glas senkte; während der Pause sprach sein Kommandeur keine Silbe. Als sich Wilder nun aber zu ihm wendete, um das Resultat seiner Beobachtung zu geben, begegnete er einem auf sein Gesicht gehefteten Blick, der bis in sein Innerstes dringen zu wollen schien. Hoch errötend, vielleicht wegen des Argwohns, den ein solcher Blick verriet, schloß Wilder die zum Sprechen schon halb geöffneten Lippen.

»Und das Schiff?« fragte Rover mit tiefer Betonung.

»Das Schiff zeigt schon seine unteren großen Segel; noch einige Minuten, so können wir den Rumpf sehen.«

»Ein schnelles Fahrzeug; es ist geradezu auf uns gerichtet.«

»Ich glaube nicht. Es liegt mit dem Vorderteil mehr nach Osten zu.«

»Von diesem Umstand muß ich mir doch selbst Gewißheit verschaffen. Sie haben recht,« fuhr er fort, nachdem er auf das sich nähernde Segelgewölk hingeblickt hatte; »Sie haben ganz recht. Wir sind noch immer unentdeckt. Vorne da! Nehmt das Vorstagsegel dort herunter; wir wollen das Schiff mit bloßen Rahen im Gleichgewicht halten. Nun mag er alle seine Augen zusammennehmen und gucken; sie müssen scharf sein, wenn sie diese nackten Stangen aus solcher Ferne erblicken wollen.«

Ohne eine weitere Erwiderung zu machen, gab unser Abenteurer seinen Beifall zu dem Gesagten durch ein bloßes Kopfnicken zu erkennen. Drauf setzten sie ihr Auf- und Abgehen innerhalb des beschränkten Raumes des Hüttendecks fort, ohne daß einer oder der andere besondere Neigung zeigte, das Gespräch zu erneuern.

»Wir sind ganz gut auf die Alternative, zu fechten oder zu fliehen, gerüstet«, bemerkte endlich der Rover, indem er einen Überblick über die Vorbereitungen tat, die, ohne äußeres Aufsehen zu erregen, von dem Augenblicke an, wo sich die Offiziere an ihre Posten zurückbegeben hatten, in Gang gesetzt worden. »Ich will Ihnen nur gestehen, Wilder, daß es mir Freude macht, zu glauben, der verwegene Narr dort führe das stolze Patent des Deutschen, der die Krone Britanniens trägt. Ist er uns so sehr überlegen, daß es Tollkühnheit wäre, uns im Kampfe mit ihm messen zu wollen, so will ich ihm wenigstens Hohn sprechen; sollte sich’s aber zeigen, daß wir ihm gewachsen sind, wie schön, den heiligen Georg ins Wasser herabflattern zu sehen! Würde Ihnen der Anblick nicht Freude machen?«

»Ich hatte den Wahn, daß Leute unsres Handwerks die bloße Ehre Albernen überließen, und keinen Schlag täten, dessen Echo nicht von einem kostbarern Metall als bloßem Stahl zurücktönt.«

»So urteilt die Welt von uns: ich meinesteils aber möchte lieber den Stolz der Kreaturen des Königs Georg demütigen können, als die Schlüssel zu seinem Schatz erringen! – Habe ich recht, General?« setzte er hinzu, als sich dieser näherte. »Habe ich recht, wenn ich behaupte, daß es eine herrliche Freude ist, eine königliche Flagge dem Spiel der Wogen preiszugeben?«

»Wir kämpfen um den Sieg«, erwiderte der Haudegen. »Ich bin jede Minute schlagfertig.«

»Prompt und entschieden, wie’s einem Soldaten ziemt. Sagen Sie mir doch, angenommen, das Glück oder der Zufall, oder die Vorsehung – welcher von diesen Mächten Sie nun einmal als Führerin huldigen mögen – stellte Ihnen die Wahl unter den Lebensgenüssen frei, welchem Genuß würden Sie, als dem höchsten, den Vorzug geben, General?«

Der Soldat überlegte einen Augenblick, ehe er antwortete:

»Ich habe mir oft gedacht: Könntest du über die Dinge auf Erden gebieten, du würdest, unterstützt von einem Dutzend deiner wackersten Hunde, den Eingang der Höhle angreifen, in die der Schneiderbursch, der sogenannte Aladdin, eintrat.«

»Der Wunsch eines echten Freibeuters! An den bezauberten Bäumen würden dann nicht lange die goldenen Früchte prangen. Doch wäre der Sieg nicht sehr ruhmbringend, da die Waffen der Kämpfenden in nichts als Beschwörungen und Zauberformeln bestehen. Gilt Ihnen die Ehre nichts?«

»Hm! Um Ehre habe ich die Hälfte eines ziemlich langen Lebens gefochten; am Ende aller meiner Fährlichkeiten fand ich mich geradeso federleicht als beim Anfang. Nein, nein! Die Ehre und ich haben Abschied voneinander genommen; es müßte denn die sein, als Eroberer aus dem Kampfe hervorzugehen. Ich hasse allerdings eine Niederlage; aber die bloße Ehre des Sieges kann man zu jeder Zeit wohlfeil von mir haben.«

»Lassen Sie es gut sein. Der Dienst bleibt der Sache nach so ziemlich derselbe, mögen Sie Ihre Beweggründe hernehmen woher Sie wollen. – Was ist das! Wer hat sich unterstanden, das Bramsegel da oben loszulassen?«

Die heftige Veränderung in der Stimme des Rovers machte alle, die ihn hörten, zittern. Jeder einzelne Ton drückte tiefen, bittern und drohenden Unwillen aus, und jeglicher richtete den Blick hinauf, um zu sehen, auf wessen unglückliches Haupt das Gewicht des furchtbaren Zorns seines Befehlshabers fallen würde. Da nichts den Augen im Wege war, als entblößte Rahen und angestraffte Taue, so überzeugten sich alle in einem und demselben Moment von der Wahrheit der Sache. Fid stand auf der Spitze der Spiere, die zu dem ihm angewiesenen Gebiete im Schiffe gehörte, und das genannte Segel, an allen seinen Kardeelen los, flatterte hoch und weit in den Wind hinein. Das laute Rauschen der Leinwand mußte sein Ohr betäubt haben; denn statt auf jenen tiefen, mächtigen Ruf des Kommandeurs zu hören, stand er da, versunken in der Anschauung seines Werkes, und schien sich nicht im geringsten zu kümmern, was die unter ihm dazu sagen würden. Allein ein zweiter Ruf erschallte in viel zu fürchterlichen Tönen, als daß er selbst vom schwerhörenden Ohr des Delinquenten unbeachtet bleiben konnte.

»Auf wessen Befehl wagtest du dies Segel loszulassen?« schrie der Rover hinaus.

»Auf Befehl Sr. Majestät des Windes, Ew. Gnaden; der beste Seemann muß nachgeben, wenn eine Bö die Oberhand gewinnt.«

»Schnür‘ es an! hiß es auf, und schnür‘ es an!« rief der aufgebrachte Anführer. »Rollt mir’s zusammen, und schickt den Kerl herab, der sich erfrechte, in diesem Schiffe eine andere Macht anzuerkennen als meine, und wäre es auch die eines Orkans.«

Ein Dutzend behender Toppgasten stiegen in die Höhe, dem Fid zu helfen. Nach einer Minute war das stark bewegte Segeltuch eingeholt und Richard unterwegs nach der Hütte. Während dieses kurzen Zwischenraumes war die Stirn des Korsaren finster und zürnend, wie die schwarze Oberfläche des Elements, auf dem er hauste, unter dem einherbrausenden Sturm. Wildern, der seinen neuen Kommandeur noch nie in solcher Aufregung gesehen hatte, wurde bange um das Schicksal seines alten Gefährten, und wie dieser sich näherte, trat auch er dichter heran, um Fürbitte für ihn zu tun, sollten die Umstände eine solche Dazwischenkunft unumgänglich notwendig machen.

»Und wie kommt das?« fragte der strenge und zornige Anführer den Delinquenten. »Wie kommt’s, daß du, den ich erst so kürzlich zu beloben Ursache hatte, es wagen darfst, ein Segel in einem Moment loszulassen, wo es von Wichtigkeit ist, daß das Schiff vor Topp und Takel stehe?«

»Ew. Gnaden werden zugeben, daß dem gescheitesten Mann zuweilen der Verstand durch die Finger schlüpft, warum also nicht ein Stückchen Leinwand?« antwortete gelassen der Delinquent. »Wenn ich die Beschlagsseising etwas zu locker an die Rahe anholte, so ist’s ’n Vergehen, für das zu büßen ich bereit bin.«

»Wahr gesprochen, du sollst den Fehler teuer büßen. Bringt ihn nach der Laufplanke und laßt ihn mit der Peitsche Bekanntschaft machen.«

»Ist keine neue Bekanntschaft, Ew. Gnaden, sintemalen wir schon früher aufeinandergestoßen sind, und zwar bei Gelegenheiten, derentwegen ich Ursache hatte, mein Haupt zu verbergen; hier aber sind’s vielleicht bloß viel Hiebe und wenig Schande.«

»Darf ich eine Fürbitte für den Fehlenden tun?« unterbrach Wilder angelegentlich und hastig. »Er macht oft dumme Streiche, allein wenn es ihm ebensowenig an Kenntnissen als an gutem Willen gebräche, so würde er selten fehlen.«

»Verlieren Sie kein Wort darüber, Master Harry«, versetzte der Freibeuter mit einem sonderbaren Seitenblick. »Das Segel flatterte allerliebst, es ist zu spät, es leugnen zu wollen; und so muß das Faktum wahrscheinlich aus den Rücken von Richard Fid aufgetragen werden, wie man irgendeinen andern Unfall ins Logbuch einzutragen pflegt.«

»Ich wünschte, er könnte Pardon erhalten. Ich getraue mir, in seinem Namen das Versprechen zu tun, daß es sein letztes Vergehen sein soll.«

»Mag’s vergessen sein«, erwiderte Rover, mächtig gegen seinen Zorn ankämpfend. »Ich will in einem Augenblicke wie dem gegenwärtigen unsere Eintracht dadurch nicht stören, daß ich Ihnen, Herr Wilder, eine so kleine Bitte abschlage; indes darf ich Ihnen nicht erst sagen, was für üble Folgen eine solche Vernachlässigung herbeiführen konnte. Geben Sie mir das Fernglas; ich will doch sehen, ob das flatternde Segel den Augen des Fremden entgangen ist.«

Der Toppgast warf einen verstohlenen aber triumphierenden Blick auf Wilder, der ihm rasch zuwinkte, sich zu entfernen, und seinem Kommandeur wieder an die Seite trat, um gemeinschaftlich mit ihm die Untersuchung fortzusetzen.