Zwanzigstes Kapitel.

Während die beiden aus der Nocke der Fockrahe des Korsaren diese kleine Zwischenhandlung spielten, wurden anderswo tragikomische Szenen ausgeführt. Der oft erwähnte Kampf zwischen den Inhabern des Verdecks und den regsamen Bewohnern der Höhe war noch lange nicht zum Schluß gediehen. Mehr als einmal kam es von zornigen Worten zu Prügeln: und da dieses letztere Ingrediens des Schauspiels von einer Art war, worin sich die Marinesoldaten und Kuhlgasten mit ihren erfindungsreichen Peinigern messen konnten, so fing der Krieg nachgerade an, einigen Anschein sehr zweifelhaften Ausganges zu gewinnen. Nightingale war indessen immer zur Hand, die streitenden Parteien mit seiner wohlbekannten Bootsmannsflöte und seiner tiefen Baßstimme zum Gefühl des Schicklichen zurückzurufen. Ein langer, greller Pfiff, mit den Worten: »Bei Laune geblieben, ahoi!« war bisher hinreichend, den entbrennenden Zorn der verschiedenen Beteiligten zu unterdrücken, wenn der Spaß dem aufbrausenden Soldaten oder den, zwar minder feurigen, aber doch ebenso rachelustigen Mitgliedern der Hinterwacht zu arg zu werden begann. Allein ein Versehen von seiten dessen, der sonst ein so wachsames Auge auf die Bewegungen aller unter seinem Befehle Stehenden zu haben pflegte, hätte beinahe weit ernstlichere Ereignisse herbeigeführt.

Bald nachdem die verschiedenen rohen Spiele, die wir soeben mitgeteilt haben, unter der Mannschaft ihren Anfang genommen hatten, ließ die Laune, die den Rufer verleitet hatte, die Zügel der Disziplin auf einen Augenblick schlaffer zu halten, plötzlich nach. Das muntere, heitere Aussehen, das er während des Gespräches mit seinen weiblichen Gästen (oder Gefangenen, wir wissen nicht, ob er sie für das eine oder das andere zu halten geneigt war) behauptet hatte, war verschwunden. Unter einer gedankenvollen und umwölkten Stirn glänzte sein Auge jetzt nicht mehr von jenem Strahl spielender, sarkastischer Laune, der er sich so gerne überließ, sondern gewann einen schmerzlich regungslosen, abschreckenden Ausdruck. Sein Geist war offenbar in das träumende Hinbrüten zurückgesunken, das so oft seine munteren und lebendigen Mienen verfinsterte, wie die Schatten eines vorüberziehenden Gewölks die goldenen Tinten eines reifen, wogenden Ährenfeldes.

Während die meisten derer, die nicht selber eine Rolle in den tosenden und lustigen Streichen der Mannschaft zu spielen hatten, aufmerksame Zuschauer abgaben, einige mit Überraschung, andere mit Besorglichkeit, doch alle mehr oder weniger von der allgemein herrschenden Laune beseelt, stand der Freibeuter da, augenscheinlich ohne alles Bewußtsein von dem, was in seiner Gegenwart vorging. Zwar hob er dann und wann die Augen in die Höhe auf die behenden Wesen, die wie Eichhörnchen an den Tauen hingen, oder senkte sie auf die trägeren Bewegungen der Leute unterhalb seines Standpunktes; allein es war immer etwas Stieres in dem Blick, was bewies, daß das Bild für seinen Geist trüb und wesenlos war. Die Blicke, die er hin und wieder auf Mistreß Wyllys und ihre schöne von den Spielen ganz in Anspruch genommene Schülerin warf, verrieten, was in seinem innern Menschen vorging. Nur in diesem kurzen, aber bedeutsamen Anschauen konnte man dem Ursprung der Gefühle, die ihn beherrschten, einigermaßen auf die Spur kommen. – Jedoch würde der Versuch, ein Urteil über den ganzen Charakter der in seinem Gemüte herrschenden Bewegungen zu fällen, auch für den feinsten Beobachter eine schwere, wo nicht unauflösliche, Aufgabe gewesen sein. Zuweilen war man zu glauben versucht, daß eine unheilige, wollüstige Leidenschaft in ihm die Oberhand erhielte, doch nur eine Sekunde; dann überflog er mit dem Auge das keusche Matronengesicht der noch immer anziehenden Gouvernante, und es bedurfte nicht vieler Einbildungskraft, um Zweifel und tiefe Achtung zugleich in diesem Blicke zu lesen.

Inzwischen wurden die Spiele zuweilen mit so vieler Laune fortgesetzt, daß sie selbst der halb erschreckten Gertraud ein Lächeln abzwangen, allein immer mit einer Hinneigung zu jener Heftigkeit, jenem Hervorbrechen des Zorns, das in jedem gegebenen Augenblicke die Mannszucht in einem Schiffe mit Fußen treten konnte, wo es keine andere Mittel gab, Gehorsam einzuschärfen, als nur jene, die die Offiziere unmittelbar aufzubieten vermochten. Mit dem Wasser war man so verschwenderisch umgegangen, daß das Verdeck überall davon überschwemmt war, und mehr als einmal wurde selbst das privilegierte Deck der Hütte tüchtig bespritzt. Keinen bei dergleichen Auftritten üblichen Schabernack ließen die droben unbenutzt, um ihre minder günstig auf dem Verdeck postierten Kameraden herzlich zu necken, sowie sich diese ihrerseits aller Mittel, die ihnen durch Übung und Fertigkeit zu Gebote standen, zur Wiedervergeltung bedienten. Hier sah man ein großes Schwein und einen Kuhlgast unter einem Topp an zwei Tauen baumeln und sich beim Zusammenschlagen unsanft begrüßen; dort steckte ein Marine in der hin und her geschwungenen Takelage und mußte sich die Manipulationen eines kecken, abgerichteten kleinen Affen gefallen lassen, der, auf den Schultern des armen Teufels postiert, seinen Kamm so ernsthaft und aufmerksam handhabte, als wenn er bei einem Friseur in die Lehre gegangen wäre. Kurz, überall verkündigte ein oder der andere rohe, derbe Scherz, daß für den Augenblick die ungebundenste Freiheit einer Klasse von Wesen gestattet war, die, soll in einem bewaffneten Schiffe Disziplin, Bequemlichkeit und Sicherheit walten, in der Regel mit strengem Zügel regiert werden muß.

Mitten in diesem wilden Lärmen drang eine gleichsam dem Ozean entsteigende Stimme herauf, das Schiff mittelst einer an dem äußern Rand einer Klüsgate angebrachten Ruftrompete beim Namen begrüßend.

»Wer spricht den Delphin an?« erwiderte Wilder fragend, als er sah, daß der Gruß das Ohr seines Kommandeurs zwar traf, ohne ihn aber von seinem Brüten zu der bevorstehenden Handlung zurückzuführen.

»Vater Neptun befindet sich unter Euerm Vorderkiel.«

»Was will der Gott?«

»Er hat vernommen, daß gewisse Fremdlinge in sein Gebiet gekommen sind, und ersucht um die Erlaubnis, an Bord des Patzigen Delphin zu kommen, um sich zu erkundigen, was sie wollen, und das Logbuch ihrer Charaktere zu untersuchen.«

»Er sei willkommen. Laßt den alten Mann zum Galion ins Schiff herein. Er hat viel zuviel Schiffsmannserfahrung, um zu wünschen, durch die Kajütenfenster einzusteigen.«

Hier endete die Parlamentierung; denn Wildern wurde endlich seine Rolle in der Posse langweilig, und er drehte sich auf dem Absatz herum.

Eine athletische Matrosengestalt, dem Scheine nach unmittelbar dem Elemente entstiegen, dessen Gottheit er sich zu repräsentieren vermaß, machte bald ihre Erscheinung. Beteerte Kalfaterquasten, von Salzwasser triefend, vertraten die Stelle von greisem Haupt- und Barthaar. Aus Golfgräsern, wovon ganze Felder eine Seemeile weit um das Schiff her die Wasserfläche bedeckten, war sein Mantel nachlässig zusammengeflochten, und in der Hand führte er einen Dreizack aus drei, an die Stange einer Halbpike in gehöriger Ordnung befestigten Marlpfriemen bestehend. – So kostümiert schritt der Meeresgott, der keine geringere Person war als der Vordermann im Vorderkastell, höchst pathetisch und würdevoll das Deck entlang, von einem Gefolge bärtiger Wassernymphen und Najaden begleitet, deren Anzug nicht minder grotesk war als der seinige. Auf der Schanze in der Front des Platzes angekommen, den die Offiziere einnahmen, begrüßte die Hauptperson die dortige Gruppe mit einer Neigung ihres Zepters und nahm das abgebrochene Gespräch mit Wilder, der sich gezwungen sah, die Stelle seines noch immer in Zerstreuung versunkenen Kommandeurs zu vertreten, folgendermaßen wieder auf:

»Fürwahr, ein trautes und wacker betakeltes Boot, in dem Ihr diesmal in See gegangen seid, mein Sohn; scharmant angefüllt mit einer edeln Rasse meiner Kinder. Wie lange ist es her, seit Ihr Land aus den Augen verloren habt, wenn’s beliebt?«

»Ungefähr acht Tage.«

»Kaum Zeit genug, den Kiekinsmeerleutchen das Gehen zu lehren. Ich werde sie wohl an der Manier herausfinden, mit der sie sich während einer Windstille festhalten.«

Der General, der sich mit abgewendetem und wegwerfendem Blick an der Besanwand festhielt, aus keinem andern abzusehenden Grunde, als um vollkommen unbeweglich dazustehen, ließ hier den Arm plötzlich fallen; Neptun lächelte und fuhr fort:

»Ich werde mich nicht bei der Frage aufhalten, welchen Hafen Ihr zuletzt besucht habt, sintemalen an Euern Ankerflügeln noch das Schilf von den Tiefen von Newport zu gewahren ist. Hoffe, Ihr habt nicht viele neue Leute unter Euch, denn ich wittere schon den Stockfisch am Bord eines Seefahrers vom Baltischen Meere, der mit den Passatwinden runterkommt und keine hundert Seemeilen mehr von hier entfernt sein kann; werde also nur wenig Zeit brauchen, um Eure Leute zu visitieren und ihnen die Patente auszustellen.«

»Ihr seht sie alle vor Euch. Ein so erfahrener Matrose wie Neptun kann schon einen echten Teer ausfindig machen, ohne daß man ihm erst ausführlich das Wenn und Wie zu erklären braucht.«

»So werde ich denn bei diesem Herrn da den Anfang machen«, fuhr der neckische Vormann des Kastells fort, indem er sich gegen das noch immer regungslose Soldatenoberhaupt wandte. »Er sieht mir sehr nach dem Lande aus, und ich wünschte zu wissen, wieviel Stunden es ist, seit er zuerst auf blauem Wasser schwimmt.«

»Ich glaube, er hat schon viele Seereisen mitgemacht; und ich will gut für ihn sagen, daß er Ew. Majestät schon längst den schuldigen Tribut bezahlt hat.«

»Na, schon gut, ’s kann wohl sein, obzwar ich Schüler gekannt habe, die in der Zeit mehr gelernt hatten, wenn er wirklich schon so lange zu Wasser ist, als Ihr sagt. Wie steht’s mit diesen Damen?«

»Beide waren schon wiederholt zur See und haben ein Recht, unbefragt zu passieren«, erwiderte Wilder etwas hastig.

»Die Jüngste ist hübsch genug, um in meinem Reiche geboren zu sein,« erwiderte der galante Souverän des Meeres; »allein niemand darf einen Gruß, der unmittelbar aus dem Munde des alten Neptun kommt, unerwidert lassen; wenn’s daher Ew. Gnaden nicht sonderlich viel ausmacht, so will ich die junge Person ein wenig ersuchen, für sich selbst zu sprechen.«

Hieraus, ohne den zornigen Blick, den Wilder auf ihn schoß, im geringsten zu beachten, wandte sich der rüstige Gott geradezu an Gertraud.

»Wenn Ihr, mein hübsches Jüngferchen, wie der Ruf von Euch sagt, wirklich schon ehedem blaues Wasser gesehen habt, so könnt Ihr mir wahrscheinlich sagen, auf welchem Schiffe dies geschah, und noch einiges andere zur Fahrt Gehörige.«

Das Antlitz unserer Heldin wechselte die Farbe, von glühender Röte zur Marmorblässe, wie sich der Abendhimmel rötet und dann wieder seine liebliche Perlfarbe annimmt: doch unterdrückte sie ihre Gefühle hinlänglich, um mit Selbstbeherrschung die Worte herauszubringen:

»Wenn ich Euch alle diese kleinen Einzelheiten erzählen wollte, so würde das Euch von wichtigeren Gegenständen abhalten. Diese Bescheinigung wird Euch vielleicht überzeugen, daß ich kein Neuling zur See bin.«

Bei diesen Worten fiel eine Guinee aus ihrer weißen Hand in die breite, ausgestreckte, hohle Hand des fragenden Gottes.

»Die große Ausdehnung und wichtige Beschaffenheit meiner Geschäfte muß mich schon entschuldigen, daß ich mich auf Ew. Gnaden nicht früher entsinnen konnte«, erwiderte der freche Freibeuter, sich mit der Miene roher Höflichkeit verbeugend, indem er dabei das Douceur in die Tasche praktizierte. »Hätte ich meine Bücher nachgesehen, ehe ich an Bord dieses Schiffes kam, so müßte ich das Versehen gleich entdeckt haben: denn jetzt fällt mir eben ein, daß ich einem meiner Maler befohlen hatte, Ihr hübsches Gesicht abzukonterfeien, damit ich’s meiner Frau zu Hause zeigen könnte. Der Kerl hat’s ziemlich gut auf einer ostindischen Austerschale ausgeführt; ich werde nicht unterlassen, Ihrem Herrn Gemahl, sobald Sie einen zu wählen haben, eine in Korallen eingefaßte Kopie davon zu überschicken.«

Hierauf, seine Verbeugung mit noch einem Kratzfuße wiederholend, wandte er sich an die Erzieherin, um seine Untersuchung fortzusetzen.

»Und Sie, Madame, ist dies das erstemal, daß Sie mein Gebiet betreten oder nicht?«

»Weder das erste- noch das zwanzigstemal; ich habe Ew. Majestät schon oft vor diesem gesehen.«

»Eine alte Bekanntschaft! In welcher Breite mag’s denn wohl gewesen sein, wo wir zuerst aufeinander trafen, wenn’s beliebt?«

»Ich glaube, ich genoß diese Ehre zuerst vor mehr als dreißig Jahren unter der Linie.«

»Ja, ja, dort pfleg‘ ich oft zu sein, um mich nach den Indienfahrern und euern zurückkehrenden brasilianischen Kauffahrern umzuschauen. In jener Zeit hab‘ ich grade recht viel geerntet, kann aber nicht sagen, daß mir Euer Gesicht entsinnlich wäre.«

»Ich fürchte, dreißig Jahre haben es etwas verändert«, erwiderte die Gouvernante mit einem Lächeln, das, obgleich traurig, doch auch zugleich so würdevoll war, daß der Verdacht, als traure sie über einen so eiteln Verlust wie der ihrer persönlichen Reize, in keinem aufkommen konnte. »Ich war in einem königlichen Fahrzeuge, und zwar in einem solchen, das sich durch seine Größe ein wenig auszeichnete, es war ein Dreidecker.«

Der Gott empfing die Guinee, die ihm heimlich dargeboten wurde; allein Erfolg mußte seine Habsucht wachgerufen haben, denn, statt zu danken, schien er vielmehr nicht übel Lust zu haben, sich noch mehr bestechen zu lassen.

»Das kann alles so sein, wie Ew. Gnaden da sagen,« versetzte er: »doch die Sorge für mein Reich und meine zahlreiche Familie zu Haus machen es notwendig, daß ich über meine Gerechtsame ein wachsames Augenmerk führe. Wehte eine Flagge auf dem Schiff?«

»Ja.«

»Nicht wahr, sie hatten sie auf dem Klüverbaum aufgehißt?«

»Sie wehte, wie gewöhnlich auf Admiralsschiffen, vom Fock.«

»Gut geantwortet für eine Weibsperson!« brummte die Gottheit, ein wenig getäuscht in ihrer List. »Es ist doch verzweifelt kurios, mit Respekt vor Ew. Gnaden sei’s gesagt, daß ich ein solches Schiff ganz vergessen haben sollte; fiel nichts Außerordentliches vor, was einem nicht leicht aus dem Gedächtnis zu entschlüpfen pflegt?«

Die erzwungene Fröhlichkeit in den Zügen der Gouvernante hatte schon einem düstern, ernsten Nachdenken Platz gemacht, und ihr Auge blickte ins Leere, als sie, sich vergessend, ihre Gedanken in der Antwort laut werden ließ:

»Ich sehe noch, wie schlau und schelmisch der muntere Knabe, damals erst acht Jahre alt, die List des mimischen Neptun hintertrieb und sich für dessen Neckereien volle Rache verschaffte, indem er das Gelächter aller, die an Bord waren, auf seine Seite brachte.«

»War er nicht älter als acht?« fragte eine tiefe Stimme dicht bei ihr.

»Nicht älter an Jahren, aber wohl an Schlauheit«, erwiderte Mistreß Wyllys, und erst als ihre Augen dabei auf das Gesicht des Räubers fielen, schien sie wie von einer Verzückung wieder zu sich selbst zu kommen.

»Schon gut,« unterbrach der Vormann des Vorderkastells, dem zur Fortsetzung seiner Untersuchung der Mut entsank, als er sah, daß sein gefürchteter Kommandeur teil an dem Gespräche nahm, »es wird wohl alles seine Richtigkeit haben, werde in meinem Tagebuch nachsehen; finde ich’s so, gut, wo nicht – ei nu, so schick‘ ich dem Schiffe so lange einen Wind entgegen, bis der Däne untersucht ist, und dann ist’s immer noch Zeit, den Rest der Gebühren einzukassieren.«

Mit diesen Worten eilte der Meeresgott hinweg von den Offizieren und leitete seine Aufmerksamkeit auf die Marinegarde. Sich heimlich eingestehend, daß eine so strenge Untersuchung jedem die Hilfe der übrigen nötig machen dürfte, hatten die Soldaten eine dichte Gruppe gebildet. – Das Oberhaupt des Vorkastells war seinerseits mit der Karriere, die jeder einzelne in dem Korsarenschiff gemacht hatte, gar wohl bekannt und nicht ganz ohne Besorgnisse, daß ihm seine Macht plötzlich entrissen werden könnte. Daher wählte er nicht den ersten besten, sondern ersah sich einen frischen Rekruten vom Festlande und hieß seine Begleiter das Opfer an einen entlegenen Ort schleppen, um die unbarmherzige Posse, die er nun zu spielen beabsichtigte, mit weniger Gefahr einer Unterbrechung durchführen zu können. Die Marinen, durch das auf ihre Kosten erregte Gelächter längst erbost und entschlossen, ihren Kameraden zu verteidigen, leisteten diesem Vorhaben Widerstand. In dem langen, lauten und heftigen Streit, der jetzt folgte, bestanden beide Parteien auf ihr Recht, so und nicht anders zu handeln. Auch dauerte es nicht lange, so ging man von Worten zu minder zweideutigen Feindseligkeitsbezeigungen über. – Während der ganzen Szene stand der General mit verhaltenem Ingrimm da, wegen der offenbaren Verletzung aller Disziplin, aber nicht eher als jetzt, wo der Friede im Schiffe gleichsam nur noch an einem Haare hing, brach er los, sich an seinen noch immer in Gedanken versunkenen Obern wendend.

»Ich protestiere gegen dieses aufrührerische, unmilitärische Verfahren. Ich hoffe, meine Leute haben von mir gelernt, wie ein Soldat fühlen muß, und darum betrachten sie es mit Recht als die größte Schmach, die ihnen widerfahren kann, wenn Hand an sie gelegt wird, es müßte denn in der regelmäßig heilsamen Manier geschehen, nämlich mit der Fuchtel. Ich will daher jeden gewarnt haben, daß, wird einer meiner Hunde nur mit dem Finger berührt, ausgenommen, wie gesagt, nach den Regeln der Disziplin, mit einem Schlage erwidert werden soll.«

Der General hatte sich keineswegs bemüht, seine Stimme zu dämpfen, daher sie von seinen Untergebenen gehört wurde und die natürliche Wirkung hervorbrachte. Ein kräftiger Faustschlag des Unteroffiziers ließ dem Meeresgott zur Ader, und das Blut, das diesem entströmte, bewies unwidersprechlich dessen irdische Abkunft. Auf diese Weise aufgefordert, sich als Mensch und Mann zugleich geltend zu machen, gab der rüstige Seemann den Gruß zurück und fügte noch einige ihm nötig scheinende Verschönerungen hinzu. Aber dieser Höflichkeitsausbruch von seiten zweier so bedeutsamen Personagen war nur das Losungswort zum allgemeinen Kampfe, und ihre Untergebenen wurden handgemein. Der ungeheure Lärm beim Angriff erregte Fids Aufmerksamkeit, der sich alsbald von der Art des Spiels, das auf dem Deck vorging, überzeugte, seinen Gefährten auf der Rahe sitzen ließ, und an einer Pardune hinabglitt, fast mit derselben Leichtigkeit, als es ein Affe, die Karikatur des Menschen, hätte tun können. Seinem Beispiele folgten alle übrigen Toppgäste, und in weniger als einer Minute war jeder Anschein vorhanden, daß die verwegenen Marinen von der überlegenen Anzahl ihrer Feinde überwältigt werden dürften. Allein beharrlich bei ihrem Entschlusse und im höchsten Grade erbittert, verschmähten diese einexerzierten, racheschnaubenden Krieger jeden Rückzug und schlossen sich nur um so dichter aneinander. Schon glänzten die Bajonette in der Sonne, schon legten die Matrosen, die außerhalb des sich anballenden Haufens standen, Hand an die kurzen Piken, die als kriegerischer Schmuck den Fuß des Hauptmastes umstanden.

»Haltet ein! Zurück, sag‘ ich, ein jeder von euch!« schrie Wilder und stürzte, sich rechts und links Bahn brechend, in die Mitte des Gedränges. Seine Hast dabei mochte wahrscheinlich durch den Gedanken noch verstärkt worden sein, daß die unbeschützten Frauen in doppelter Gefahr schwebten, wenn einmal der Verband der Subordination von einer so regellosen, verzweifelten Mannschaft durchbrochen war. »Bei euerm Leben, zurück, und gehorcht! Und Sie, Herr, der Sie ein so guter Soldat sein wollen, Sie fordere ich auf, Ihren Leuten Einhalt zu gebieten!«

Wie sehr auch der vorangegangene Auftritt den Zorn des Generals entflammt haben mochte, so war ihm doch aus mehr als einer wichtigen Rücksicht zuviel an der Erhaltung des Friedens auf dem Schiffe gelegen, als daß er dieser Aufforderung nicht hätte entsprechen sollen. Alle Subalternoffiziere, die recht gut wußten, daß ihr Hab und Gut, ja ihr Leben auf dem Spiele stand, wenn der so unerwartet ausgetretene Strom nicht zurückgedämmt würde, unterstützten den General; allein dies diente nur zu zeigen, wie schwer es sei, eine Autorität aufrecht zu erhalten, die nicht auf eine gesetzmäßige Gewalt gegründet ist. Neptun hatte bereits seine Verkleidung von sich geworfen und bereitete sich, an der Spitze seiner rüstigen Vorkastellmänner eifrig zu einem Kampfe, dessen Ausfall ihm vielleicht schnell zu besseren Ansprüchen auf Unsterblichkeit verholfen hätte, als die eben abgeworfenen. Teils durch Drohungen, teils durch Vorstellungen, war es bis jetzt den Offizieren nur insofern gelungen, den Aufruhr zu bewältigen, daß man sich während der Zeit nur auf Tätlichkeiten vorbereitete, statt zu diesen selber zu kommen. Die Marinen hatten zu den Waffen gegriffen, und auf beiden Seiten des Hauptmastes bildeten die Matrosen zwei dichtgedrängte Haufen, die reichlich mit Piken, Lukenstangen und Handspaken bewaffnet waren. Ja, einer oder zwei der Besonneneren unter den letzten gingen noch weiter, sie schnallten eine Kanone aus den Riemen, richteten sie einwärts, und zwar so, daß sie die eine Hälfte der Schanze bestreichen konnte. Kurz, der Streit war so weit herangereift, daß ein einziger Schlag von der einen oder andern Seite das Schiff notwendig der Plünderung und Metzelei preisgab. – Die Gefahr aber, daß eine solche Krisis eintreten werde, vermehrte sich mit jedem Augenblicke dadurch, daß Schmähungen aus fünfzig profanen Lippen hervorgestoßen wurden, und der Mund eines jeden seinen Feind mit den gemeinsten Beschimpfungen überschüttete.

Fünf Minuten schon hatten diese unheildrohenden Symptome der Insubordination gedauert, und noch verharrte der, der an der Aufrechterhaltung der Disziplin am meisten beteiligt war, in der größten Gleichgültigkeit, oder vielmehr in vollkommener Bewußtlosigkeit dessen, was so nahe bei ihm vorging. Mir verschränkten Armen, den Blick fest auf die ruhige See geheftet, stand er da, regungslos wie der Mastbaum, gegen den er lehnte. Längst durch die Gewohnheit abgestumpft gegen den Lärm von Auftritten, wie der gegenwärtige, den er selbst veranlaßt hatte, hörte er in dem verworrenen Getöse, das sein Ohr traf, nichts als die Unruhe, die gewöhnlich in dergleichen ausgelassenen Stunden zu herrschen pflegt.

Die nächsten im Kommando waren bei weitem tätiger. Wilder hatte schon die Verwegensten der Matrosen zurückgeschlagen, so daß zwischen den beiden feindlichen Parteien ein Raum entstand, den seine Gehilfen, wohl wissend, wieviel von ihrem jetzigen Dienste abhinge, in aller Eile einnahmen. Leicht hätte dieser augenblickliche Sieg von ihnen zu weit getrieben werden können: unser Abenteurer glaubte, der meuterische Geist sei gänzlich gedämpft, und machte Anstalt, seinen Vorteil zu benutzen, indem er den Frechsten unter dem Haufen beim Kragen faßte, der aber seinem Griffe auf der Stelle von mehr als zwanzig der Meuterer entrissen wurde.

»Wer ist der, der sich am Bord des Delphin zum Kommodore aufwirft!« schrie, sehr zur Unzeit für das Ansehen des jüngst ernannten Schiffsleutnants, eine Stimme aus dem Haufen hervor. »Auf welche Weise ist er in unser Schiff gekommen, und in welchem Dienste hat er sein Handwerk gelernt?«

»Jawohl, jawohl,« fügte eine zweite unheimliche Stimme hinzu, »wo ist der Bristoler Kauffahrer, den er uns ins Garn führen sollte, und dessetwegen wir so viele der profitabelsten Tage ungenützt vor einem müßigen Anker zubrachten?«

Diesem folgte der Ausbruch eines allgemeinen und gleichzeitigen Murrens, das schon allein, wär‘ ein solches Zeugnis erst nötig gewesen, beweisen konnte, daß der ungekannte Offizier in seinem jetzigen Amte nicht viel mehr Glück hatte, als in dem, das er auf der Carolina bekleidete. Beide Parteien verwarfen einmütig seine Dazwischenkunft, und von beiden Seiten ließen sich verächtliche Äußerungen über seine Herkunft vernehmen, vermischt mit gewissen bitteren, persönlichen Beschuldigungen. Durch diese handgreiflichen Beweise von der Gefahr, in der er sich befand, ließ sich unser Abenteurer jedoch keineswegs zurückschrecken, er setzte vielmehr den zahlreichen Schmähungen ein wegwerfendes Lächeln entgegen und forderte jeden einzelnen seiner Gegner heraus, hervorzutreten, um sein Wort mit einer entsprechenden Handlung zu begleiten, wenn er es wagte.

»Hört, wie er spricht!« riefen sie alle. »Sollte man nicht glauben, er sei ein königlicher Offizier, der ein Konterbandschiff verfolgt!« rief einer. – »Ja, ja, er hat Mut genug in einer Windstille«, sagte ein zweiter. – »Er ist ein Jonas, der sich zum Kajütenfenster hereingeschlichen hat«, rief ein dritter; »und solange er im Delphin bleibt, hält sich das Glück windab von uns.« – »In die See mit ihm! Über Bord mit dem Pilz! In die See mit ihm! Schon mancher kühnere und bessere Mann als er hat den Sprung gemacht!« erschallte es von einem Dutzend zugleich, von denen einige sehr unzweideutig die Absicht zu erkennen gaben, ihre Drohung ohne Verzug auszuführen. Da sprangen mit Blitzesschnelle zwei Gestalten hinein in den Haufen und warfen sich, wütenden Löwen gleich, zwischen Wilder und seine Feinde. Die eine, die in der Befreiung die vorderste war, drehte sich plötzlich gegen die eindringenden Matrosen um und warf mit einem unwiderstehlichen Arme den Repräsentanten Neptuns zu Boden, als wäre es eine bloße Wachspuppe gewesen; die andere Gestalt folgte wacker diesem Beispiele, und wie der Haufe bei dieser Desertion aus seinen eigenen Reihen zurückfiel, sah man Fid, denn kein anderer war es, die Faust schwingen, die ziemlich die Größe eines nicht unbeträchtlichen Kindskopfes hatte: dabei schrie er mächtig:

»Fort mit euch, ihr Lümmel! Fort mit euch! Wollt ihr gegen einen einzelnen Mann anlaufen, noch dazu gegen einen Offizier, und zwar einen Offizier, wie ihr noch keinen gesehen habt, außer zufällig in der Manier, wie die Katze den König anblinzelt? Möchte unter euch den sehen, der ein schweres Schiff in schmalem Wasser handhaben kann, wie ich den jungen Herrn, den Harry hier, handhaben sah die patzige …«

»Zurück!« schrie Wilder, indem er sich zwischen seinen Verteidigern hindurch zu den Feinden hervordrängte. »Zurück sage ich, laßt mich allein den frechen Schurken die Stirne bieten!«

»Über Bord mit ihm! Über Bord mit ihnen allen!« schrien die Seeleute, »er samt seinen Knappen!«

»Können Sie es ruhig mitansehen, wie ein Mord vor Ihren eigenen Augen begangen wird?« rief Mistreß Wyllys, die von ihrem zurückgezogenen Platz hervorstürzte und den Rover hastig beim Arm faßte.

Er schrak zusammen, wie jemand, der plötzlich aus einem leisen Schlafe geweckt wird, und sah ihr gerade und scharf ins Auge.

»Sehen Sie!« fuhr sie fort, indem sie auf den heftig sich bewegenden Haufen unten, wo alle Merkmale eines zunehmenden Tumultes zu erkennen waren, hinzeigte. »Sehen Sie doch, man mordet Ihren Offizier, und niemand ist da, der ihm beisteht!«

Als sein Auge flüchtig die Szene überflog, verschwand die blasse Marmorfarbe, die solange auf seinem Gesicht geruht hatte. Er bedurfte nur eines raschen Blickes, um über die Beschaffenheit dessen, was vorging, vollkommen unterrichtet zu sein; dies brachte alles Blut in die Adern seiner Stirn. Ein Tau, das unmittelbar über ihm von einer Rahe herabhing, erfassend, schwang er sich vom Deck der Kajüte hinab, und zwar in die volle Mitte des hellen Haufens hinein. Da stand er, leicht und voller Grazie, als wäre er von den Wolken herabgeschwebt. Beide Parteien wichen zurück, und auf ein Geschrei, das das Rauschen eines Kataraktes überboten hätte, erfolgte augenblicklich eine Stille, in der man das Atemholen jedes einzelnen vernehmen konnte. Stolz und wegwerfend hob er den Arm empor und sprach mit einer Stimme, die keine Veränderung wahrnehmen ließ, ja fast leiser und minder drohend als gewöhnlich tönte. Allein auch die leisesten und tiefsten seiner Akzente erreichten jedes noch so entfernte Ohr, so daß niemand über deren Bedeutung im Zweifel blieb.

»Meuterei!« sagte er in einem Tone, der seltsam zwischen Ironie und Verachtung schwankte, »offene, gewaltsame und blutdürstige Meuterei! – Seid ihr euers Lebens müde, meine Leute! Ist unter euch allen einer, der zum Wohl der andern ein Exempel an sich statuieren lassen will? Er hebe eine Hand, einen Finger, ein Härchen empor; er spreche, sehe mir ins Auge, oder wage es, durch einen Wink, Atem oder Bewegung zu zeigen, daß Leben in ihm sei!«

Er schwieg; und so allgemein, so zwingend war der durch seine Gegenwart und seine Miene hervorgebrachte Zauber, daß in dem ganzen Haufen roher, aufgeregter Menschen auch nicht ein einziger war, der gewagt hätte, seinem Zorne zu trotzen. – Matrosen wie Marinen standen eingeschüchtert, gedemütigt und unterwürfig da wie Kinder, die etwas verbrochen haben und sich vor eine Autorität gestellt sehen, von der sie ein tiefes, inneres Gefühl haben, daß sie ihr nicht entfliehen können. Als keine Stimme antwortete, kein Glied sich bewegte, ja kein Auge kühn genug war, seinem festen, glühenden Blicke zu begegnen, fuhr er in demselben tiefen und gebieterischen Tone fort:

»Schon gut; die Vernunft ist zwar spät zurückgekommen, aber ein Glück für euch alle, daß sie wiederkehrte. Macht Raum, Raum, sag‘ ich, ihr befleckt die Schanze nur.« – Hier fielen die Leute rechts und links einen oder zwei Schritte von ihm zurück. – »Daß die Waffen da wieder aufgestellt werden; es wird an der Zeit sein, sie zu gebrauchen, wenn ich verkünde, daß es nötig sei. Und ihr, Kerle, die ihr so frech waret, eine Pike zu erheben, ohne Order dazu, nehmt euch in acht, daß sie euch die Hand nicht verbrenne!« – Hier fielen ein Dutzend Piken aufs Verdeck. – »Ist ein Trommelschläger im Schiff? Er soll herkommen!«

Ein erschreckendes Wesen von kriechendem, feigem Aussehen kam zum Vorschein, das sein Instrument gleichsam durch eine Art Instinkt, wie in der Verzweiflung, erhaschte.

»Jetzt laß dich hören, damit ich ohne Verzug erfahre, ob ich eine Mannschaft ordnungsliebender, gehorsamer Leute kommandiere, oder einen Haufen Rebellen, die erst eine Reinigung passieren müssen, ehe ich ihnen trauen darf.«

Die ersten paar Trommelschläge reichten hin, die Leute zu unterrichten, daß »auf eure Posten« getrommelt werde, und ohne einen Augenblick Schwankens und Zauderns zerstreute sich die Menge, und jeder Delinquent schlich stumm nach seinem Posten. Hierbei zeichnete sich besonders die Gruppe, die die einwärtsgerichtete Kanone bemannt hatte, durch die Geschicklichkeit aus, womit sie sie so unbemerkt als möglich wieder in ihre Pfortgate zurückzuschieben verstand, eine Geschicklichkeit, die ihnen im Gefecht von nicht geringem Vorteil sein mußte. Während des ganzen Verlaufs hatte der rote Seeräuber weder Zorn noch Ungeduld verraten. – Tiefeingewurzelte Verachtung und hohes Selbstvertrauen waren allerdings in seiner stolzaufgeworfenen Lippe, in seiner rückgebogenen Gestalt nicht zu verkennen, aber keinen Augenblick erlaubte er dem Unmut die Oberhand über seine Vernunft. Und nun, nachdem er seine Leute zur Pflicht zurückgerufen hatte, war er ebensowenig vom Siege aufgeblasen, als ihn der unmittelbar vorhergehende Sturm erschreckt hatte, der seinem Ansehen gänzlichen Untergang drohte. Statt jetzt seine zu nehmenden Maßregeln mit Übereilung zu verfolgen, wartete er die Ausführung der geringfügigsten Förmlichkeit ab, die Herkommen und Dienst bei solcher Gelegenheit üblich gemacht hatten.

Die Offiziere näherten sich und rapportierten über ihre respektiven kampffertigen Abteilungen, genau mit derselben Regelmäßigkeit, als wäre ein Feind im Anzuge. Die Toppgasten und Segelsetzer wurden gemustert und bereit gefunden, Schießpfroppen und Stopper ausgeteilt, ja das Magazin geöffnet, die Wasserkisten ausgeleert – kurz, die Vorbereitungen ließen auf etwas weit Außerordentlicheres als das tägliche Exerzitium schließen.

»Verseht die Rahen mit Nottauen, befestigt die Segel und Brassen«, sagte er zum ersten Leutnant, der jetzt dieselbe genaue Bekanntschaft mit dem militärischen Teile seines Gewerbes entwickelte, als bisher mit dem nautischen. »Den Enterern ihre Piken und Äxten gegeben, Sir; wir wollen den Kerlen zeigen, daß wir uns nicht fürchten, ihnen Waffen anzuvertrauen!«

Diesen verschiedenen Befehlen wurde pünktlich bis zum Buchstaben nachgekommen; dann folgte jene tiefe, ernste Stille, die eine auf ihrem Posten kampfbereit harrende Mannschaft selbst denen, die vom Knabenalter her daran gewöhnt sind, zu einem so imposanten Schauspiel macht. So wußte der gewandte Führer mit den Fesseln der Mannszucht die gewalttätigen Leidenschaften dieser Bande verzweifelter Freibeuter zu zügeln. Nachdem er die Stimmung jedes einzelnen wieder in die gehörigen Schranken zurückgewiesen hatte, indem er sie auf ihren verschiedenen Posten solcher Aufsicht unterwarf, daß sie wohl wußten, ein Wort, ja ein Blick des Ungehorsams würde eine augenblickliche und furchtbare Strafe finden, ging er mit Wilder auf die Seite und ließ sich von ihm den Hergang der Sache erzählen.

Wie groß auch unseres Abenteurers natürliche Hinneigung zur Milde sein mochte, so war er doch zur See erzogen und konnte daher das Verbrechen der Meuterei nicht mit Nachsicht betrachten. Selbst wenn das Andenken an seine neuliche Rettung vom Wrack des Bristoler Kauffahrers aus seinem Gemüt vertilgt gewesen wäre, blieben ihm doch noch die Eindrücke eines ganzen Lebens, die ihn die Notwendigkeit lehrten, jene durch die Erfahrung als unentbehrlich bewährten Zügel straff zu halten, um durch tumultuarische Bande, den Schranken der Gesellschaft, dem besänftigenden Einflusse des andern Geschlechts entzogen, und aufgereizt durch die beständige Reibung von Gemütern, die sich einander ebenso schonungslos beleidigen, als sie zu Gewaltsamkeiten geneigt sind, regieren zu können. Wenn er also dem Groll nicht verstattete, in den Bericht, den er ablegte, Galle einfließen zu lassen, so milderte er doch auch keineswegs irgendeinen Umstand, sondern legte sämtliche Tatsachen seinem Kommandeur in der geraden, unumwundenen Sprache der Wahrheit vor.

»Durchs Predigen kann man diese Menschen nicht bei ihrer Pflicht halten«, erwiderte der Korsarenhäuptling, als der andere geendigt hatte. »Wir haben kein Richtverdeck für unsere Delinquenten, keine gelbe Flagge, die der Flotte die fürchterliche Strafe verkündet, keine tief gelehrten Seerichter, die ein paar Folianten durchblättern und endlich den Ausspruch tun: Hängt ihn. Die Schurken wußten, daß mein Auge nicht auf sie gerichtet war. Schon einmal hatten sie mein Schiff zum lebendigen Beweis jener Stelle im Neuen Testament gemacht, die allen die Demut einschärft, durch die Worte, daß die Letzten die Ersten, und die Ersten die Letzten sein werden. Ich fand ein Dutzend Gleichmacher in der Kajüte, ganz unzeremoniös bei den Getränken, und sämtliche Offiziere als Gefangene im vordern Raum – ein Zustand, der, wie Sie mir ohne Schwierigkeit einräumen werden, der Gebühr und Dezenz etwas zuwiderlief.«

»Ich staune – und Sie brachten sie wieder zur Subordination zurück?«

»Allein kam ich unter sie, mit keiner andern Hilfe als einem Boot vom Lande; doch ich verlange nur soviel Platz, um Posten fassen zu können, und Raum für meinen Arm, um ein Tausend solcher Geister in Ordnung zu halten. Jetzt wissen sie, wen sie vor sich haben, und nur selten mißverstehen wir einander.«

»Sie müssen ein strenges Exempel statuiert haben.«

»Die Gerechtigkeit ist befriedigt worden. – Ich fürchte, Herr Wilder, Sie finden unsern Dienst etwas unregelmäßig; allein nur ein Monat Erfahrung mehr, und Sie werden uns gleichstehen und eine Wiederholung dieses Auftritts nicht mehr zu befürchten haben.« Bei diesen Worten blickte der Rover seinen Neuling mit einem Gesicht an, in das er sich bemühte, Heiterkeit zu bringen, allein trotz aller Gewalt, die er sich antat, hatte sein Lächeln doch mehr Fürchterliches als Heiteres. »Kommen Sie,« setzte er rasch hinzu, »diesmal hatte ich das Unheil in Gang gesetzt; und da Sie sehen, daß wir wieder die Herren sind, so darf es uns auf ein bißchen Gnade nicht ankommen. Und dann,« fuhr er fort, indem er nach der Seite hinblickte, wo Mistreß Wyllys und Gertraud noch immer in tiefer Ungewißheit seine Entscheidung erwarteten, »es kann nicht schaden, wenn wir in einem solchen Augenblick das Geschlecht unserer Gäste berücksichtigen.«

Hierauf entfernte sich der Räuber von seinem Untergeordneten, begab sich in die Mitte der Schanze und ließ die Rädelsführer des Tumultes aufbieten, dort vor ihm zu erscheinen, seinen Verweisen, in die er mehr als eine ermahnende Warnung gegen die Folgen eines zweiten Vergehens dieser Art einstreute, lauschten die Leute wie Geschöpfe, die sich in der Gegenwart eines höhern Wesens befinden. Auch jetzt sprach er in seinem gewöhnlichen, ruhigen Tone, doch ging, ebensowenig wie vorher, die geringste Silbe, selbst für die von seiner Mannschaft am entferntesten Stehenden, verloren; und als er seine Lektion ganz beendigt hatte, standen die Leute vor ihm, nicht nur wie Verbrecher, die zwar begnadigt worden sind, aber doch Verweise erhalten hatten, sondern mit der Miene von Schuldigen da, die nicht minder von ihrem eigenen Gewissen, als von der allgemeinen Stimme verurteilt werden. Unter allen war nur ein Matrose, der, vielleicht durch früher geleistete Dienste ermutigt, einige Worte zu seiner Rechtfertigung wagte.

»Was die Marinen anbelangt, so wissen Ew. Gnaden, daß wir einander zu keiner Zeit besonders grün sind, obgleich gewiß ist, daß die Schanze nicht ein passender Ort ist, um unsere Zwistigkeiten zu schlichten; aber was den Herrn anbetrifft, der für gut fand, einzutreten in das Kommando von …«

»Es ist mein Wille, daß er es behalte«, unterbrach hastig sein Kommandeur. »Über sein Verdienst kann niemand urteilen als ich.«

»Gut; da es Ihr Wille ist, je nu, so darf freilich keiner was dagegen haben. Aber keine Rechenschaft ist von dem Bristoler gegeben worden, obgleich man sich hier an Bord so große Erwartung von jenem Schiff gemacht hatte. Ew. Gnaden sind ein billiger Herr und werden es nicht auffallend finden, daß Leute, die einem Westindier auflauern auf seiner Fahrt auswärts, sich nur ungern statt seiner mit einer leeren, zerschellten Barkasse begnügen.«

»Doch, doch; wenn ich es will, so müßt Ihr mit einem Ruder, einer Pinne, einem Holzbolzen für Euer Anteil zufrieden sein. Nicht weiter davon! Ihr habt mit eigenen Augen gesehen, in welcher Lage sich sein Schiff befand; und wo ist der Matrose, den nicht ein oder der andere unheilvolle Tag zu der Erkennung zwang, daß seine Kunst unnütz sei, wenn sich die Elemente gegen ihn verschwören? Wer hat denn während desselben Sturms, der uns die Prise entriß, dieses Schiff gerettet? War es eure Geschicklichkeit, oder war es die eines Mannes, der es schon oft getan hat, und der euch vielleicht einst eurer Unwissenheit überläßt, daß ihr zusehen möget, wie ihr allein fertig werdet? Genug, ich halte ihn für treu, finde aber keine Zeit dazu, euern Stumpfsinn von der Gehörigkeit eines jeden einzelnen Schrittes zu überzeugen, den ich zu tun für gut finde. Fort, und schickt mir die beiden Männer, die sich so wacker zwischen ihre Offiziere und die Meuterei geworfen haben.«

Hierauf kam Fid, hinter ihm schlenderte der Neger einher, dessen eine Hand den Hut zusammenknitterte, während sich die andere linkisch in einem gewissen Teil seiner Hosen zu verbergen suchte.

»Hast brav gehandelt, mein Junge, du und dein Tischkamerad …«

»Mit nichten Tischkamerad, halten zu Gnaden, sintemalen er ein Neger ist«, unterbrach Fid. »Der Kerl tischt mit den andern Schwarzen, aber wir tun zuweilen einen Zug aus einer Kanne miteinander.«

»Tu und dein Freund also, wenn dir der Ausdruck lieber ist.«

»Ganz recht, Sir, wir sind ziemlich freundschaftlich, wenn wir Zeit dazu übrig haben, obgleich sich dann und wann eine kleine Bö zwischen uns erhebt. Der Guinea hat eine verzweifelt seltsame Manier, windwärts zu blasen, wenn er sich mit einem unterhält; und, das wissen Ew. Gnaden, es ist einem Weißen nicht immer bequem, sich von einem Schwarzen leewärts getrieben zu sehen. Auch tue ich’s ihm oft genug sagen, daß es mir nicht immer bequem ist, sehen Ew. Gnaden. Aber nichtsdestoweniger und dennoch ist er, im ganzen genommen, ein hinlänglich guter Kerl, Sir; und da er nu mal ein Afrikaner ist, nicht bloß von Erziehung, sondern auch was die Geburt anbelangen tut, so hoffe ich, Sie werden so gütig sein und es mit seinen kleinen Schwachheiten nicht allzu gestrenge nehmen.«

»Wollte ich’s auch,« erwiderte der Rover, »so würde sein heutiges festes und wackeres Betragen sein Fürsprecher sein.«

»Ja, ja, Sir, er ist etwas fest, was ich nicht immer von mir selbst sagen kann. Ferner, was Seemannskunst anbelangt, so übertreffen ihn wenige. Ich wünschte, Ew. Gnaden wollten sich in den vordern Raum bemühen und den Strang sehen, den er erst während der letzten Windstille im großen Stengenstag gedreht hat; der Strang macht sich aus einem straffen Winde nicht mehr als das Gewissen eines reichen Mannes aus einer kleinen Sünde.«

»Deine Beschreibung genügt mir; du nennst ihn Guinea?«

»Gleichviel bei welchem Namen, wenn er nur von seiner Küste hergenommen ist; denn sehen Sie, er ist gar nicht eigen hierinnen, sintemalen er niemals getauft worden ist und nichts von den Lagen und Distanzen der Religion weiß. Sein eigentlicher, gesetzmäßiger Name ist Sip, oder Scipio Afrika. Aber, wie gesagt, in Betracht der Namen ist der Kerl so zahm wie ein Schaf; Sie können ihn rufen, wie Sie wollen, wenn Sie ihn nur nicht zu spät zu seinem Grog rufen.«

Während dieser ganzen Zeit stand der Afrikaner dicht dabei und glotzte mit seinen großen, dunklen Augen überall hin, nur nicht nach den Sprechenden, denn er lebte in der ruhigen Überzeugung, daß sein langbewährter Schiffsgenosse und Dolmetscher sein Interesse schon wahren würde. Die Aufgeregtheit, die durch das kürzlich Vorgefallene in dem Gemüt des Korsarenhauptes entstanden war, schien sich bereits zu legen; seine gerunzelte Stirn glättete sich allmählich, und der stolze Zornblick verwandelte sich in den milderen der Neugier.

»Ihr seid lange zusammen zur See, meine Jungens«, fuhr er nachlässig fort, indem er weder den einen noch den andern von beiden insbesondere anredete.

»Voll und dicht beim Winde, in mancher schweren Bö und in mancher Windstille, halten zu Gnaden. ’s sind vierundzwanzig Jahre letztes Äquinoktium geworden, Guinea, seit der junge Harry uns quer über die Klüsgaten fiel; und damals waren wir schon drei Jahre im Donnerer zusammen, nicht gerechnet die Fahrt ums Horn in dem Kaper, die Bai.«

»So? Ihr seid schon vierundzwanzig Jahre mit Herrn Wilder? Dann ist’s freilich kein Wunder, daß ihr einen so hohen Wert auf sein Leben setzet.«

»Das fällt mir ebensowenig ein, als einen Preis auf die Krone des Königs zu setzen!« unterbrach der schlichte Seemann. »Sehen Sie, Sir, ich hörte, wie die Jungens gerade ein Komplott machten, uns drei über Bord zu werfen, da haben wir denn geglaubt, es sei Zeit, ein Wort für uns selbst zu sprechen: da aber Worte nicht immer bequem zur Hand sind, so hielt es der Schwarze für angemessen, die Lücke mit etwas anderm auszufüllen, das ebenso gute Dienste tun würde. Denn, sehen Ew. Gnaden, der Guinea da ist kein großer Redner; und was diese Sache anbetreffen tut, so kann ich, in diesem Betracht und Rücksicht zu meinen eigenen Gunsten just auch nichts Sonderliches anführen. Da wir inzwischen ihre Bewegungen mit einem Stopper gehemmt haben, so werden Ew. Gnaden zugestehen, daß es just so gut war, als wenn wir so hübsch gesprochen hätten, wie ein junger Seekadett, der frisch von der Schule kommt, und den Toppgasten immer die Befehle lateinisch zuruft, weil er, sehen Sie, kein Englisch verstehen tut.«

Der Rover lächelte und tat einen Seitenblick, offenbar um unsern Abenteurer zu suchen. Da er sah, daß er nicht in der Nähe war, fühlte er sich versucht, in seinen Erkundigungen verdeckterweise fortzufahren, denn er hatte zuviel Selbstachtung, um seine brennende Neugierde in einer direkten Frage zu erkennen zu geben. Allein ein Augenblick Besinnung rief ihn zu sich selbst zurück, und er verwarf diese Idee als seines Charakters unwürdig.

»Eure Dienste sollen nicht vergessen werden. Hier ist Gold«, sagte er dem Neger, der ihm zunächst stand, eine Handvoll davon anbietend. »Teilt es unter euch wie redliche Schiffsgenossen, und ihr könnt euch meines Schutzes stets versichert halten.«

Scipio zog sich zurück, machte eine ablehnende Bewegung mit dem Ellbogen und erwiderte:

»Ihro Gnaden geben das da Master Harry.«

»Dein Herr Harry hat selber genug, Junge; der braucht kein Geld.«

»Dann Sip auch keines nicht braucht.«

»Sie werden gütigst Nachsicht mit den schlechten Manieren des Kerls haben, Sir,« sagte Fid, indem er ganz kalt seine eigene Hand dazwischenschob und ebenso ruhig die Gabe in die Tasche steckte; »ich brauche aber einem so alten Seemann, wie Ew. Gnaden, nicht erst zu sagen, daß Guinea kein Land ist, wo einer ein abgehobeltes Betragen lernen kann. Nichtsdestoweniger und dennoch, so viel kann ich für ihn sagen, nämlich, daß er sich bei Ew. Gnaden herzlich bedankt, just als wenn Sie ihm das Doppelte gegeben hätten. Verbeuge dich gegen Seine Gnaden, Junge, daß man sehen kann, du hast dich zu guter Gesellschaft gehalten. Und nu, da diese kleine Schwierigkeit wegen des Geldes durch meine Geistesgegenwart überwunden ist, so will ich mit Ew. Gnaden Erlaubnis raufsteigen und das bißchen Schneiderlein da oben auf der Fockrah des Backbords von den Riemen losschnüren. Der Wicht ist einmal zum Toppgast verdorben, was Sie an der Manier ersehen können, wie er seine unteren Stützen quer übereinander kreuzt. Der Kerl macht Euch mit seinen Beinen einen Kreuzknoten mit derselben Leichtigkeit, wie ich mit einem Zwirnfaden.«

Der Rover entließ ihn mit einem Wink; und als er sich herumdrehte, stand Wilder vor ihm. Ihre Blicke begegneten sich, und ein leises Erröten des Korsaren verriet, daß er sich etwas vergeben hatte. Er erlangte jedoch augenblicklich seine gewöhnliche Selbstbeherrschung wieder und sprach lächelnd von Fids drolligem Charakter, sodann nahm er die Kommandeurmiene wieder an und befahl seinem Leutnant, zum »Rückzug von den Posten« trommeln zu lassen.

Die Flinten wurden nun wieder in Sicherheit gebracht, das Magazin verschlossen, die Trompriemen über die Pfortgaten der Kanonen gezogen, und von der Mannschaft begab sich ein jeder an seine gewöhnliche Beschäftigung und bewies dadurch, daß seine Gewalttätigkeit durch einen Herrschergeist vollkommen unterdrückt worden sei. Hierauf wurde das Verdeck auf eine Zeitlang unter das Kommando des wachthabenden Offiziers gestellt, und der Rover verschwand.