Zwölftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Sie spricht von ihrem Vater; sagt, sie höre,
Die Welt sey schlimm, und ächzt und schlägt die Brust;
Ein Strohhalm ärgert sie, sie spricht verworren;
Mit halbem Sinn nur; ihre Red‘ ist nichts,
Doch leitet ihre ungestalte Art
Die Hörenden auf Schlüsse; –
Shakspeare.

Wir verließen die Inhaber des Castells und der Arche in Schlaf versunken. Ein paarmal zwar im Laufe der Nacht stand Wildtödter oder der Delaware auf, um auf den ruhigen See hinauszuschauen, und kehrten, wenn sie Alles sicher fanden, zu ihren Lagerstätten zurück und schliefen wie Leute, die sich ihre natürliche Ruhe nicht leicht nehmen oder stören lassen. Bei dem ersten Anzeichen der Morgendämmerung jedoch stand der Erstere auf, und traf die ihn selbst zunächst angehenden Vorkehrungen für den Tag, sein Genosse aber, der in den letzten Zeiten keine ruhige oder ungestörte Nächte gehabt hatte, blieb auf seiner Pritsche liegen, bis die Sonne ganz aufgegangen war. Auch Judith war an diesem Morgen später als gewöhnlich, denn die frühern Stunden der Nacht hatten ihr wenig Erquickung oder Schlaf gebracht. Aber ehe die Sonne sich über den östlichen Hügeln gezeigt, waren doch auch sie auf und auf den Beinen; denn in jener Gegend bleiben selbst die Faulen selten nach dem Erscheinen des großen Himmelslichts noch auf ihren Polstern liegen.

Chingachgook war eben mit seiner Waldtoilette beschäftigt, als Wildtödter in die Cajüte der Arche trat, und ihm ein Paar grobe aber leichte Sommerkleidungsstücke hinwarf, welche Hutter gehörten.

»Judith hat mir das für Euch gegeben, Häuptling,« sagte der Letztere, indem er die Jacke und Beinkleider zu den Füßen des Indianers hinwarf; »denn es ist gegen alle Klugheit und Vorsicht, daß Ihr Euch in Eurer Kriegstracht und Bemalung blicken lasset. Wascht all die feurigen Streifen Von Eurer Wange ab, legt diese Kleider an, und hier ist ein Hut, so wie er nun eben ist, der Euch einen schauerlich uncivilisirten Anstrich von Civilisation, wie die Missionäre sagen, geben wird. Vergeßt nicht, daß Hist in der Nähe ist, und was wir für das Mädchen thun, geschehen muß, indem wir für Andere handeln. Ich weiß, es ist gegen Eure Gaben und Natur, Kleider zu tragen, wenn sie nicht nach eines rothen Mannes Schnitt und Tracht sind, aber macht jetzt aus der Noth eine Tugend, und legt diese sofort an, wenn sie Euch auch etwas wider den Magen sind.«

Chingachgook, oder die Schlange, betrachtete die Kleider mit starkem Mißfallen; aber er erkannte den Nutzen der Vermummung, wenn auch nicht ihre absolute Notwendigkeit. Entdeckten die Irokesen einen rothen Mann in dem oder um das Castell, so konnte sie dieß gar leicht behutsamer machen, und ihrem Argwohn die Richtung auf ihre Gefangne geben. Alles war besser als ein Fehlschlagen seiner Absicht, seine Verlobte betreffend, und nachdem er die verschiednen Kleidungsstücke nach allen Seiten gedreht, sie mit einer Art ernster Ironie geprüft, sie in einer Weise anzuziehen versucht, die sich von selbst verbot, und auch sonst den Widerwillen eines jungen Wilden an den Tag gelegt hatte, seine Glieder in die herkömmlichen Fesseln und Bande des civilisirten Lebens zu schnüren, unterwarf sich der Häuptling den Anweisungen seines Freundes, und stand am Ende als ein rother Mann nur noch der Farbe nach, da – so weit nämlich das Auge darüber urtheilen konnte. Von dieser ihm einzig noch gebliebenen Eigenschaft jedoch war Wenig zu befürchten, da die Entfernung von der Küste und der Mangel von Ferngläsern jede genauere Prüfung abschnitt, und Wildtödter selbst, obgleich von einem hellern und frischern Teint, hatte doch ein Gesicht, dem die Sonne eine Farbe aufgebrannt, kaum minder roth als die seines Mohikanischen Genossen. Das linkische, verlegene Wesen des Delawaren in seiner neuen Tracht machte an diesem Tage seinen Freund mehr als einmal lächeln, aber er enthielt sich geflissentlich aller jener Scherze, die bei einer solchen Gelegenheit unter Weißen aufs Tapet gekommen wären; da die Lebensgewohnheiten eines Häuptlings, die Würde eines Kriegers auf seinem ersten Kriegspfad, und der Ernst der Umstände, worin sie sich befanden, zusammen genommen, eine solche Leichtfertigkeit gleich unzeitgemäß erscheinen ließen.

Die Begegnung der drei Insulaner, wenn wir diesen Ausdruck gebrauchen dürfen, beim Morgenimbiß war stumm, ernst und nachdenklich. Judith’s Aussehen zeigte, daß sie eine unruhige Nacht gehabt, während den beiden Männern die Zukunft, mit ihren unsichtbaren und unbekannten Ereignissen, vor der Seele stand. Wenige Worte der Höflichkeit wurden zwischen Wildtödter und dem Mädchen im Verlauf des Frühstücks gewechselt, aber ihre Lage mit keiner Sylbe besprochen. Endlich brachte Judith, deren Herz voll war, und deren neue Gefühle sie zu ungewöhnlich weichen und sanften Empfindungen stimmten, diesen Gegenstand auf die Bahn, und das in einer Art, welche zeigte, wie sehr er im Lauf der letzten schlaflosen Nacht ihre Gedanken mußte beschäftigt haben.

»Es wäre schrecklich, Wildtödter,« rief das Mädchen plötzlich aus, »wenn meinem Vater und Hetty etwas Ernsthaftes zustieße! Wir dürfen hier nicht ruhig sitzen, und sie in den Händen der Irokesen lassen, ohne auf Mittel zu denken, ihnen zu dienen.«

»Ich bin bereit, Judith, ihnen zu dienen, und allen Andern, die in Nöthen sind, könnte man mir nur die Art und Weise zeigen, es zu thun. Es ist keine Kleinigkeit, in die Hände von Rothhäuten zu fallen, wenn Leute auf ein Vorhaben ausziehen, wie das war, welches Hutter und Hurry ans Land lockte; das weiß ich so gut wie ein Andrer; und ich wünschte meinem schlimmsten Feind nicht, daß er in eine solche Klemme käme, viel weniger Solchen, mit denen ich gereist bin, gegessen und geschlafen habe. Habt Ihr irgend einen Plan, dessen Ausführung Ihr von der Schlange und mir versucht wünschtet?«

«Ich kenne kein anderes Mittel, die Gefangnen frei zu machen, als Bestechung der Irokesen. Sie sind Geschenken nicht unzugänglich; und wir könnten ihnen vielleicht Genug bieten, um sie auf den Gedanken zu bringen, es sey besser, reiche Gaben, nach ihrer Schätzung, mit fort zu nehmen, als arme Gefangene; – wenn sie sie wirklich überhaupt wegführen sollten!«

»Das ist ganz gut, Judith; ja, es ist ganz gut, wenn der Feind sich erkaufen läßt, und wir Artikel finden können, um damit den Kauf zu zahlen. Euer Vater hat eine bequeme Wohnung, und sie ist sehr schlau gewählt und angelegt, aber sie scheint nicht übermäßig versehen mit Reichthümern, welche seine Freilassung erkaufen dürften. Da das Gewehr, das er Killdeer nennt, möchte Etwas gelten, und ich höre, es sey ein Pulverfäßchen da, welches allerdings in die Wagschale fiele; aber zwei tüchtige Männer sind doch nicht mit einer Kleinigkeit loszukaufen – zudem –«

»Zudem was?« fragte Judith ungeduldig, da sie bemerkte, daß der Andere zauderte fortzufahren, vermuthlich weil er sich scheute, sie zu beunruhigen.

»Ha, Judith, die Franzmänner bieten Preise, ebenso wie unsre Partei; und der Preis für zwei Skalpe würde hinreichen ein Pulverfäßchen und eine Büchse zu kaufen; obwohl ich nicht sagen will, daß eine solche Büchse ganz so gut seyn würde wie Wildtödter hier, den Euer Vater als ungemein und unerreichbar rühmt. Aber gutes Pulver, und eine recht sichre Büchse; und dann sind die rothen Männer nicht die Erfahrensten in Feuerwaffen, und wissen nicht immer den Unterschied zwischen dem zu erkennen, was wirklich und was Schein ist,«

»Das ist gräßlich,« murmelte das Mädchen, betroffen durch die unbefangene Art, in welcher ihr Genosse seine Thatsachen vorzutragen pflegte. »Aber Ihr vergeßt meine Kleider, Wildtödter; und die, glaube ich, könnten bei den Weibern der Irokesen Viel ausrichten.«

»Ohne Zweifel könnten sie, ohne Zweifel könnten sie das, Judith,« versetzte der Andere, sie scharf anblickend, als wollte er sich vergewissern, ob sie wirklich ein solches Opfer zu bringen im Stande seyn würde. »Aber wißt Ihr gewiß, Mädchen, daß Ihr es über’s Herz bringen könntet, Euch von Euren schönen Sachen einem solchen Zweck zulieb zu trennen? Mancher Mann hat sich muthig geglaubt, bis die Gefahr ihm entgegenstarrte: ich habe auch Solche gekannt, die sich einbildeten gutmüthig zu seyn, und bereit, Alles was sie hatten den Armen zu schenken, wenn sie von andrer Leute Hartherzigkeit hörten, aber deren Hände sich so fest und zäh zusammenballten, wie die gespaltene Hagenbuche, wenn es darauf und dran kam, von ihrem Eignen wirkliche Opfer zu bringen. Zudem, Judith, Ihr seyd schön – außerordentlich, dürfte man sagen, ohne der Wahrheit zu nahe zu treten – und die, so Schönheit besitzen, hängen auch an dem, was sie zu schmücken dient. Seyd Ihr gewiß, daß Ihr’s über’s Herz bringen könntet, Euch von Euren schönen Sachen zu trennen?«

Die begütigende Anspielung auf die persönlichen Reize des Mädchens war wohl angebracht als Gegengewicht gegen die Wirkung des Mißtrauens, das der junge Mann gegen Judith’s Eifer in Erfüllung ihrer kindlichen Pflichten blicken ließ. Hätte ein Anderer dasselbe gesagt, was Wildtödter, – das Compliment wäre vermuthlich ganz übersehen worden in der durch jene Zweifel hervorgerufenen Entrüstung; aber eben die ungeschliffene Aufrichtigkeit, die so oft diesen einfachen Jäger seine innersten Gedanken enthüllen ließ, hatte einen Reiz für das Mädchen; und obgleich sie erröthete, und einen Augenblick ihre Augen Flammen sprühten, konnte sie es doch nicht über’s Herz bringen, einem Menschen wirklich zu zürnen, dessen Seele ganz Wahrheit und männliches Wohlwollen schien. Ihre Mienen sprachen allerdings Vorwürfe aus; aber sie unterdrückte die Lust, auch in Worten sie ihn fühlen zu lassen, und sie zwang sich glücklich, mild und freundlich zu antworten.

»Ihr müßt alle Eure günstigen Ansichten für die Delawarischen Mädchen aufsparen, Wildtödter, wenn Ihr im Ernst so von denen Eurer eignen Farbe denkt,« sagte sie, sich zum Lachen zwingend. »Aber stellt mich auf die Probe! wenn Ihr findet, daß es mir um Band oder Feder, um Seide oder Mousseline Leid thut, dann mögt Ihr von meinem Herzen denken was Ihr wollt, und sagen was Ihr denkt!«

»Das ist gerecht! das Seltenste auf Erden zu finden ist ein wahrhaft gerechter Mensch. So sagt Tamenund, der weiseste Prophet der Delawaren; und so müssen Alle denken, die Gelegenheit haben, die Menschen zu sehen, mit ihnen zu sprechen und unter ihnen zu handeln. Ich liebe einen gerechten Mann, Schlange: seine Augen sind nie mit Dunkel bedeckt gegen seine Feinde, während sie ganz Sonnenschein und Glanz sind gegen seine Freunde. Er gebraucht die Vernunft, die ihm Gott gegeben, und er gebraucht sie mit dem Gefühl, daß er dazu bestimmt und verpflichtet ist, die Dinge so anzusehen und zu erwägen, wie sie sind, und nicht wie er sie haben möchte. Es ist leicht genug, Menschen zu finden, die sich selbst gerecht nennen; aber es ist außerordentlich selten, Solche zu finden, die es in der That und Wahrheit sind. Wie oft habe ich Indianer gesehen, Mädchen, die da glaubten, sie hätten Etwas ganz dem Willen des Großen Geistes Angenehmes im Auge, wenn sie in Wahrheit nur beflissen waren, nach ihrem eignen Willen und Vergnügen zu handeln, und das gar oft bei einer Versuchung zum Fehltritt, die sie selbst so wenig sehen konnten, als wir durch den Berg dort hindurch den Fluß im nächsten Thal sehen können, obgleich ein von Oben Herabschauender es so gut hätte sehen können, wie wir die Bärse, die um diese Hütte herum schwimmen.«

»Sehr wahr, Wildtödter,« versetzte Judith, bei der jede Spur von Mißfallen sich in einem strahlenden Lächeln verlor, »sehr wahr; und ich hoffe Euch dieser Liebe zur Gerechtigkeit gemäß handeln zu sehen in allen Dingen, wobei ich betheiligt bin. Vor Allem hoffe ich: Ihr werdet selbst urtheilen, und nicht jede arge Geschichte glauben, die ein geschwätziger Müssiggänger, wie Hurry Harry, erzählen mag, der darauf ausgeht, den Namen jedes jungen Weibes anzutasten, die vielleicht nicht dieselbe Meinung von seinem Gesicht und seiner Person haben mag, wie der eigenliebige Prahler selbst.«

»Hurry Harry’s Ideen gelten bei mir nicht für ein Evangelium, Judith, aber auch Schlimmere, als er, haben Augen und Ohren,« erwiederte der Andere ernst.

»Genug hievon!« rief Judith mit flammendem Auge, und die Röthe stieg ihr bis zu den Schläfen; »und jetzt von meinem Vater und seiner Lösung. Es ist, wie Ihr sagt, Wildtödter: die Indianer werden schwerlich ihre Gefangenen herausgeben ohne ein gewichtigeres Lösegeld als meine Kleider, und Vaters Büchse und Pulver betragen. Da ist der Schrank,« –

»Ja, da ist der Schrank, wie Ihr sagt, Judith; und wenn es sich handelt um ein Geheimniß und einen Skalp, so würden, glaube ich, die meisten Menschen lieber den letztern für sich behalten. Hat Euch je Euer Vater ein bestimmtes Gebot diesen Schrank betreffend gegeben?«

»Nie. Er schien immer der Ansicht, seine Schlösser und seine stählernen Bänder und seine Stärke seyen sein bester Schutz.«

»Es ist ein rarer Schrank und von ganz merkwürdiger Arbeit,« versetzte Wildtödter, aufstehend und dem fraglichen Gegenstande näher tretend, auf den er sich setzte, um ihn mit größerer Bequemlichkeit zu besichtigen. »Chingachgook, das ist kein Holz aus irgend einem Walde, den Ihr oder ich je durchstreift! Es ist nicht vom schwarzen Wallnußbaum, und doch ist es ganz so hübsch, wo nicht noch hübscher, wäre es nicht von Rauch und schlechter Behandlung entstellt.«

Der Delaware trat näher, befühlte das Holz, prüfte seine Textur, suchte die Oberfläche mit einem Nagel zu ritzen, und fuhr neugierig mit der Hand über die stählernen Schlösser und die andern ihm neuen Eigenthümlichkeiten des seltsamen Meuble’s.

»Nein – Nichts wie dieses wächst in diesen Gegenden,« fuhr Wildtödter fort; »ich habe alle Eichen gesehen, beide Ahornarten, die Ulmen, die Linden, alle Wallnußbäume, die Butternußbäume und jeden Baum, der Holz und Farbe hat, in einer oder der andern Gestalt verarbeitet; aber nie früher habe ich ein Holz wie dieses gesehen, Judith, der Schrank selbst würde Eures Vaters Freiheit erkaufen; oder die Neugier der Irokesen ist nicht so groß, wie die der Rothhäute überhaupt, namentlich in Holzsachen.«

»Der Handel ließe sich vielleicht wohlfeiler schließen, Wildtödter. Der Schrank ist voll und es wäre doch besser, nur die Hälfte, als Alles hinzugeben. Zudem, Vater – ich weiß nicht warum – aber Vater schätzt den Schrank sehr hoch.«

»Es scheint fast, er schätzt den Inhalt höher, als den Schrank selbst, nach der Art zu urtheilen, wie er das Aeußere behandelt und das Innere verwahrt. Es sind drei Schlösser, Judith; ist kein Schlüssel da?«

»Ich habe nie einen gesehen; und doch müssen Schlüssel da seyn, da Hetty uns gesagt hat, sie habe den Schrank oft geöffnet gesehen.«

»Schlüssel liegen so wenig in der Luft oder schwimmen im Wasser, als Menschen, Mädchen; wenn ein Schlüssel da ist, so muß auch ein Platz seyn, wo er aufbewahrt ist.« »Das ist wahr; und es würde nicht schwer halten, ihn zu finden, wenn wir suchen dürften.«

»Das ist Eure Sache, Judith; das ist ganz Eure Sache. Der Schrank ist Euer, oder Eures Vaters; und Hutter ist Euer Vater, nicht der meine. Neugier ist der Weiber, nicht der Männer Schwäche; und hier habt Ihr alle Gründe vor Euch. Wenn der Schrank Artikel enthält, welche zum Lösegeld sich eignen, so würden sie, scheint mir, klüglich dazu verwendet, ihres Besitzers Leben zu erkaufen, oder auch seinen Skalp zu retten; aber das zu beurtheilen ist Eure, nicht meine Sache. Wenn der rechtmäßige Eigenthümer einer Falle oder eines Hirsches, oder eines Canoe’s nicht anwesend ist, so wird, wer ihm am nächsten steht, sein Stellvertreter, nach allen Gesetzen der Wälder. Daher überlassen wir Euch die Entscheidung, ob der Schrank geöffnet werden soll, oder nicht.«

»Ihr glaubt doch hoffentlich nicht, ich könnte mich bedenken, wenn meines Vaters Leben in Gefahr schwebt, Wildtödter?«

»Nun, es läßt sich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ein tüchtiges Schelten gegen Thränen und Trauern setzen. Es ist nicht ohne Grund zu vermuthen, daß der alte Tom unzufrieden seyn werde mit dem, was Ihr gethan, wenn er sich wieder selbst in seiner Hütte hier sieht; aber es ist nichts Ungewöhnliches, daß die Menschen mit dem nicht einverstanden sind, was zu ihrem eignen Besten geschehen ist; ich glaube fast, der Mond selbst würde sich ganz anders ausnehmen als jetzt, wenn wir ihn von der andern Seite sehen könnten.« »Wildtödter, wenn ich den Schlüssel finden kann, will ich Euch ermächtigen, den Schrank zu öffnen und herauszunehmen, was Ihr zu Vaters Loskaufung dienlich glaubt.«

»Sucht zuerst den Schlüssel, Mädchen, von dem Uebrigen wollen wir nachher reden. Schlange, Ihr habt Augen wie eine Fliege und ein Urtheil, das selten irrt; könnt Ihr uns ersinnen helfen, wo der alte Tom wohl den Schlüssel zu einem Schranke verwahrt halten dürfte, mit dem er so geheim thut?«

Der Delaware hatte an dem Gespräche keinen Antheil genommen, bis er so geradezu aufgefordert wurde; jetzt trat er von dem Schranke weg, welcher fortwährend seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, und sah sich um nach dem Orte, wo unter den vorliegenden Verhältnissen denkbarer Weise der Schlüssel verwahrt seyn dürfte. Judith und Wildtödter waren inzwischen auch nicht müssig, und so waren bald alle Drei mit lebhaftem und ängstlichem Suchen beschäftigt, da es gewiß war, daß der gewünschte Schlüssel nicht in einer der gewöhnlichen Schubladen oder Fächer, deren mehrere in dem Gebäude waren, sich finden würde, sah in diesen Niemand nach, sondern Alle wandten sich solchen Orten zu, die ihnen als sinnreiche Versteckplätze auffielen, deren man sich zu solchem Behufe leicht bedienen könnte. So ward das äußere Gemach sorgfältig aber fruchtlos durchsucht, worauf sie sich in Hutter’s Schlafzimmer begaben. Dieser Theil des rohen Gebäudes war besser eingerichtet als das Uebrige; er enthielt manche Artikel, welche besonders zum Gebrauch der verstorbenen Frau des Besitzers gedient hatten; aber da Judith alle übrigen Schlüssel hatte, war es auch bald durchstöbert, ohne daß der gewünschte Schlüssel an’s Licht gekommen wäre.

Jetzt traten sie in das Schlafgemach der Töchter. Dem Chingachgook fiel sogleich der Contrast zwischen den Artikeln und der Anordnung auf der Seite des Gemaches, die man die Judiths nennen konnte, und auf der Hetty angehörigen auf. Ein leiser Ausruf entschlüpfte ihm, und nach den verschiednen Richtungen hin deutend, machte er mit leiser Stimme auf diesen Umstand aufmerksam, zu seinem Freunde in der Delawarensprache redend.

»Wie Ihr denkt, Schlange,« antwortete Wildtödter, von dessen, in Delawarensprache geäußerten Bemerkungen wir so viel als möglich die eigenthümliche Ausdrucksweise des Mannes beizubehalten suchen. »Es ist richtig so, wie Jeder sehen kann; und das ist Alles in der Natur gegründet. Eine Schwester liebt schöne Sachen – übermäßig, wie Manche behaupten; während die Andere so sanft und demüthig ist, wie Gott nur je die Güte und Wahrheit selbst erschuf. Doch glaube ich am Ende, daß auch Judith ihre Tugenden und Hetty ihre Fehler hat.«

»Und die ›Geistschwache‹ hat den Schrank offen gesehen?« erkundigte sich Chingachgook, forschende Neugier in seinen Blicken.

»Gewiß; das hab‘ ich aus ihrem eignen Munde gehört, und Ihr auch. Es scheint, ihr Vater mißtraut ihrer Verschwiegenheit nicht, obschon vielleicht der seiner ältern Tochter.«

»Dann ist wohl der Schlüssel nur vor der Wilden Rose versteckt?« Denn so hatte der galante Chingachgook Judith in seinen Gesprächen mit seinem Freund allein zu nennen angefangen.

»Das ist’s. Das ist’s gerade! Der Einen traut er, und der Andern nicht. Da ist weiß und roth, Schlange; alle Stämme und Nationen kommen darin überein, daß sie Manchen trauen, und Manchen ihr Vertrauen versagen. Es kommt auf Charakter und Urtheil an.«

»Wo könnte ein Schlüssel versteckt werden, daß die Wilde Rose ihn gewiß nicht fände, wo eher als unter groben Kleidern?«

Wildtödter stutzte, wandte sich gegen seinen Freund, Bewunderung in jedem Zuge seines Gesichts sich malend, und lachte recht in seiner stillen aber herzlichen Weise über das Sinnreiche und Rasche dieser Vermuthung.

»Euer Name ist wohl angelegt, Schlange – ja, er ist wohl angelegt! Ganz gewiß! wo sollte eine Liebhaberin von schönen Putzsachen so wenig nachsuchen, als unter so groben und unscheinbaren Kleidern, wie die der armen Hetty sind? Ich glaube, Judiths zarte Finger haben nie ein Fleckchen so grobes und unschönes Tuch angerührt, wie das an diesem Unterrock, seit sie zuerst mit den Officieren Bekanntschaft machte! Ja, wer weiß? der Schlüssel dürfte ebenso gut gerade an diesem Pflock zu finden seyn, als sonst an einem Platze. Nehmt das Kleidungsstück weg, Delaware, und laßt uns sehen, ob Ihr wirklich ein Prophet seyd.« Chingachgook that, wie er geheißen ward, aber kein Schlüssel fand sich. Eine plumpe, dem Anschein nach leere Tasche hing an dem nächsten Pflocke und ward sofort untersucht. Mittlerweile war auch Judiths Aufmerksamkeit nach dieser Richtung gezogen worden, und sie ließ sich mit Hast vernehmen, als wünschte sie unnöthige Mühe zu ersparen.

»Das sind nur die Kleider Hetty’s, des guten, einfältigen Mädchens!« sagte sie. »Was wir suchen, ist wohl schwerlich hier zu finden!«

Kaum waren diese Worte über den schönen Mund der Sprecherin gekommen, als Chingachgook den gewünschten Schlüssel aus der Tasche zog. Judith besaß einen zu schnellen Verstand, um nicht sogleich den Grund zu errathen, warum ein so einfacher und leicht zu findender Versteck war gewählt worden. Das Blut schoß ihr ins Gesicht, vielleicht ebenso sehr aus Verdruß, als aus Schaam, und sie biß sich in die Lippe, blieb aber stumm. Wildtödter und sein Freund bewährten jetzt das Zartgefühl von Männern von natürlich feinem Sinn, indem sie weder lächelten, noch auch nur durch einen Blick verriethen, wie gut sie die Beweggründe und das Schlaue dieser sinnreichen List verstanden. Der Erstere, der dem Indianer den Schlüssel abgenommen, trat jetzt in das anstoßende Gemach, versuchte ihn an einem Schloß, und versicherte sich, daß wirklich das rechte Instrument gefunden sey. Es waren drei Vorlegeschlösser, die aber alle drei leicht mit dem einen Schlüssel geöffnet wurden. Wildtödter nahm sie alle ab, machte die Haspen los, hob den Deckel ein Wenig auf, um sich zu versichern, daß der Schrank aufgehe, und trat dann einige Schritte davon zurück, seinem Freunde winkend, ihm zu folgen.

»Das ist ein Familienschrank, Judith,« sagte er, »und enthält vermuthlich Familiengeheimnisse. Die Schlange und ich wollen in die Arche gehen, und nach den Canoe’s, den Rudern und Schaufeln sehen, während Ihr sie allein untersucht, und zuseht, ob unter den Artikeln darin sich Etwas findet, was bei einem Lösegeld von Gewicht seyn kann, oder nicht. Wenn Ihr fertig seyd, ruft uns, und dann wollen wir in einem Rath zusammensitzen über den Werth der Artikel.«

»Halt, Wildtödter!« rief das Mädchen, als er im Begriffe war, sich zu entfernen; »nicht Einen Gegenstand rühre ich an – nicht einmal den Deckel hebe ich auf – wenn Ihr nicht dabei gegenwärtig seyd. Vater und Hetty haben für gut befunden, aus dem Inhalt dieses Schrankes mir ein Geheimnis zu machen, und ich bin viel zu stolz, ihre geheimen Schätze erspähen und durchsuchen zu wollen, wenn es nicht um ihres eignen Besten willen wäre. Aber in keinem Falle will ich den Schrank allein öffnen. So bleibt denn bei mir; ich will Zeugen haben bei dem, was ich thue.«

»Ich denke fast, Schlange, das Mädchen hat Recht. Vertrauen und guter Glaube erzeugen Sicherheit, aber Argwohn macht uns leicht Alle tückisch. Judith hat das Recht, unsre Gegenwart zu verlangen; und sollte der Schrank Geheimnisse von Meister Hutter enthalten, so kommen die in den Besitz von zwei jungen Männern von so verschlossenem Munde, als nur in der Welt zu finden sind. Wir wollen bei Euch bleiben, Judith; aber zuerst laßt uns einen Blick auf den See und die Küste werfen, denn dieser Schrank ist wohl nicht in einer Minute geleert!«

Die beiden Männer begaben sich jetzt auf die Plattform, und Wildtödter durchmusterte die Küste mit dem Fernglas, während der Indianer sein Auge ernst auf den Wassern und Wäldern umherschweifen ließ, um ein Zeichen zu suchen, das ihm die Anschläge ihrer Feinde verriethe. Nichts war zu sehen; und beruhigt für den Augenblick wegen ihrer Sicherheit, versammelten sich die Drei wieder um den Schrank mit der erklärten Absicht, ihn zu öffnen. Judith hatte, so weit sie zurückdenken konnte, vor diesem Schrank und seinem Inhalt eine Art Ehrfurcht gehabt. Weder ihr Vater noch ihre Mutter redeten je in ihrer Anwesenheit davon; und es schien eine Art stillschweigender Verabredung zu seyn, daß bei Bezeichnung der verschiednen Gegenstände, die gelegentlich in seiner Nähe standen, oder selbst auf seinem Deckel lagen, jede Nennung des Schrankes selbst sorgfältig vermieden werde. Durch Gewohnheit war dieß so leicht und so geläufig und natürlich geworden, daß erst in ganz neuester Zeit das Mädchen über diesen seltsamen Umstand nachzudenken angefangen hatte. Aber es hatte nie zwischen Hutter und seiner ältern Tochter ein so inniges Verhältniß bestanden, daß dadurch Vertrauen wäre geweckt worden. Zu Zeiten war er freundlich, aber in der Regel, gegen sie besonders, finster und mürrisch. Am allerwenigsten hatte er seine Autorität in solcher Art geübt, daß sein Kind hätte den Muth gehabt, die Freiheit, zu der sie jetzt entschlossen war, sich herauszunehmen ohne große Besorgniß wegen der Folgen, obgleich sie den kecken Entschluß nur faßte in Kraft des Wunsches, ihm zu dienen. Und dann war Judith auch nicht frei von einem kleinen Aberglauben in Betreff dieses Schrankes, der von Kindheit an bis auf diese Stunde als eine Art Reliquie vor ihren Augen gestanden. Dennoch war die Zeit gekommen, wo, so schien es, dieß Mysterium sich aufklären sollte, und das unter Umständen, die ihr in der Sache sehr wenig Wahl ließen.

Da Judith sah, daß ihre beiden Genossen ihre Bewegungen in ernstem Schweigen beobachteten, legte sie die Hand an den Deckel und suchte ihn aufzuheben. Ihre Kraft reichte jedoch nicht zu, und es dünkte das Mädchen, das wohl wußte, daß alle Schlösser und Bande weg waren, als widersetzte sich ihr eine übernatürliche Macht bei einem unheiligen Beginnen.

»Ich kann den Deckel nicht aufheben, Wildtödter,« sagte sie. »Thäten wir nicht besser, den Versuch aufzugeben und auf andre Mittel zur Befreiung der Gefangnen zu denken?« »Nicht so, Judith; nicht so, Mädchen. Kein Mittel ist so sicher und leicht, als eine gute Bestechung,« versetzte der Andere. »Was den Deckel betrifft, so wird der von Nichts gehalten, als von seiner eignen Schwere, die wunderbar ist für ein so kleines, zwar mit Eisen so stark beschlagenes Stück Holz.«

Mit diesen Worten versuchte Wildtödter auch seine Kraft an der Aufgabe, und es gelang ihm, den Deckel gegen das Gebälke des Hauses aufzuheben, wo er ihn mittelst einer hinlänglichen Stütze sorgfältig befestigte. Judith zitterte ordentlich, als sie den ersten Blick auf das Innere warf; und sie empfand für den Augenblick einige Beruhigung, als sie sah, daß ein am Rande sorgfältig hineingestepptes Stück Leinwand Alles was darunter war gänzlich verbarg. Der Schrank war indessen allem Anschein nach wohl angefüllt, denn die Leinwand war kaum einen Zoll vom Deckel entfernt.

»Hier ist eine volle Ladung,« sagte Wildtödter, den wohlgepackten Schrank betrachtend, »und wir thun wohl, gemächlich und ordentlich zu Werke zu gehen. Schlange, bringt einige Stühle, während ich dieß Tuch auf den Boden breite, und dann wollen wir das Werk ordentlich und behaglich angreifen.«

Der Delaware gehorchte; Wildtödter stellte höflich Judith einen Stuhl hin, nahm selbst einen, und fing an, die verhüllende Leinwand zu entfernen. Er that dieß mit gutem Bedacht und mit solcher Vorsicht, als ob man Gegenstände von zerbrechlichster Art und feinster Arbeit darunter verborgen geglaubt hätte. Als die Leinwand weggenommen war, waren die ersten Gegenstände, die sich zeigten, einige männliche Kleidungsstücke. Diese waren von feinen Stoffen, und nach der Mode jener Zeiten von lebhaften Farben und mit reichen Verzierungen. Ein Rock insbesondere war von Scharlach, und hatte mit Goldfaden genähte Knopflöcher. Doch war er nicht militärisch, sondern gehörte zum Anzug eines höhern Civilisten in einer Periode, wo der Rang in der Gesellschaft noch streng auch in der Kleidung beachtet wurde. Chingachgook konnte einen Ausruf des Wohlgefallens nicht unterdrücken, als Wildtödter diesen Rock auseinanderlegte und ihn zum Anschauen emporhob; denn trotz seiner anerzogenen Selbstbeherrschung war doch der Glanz dieses Kleidungsstückes zu Viel für die Philosophie eines Indianers. Wildtödter wandte sich rasch um, und sah seinen Freund mit einem vorübergehenden Mißfallen an, als dieser Ausbruch von Schwäche ihm entschlüpfte; dann sprach er vor sich hin, wie seine Gewohnheit war, so oft ein lebhaftes Gefühl sich seiner plötzlich bemächtigte.

»Es ist seine Gabe so! – ja, es ist die Gabe einer Rothhaut, schöne Putzsachen zu lieben, und er ist darum nicht zu tadeln. Es ist auch ein außerordentliches Kleidungsstück, und außerordentliche Sachen erzeugen außerordentliche Gefühle. Ich denke, das wird’s thun, Judith, denn das indianische Herz ist schwerlich zu finden in ganz Amerika, das Farben wie diese, und einem Schimmer wie dieser, widersteht. Wenn dieser Rock je für Euren Vater gemacht wurde, so habt Ihr Euren Geschmack an schönen Putzsachen redlich und ehrlich überkommen – ja das habt Ihr!«

Dieser Rock ist nie für Vater gemacht worden,« antwortete das Mädchen rasch; »er ist viel zu lang, denn mein Vater ist klein und vierschrötig.«

»Tuch war genug da, wenn es so war, und Flitterstaat wohlfeil,« antwortete Wildtödter mit seinem stillen, fröhlichen Lachen. »Schlange, dieß Kleid ward gemacht für einen Mann von Eurem Wuchs, und ich möchte es Wohl auf Euren Schultern sehen.«

Chingachgook nicht faul, willigte in die Probe; er warf die grobe, fadenscheinige Jacke Hutter’s weg, um seine Person mit einem Rock zu schmücken, der ursprünglich für einen Gentleman bestimmt war. Die Verwandlung war komisch; aber wie den Menschen selten Lächerlichkeiten in ihrer eignen äußern Erscheinung auffallen, so wenig als in ihrer Handlungsweise, beschaute der Delaware diese seine Metamorphose in einem gemeinen Spiegel, vor welchem Hutter sich zu rasiren pflegte, mit ernstem Interesse. In diesem Augenblick dachte er an Hist, und wir sind der Wahrheit schuldig, zu gestehen, obgleich es ein Wenig mit dem strengen Charakter des Kriegers streiten mag, daß er wünschte, von ihr in seiner jetzigen, so vortheilhaften Gestalt gesehen werden zu können.

»Herunter damit, Schlange – herunter damit,« begann jetzt der unbeugsame Wildtödter; »solche Kleider stehen Euch so wenig an, als sie mir anstehen würden; Eure Gaben sind für Bemalung und Falkenfedern, und wollene Decken und Wampums, und die meinigen sind für Wämser von Häuten, zähe Beinkleider und tüchtige Mokkasins. Ich sage Mokkasins, Judith; denn obgleich weiß, muß ich doch, in den Wäldern lebend, wie ich pflege, nothwendig um der Bequemlichkeit und Wohlfeilheit willen einige Gebräuche der Wälder annehmen,«

»Ich sehe keinen Grund, Wildtödter, warum ein Mann nicht so gut einen Scharlachrock tragen sollte, als der Andere,« versetzte das Mädchen. »Ich wollte, ich könnte Euch in diesem schönen Kleid sehen!«

»Mich in einem Rock sehen, der für einen Lord recht wäre! Nun, Judith, wenn Ihr diesen Tag abwarten wollt, so müßt Ihr warten, bis Ihr mich des Verstands und des Gedächtnisses ledig seht. Nein – nein – Mädchen, meine Gaben sind meine Gaben, und ich will bei ihnen leben und sterben, sollte ich auch nie wieder ein Wild fällen oder einen Salmen spießen. Was habe ich gethan, daß Ihr wünscht mich in einem so flunkernden Rock zu sehen, Judith?«

»Ich meine eben, Wildtödter, die falschzüngigen und falschherzigen jungen galanten Herren von der Garnison sollten nicht allein in schönen Federn stolziren; sondern Wahrheit und Redlichkeit hätten auch ihre Ansprüche auf Ehre und Auszeichnung.«

»Und welche Auszeichnung würde es für mich seyn, Judith, geschniegelt und bescharlacht zu werden, wie ein Mingohäuptling, der eben seine Präsente von Quebeck erhalten hat? Nein – nein – ich bin wohl wie ich bin; und wenn nicht, so kann ich nicht besser werden. Legt den Rock auf die Decke, Schlange, und laßt uns weiter im Schranke nachsehen.«

Das verlockende Kleidungsstück – das sicherlich nie für Hutter gefertigt ward – wurde bei Seite gelegt und die Untersuchung fortgesetzt. Der männliche Anzug, dessen einzelne Bestandtheile sämmtlich in ihrer Beschaffenheit dem Rocke entsprachen, war bald erschöpft, und dann folgten weibliche. Ein schöner Anzug von Brokat, der durch nachlässige Behandlung etwas gelitten, folgte; und dießmal entschlüpften offene Ausrufe des Entzückens Judiths Munde. So sehr das Mädchen auf schönen Anzug hielt, und so günstige Gelegenheit sie gehabt hatte, manche kleine Ansprüche auf diesem Felde zu sehen bei den Frauen der verschiedenen Commandanten und andern Damen der Forts, so hatte sie doch noch nie zuvor ein Gewebe oder Farben geschaut, welche sich mit dem messen konnten, was jetzt so unerwartet ihrem Auge sich darbot. Ihr Entzücken war beinahe kindisch; auch wollte sie die Untersuchung nicht fortsetzen lassen, ehe sie sich mit einem Gewande bekleidet hätte, das so wenig mit ihren Lebensgewohnheiten und ihrem Aufenthaltsort zusammenstimmte. Zu diesem Behufe begab sie sich in ihr eignes Gemach, wo sie mit ihren in solchem Geschäft geübten Händen bald ihren saubern Linnenrock ablegte und in den buntern und prächtigen Farben des Brokats dastand. Der Anzug paßte zufällig für die schöne, volle Person Judiths, und gewiß hatte er nie ein Wesen geschmückt, das durch natürliche Gaben mehr geeignet gewesen wäre, seinen wahrhaft prächtigen Farben und der schönen Weberei Ehre zu machen. Als sie zurückkam, standen Wildtödter und Chingachgook, welche die kurze Zeit ihrer Abwesenheit benutzt hatten, die männlichen Kleidungsstücke nochmals zu beschauen, mit Erstaunen auf, und beide machten ihrer Bewunderung und ihrem Wohlgefallen in Ausrufungen von so unzweideutiger Art Luft, daß dadurch die Augen Judiths neuen Glanz gewannen, indem ihre Wangen von der Glut des Triumphs flammten. Sich jedoch die Miene gebend, den Eindruck, den sie gemacht, nicht zu bemerken, setzte sich das Mädchen mit dem stattlichen Anstand einer Königin nieder, und verlangte, daß man den Inhalt des Schrankes weiter untersuche.

»Ich weiß kein besseres Mittel, mit den Mingo’s zu unterhandeln, Mädchen,« rief Wildtödter, »als Euch, wie Ihr seyd, an’s Land zu schicken und ihnen zu sagen, eine Königin sey unter ihnen angekommen! Bei einem solchen Schauspiel werden sie den alten Hutter, und Hurry und Hetty dazu ausliefern!«

»Ich glaubte Eure Zunge zu ehrlich zum Schmeicheln, Wildtödter,« versetzte das Mädchen, der diese Bewunderung größere Freude machte, als sie hätte gestehen mögen. »Einer der Hauptgründe meiner Achtung für Euch war Eure Liebe zur Wahrheit?«

»Und es ist Wahrheit, und ernste Wahrheit, Judith und nichts Anderes. Nie schauten meine Augen ein so prächtig aussehendes Geschöpf, als Ihr in diesem Augenblick seyd! Ich habe zu meiner Zeit auch Schönheiten gesehen, beides, weiße und rothe, und sie waren besprochen und gepriesen nah und fern; aber nie habe ich eine gesehen, die irgend den Vergleich aushalten konnte mit dem, was Ihr in diesem gesegneten Augenblick seyd, Judith; nie!«

Der Blick des Entzückens, den das Mädchen dem freimüthigen Jäger zuwarf, verminderte in keiner Weise den Eindruck ihrer Reize; und da die feuchten Augen dazu noch einen Ausdruck von Rührbarkeit und Gefühl gesellten, erschien vielleicht Judith nie wahrhaft liebenswürdiger, als in diesem »gesegneten Augenblicke,« wie der junge Mann sich ausgedrückt hatte. Er schüttelte den Kopf, hielt ihn einen Augenblick über den offenen Schrank hingebeugt, wie Einer, der im Zweifel ist, und fuhr dann mit der Untersuchung fort.

Einige kleinere Bestandtheile des weiblichen Anzuges kamen jetzt, alle von einer Beschaffenheit, die dem Kleide entsprach. Diese wurden stillschweigend Judith zu Füßen gelegt, als hätte sie ein natürliches Recht auf ihren Besitz. Ein paar davon, wie Handschuhe, oder Spitzen, nahm das Mädchen auf, und fügte sie ihrem schon so prächtigen Anzug bei, anscheinend nur wie zum Spiel, in der That aber in der Absicht, ihre Person so herauszuputzen, wie nur immer die Umstände erlaubten. Nachdem diese beiden auffallenden Anzüge, »ein Männlein und ein Fräulein« so zu sagen, weggenommen waren, trennte wieder eine Leinwanddecke die übrigen Artikel von dem Theil des Schrankes, den jene eingenommen. Sobald Wildtödter diese Einrichtung bemerkte, hielt er inne, zweifelnd, ob es angemessen sey, weiter fortzufahren.

»Jeder Mensch hat seine Geheimnisse, glaube ich,« sagte er; »und alle Menschen haben ein Recht, sich des ihrigen zu erfreuen; wir sind weit genug in diesem Schrank hinabgekommen, um meiner Ansicht nach, unsern Wünschen und Bedürfnissen Genüge zu leisten: und es scheint mir, wir thäten gut, nicht weiter zu gehen, und dem Meister Hutter allein und seinen Gefühlen, Alles unter dieser Decke zu überlassen.«

»Ihr meint also, Wildtödter, man solle den Irokesen diese Kleider anbieten, als Lösegeld?« fragte Judith rasch.

»Gewiß, warum sonst durchstöbern wir eines Andern Schrank, als um dem Eigenthümer die besten Dienste nach unsern Kräften zu leisten? Dieser Rock allein würde ganz geeignet seyn, den Häuptling der Gewürme zu gewinnen! und wenn zufällig sein Weib oder seine Tochter mit ihm ausgezogen seyn sollte, würde dieß Kleid das Herz jedes Weibes zwischen Albany und Montreal erweichen. Ich sehe nicht, wozu wir eines weitern Handelsvorraths bedürften als diese zwei Artikel.«

»Euch mag es so erscheinen, Wildtödter,« erwiederte das betroffene Mädchen; »aber von welchem Nutzen wäre ein Anzug wie dieser für eine Indianerin? Sie könnte ihn nicht tragen unter den Zweigen der Bäume; der Schmutz und Rauch des Wigwam würde ihn bald verderben; und wie würde sich ein paar rother Arme ausnehmen, durch diese kurzen, spitzenbesetzten Ermel geschoben!«

»Alles ganz wahr, Mädchen; und Ihr könntet fortfahren und sagen, er sey ganz außer Zeit und Ort und Clima in dieser Gegend überhaupt. Was geht es uns an, wie mit den schönen Sachen umgegangen wird, wenn sie nur unsern Wünschen zur Erfüllung verhelfen? Ich sehe nicht ein, welchen Gebrauch Euer Vater von solchen Kleidern machen will; und es ist ein Glück, daß er Sachen hat, die für ihn werthlos, für Andre einen hohen Preis haben. Wir können keinen bessern Handel für ihn schließen, als diesen Tand für seine Freiheit zu bieten. Wir werfen das leichte Flitterzeug dazu, und bekommen dann Hurry in Kauf.«

»So denkt Ihr also nicht, Wildtödter, daß Thomas Hutter Jemand in seiner Familie habe – ein Kind – eine Tochter, der dieser Anzug nach billigem Ermessen wohl ansteht, und die darin dann und wann, wäre es auch nur nach langen Zwischenzeiten und nur zum Scherz zu sehen, Ihr selbst wünschen könntet?«

»Ich verstehe Euch, Judith – ja, jetzt verstehe ich Eure Meinung, und ich glaube, ich darf auch sagen: Eure Wünsche. Daß Ihr in diesem Anzug so prächtig seyd, wie die auf- oder untergehende Sonne an einem Oktobertag, gebe ich gerne zu; und daß Ihr ihm herrlich ansteht, ist um ein gut Theil gewisser, als daß er Euch an- und zusteht. Es sind Gaben in den Kleidern wie in andern Dingen. Nun glaube ich nicht, daß ein Krieger auf seinem ersten Kriegspfad dieselben entsetzlichen Bemalungen annehmen darf, wie ein Häuptling, dessen Tugend erprobt ist, und der aus Erfahrung weiß, daß er seinen Ansprüchen keine Schande machen wird. So ist es mit uns Allen, Rothen oder Weißen. Ihr seyd Thomas Hutter’s Tochter und dieß Weiberkleid ward gemacht für das Kind irgend eines Gouverneurs, oder für eine Dame von hohem Stand; und es sollte getragen werden in Häusern mit schöner Einrichtung und in vornehmer Gesellschaft. In meinen Augen, Judith, steht einem sittsamen Mädchen Nichts besser, als wenn sie anständig gekleidet ist, und Nichts ist passend, was dem ganzen Wesen und Charakter widerspricht. Zudem, Mädchen, wenn ein Geschöpf in der Colonie ist, das ganz der schönen Sachen entbehren und auf sein gutes Aussehen und holdes Gesicht vertrauen kann, so seyd Ihr es.«

«Ich will den Plunder im Augenblick ausziehen, Wildtödter,« rief das Mädchen und sprang auf, um das Zimmer zu verlassen, »und nie wünsche ich ihn wieder an einem menschlichen Wesen zu sehen.«

»So ist es bei ihnen Allen, Schlange,« sagte der Andere, sich zu seinem Freunde kehrend und lachend, sobald die Schöne verschwunden war. »Sie haben eine Freude an Putzsachen, aber an ihren angebornen Reizen die größte. Ich bin jedoch froh, daß das Mädchen eingewilligt, ihren Staat wieder abzulegen, denn es ist gegen die Vernunft für eine von ihrer Classe, ihn zu tragen; und dann ist sie hübsch genug, wie ich es nenne, um so herumzulaufen. Hist würde sich auch ganz absonderlich ausnehmen in einem solchen Weiberrock, Delaware!«

»Wah-ta!-Wah ist ein Rothhautmädchen, Wildtödter,« versetzte der Indianer; »wie die Jungen der Taube, erkennt man sie an ihren eignen Federn. Ich würde an ihr, ohne sie zu kennen, vorbeigehen, wäre sie in eine solche Haut gekleidet. Es ist immer das Weiseste, so gekleidet zu seyn, daß unsre Freunde uns nicht nach unserm Namen zu fragen brauchen. Die wilde Rose ist sehr stattlich, aber sie ist nicht holdseliger mit diesen vielen Farben.«

»Das ist’s! Das ist Natur, und die wahre Grundlage für Liebe und Schutz. Wenn ein Mann anhält, um eine wilde Stachelbeere zu pflücken, so erwartet er nicht eine Melone zu finden, und wenn er eine Melone brechen möchte, so verdrießt es ihn, wenn es ein Kürbis ist, obwohl Kürbisse oft für das Auge herrlicher sind, als Melonen. Das ist es, und es bedeutet: bleibt bei Euren Gaben und Eure Gaben werden bei Euch bleiben!«

Die beiden Männer hatten jetzt eine kleine Erörterung mit einander, ob es geeignet sey, noch tiefer in den Schrank Hutter’s einzudringen, als Judith, ihres Prachtgewandes entkleidet, in ihrem einfachen Linnenkleide wieder erschien.

»Dank Euch, Judith,« sagte Wildtödter, sie freundlich bei der Hand fassend; »denn ich weiß, es ging ein wenig gegen die natürlichen Wünsche des Weibes, so viel schöne Sachen gleichsam wie einen Haufen Plunder wegzuwerfen. Aber Ihr seyd dem Auge lieblicher, wie Ihr da steht, ja gewiß, als wenn Ihr eine Krone auf dem Haupt und Juwelen ums Haar bammeln hättet. Die Frage ist jetzt, ob man diese Decke aufheben soll, um zu sehen, was in der That der beste Handel wäre, den wir für Meister Hutter machen könnten: denn wir müssen so handeln, wie wir denken, daß er handeln würde, stände er an unsrer Stelle.«

Judith sah sehr vergnügt aus. Gewohnt an Schmeichelei, wie sie war, hatte ihr die bescheidene Huldigung Wildtödters mehr wahre Genugthuung und Freude gewährt, als sie noch je bei den Worten aus dem Munde eines Mannes empfunden hatte. Es waren nicht die Ausdrücke, worein die Bewunderung gekleidet war, denn diese waren einfach genug – was einen so lebhaften Eindruck machte; auch nicht ihre Neuheit oder Wärme, noch sonst eine der Eigenthümlichkeiten, welche einer Lobpreisung gewöhnlich Werth verleihen, sondern die ungeirrte Wahrhaftigkeit des Redenden, die seine Worte so unmittelbar ans Herz der Hörenden dringen machte. Dieß ist einer der großen Vortheile der Geradheit und Freimüthigkeit. Der schlaue, gewohnheitsmäßige Schmeichler mag seine Absichten so lange erreichen, bis seine Künste gegen ihn selbst zurückspringen, und wie andre Süßigkeiten, die von ihm gebotene Nahrung durch Uebermaß anekelt; aber Wer ehrlich und offen handelt, wenn er auch oft anstößt, besitzt eine Macht zu loben, die keine andre Eigenschaft als die Aufrichtigkeit gewährt, weil seine Worte geradezu ans Herz dringen, und ihre Unterstützung im Verstande finden. So war es bei Wildtödter und Judith; so bald und so tief erfüllte dieser einfache Jäger Alle, die ihn kannten, mit der Ueberzeugung von seiner unbeugsamen Redlichkeit, daß Alles, was er lobend äußerte, ebenso gewiß Freude machte, als Alles, was er tadelnd und als Vorwurf äußerte, gewiß da tief einschneiden und Feindschaft erwecken mußte, wo sein Charakter nicht schon Achtung und Neigung ihm gewonnen hatte, die seinen Tadel in anderem Sinne schmerzhaft und empfindlich machten. Im spätern Leben, als die Laufbahn dieses ungebildeten und unverkünstelten Menschen ihn in Berührung brachte mit Officieren von hohem Rang, und Andern, die mit der Sorge für die Interessen des Staats betraut waren, übte er denselben Einfluß auf einem weiteren Feld; selbst Generale hörten seine Lobsprüche mit einem Anflug von hoher Freude, welche in ihnen hervorzurufen nicht immer in der Macht ihrer officiellen Obern stand. Vielleicht war Judith das erste Individuum von seiner Farbe, das sich diesen natürlichen Folgen der Wahrheitsliebe und Geradheit von Seiten Wildtödters entschieden unterwarf. Sie hatte wirklich nach seinem Lobe geschmachtet, und jetzt hatte sie es geerntet, und das in der Form, wie es ihrer Schwäche und ihrer Denkungsart am angenehmsten war. Das Ergebnis davon wird sich im Laufe dieser Erzählung zeigen.

»Wenn wir wüßten, was Alles dieser Schrank enthält, Wildtödter,« versetzte das Mädchen, als sie sich ein Wenig erholt hatte von der augenblicklichen Wirkung seiner Lobsprüche auf ihre persönliche Erscheinung, »könnten wir besser entscheiden, welches Verfahren wir einschlagen sollen.«

»Das ist nicht ohne Grund, Mädchen, obgleich es mehr eine Bleichgesichts- als eine Rothhauts-Gabe ist, andrer Leute Geheimnisse zu durchspähen.«

»Neugier ist natürlich, und es läßt sich erwarten, daß alle menschliche Wesen menschliche Fehler haben. So oft ich bei den Garnisonen gewesen bin, habe ich gefunden, daß die Meisten dort und rings herum Verlangen trugen, ihres Nächsten Geheimnisse zu erspähen.«

»Ja, und manchmal sie zu errathen oder zu erdichten, wenn sie sich nicht entdecken konnten. Das ist der Unterschied zwischen einem indianischen und einem weißen Gentleman. Die Schlange hier würde den Kopf auf die Seite wenden, wenn er bemerkte, daß er unabsichtlich in eines andern Häuptlings Wigwams hineinsehe; während in den Ansiedlungen, wo Alle vornehme Leute seyn wollen, die Meisten beweisen, daß sie besser als Andre seyen, durch die Art, wie sie über diese und ihre Angelegenheiten schwatzen. Ich stehe dafür, Judith, Ihr brächtet die Schlange hier nicht dazu, zu gestehen, es sey ein Andrer in seinem Stamme um so Viel größer als er, daß er der Gegenstand seiner Gedanken würde, und er seine Zunge gebrauchte zu Gesprächen über sein Thun und Treiben, sein Gehen und Stehen, sein Essen und Trinken, und all die andern kleinen Sachen, die einen Menschen beschäftigen, wenn er nicht mit seinen größeren Pflichten zu thun hat. Wer das thut, ist nicht viel besser als ein ausgemachter Spitzbube, und Wer Einen dazu aufmuntert, ist so ziemlich von derselben Gattung, trage er so schöne Röcke als er will, und von Farben, wie sie ihm gefallen.«

»Aber das ist keines andern Mannes Wigwam; es gehört meinem Vater; es sind seine Sachen, die man zu seinem Besten verwendet und bedarf.«

»Das ist wahr, Mädchen, das ist wahr, und es ist nicht ohne Gewicht. Nun gut, wenn Alles vor uns liegt, können wir in der That am besten entscheiden, was wir als Lösegeld anbieten, was zurückbehalten sollen.«

Judith war in ihren Gefühlen nicht ganz so uneigennützig, als sie sich die Miene gab. Sie erinnerte sich, daß die Neugierde Hetty’s in Bezug auf diesen Schrank war befriedigt worden, während die ihrige unberücksichtigt blieb; und es war ihr nicht leid, eine Gelegenheit zu bekommen, in diesem Einen Punkt sich ihrer minder begabten Schwester gleich zu stellen. Da es schien, als seyen Alle darüber einverstanden, die Untersuchung des Inhalts des Schrankes solle weiter fortgesetzt werden, machte sich Wildtödter daran, die zweite Leinwanddecke zu entfernen.

Die zu oberst liegenden Artikel, nachdem wieder der Vorhang von den Geheimnissen des Schrankes weggezogen war, waren ein Paar Pistolen, sehr schön mit Silber eingelegt. Ihr Werth würde in einer der Städte ansehnlich gewesen seyn, obgleich sie für die Wälder eine Art selten gebrauchter Waffen waren; ja, nie wurden sie eigentlich gebraucht, außer etwa von einem Officier aus Europa, der die Colonien besuchte, wie damals Manche zu thun pflegten, und der so erfüllt war von der Vortrefflichkeit der Sitten und Gebräuche von London, daß er meinte, er dürfe sie auch auf der Grenze Amerika’s nicht bei Seite legen. Was bei der Auffindung dieser Waffen sich zutrug, wird im nächsten Kapitel kund werden.

Dreizehntes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Ein Eichenlehnstuhl, zerbrochen gar,
Ein Leuchter, seiner Handhabe baar;
Ein eschenes Bett aus der Rumpelkammer;
Ein Koffer ohne Schloß und Klammer;
Eine Beißzange, die nicht mehr packt;
Ein Degen, die Spitze abgehackt;
Eine Schüssel, Wohl lecker gefüllt, als noch ganz;
Ein Ovid, sammt alter Conkordanz.
Swift’s Inventar.

Sobald Wildtödter die Pistolen aufgehoben, wandte er sich gegen den Delawaren und hielt sie ihm hin, sie zu bewundern.

»Kind’s Gewehr,« sagte die Schlange lächelnd, indem er eine der Waffen wie ein Spielzeug handhabte. »Nicht so, Schlange, nicht so. Es ist für einen Mann gemacht, und würde einen Riesen zufrieden stellen, recht gebraucht. Aber halt; weiße Männer zeichnen sich aus durch die Sorglosigkeit, womit sie Feuerwaffen in Schränken und Winkeln auf die Seite legen. Laßt mich sehen, ob diese Waffen sorglich behandelt worden sind.«

Mit diesen Worten nahm Wildtödter die Waffe seinem Freund aus der Hand und öffnete die Pfanne. Diese war mit Pulver gefüllt, das durch Zeit, Feuchtigkeit und Druck wie in ein Stückchen Kohle zusammengebacken war. Ein Versuch mit dem Ladstock zeigte, daß beide Pistolen geladen waren, obwohl Judith bezeugen konnte, daß sie vielleicht Jahre lang in dem Schranke gelegen. Es wäre schwer, das Erstaunen des Indianers bei dieser Entdeckung zu schildern, denn er war gewohnt, das Pulver auf seiner Pfanne täglich zu erneuen, und in andern kurzen Zwischenzeiten nach der Ladung seines Gewehrs zu sehen.

»Das ist weiße Nachlässigkeit,« sagte Wildtödter, den Kopf schüttelnd, »und kaum eine Jagdjahrszeit geht vorüber, ohne daß Jemand in den Ansiedlungen dadurch zu Schaden kommt. Es ist auch außerordentlich, Judith – ja, es ist geradezu außerordentlich, daß der Eigenthümer sein Gewehr auf einen Hirsch, oder ein andres Wild, oder vielleicht auf einen Feind abfeuern, und dann zweimal unter dreien fehlen soll; aber es stoße ihm ein Unfall zu mit einer solchen vergessenen Ladung – und sie bringt sichern Tod einem Kind, einem Bruder oder Freund! Nun, wir werden dem Eigenthümer einen Dienst erweisen, wenn wir an seiner Statt diese Pistolen abfeuern; und da sie für Euch und für mich etwas Neues sind, wollen wir unsre stete Hand an einem Ziele versuchen. Erneuert dieß Pulver auf der Pfanne, und ich will es bei dieser thun, dann wollen wir sehen, wer der beste Schütze ist mit einer Pistole; was die Büchse betrifft, so ist das längst unter uns ausgemacht!«

Wildtödter lachte herzlich über seinen eignen Einfall, und nach ein paar Minuten standen sie Beide auf der Plattform, sich einen Gegenstand in der Arche zur Zielscheibe zu wählen. Judith führte die Neugier auch herbei.

»Tretet zurück, Mädchen, tretet ein Wenig zurück; diese Waffen sind schon lange geladen,« sagte Wildtödter, »und es könnte bei dem Abfeuern ein Unfall sich ereignen.«

»Dann sollt Ihr sie nicht abfeuern! Gebt sie beide dem Delawaren; oder es wäre besser, die Ladung herauszuziehen, statt sie abzufeuern,«

»Das ist gegen den Gebrauch – und manche Leute meinen: gegen die Mannhaftigkeit, obgleich ich solche einfältige Lehren nicht annehme. Wir müssen sie abfeuern, Judith, ja, wir müssen sie abfeuern: obgleich ich voraussehe, daß Keiner Ursache haben wird, sich seiner Geschicklichkeit groß zu rühmen.«

Judith war im Ganzen ein Mädchen von vielem persönlichen Muth, und ihre Lebensweise machte, daß sie Nichts von der Angst fühlte, welche beim Knall von Feuerwaffen leicht ihr Geschlecht überfällt. Sie hatte manche Büchse abgefeuert, und man wußte sogar, daß sie unter Umständen, die den Erfolg begünstigten, ein Wild erlegt hatte. Sie ergab sich daher, trat ein Wenig zurück, neben Wildtödter, und überließ dem Indianer die Fronte der Plattform allein. Chingachgook erhob die Waffe mehrere Male, suchte sie mit Anwendung beider Hände in eine stete Lage zu bringen, wechselte seine Stellung, die ihm unbequem schien und nahm eine noch unbequemere an, und endlich drückte er ab, mit einer Art verzweifelter Gleichgültigkeit, ohne in der That irgend ein Ziel fest in’s Auge gefaßt zu haben. Die Folge war, daß er statt den Knoten zu treffen, der zur Zielscheibe bestimmt worden war, die Arche ganz und gar fehlte, und die Kugel auf dem Wasser dahintanzte, wie ein mit der Hand geworfner Stein.

»Gut gemacht, Schlange – gut gemacht!« rief Wildtödter, und lachte in seiner geräuschlosen Munterkeit; »Ihr habt den See getroffen, und das ist eine Großthat für manche Männer. Ich wußte es, und sagte es auch der Judith hier; denn diese kurzen Waffen eignen sich nicht für Rothhautsgaben. Ihr habt den See getroffen, und das ist besser, als nur die Luft treffen! Jetzt tretet zurück und laßt uns sehen, was weiße Gaben vermögen mit einer weißen Waffe. Eine Pistole ist keine Büchse; aber Farbe ist Farbe.«

Wildtödter zielte ebenso rasch als stet, und der Knall erfolgte beinah in dem Augenblick, wo er die Waffe erhob. Aber die Pistole zersprang und Bruchstücke davon flogen nach allen Richtungen; einige fielen auf das Dach des Castells, andere in die Arche, und noch andre in’s Wasser. Judith kreischte laut auf, und als die beiden Männer sich ängstlich zu dem Mädchen wandten, war sie bleich wie der Tod und zitterte an allen Gliedern.

»Sie ist verwundet – ja, das arme Mädchen ist verwundet, Schlange, obgleich man es nicht hätte vermuthen sollen, da wo sie stand. Wir wollen sie auf einen Sitz führen und müssen alles Mögliche für sie thun, soweit unsre Einsicht und Geschicklichkeit reicht.«

Judith ließ sich zu dem Sitz hinführen, schluckte einen Mundvoll von dem Wasser, das ihr der Delaware in einer Lederflasche bot, und nach einem heftigen Anfall von Zittern, das ihre schöne Gestalt bis zur Auflösung schien schütteln zu wollen, brach sie in Thränen ans.

»Der Schmerz muß ertragen seyn, arme Judith – ja er muß ertragen seyn,« sagte Wildtödter ihr zusprechend; »obwohl ich weit entfernt bin, zu verlangen, daß Ihr nicht weinen sollt; denn Weinen erleichtert oft mädchenhafte Gefühle. Wo kann sie denn verletzt seyn, Schlange? Ich sehe keine Spuren von Blut, auch keine Risse in Haut oder Kleidern.«

»Ich bin nicht beschädigt, Wildtödter,« stammelte das Mädchen unter ihren Thränen. »Es ist Schrecken – Nichts weiter, ich versichere Euch; und Gott sey gepriesen, ich sehe, Niemand ist durch den Zufall beschädigt.«

»Das ist außerordentlich!« rief der arglose und treuherzige Jäger. »Ich dachte, Judith, Ihr wäret hinaus über die Schwächen der Leute in den Ansiedlungen, und nicht ein Mädchen, das sich durch den Knall einer zerspringenden Waffe in Schrecken setzen ließe. Nein, ich hätte Euch nicht für so schüchtern gehalten! Hetty hätte wohl darüber in Angst gerathen dürfen; aber Ihr habt zu viel Vernunft und Einsicht, um zu erschrecken, nachdem die ganze Gefahr vorüber! Sie sind dem Auge wohlgefällig, Häuptling, und abwechselnd, aber sehr unzuverlässig in ihren Gefühlen.«

Schaam hielt Judiths Mund verschlossen. Es war keine Schauspielkunst in ihrer Aufregung, sondern Alles war die natürliche Folge plötzlicher, unüberwindlicher Besorgniß und Angst, die ihr selbst beinah ebenso unerklärlich vorkam, wie sie es ihren Genossen war. Sie wischte sich jedoch die Spuren der Thränen ab, lächelte wieder, und war bald im Stand, in das Lachen über ihre eigne Thorheit einzustimmen.

»Und Ihr, Wildtödter,« dieß brachte sie am Ende über die Lippen, »seyd Ihr wirklich ganz unverletzt? Es erscheint beinahe wie ein Wunder, daß eine Pistole Euch in der Hand zerspringen mußte, und Ihr ohne den Verlust eines Glieds, wo nicht gar des Lebens davonkamet!«

»Solche Wunder sind gar nicht ungewöhnlich bei alten, verbrauchten Waffen. Die erste Büchse, die sie mir gaben, spielte mir denselben Streich, und doch kam ich lebend davon, obwohl nicht so ohne Schaden wie dieß Mal. Thomas Hutter besitzt jetzt eine Pistole weniger, als er diesen Morgen besaß, aber da der Zufall sich ereignete bei einem Versuch ihm zu dienen, hat er keinen Grund sich zu beklagen. Jetzt kommt herbei, und laßt uns weiter nach dem Inhalt des Schrankes sehen.«

Judith war mittlerweile ihrer Bewegung so weit Meister geworden, daß sie ihren Sitz wieder einnehmen konnte, und die Untersuchung nahm ihren Fortgang. Der nächste Artikel, der sich fand, war in Tuch eingewickelt und als man dieß öffnete, zeigte sich, daß es eines der mathematischen Instrumente war, wie sie damals die Seeleute hatten, mit den gewöhnlichen Zierrathen und Bändern von Metall. Wildtödter und Chingachgook legten ihre Bewunderung und Ueberraschung bei Auffindung des ihnen unbekannten Instruments an den Tag, welches glänzte und glitzerte, und allem Anschein nach sorglich behandelt war.

»Das geht über die Feldmesser hinaus, Judith,« rief Wildtödter, nachdem er das Instrument mehrmals in seinen Händen herumgedreht; »ich habe alle ihre Werkzeuge oft gesehen, und ruchlos und herzlos genug sind sie, denn sie kommen nie in den Wald, als nur um der Verwüstung und Zerstörung Bahn zu machen; aber keines von ihnen hat ein so kluges Aussehen wie dieses! Ich fürchte am Ende doch, Thomas Hutter hat sich in die Wildniß begeben, nicht mit den besten Absichten gegen ihr Glück. Habt Ihr je schon das Thun und Treiben eines Feldmessers an Eurem Vater gesehen, Mädchen?«

»Er ist kein Feldmesser, Wildtödter, kennt auch nicht den Gebrauch dieses Instruments, obgleich er dessen Besitzer zu seyn scheint. Meint Ihr, Thomas Hutter habe je diesen Rock getragen? Er ist eben so viel zu groß für ihn, als dieß Instrument über seine Kenntnisse ist.«

»Das ist’s – das muß seyn, Schlange; und der alte Camerad ist, auf irgend eine unbekannte Weise, der Erbe von eines Andern Habe geworden! Sie sagen, er sey ein Seemann gewesen, und ohne Zweifel – dieser Schrank und Alles was er enthält – Ha! was kommt da! das geht noch weit über das Metall und das schwarze Holz des Instruments!«

Wildtödter hatte einen kleinen Sack geöffnet, aus dem er nacheinander die Figuren eines Schachspiels herausholte. Sie waren von Elfenbein, weit größer als gewöhnlich, und köstlich gearbeitet. Jedes Stück stellte den Charakter oder die Sache dar, wornach es genannt ist; die Ritter (Springer) waren zu Pferde, die Thürme standen auf Elephanten, und selbst die Bauern hatten Köpfe und Büsten von Männern. Das Spiel war nicht vollständig, und einige Beschädigungen zeugten von unsorgfältiger Behandlung; aber Alles was noch übrig, war sorgfältig zurückgelegt und aufbewahrt. Selbst Judith drückte ihre Verwunderung aus, als man ihr diese neuen Gegenstände vorwies, und Chingachgook vergaß in seinem bewundernden Entzücken gänzlich seine indianische Würde. Er hob jedes Stück auf, prüfte es genau mit nimmer ermüdender Zufriedenheit, und machte das Mädchen auf die sinnreichsten und auffallendsten Theile der Arbeit aufmerksam. Die Elephanten aber machten ihm das größte Vergnügen. Die »Hughs!« die er hören ließ, als er mit den Fingern über ihre Rüssel und Ohren und Schwänze fuhr, waren sehr vernehmlich; auch entgingen seiner Aufmerksamkeit die als Bogenschützen bewaffneten Bauern nicht. Dieß Auskramen dauerte einige Minuten, während welcher Zeit Judith und der Indianer sich miteinander ganz in ihr Entzücken vertieften. Wildtödter saß schweigend, nachdenklich, und sogar düster da, obgleich seine Augen jede Bewegung der zwei Personen verfolgten, die hier die Hauptrolle spielten, und jede neue Eigenthümlichkeit an den einzelnen Stücken, so wie sie aufgehoben und vorgezeigt wurden, sich merkten. Kein Ausruf des Wohlgefallens, kein Wort des Beifalls kam über seine Lippen. Endlich bemerkten seine Genossen sein Schweigen, und jetzt zum erstenmal, seit der Auffindung der Schachfiguren, sprach er.

»Judith,« fragte er ernst, aber mit einer Theilnahme, die beinahe an Weichheit und Zärtlichkeit grenzte, »sprachen Eure Eltern je mit Euch von Religion?«

Das Mädchen erröthete, und die Purpurflammen, die über ihr schönes Angesicht liefen, glichen den seltsamen Tinten eines neapolitanischen Himmels im November. Wildtödter hatte ihr jedoch ein solches Wohlgefallen an der Wahrheit beigebracht, daß sie in ihrer Antwort nicht schwankte, sondern einfach und aufrichtig erwiederte:

»Meine Mutter, ja oft,« sagte sie, »mein Vater nie. Es kam mir vor, es mache meine Mutter bekümmert, von unsern Gebeten und Pflichten zu sprechen; aber mein Vater hat nie den Mund über solche Dinge aufgethan vor oder seit ihrem Tode.«

»Das kann ich glauben – das kann ich glauben. Er hat keinen Gott – keinen solchen Gott, wie es einem Menschen von weißer Haut zu verehren geziemt, oder auch einer Rothhaut. Die Dinge da sind Götzen!«

Judith fuhr auf, und einen Augenblick schien sie ernstlich gekränkt. Dann besann sie sich, und am Ende lachte sie.

»Und Ihr meint also, Wildtödter, diese elfenbeinernen Spielsachen seyen meines Vaters Götter? Ich habe schon von Götzen gehört, und weiß was sie sind.«

»Es sind Götzen!« wiederholte der Andere mit Bestimmtheit. »Warum sollte sie Euer Vater aufbewahren, wenn er sie nicht anbetet?«

»Würde er seine Götter in einem Sack haben, und in einem Schrank eingeschlossen? Nein, nein, Wildtödter, mein armer Vater hat seinen Gott bei sich, wohin er geht, und das ist seine eigene Sache. Diese Dinge da mögen wirklich Götzen seyn – ich glaube selbst, das sind sie, nach dem was ich von Götzendienerei gehört und gelesen habe, aber sie kommen aus einem fernen Lande, wie alle die andern Gegenstände und sind in Thomas Hutter’s Hände gekommen, als er Matrose war.«

»Das freut mich – das freut mich wahrhaft zu hören, Judith, denn ich glaube, ich hätte den Entschluß nicht aufgebracht, einem weißen Götzendiener aus seiner Noth zu helfen! Der alte Mann ist von meiner Farbe und Nation, und ich wünschte ihm zu dienen, aber verläugnete er alle seine Gaben im Punkte der Religion, so würde mich’s hart ankommen, das zu thun. Das Thier da scheint Euch große Freude zu machen, Schlange, obgleich es im besten Fall ein abgöttisches Haupt ist.«

»Es ist ein Elephant,« unterbrach ihn Judith. »Ich habe oft Abbildungen von solchen Thieren in der Garnison gesehen; und Mutter hatte ein Buch, worin Nachrichten von dem Geschöpfe gedruckt sind. Vater verbrannte das, sammt allen andern Büchern, denn er sagte, Mutter lese zu gern. Das war nicht lange, ehe die Mutter starb, und ich habe manchmal gedacht, der Verlust habe ihr Ende beschleunigt.«

Sie sagte dieß ebenso einerseits ohne Leichtsinn, als andrerseits ohne tieferes Gefühl. Ohne Leichtsinn, denn Judith war trüb gestimmt durch ihre Erinnerungen, und doch war sie zu sehr gewohnt gewesen, für sich allein und für die Befriedigung ihrer eiteln Neigungen zu leben, um ihrer Mutter Leiden sehr tief zu fühlen. Es bedurfte außerordentlicher Umstände, um ein geeignetes Bewußtseyn ihrer Lage zu erwecken, und die bessern Gefühle dieses schönen, aber mißleiteten Mädchens anzuspornen; und diese Umstände waren in ihrem kurzen Daseyn noch nicht eingetreten.

»Elephant oder nicht Elephant, es ist ein Götzenbild,« versetzte der Jäger, »und nicht geeignet, in christlichen Händen zu bleiben.«

»Gut für Irokesen!« sagte Chingachgook, mit Widerstreben sich von einem der Thürme trennend, als sein Freund ihn ihm abnahm, um ihn wieder in den Sack zu schieben, »Elephon einen ganzen Stamm erkaufen – beinahe Delawaren erkaufen!«

»Ja, das würde er, wie Jeder wissen muß, der die Natur der Rothhäute kennt,« versetzte Wildtödter; »aber der Mann, der falsches Geld in Umlauf setzt, Schlange, ist so schlimm, als der, der es münzt. Habt Ihr je von einem rechten Indianer gehört, der es nicht verschmähen würde, einen Iltiß für einen ächten Marder zu verkaufen, oder ein Stinkthier für einen Biber auszugeben? Ich weiß, daß wenige von diesen Götzenbildern, vielleicht Einer von diesen Elephanten Viel ausrichten würde, dem armen Thomas Hutter die Freiheit zu erkaufen, aber es läuft gegen das Gewissen, solches falsche Geld in Umlauf zu bringen. Vielleicht kein indianischer Stamm hier herum ist eigentlich götzendienerisch; aber einige kommen dem so nahe, daß weiße Gaben sich wohl hüten müssen, sie in ihrem Irrthum zu ermuthigen.«

»Wenn Götzendienerei eine Gabe ist, Wildtödter, und Gaben das sind, wofür Ihr sie zu halten scheint, so kann Götzendienerei bei solchen Leuten schwerlich Sünde seyn,« sagte Judith mit mehr Keckheit als Unterscheidungskraft.

»Gott verleiht Keinen von seinen Geschöpfen solche Gaben,« versetzte der Jäger ernsthaft. »Er muß angebetet werden, unter einem oder dem andern Namen, und nicht Kreaturen von Metall oder Elfenbein. Es ist gleichgültig, ob der Vater von Allen Gott genannt wird, oder Manitou, Gottheit oder Großer Geist, er ist nichtsdestoweniger unser gemeinsamer Herr und Schöpfer; auch trägt es nicht Viel aus, ob die Seelen der Gerechten in’s Paradies kommen, oder in die glücklichen Jagdreviere, da Er ja Jeden seinen Weg schicken kann, wie es seiner Gnade und Weisheit beliebt; aber es empört mein Blut, wenn ich menschliche Sterbliche so in Finsterniß und Wahn befangen sehe, daß sie Erde oder Holz, oder Knochen – Dinge von ihren eignen Händen geformt – zu bewegungslosen, sinnlosen Bildern gestalten, und dann vor ihnen niederfallen, und sie wie eine Gottheit anbeten!«

»Am Ende, Wildtödter, sind alle diese elfenbeinernen Figuren gar keine Götzenbilder. Ich erinnere mich jetzt einen der Officiere der Garnison gesehen zu haben mit einem Spiel: Fuchs und Gänse, in ähnlicher Weise verfertigt wie diese; und da ist etwas Hartes in Tuch eingewickelt, das vielleicht zu den Götzenbildern gehört.«

Wildtödter nahm das Päckchen, das ihm das Mädchen reichte, machte es auf, und fand darin das Schachbrett. Wie die Figuren war es groß, prächtig, und mit Ebenholz und Elfenbein eingelegt. Nachdem dieß Alles in Verbindung gebracht wurde, trat der Jäger, obwohl nicht ohne viele Bedenklichkeiten, allmälig Judiths Ansicht bei, und gab am Ende zu, die vermeintlichen Götzenbilder müßten wohl nur die seltsam geschnitzten Figuren eines unbekannten Spieles seyn. Judith besaß so viel Takt, ihren Sieg mit großer Mäßigung zu benutzen; auch spielte sie nie auch nur aufs entfernteste auf den komischen Irrthum ihres Freundes an.

Diese Entdeckung der Bestimmung der so seltsam aussehenden kleinen Figuren brachte die Angelegenheit des zu bietenden Lösegeldes in’s Reine. Es ward allgemein anerkannt – und alle waren mit dem Geschmack und den Schwächen der Indianer vertraut – daß Nichts ohne Zweifel die Habsucht der Irokesen mehr reizen würde, als namentlich die Elephanten. Zum Glück waren alle vier Thürme unter den vorhandenen Stücken, und es ward endlich beschlossen, diese vier thürmetragenden Thiere sollten das anzubietende Lösegeld ausmachen. Die übrigen Figuren, so wie auch alle andern Artikel in dem Schranke sollten versteckt gehalten, und nur im äußersten Nothfall zu Hülfe genommen werden. Sobald diese Präliminarien in’s Reine gebracht waren, wurde Alles, außer den zum Lösegeld bestimmten Artikeln sorgfältig wieder in den Schrank gepackt, und alle Bedeckungen wurden wieder hineingesteppt, wie man sie gefunden; und es war ganz wohl möglich, daß, wenn Hutter wieder in den Besitz des Castells gesetzt werden konnte, er darin den übrigen Rest seiner Tage verlebte, ohne auch nur den Eingriff zu argwohnen, den man sich an dem Geheimniß des Schranks erlaubt hatte. Die zersprungene Pistole hätte am ehesten das Geheimniß verrathen können, aber diese ward neben die ihr entsprechende hingelegt, und Alles ward zusammengedrückt, wie es zuvor gewesen; ein halb Dutzend Päcke unten auf dem Boden des Schranks waren gar nicht geöffnet worden. Nachdem dieß geschehen, wurde der Deckel herabgesenkt, die Schlösser wieder vorgelegt, und der Schlüssel umgedreht. Dieser wurde dann wieder in die Tasche gesteckt, aus der man ihn herausgenommen. Mehr als eine Stunde verging, bis man sich über das nun einzuschlagende Verfahren vereinigt und Alles wieder an seinen Ort gebracht hatte. Die Pausen, während deren man sich besprach, waren häufig; und Judith, die ein lebhaftes Wohlgefallen an der offenen, unverhehlten Bewunderung hatte, womit Wildtödters ehrliches Auge in ihr schönes Antlitz schaute, fand mit einer Gewandtheit, die der weiblichen Koketterie angeboren scheint, Mittel, die Unterhaltung zu verlängern. Wildtödter schien in der That der Erste zu seyn, dem es einfiel, wie viel Zeit man so vergeude, und der die Aufmerksamkeit seiner Genossen auf die Nothwendigkeit hinlenkte, Etwas zu thun, um den Auslösungsplan in Ausführung zu bringen. Chingachgook war in Hutter’s Schlafzimmer geblieben, wohin man die Elephanten gebracht hatte, um sein Auge an den Bildern so wunderbarer und so neuer Thiere zu weiden. Vielleicht sagte ihm ein instinktmaßiges Gefühl, seine Gegenwart würde seinen Genossen nicht so erwünscht seyn, als wenn er sich entfernt halte; denn Judith beobachtete nicht viel Zurückhaltung in der Kundgebung ihrer Vorliebe, und der Delaware hatte es nicht bis zur Verlobung gebracht, ohne sich auch einige Kenntnisse der Symptome der ›großen Leidenschaft‹ zu erwerben.

»Nun, Judith,« sagte Wildtödter aufstehend, nachdem die Besprechung weit länger gedauert hatte, als er selbst ahnte; »es ist angenehm, mit Euch zu plaudern und alle diese Dinge ins Reine zu bringen, aber die Pflicht ruft uns anders wohin. Diese ganze Zeit her sind Hurry und Euer Vater, Nichts zu sagen von Hetty –«

Dieß Wort ward dem Redenden im Mund abgeschnitten, denn in diesem entscheidenden Augenblick hörte man einen leichten Schritt auf der Plattform oder dem Thorhof, eine menschliche Gestalt beschattete die Thüre – und die zuletzt genannte Person stand vor ihm. Der leise Ausruf, welcher Wildtödtern entschlüpfte, und Judiths schwaches Kreischen waren kaum über ihre Lippen, als ein indianischer Jüngling, zwischen fünfzehn und siebzehn Jahren, neben ihr stand. Das Eintreten dieser Beiden war, da sie Mokkassins an den Füßen hatten, fast ohne alles Geräusch erfolgt; aber so unerwartet und verstohlen sie sich jetzt näherten, vermochten sie doch Wildtödters Selbstbeherrschung nicht zu erschüttern. Sein Erstes war, daß er schnell auf delawarisch zu seinem Freunde sprach und ihn warnte, sich versteckt zu halten und auf der Hut zu seyn; das Nächste, daß er an die Thür trat, um sich von dem Umfang der Gefahr zu vergewissern. Niemand sonst jedoch war gekommen; und ein einfaches Fahrzeug, in Gestalt eines Floßes, das neben der Arche schwamm, erklärte sofort, auf welche Art Hetty herangekommen. Zwei gefallene und trockne, und daher schwimmende Tannenstämme waren zusammengebunden mit Pflöcken und Weiden, und eine kleine Plattform von Flußkastanienholz war kunstlos darauf angebracht. Hier hatte Hetty auf einem Holzscheit gesessen, während der junge Irokese das rohe und schwerbewegliche, aber vollkommen sichere Fahrzeug von der Küste hieher ruderte. Sobald Wildtödter diesen Floß genau ins Auge gefaßt und sich versichert hatte, daß sonst Nichts in der Nähe war, schüttelte er den Kopf und murmelte in seiner Art, mit sich selbst zu reden:

»Das kommt dabei heraus, wenn man in andrer Leute Schränken wühlt! Wären wir aufmerksam und wachsam gewesen, so hätte nie eine solche Überraschung stattfinden können: und daß uns diesen Streich ein Knabe spielt, zeigt uns, was wir zu erwarten haben, wenn die alten Krieger selbst sich recht daran machen, ihre Tücken auszuführen. Indeß, es bahnt uns den Weg zu einer Unterhandlung über das Lösegeld, und ich will hören, was Hetty zu sagen hat.«

Judith zeigte, sobald ihre Ueberraschung und ihr Schrecken ein wenig sich gelegt hatten, eine geziemende, zärtliche Freude über die Rückkunft ihrer Schwester. Sie drückte sie an ihre Brust und küßte sie, wie ihre Gewohnheit gewesen in den Tagen ihrer Kindheit und Unschuld. Hetty selbst war weniger ergriffen; denn für sie gab es keine Ueberraschung, und ihre Nerven waren gestählt durch die Reinheit und Heiligkeit ihres Bestrebens. Auf ihrer Schwester Bitte setzte sie sich, und begann eine Erzählung ihrer Abenteuer, seit sie sich getrennt hatten. Ihre Erzählung fing gerade an, als Wildtödter zurückkehrte, und auch er wurde ein aufmerksamer Zuhörer, während der junge Irokese nahe an der Thüre stand, anscheinend so gleichgültig gegen Alles was vorging, wie einer ihrer Pfosten.

Die Erzählung des Mädchens war klar genug, bis sie zu dem Zeitpunkt gelangte, wo wir sie in dem Lager verließen, nach der Besprechung mit den Häuptlingen und bis zu dem Augenblick, wo Hist sie so plötzlich verließ, wie oben angegeben. Die weitere Geschichte mag in ihren eignen Worten folgen:

»Als ich den Häuptlingen die Texte las, Judith, da hättest Du wohl nicht bemerkt, daß sie irgend eine Veränderung in ihren Gemüthern hervorbrachten,« sagte sie; »aber wenn der Samen ausgestreut ist, so wird er auch wachsen. Gott hat den Samen aller Bäume gepflanzt –«

»Ja, das hat er, das hat er,« murmelte Wildtödter, »und ein schöner Ertrag ist gefolgt.«

»Gott hat den Samen aller Bäume gepflanzt,« fuhr Hetty nach einer augenblicklichen Pause fort, »und Ihr seht, zu welcher Höhe, zu welchem Schatten sie emporgewachsen sind! So ist es mit der Bibel. Ihr könnt dieß Jahr einen Vers lesen, und ihn vergessen, und ein Jahr später kommt er Euch wieder in den Sinn, wenn Ihr am wenigsten daran denkt, Euch seiner wieder zu erinnern.«

»Und hast Du etwas der Art unter den Wilden gefunden, arme Hetty?«

»Ja, Judith, und eher und reichlicher als ich je gehofft hätte. Ich blieb nicht lange bei Vater und Hurry, sondern ging, mit Hist mein Frühstück einzunehmen. Sobald wir damit fertig waren, kamen die Häuptlinge zu uns, und da erkannten wir die Früchte des ausgestreuten Samens. Sie sagten, was ich aus dem guten Buche gelesen, sey recht – es müsse recht seyn – es laute recht wie ein holder Vogel, der ihnen ins Ohr singe; und sie hießen mich zurückkehren, und dieß dem großen Krieger sagen, der Einen ihrer Tapfern getödtet, und es Dir erzählen, und auch sagen, wie glücklich sie sich schätzen würden, hier im Castell zur Kirche zu kommen, oder auch draußen in der Sonne, und mich Mehr lesen zu hören aus dem heiligen Buche – und hießen mich Euch sagen, sie wünschten, daß Ihr ihnen einige Canoe’s leihet, damit sie Vater und Hurry, und auch ihre Weiber zu dem Castell herüberführen könnten, daß wir Alle dort auf der Plattform säßen, und horchten dem Gesange des Manitou der Bleichgesichter. Nun, Judith, hast Du je Etwas gehört, was so offenkundig die Macht der Bibel zeigt, wie dieß?«

»Wenn es wahr wäre, so wäre es allerdings ein Wunder, Hetty. Aber dieß Alles ist Nichts als indianische Schlauheit und Verrätherei, die uns durch List zu überwinden suchen, wenn sie finden, daß es mit Gewalt nicht geht.«

»Zweifelst Du an der Bibel, Schwester, daß Du die Wilden so hart beurtheilst?«

»Ich zweifle nicht an der Bibel, arme Hetty, aber ich zweifle sehr an einem Indianer und einem Irokesen. Was sagt Ihr zu diesem Besuch, Wildtödter?«

»Erst laßt mich ein Wenig mit Hetty sprechen,« versetzte der Befragte; »ward dieser Floß gefertigt, nachdem Ihr Euer Frühstück eingenommen, Mädchen? und begabet Ihr Euch von dem Lager nach der uns gegenüberliegenden Küste hier?«

»Oh! nein, Wildtödter. Der Floß war bereit und im Wasser – konnte das durch ein Wunder geschehen seyn, Judith?«

»Ja – ja – ein indianisches Wunder,« versetzte der Jäger. »Sie sind erfahren genug in dieser Art von Wundern. Und Ihr fandet den Floß ganz bereit vor Euch, und im Wasser, und Eurer wartend, als seiner Ladung?«

»Alles so wie Ihr sagt. Der Floß war nahe beim Lager, und die Indianer setzten mich darauf, und hatten Schiffstaue, und zogen mich an den Platz gegenüber dem Castell, und dann hießen sie diesen jungen Mann mich herüber rudern.«

»Und die Wälder sind voll von den Vagabunden, die nur warten, um zu erfahren, was das Ende von dem Mirakel seyn werde. Wir begreifen jetzt diesen Handel, Judith, und ich will nur erst diesen jungen canadischen Blutsauger abfertigen, dann wollen wir über unser Verfahren uns besprechen. Laßt Ihr und Hetty uns allein mit einander, zuvor aber bringt mir die Elephanten, welche Schlange bewundert; denn es wird nicht gut thun, diesen lauernden Burschen nur eine Minute allein zu lassen, oder er entlehnt ein Canoe, ohne zu fragen.«

Judith that nach seinem Verlangen, brachte zuerst die Figuren und entfernte sich dann mit ihrer Schwester in ihr Gemach. Wildtödter hatte sich einige Bekanntschaft mit den meisten indianischen Dialekten der Gegend erworben, und verstand Irokesisch genug, um ein Gespräch in dieser Sprache zu führen. Er winkte daher dem Burschen und hieß ihn auf den Schrank sitzen, worauf er plötzlich zwei von den Thürmen vor ihn hinstellte. Bis zu diesem Augenblick hatte der junge Wilde durch keine Miene eine innere Bewegung oder ein Wohlgefallen verrathen. Es waren viele Sachen in dem Gemach und draußen, die ihm neu seyn mußten, aber er hatte seine Selbstbeherrschung mit stoischer Fassung behauptet. Zwar hatte Wildtödter bemerkt, wie sein dunkles Auge die Vertheidigungsanstalten und Waffen musterte, aber diese Musterung war mit so unschuldiger Miene in einer so kindischen, faulen, gaffenden Art angestellt worden, daß Niemand als ein Mann, der selbst eine ähnliche Schule durchlaufen, seine Absicht auch nur von ferne hätte argwohnen können. In dem Augenblick aber, wo das Auge des Wilden auf das schöngearbeitete Elfenbein und auf die Figuren der wunderbaren unbekannten Thiere fiel, überwältigten ihn Ueberraschung und Bewunderung. Das Benehmen der Bewohner der Südseeinseln, als sie zuerst die Spielereien des civilisirten Lebens erblickten, ist oft geschildert worden; aber der Leser darf dieß nicht verwechseln mit dem Benehmen eines amerikanischen Indianers unter denselben Verhältnissen. Im vorliegenden Falle entfuhr dem jungen Irokesen oder Huronen ein Ausruf des Entzückens; dann aber nahm er sich sogleich zusammen, wie Einer, der sich einer Verletzung der Schicklichkeit schuldig gemacht. Dann hörten seine Augen auf, umher zu schweifen, und hefteten sich auf die Elephanten, von denen er nach kurzem Bedenken einen sogar mit der Hand zu betasten wagte. Wildtödter störte ihn volle zehn Minuten lang gar nicht, wohl wissend, daß der Junge die Merkwürdigkeiten sich so genau merken würde, daß er bei seiner Rückkehr den ältern Indianern die genaueste und ins Einzelnste gehende Beschreibung davon würde machen können. Nachdem der Jäger dachte, er habe ihm jetzt Zeit genug gelassen, sich Alles so genau einzuprägen, berührte er mit dem Finger das nackte Knie des Jünglings und nahm selbst dessen Aufmerksamkeit in Anspruch.

»Hört mich,« sagte er; »ich möchte mit meinem jungen Freund aus den Canadas sprechen. Vergesse er seiner Verwunderung für eine Minute.«

»Wo ist der andere weiße Bruder?« fragte der Junge aufschauend und unwillkührlich entschlüpfte so seinem Munde der Gedanke, der am meisten seine Seele beschäftigt hatte vor der Vorzeigung der Schlachtfiguren.

»Er schläft – oder wenn er nicht eigentlich schläft, so ist er doch in dem Gemach, wo die Männer schlafen,« antwortete Wildtödter. »Woher weiß mein junger Freund, daß noch Einer da ist?«

»Ihn gesehen von der Küste aus, Irokesen lange Augen haben – über die Wolken hinaus sehen – den Grund der großen Quelle sehen!« »Gut, die Irokesen sind willkommen. Zwei Bleichgesichter sind Gefangene im Lager Eurer Väter, Knabe.«

Der Bursche nickte, und behandelte den Umstand anscheinend mit großer Gleichgültigkeit; obwohl er einen Augenblick darauf lachte, wie frohlockend über die überlegene Gewandtheit seines Stammes.

»Könnt Ihr mir sagen, Knabe, was Eure Häuptlinge mit diesen Gefangenen zu thun beabsichtigen; oder sind sie deßhalb noch nicht entschlossen?«

Der Bursche schaute einen Augenblick den Jäger mit einiger Ueberraschung an, dann setzte er kaltblütig die Spitze seines Zeigefingers an seinen Kopf, gerade über dem linken Ohr, und fuhr damit rund um den Schädel, mit einer Sicherheit und Genauigkeit, welche zeigte, wie gut er in der eigenthümlichen Kunst seines Volkes eingeschult seyn müsse.

»Wann?« fragte Wildtödter, dessen Galle schwoll, bei dieser kaltblütig zur Schau gestellten Gleichgültigkeit gegen Menschenleben. »Und warum nicht sie in Eure Wigwams mitnehmen?«

»Weg zu weit, und voll von Bleichgesichtern. Wigwam voll und Skalpe theuer zu verkaufen, kleiner Skalp, viel Gold.«

»Gut, das erklärt es – ja, das erklärt es. Es ist nicht nöthig deutlicher zu sprechen. Nun wißt Ihr, Bursche, daß der Aeltere von Euren Gefangenen der Vater von diesen zwei jungen Mädchen ist, und der Andere ist der Liebhaber der Einen. Die Mädchen wünschen natürlich, die Skalpe von so nahen Freunden zu retten, und sie wollen ihnen zwei elfenbeinerne Creaturen als Lösegeld geben, eine für jeden Skalp. Geht zurück und sagt das Euern Häuptlingen, und bringt mir die Antwort, ehe die Sonne untergeht.«

Der Knabe ging mit Eifer in diesen Vorschlag ein, und mit einer Aufrichtigkeit, die keinen Zweifel übrig ließ, daß er seinen Auftrag mit Einsicht und rasch ausführen werde. Einen Augenblick vergaß er seine Ehrliebe und alle seine Stammesfeindseligkeit gegen die Britten und ihre Indianer, in seinem Wunsche, einen solchen Schatz im Besitz seines Volkes zu wissen, und Wildtödter war mit dem Eindruck, den die Sache auf den Knaben gemacht, zufrieden. Zwar schlug der Junge vor, er wolle einen der Elephanten mit sich nehmen als Probe vom Andern, aber darein zu willigen, war sein Bruder Unterhändler zu scharfblickend, da er wohl wußte, daß derselbe, solchen Händen anvertraut, nie an den Ort seiner Bestimmung gelangen würde. Diese kleine Schwierigkeit war bald ausgeglichen, und dann schickte sich der Knabe zur Abfahrt an. Als er auf der Plattform stand, bereit auf den Floß zu steigen, besann er sich und kehrte sich plötzlich um, mit dem Vorschlag, man möchte ihm ein Canoe leihen, als ein Mittel, die Unterhandlung voraussichtlich bedeutend abzukürzen. Wildtödter schlug das Verlangen ruhig ab, und nach einigem weitern Zögern ruderte der Knabe langsam von dem Castell weg, seine Richtung nach einem Dickicht an der Küste zu nehmend, das weniger als eine halbe Meile entfernt war. Wildtödter setzte sich auf einen Stuhl und beobachtete die Fahrt des Botschafters; manchmal genau die ganze Linie der Küste, so weit das Auge reichte, musternd und dann einen Ellbogen auf ein Knie stemmend, das Kinn auf die Hand gestützt, blieb er so lange Zeit sitzen.

Während der Unterredung zwischen Wildtödter und dem Jungen, fiel im anstoßenden Gemach eine Scene andrer Art vor. Hetty hatte nach dem Delawaren gefragt, und als sie erfahren, warum und wo er sich verborgen halte, begab sie sich zu ihm. Der Empfang, welchen dieser Besuch bei Chingachgook fand, war freundlich und achtungsvoll. Er verstand ihren Charakter und ihr Wesen, und ohne Zweifel ward seine Geneigtheit, einem solchen Geschöpf freundlich zu begegnen, noch gesteigert durch die Hoffnung, Nachrichten von seiner Verlobten zu erhalten. Sobald das Mädchen eingetreten war, nahm sie einen Sitz und lud den Indianer ein, sich neben sie zu setzen, blieb aber dann stumm, als hielte sie für schicklich, daß er sie befrage, ehe sie sich entschlöße von dem Gegenstande zu sprechen, den sie auf dem Herzen hatte. Aber da Chingachgook dieß Gefühl nicht verstand, erwartete er in achtungsvoller Aufmerksamkeit und schweigend, was sie ihm mitzutheilen belieben möchte.

»Ihr seyd Chingachgook, die Große Schlange der Delawaren, nicht so?« begann endlich das Mädchen in ihrer einfachen Weise, ihre Selbstbeherrschung verlierend über dem Verlangen, weiter zu kommen, aber ängstlich bedacht, sich doch zuvor der Person recht zu versichern.

»Chingachgook,« versetzte der Delaware mit ernster Würde, »Das bedeuten Große Schlange in Wildtödters Sprache.«

»Gut, das ist meine Sprache. Wildtödter, und Vater, und Judith, und ich und der arme Hurry Harry – kennt Ihr Henry March, Große Schlange? – Doch ich weiß, Ihr kennt ihn nicht, sonst hätte auch er schon von Euch gesprochen.«

»Hat eine Zunge Chingachgook genannt, schmachtende Lilie?« denn so hatte der Häuptling die arme Hetty benannt. »Ward sein Name gesungen von einem kleinen Vogel unter den Irokesen?«

Hetty antwortete zuerst nicht; aber mit jenem nicht zu beschreibenden Gefühl, welches Sympathie und Verständniß erweckt unter den Jugendlichen und in der Welt Unerfahrenen ihres Geschlechts, ließ sie ihr Haupt hängen, und das Blut schoß ihr in die Wangen, ehe sie die Sprache wieder fand. Es würde über ihren Antheil von Verstand hinausgegangen seyn, diese Verlegenheit zu erklären; aber obwohl die arme Hetty nicht bei jedem vorkommenden Fall geordnet denken konnte, konnte sie doch immer fühlen. Die Röthe trat allmälig wieder aus ihren Wangen zurück, und das Mädchen schaute den Indianer schelmisch an, lächelnd mit der Unschuld eines Kindes, worein sich denn doch das Interesse des Weibes mischte. »Meine Schwester, die schmachtende Lilie, solchen Vogel hören!« fuhr Chingachgook fort, und das mit einer milden Freundlichkeit in Ton und Benehmen, die Solche würde in Erstaunen gesetzt haben, welche manchmal die unharmonischen, oft aus derselben Kehle kommenden schreienden Töne gehört hätten; aber solche Uebergänge von dem rauhen und Gurgel-Ton, zum sanften und melodischen sind nicht selten auch bei gewöhnlichen Gesprächen von Indianern: »Meiner Schwester Ohr offen gewesen – hat sie ihre Zunge verloren?«

»Ihr seyd Chingachgook– Ihr müßt es seyn; denn es ist kein andrer rother Mann da, und sie erwartete, daß Chingachgook kommen würde.«

»Chin–gach–gook,« so sprach er den Namen langsam aus und verweilte bei jeder Sylbe. »Große Schlange, Yengeese Sprache.«

»Chin–gach–gook,« wiederholte Hetty ebenso langsam und bedächtlich. »Ja, so nannte ihn Hist, und Ihr müßt der Häuptling seyn.«

»Wah-ta!-Wah,« rief der Delaware.

»Wah-ta!-Wah, oder Hist-oh!-Hist! Mir klingt Hist hübscher als Wah, und so nenne ich sie Hist.«

»Wah! sehr süß in Delawaren Ohren!«

»Ihr sprecht es aus, daß es anders klingt als bei mir. Aber einerlei; ich habe den Vogel singen hören, von dem Ihr sprecht, Große Schlange!«

»Will meine Schwester sagen Worte des Gesangs? – Was sie am meisten singen? – wie aussehen – sie oft lachen?«

»Sie sang Chin–gach–gook öfter als irgend sonst Etwas; und sie lachte herzlich, als ich ihr erzählte, wie die Irokesen uns im Wasser nachwateten, und uns nicht erreichen konnten. Ich hoffe, diese Stämme haben keine Ohren, Schlange!«

»Fürchtet die Stämme nicht; fürchtet Schwester nächstes Gemach. Nicht fürchten Irokesen; Wildtödter ihm Augen und Ohren stopfen mit seltsamem Gethier.« »Ich verstehe Euch, Schlange, und ich verstand Hist. Manchmal meine ich, ich sey nicht halb so schwachsinnig, als sie sagen, daß ich bin. Jetzt schaut hinauf zur Decke, so will ich Euch Alles sagen. Aber Ihr macht mir bange, Ihr schaut mich so wild an, wenn ich von Hist spreche.«

Der Indianer suchte seinen Mienen und Blicken einen sanftern Ausdruck zu geben, um des Mädchens treuherzigem Verlangen zu genügen.

»Hist trug mir auf, in sehr leisem Tone Euch zu sagen, Ihr dürfet den Irokesen in Nichts trauen. Sie sind tückischer als alle Indianer, die sie kennt. Dann sagt sie, es sey ein großer, glänzender Stern, der über den Hügel hervortritt etwa eine Stunde nach Anbruch des Dunkels – (Hist hatte den Planeten Venus bezeichnet, ohne es zu wissen,) – und genau, wann dieser Stern sichtbar wird, will sie auf dem Landvorsprung seyn, wo ich gestern Nacht gelandet habe, und Ihr sollet sie in einem Canoe abholen.«

»Gut – Chingachgook jetzt gut genug Verstehen; aber er versteht noch besser, wenn meine Schwester ihm noch einmal singt.«

Hetty wiederholte ihre Worte, erklärte noch umständlicher, welcher Stern gemeint sey, und bezeichnete den Punkt des Vorsprungs, wo er ans Land kommen sollte. Jetzt erzählte sie weiter in ihrer ungekünstelten, arglosen Art ihre Begegnung mit dem indianischen Mädchen, und wiederholte mehrere ihrer Ausdrücke und Meinungen, welche das Herz ihres Verlobten sehr entzückten. Besonders schärfte sie wiederholt ihre Warnungen ein, vor Verrätherei auf der Hut zu seyn; Warnungen, die jedoch kaum nöthig waren bei Männern, die so schlau wie die, welchen sie galten. Auch setzte sie mit genügender Klarheit – denn bei allen solchen Gegenständen versagte dem Mädchen ihr Verstand selten – die gegenwärtige Stellung des Feindes, und seine Bewegungen seit dem Morgen auseinander. Hist war mit ihr auf dem Fluß gewesen, bis es von der Küste abstieß; sie befand sich jetzt irgendwo in den Wäldern gegenüber dem Castell, und gedachte nicht in das Lager zurückzukehren, als bis gegen die Nacht; dann hoffte sie im Stande zu seyn, sich von ihren Genossinnen wegzustehlen, während sie der Küste entlang heimzögen, und sich auf dem Landvorsprung zu verbergen. Niemand schien die Anwesenheit Chingachgooks zu ahnen, obgleich man nothwendig wußte, daß in der vorigen Nacht ein Indianer in die Arche war aufgenommen worden, und man Verdacht hegte, er habe sich seither in und außer der Arche in der Tracht eines Bleichgesichts gezeigt. Doch herrschte in Betreff des letztern Punktes noch einiger Zweifel; denn da dieß die Jahrszeit war, wo man die Ankunft weißer Männer erwarten konnte, herrschte einige Besorgniß, die Besatzung des Castells möchte sich auf diesem ordentlichen Wege verstärken. All dieß hatte Hist der Hetty mitgetheilt, während die Indianer sie an der Küste hinzogen und die über sechs Meilen betragende Entfernung hatte dazu Zeit genug vergönnt.

»Hist weiß selbst nicht, ob sie gegen sie Verdacht haben oder nicht, oder ob sie gegen Euch Verdacht haben; aber sie hofft, daß keines von beiden der Fall ist. Und jetzt, Schlange, nachdem ich Euch so Viel von Eurer Verlobten gesagt,« fuhr Hetty fort, halb unbewußt eine Hand des Indianers ergreifend, und mit den Fingern spielend, wie oft ein Kind bei seinen Eltern thut; »müßt Ihr Euch Etwas von mir selbst sagen lassen. Wenn Ihr Hist heirathet. müßt Ihr gütig und freundlich gegen sie seyn, und gegen sie lächeln, wie Ihr jetzt gegen mich thut; und nicht sauer und finster sehen, wie einige Häuptlinge mit ihren Weibern thun. Wollt Ihr mir das versprechen?«

»Immer gut mit Wah! – zu zart, um hart zu zwirnen – sonst sie brechen.« »Ja, und auch lächeln; Ihr wißt nicht, wie sehr ein Mädchen nach Lächeln schmachtet von denen, die sie lieb hat. Vater lächelte mir kaum Einmal zu, wie ich dort bei ihm war – und Hurry – ja – Hurry schwatzte laut und lachte; aber ich glaube, er lächelte nicht Einmal, Ihr kennt den Unterschied zwischen Lächeln und Lachen?«

»Lachen das Beste! Hört Wah! lachen; denkt, Vogel singe.«

»Ich weiß das; ihr Lachen ist lieblich; aber Ihr müßt lächeln. Und dann, Schlange, müßt Ihr sie nicht Lasten schleppen und schwer auf dem Feld mit der Hacke arbeiten lassen, wie so viele Indianer thun, sondern sie mehr so wie die Bleichgesichter ihre Weiber behandeln.«

»Wah-ta!-Wah nicht Bleichgesicht – hat rothe Haut, rothes Herz, rothe Gefühle. Alles roth; kein Bleichgesicht. Muß kleine Schreier tragen.«

»Jedes Weib trägt gern ihr Kind,« sagte Hetty lächelnd, »und das ist nichts Arges. Aber Ihr müßt Hist lieben, und sanft und gut gegen sie seyn; denn sie ist selbst sanft und gut.«

Chingachgook neigte sich ernst, und dann schien er der Meinung, dieser Gegenstand könnte nunmehr verlassen werden. Ehe Hetty Zeit hatte, ihre Mittheilungen noch einmal zusammenzufassen, hörte man im äußern Gemach Wildtödters Stimme, der seinem Freunde rief. Der Indianer stand auf, dieser Aufforderung Folge zu leisten, und Hetty begab sich zu ihrer Schwester.

Vierzehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

»Solch seltsam Thier,« der Eine schrie –
»Lebte noch unter der Sonne nie;
Eidechsenleib, so schmal und lang,
Fischkopf, die Zunge von der Schlang‘,
Der Fuß mit drei gespaltnen Klau’n,
Und welch‘ ein Schwanz ist hinten zu schau’n!»
Merrick.

Das Erste, was der Delaware that, als er bei seinem Freund angekommen, war, daß er sich ganz ernsthaft daran machte, seines civilisirten Anzugs sich zu entledigen, um wieder als indianischer Krieger dazustehen. Auf die Vorstellungen Wildtödters dagegen theilte er ihm den Umstand mit, daß die Anwesenheit eines Indianers in der Hütte den Irokesen bekannt sey, und daß seine Beibehaltung der Vermummung wohl eher Verdacht in Bezug auf seine wirkliche Absicht erwecken würde, als wenn er offen als Glied eines feindlichen Stammes auftrete. Als Wildtödter den Sachverhalt erfuhr und vernahm, er habe sich getäuscht in der Voraussetzung, daß der Häuptling wirklich ganz unbemerkt in die Arche sey aufgenommen worden, willigte er mit Freuden in die Umwandlung, da weitere Versuche, die Sache zu verheimlichen, fruchtlos waren. Ein andrer Beweggrund jedoch, als er vorgab, ein gemüthlicher, hatte den Wunsch des Indianers veranlaßt, sich als Sohn des Waldes zu zeigen. Er hatte gehört, daß Hist auf der gegenüber liegenden Küste weile; und die Natur triumphirte so weit über alle Unterschiede der Sitten, des Stammes und Volkes, daß sie diesem jungen Krieger ganz dasselbe Gefühl einflößte, das man unter ähnlichen Verhältnissen bei dem verfeinerten Stadtbewohner würde gefunden haben. Er fand eine milde Genugthuung in dem Bewußtseyn, daß die Geliebte ihn sehen könne; und wie er auf die Plattform hinausschritt in seiner ärmlichen Landestracht, ein Apollo der Wildniß, da erfüllten hundert jener zärtlichen Phantasien, welche Liebenden durch den Kopf gehen, seine Einbildungskraft und stimmten sein Herz weich.

Alles dieß war an Wildtödter verloren, der kein großer Adept in den Mysterien Cupido’s war, und dessen Seele weit mehr sich beschäftigte mit den Sorgen, die sich seiner Beachtung aufdrangen, als mit eiteln, müßigen Liebesphantasien. Er rief daher seinen Genossen bald zur Erwägung ihrer dermaligen Lage zurück, indem er ihn zu einer Art von Kriegsrath lud, worin sie ihr künftiges Verfahren festsetzen wollten. In der nun folgenden Unterredung theilten Beide einander mit, was Jeder bei seiner Besprechung erfahren hatte, Chingachgook erfuhr die Geschichte der Unterhandlung über das Lösegeld, und Wildtödter vernahm alle Eröffnungen Hetty’s. Der Letztere hörte mit großmüthiger Theilnahme von seines Freundes Hoffnungen und versprach mit Freuden, ihm nach Kräften seinen Beistand zu leihen.

»Es ist unser Hauptvorhaben, Schlange, wie Ihr wißt; diese Schlägerei um das Castell und des alten Hutter’s Töchter ist nur so zufällig dazwischen gekommen. Ja – ja – ich will mich thätig zeigen, der kleinen Hist zu helfen, die nicht nur eines der besten und schönsten Mädchen des Stammes ist, sondern wirklich das allerbeste und schönste. Ich habe Euch immer ermuthigt, Häuptling, bei dieser Neigung; und es ist auch geziemend, daß ein großer und alter Stamm wie der Eurige nicht aussterbe. Wenn ein Mädchen von rother Haut und rothen Gaben mir so nahe kommen könnte, daß ich sie mir zum Weib wünschte, so würde ich mir eben eine Solche suchen: aber das kann nie seyn – nein, das kann nie seyn. Ich bin jedoch froh, daß Hetty auf Hist gestoßen ist, denn wenn die Erstere etwas zu Wenig Witz und Verstand besitzt, so hat die Letztere genug für Beide. Ja, Schlange,« und er lachte herzlich, »nehmt sie zusammen, und zwei flottere Mädchen sind nicht zu finden in der ganzen Colonie York.«

»Ich will ins Lager der Irokesen gehen,« versetzte der Delaware ernst. »Niemand kennt Chingachgook, außer Wah! und ein Vertrag um Leben und Skalpe sollte von einem Häuptling abgeschlossen werden. Gebt mir die fremden Bestien und laßt mich ein Canoe nehmen.«

Wildtödter senkte den Kopf und spielte mit dem Ende einer Fischstange im Wasser, während er da saß und seine Füße über den Rand der Plattform hinaus bammeln ließ, wie Einer, der durch eine plötzlich gekommene neue Idee in Gedanken versunken ist. Statt geradezu auf den Vorschlag seines Freundes zu antworten, begann er mit sich selbst zu sprechen; wodurch jedoch seine Worte in keiner Weise an Wahrheit gewinnen konnten, da er sich dadurch auszeichnete, daß er immer sagte, was er dachte, mochte er nun seine Rede an sich selbst oder an einen Andern richten.

»Ja – ja,« sagte er, »das »muß seyn, was man Liebe nennt! Ich habe manchmal gehört, daß sie die Vernunft ganz umwirft und einen jungen Mann, was Berechnung und Vorsicht anlangt, so hülflos macht, wie ein sinnloses Thier. Denken müssen, daß Schlange so ganz Vernunft, Schlauheit und Weisheit verloren! Sicherlich müssen wir es zu Stande bringen, daß Hist frei wird, und sie verheirathen, sobald wir zu dem Stamme zurück sind, sonst wird dieser Krieg dem Häuptling so Wenig nützen, als eine etwas ungewöhnliche und außerordentliche Jagd, Ja – ja – er wird nie wieder der Mann seyn, der er war, bis er diese Sache aus dem Kopfe hat, und er wieder zu seinen Sinnen kommt, wie alle übrigen Menschenkinder. Schlange, es kann Euch nicht Ernst seyn, und daher will ich nur Wenig auf Euer Anerbieten sagen. Aber Ihr seyd ein Häuptling, und werdet bald auf den Kriegspfad gesendet werden an der Spitze von Truppen, und ich will Euch nur die Frage vorlegen, ob Ihr gesonnen seyd, Eure Mannschaft dem Feind in die Hände zu liefern, ehe die Schlacht gekämpft ist?«

»Wah!« rief der Indianer hastig.

»Ja – Wah ! ich weiß ganz gut, es ist Wah! und ganz und gar Wah! In der That, Schlange, ich bin um Euch besorgt und betrübt! Ich hörte nie einen so schwachen Gedanken aus dem Mund eines Häuptlings und dazu Eines, der schon einen Namen wegen seiner Weisheit hat, so jung und unerfahren er ist. Ein Canoe bekommt Ihr nicht, so lange die Stimme der Freundschaft und Warnung noch Etwas gilt.«

»Mein Bleichgesichtfreund hat Recht. Eine Wolke kam über Chingachgooks Angesicht und Schwäche schlich sich in seine Seele, während sein Auge trüb war. Mein Bruder hat ein gutes Gedächtniß für gute Thaten, und ein schlechtes für schlechte. Er wird vergessen.« »Ja, das ist leicht gethan. Sagt Nichts weiter davon, Häuptling; aber wenn wieder eine von diesen Wolken Euch nahe kommen will, thut Euer Möglichstes, ihr aus dem Wege zu gehen. Wolken sind schlimm genug bei der Witterung; aber wenn sie über die Vernunft herziehen, dann wird die Sache ernsthaft. Jetzt setzt Euch zu mir her, und laßt uns ein Wenig unser Verfahren überlegen, denn wir müssen bald einen Waffenstillstand oder Frieden haben, sonst kommt es zu einem wirklichen, blutigen Krieg. Ihr seht, die Vagabunden wissen Baumstämme zu benutzen, so gut wie die besten Flößer auf den Flüssen: und es wäre für sie ein Kleines, uns mit hellen Haufen anzugreifen. Ich denke nach, ob es klug gethan wäre, alle Habe des alten Tom in die Arche zu bringen, das Castell zu verschließen und zu verrammeln, und uns ganz auf die Arche zu begeben. Die ist beweglich, und wenn wir das Segel aufsetzten und den Platz wechselten, könnten wir uns viele Nächte hindurch halten, ohne daß die Wölfe aus den Kanadas den Weg in unsere Hürde fänden.«

Chingachgook hörte diesen Plan mit Beifall an. Schlug die Unterhandlung fehl, so war jetzt wenig Hoffnung, daß die Nacht ohne einen Angriff vorübergehen würde; und der Feind besaß Scharfblick genug, um einzusehen, daß wenn er das Castell einnähme, er ohne Zweifel Herr alles dessen werden würde, was es enthielt, das angebotene Lösegeld mit eingeschlossen, und dazu noch im Besitz der schon gewonnenen Vortheile bleiben. Eine Vorsichtsmaßregel der Art schien durchaus nothwendig; denn jetzt, nachdem man die große Anzahl der Irokesen kannte, durfte man kaum hoffen, einem nächtlichen Angriff mit Erfolg zu widerstehen. Es erschien als unmöglich, den Feind zu hindern, sich der Canoe’s und der Arche zu bemächtigen, und die letztere selbst gab dann schon den Angreifern einen Anhalt, wo sie gegen Kugeln so gut geschützt waren, wie die im Gebäude befindlichen Personen. Einige Minuten dachten beide Männer daran, die Arche in dem seichten Wasser zu versenken, oder die Canoe’s in das Haus zu bringen, und sich ganz auf den Schuß, den das Castell biete, zu verlassen. Aber nähere Erwägung überzeugte sie, daß am Ende dieß Auskunftsmitttel fehlschlagen würde. Es war so leicht, auf dem Lande Baumstämme zu sammeln, und einen Floß von beinahe jeder beliebigen Größe zu bauen, daß es als gewiß erschien, die Irokesen, nachdem sie einmal an solche Mittel gedacht, würden mit allem Ernste sich darauf legen, so lange sie die sichre Aussicht hatten, durch Beharrlichkeit ihren Zweck zu erreichen. Nach reiflicher Ueberlegung und Erwägung aller Rücksichten vereinigten sich die zwei jungen Anfänger in der Kriegskunst der Wälder in der Ansicht, daß die Arche das einzige brauchbare Mittel zur Rettung darbiete. Sobald diese Entscheidung gefaßt war, wurde sie Judith mitgetheilt. Das Mädchen hatte keine ernstliche Einwendung dagegen zu machen, und dann beeilten sich alle Vier, die zur Ausführung des Planes nöthigen Maßregeln zu ergreifen.

Der Leser wird leicht ermessen, daß Floating Toms weltliche Güter von keinem großen Werth waren. Ein paar Betten, einige Kleidungsstücke, die Waffen und Munition, einige Küchengeräthe, nebst dem geheimnißvollen, nur erst halb untersuchten Schranke, – das machte die wichtigsten Artikel aus. Dieß Alles ward bald ausgeräumt, nachdem man die Arche an die östliche Seite des Hauses gezogen, so daß man den Transport bewerkstelligen konnte, ohne von der Küste aus gesehen zu werden. Man erachtete es für unnöthig, die schwereren und gröberen Stücke des Haushaltes zu verrücken, da man ihrer auf der Arche nicht bedurfte, und sie an sich wenig Werth hatten. Da große Vorsicht erforderlich war bei der Hinüberschaffung der verschiednen Gegenstände, von denen die meisten durch ein Fenster den Weg nehmen mußten, weil man dieß Vornehmen geheim halten wollte, brauchte es zwei oder drei Stunden, bis Alles in’s Werk gesetzt war. Nach Ablauf dieser Zeit erschien auch wieder der Floß, wie er von der Küste abstieß. Wildtödter griff augenblicklich nach dem Fernglas, mittelst dessen er wahrnahm, daß zwei Krieger, die jedoch unbewaffnet schienen, sich darauf befanden. Die Bewegung des Floßes war langsam, und hierin lag einer der großen Vortheile für die Inhaber der Arche bei einem etwaigen künftigen Zusammenstoß, denn die Bewegungen von dieser waren vergleichungsweise leicht und schnell. Da man Zeit hatte, die Vorkehrungen zu treffen zum Empfang der zwei gefährlichen Gäste, wurde Alles dazu in Bereitschaft gesetzt, lang ehe sie nahe genug herankamen, um angerufen zu werden. Schlange und die Mädchen zogen sich in das Gebäude zurück, wo sich Jener in die Nähe der Thüre, wohl mit Büchsen versehen, aufstellte, während Judith durch eine Scharte den weitern Verlauf beobachtete. Wildtödter aber hatte einen Stuhl an den Rand der Plattform gestellt, auf dem Punkt gegen welchen der Floß zu steuerte, und hatte sich darauf gesetzt, die Büchse nachläßig zwischen die Beine gelehnt.

Als der Floß näher kam, wurden alle der Gesellschaft im Castell zur Verfügung stehenden Mittel aufgeboten, um sich zu vergewissern, ob die nahenden Gäste Feuerwaffen hätten. Weder Wildtödter noch Chingachgook konnten solche entdecken: Judith aber, die dem bloßen Auge nicht trauen wollte, schob das Fernglas durch die Scharte und richtete es gegen die Schierlingstannenzweige, die zwischen den zwei Baumstämmen des Floßes lagen, eine Art Fußboden, so wie einen Sitz für die Ruderer bildend. Als der schwerfällige Floß auf fünfzig Fuß sich genähert, rief Wildtödter die Huronen an, hieß sie das Rudern einstellen, da er nicht gesonnen sey, sie landen zu lassen. Natürlich mußten sie sich darein ergeben, und die beiden grimmig aussehenden Krieger verließen ihre Sitze, obgleich der Floß noch immer weiter rückte, bis er der Plattform noch viel näher gekommen war.

»Seyd Ihr Häuptlinge?« fragte Wildtödter mit Würde. »Seyd Ihr Häuptlinge? Oder haben mir die Mingo’s Krieger ohne Namen geschickt bei einer solchen Sendung? Wenn dieß ist, denn je eher Ihr umkehrt, desto eher kann ein Solcher kommen, mit dem ein Krieger unterhandeln kann.«

»Hugh!« rief der Aeltere von den beiden Männern auf dem Floße, und ließ seine glühenden Augen über die verschiednen Gegenstände hinrollen, die man im Castell und rings umher sah, mit einer Lebhaftigkeit, welche bewies, wie Wenig ihm entging. »Mein Bruder ist sehr stolz, aber Rivenoak (gespaltene Eiche) ist ein Name, der einen Delawaren erblassen macht.«

»Das ist wahr, oder es ist eine Lüge, Rivenoak, wie es sich trifft; aber ich werde schwerlich bleich werden, sintemal ich bleich geboren bin. Was ist Eure Sendung, und warum kommt Ihr unter leichte Rinden-Canoe’s auf Stämmen, die nicht einmal ausgehöhlt sind?«

»Die Irokesen sind keine Enten, daß sie auf dem Wasser schreiten könnten. Mögen die Bleichgesichter ihnen ein Canoe geben, dann werden sie in einem Canoe kommen.«

»Das ist wohl vernünftig, wird aber schwerlich geschehen. Wir haben nur vier Canoe’s, und da wir unsrer Vier sind, kommt auf Jeden nur eines. Wir danken Euch indessen für den Antrag obschon wir so frei sind, ihn nicht anzunehmen. Ihr seyd willkommen, Irokese, auf Euren Baumstämmen.«

»Danke Euch – mein junger Bleichgesichtkrieger – er hat schon einen Namen gewonnen – wie nennen ihn die Häuptlinge?«

Wildtödter besann sich einen Augenblick, und ein Anflug von Stolz und menschlicher Schwäche zuckte durch seine Seele. Er lächelte, murmelte zwischen den Zähnen, schaute dann stolz auf, und sagte:

»Mingo, wie Alle, die jung und tüchtig sind, bin ich zu verschiednen Zeiten unter verschiednen Namen bekannt gewesen. Einer Eurer Krieger, dessen Geist aufflog zu den glücklichen Jagdrevieren Eures Volkes erst gestern Morgen, meinte, ich verdiente unter dem Namen Falkenauge bekannt zu werden, und das, weil mein Gesicht zufällig rascher war als das seinige, als es Leben und Tod zwischen uns galt.«

Chingachgook, der auf Alles was vorging, aufmerksam lauschte, hörte und verstand diesen Beweis einer vorübergehenden Schwäche seines Freundes, und bei einer spätern Gelegenheit fragte er ihn genauer aus über den ganzen Hergang auf der Küste, wo Wildtödter zuerst einem Menschen das Leben genommen. Nachdem er die ganze Wahrheit herausbekommen, ermangelte er nicht, Alles dem Stamme mitzutheilen, und von dieser Zeit an war der junge Jäger allgemein bekannt bei den Delawaren unter einem so ehrenvoll erworbenen Namen. Da jedoch dieß später fällt, als alle Begebenheiten dieser Erzählung, werden wir den jungen Jäger fortwährend mit dem Namen bezeichnen, unter welchem wir ihn zuerst dem Leser vorgeführt haben. Der Irokese war nicht weniger betroffen über die prahlende Aussage des weißen Mannes. Er wußte von dem Tod seines Kameraden und verstand die Anspielung ohne Schwierigkeit: denn die Begegnung des Siegers und seines Opfers bei dieser Gelegenheit war von mehreren Wilden auf der Küste des See’s gesehen worden, welche an verschiednen Punkten dicht am Saum der Gebüsche waren ausgestellt gewesen, um die auf dem See treibenden Canoe’s zu beobachten, aber nicht Zeit gehabt hatten, die Scene des Kampfes zu erreichen, ehe der Sieger sich zurückgezogen. Die Wirkung war bei diesem rohen Wesen des Waldes ein Ausruf der Ueberraschung; dann folgte ein Lächeln der Höflichkeit und ein Winken mit der Hand, wie es asiatischer Diplomatie würde Ehre gemacht haben. Die beiden Irokesen besprachen sich miteinander in leisem Tone, und beide traten auf das der Plattform nächstgelegene Ende des Floßes.

»Mein Bruder Falkenauge hat eine Botschaft zu den Huronen gesandt,« begann wieder Rivenoak, »und sie hat ihre Herzen sehr froh gemacht. Sie hören, er hat Bilder von Thieren mit zwei Schwänzen! Will er sie seinen Freunden zeigen?« »Feinden, wäre wahrer,« versetzte Wildtödter, »aber das Wort ist nicht die Sache, und schadet Wenig. Hier ist eines von den Bildern; ich werfe es Euch hinunter auf Treu und Glauben des Vertrags. Wird es nicht zurückgegeben, so wird die Büchse die Sache zwischen uns in’s Reine bringen,«

Die Irokesen schienen mit den Bedingungen zufrieden, und Wildtödter stand auf, und schickte sich an, einen der Elephanten auf den Floß zu werfen, wobei beide Theile alle erforderliche Vorsicht anwandten, um dessen Verlust zu verhüten. Da Uebung die Menschen in solchen Dingen geschickt macht, war die kleine Figur von Elfenbein bald aus einer Hand in die andere glücklich überliefert; und dann folgte auf dem Floß eine Scene, wo Erstaunen und Entzücken die Oberhand gewann über indianischen Stoicismus. Die beiden grimmigen alten Krieger zeigten sogar bei Besichtigung der seltsam gearbeiteten Schachfigur noch größere Aufregung, als der Knabe verrathen halte, denn bei dem letzteren wirkte noch der frische Einfluß der durchgemachten Schule und Zucht, während die Männer, wie Alle, die sich auf ihren begründeten Ruf verlassen, sich nicht schämten, ihre Empfindungen zum Theil kund zu geben. Einige Minuten lang hatten sie dem Anschein nach das ganze Bewußtseyn ihrer Lage verloren über der genauen und lebhaften Prüfung, mit der sie bei einem so kostbaren Material, einer so schönen Arbeit und einem so außerordentlichen Thiere verweilten. Das Maul des Elennthiers hat vielleicht noch am meisten Aehnlichkeit mit dem Rüssel des Elephanten unter den Thieren der amerikanischen Wälder; aber diese Aehnlichkeit war weit nicht auffallend genug, um die ihnen neue Creatur in den Kreis ihrer Vorstellungen und des ihnen Gewohnten hineinzuziehen, und je länger sie daran studirten, um so größer ward ihr Staunen. Auch nahmen diese Kinder des Waldes keineswegs das Gebäude auf dem Rücken des Elephanten irrigerweise für einen Theil des Thieres selbst. Sie waren mit Pferden und Ochsen bekannt, hatten in den Canada’s Thürme gesehen, und fanden nichts Befremdendes an Lastthieren. Doch aber meinten sie, vermöge einer sehr naheliegenden Vorstellung, das Schnitzwerk bedeute so Viel, daß das Thier, welches sie sahen, Stärke genug besitze, um auf seinem Rücken ein Fort zu tragen, – ein Umstand, der ihre Verwunderung durchaus nicht verminderte.

»Hat mein Bleichgesichtbruder noch mehr solche Thiere?« fragte endlich der Aeltere der Irokesen in halb bittendem Tone.

»Es sind da, woher sie kommen, noch mehrere, Mingo,« war die Antwort; »aber Eines ist genug, um fünfzig Skalpe abzukaufen.«

»Einer meiner Gefangnen ist ein großer Krieger – hoch wie eine Tanne – stark wie das Elennthier – schnell wie der Hirsch – trotzig wie der Panther! Er wird einmal ein großer Häuptling werden und das Heer des Königs George anführen.«

»Still! still! Mingo; Harry Hurry ist Harry Hurry, und Ihr werdet nie mehr als einen Corpora! aus ihm machen und das kaum. Allerdings ist er hoch; aber das nützt Nichts, denn er stößt da nur seinen Kopf an die Zweige, wenn er durch den Wald geht. Auch ist er stark; aber ein starker Leib ist nicht ein starker Kopf, und die Generale des Königs werden nicht nach ihren Sehnen gewählt. Er ist schnell, wenn Ihr wollt, aber eine Büchsenkugel ist schneller; und was den Trotz betrifft, so ist das keine große Empfehlung für einen Soldaten; Solche, die da sich am mannhaftesten dünken, werden oft in einer Klemme sogleich verzagt. Nein – nein – Ihr werdet nie Hurry’s Skalp für Mehr ausgeben können, als für einen guten Kopf voll krauser Haare mit einer klappernden Hirnschale darunter!«

»Mein alter Gefangner sehr weise – König des See’s – großer Krieger, Weiser Rathgeber!«

»Nun, es gibt Leute, die dem Allen widersprechen könnten, Mingo. Ein sehr weiser Mann würde sich nicht da so närrischer Weise fangen, lassen, wie dieß Meister Hutter begegnete; und wenn er guten Rath gibt, muß er doch auf schlechten gehorcht haben in dieser ganzen Sache. Es gibt nur Einen König dieses See’s, und der ist weit weg, und wird ihn schwerlich je sehen. Floating Tom ist ungefähr so ein König dieser Gegend, wie der Wolf, der durch die Wälder streift, König des Forstes ist. Ein Thier mit zwei Schwänzen ist wohl solche zwei Skalpe werth.«

»Aber mein Bruder hat noch ein Thier? – Er wird zwei geben,« und er hielt zwei Finger in die Höhe, »für alten Vater?«

»Floating Tom ist nicht mein Vater, aber darum soll er nicht schlimmer fahren. Zwei Thiere für seinen Skalp zu geben, und jedes Thier mit zwei Schwänzen, ist ganz über alles Maaß und Vernunft. Ihr habt von Gewinn zu sagen, Mingo, wenn Ihr einen viel schlechtern Handel macht.«

Mittlerweile hatte die Selbstbeherrschung Rivenoak’s die Oberhand über seine Verwunderung gewonnen, und er begann, wieder auf seine gewohnte List und Schlauheit zu verfallen, um den möglichst vortheilhaften Handel zu schließen. Es wäre überflüssig. Mehr als den wesentlichen Inhalt des nun folgenden, rasch abspringenden Gesprächs zu erzählen, worin der Indianer nicht wenig Verschlagenheit zeigte bei seinem Bestreben, den unter dem Einfluß der Ueberraschung verlornen Boden wieder zu gewinnen. Er gab sich sogar die Miene zu zweifeln, ob das Original von dem Bilde des Thiers existire, und versicherte, der älteste Indianer habe nie eine Sage von einem solchen Thiere gehört. Schwerlich dachte Einer von Beiden damals daran, daß lange vor Ablauf eines Jahrhunderts der Fortschritt der Civilisation noch viel außerordentlichere und seltenere Thiere in diese Gegend bringen würde, als Merkwürdigkeiten zum Begaffen für die Neugier, und daß namentlich das Thier, über welches die Parteien stritten, in eben dem See, wo sie sich getroffen, zu sehen seyn würde, wie es darin seine Seiten wüsche und herumschwämme. Wie es nicht selten geschieht in solchen Fällen, eine der Parteien wurde im Verlauf der Erörterung etwas warm; denn Wildtödter begegnete allen Gründen und Vorspiegelungen seines schlauen und gewandten Gegners mit der ihm eignen kaltblütigen Geradheit und unerschütterlichen Wahrheitsliebe. Was ein Elephant war, wußte er wenig besser als der Wilde: aber er wußte vollkommen gut, daß die geschnitzten Figuren von Elfenbein in den Augen eines Irokesen einen Werth haben müßten, wie ein Sack voll Gold oder ein Haufen Biberfelle in denen eines Kaufmanns. Unter solchen Umständen fand er es daher klug, anfänglich nicht zu Viel zuzugestehen, da ein beinahe unüberwindliches Hinderniß in der Bewerkstelligung des Austausches vorlag, selbst nachdem die unterhandelnden Parteien über die Bedingungen einig geworden wären. Diese Schwierigkeit im Auge, behielt er die übrigen Schachfiguren in Reserve, als Mittel um im Augenblick der Noth alle Schwierigkeiten zu beseitigen.

Endlich behauptete der Wilde, weitere Unterhandlung sey fruchtlos, da er gegen seinen Stamm nicht so ungerecht seyn könne, die Ehre und den Gewinn von zwei trefflichen, ausgewachsenen, männlichen Skalpen hinzugeben für einen so ärmlichen Werth wie die zwei gesehenen Spielzeuge – und schickte sich zum Aufbruch an. Beiden Theilen war jetzt zu Muth wie gewöhnlich Leuten, wenn ein Handel, den zu schließen Jeder den lebhaften Wunsch hat, auf dem Punkt steht, abgebrochen zu werden in Folge zu großer Hartnäckigkeit bei der Unterhandlung. Die Wirkung der getäuschten Hoffnung jedoch war bei den beiden Individuen sehr verschieden. Wildtödter war betroffen und von schmerzlichem Bedauern erfüllt; denn er hatte nicht blos mit den Gefangenen, sondern auch mit den beiden Mädchen tiefes Mitleid. Das Abbrechen der Unterhandlung erfüllte ihn daher mit Trauer und Leidwesen. Bei dem Wilden erweckte seine Niederlage wilde Rachsucht. In einem Augenblick der Aufregung hatte er laut seinen Entschluß ausgesprochen, Nichts weiter zu sagen; und er war gleich wüthend über sich, wie über seinen kaltblütigen Gegner, daß er einem Bleichgesicht in der Kundgebung von Gleichgültigkeit und Selbstbeherrschung den Sieg über einen indianischen Häuptling überlassen hatte. Als er anfing, seinen Floß von der Plattform wegzurudern, wurde sein Gesicht finster und seine Augen glühten, während er dennoch ein freundliches Lächeln und eine Geberde der Höflichkeit zum Abschied erzwang.

Es bedurfte eine kleine Weile, die vis inertiae der Baumstämme zu überwinden, und während dieß der Indianer zu Stande brachte, der eine stumme Rolle gespielt, schritt Rivenoak über die Tannenzweige, welche zwischen den Stämmen lagen, in schweigendem Ingrimm hin, und betrachtete mit scharfem Auge während dem das Castell, die Plattform und die Person seines unterhandelnden Gegners. Einmal sprach er in leisem Tone, aber rasch mit seinem Begleiter, und er scharrte mit den Füßen in den Zweigen, wie ein ungeduldiges, stätiges Thier. In diesem Augenblick war die Wachsamkeit Wildtödters etwas erlahmt, denn er saß da, nachsinnend über die Art und Weise, die Unterhandlung wieder zu erneuen, ohne der andern Partei zu viel Vortheil einzuräumen. Vielleicht war es ein Glück für ihn, daß das lebhafte und glänzende Auge Judiths so wachsam war wie immer. In dem Augenblick, wo der junge Mann am wenigsten auf seiner Hut, und sein Feind am wachsamsten und lauerndsten war, rief sie Jenem mit warnender Stimme, sehr zur rechten Zeit Lärm machend, zu:

»Seyd auf Eurer Hut, Wildtödter. Ich sehe durch das Fernglas Büchsen über den Tannenzweigen, und der Irokese macht sie mit dem Fuße los!« Es schien fast, als hätte der Feind seine List so weit getrieben, sich eines Unterhändlers zu bedienen, der Englisch verstand. Die bisherige Besprechung hatte in seiner Sprache stattgefunden, aber aus der Art, wie seine Füße plötzlich in ihrer verrätherischen Beschäftigung inne hielten, während zugleich auf dem Gesicht Rivenoaks der trotzige Grimm in ein Lächeln der Höflichkeit sich verwandelte, erhellte deutlich, daß er den Zuruf des Mädchens verstanden hatte. Er winkte seinem Begleiter, der die Stämme in Bewegung zu bringen sich bestrebte, in seinen Bemühungen inne zu halten, trat an das Ende des Floßes zunächst der Plattform und begann zu sprechen.

»Warum sollten Rivenoak und sein Bruder eine Wolke zwischen sich lassen?« sagte er. »Sie sind Beide weise, Beide tapfer und Beide großmüthig; sie sollten als Freunde scheiden. Ein Thier soll der Preis für je Einen Gefangnen sey».«

»Und Mingo,« versetzte der Andere, hocherfreut die Unterhandlungen erneut zu sehen, auf beinah jede Bedingung hin, und entschlossen, den Handel wo möglich durch eine kleine Extra-Freigebigkeit zu befestigen – »Ihr sollt sehen, daß ein Bleichgesicht wohl den vollen Preis zu bezahlen weiß, wenn er mit einer offnen Hand und einem offnen Herzen zu thun hat. Behaltet das Thier, das Ihr mir zurückzugeben vergessen, als Ihr im Begriff waret abzustoßen, und das ich vergaß zurückzufordern, aus Kummer darüber, daß wir im Zorn scheiden sollten. Zeigt es Euren Häuptlingen. Wenn Ihr uns unsre Freunde zurückbringt, sollen zwei weitere dazukommen – und –« er zauderte einen Augenblick, im Zweifel an der Rathsamkeit eines so großen Zugeständnisses, für das er sich jedoch am Ende entschied – »und wenn wir sie hier sehen, ehe die Sonne untergeht, so findet sich vielleicht auch das vierte, um die Zahl gerade zu machen.«

Dieß brachte die Sache ins Reine. Jeder Schatten von Mißvergnügen verschwand aus dem dunkeln Angesicht des Irokesen, und er lächelte so huldvoll, wenn auch nicht so holdselig, wie Judith Hutter selbst. Die schon in seinem Besitz befindliche Figur ward von neuem besichtigt, und ein Ausruf der Freude zeigte, wie sehr er mit diesem unerwarteten Ausgang der Sache zufrieden war. In der That hatten er und Wildtödter für den Augenblick in der Wärme ihres Affekts vergessen, was aus dem Gegenstand ihres Streites selbst geworden; dies war jedoch nicht der Fall bei Rivenoaks Begleiter. Dieser hielt die Figur in Händen und war fest entschlossen, wenn sie unter solchen Umständen zurückverlangt würde, welche die Zurückgabe nothwendig machten, sie in den See fallen zu lassen, wo er sie künftig einmal wieder zu finden zuversichtlich hoffte. Dieß verzweifelte Auskunftsmittel jedoch war jetzt nicht mehr nöthig, und nachdem die Bedingungen der Uebereinkunft wiederholt worden waren, und die Indianer versichert hatten, daß sie sie wohl gefaßt, brachen sie endlich auf und ruderten langsam der Küste zu.

»Kann man irgend auf solche Elende Vertrauen setzen?« fragte Judith, als sie mit Hetty auf die Plattform herausgetreten war und neben Wildtödter stand, die schwerfällige Bewegung des Flosses beobachtend; »werden sie nicht am Ende das Spielzeug, das sie haben, behalten, und uns irgend ein blutiges Zeichen schicken, prahlend, daß sie uns überlistet? Ich habe wohl schon von so schlimmen Thaten gehört!«

»Ohne Zweifel, Judith; gar kein Zweifel, wäre nicht die indianische Natur. Aber ich verstehe mich nicht auf die Rothhäute, wenn diese zweischwänzige Bestie nicht den ganzen Stamm in eine Aufregung bringt, wie etwa ein Stecken einen Bienenkorb! Nun, da ist Schlange, ein Mann mit Nerven wie Flintenstein, und von nicht mehr Neugier in alltäglichen Dingen, als mit der Klugheit sich verträgt. Nun, und der war so überwältigt von dem Anblick der Creatur, wie sie aus Bein geschnitzt ist, daß ich mich selbst für ihn schämte. Aber das sind eben gerade ihre Gaben, und man kann nicht wohl mit Einem streiten und zanken wegen seiner Gaben, wenn sie rechtmäßig sind. Chingachgook wird bald seine Schwäche überwinden und bedenken, daß er ein Häuptling ist, und daß er von einem großen Geschlecht abstammt, und einen berühmten Namen aufrecht und in Ehren zu halten hat; aber was jene Schufte betrifft, unter denen wird kein Friede seyn, bis sie glauben im Besitz von Allem von der Gattung dieser Figur aus geschnitztem Bein zu seyn, was sich unter Thomas Hutter’s Habe findet.« »Sie wissen nur von den Elephanten und können auf das Andere keine Hoffnung haben.«

»Das ist wahr, Judith; aber Habsucht ist ein nagendes, begehrliches Gefühl. Sie werden sagen: wenn die Bleichgesichter diese seltsamen Bestien mit zwei Schwänzen haben. Wer weiß, ob sie nicht auch solche mit drei, oder dann auch wohl gar mit vier haben! Das ist, was die Schulmeister natürliche Arithmetik nennen, und gewiß wird das den Wilden in den Sinn kommen. Sie werden sich nicht beruhigen, bis die Wahrheit bekannt ist.«

»Meint Ihr, Wildtödter,« fragte Hetty in ihrer einfachen und unschuldigen Art, »daß die Irokesen Vater und Hurry nicht werden gehen lassen? – Ich las ihnen einige der allerbesten Verse aus der Bibel vor, und Ihr seht, was sie schon gethan haben.«

Der Jäger hörte, wie er immer that, freundlich und sogar liebevoll Hetty’s Worte an; dann sann er einen Augenblick stillschweigend nach. Es war Etwas wie eine Röthe auf seiner Wange, als er, nach Verfluß einer vollen Minute, antwortete.

»Ich weiß nicht, üb ein weißer Mann sich schämen soll oder nicht, zu gestehen, daß er nicht lesen kann; aber bei mir ist das der Fall, Judith. Ihr seyd geschickt, finde ich, in allen solchen Dingen, während ich nur die Hand Gottes studirt habe, so wie man sie sieht in Hügeln und Thälern, Bergspitzen, Strömen, in Wäldern und Quellen. Viel kann man auf diese Art lernen, so gut wie aus Büchern; und doch denke ich manchmal, es gehöre zu einen weißen Mannes Gaben, zu lesen! Wenn ich aus dem Munde der Mährischen Brüder die Worte höre, von welchen Hetty spricht, so erwecken sie ein Verlangen in meinem Gemüth, und ich denke, ich wolle selbst auch sie lesen lernen; aber das Wild im Sommer, und die Ueberlieferungen, und der Unterricht im Krieg, und andre Sachen haben mich noch immer daran Verhindert.«

»Soll ich’s Euch lehren, Wildtödter?« fragte Hetty ernst. »Ich bin schwachsinnig, so sagen sie, aber lesen kann ich so gut wie Judith. Es kann Euch das Leben retten, wenn Ihr den Wilden die Bibel vorzulesen versteht, und gewiß wird es Eure Seele retten, denn das hat mir Mutter gar oft gesagt.«

»Dank Euch, Hetty, Dank Euch von ganzem Herzen. Jetzt werden wohl zu unruhige Zeiten kommen, um viel Muße zu haben; aber wenn’s Friede ist, und ich wieder an diesen See komme, Euch zu besuchen, dann will ich mich dazu hergeben, und es wird mir eine Lust und ein Gewinn zugleich seyn. Vielleicht sollte ich mich schämen, Judith, daß es so ist; aber Wahrheit ist Wahrheit. Was diese Irokesen belangt, so ist nicht sehr wahrscheinlich, daß sie eine Bestie mit zwei Schwänzen vergessen über einem oder zwei Versen aus der Bibel. Ich vermuthe eher, sie werden die Gefangnen ausliefern, und auf die eine oder andre List und Tücke sich verlassen, sie wieder in ihre Gewalt zu bekommen, und uns und Alle im Castell, sammt der Arche in den Kauf. Indeß, wir müssen die Vagabunden bei guter Laune erhalten, erstlich, um Euern Vater und Hurry aus ihren Händen los zu bekommen, und dann um den Frieden zwischen uns zu erhalten, bis zu der Zeit, wo Schlange es dahin bringen kann, seine Verlobte frei zu machen. Wenn es plötzlich zu einem Ausbruch von Zorn und Wildheit kommt, werden die Indianer alle ihre Weiber und Kinder sofort in’s Lager schicken; während wir, wenn wir sie ruhig und zutrauensvoll erhalten, es so werden richten können, daß wir Hist an dem von ihr bezeichneten Ort treffen. Ehe ich jetzt den Handel abbräche, würde ich wohl noch ein Halbdutzend von jenen Bogenundpfeilmännerfiguren drein geben, deren wir genug in dem Schranke haben.«

Judith stimmte mit Freuden bei, denn sie hätte selbst den geblümten Brokat aufgeopfert, um nur ihren Vater zu befreien und Wildtödter zu Gefallen.

Die Aussichten auf einen glücklichen Erfolg waren jetzt so ermuthigend, daß Alle im Castell sich erleichtert fühlten, obwohl man die gebührende wachsame Beobachtung aller Bewegungen des Feindes nicht vernachläßigte. Stunde jedoch um Stunde verstrich, und die Sonne hatte schon angefangen, sich wieder zu den westlichen Hügeln herab zu senken, und noch sah man keine Spur von einem zurückkehrenden Floße. Endlich entdeckte Wildtödter, der die Küste mit dem Fernglas genau musterte, einen Platz in den dunkeln dichten Wäldern, wo die Irokesen, wie er unzweifelhaft dafür hielt, in ansehnlicher Zahl versammelt waren. Er war in der Nähe des Dickichts, von wo der Floß abgegangen war, und ein kleiner Nach, der in den See rieselte, verkündete die Nähe einer Quelle. Hier also hielten vermuthlich die Wilden ihre Berathung und sollte der Beschluß gefaßt werden, der die Frage über Leben und Tod der Gefangenen entschied. Ein Grund zur Hoffnung jedoch war vorhanden, trotz der Verzögerung, den Wildtödter nicht ermangelte, seinen ängstlich harrenden Freunden mitzutheilen. Es war weit wahrscheinlicher, daß die Indianer ihre Gefangenen im Lager gelassen, als daß sie sich mit ihnen belastet hatten, indem sie sie hätten einer Truppe durch die Wälder folgen lassen, die nur auf einen zeitweiligen Streifzug aus war. Verhielt sich dieß so, dann bedurfte es einer ziemlichen Zeit, um einen Boten nach jenem entferntern Ort zu schicken und die zwei weißen Männer an den Platz zu bringen, wo sie sich einschiffen sollten. Ermuthigt durch diese Gedanken sammelten sie einen neuen Vorrath von Geduld, und das Hinabgleiten der Sonne ward mit weniger Unruhe betrachtet. Der Erfolg rechtfertigte Wildtödters Vermuthung. Nicht lang, ehe die Sonne ganz verschwand, sah man die zwei Stämme aus dem Dickicht wieder hervorkommen, und als der Floß näher kam, verkündigte Judith, ihr Vater und Hurry, beide gebunden, lägen auf den Büschen in der Mitte. Wie zuvor ruderten die Indianer. Die Letztern schienen zu fühlen, daß die späte Tageszeit ungewöhnliche Kraftanstrengung erfordere, und ganz entgegen der Gewohnheit ihres Volks, das immer die Mühe scheut, arbeiteten sie rüstig an den Surrogaten der Ruder. In Folge dieses Eifers nahm der Floß seine frühere Stellung ein schon in etwa der Hälfte der Zeit, die sie bei den frühern Fahrten gebraucht hatten.

Selbst nachdem die Bedingungen so deutlich festgesetzt und die Sachen so weit gediehen waren, blieb die wirkliche Uebergabe der Gefangenen eine nicht ohne Schwierigkeit zu erfüllende Obliegenheit. Die Irokesen sahen sich genöthigt, großes Vertrauen in den guten Glauben und Willen ihrer Feinde zu setzen, obgleich sie es mit Widerstreben, und mehr in Folge der Nothwendigkeit, als mit freiem Willen und mit Zuversicht thaten. Sobald Hutter und Hurry freigelassen waren, zählte die Truppe im Castell, denen auf dem Floß gegenüber, Zwei gegen Einen, und von Flucht konnte keine Rede seyn, da Jene drei Canoe’s besaßen, Nichts zu sagen von den Vertheidigungsanstalten des Hauses und der Arche. Alles dieß ward von beiden Partheien wohl begriffen und vermuthlich wäre die Uebereinkunft nie ganz in’s Reine gebracht worden, hätte nicht Wildtödters ehrliches Gesicht und Wesen seine gewöhnliche Wirkung auch bei Rivenoak gethan.

»Mein Bruder weiß, ich setzte Vertrauen in ihn,« sagte der Letztere, indem er mit Hutter näher trat, dessen Beine losgebunden waren, damit der alte Mann die Plattform hinansteigen konnte, »Ein Skalp – Ein Thier mehr!«

»Ha, Mingo,« unterbrach ihn der Jäger, »behaltet Euern Gefangenen noch einen Augenblick. Ich muß gehen und die Mittel der Zahlung suchen.«

Diese Entschuldigung jedoch, obwohl zum Theil wahr, war doch hauptsächlich eine List. Wildtödter verließ die Plattform, trat in das Haus und wies Judith an, alle Waffen zusammenzutragen und in ihrem Gemache verbergen. Dann sprach er ernstlich mit dem Delawaren, der wie früher nahe am Eingang des Gebäudes Wache hielt, steckte die drei Thürme in die Tasche und kehrte zurück.

»Seyd willkommen, zurück in Euerer alten Wohnung, Meister Hutter,« sagte Wildtödter, indem er ihm auf die Plattform heraufhalf, zu gleicher Zeit schlau wieder einen Thurm in die Hand Rivenoaks schiebend. »Ihr findet Eure Töchter hoch erfreut Euch wieder zu sehen, und da kommt Hetty selbst, um Euch dieß von sich zu versichern.«

Hier hielt der Jäger von selbst im Reden inne, und brach in sein eigenthümliches, stilles aber herzliches Lachen aus. Hurry’s Beine waren eben losgebunden und er auf die Füße gestellt worden. So eng hatte man die Bande angezogen, daß die Gebundenen nicht sogleich wieder den Gebrauch ihrer Glieder erlangten, und der junge Riese machte in allem Ernst eine sehr hülflose und einigermaßen komische Figur. Es war dieß ungewohnte Schauspiel, besonders das verdutzte Gesicht, was Wildtödters Fröhlichkeit erregte.

»Ihr seht aus wie eine geringelte Tanne auf einer Lichtung, Harry Hurry, die sich in einem Sturme wiegt,« sagte Wildtödter, seine unzeitgemäße Lustigkeit zügelnd, mehr aus Zartgefühl gegen die Andern, als aus Achtung vor dem befreiten Gefangenen. »Es freut mich jedoch zu sehen, daß Euch nicht Euer Haar von einem der Irokesischen Barbiere bei Eurem letzten Besuch in ihrem Lager ist frisirt worden.«

»Hört, Wildtödter,« versetzte der Andere etwas trotzig; »es wäre klug von Euch, bei dieser Gelegenheit weniger der Lustigkeit zu pflegen, und mehr der Freundschaft. Handelt einmal wie ein Christ, und nicht wie ein lachsüchtiges Mädchen in einer Landschule, wenn der Lehrer den Rücken kehrt, und sagt mir nur, ob da am Ende von meinen Beinen Füße sind oder nicht? Ich glaube sie doch zu sehen, aber was das Fühlen betrifft, so könnten sie ebenso gut drunten an den Ufern des Mohawks seyn, als wo sie mir zu seyn scheinen.«

»Ihr seyd ganz davongekommen, Hurry, und das will Viel sagen,« versetzte der Andere, heimlich dem Indianer den Rest des bedungenen Lösegeldes zusteckend, und zugleich gab er ihm einen ernsten Wink, seinen Rückzug anzutreten. »Ihr seyd ganz davongekommen, mit Füßen und Allem, und seyd jetzt nur ein wenig starr, in Folge des scharfen Anziehens der Weiden. Die Natur wird schon das Blut in Bewegung setzen, und dann könnt Ihr anfangen zu tanzen, um Eure, wie ich sagen möchte, höchst wundervolle und unerwartete Befreiung aus der Höhle der Wölfe zu feiern.«

Wildtödter löste die Arme seiner Freunde von den Banden, so wie Beide heraufstiegen, und sie stampften und hinkten jetzt auf der Plattform herum, brummend und Verwünschungen ausstoßend, indem sie dem wiederkehrenden Blutumlauf nachzuhelfen suchten. Sie waren jedoch zu lange gebunden gewesen, um in einem Augenblick wieder den Gebrauch ihrer Glieder zu erlangen; und da die Indianer auf dem Rückweg ebenso fleißig arbeiteten, als auf dem Herweg, war der Floß volle hundert Schritte von dem Castell entfernt, als Hurry, zufällig nach jener Richtung gewandt, entdeckte, wie schnell derselbe dem Bereich seiner Rache sich entziehe. Er konnte sich jetzt mit erträglicher Leichtigkeit bewegen, obwohl noch starr und steif. Ohne jedoch seinen Zustand zu erwägen, ergriff er die Büchse, die an Wildtödters Schulter gelehnt war, und suchte sie zu spannen und anzulegen, der junge Jäger war ihm aber zu schnell. Er faßte das Gewehr und entrang es den Händen des Riesen, doch nicht ohne daß es in dem Kampfe losging, als gerade die Mündung nach oben gerichtet war. Wahrscheinlich hätte Wildtödter in diesem Ringen wegen des Zustands von Hurry’s Gliedmaßen siegen können; aber im Augenblick, wo das Gewehr losging, ließ es der Letztere fahren, und trollte dem Hause zu, die Beine bei jedem Schritt einen vollen Fuß über den Boden erhebend, weil er gar nicht recht spürte, wie er die Füße setzte. Aber Judith war ihm zuvorgekommen. Der ganze Vorrath von Hutter’s Waffen, der in dem Gebäude verwahrt war, als ein Hülfsmittel für den Fall eines plötzlichen Ausbruchs von Feindseligkeiten, war nach Wildtödters Anweisungen entfernt und versteckt worden. In Folge dieser Vorsichtsmaßregel fehlten March alle Mittel zur Ausführung seiner Rachepläne. Getäuscht in seinem rachgierigen Bestreben, setzte sich Hurry nieder, und wie Hutter, war er eine halbe Stunde lang zu sehr damit beschäftigt, den Blutumlauf wieder herzustellen und im freien Gebrauch seiner Glieder sich wieder zu üben, um andern Gedanken nachzuhängen. Nach Verfluß dieser Zeit war der Fluß verschwunden, und die Nacht begann ihre Schatten wieder über die ganze Waldscene zu werfen. Ehe die Dunkelheit völlig eingebrochen war, und während die Mädchen die Abendmahlzeit bereiteten, berichtete Wildtödter in skizzirtem Umriß die Ereignisse, welche stattgehabt, und erzählte ihm, welche Mittel er zur Sicherung seiner Kinder und seines Eigenthums ergriffen habe.

Fünfzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

»So lange Edward herrscht im Land,
Hier nie der Kriegsgott ruht.
Es fallen Söhn‘ und Gatten Euch,
Und Eure Ström‘ füllt Blut.«
»O, Ihr verließt den rechten Herrn,
Als er im Mißgeschick; –
Sterbt für die gute Sach‘, gleich mir,
O kehrt zu ihm zurück!«
Chatterton

Die Ruhe des Abends stand wieder in eigenthümlichem Contrast mit den Leidenschaften der Menschen, während sein düster anwachsendes Dunkel in ebenso eigenthümlichem Einklang damit stand. Die Sonne war unter, und die Strahlen des geschiedenen Gestirns hatten aufgehört, die Ränder der wenigen Wolken zu vergolden, welche hinlängliche Risse hatten, um sein erbleichendes Licht durchzulassen. Der Wolkenbaldachin oben am Himmel war schwer und dicht, und verhieß wieder eine dunkle Nacht, aber die Fläche des See’s war kaum von einem Wellchen gekräuselt. Es wehte ein kleiner Luftzug – Wind konnte man es eigentlich nicht nennen. Doch hatte er, da er schwül und feucht war, eine gewisse Kraft. Die Gesellschaft im Castell war so trüb und schweigsam wie die Scene. Die beiden ausgelösten Gefangenen fühlten sich gedemüthigt und entehrt, aber ihre Beschämung hatte Etwas von der Erbitterung und Tücke der Rachsucht. Sie waren weit mehr geneigt, der Unwürdigkeit zu gedenken, mit der sie während der letzten paar Stunden ihrer Gefangenschaft behandelt worden waren, als Dankbarkeit zu fühlen für die vorhergegangene Milde. Und dann stachelte sie der scharfäugige Mahner, das Gewissen, indem er ihnen Alles, was sie erduldet, als verhängt von einer vergeltenden Gerechtigkeit darstellte, dennoch vielmehr ihren Grimm ihre Feinde entgelten zu lassen, als sich selbst anzuklagen. Die Uebrigen waren nachdenklich, halb aus Leid, halb aus Freude. Wildtödter und Judith hatten mehr die erstgenannte Empfindung, während Hetty für den Augenblick vollkommen glücklich war. Dem Delawaren gewährte ebenfalls die Aussicht, sobald seine Verlobte wieder zu gewinnen, lachende Bilder des Glückes. Unter solchen Umständen, und in solcher Stimmung, nahmen Alle das Abendbrod ein.

»Alter Tom!« rief Hurry in ein krampfhaftes, lärmendes Gelächter ausbrechend, »Ihr saht zum Erstaunen einem gebundenen Bären gleich, wie Ihr auf den Tannenzweigen ausgestreckt da laget, und ich wundre mich nur, daß Ihr nicht ärger brummtet. Nun, es ist vorüber und Seufzen und Wehklagen bessern die Sache nicht mehr! Da ist der Spitzbube Rivenoak, der uns hieherbrachte, der hat einen außerordentlichen Skalp, für den ich selbst so Viel gebe wie die Colonie. Ja, es ist mir jetzt, als wäre ich so reich wie der Gouverneur, was diese Sachen betrifft, und ich will Doublone gegen Doublone setzen. Judith, Schätzchen, habt Ihr recht um mich getrauert, als ich in den Händen dieser Philipsteiner war?«

Dieser Name bezeichnete eine Familie von deutscher Abkunft am Mohawk, gegen welche Hurry einen großen Widerwillen hegte, und die er mit den Feinden Judäas vermengt hatte.

»Unsre Thränen haben den See anschwellen machen, Harry March, wie Ihr an der Küste hättet sehen können«, versetzte Judith mit angenommenem Leichtsinn, von dem ihr Inneres weit entfernt war. »Daß Hetty und ich uns um den Vater grämten, war zu erwarten; aber um Euch ließen wir förmlich Thränen regnen.«

»Wir waren in Sorgen und Leid um den armen Hurry, wie um den Vater, Judith,« fiel ihre unschuldige und arglose Schwester ein.

»Wahr, Mädchen, wahr; aber wir fühlen Sorge und Leid, um Jeden der in Noth ist, weißt du,« erwiederte die Andere rasch, in zurechtweisendem aber leisem Tone, »dennoch aber, es freut uns, Euch zu sehen, Meister March, und das dazu erlöst aus den Händen der Philipsteiner.«

»Ja, es ist eine böse Rotte, und so ist auch die andre Brut, abwärts den Strom. Es ist mir zum Verwundern, wie Ihr uns los bekamet, Wildtödter; und ich verzeihe Euch Eure Einmischung, welche mich hinderte, an diesem Vagabunden Gerechtigkeit zu üben, in Betracht dieses kleinen Dienstes. Weiht uns in das Geheimniß ein, damit wir Euch im Fall der Noth denselben Dienst leisten können. Habt Ihr es mit Lügen oder mit Schmeicheln ausgerichtet?«

»Durch keines von beiden, Hurry, sondern durch Kaufen. Wir zahlten ein Lösegeld für Euch Beide, und das dazu ein so hohes, daß Ihr wohl thun würdet, auf Eurer Hut zu seyn, und Euch nicht noch einmal fangen zu lassen, weil sonst unser Vorrath an Gütern nicht ausreichen würde.«

»Ein Lösegeld! – Nun dann hat der alte Tom den Spielmann bezahlt, denn all‘ mein‘ Sach‘ hätte nicht das Haar, viel weniger die Haut losgekauft. Ich hätte nicht geglaubt, eine so wilde Rotte wie jene Vagabunden, würden einen Burschen so leicht wieder auf und loslassen, wenn sie ihn einmal fest gepackt und am Boden hätten. Aber Geld ist Geld, und es ist immer unnatürlich schwer, ihm zu widerstehen. Indianer oder Weißer, es ist so ziemlich das Gleiche. Man muß gestehen, Judith, es ist doch eigentlich ein gut Theil menschliche Natur in den Leuten überhaupt!«

Hutter stand jetzt auf, winkte Wildtödter, und führte ihn in ein inneres Gemach, wo er auf seine Frage zuerst den Preis erfuhr, der für seine Freilassung war bezahlt worden. Der alte Mann drückte weder Unwillen noch Ueberraschung aus über den Eingriff in seinen Schrank, den man sich erlaubt hatte, obwohl er einige Neugier an den Tag legte, zu erfahren, wie weit die Untersuchung von dessen Inhalt gegangen sey. Auch erkundigte er sich, wo man den Schlüssel gefunden habe. Wildtödters gewohnte Offenherzigkeit hinderte jede Täuschung, und die Besprechung endigte sich bald mit der Rückkehr Beider in das äußere Gemach, welches dem doppelten Behufe des Wohnzimmers und der Küche diente.

»Es soll mich wundern, ob Friede ist oder Krieg zwischen uns und den Wilden,« rief Hurry, gerade als Wildtödter, der einen Augenblick geschwiegen hatte, aufmerksam horchte und ohne sich aufzuhalten durch die äußere Thüre schritt. »Diese Zurückgabe von uns Gefangenen hat ein freundschaftliches Ansehen, und wenn Männer mit einander verkehrt und gehandelt haben auf einen ehrlichen und ehrenhaften Fuß, so sollten sie für das Mal wenigstens als gute Freunde scheiden. Kommt zurück, Wildtödter, und gebt uns Eure Meinung, denn ich fange an, Mehr von Euch zu halten, seit Eurem neuesten Benehmen, als ich früher that.«

»Hier ist eine Antwort auf Eure Frage, Hurry, wenn Ihr ja solchen Drang und Eile habt, wieder zum Schlagen zu kommen!«

Mit diesen Worten warf Wildtödter auf den Tisch, auf den sich der Andere mit dem einen Ellbogen stemmte, eine Art von Miniatur-Holzbündel, bestehend aus einem Dutzend Stecken, die mit einem Riemen von Wildleder eng zusammengebunden waren. March ergriff es begierig, hielt es ganz nahe an ein flammendes Tannenholzscheit, das auf dem Heerde lag, und von dem alles Licht im Zimmer ausging, und überzeugte sich, daß die Enden der sämmtlichen Stecken in Blut getaucht waren.

»Wenn das nicht gut Englisch ist,« sagte der trotzige Grenzmann, »so ist es doch gut Indianisch! Da haben wir was sie drunten in York eine Kriegserklärung nennen, Judith. Wie kamt Ihr zu diesem Zeichen der Herausforderung, Wildtödter?«

»Einfach genug. Es lag vor noch nicht einer Minute auf Floating Tom’s Thorhof, wie ihr es nennt.«

»Wie kam es dahin? Es fiel doch nicht aus den Wolken, Judith, wie manchmal kleine Kröten, und dann regnet es auch nicht. Ihr müßt darthun, woher es kommt, Wildtödter, sonst argwohnen wir einen Anschlag, Leuten Angst einzujagen, die längst ihren Verstand verloren hätten, wenn Furcht ihn verscheuchen könnte.«

Wildtödter hatte sich einem Fenster genähert und warf einen Blick hinaus auf den dunkel daliegenden See. Zufrieden scheinend mit dem, was er geschaut, trat er zu Hurry, nahm den Bündel Stecken in seine Hand, und besichtigte sie genau.

»Ja, es ist eine indianische Kriegserklärung, ganz gewiß,« sagte er, »und es ist ein Beweis, wie wenig Ihr gewöhnt seyd an den Weg, den sie gemacht hat, Hurry March, daß sie hieher kommen konnte, ohne daß Ihr die Art und Weise begreift. Die Wilden mögen Euch den Skalp auf dem Kopf gelassen, aber sie müssen Euch die Ohren abgeschnitten haben; sonst hättet Ihr das Rauschen des Wassers gehört, das der Junge verursachte, als er wieder auf seinen zwei Baumstämmen herfuhr. Sein Auftrag war, diese Stecken vor unsre Thüre zu werfen, was so viel sagen will: wir haben seit dem Handel in den Kriegspfahl gehauen, und unser Nächstes wird seyn, auf Euch einzuhauen.«

»Die herumstreichenden Wölfe! Aber reicht mir die Büchse, Judith, so will ich den Vagabunden durch ihren Boten eine Antwort schicken.«

»Nicht, solang ich dabei bin, Meister March,« entgegnete kaltblütig Wildtödter, und winkte dem Mädchen, es zu unterlassen. »Wort ist Wort, sey es einer Rothhaut oder einem Christen gegeben. Der Junge zündete ein Scheit an, und fuhr bei dessen Licht offen herüber, uns diese Warnung zu überbringen, und kein Mensch hier darf ihm ein Leid thun, während er eine solche Sendung ausführt. Worte nützen Nichts, denn der Knabe ist zu schlau, um den Spahn fortbrennen zu lassen, nachdem sein Gewerbe bestellt ist, und auch die Nacht ist zu dunkel, um mit einer Büchse irgend sicher zielen zu können.«

»Das mag wahr genug seyn von einem Gewehr, aber noch ist ein Canoe zu Etwas zu brauchen,« antwortete Hurry, mit ungeheuren Schritten, eine Büchse in der Hand, auf die Thüre zugehend. »Der Mensch lebt nicht, der mich hindern soll zu folgen, und des Wurmes Skalp zurückzubringen. Je Mehrere von ihnen Ihr im Ei zerdrückt, desto Weniger werden Euch in den Wäldern anfallen!«

Judith zitterte wie eine Espe, sie wußte selbst kaum warum, obwohl alle Aussicht auf eine Scene der Gewaltthat vorhanden war; denn wenn Hurry trotzig und übermüthig war im Bewußtseyn seiner Stärke, so besaß Wildtödter die ruhige Festigkeit, welche größere Beharrlichkeit verspricht, und eine Entschlossenheit, die mehr Aussicht hat ihren Zweck zu erreichen. Es war mehr das finstere, entschlossene Auge des Letztern, als die aufbrausende Heftigkeit des Erstern, was ihre Besorgniß rege machte. Hurry erreichte bald den Ort, wo das Canoe befestigt war, aber schon hatte auch Wildtödter mit dem Delawaren in raschem, ernstem Tone in seiner Sprache gesprochen. Dieser war in der That der Erste gewesen, der den Laut der Ruder vernommen hatte, und war in eifersüchtiger Wachsamkeit auf die Plattform getreten. Das Licht überzeugte ihn, daß eine Botschaft komme, und als ihm der Junge das Bündel Stecken vor die Füße warf, so erregte dieß weder seinen Zorn, noch überraschte es ihn. Er blieb nur auf seinem Wachtposten, die Büchse in der Hand, um sich zu versichern, daß keine Verrätherei hinter der Herausforderung laure. Da ihm jetzt Wildtödter rief, trat er in das Canoe, und entfernte schnell wie ein Gedanke die Ruder. Hurry war wüthend, als er sich der Mittel zur Ausführung seines Vorsatzes beraubt sah. Zuerst näherte er sich dem Indianer mit lauten Drohungen, und selbst Wildtödter war in tödtlicher Angst wegen der möglichen Folgen. March schüttelte seine hammerartigen Fäuste und schwang die Arme, als er auf den Indianer zutrat, und Alle erwarteten, er werde den Delawaren zu Boden zu werfen versuchen; Einer von ihnen wenigstens wußte wohl, daß Blutvergießen die unmittelbare Folge eines solchen Versuchs seyn müßte. Aber selbst Hurry ward etwas unheimlich zu Muth bei der finstern Fassung und Haltung des Häuptlings, und auch er wußte, daß ein solcher Mann sich nicht ungestraft mißhandeln ließ; daher wandte er sich, um seine Wuth an Wildtödter auszulassen, wo er keine so schreckliche Folgen voraussah. Was das Ergebniß dieser zweiten Demonstration gewesen wäre, wenn es zur Thätlichkeit gekommen wäre, läßt sich nicht sagen, aber es kam nicht so weit.

»Hurry!« sagte eine sanfte, begütigende Stimme dicht an seiner Seite, »es ist sündhaft, so grimmig zu seyn, und Gott wird es nicht übersehen. Die Irokesen haben Euch gut behandelt, und Euch den Skalp nicht genommen, obgleich Ihr und Vater ihnen die ihrigen nehmen wolltet.«

Die Macht der Milde und Sanftmuth über die Leidenschaft ist bekannt. Auch hatte Hetty sich eine Art Schätzung erworben, die man ihr früher nie zugestanden hatte, durch die Aufopferung und Entschlossenheit ihrer jüngsten Handlungsweise. Vielleicht steigerte ihre anerkannte Geistesschwäche, die jeden Verdacht beseitigte, als wolle sie sich eine Herrschaft anmaßen, ihren Einfluß. Wie nun aber die Ursache erklärt und gedeutet werden mochte, die Wirkung war gewiß genug. Statt seinen alten Reisegenossen zu würgen, kehrte sich Hurry gegen das Mädchen, und ergoß einen Theil seines Mißmuthes, wenn auch nicht seines Zorns, in ihr aufmerksames Ohr.

»Es ist zu schlimm, Hetty!« rief er aus; »so schlimm als ein Grafschaftsgefängniß, oder ein Biberfehljahr, eine Creatur in die Falle bekommen, und sie dann wieder los und ledig lassen! So viel als sechs Häute erster Qualität ist an Werth fortgerudert auf den plumpen Baumstämmen, während zwanzig Schläge einer wohlgeführten Ruderschaufel sie einholen würden. Ich sage an Werth, denn was den Jungen nach der Natur betrifft, so ist er eben ein Knabe, und nicht Mehr noch Weniger werth, als jeder Andere. Wildtödter, Ihr seyd untreu gewesen gegen Eure Freunde, daß Ihr einen solchen Vortheil meinen und auch Euren Händen entschlüpfen ließet.«

Die Antwort darauf ward mit Ruhe gegeben, aber in einem so festen Tone, wie nur immer eine furchtlose Natur und das Bewußtseyn der Rechtlichkeit ihn machen konnten. »Ich wäre dem, was recht ist, untreu geworden, hätte ich anders gehandelt,« erwiederte Wildtödter mit Fassung, »und weder Ihr noch sonst Jemand hat die Befugniß, das von mir zu verlangen. Der Junge kam in einem rechtmäßigen Auftrag, und die elendeste Rothhaut, die sich in den Wäldern umtreibt, hätte sich geschämt, seine Sendung nicht zu respektiren. Aber er ist jetzt außer dem Bereich Eures Zornes, Meister March, und es hilft Wenig, wie ein Paar Weiber von dem zu schwatzen, was nicht mehr zu ändern ist.«

Mit diesen Worten wandte sich Wildtödter weg, wie entschlossen, keine Worte weiter über der Sache zu verschwenden, während Hutter Hurry am Ermel zupfte und ihn in die Arche zog. Hier saßen sie lang in heimlicher Besprechung. Mittlerweile hatten auch der Indianer und sein Freund ihre geheime Berathung; denn obgleich es noch drei oder vier Stunden waren bis zum Aufgang des Sterns, konnte sich doch Jener nicht enthalten, seinen Plan vorzubereiten, und sein Herz gegen den Andern zu öffnen. Auch Judith gab sich ihren sanftern Gefühlen hin und hörte Hetty’s ganze kunstlose Erzählung von Allem, was sich begeben, nachdem sie an’s Land getreten, an. Die Wälder hatten wenig Schrecknisse für diese beiden Mädchen, so wie sie erzogen und gewohnt waren, täglich ihre weite, üppige Ausbreitung zu schauen, oder unter ihren dunkeln Schatten zu wandeln; aber das fühlte die ältere Schwester, daß sie sich bedacht haben würde, sich so allein in das Lager der Irokesen zu wagen. Im Betreff Hist’s war Hetty nicht sehr mittheilsam. Sie sprach von ihrer Güte und Sanftmuth und von ihrer Begegnung im Walde; aber das Geheimniß Chingachgook’s bewahrte sie mit einer Schlauheit und Treue, welche manches Mädchen von schärferem Verstande schwerlich bewährt haben dürfte.

Endlich wurde den verschiednen Besprechungen ein Ende gemacht durch Hutter’s Wiedererscheinen auf der Plattform. Hier versammelte er die ganze Gesellschaft, und theilte ihr von seinen Absichten mit, so Viel ihm passend dünkte. Den von Wildtödter gemachten Plan, das Castell während der Nacht zu verlassen und sich auf die Arche zu flüchten, billigte er ganz. Es leuchtete ihm ebenso wie früher den Andern ein, als das einzige wirksame Mittel, dem Verderben zu entgehen. Jetzt, nachdem die Wilden ihr Augenmerk auf Erbauung von Flößen gerichtet, konnte kein Zweifel darüber obwalten, daß sie wenigstens einen Versuch machen würden, das Gebäude zu nehmen, und die Sendung der blutigen Stecken bewies hinlänglich ihr Vertrauen auf einen glücklichen Erfolg. Kurz, der alte Mann sah die Nacht als entscheidend an, und forderte Alle auf, sich so bald als möglich bereit zu machen, die Wohnung wenigstens für einige Zeit, wo nicht für immer zu verlassen.

Nachdem diese Mitteilungen gemacht waren, wurde Alles rasch und mit Einsicht betrieben: das Castell ward in der schon angegebenen Weise geschlossen, die Canoe’s unter dem Dock weggenommen und mit dem andern an der Arche befestigt; die wenigen Bedürfnisse, die man noch im Hause gelassen, wurden in die Cajüte geschafft, das Feuer ausgelöscht und Alle schifften sich ein.

Die Nähe der Hügel mit ihrer Tannenbekleidung hatte die Wirkung, daß finstere Nächte auf dem See noch dunkler als gewöhnlich waren. Wie immer jedoch, zog sich ein vergleichungsweise lichter Streifen mitten durch den Wasserspiegel, während die Finsterniß im Bereich der Schatten der Berge am schwersten auf dem Gewässer lastete. Die Insel, oder das Castell, stand innerhalb dieses Streifens, der verhältnißmäßig licht war, aber dennoch war die Nacht so dunkel, daß sie die Abfahrt der Arche dem Auge verbarg. Auf die Entfernung eines Beobachters von der Küste aus konnten ihre Bewegungen gar nicht gesehen werden, zumal da ein Hintergrund von dunkeln Bergen die Perspektive von jedem Gesichtspunkt begrenzte, den man schräg oder in gerader Linie über das Wasser hin nahm. Der vorherrschende Wind auf den Seeen dieser Gegend ist der Westwind, aber wegen der durch die Berge gebildeten Thaleinschnitte ist es häufig unmöglich, die eigentliche Richtung der Luftströmungen anzugeben, da sie oft in kleinen Entfernungen und Zeiträumen wechseln. Dieß gilt mehr von leichten, schwankenden Luftstößen, als von steten Lüftchen, obschon man in allen gebirgigen Gegenden und schmalen Gewässern recht gut weiß, daß auch die Stöße von den letztern unsicher und täuschend sind. Im gegenwärtigen Falle war Hutter selbst, als er die Arche von ihrem Ankerplatz neben der Plattform wegdrängte, in Verlegenheit zu sagen, welcher Wind wehe. In der Regel wurde diese Schwierigkeit gelöst durch die Wolken, die, hoch über den Bergspitzen schwebend, natürlich den eigentlichen Luftströmungen folgten; aber jetzt schien das ganze Himmelsgewölbe eine massive, finstre Mauer. Keine Oeffnung irgend einer Art war sichtbar, und Chingachgook zitterte schon, das Nichtaufgehen des Sterns möchte seine Verlobte abhalten, ihrem Versprechen pünktlich nachzukommen. Unter diesen Umständen zog Hutter sein Segel wie es schien nur in der Absicht auf, von dem Castell wegzukommen, da es gefährlich seyn mochte, viel länger in dessen Nähe zu verweilen. Der Wind schwellte bald das Tuch, und als das Fahrzeug in Bewegung kam, und das Segel gehörig aufgezogen war, zeigte sich’s, daß die Richtung südlich, mit einer Abweichung nach der östlichen Küste, war. Da sich für die Absichten der Gesellschaft keine bessere Richtung fand, ließ man das eigenthümliche Fahrzeug in dieser Richtung über eine Stunde auf der Wasserfläche hintreiben, als ein Wechsel in der Luftströmung sie hinüber dem Lager zu trieb.

Wildtödter beobachtete alle Bewegungen Hutter’s und Harry’s mit eifersüchtiger Wachsamkeit. Anfänglich wußte er nicht, ob er die Richtung, die sie hielten, dem Zufall oder einer Absicht zuschreiben sollte; aber jetzt begann er letzteres zu argwöhnen. So vertraut mit dem See, wie Hutter war, mußte es ihm eine leichte Sache seyn, Einen zu täuschen, der wenig Uebung auf dem Wasser hatte; und was immer seine Absichten seyn mochten, so Viel war, ehe zwei Stunden verstrichen, klar, daß die Arche so viel Wegs zurückgelegt, daß sie sich nur hundert Ruthen von der Küste entfernt und gerade in Einer Linie mit der bekannten Lage des indianischen Lagers befand. Eine ziemliche Zeit, ehe man diesen Punkt erreicht, hatte Hurry, der einige Kenntniß der Algonquinsprache besaß, eine heimliche Unterredung mit dem Indianer gehabt, und das Ergebniß ward jetzt von diesem dem Wildtödter mitgetheilt, der ein kalter, um nicht zu sagen mißtrauischer Beobachter alles Bisherigen gewesen.

»Mein alter Vater und mein junger Bruder, die Große Tanne,« – denn diesen Namen hatte der Delaware March gegeben – »möchten Huronenskalpe an ihren Gürteln sehen,« sagte Chingachgook zu seinem Freunde. »Es ist Raum für einige an dem Gürtel der Schlange, und sein Volk wird nach solchen sehen, wenn er zurückkommt in sein Dorf. Ihre Augen dürfen nicht lange in einem Nebel bleiben, sondern sie müssen sehen, was sie suchen und erwarten. Ich weiß, daß mein Bruder eine weiße Hand hat; er mag nicht einmal die Todten beschädigen. Er wird auf uns warten; wenn wir zurückkommen, wird er sein Angesicht nicht verbergen aus Schaam für seinen Freund. Die Große Schlange der Mohikans muß werth seyn, auf dem Kriegspfad zu schreiten mit Falkenauge.«

»Ja, ja, Schlange, ich sehe wie es ist; der Name soll mir bleiben, und bald werde ich unter ihm, statt unter dem Wildtödters bekannt seyn; nun gut, wenn solche Ehren kommen, so muß sie sich der Bescheidenste von uns gern gefallen lassen. Daß Ihr Euch nach Skalpen umseht, das gehört zu Euern Gaben, und ich sehe nichts Arges daran. Aber seyd barmherzig, Schlange; seyd barmherzig, darum bitte ich Euch. Es kann sicherlich der Ehre einer Rothhaut nicht schaden, etwas Barmherzigkeit zu zeigen. Was den alten Mann betrifft, den Vater der zwei Mädchen, die bessere Gefühle in seiner Brust zur Reife bringen sollten, und Harry March da, der, so eine hohe Tanne er ist, wohl besser die Früchte eines mehr christlichen Baumes tragen dürfte, was die Zwei betrifft, so stelle ich sie den Händen des Gottes der Weißen anheim. Wären nicht die blutigen Stecken, so sollte kein Mensch heute Nacht gegen die Mingo’s ausziehen, sintemal es unsre Treue und unsern Ruf entehren würde; aber die da Blut begehren, können sich nicht beklagen, wenn Blut vergossen wird auf ihre Aufforderung. Aber dennoch, Schlange, könnt Ihr barmherzig seyn. Beginnt Eure Laufbahn nicht unter dem Wehklagen von Weibern und dem Geheule von Kindern. Benehmt Euch so, daß Hist lächeln wird und nicht weinen, wenn sie Euch wieder sieht. Geht denn jetzt, und der Manitou schütze Euch!«

»Mein Bruder wird hier mit dem Fahrzeug warten. Wah! wird bald wartend an der Küste stehen, und Chingachgook muß eilen.«

Dann begab sich der Indianer zu seinen zwei Mitabenteurern, und nachdem sie zuerst das Segel herabgelassen, traten sie alle Drei in ein Canoe und stießen von der Arche ab. Weder Hutter noch March sprachen mit Wildtödter von ihrem Vorhaben, oder von der muthmaßlichen Dauer ihrer Abwesenheit, Alles dieß war dem Indianer anvertraut worden, der sich seines Auftrags mit charakteristischer Kürze entledigt hatte. Sobald man das Canoe aus dem Gesicht verloren – und das war der Fall, ehe die Ruder zwölf Schläge gethan hatten, traf Wildtödter die besten Vorkehrungen, die in seiner Macht standen, um die Arche so viel als möglich auf demselben Punkte beharren zu machen, und dann setzte er sich auf dem Ende der Fähre nieder, um an seinen bittern Gedanken zu kauen. Es stand jedoch nicht lang an, bis Judith sich zu ihm gesellte, die jede Gelegenheit aufsuchte, in seiner Nähe zu seyn, und ihre Angriffe auf seine Neigung mit der Geschicklichkeit ausführte, welche ihr angeborene Coketterie an die Hand gab, unterstützt von einer nicht kleinen Uebung, die aber ihre gefährliche Macht hauptsächlich von dem Anflug von Gefühl erhielt, die ihr Benehmen, Stimme, Ton, Gedanken und Handlungen mit dem unbeschreiblichen Zauber natürlicher Zärtlichkeit und Weichheit umkleidete. Wir verlassen den jungen Jäger, diesen gefährlichen Angreifern preisgegeben, und erfüllen die dringendere Pflicht, der Gesellschaft in dem Canoe an die Küste zu folgen.

Das gewaltige Motiv, das Hutter und Hurry zur Wiederholung ihres Versuchs gegen das feindliche Lager trieb, war genau dasselbe, das ihre erste Unternehmung veranlaßt hatte, etwas verstärkt vielleicht durch Rachgier. Aber Keiner von diesen zwei rauhen Wesen, so gefühllos in Allem, was die Rechte und Interessen der rothen Menschen betraf, obwohl in andern Dingen nicht ohne Regungen menschlicher Empfindung, war in bedeutendem Maße durch andere Beweggründe geleitet, als von herzloser Gewinnsucht. Hurry hatte zwar gleich Anfangs nach seiner Befreiung Zorn über seine durchgemachten Leiden gefühlt, aber dieser Affekt war bald verschwunden über der ihm zur andern Natur gewordenen Sucht nach Gold, nach dem er mehr mit der gewissenlosen Gier eines bedürftigen Verschwenders, als mit dem unablässigen Verlangen eines Geizigen trachtete. Kurz, das Motiv, das sie trieb, so bald wieder gegen die Huronen auszuziehen, war eine zur Gewohnheit gewordene Verachtung ihrer Feinde, welche zugleich die rastlose Habsucht, die der Verschwendung Mittel liefern mußte, in Bewegung setzte. Bei der Entwerfung des zweiten Planes jedoch nahmen auch die verstärkten Aussichten auf Erfolg ihre Stelle ein. Man wußte, daß ein großer Theil der Krieger, vielleicht alle, für die Nacht gerade gegenüber dem Castell sich gelagert hatten, und man hoffte, die Skalpe hülfloser Opfer würden die Folgen hiervon seyn. Die Wahrheit zu gestehen: Hutter besonders – er, der so eben zwei Töchter verlassen hatte – hoffte in dem Lager Wenige sonst außer Weibern und Kindern zu treffen. Auf diesen Umstand hatte er in seinen Besprechungen mit Hurry nur leise hingedeutet, und gegen Chingachgool hatte man ihn ganz aus dem Auge gelassen. Wenn der Indianer überhaupt daran dachte, so war das Niemand bekannt als ihm.

Hutter steuerte das Canoe; Hurry hatte mannhaft seinen Posten vorn eingenommen, und Chingachgook stand in der Mitte. Wir sagen stand; denn alle drei waren so geschickt in der Handhabung dieser Art von gebrechlichen Barken, daß sie im Stande waren, mitten in der Dunkelheit aufgerichtet darin zu stehen. Die Annäherung an die Küste geschah mit großer Vorsicht, und die Landung erfolgte ungefährdet. Jetzt setzten die Drei ihre Waffen in Bereitschaft, und begannen wie Tiger sich dem Lager zu nähern. Der Indianer war der Vorderste, und seine Begleiter traten in seine Fußtapfen mit einer verstohlenen Vorsicht, die ihre Schritte beinahe in buchstäblichem Sinne geräuschlos machte. Manchmal knackte ein dürrer Zweig unter der schweren Wucht des gigantischen Hurry, oder der ungeschickten Plumpheit des alten Mannes; aber wäre der Indianer auf der Luft dahingewandelt, sein Schritt hätte nicht leichter seyn können. Die Hauptaufgabe war, zuerst die Stellung des Feuers zu entdecken, das, wie man wußte, den Mittelpunkt des Lagers bildete. Endlich wurde das scharfe Auge Chingachgook’s dieses wichtigen Wegweisers ansichtig. Es glimmte in einiger Entfernung zwischen den Baumstämmen; es war seine Flamme, sondern nur ein verglühender Brand, wie es der Stunde gemäß war; denn die Wilden begeben sich gewöhnlich zur Ruhe und stehen auf mit dem Unter- und Aufgang der Sonne.

Sobald man dieses Feuersignals ansichtig geworden, schritten die Abenteurer rascher und sicherer vorwärts. In wenigen Minuten gelangten sie an den Rand des Kreises von kleinen Hütten. Hier machten sie Halt, um das Terrain in’s Auge zu fassen, und ihre Bewegungen zu verabreden. Die Finsterniß war so dicht, daß es schwer war, irgend Etwas zu unterscheiden außer dem glühenden Brand, den Stämmen der nächsten Bäume und dem endlosen Blätterdach, das den umwölkten Himmel verschleierte. Es wurde jedoch ausgemittelt, daß eine Hütte ganz in der Nähe war, und Chingachgook machte den Versuch, das Innere derselben auszukundschaften. Die Art, wie sich der Indianer dem Orte näherte, wo man Feinde vermuthete, glich dem tückischen Heranschleichen der Katze auf den Vogel. Als er nahe herankam, ließ er sich auf Hände und Kniee nieder, denn der Eingang war so nieder, daß er diese Stellung, als noch die bequemste, fast nothwendig gebot. Ehe er jedoch den Kopf hineinstreckte, horchte er lange, um Athemzüge von Schlafenden zu erlauschen. Kein Ton war zu hören, und diese menschliche Schlange schob den Kopf zur Thüre oder zu der Oeffnung hinein, wie eine eigentliche Schlange in das Nest würde hineingekrochen seyn. Kein Lohn vergalt das gefahrvolle Wagestück; denn als er vorsichtig mit der Hand umhertastete, fand er die Hütte leer.

In derselben behutsamen Weise kroch der Delaware noch in ein Paar Von den Hütten, fand aber alle in gleichem Zustand. Dann kehrte er zu seinen Genossen zurück, und benachrichtigte sie, daß die Huronen ihr Lager verlassen hätten. Einige weitere Nachforschung bestätigte dieß, und es blieb Nichts übrig, als in das Canoe zurückzukehren. Die verschiedene Art, wie die Abenteurer diese Täuschung ihrer Hoffnungen ertrugen, verdient eine flüchtige Bemerkung. Der Häuptling, der nur an’s Land gestiegen war, in der Hoffnung, Ruhm zu ernten, stand, an einen Baum gelehnt, unbeweglich da, die Ansicht und den Willen seiner Begleiter abwartend. Er war zwar gekränkt und etwas überrascht; aber er ertrug Alles mit Würde, und tröstete sich wegen des Unfalls mit den süßern Erwartungen, die ihm für diesen Abend noch vorbehalten blieben. Zwar konnte er jetzt nicht hoffen, seiner Geliebten entgegenzutreten, geschmückt mit den Zeichen seiner Kühnheit und Geschicklichkeit, aber er durfte doch noch hoffen, sie zu sehen; und der Krieger, der sich so eifrig in der Aufsuchung zeigte, durfte immer noch hoffen geehrt zu werden. Hutter und Hurry dagegen, die hauptsächlich durch das gemeinste aller Motive menschlichen Handelns, durch Gewinnsucht, waren angelockt worden, konnten ihre Affekte kaum zügeln. Sie streiften wüthend zwischen den Hütten herum, als hofften sie noch ein verlassenes Kind oder einen sorglosen Schläfer irgendwo zu treffen; und zu wiederholten Malen ließen sie ihren Grimm an den empfindungslosen Hütten aus, von denen einige wirklich in Stücke gerissen und auf dem Platz umhergestreut wurden. Ja, sie haderten auch unter einander, und heftige Vorwürfe wurden zwischen ihnen gewechselt. Es ist möglich, daß ernstere Folgen eingetreten wären, hätte sich nicht der Delaware in’s Mittel gelegt und sie an die Gefahr erinnert, sich so unvorsichtig zu benehmen, und an die Nothwendigkeit, zur Arche zurückzukehren. Dieß erstickte den Streit, und nach wenigen Minuten ruderten sie rasch zurück nach der Stelle, wo sie das Fahrzeug zu finden hofften.

Es wurde schon erzählt, daß bald nach der Abfahrt der Abenteurer Judith sich neben Wildtödter setzte. Eine kleine Weile blieb das Mädchen schweigsam, und der Jäger wußte nicht, welche von den Schwestern sich ihm genähert hatte; aber bald erkannte er die metallreiche, lebhafte Stimme der älteren, als sie ihren Gefühlen in Worten Luft mochte.

»Das ist ein schreckliches Leben für Frauen, Wildtödter!« rief sie aus. »Wollte Gott, ich sähe ein Ende davon ab!«

»Das Leben ist gut genug, Judith,« war die Antwort, »es ist eben so ziemlich, je nachdem man es gebraucht oder mißbraucht. Was wünschtet Ihr Euch denn dafür?«

»Ich würde tausendmal glücklicher feyn, wenn ich näher bei civilisirten Menschen lebte, – wo Pachthöfe und Häuser und will’s Gott von Christenhänden gebaute Häuser sind; und wo mein Schlaf bei Nacht süß und ruhig wäre! Eine Wohnung in der Nähe der Forts wäre weit besser, als der traurige Ort, wo wir leben!«

»Nein, Judith, ich kann nicht allzuleicht die Wahrheit von all diesem zugeben. Wenn Forts gut sind, Feinde abzuhalten, so enthalten sie dafür oft selbst Feinde. Ich glaube nicht, daß es zu Eurem oder Hetty’s Besten wäre, in der Nähe von einem zu wohnen; und wenn ich sagen soll, was ich denke, so fürchte ich, Ihr seyd so schon zu nahe dabei.« Wildtödter fuhr fort in der ihm eigenen gefaßten, ernsten, gleichmüthigen Weise, denn die Dunkelheit verbarg ihm die Gluten, welche die Wangen des Mädchens mit glänzendem Purpur überzogen hatten, während ihre eigene heftige Anstrengung die Töne des gewaltsamen Athmens, das sie fast ersticken wollte, unterdrückte. »Was Pachthöfe betrifft, die haben ihren Nutzen, und es gibt Leute, die gern ihr Leben darauf zubringen; aber welches Behagen kann ein Mensch von einer Lichtung hoffen, das er nicht in doppeltem Maß im Walde finden kann? Wenn es mit Luft, und Raum, und Licht etwas knapp zugeht, so liefern das die Windfluchten und die Ströme, oder da sind ja die Seen für Solche, die in dieser Hinsicht stärkere Wünsche haben; aber wo findet Ihr Eure Schatten, und lachenden Quellen, und hüpfenden Bäche, und ehrwürdigen, tausendjährigen Bäume auf einer Lichtung? Ihr findet sie nicht, sondern Ihr findet nur ihre verstümmelten Stämme, als Landmarken, wie Grabsteine auf einem Kirchhof. Mir scheint es, daß die Leute, die an solchen Orten leben, immer an ihr eignes Ende und an allgemeinen Verfall denken müssen, und zwar nicht an den Verfall, den Zeit und Natur herbeiführen, sondern an den Verfall, der auf Verheerung und Gewaltthat folgt. Dann was Kirchen betrifft, die sind gut, glaube ich, sonst würden nicht gute Leute sie erbauen und erhalten. Aber sie sind nicht durchaus nothwendig. Sie nennen sie Tempel des Herrn; aber Judith, die ganze Erde ist ein Tempel des Herrn für Solche, welche das rechte Gemüth dafür haben. Weder Forts noch Kirchen an sich machen die Menschen glücklicher. Indem ist in den Ansiedlungen Alles Widerspruch, während in den Wäldern Alles Einklang ist. Forts und Kirchen sind fast immer bei einander, und doch sind sie gerade Gegensätze; Kirchen sind ja für den Frieden, und Forts für den Krieg. Nein, nein – ich lobe mir die festen Plätze der Wildniß, nemlich die Bäume, und auch die Kirchen, nemlich die Hallen, die die Hand der Natur aufgeführt.«

»Das Weib ist nicht gemacht für Scenen, wie diese, Wildtödter; Scenen, von denen kein Ende abzusehen ist, so lange dieser Krieg währt.«

»Wenn Ihr Weiber von weißer Farbe meint, so glaube ich fast, Ihr seyd nicht weit vom Wahren entfernt, Mädchen; was aber die Weiber der rothen Männer betrifft, so sind solche Auftritte ganz nach ihrem Charakter. Nichts würde Hist zum Beispiel, die Verlobte Braut dieses Delawaren, glücklicher machen, als wenn sie wüßte, daß er in diesem Augenblick unter seinen natürlichen Feinden herumstreift und nach einem Skalpe trachtet.«

»Wahrhaftig, Wildtödter, wahrhaftig, sie kann doch kein Weib seyn, ohne Sorge zu fühlen, wenn sie denkt, der Mann, den sie liebt, sey in Gefahr!« »Sie denkt nicht an die Gefahr, Judith, sondern an die Ehre; und wenn das Herz auf’s Aeußerste auf solche Gefühle versessen ist, ha, dann bleibt wenig Raum übrig, daß sich die Furcht einschleichen könnte. Hist ist eine gutmüthige, sanfte, lachende, angenehme Creatur, aber sie liebt die Ehre so sehr als irgend ein Delawarisches Mädchen meiner Bekanntschaft. Sie soll Schlange binnen einer Stunde treffen auf dem Vorsprung, wo Hetty landete; und ohne Zweifel hat sie auch ihre Aengste darüber, wie jedes andre Weib; aber sie wäre nur um so glücklicher, wüßte sie, daß ihr Geliebter in diesem Augenblick einem Mingo, seines Skalpes wegen, aufpaßt.

»Wenn Ihr das wirklich glaubt, Wildtödter, kein Wunder dann, daß Ihr ein so großes Gewicht auf die Gaben legt. Ich weiß gewiß, kein weißes Mädchen könnte sich anders als elend fühlen, so lang sie ihren Geliebten in Lebensgefahr wüßte! Auch glaube ich, selbst Ihr, so unerschütterlich und ruhig Ihr immer scheint, könntet schwerlich Ruhe haben, wenn Ihr Eure Hist in Gefahr glaubtet.«

»Das ist ein andres Ding – das ist ein ganz andres Ding, Judith. Das Weib ist zu schwach und zart, um für solche Gefahren bestimmt zu seyn, und der Mann muß für sie fühlen. Ja, ich glaube fast, das ist ebenso rothe Natur wie weiße. Aber ich habe keine Hist, und werde schwerlich eine bekommen; denn ich halte es nicht für Recht, irgend wie die Farben zu mischen, außer in Freundschaft und Dienstleistungen.«

»Darin seyd und fühlt Ihr, wie es einem weißen Manne ziemt! Was den Hurry Harry betrifft, so glaube ich, ihm wäre Alles gleich, ob sein Weib eine Indianerin oder eine Gouverneurs-Tochter wäre, vorausgesetzt nur, sie wäre ein wenig hübsch, und könnte ihm dazu helfen, seinen gierigen Magen immer zu füllen,«

»Ihr thut March Unrecht, Judith, ja das thut Ihr! Der arme Kerl ist vernarrt in Euch, und wenn ein Mann sich wirklich eine solche Kreatur in den Kopf gesetzt hat, so wird ihm schwerlich ein Mingo- oder selbst ein Delawaren-Mädchen mehr den Kopf verrücken. Ihr mögt lachen über solche Männer, wie Harry und ich sind, denn wir sind rauh und ungelehrt in Büchern und andern Kenntnissen, aber wir haben unsre guten Seiten, wie unsre schlechten. Ein redliches Herz ist nicht zu verachten, Mädchen, wenn es auch nicht bewandert ist in all den Zierlichkeiten, die einem weiblichen Geschmack gefallen.«

»Ihr, Wildtödter! Und meint Ihr – könnt Ihr einen Augenblick glauben, ich stelle Euch Harry March an die Seite? Nein, nein. So weit bin ich nicht in der Thorheit und Blindheit gekommen. Niemand – Mann oder Weib – könnte daran lenken, Euer redliches Herz, Euer mannhaftes Wesen und Eure einfache Wahrheitsliebe zusammen mit der lärmenden Selbstsucht, der schmutzigen Habsucht und der übermüthigen Wildheit Henry March’s zu nennen. Das Beste noch, was von ihm gesagt werden kann, ist in seinem Namen Hurry Skurry zu finden, der, wenn nicht viel Schlimmes, auch eben nicht viel Gutes besagt. Sogar mein Vater, mit dem Andern der Befriedigung seiner Neigungen und Gefühle nachgehend, wie eben im jetzigen Augenblick, erkennt doch wohl den Unterschied zwischen Euch. Das weiß ich, denn das hat er mir selbst offen erklärt.«

Judith war ein Mädchen von schnellen Empfindungen und von ungestümen Gefühlen; und da sie wenig von dem Zwang wußte, welcher die Offenbarung der Gemüthsbewegungen junger, weiblicher Seelen bei Solchen beschränkt und hemmt, die in den Sitten und Gewohnheiten des civilisirten Lebens aufwachsen, verrieth sie die ihrigen mit einer Offenheit, die so rein natürlich war, daß sie weit über den Künsten der Koketterie stand, ebenso wie über ihrer Herzlosigkeit. Sie hatte sogar jetzt eine der harten Hände des Jägers ergriffen und sie mit ihren beiden Händen gedrückt, mit einer Wärme und einem Ernst, die zeigten, wie aufrichtig ihre Sprache war. Es war vielleicht ein Glück, daß sie gerade durch das Uebermaß ihrer Gefühle zum Schweigen genöthigt wurde, denn dieselbe Gewalt hätte sie dahin bringen können, Alles zu gestehen, was ihr Vater gesagt, – denn der Alte hatte sich nicht mit einer für Wildtödter vortheilhaften Vergleichung zwischen Hurry und dem Jäger begnügt, sondern auch in seiner derben, plumpen Weise seine Tochter kurz und gut angewiesen, den Erstern gänzlich fahren zu lassen, und sich darauf gefaßt zu machen, des Letztern Weib zu werden. Judith würde das nicht gern einem andern Manne gesagt haben, aber die arglose Treuherzigkeit Wildtödters erweckte so viel Vertrauen, daß ein Wesen von ihrem Naturell in beständiger Versuchung sich fühlen mußte, die Grenzen der Gewohnheit zu überspringen. Sie ging jedoch nicht weiter, ließ augenblicklich seine Hand wieder los, und nahm wieder die Zurückhaltung an, die ihrem Geschlecht und in der That auch ihrer natürlichen Sittsamkeit gemäßer war.

»Dank Euch, Judith, dank Euch von ganzem Herzen,« versetzte der Jäger, dem seine Bescheidenheit verbot, von dem Benehmen oder von der Sprache des Mädchens eine schmeichelhafte Auslegung zu machen, »Dank Euch, so herzlich, als wenn Alles wahr wäre. Harry fällt in’s Auge, ja er fällt in’s Auge wie die größte Tanne dieser Berge, und Schlange hat ihn dem entsprechend benamst; aber Manche finden Geschmack an gutem Aussehen, und Manche nur an guter Handlungsweise. Hurry hat Einen Vortheil und es kommt auf ihn an, ob er auch den andern haben soll, oder – horcht! Das ist Eures Vaters Stimme, und er spricht wie Einer, der über etwas ergrimmt ist.«

»Gott bewahre uns vor weitern solchen entsetzlichen Scenen!« rief Judith, ihr Gesicht zu den Knieen herunterbeugend und bestrebt, indem sie sich mit den Händen die Ohren zuhielt, die widerlichen Töne von sich fern zu halten. »Ich wünschte manchmal, ich hätte keinen Vater!« Sie sagte dieß mit Bitterkeit, und die quälenden Erinnerungen, die ihr diese Worte auspreßten, wurden bitter von ihr gefühlt. Es ist unmöglich zu sagen, was sie noch weiter hätte äußern mögen, hätte nicht eine sanfte, leise Stimme dicht an ihrer Seite gesprochen.

»Judith, ich hätte Vater und Hurry ein Kapitel lesen sollen!« sagte die unschuldige aber geängstigte Sprecherin, »das würde sie abgehalten haben, auf ein solches Unternehmen auszuziehen. Ruft Ihr ihnen, Wildtödter, und sagt ihnen, ich verlange nach ihnen, und es werde für sie Beide gut seyn, wenn sie umkehren und meinen Worten horchen.«

»Ach Gott! – arme Hetty, Ihr wißt wenig von der Gier nach Geld und Rache, wenn Ihr glaubt, sie lasse sich so leicht von ihrem Bestreben abziehen! Aber das ist ein ganz seltsamer Handel, in mehr als einer Weise, Judith! Ich höre Euren Vater und Hurry brüllen wie Bären, und doch kommt kein Laut aus dem Munde des jungen Häuptlings. Das Geheimthun hat sein Ziel gefunden, und doch schweigt sein Kriegsruf, der nach der Regel unter solchen Umständen an den Bergen widerhallen sollte!«

»Die Gerechtigkeit hat ihn vielleicht ereilt, und sein Tod hat das Leben von Unschuldigen gerettet!«

»Nicht so – nicht so – die Schlange ist es nicht, der es entgelten müßte, wenn das das Gesetz seyn sollte. Gewiß hat kein Angriff stattgefunden, und es ist höchst wahrscheinlich, daß die Männer das Lager verlassen gefunden haben und mit getäuschter Hoffnung zurück kommen. Das erklärt das Gebrülle Hurry’s und das Schweigen der Schlange.«

Gerade in diesem Augenblicke hörte man im Canoe einen Ruderschlag fallen, denn der Verdruß hatte March ganz rücksichtslos gemacht, und Wildtödter war jetzt von der Richtigkeit seiner Vermuthung überzeugt. Da das Segel herabgelassen, war die Arche nicht weit geschwommen, und nach wenigen Minuten hörte er Chingachgook in leisem, ruhigem Tone Huttern Anweisung geben, wie er steuern sollte, um sie zu erreichen. In kürzerer Zeit als die Erzählung erfordert, erreichte das Canoe die Fähre, und die Abenteurer stiegen auf diese herüber. Weder Hutter noch Hurry sprachen von dem Vorgefallenen; der Delaware aber sprach, als er an seinem Freunde vorbeikam, nur die Worte: »das Feuer ist aus!« Die, wenn nicht buchstäblich wahr, doch dem Andern die Wahrheit zur Genüge erklärten.

Jetzt entstand die Frage, in welcher Richtung steuern. Eine kurze, mürrische Berathung wurde gehalten, wo Hutter entschied: das Klügste würde seyn, in beständiger Bewegung zu bleiben – als das sicherste Mittel, jeden Versuch einer Ueberraschung zu vereiteln; und zugleich kündigte er seine und March’s Absicht an, sich für den Verlust des Schlafs während ihrer Gefangenschaft schadlos zu halten, und sich niederzulegen. Da der Wind noch immer umschlug und leicht wehte, wurde am Ende beschlossen, vor ihm her zu segeln, komme er von welcher Richtung er wolle, so lange er nur die Arche nicht an den Strand treibe. Nachdem dieser Punkt festgesetzt war, halfen die befreiten Gefangenen die Segel aufziehen, und warfen sich dann auf zwei Pritschen, Wildtödter und seinem Freund überlassend, nach den Bewegungen der Arche zu sehen, da Keiner von den Letztern zu schlafen gesonnen war. Wegen der Verabredung mit Hist war diese Auftheilung der Rollen allen Theilen recht und daß Judith und Hetty auch aufblieben, verminderte in keiner Weise die Annehmlichkeiten der den Wachehaltenden zugetheilten Rolle.

Eine Zeit lang trieb die Fähre mehr an der westlichen Küste hin, als daß sie segelte, einer leisen südlichen Luftströmung folgend. Die Bewegung war langsam, nicht über ein paar Meilen in der Stunde, aber die zwei Männer bemerkten, daß sie sie nicht blos dem Punkte zu führte, den sie zu erreichen wünschten, sondern auch in einem Verhältniß der Schnelligkeit, wie es gerade die noch übrige Zeit erforderte. Aber Wenig ward in dieser Zeit gesprochen, selbst von den Mädchen, und dieß Wenige bezog sich mehr auf die Befreiung Hist’s, als auf andere Gegenstände. Der Indianer war dem äußern Anschein nach ruhig; aber wie Minute um Minute verstrich, wurden seine Gefühle immer aufgeregter, bis sie einen Stand erreichten, der die Ansprüche selbst der begehrlichsten Geliebten würde befriedigt haben. Wildtödter steuerte das Fahrzeug so viel in den Buchten hin, als die Vorsicht erlaubte, mit dem gedoppelten Zweck, unter dem Schatten der Wälder zu segeln, und Zeichen von einem Lager auf der Küste zu entdecken, an dem sie etwa vorbeikämen. In dieser Weise hatten sie einen tiefgelegenen Vorsprung umsegelt, und befanden sich schon in der Bai, welche zur nördlichen Grenze das Ziel hatte, auf welches sie los gingen. Das letztere war noch eine Viertelmeile entfernt, als Chingachgook schweigend zu seinem Freunde trat, und auf einen Punkt hindeutete, gerade vor ihnen. Ein kleines Feuer brannte gerade am Saum der Büsche, welche die Küste auf der Südseite des Absprungs einfaßten – und ließ keinen Zweifel daran übrig, daß die Indianer ihr Lager eben an den Platz, oder wenigstens auf den Landvorsprung verlegt hatten, wohin Hist sie beschieden!

Sechszehntes Kapitel.

Sechszehntes Kapitel.

Von Sonnschein du dem Thale bringst –
Von Blumen süße Kunden;
Mir aber du ein Mährchen singst
Von geisterhaften Stunden.
Wordsworth.

Die am Schluß des vorigen Kapitels gemeldete Entdeckung war in Wildtödters und seines Freundes Augen von großer Bedeutung. Fürs Erste war die Gefahr, ja beinahe die Gewißheit vorhanden, daß Hutter und Hurry einen neuen Versuch gegen dieß Lager unternehmen würden, falls sie aufwachten und dessen Position erkannten. Dann war es bedenklicher zu landen, um Hist aufzunehmen, und dann mußte auch überhaupt Unsicherheit und mußten weitere schlimme Wechselfälle die Folge des Umstandes seyn, daß ihre Feinde angefangen, ihre Stellung zu ändern. Da der Delaware wußte, daß die Stunde nahe war, wo er an dem verabredeten Punkte sich einstellen sollte, dachte er nicht weiter an Trophäen, die er seinen Feinden abziehen wollte, und eine der ersten Verabredungen zwischen ihm und seinem Genossen war die, die beiden Andern fortschlafen zu lassen, damit sie nicht die Ausführung ihres Plans durch einen neuen, von ihnen ausgesonnenen, durchkreuzten und vereitelten. Die Arche rückte langsam vor, und hatte in diesem Verhältniß der Schnelligkeit eine volle Viertelstunde gebraucht, den Landvorsprung zu erreichen, wodurch sie Zeit zu weiterem Bedenken gewannen. Die Indianer, in der Absicht, ihr Feuer dem Auge der im Castell (nach ihrem Wahne) Befindlichen zu entziehen, hatten es so nahe der südlichen Küste des Vorsprungs angezündet, daß es äußerst schwer hielt, hinter den Büschen die Aussicht zu versperren, obgleich Wildtödter die Richtung der Fähre nach Rechts und Links veränderte, in der Hoffnung dieß bewirken zu können.

»Einen Vortheil hat es, Judith, daß wir das Feuer so nahe beim Wasser finden,« sagte er, während er diese kleinen Manöuvers ausführte: »es zeigt uns, daß die Mingo’s uns in der Hütte glauben, und daß unser Herankommen von dieser Seite ein Ereigniß ist, das sie nicht erwarten. Aber es ist ein Glück, daß Harry March und Euer Vater schlafen, sonst würden sie wieder auf Skalpe Jagd machen wollen. Ha! so – jetzt fangen die Büsche an, das Feuer dem Auge zu entziehen – und jetzt sieht man es gar nicht mehr!«

Wildtödter wartete eine Weile, um sich zu versichern, daß er die gewünschte Stellung eingenommen, worauf er das verabredete Signal gab, und Chingachgook den Anker auswarf und das Segel herunterließ.

Die Lage, in welcher sich die Arche jetzt befand, hatte ihre Vortheile und ihre Nachtheile. Das Feuer war dem Auge dadurch entzogen worden, daß man der Küste entlang hinsteuerte, und dadurch war man dieser vielleicht näher, als wünschenswerth, gekommen. Aber man wußte, daß weiter einwärts im See das Wasser sehr tief war, und unter den Umständen, worin die Gesellschaft sich befand, war es, wenn immer möglich, zu vermeiden, in tiefem Wasser den Anker zu werfen. Man glaubte auch, es könne auf Meilen weit kein Floß um den Weg seyn; und obgleich die Bäume in der Dunkelheit beinahe auf die Fähre hereinzuhängen schienen, war es doch Wohl nicht leicht, sich ihr zu nähern und an Bord zu kommen, ohne sich eines Bootes zu bedienen. Auch die dichte Finsterniß, welche mit dem Wald verschwistert herrschte, diente als ein wirksamer Schirm und Schild, und so lang man sich recht hütete, kein Geräusch zu machen, war wenig oder keine Gefahr, entdeckt zu werden. Auf dieß Alles machte Wildtödter Judith aufmerksam, und unterwies sie, was sie zu thun hätte, falls Lärm entstände; denn man erachtete es für undienlich im höchsten Grade, die Schläfer zu wecken, außer im allerdringendsten Nothfall.

»Und jetzt, Judith, da wir einander verstehen, ist es Zeit, daß Schlange und ich uns in das Canoe begeben,« schloß der Jäger. »Der Stern ist zwar noch nicht aufgegangen, aber er muß jetzt bald kommen, obwohl heute Nacht schwerlich Einer von uns wird viel von ihm zu sehen bekommen vor den Wolken. Jedoch Hist hat einen entschlossenen und klugen Geist, und sie gehört zu Denen, die nicht gerade immer nöthig haben, Etwas vor Augen zu haben, um es zu sehen. Ich stehe Euch dafür, sie fehlt nicht um zwei Minuten und nicht zwei Fuß breit, wenn nicht die eifersüchtigen Vagabunden dort, die Mingo’s, aufmerksam geworden sind, und sie hingesetzt haben als eine Locktaube, um uns zu fangen, oder sie fortgeschleppt und versteckt, um sich gefaßt zu machen auf einen Huronen, statt eines Mohikan, zum Gatten.«

»Wildtödter,« unterbrach ihn das Mädchen ernst; »das ist ein sehr gefährlicher Dienst; warum befaßt Ihr Euch überhaupt damit?«

»Ha! Nun, Ihr wißt ja, Mädchen, wir wollen Hist, der Schlange Verlobte abholen, das Mädchen, das er zu heirathen gedenkt, sobald wir zu dem Stamm zurückkommen.«

»Das ist Alles recht für den Indianer – aber Ihr gedenkt nicht Hist zu heirathen – Ihr seyd nicht verlobt, und warum sollen Zwei ihr Leben und ihre Freiheit aufs Spiel setzen, um zu thun, was Einer ebenso gut vollbringen kann?«

»Ha! – jetzt verstehe ich Euch, Judith – ja, jetzt fang‘ ich an Eure Idee zu fassen. Ihr denkt, da Hist Chingachgooks Verlobte sey, wie sie es nennen, und nicht die meinige, so sey es ganz und gar seine Sache; und da Ein Mann ein Canoe rudern könne, so sollte man ihn allein nach dem Mädchen ausziehen lassen. Aber Ihr vergeßt, das ist unser Vorhaben hier, am See, und es nähme sich schlimm aus, ein Vorhaben zu vergessen, gerade wenn das Mißlichste kommt. Dann, wenn die Liebe bei manchen Leuten, besonders bei jungen Weibern, so Viel gilt und erklärt, so gilt bei manchen Andern auch die Freundschaft Etwas, Ich glaube wohl, der Delaware kann allein ein Canoe rudern und allein Hist abholen, und vielleicht wäre er es ebenso zufrieden, als wenn ich ihn begleite; aber er könnte allein nicht ebenso List mit List begegnen, oder einen Hinterhalt aufstöbern, oder mit den Wilden kämpfen, und zugleich sein Liebchen davon führen, als wenn er einen Freund bei sich hat, auf den er sich verlassen kann, wenn auch dieser Freund kein Besserer ist als ich. Nein – nein – Judith, Ihr würdet nimmermehr in einem solchen Augenblick Jemand verlassen, der auf Euch gezählt hätte, und Ihr könnt es billigermaßen auch von mir nicht erwarten.« »Ich fürchte – ich glaube, Ihr habt Recht, Wildtödter, und doch wünsche ich, Ihr gienget nicht! Versprecht mir wenigstens Eines, und das ist: Euch nicht unter die Wilden zu wagen und nicht Mehr zu thun, als das Mädchen zu retten! Das wird für Einmal genug seyn, und damit solltet Ihr Euch zufrieden geben.«

»Gott tröste Euch, Mädchen; man sollte glauben, es sey Hetty, die so spreche, und nicht die raschbesonnene, wunderbare Judith Hutter! Aber Furcht macht die Weisen einfältig, und die Starken schwach. Ja, davon hab‘ ich oft und viel Beweise gesehen! Nun, es ist gütig und sanftherzig von Euch, Judith, solche Theilnahme zu fühlen für ein Mitgeschöpf, und ich werde es immer sagen, daß Ihr wohlwollend und von treuem Gefühl seyd, mögen die, die Euer schönes Aussehen beneiden, so viel müssige Mährchen von Euch erzählen, als sie Lust haben.«

»Wildtödter!« unterbrach ihn das Mädchen hastig, aber beinahe erstickt von ihrer heftigen Gemüthsbewegung; »glaubt Ihr Alles, was Ihr von einem armen, mutterlosen Mädchen hört? Soll die schändliche Zunge Harry Hurry’s mein Leben vergiften?«

»Nicht so, Judith, nicht so. Ich habe Hurry gesagt, es sey nicht mannhaft, diejenigen hinterrücks zu beißen, die er nicht durch offene Mittel gewinnen könne; und daß selbst ein Indianer immer rücksichtlich ist in Bezug auf den guten Namen eines jungen Weibes.«

»Wenn ich einen Brüder hätte, sollte er sich nicht erfrechen es zu thun!« rief Judith mit feuersprühenden Augen. »Aber da er mich ohne einen Beschützer findet, außer einem alten Mann, dessen Ohren ebenso stumpf zu werden anfangen als seine Gefühle, steht ihm allerdings frei zu thun, was ihm beliebt.«

»Nicht so ganz, Judith; nein, das doch nicht so ganz! Kein Mann, Bruder oder Fremder würde ruhig dabei stehen und zusehen, wie ein so schönes Mädchen wie Ihr verunglimpft und herabgerissen würde, ohne ein Wort zu ihren Gunsten zu sagen. Es ist Hurry Ernst mit dem Wunsch, Euch zu seinem Weibe zu bekommen, und das Wenige, was er zu Eurem Nachtheil äußert, kommt wohl mehr von Eifersucht her, als von einem andern Beweggrund. Lächelt ihm zu, wenn er erwacht, und drückt ihm die Hand nur halb so stark, als ihr die meinige vor einer Weile drücktet, und ich setze mein Leben darauf, der arme Kerl wirb Alles vergessen außer Eurem hübschen Gesicht, Heiße Worte kommen nicht immer aus dem Herzen, sondern öfter aus dem Magen, als sonst woher. Versucht es mit ihm, Judith, wenn er erwacht, und erkennt dann die Kraft und Tugend eines Lächelns!«

Wildtödter lachte auf seine Weise, als er schloß, und dann gab er dem geduldig aussehenden, aber innerlich sehr ungeduldigen Chingachgook seine Bereitwilligkeit zum Aufbruch zu erkennen. Als der junge Mann in das Canoe trat, stand das Mädchen regungslos wie Stein, versunken in das Nachsinnen, das die Sprache und das Benehmen des Andern wohl in ihr hervorrufen mochten. Die Einfachheit und Treuherzigkeit des Jägers hatte sie völlig getäuscht; denn in ihrer engen Sphäre war Judith Meisterin in Behandlung des andern Geschlechts; obwohl sie im gegenwärtigen Falle, bei Allem was sie gesagt und gethan, weit mehr durch unwillkürliche Gefühle als durch Berechnung war geleitet worden. Wir wollen nicht läugnen, daß einige von Judiths Betrachtungen bitter gewesen, obwohl wir auf den weitern Verlauf der Erzählung verweisen müssen, wo sich herausstellen wird, wie verdient oder wie heftig ihre Leiden waren.

Chingachgook und sein Bleichgesichtsfreund schickten sich zu ihrem gewagten und delikaten Unternehmen mit einer Kaltblütigkeit und Umsicht an, die Männern Ehre gemacht hätte, welche sich auf ihrem zwanzigsten, statt auf dem ersten, Kriegszug befanden. Der Indianer, wie seinem Verhältnis zu der schönen Flüchtigen geziemte, deren Dienst sie sich so zu sagen geweiht hatten, nahm seinen Platz vorn in dem Canoe ein, während Wildtödter dessen Bewegungen vom Hintertheil aus lenkte. Vermöge dieser Anordnung mußte Jener zuerst landen, und mithin auch zuerst seiner Geliebten entgegen treten. Der Andere hatte seinen Possen ohne weitere Bemerkung eingenommen, insgeheim jedoch geleitet von dem Gedanken, daß Einer, der so Viel auf dem Spiele stehen hatte, wie der Indianer, wohl schwerlich das Canoe mit derselben Stetigkeit und Einsicht würde steuern können, wie Einer, der mehr Herrschaft über seine Gefühle besaß. Von dem Augenblick an, wo sie von der Arche abstießen, glichen die Bewegungen der beiden Abenteurer den Manövern von trefflich dressirten Soldaten, die zum erstenmal berufen sind, dem Feind im Feld zu begegnen. Bis jetzt hatte Chingachgook noch nie einen Schuß in ernstem Kampfe abgefeuert, und das Probestück seines Kriegskameraden ist dem Leser bekannt. Zwar war der Indianer gleich bei seiner ersten Ankunft einige Stunden um das Lager des Feindes herumgestrichen, und hatte sich sogar, wie im vorigen Capitel erzählt worden, hineingewagt, aber beide Versuche waren ohne Folgen geblieben. Jetzt war gewiß, daß entweder ein wichtiges Ergebniß erzielt werden, oder ein schmerzliches Mißlingen der Ausgang seyn mußte. Die Befreiung oder die fortdauernde Gefangenschaft Hist’s hing von dem Unternehmen ab. Mit Einem Wort, es war in der That die Jungfern-Expedition dieser zwei ehrgeizigen jungen Waldkrieger, und während der Eine dabei beseelt wurde von Gefühlen, welche gewöhnlich Männer auf diese Bahn spornen, waren bei beiden alle Empfindungen des Stolzes und der Mannhaftigkeit rege in dem Eifer, einen guten Erfolg zu gewinnen.

Statt gerade auf den Landvorsprung los zu steuern, der jetzt nicht mehr eine Viertelstunde von der Arche entfernt war, lenkte Wildtödter das Vordertheil seines Canoes schräg gegen den Mittelpunkt des Sees, in der Absicht, eine Stellung zu gewinnen, von der aus er sich der Küste nähern könnte, so daß er die Feinde bloß vor sich hätte. Die Stelle, wo Hetty gelandet, und wo Hist versprochen hatte, sich einzufinden, war zudem eher auf der höhern als auf der niedern Seite des Vorsprungs; und um sie zu erreichen, hätten die zwei Abenteurer beinahe den ganzen Vorsprung dicht an der Küste hin umfahren müssen, hätten sie nicht jenen Schritt, um dem Vorzubeugen, gethan. So gut ward die Notwendigkeit dieser Maßregel begriffen, daß Chingachgook ruhig fortruderte, obgleich der Andere es gethan hatte, ohne ihn zu befragen, und dem Anschein nach das Canoe in eine Richtung brachte, welche der von ihm eigentlich, wie man hätte denken sollen, gewünschten, fast entgegengesetzt war. Wenige Minuten jedoch genügten, das Canoe so weit als nöthig zu fördern, wo dann beide junge Männer wie in instinktmäßiger Uebereinkunft zu rudern aufhörten und das Boot stehen blieb.

Die Dunkelheit nahm eher zu als ab, aber es war von dem Punkt aus, wo die Abenteurer sich befanden, doch noch möglich, die Umrisse der Berge zu unterscheiden. Umsonst wandte Wildtödter den Kopf nach Osten, um des verabredeten Sternes ansichtig zu werden; denn obgleich in dieser Himmelsgegend die Wolken in der Nähe des Horizonts sich ein wenig öffneten, blieb doch der Vorhang noch so dicht vorgezogen, daß er Alles dahinter ganz verbarg. Vor ihnen lag, wie man aus der Formation des Landes darüber und dahinten wußte, der Vorsprung in einer Entfernung von etwa tausend Fuß. Von dem Castell sah man keine Spur, auch konnte seine Bewegung, die auf jenem Theile des Orts vorging, vom Ohr vernommen werden. Der letztere Umstand mochte eben sowohl von der Entfernung, die einige Meilen betrug, als von der Thatsache herrühren, daß sich wirklich nichts bewegte. Die Arche, die von dem Canoe freilich kaum entfernter lag, als der Landvorsprung, war so vollständig in dem Schatten der Küste versenkt, daß sie nicht sichtbar gewesen seyn würde, wäre es auch um viele Grade Heller gewesen, als der Fall war.

Die Abenteurer hielten jetzt mit leiser Stimme eine Besprechung und beriethen sich, welche Zeit es wohl seyn möchte. Wildtödter meinte, es fehlten noch einige Minuten bis zur Zeit des Aufgangs des Sternes, während die Ungeduld des Häuptlings ihm die Nacht weiter vorgerückt erscheinen und ihn glauben ließ, seine Verlobte harre schon an der Küste seiner Ankunft. Wie man erwarten konnte, siegte des Letztern Meinung, und sein Freund schickte sich an, auf den verabredeten Platz loszusteuern. Die äußerste Vorsicht und Geschicklichkeit war jetzt bei der Handhabung und Leitung des Canoes nothwendig. Die Ruderschaufeln wurden aufs geräuschloseste emporgehoben und wieder in’s Wasser gesenkt; und als sie sich auf zweihundert Fuß dem Strande genähert, zog Chingachgook die seinige herein, und nahm dafür die Büchse zur Hand. Als sie dem Gürtel von Finsterniß noch näher kamen, der die Wälder einfaßte, sahen sie, daß sie zu weit nördlich steuerten und veränderten demgemäß ihre Richtung. Das Canoe schien jetzt von eigenem Instinkte geleitet, so vorsichtig und bedächtig waren alle seine Bewegungen, Doch rückte es noch immer vor, bis sein Bug auf dem Kiesboden des Strandes aufstieß, genau an der Stelle, wo Hetty gelandet hatte und von wo aus in der vorigen Nacht, als die Arche vorbeifuhr, ihre Stimme erschallt war. Wie gewöhnlich war der Strand schmal, aber Büsche faßten die Wälder ein und hingen an den meisten Stellen über das Wasser herein.

Chingachgook stieg auf dem Strande aus, und untersuchte ihn sorgfältig in einiger Entfernung zu beiden Seiten des Canoe’s. Er war dabei öfters genöthigt, bis an die Kniee im See zu waten, aber keine Hist war der Lohn seines Suchens, Bei seiner Rückkehr fand er seinen Freund auch an der Küste. Sie besprachen sich sofort in flüsterndem Tone, und der Indianer befürchtete, sie möchten sich in dem Ort der Verabredung geirrt haben. Wildtödter aber fand es wahrscheinlicher, daß sie die Stunde verfehlt hätten. Während er noch sprach, ergriff er den Arm des Delawaren, ließ ihn mit dem Gesicht dem See zu sich wenden, und deutete auf die Gipfel der östlichen Berge. Die Wolken waren ein wenig zerrissen, dem Anschein nach mehr hinter als über den Bergen, und der Abendstern schimmerte zwischen den Zweigen einer Fichte. Dieß war in jeder Weise eine schmeichelnde Vorbedeutung; und die jungen Männer lehnten sich auf ihre Büchsen, mit gespannter Erwartung dem Laute sich nähernder Schritte lauschend. Stimmen hörten sie oft, und gemischt damit war das unterdrückte Weinen von Kindern, und das leise aber anmuthige Lachen indianischer Weiber. Da die eingebornen Amerikaner ihrer Natur und Gewohnheit nach vorsichtig sind, und selten einem lauten Gespräche sich hingeben, erkannten die Abenteurer aus diesen Umständen, daß sie dem Lager sehr nahe seyn mußten. Es war leicht zu bemerken, daß in den Wäldern ein Feuer seyn müsse, aus der Art, wie manche der höhern Aeste der Bäume beleuchtet waren, aber es war von der Stelle aus, wo sie standen, nicht möglich, mit Genauigkeit zu ermitteln, wie nahe sie demselben wären. Ein paar Male schien es, als ob Personen vom Feuer her sich dem Ort der Verabredung näherten; aber diese Laute waren entweder eine reine Täuschung, oder diejenigen, welche sich genähert hatten, kehrten wieder um, ehe sie an die Küste kamen. Eine Viertelstunde verstrich in solcher gespannter Erwartung und Bangigkeit, als Wildtödter vorschlug, sie wollten im Canoe den Vorsprung umfahren, eine Position ganz in der Nähe, von wo aus man das Lager sehen könne, gewinnen, die Indianer rekognosciren und sich so in Stand setzen, sich beifallswerthere Vermuthungen über das Nichterscheinen Hist’s zu bilden. Der Delaware jedoch weigerte sich entschieden, den Platz zu verlassen und fühlte vernünftig genug als Grund hiefür die Verlegenheit und Noth des Mädchens an, wenn sie während seiner Abwesenheit ankäme. Wildtödter fühlte seines Freundes Besorgnisse mit, und erbot sich, die Fahrt um den Vorsprung herum allein zu machen, Während Chingachgook in dem Gebüsche versteckt zurückbleiben solle, um den etwaigen Eintritt eines glücklichen, seine Absichten begünstigenden Ereignisses abzuwarten. Mit dieser Verabredung trennten sie sich denn.

Sobald Wildtödter wieder auf seinem Posten im Hintertheil des Canoes sich befand, verließ er die Küste mit derselben Vorsicht lind in derselben geräuschlosen Weise, wie er sich ihr genähert hatte. Dießmal entfernte er sich nicht weit vom Lande, da die Büsche einen hinlänglichen Versteck boten, wenn man so nahe wie möglich an die Küste sich hielt. Man konnte sich in der That nicht leicht eine günstigere Gelegenheit erdenken, eine Rekognoscirung um ein indianisches Lager herum anzustellen, als welche die wirkliche Lage der Dinge darbot. Die Formation des Landvorsprungs gestattete, den Platz auf drei seiner Seiten zu umkreisen, und die Bewegung des Bootes war so geräuschlos, daß jede Besorgniß wegen eines dadurch zu verursachenden Lärmens beseitigt war. Der geübteste und vorsichtigste Fuß konnte in der Dunkelheit einen Haufen Blätter aufstöbern, oder einen dürren Zweig knicken, aber ein Rindenkanoe konnte man über die Fläche eines glatten Wassers dahingleiten machen, beinahe mit der instinktmäßigen Behendigkeit und gewiß mit der geräuschlosen Bewegung eines Wasservogels.

Wildtödter war beinahe in eine Linie zwischen dem Lager und der Arche gekommen, ehe er des Feuers ansichtig wurde. Es wurde ihm plötzlich und etwas unvermuthet sichtbar und verursachte ihm zuerst die Besorgniß, er habe sich unvorsichtig in den Kreis von Licht, den es um sich verbreitete, gewagt. Aber da er bei einem zweiten Blick wahrnahm, daß er vor Entdeckung ganz gewiß sicher wäre, so lange die Indianer sich in der Nähe des Mittelpunkts der Beleuchtung hielten, brachte er das Canoe in der vortheilhaftesten Position, die er finden konnte, zur Ruhe und begann seine Beobachtungen,

Wir haben dieß ungewöhnliche Wesen vielfach beschrieben, aber vergebens, wenn wir dem Leser jetzt erst zu sagen nöthig haben, daß er, unbewandert in der Gelehrsamkeit der Welt, und einfach wie er sich immer zeigte in allen Dingen, welche die Feinheiten des conventionellen Geschmacks betrafen, doch ein Mann von starkem natürlichem und poetischem Gefühl war. Er liebte die Wälder um ihrer Frische, ihrer erhabenen Einsamkeit, ihrer Riesenhaftigkeit und des Stempels willen, den sie überall an sich trugen von der göttlichen Hand ihres Schöpfers. Er durchwanderte sie selten, ohne stillstehend zu verweilen bei irgend einer eigenthümlichen Schönheit, die ihm Freude machte, obschon er selten den Gründen dieser Freude nachzuspüren suchte; und nie verging ein Tag, ohne daß er im Geist verkehrte – und das dazu ohne die Hülfe von Formen und Sprache – mit dem unendlichen Urquell von Allem, was er sah, fühlte und anschaute. Bei dieser geistigen und moralischen Organisation, und bei einer Kaltblütigkeit, welche keine Gefahr aus der Fassung bringen, kein kritischer Augenblick stören konnte, darf man sich nicht wundern, daß der Jäger jetzt einen Genuß empfand, die vor ihm liegende Scene zu beschauen, worüber er für den Augenblick den Zweck seines Besuchs vergaß. Diese wird man noch erklärlicher finden, wenn wir die Scene beschreiben.

Das Canoe lag gerade vor einer natürlichen Aussicht nicht blos durch die das Ufer einfassenden Büsche, sondern auch durch die Bäume, welche eine volle Ansicht des Lagers gestattete. Mittelst eben dieser Oeffnung hatte man von der Arche aus zuerst das Licht gesehen. In Folge ihrer ganz neuerlichen Lagerveränderung hatten sich die Indianer noch nicht in ihre Hütten zurückgezogen, sondern sich bei ihren Vorbereitungen, Wohnung und Nahrung zugleich betreffend, verspätet. Ein großes Feuer war aufgemacht worden, sowohl um den Dienst von Fackeln zu leisten, als auch zum Behuf ihres einfachen Kochens; und gerade in diesem Augenblick loderte es hell und lustig auf, da es neuerdings eine tüchtige Zulage von dürrem Reisig erhalten. Die Wirkung war, daß die Gewölbe des Waldes erleuchtet, und der ganze vom Lager eingenommene Platz so licht wurde, wie wenn Hunderte von Kerzen angezündet gewesen wären; die meiste Arbeit hatte aufgehört, und selbst das hungrigste Kind hatte seinen Appetit gestillt. Mit einem Wort, es war gerade der Augenblick der Abspannung und allgemeiner, träger Erschlaffung, wie er gern auf eine herzhafte Mahlzeit folgt, wenn die Mühen des Tages zu Ende sind. Die Jäger und die Fischer waren gleich glücklich gewesen; und da Lebensmittel, dieß eine große Bedürfniß des Wildenlebens, im Ueberfluß vorhanden waren, schien jede andre Sorge untergegangen in der Empfindung der von diesem hochwichtigen Umstand abhängenden Zufriedenheit.

Wildtödter sah auf den ersten Blick, daß viele von den Kriegern abwesend waren. Sein Bekannter, Rivenoak, jedoch war anwesend, und saß im Vorgrund eines Gemäldes, das ein Salvator Rosa mit Lust gemalt haben würde, seine dunkeln Züge ebenso von Freude erhellt, wie von der fackelgleichen Flamme während er einem Andern von dem Stamm einen der Elephanten zeigte, die unter seinem Volke so großes Aufsehen gemacht hatten. Ein Knabe schaute in dummer Neugier über seine Schulter herein, die Gruppe zu vervollständigen. Mehr im Hintergrund lagen acht bis zehn Krieger halb ausgestreckt auf dem Boden, oder saßen da, den Rücken an die Bäume gelehnt, ebenso viele Bilder träger Ruhe. Alle hatten ihre Waffen ganz in der Nähe; zum Theil lehnten sie an denselben Bäumen wie ihre Besitzer, oder lagen sie in nachlässiger Bereitschaft über ihren Leibern. Die Gruppe aber, welche Wildtödters Aufmerksamkeit am meisten anzog, war die aus den Weibern und Kindern bestehende. Alle Weiber schienen sich zusammen gemacht zu haben, und als eine Art Notwendigkeit waren ihre Kinder um sie her. Jene lachten und plauderten in ihrer gedämpften, ruhigen Weise, obwohl Einer, der die Sitten des Volks kannte, wohl gemerkt haben würde, daß nicht Alles im gewöhnlichen Geleise ging. Die meisten der jungen Frauen schienen wohlgemuth genug zu seyn; aber eine alte Hexe saß beiseite, mit einer lauernden, grämlichen Miene, die, wie der Jäger sogleich erkannte, verrieth, daß irgend eine Pflicht von unangenehmer Art ihr von den Häuptlingen war angewiesen worden. Worin diese Pflicht bestand, konnte er nicht errathen; aber er war überzeugt, daß sie sich einigermaßen auf ihr eigenes Geschlecht beziehen müsse, da die Alten unter den Weibern in der Regel nur zu solchen und keinen andern Diensten gewählt wurden.

Natürlich sah sich Wildtödter mit lebhaftem Eifer nach der Person Hist’s um. Sie war nirgends sichtbar, obgleich das Licht ansehnliche Entfernungen in allen Richtungen um das Feuer her durchdrang. Ein paar Mal fuhr er auf, da er ihr Lachen zu erkennen glaubte; aber sein Ohr war getäuscht worden durch die sanfte Melodie, welche man bei der Stimme der Indianerinnen so häufig findet. Endlich sprach das alte Weib laut und zornig, und dann wurde er ein paar dunkler Gestalten im Hintergrund der Bäume ansichtig, die sich, den Vorwürfen folgsam, wie es schien, umwandten, und mehr in den Kreis der Helle traten. Die Gestalt eines jungen Kriegers wurde zuerst deutlicher sichtbar; dann folgten zwei jugendliche Frauengestalten, von welchen Eine wirklich das Delawarische Mädchen war. Jetzt begriff Wildtödter Alles. Hist war bewacht, vielleicht von ihrer jungen Begleiterin, gewiß aber von dem alten Weibe. Der Jüngling war vermuthlich ihr oder ihrer Begleiterin Anbeter; aber selbst seiner Klugheit mißtraute man in Betracht seiner bewundernden Neigung. Die wohlbekannte Nähe Solcher, die man als ihre Freunde ansehen durfte, und die Ankunft eines unbekannten rothen Mannes am See hatte die gewöhnliche Sorgfalt noch geschärft, und das Mädchen hatte den sie Bewachenden nicht entschlüpfen können, um ihre Zusage zu erfüllen. Wildtödter errieth ihr Mißbehagen daraus, daß sie ein paar Mal durch die Zweige der Bäume empor zu blicken versuchte, um des Sterns ansichtig zu werden, den sie selbst als Zeichen für die Zeit der Zusammenkunft genannt. Alles jedoch war umsonst, und nachdem die beiden Mädchen noch eine Weile in erheuchelter Gleichgültigkeit um das Lager herumgeschlendert, verließen sie ihren Begleiter, und setzten sich unter ihr Geschlecht. Sobald dieß geschehen, vertauschte die alte Schildwache ihren Platz mit einem ihr angenehmeren, ein deutlicher Beweis, daß sie bisher ausschließlich der Wache gepflogen.

Wildtödter war jetzt sehr verlegen, was weiter vornehmen. Er wußte wohl, daß Chingachgook sich nimmer würde zur Rückkehr nach der Arche überreden lassen, ohne einen verzweifelten Versuch zur Wiedererlangung seiner Geliebten zu machen, und seine eigne Großherzigkeit machte ihn ganz geneigt, bei einem solchen Unternehmen Beistand zu leisten. Er glaubte bei den Weibern Zeichen ihrer Absicht zu bemerken, sich für diese Nacht zur Ruhe zu begeben; und falls er blieb, und das Feuer hell fortbrannte, konnte er vielleicht die Hütte oder das Laubgemach entdecken, worunter Hist schlief; ein Umstand von unendlichem Vortheil für ihr weiteres Beginnen. Aber wenn er noch viel länger an diesem Orte verweilte, so war große Gefahr, die Ungeduld seines Freundes möchte ihn zu irgend einer unbesonnenen That fortreißen. Wirklich erwartete er jeden Augenblick die dunkle Gestalt des Delawaren im Hintergrund erscheinen zu sehen, dem Tiger ähnlich, der um die Hürde herumschleicht. Alles gegen einander erwogen, gelangte er daher am Ende zu dem Schluß: es werde besser seyn, wenn er sich wieder zu seinem Freunde begebe, und seinen Ungestüm durch seine eigene Kaltblütigkeit und Besonnenheit zu mäßigen versuche. Es brauchte nur ein paar Minuten, diesen Plan in Ausführung zu bringen, und zehn oder fünfzehn Minuten, nachdem das Canoe den Strand verlassen, kehrte es wieder dahin zurück.

Vielleicht einigermaßen gegen seine Erwartung traf Wildtödter den Indianer auf seinem Posten, von dem er nicht gewichen war, aus Besorgniß, seine Verlobte möchte während seiner Abwesenheit ankommen. Eine Besprechung folgte, worin Chingachgook mit dem Stand der Dinge im Lager bekannt gemacht wurde. Als Hist den Vorsprung als Ort des Zusammentreffens nannte, that sie dieß in der Hoffnung, von der frühern Lagerstelle aus entfliehen, und sich an einen Platz begeben zu können, den sie gänzlich leer zu finden erwartete; aber der plötzliche Ortswechsel hatte alle ihre Plane vereitelt. Eine noch viel größere Wachsamkeit als früher war jetzt nöthig; und der Umstand, daß ein altes Weib auf den Wachposten gestellt war, zeugte auch von besondern Gründen zu Besorgnissen. Alle diese Erwägungen, und manche andere, die sich dem Leser leicht von selbst darbieten, wurden kurz besprochen, ehe die jungen Männer zu einer Entscheidung kamen. Da jedoch der Fall von der Art war, daß er Thaten vielmehr als Worte erheischte, ward die einzuschlagende Handlungsweise bald gewählt. Die jungen Männer brachten das Canoe in eine solche Stellung, daß Hist, wenn sie an den verabredeten Platz vor ihrer Rückkehr kam, es sehen mußte, untersuchten dann ihre Waffen, und begaben sich in den Wald hinein. Der ganze Vorsprung in den See hinein betrug etwa zwei Acres Land; und der Theil, welcher die Landzunge bildete, und wo das Lager stand, betrug eine Fläche von nur halb dieser Ausdehnung. Er war vornehmlich mit Eichen bedeckt, die, wie gewöhnlich in den Amerikanischen Wäldern, sehr hoch emporwuchsen, ohne Aeste auszusenden, und dann erst ein dichtes und üppiges Laubgewölbe bildeten. Unten war, außer dem Saum von dickem Buschwerk der Küste entlang, sehr wenig Unterholz; obwohl die Bäume, in Folge ihrer Gestalt, dichter beisammenstanden als in Gegenden gewöhnlich ist, wo das Beil frei geschaltet hat, und großen, geraden, rohen Säulen glichen, das gewöhnliche Blätterdach tragend. Der Boden war ziemlich eben, hatte jedoch eine kleine Erhöhung gegen die Mitte, welche ihn in eine nördliche und südliche Hälfte theilte. Auch kam ein Bach von den Seiten der benachbarten Hügel brausend herunter, und bahnte sich seinen Weg in den See auf der Südseite der Landspitze. Er hatte sich ein tiefes Bett gewühlt durch einige der höhergelegenen Theile des Landstriches, und in spätern Tagen, als dieser Platz für die Zwecke der Civilisation benutzt wurde, ist er vermöge seiner gewundenen und schattigen Ufer ein nicht geringer Zuwachs von Schönheit für die Gegend geworden. Dieser Bach lag westlich von dem Lager, und seine Wasser fanden ihren Weg in den großen Wasserbehälter der Gegend auf derselben Seite und ganz nahe dem Platze, den man für das Feuer gewählt hatte. Alle diese Umstände waren, soweit die Verhältnisse es gestatteten, von Wildtödter bemerkt, und seinem Freunde mitgetheilt worden.

Der Leser begreift, daß die kleine Erhöhung des Bodens hinter dem indianischen Lager die heimliche Annäherung der zwei Abenteurer sehr begünstigte. Sie verhinderte, daß das Licht des Feuers sich auf den Hintergrund geradezu ergoß, obgleich das Land dem Wasser zu abfiel, so daß die linke oder östliche Seite der Stellung dadurch ungeschützt blieb. Wir sagen »ungeschützt,« obgleich das nicht eigentlich das Wort ist, da der Buckel hinter den Hütten und dem Feuer den verstohlen sich Nähernden vielmehr einen Versteck, als den Indianern irgend einen Schutz bot. Wildtödter drang nicht durch den Gürtel von Buschwerk, unmittelbar parallel dem Canoe, denn dadurch hätte er zu plötzlich in den Bereich des Lichts kommen können, da der kleine Hügel nicht ganz bis an’s Wasser reichte, sondern er folgte dem Strande nördlich, bis er beinahe der Landzunge gegenüber sich befand, wodurch er unter den Schuß des leichten Abhangs und mithin mehr in Schatten kam.

Sobald die Freunde aus den Büschen heraus waren, machten sie Halt, um zu rekognosciren; das Feuer loderte noch hinter dem kleinen Buckel, und warf sein Licht aufwärts zu den Wipfeln der Bäume empor, was mehr einen schönen als für sie vortheilhaften Effekt hervorbrachte. Doch hatte das Lodern der Flamme seine Vortheile; denn während der Hintergrund dunkel, war der Vorgrund stark beleuchtet, so daß die Wilden dem Blick ausgesetzt, ihre Feinde versteckt waren. Den letztern Umstand benutzend, näherten sich die jungen Männer vorsichtig dem Hügelrücken, Wildtödter voran, denn er bestand auf dieser Anordnung, damit nicht der Delaware von seinen Empfindungen zu einem unbesonnenen Schritt sich hinreißen ließe. Es brauchte nur einen Augenblick, bis sie den Fuß der kleinen Anhöhe erreichten; und jetzt begann der kritischste Theil des Unternehmens. Mit ausnehmender Vorsicht sich bewegend, und seine Büchse so haltend, daß ihr Lauf nicht sichtbar wurde, und er sich ihrer sogleich bedienen konnte, rückte der Jäger nur einen Schritt um den andern vor, bis er hoch genug gekommen war, um über den Gipfel wegzusehen – nur sein Kopf in die Helle emporragend. Chingachgook war an seiner Seite, und Beide standen still, um das Lager noch einmal genau zu besichtigen. Um sich jedoch gegen etwaige Herumstreicher in ihrem Rücken zu decken, stellten sie sich hinter den Stamm einer Eiche, auf der Seite zunächst dem Feuer.

Die Ansicht vom Lager, welche sich jetzt Wildtödter darbot, war gerade die entgegengesetzte von derjenigen, die er von der Wasserseite her gehabt. Die dämmernden Gestalten, die er vorhin wahrgenommen, mußten auf dem Gipfel des Bergrückens gewesen seyn, wenige Schritte vorwärts von der Stelle, wo er jetzt stand. Das Feuer loderte noch lustig, und um es herum saßen auf Baumstämmen dreizehn Krieger, so viele, als er von dem Canoe aus gesehen hatte. Sie besprachen sich sehr angelegentlich und eifrig unter einander, und die Figur des Elephanten ging von Hand zu Hand. Der erste Ausbruch der Verwunderung der Wilden war vorüber, und die jetzt vorliegende Erörterung betraf die Wahrscheinlichkeit der Existenz, die Geschichte und Lebensweise eines so außerordentlichen Thieres. Wir haben nicht Zeit, die Meinungen dieser rohen Männer über einen Gegenstand zu wiederholen, der ihren Erfahrungen und ihrem Leben so fremd war; aber wir sagen schwerlich zu Viel, wenn wir behaupten, daß sie ebenso plausibel, und weit sinnreicher waren, als die Hälfte der Hypothesen, welche den Demonstrationen der Wissenschaft vorangehen. Wie sehr sie mit ihren Schlüssen und Vermuthungen fehlgeschossen haben mögen, gewiß ist, daß sie die Fragen mit eifriger und ungetheilter Aufmerksamkeit erörterten. Für den Augenblick war alles Uebrige vergessen, und unsre Abenteurer hätten sich in keinem glücklicheren Augenblick nähern können.

Die Weiber waren Alle beisammen, ungefähr so wie Wildtödter sie zuletzt gesehen hatte, beinahe in einer Linie zwischen dem Platz, wo er jetzt stand und dem Feuer. Die Entfernung von der Eiche, an die sich die jungen Männer lehnten, bis zu den Kriegern, betrug etwa dreißig Schritte; die Weiber mochten um die Hälfte näher seyn; ja sie waren wirklich so nahe, daß die äußerste Behutsamkeit, was Bewegungen und Geräusch betraf, unerläßlich war. Obwohl sie in ihrem leisen, sanften Tone sich unterredeten, war es doch bei der tiefen Stille der Wälder möglich, sogar ganze Stücke des Gesprächs zu belauschen, und das leichtmüthige Lachen, das den Mädchen entfuhr, konnte gelegentlich selbst das Canoe erreichen. Wildtödter spürte das Zittern, das den Körper seines Freundes durchzuckte, als dieser zuerst die süßen Töne vernahm, welche den derben, hübschen Lippen Hist’s entströmten. Er legte sogar die Hand auf die Schulter des Indianers, als eine Art Ermahnung zur Selbstbeherrschung. Als die Unterredung lebhafter wurde, beugten sich Beide vor, um zu horchen.

»Die Huronen haben merkwürdigere Thiere als diese,« sagte eines der Mädchen verächtlich, denn wie bei den Männern, drehte sich auch bei ihnen das Gespräch um den Elephanten und seine Eigenschaften. »Die Delawaren mögen diese Creatur wunderbar finden, aber keine Huronenzunge wird morgen mehr davon sprechen. Unsre jungen Männer werden sie zu finden wissen, wenn die Thiere in die Nähe unserer Wigwam’s zu kommen wagen.«

Dieß war eigentlich an Wah-ta!-Wah gerichtet, obgleich die Sprecherin ihre Worte mit einer angenommenen Schüchternheit und Bescheidenheit aussprach, die sie die Andern nicht anblicken ließ.

»Die Delawaren sind so weit entfernt, solche Creaturen in ihr Land zu lassen,« versetzte Hist, »daß noch keine Seele auch nur ihre Bilder davon gesehen hat! Ihre jungen Männer würden die Bilder wie die Bestien selbst fortscheuchen!«

»Die Delawarischen jungen Männer! – Die Nation besteht aus Weibern – selbst das Wild wandelt ruhig dahin, wenn es ihre Jäger kommen hört! Wer hat je den Namen eines jungen Kriegers der Delawaren vernommen!«

Dieß wurde in gutmüthigem Tone und mit Lachen gesprochen, aber zugleich doch etwas beißend. Daß Hist es so nahm, zeigte sich in der Lebhaftigkeit ihrer Antwort.

»Wer hat je den Namen eines jungen Delawaren vernommen?« wiederholte sie ernst. »Tamenund selbst, obwohl jetzt so alt wie die Tannen auf dem Berge, oder als die Adler in der Luft, war einst jung; sein Name ward vernommen von dem großen Salzsee bis zu den süßen Wassern des Westens. Was ist die Familie der Uncas?« – Wo ist eine andere so große, obgleich die Bleichgesichter ihre Gräber aufgewühlt und ihre Gebeine mit Füßen getreten haben? Fliegen die Adler so hoch, ist das Wild so schnell, oder der Panther so muthig? Ist kein junger Krieger dieses Stammes da? Laßt die Huronen-Mädchen ihre Augen weiter aufthun, so mögen sie Einen sehen, Chingachgook genannt, der so stattlich ist wie eine junge Esche, und so zäh wie die Hagenbuche.«

Wie das Mädchen dieß in ihrer bilderreichen Sprache sagte, und ihre Genossinnen die Augen weiter aufthun hieß, damit sie den Delawaren sähen, stieß Wildtödter mit den Fingern seinen Freund in die Seite, und überließ sich seinem herzlichen, wohlwollenden, leisen Lachen. Der Andere lächelte; aber die Sprache der Redenden war zu schmeichelhaft und die Töne ihrer Stimme zu süß für ihn, als daß er sich durch ein zufälliges, wenn auch komisches Zusammentreffen von Umständen in seiner Aufmerksamkeit stören ließ. Die Rede Hist’s zog eine Erwiederung nach sich, und der Streit, obwohl gutmüthig geführt, und weit entfernt von der plumpen Heftigkeit in Ton und Geberden, wie sie oft den Reizen des schönen Geschlechts im civilisirten Leben, wie man es nennt, Eintrag thut, wurde warm und etwas laut. Mitten unter dieser Scene hieß der Delaware seinen Freund sich ducken, so daß er ganz versteckt war, und ließ dann einen Ton hören, so ganz ähnlich dem Pfeifen der kleinsten Gattung des amerikanischen Eichhorns, daß Wildtödter selbst, obgleich er den Ton hundertmal hatte nachahmen gehört, wirklich glaubte, er rühre von einem der kleinen, über seinem Haupt herumkletternden Thierchen her. Der Ton ist in den Wäldern so gewöhnlich, daß keine von den Huroninnen im Geringsten darauf achtete. Hist aber hörte augenblicklich auf zu sprechen, und saß regungslos da. Doch behielt sie Selbstbeherrschung genug, den Kopf nicht umzuwenden. Sie hatte das Signal vernommen, mit dem ihr Geliebter so oft sie aus dem Wigwam zur heimlichen Besprechung rief, und es kam über ihre Sinne und ihr Herz, wie die Serenade im Land des Gesanges das Mädchen ergreift.

Von diesem Augenblick an war Chingachgook überzeugt, daß sie seine Gegenwart wisse. Dieß war wichtig, und er konnte jetzt hoffen, daß seine Geliebte ein weit kühneres Verfahren einschlagen werde, als sie, über seinen Aufenthaltsort ungewiß, gewählt haben würde. Es blieb kein Zweifel daran übrig, daß sie sich bestreben würde, seine Bemühungen für ihre Befreiung zu unterstützen. Wildtödter stand auf, sobald das Signal gegeben war, und obgleich er noch nie den süßen Verkehr gepflogen hatte, der nur Liebenden bekannt ist, entdeckte er doch sehr bald die große Veränderung, die mit dem Wesen und Benehmen des Mädchens vorgegangen war. Sie gab sich noch Mühe zu streiten, aber nicht mehr mit Geist und Unbefangenheit, sondern was sie sagte, war mehr nur als ein Köder hingeworfen, ihre Gegnerinnen zu leichtem Siege heranzulocken, als mit irgend einer Hoffnung, selbst Siegerin zu werden. Zwar ein paar Mal gab ihr ihre natürliche Besonnenheit eine rasche Erwiederung oder einen Beweisgrund ein, welche Lachen erregten und ihr für den Augenblick einigen Vortheil gaben; aber diese kleinen Einfälle, Früchte des Mutterwitzes, dienten nur, um besser ihre wahren Gefühle zu verhehlen, und dem Triumph der andern Partei einen natürlicheren Anstrich zu geben, als er ohne sie vielleicht gehabt hätte. Endlich wurden die Streitenden müde, und sie erhoben sich Alle gesammt, als wollten sie sich trennen. Jetzt zum ersten Mal wagte Hist das Gesicht nach der Richtung zu kehren, woher das Signal gekommen. Ihre Bewegung hiebei war natürlich, aber behutsam, und sie streckte den Arm aus und gähnte, wie von Schläfrigkeit übermannt. Wieder ließ sich das schrillende Pfeifen hören, und das Mädchen war jetzt gewiß, wo ihr Geliebter stehe, obgleich das starke Licht, in dem sie selbst stand, und die verhältnißmäßige Dunkelheit, welche die Abenteurer umgab, sie hinderte ihre Köpfe zu sehen, den einzigen Theil ihres Körpers, der über den Hügelrücken hervorragte. Der Baum, an den sie sich lehnten, war von einem dunkeln Schatten überzogen, der von einer ungeheuren, zwischen ihm und dem Feuer stehenden Fichte herrührte, und dieser Umstand allein schon würde alle Gegenstände, die in diesen Bereich fielen, in jeder Entfernung dem Auge entzogen haben. Das wußte Wildtödter wohl, und es war einer der Gründe, warum er gerade diesen Baum gewählt hatte.

Der Augenblick, wo Hist nothwendig handeln mußte, war nahe. Sie sollte in einer kleinen Hütte, oder Laube, schlafen, ganz in der Nähe des Orts, wo sie stand, aufgeschlagen, und ihre Genossin war die schon erwähnte alte Hexe. War sie einmal in dieser Hütte, und lag das schlaflose alte Weib, wie sie allnächtlich pflegte, quer über den Eingang hingestreckt, so war beinahe alle Hoffnung zum Entkommen zerstört, und sie konnte jeden Augenblick zu Bette gerufen werden. Zum Glück rief in diesem Augenblick einer der Krieger das alte Weib mit Namen, und hieß sie ihm Wasser zum Trinken bringen. Es war eine köstliche Quelle auf der Nordseite der Landspitze, und die Alte nahm einen ledernen Becher von einem Zweig, rief Hist an ihre Seite, und ging dem Gipfel des Hügelrückens zu, in der Absicht, über die Landspitze hin zu dem natürlichen Brunnen hinabzusteigen. Alles dieß sahen und verstanden die Abenteurer; sie traten in das Dunkel zurück und versteckten sich hinter Bäumen, bis die beiden Weiber an ihnen vorbei waren. Im Gehen hielt die Alte Hist fest an der Hand. Als sie an dem Baum vorüber kam, welcher Chingachgook und seinen Freund verbarg, griff Jener nach seinem Tomahawk, in der Absicht, ihn in dem Hirnschädel des Weibes zu begraben. Der Andere aber erkannte das Gefährliche einer solchen Maßregel, da Ein Schrei alle Krieger ihnen auf den Hals ziehen konnte, und er war auch aus Gründen der Menschlichkeit einer solchen That abgeneigt. Daher hinderte seine Hand den Streich. Als aber die Beiden vorüber geschritten, ward das Pfeifen wiederholt, und die Huronin blieb stehen und gaffte den Baum an, von welchem die Töne zu kommen schienen, und in diesem Augenblick stand sie nur sechs Fuß von ihren Feinden entfernt. Sie bezeugte ihr Erstaunen, daß ein Eichhorn so spät noch munter seyn sollte, und sagte, es bedeute Unheil. Hist antwortete, sie habe dasselbe Eichhorn dreimal binnen der letzten zwanzig Minuten gehört, und sie glaube, es spanne darauf, einige Brocken, die bei der Mahlzeit übrig geblieben, zu erlangen. Diese Erklärung schien befriedigend, und sie schritten der Quelle zu, auf dem Fuß und heimlich von den Männern gefolgt. Der Becher war gefüllt, und die Alte eilte zurück, die Hand immer an dem Handgelenk des Mädchens, als sie plötzlich so heftig an der Kehle gepackt wurde, daß sie ihre Gefangene loslassen mußte, und keinen andern Ton von sich geben konnte, als eine Art halbersticktes Gurgeln und Röcheln. Schlange umfaßte mit dem Arm den Leib seiner Geliebten, und stürzte sich mit ihr durch die Büsche auf der Nordseite der Landspitze. Hier bog er sofort ein, dem Strand entlang, und rannte nach dem Canoe. Er hätte eine geradere Richtung eingeschlagen, aber dieß hätte leicht zur Entdeckung des Landungsplatzes führen können.

Wildtödter spielte indeß immerfort auf der Kehle des alten Weibs wie auf den Tasten einer Orgel, ließ sie von Zeit zu Zeit athmen, und drückte dann wieder mit den Fingern beinahe zum Erwürgen. Aber die kurzen Fristen zum Athemholen wurden wohl benützt, und es gelang der Alten, ein paar kreischende Töne auszustoßen, welche das Lager in Allarm brachten. Das Stampfen der Krieger, als sie vom Feuer aufsprangen, war deutlich zu hören, und im nächsten Augenblick erschienen drei oder vier von ihnen auf dem Gipfel des Hügelrückens, die auf dem lichten Hintergrund sich wie die dämmernden Schatten einer Zauberlaterne ausnahmen. Jetzt war es die höchste Zeit für den Jäger, sich zurückzuziehen. Er unterschlug seiner Gefangnen ein Bein, klemmte ihr zum Abschied noch einmal die Kehle zusammen, ebensosehr aus Rache wegen ihrer unbezwinglichen Bestrebungen, Lärm zu machen, als aus Gründen der Klugheit, verließ sie auf dem Rücken liegend, und eilte den Büschen zu, – die Büchse im Gleichgewicht, den Kopf über die Schultern wendend, wie ein gehetzter Löwe.

Siebenzehntes Kapitel.

Siebenzehntes Kapitel.

Schaut, weise Heil’ge, dieß Eur‘ Licht und Stern!
Die Narr’n und Opfer seyd Ihr, scheint’s, ja gern!
Ist gnug jetzt? wollt von uns Ihr seyn betrogen,
Bis Eurer weisen Brust der letzte Hauch entflogen?
Moore.

Das Feuer, das Canoe und die Quelle, von der aus Wildtödter seinen Rückzug antrat, standen so gegeneinander, daß sie die Winkel eines so ziemlich gleichseitigen Dreiecks würden gebildet haben. Die Entfernung vom Feuer zum Boote betrug etwas Weniger, als die Entfernung vom Feuer zu der Quelle, während die von der Quelle bis zum Boot etwa der zwischen den zwei zuerst genannten Punkten gleich kam. Dieß Verhältniß aber war bei geraden Linien – und in dieser Art konnten die Flüchtigen ihre Flucht nicht ausführen. Sie waren gezwungen, sich zu einem Umweg zu entschließen, um den Schutz der Büsche zu gewinnen und der Krümmung des Strandes zu folgen. Unter solchen Nachtheilen also trat der Jäger seinen Rückzug an – Nachtheilen, deren Größe er nur um so mehr empfand, vermöge seiner Kenntniß der Gewohnheiten aller Indianer, die in Fällen plötzlichen Alarms, zumal mitten in einer gedeckten Stellung, selten verfehlen, augenblicklich Plänkler »ach den Seiten auszuschicken, in der Absicht, den Feinden auf allen Punkten entgegenzutreten, und wo möglich ihnen in den Rücken zu fallen. Daß so Etwas auch jetzt im Werke war, schloß er aus dem Stampfen von Füßen, das nicht blos, wie schon gemeldet, die Anhöhe herauf kam, sondern auch, wiewohl leiser, gehört wurde in ganz andrer Linie, nicht blos gegen den Hügel im Rücken zu, sondern auch gegen den äußersten Punkt der Landspitze, in einer Richtung, entgegengesetzt der, die er einzuschlagen im Begriffe stand. Schnelligkeit war daher jetzt von äußerster Wichtigkeit, da die verschiedenen Partien am Strand zusammentreffen konnten, ehe die Flüchtigen das Canoe zu erreichen vermochten.

Trotz der Dringlichkeit der Umstände zögerte Wildtödter doch einen Augenblick, ehe er sich in die die Küste einfassenden Büsche hineinstürzte. Seine Gefühle waren rege gemacht worden durch den ganzen Auftritt, und eine finstere Entschlossenheit war über ihn gekommen, wie sie ihm sonst fremd war. Vier dunkle Gestalten zeigten sich auf dem Hügelrücken, gegen die Helle des Feuers sich abhebend, und ein Feind konnte auf einen Blick geopfert werden. Die Indianer hatten Halt gemacht und starrten in das Dunkel, die alte kreischende Hexe zu suchen, und bei manchem Mann, der weniger gedacht hätte als der Jäger, wäre der Tod Eines von ihnen gewiß gewesen. Zum Glück war er umsichtiger. Obgleich die Büchse sich ein wenig gegen den Vordersten seiner Verfolger senkte, zielte oder feuerte er doch nicht, sondern verschwand in dem Versteck. Den Strand gewinnen, und ihm folgen bis herum zu dem Platz, wo Chingachgook schon mit Hist im Canoe war, ängstlich seine Ankunft erwartend, war das Werk eines Augenblicks. Seine Büchse auf den Boden des Canoe’s legend, bückte sich Wildtödter, um dem letztern einen kräftigen Stoß von der Küste weg zu geben, als ein gewaltiger Indianer aus den Büschen hervorstürzte und wie ein Panther ihm auf den Rücken sprang. Alles hing jetzt an einem, Haar; ein falscher Schritt richtete Alle zu Grunde. Mit einer Großherzigkeit, die einen Römer für alle künftige Zeiten hin berühmt gemacht haben würde, die aber in der Laufbahn eines so einfachen und niedrigen Mannes ohne diese anspruchslose Erzählung der Welt für immer fremd geblieben und verloren wäre, bot Wildtödter all‘ seine Kraft in einer verzweiflungsvollen Anstrengung auf, stieß das Canoe mit einer Gewalt hinaus, die es in einem Augenblick vielleicht hundert Fuß weit von der Küste wegtrieb, und stürzte selbst, mit dem Kopf voran, in den See; und sein Angreifer natürlich mit ihm. Obgleich das Wasser einige Schritte vom Strand entfernt tief war, hatte es doch so nah am Ufer, wie die Stelle war, wo die beiden Feinde hineinfielen, nur Brusthöhe, dieß war jedoch schon völlig genug, um einen Mann zu tödten, der unter so ungünstigen Umständen hineingestürzt war, wie Wildtödter. Doch hatte er die Hände frei, und der Wilde war genöthigt, seinen Hals fahren zu lassen, um selbst sein Gesicht über dem Wasser zu halten. Eine halbe Minute dauerte ein verzweiflungsvoller Kampf, ähnlich dem Gezappel eines Alligators, der eben eine gewaltige Beute ergriffen hat, und dann standen Beide aufgerichtet, Jeder des Andern Arme zu packen suchend, um ihn am Gebrauche des tödtlichen Messers in der Finsternis zu hindern. Was der Ausgang dieses heftigen Kampfes von Mann gegen Mann gewesen wäre, kann man nicht wissen; aber ein Halbdutzend Wilde sprangen ins Wasser ihrem Genossen zu Hülfe, und Wildtödter ergab sich zum Gefangenen mit einer Würde, die nicht minder bemerkenswerth war, als seine Aufopferung.

Den See zu verlassen und den neuen Gefangenen an’s Feuer zu führen, erforderte auch nur wieder eine Minute. So beschäftigt waren sie Alle mit dem Kampfe und dessen Folgen, daß sie das Canoe nicht sahen, obgleich es der Küste noch so nahe war, daß der Delaware und seine Verlobte jede Sylbe ganz deutlich hörten, die gesprochen wurde; und die ganze Truppe verließ den Platz, Einige setzten die Verfolgung Hist’s dem Strande entlang fort, die Meisten aber kehrten zum Feuer zurück. Hier gewann Wildtödters Gegner so weit seinen Athem und seine Besinnung wieder, denn er war beinahe erwürgt worden von den Griffen des Andern, daß er die Art und Weise erzählen konnte, wie das Mädchen davon gekommen. Es war jetzt zu spät, die andern Flüchtlinge anzugreifen, denn sobald sein Freund in die Gebüsche abgeführt war, senkte der Delaware seine Ruderschaufel ins Wasser, und das leichte Canoe glitt geräuschlos dahin, dem Mittelpunkt des See’s zusteuernd, bis es außer Schußweite war, und dann suchte es die Arche auf.

Als Wildtödter beim Feuer ankam, sah er sich umringt von nicht weniger als acht grimmigen Wilden, worunter sein alter Bekannter Rivenoak. Sobald dieser das Gesicht des Gefangenen erblickt hatte, redete er heimlich mit seinen Genossen, und ein leiser aber allgemeiner Ausruf der Freude und Ueberraschung entfuhr ihnen. Sie hatten erfahren, daß der Besieger ihres, jüngst auf der gegenüberliegenden Küste des See’s gefallenen Freundes in ihren Händen, ihrer Barmherzigkeit oder Rachsucht preisgegeben war. Es lag eine nicht geringe Beimischung von Bewunderung in den trotzigen Blicken, die auf den Gefangenen geworfen wurden, Bewunderung, die ebensosehr durch seine jetzige Fassung, als durch seine vorangegangnen Thaten rege gemacht wurde. Man kann sagen, diese Scene war der Anfang des großen und schreckenverbreitenden Rufes, dessen Wildtödter, oder Falkenauge, wie er nachmals genannt wurde, unter allen Stämmen von Neu-Jork und Canada genoß; – ein Ruf, der freilich, was die Ausdehnung nach Länderstrecken und Menschenzahl betrifft, weit beschränkter war als der Ruf von Menschen im civilisirten Leben, aber der vielleicht, was ihm in diesen Punkten fehlte, durch seine größere Rechtmäßigkeit, und durch die gänzliche Ausschließung von Täuschung und künstlicher Pflege vergütete.

Die Arme Wildtödters wurden nicht gebunden, und es blieb ihm der freie Gebrauch seiner Hände, nachdem man erst sein Messer ihm weggenommen hatte. Die einzige Vorsichtsmaßregel, die man traf, um sich seiner Person zu versichern, war unablässige Wachsamkeit, und ein starkes Seil von Bast, das von einer Knöchel zur andern ging, nicht sowohl um ihn im Gehen zu hindern, als um einem etwaigen Fluchtversuche mittelst eines plötzlichen Satzes ein Hinderniß in den Weg zu legen. Selbst diese außerordentliche Vorbeugungsmaßregel gegen einen Fluchtversuch ward erst getroffen, nachdem man den Gefangenen an’s Licht geführt und seine Person erkannt hatte. Es war in der That ein Compliment, das man seiner Kühnheit machte, und er war stolz auf diese Auszeichnung. Daß er würde gebunden werden, wenn die Krieger schliefen, war ihm wahrscheinlich; aber gebunden zu werden im Augenblick seiner Gefangennehmung, war ein Beweis, daß er schon, und so frühe, einen Namen gewann. Während die jungen Indianer das Seil befestigten, dachte er bei sich selbst nach, ob wohl Chingachgook ebenso behandelt worden wäre, wäre auch er dem Feinde in die Hände gefallen. Auch rührte der Ruf des jungen Bleichgesichts nicht ganz von dem glücklichen Erfolg seines früheren Kampfes, oder von der Klugheit und Kaltblütigkeit her, die er bei der Unterhandlung erwiesen hatte; sondern er hatte auch durch die Ereignisse der Nacht einen großen Zuwachs erhalten. Unbekannt mit den Bewegungen der Arche, und mit dem Zufall, der die Feinde ihr Feuer hatte erblicken machen, schrieben die Irokesen die Entdeckung ihres neuen Lagers der Wachsamkeit eines so schlauen Feindes zu. Die Art und Weise, wie er sich auf die Landspitze gewagt hatte, die Entführung oder Flucht Hist’s, und ganz besonders die Selbstaufopferung des Gefangnen, verbunden mit der Besonnenheit, womit er das Canoe hinausgestoßen, waren ebenso viele wichtige Glieder in der Kette von Thatsachen, worauf sein wachsender Ruhm beruhte. Manche dieser Umstände hatten die Indianer selbst gesehen, manche waren ihnen erklärt worden, und alle wurden gewürdigt. Während solche Bewunderung und Ehren so ohne Rückhalt Wildtödtern gezollt wurden, entging er doch nicht einigen Beschwerlichkeiten seiner Lage. Man gestattete ihm, sich auf das Ende eines Blockes in der Nähe des Feuers zu setzen, um seine Kleider zu trocknen, und sein Gegner von Kurzem her stand ihm gegenüber, bald Stücke seiner eignen ärmlichen Kleidung an die Hitze haltend, bald sich die Kehle befühlend, wo die Spuren von seines Feindes Fingern noch recht gut sichtbar waren. Die übrigen Krieger rathschlagten in der Nähe miteinander, da Alle, die aus gewesen, mit der Nachricht zurückgekehrt waren, daß keine anderen Herumstreifer in der Nähe des Lagers zu finden seyen. Während dieses Stands der Dinge näherte sich das alte Weib, deren indianischer Name verdollmetscht Bärin bedeutete, Wildtödtern mit geballten Fäusten und feuersprühenden Augen. Bisher hatte sie sich mit Kreischen begnügt, eine Aufgabe, bei der sie ihre Rolle mit nicht geringem Erfolg gespielt hatte, aber nachdem sie auf’s wirksamste Alles in Alarm gesetzt hatte, was im Bereich einer durch lange Uebung gekräftigten Lunge lag, richtete sie zunächst ihre Aufmerksamkeit auf die Unbilden, die ihre eigne Person bei dem Kampfe erlitten hatte. Diese waren in keiner Weise von Bedeutung, obwohl von einer Art, daß sie wohl alle Wuth eines Weibes erwecken konnten, das längst nicht mehr mittelst sanfterer Eigenschaften anzog, und sehr geneigt war, die Mühsale, die sie so lange erduldet, als vernachlässigte Gattin und Mutter von Wilden an Jedem, der in ihre Gewalt kam, zu rächen. Wenn Wildtödter sie nicht auf die Dauer verletzt, hatte er ihr doch für einige Zeit Schmerzen bereitet, und sie war nicht die Person, ein Unrecht dieser Art um des Beweggrunds willen zu übersehen.

»Stinkthier der Bleichgesichter,« begann diese erbitterte und halbpoetische Furie, dem unerschütterlichen Jäger die Faust unter die Nase schüttelnd, »Ihr seyd nicht einmal ein Weib. Eure Freunde, die Delawaren, sind Weiber, und Ihr seyd ihr Schaaf. Euer eignes Volk wird Euch nicht anerkennen, und kein Stamm von rothen Männern würde Euch in seinen Wigwams dulden; Ihr schleicht herum unter Kriegern in Unterröcken. Ihr unsern tapfern Freund erschlagen, der uns verlassen hat? – nein! seine große Seele verschmähte es, mit Euch zu kämpfen, und verließ lieber ihren Leib, als daß sie die Schmach auf sich geladen, Euch zu tödten! Aber das Blut, das Ihr vergosset, als der Geist nicht zusah, ist nicht in die Erde geflossen. Es muß begraben seyn in Eurem Stöhnen – welche Musik höre ich! Das ist nicht das Aechzen eines rothen Mannes! – kein rother Krieger stöhnt und grunzt so wie ein Schwein. Diese Töne kommen aus einer Bleichgesichtskehle – einer Dengeese-Brust – und tönen so lieblich, wie eines Mädchens Singen. – Hund – Stinkthier – Wiesel – Iltiß – Stachelschwein – Ferkel – Kröte – Spinne – Nengee –« Hier mußte wohl die Alte, nachdem sie ihren Athem aufgewendet, und ihren Schatz von Schimpfwörtern erschöpft hatte, einen Augenblick inne halten, obwohl sie noch immer beide Fäuste dem Gefangenen in’s Gesicht schüttelte, und ihr ganzes mit Runzeln bedecktes Gesicht voll wilder, erbitterter Rachgier war. Wildtödter betrachtete diese ohnmächtigen Versuche, ihn aufzubringen, mit der Gleichgültigkeit, womit in unserm Zustand der Gesellschaft ein Gentleman auf die Schimpfreden eines Lumpen herabsieht; er fühlte, daß die Zunge eines alten Weibes nimmermehr einen Krieger verunehren konnte, so wie dieser weiß, daß Lüge und Gemeinheit auf die Länge nur diejenigen beschimpfen, die sich ihrer bedienen mögen; aber für den Augenblick wurden ihm weitere Angriffe erspart durch das Dazwischentreten Rivenoak’s, der die Hexe bei Seite schob, sie den Ort verlassen hieß, und sich anschickte, sich neben den Gefangenen zu setzen. Das alte Weib entfernte sich, aber der Jäger erkannte wohl, daß er der Gegenstand aller ihrer Belästigungen und Quälereien, wenn auch nicht thätlicher Mißhandlungen seyn würde, so lang er in der Gewalt seiner Feinde blieb; denn Nichts wurmt tiefer, als das Bewußtseyn, daß ein Versuch, Jemand in Zorn zu bringen, mit Verachtung aufgenommen worden ist, – einem Gefühl, das gewöhnlich das passivste von allen in der menschlichen Brust gehegten zu seyn pflegt. Rivenoak nahm ruhig seinen Sitz, wie wir schon erwähnt, ein, und nach einem kurzen Stillschweigen begann er ein Gespräch, das wir natürlich wieder zum Besten der Leser übersetzen, welche die nordamerikanischen Sprachen nicht studirt haben. »Mein Bleichgesichtfreund ist sehr willkommen,« sagte der Indianer mit einem vertraulichen Kopfnicken, und mit einem so versteckten Lächeln, daß es Wildtödters ganze Aufmerksamkeit brauchte, es zu entdecken, und nicht wenig von seiner Philosophie, um dabei ganz ruhig zu bleiben, »er ist willkommen. Die Huronen unterhalten ein heißes Feuer, des weißen Mannes Kleider daran zu trocknen.«

«Ich danke Euch, Hurone, oder Mingo, oder wie ich Euch eigentlich zu nennen habe,« versetzte der Andere; »ich danke Euch für den Willkomm und danke Euch für das Feuer. Beide sind gut in ihrer Art, und das letztere ist sehr gut, wenn Einer in einem so kalten Bade gewesen, wie der Glimmerglas ist. Selbst Huronenwärme mag in einem solchen Zeitpunkt angenehm seyn einem Mann mit einem Delawarenherzen.«

»Das Bleichgesicht – aber mein Bruder hat einen Namen? Ein so großer Krieger hat doch wohl nicht ohne einen Namen gelebt!«

»Mingo,« sagte der Jäger, und Etwas von der Schwäche der menschlichen Natur offenbarte sich in dem Blicke seines Auges und in der Farbe seiner Wangen, »Mingo, Euer Tapfrer nannte mich Falkenauge, ich glaube wegen meines raschen und sichern Zielens, als er mit seinem Haupt in meinem Schooß lag, ehe sein Geist nach den glücklichen Jagdrevieren aufflog!«

»Es ist ein guter Name, Der Falke ist seines Stoßes sicher. Falkenauge ist kein Weib; warum lebt er bei den Delawaren?«

»Ich verstehe Euch, Mingo, aber wir betrachten das Alles als eine Tücke von Einigen Eurer listigen Teufel, und läugnen die Beschuldigung. Die Vorsehung hat mich jung unter die Delawaren versetzt, und abgerechnet was christliche Gebräuche von meiner Farbe und meinen Gaben fordern, hoffe ich in ihrem Stamme zu leben und zu sterben. Doch aber bin ich nicht gemeint, meine angebornen Rechte ganz wegzuwerfen, und werde mich bestreben, die Pflicht eines Bleichgesichts in Gesellschaft von Rothhäuten zu erfüllen.« »Gut; ein Hurone ist eine Rothhaut, so gut wie ein Delaware. Falkenauge ist mehr ein Hurone als ein Weib.«

»Ich denke, Mingo, Ihr kennt Eure eigne Meinung; wenn nicht, so ist sie doch, wie ich nicht zweifle, dem Satan wohl bekannt? Aber wenn Ihr etwas von mir heraus bringen wollt, so sprecht deutlicher, denn einen Handel kann man nicht abschließen mit verbundnen Augen und gelähmter Zunge.«

»Gut; Falkenauge hat keine Gabelzunge, und er liebt zu sagen, was er denkt. Er ist ein Bekannter der Bisamratze,« – mit diesem Namen bezeichneten alle Indianer Hutter, – »und er hat in seinem Wigwam gewohnt, aber er ist nicht ein Freund von ihm. Es ist ihm nicht um Skalpe zu thun, wie einem armseligen Indianer, sondern er kämpft wie ein mannhaftes Bleichgesicht. Die Bisamratze ist weder weiß noch roth, weder Thier noch Fisch. Sie ist eine Wasserschlange; manchmal im Wasser, manchmal auf dem Land. Er trachtet nach Skalpen wie ein Räuber, Falkenauge kann zurückgehen und ihm sagen, wie er die Huronen überlistet habe, wie er entkommen sey; und wenn dann seine Augen in einem Nebel sind, wenn er nicht mehr von seiner Kajüte bis zu den Wäldern sehen kann – dann kann Falkenauge die Thüre öffnen für die Huronen. Und wie wird der Raub getheilt werden? Ha! Falkenauge wird das Meiste hinwegnehmen und die Huronen werden nehmen, was er übrig lassen mag. Die Skalpe können nach Canada wandern, denn ein Bleichgesicht hat keine Lust daran.«

»Nun gut, Rivenoak, denn so höre ich Euch nennen, das ist einmal deutlich gesprochen, obwohl auf Irokesisch. Ich verstehe wohl Alles, was Ihr meint, und muß sagen, diese Teufelei geht selbst über Mingoteufelei hinaus. Ohne Zweifel, es wäre leicht, zurückzugehen, und der Bisamratze zu sagen, daß ich von Euch losgekommen, und dazu noch durch die That einiges Lob und Ansehen zu gewinnen.«

»Gut; das ist es, was ich von dem Bleichgesicht wünschte.« »Ja, ja – das ist klar genug. Ich weiß ohne weitere Worte, was Ihr von mir verlangt. Während ich im Hause der Bisamratze sitze, und sein Brod esse, und mit seinen hübschen Töchtern lache und plaudere, könnte ich seine Augen mit einem dicken Nebel umhüllen, daß er nicht einmal die Thüre, geschweige das Land sähe!«

»Gut. Falkenauge sollte ein Hurone geboren seyn! Sein Blut ist kaum halb weiß!«

»Da irrt Ihr, Hurone: ja, da irrt Ihr so gewaltig, wie wenn Ihr einen Wolf für einen Panther hieltet. Ich bin weiß an Blut, Herz, Natur und Gaben, obwohl ein wenig Rothhaut in Gefühlen und Lebensart. Aber wenn des alten Hutter’s Augen recht benebelt sind, und seine hübschen Töchter vielleicht in tiefem Schlaf liegen, und Harry Hurry, die große Fichte, wie Ihr Indianer ihn nennt, von Allem eher als von Unheil träumt, und Alle denken, Falkenauge versehe den Dienst einer treuen Schildwache, hätte ich weiter nichts zu thun, als irgendwo eine Fackel zum kenntlichen Signal auszustecken, die Thüre zu öffnen und die Huronen einzulassen, um sie Alle niederzuschlagen.«

»Gewiß ist mein Bruder im Irrthum; er kann nicht weiß seyn! Er ist würdig, ein großer Häuptling unter den Huronen zu seyn!«

»Das ist sehr wahr, glaube ich gern, wenn er dieß Alles zu thun im Stande wäre. Jetzt merkt auf, Hurone, und hört auch einmal ein paar ehrliche Worte aus dem Mund eines geraden, einfachen Mannes. Ich bin als Christ geboren, und die von einem solchen Stamme kommen, und den Worten horchen, die zu ihren Vätern geredet wurden, und zu ihren Kindern werden geredet werden, bis die Erde mit Allem was darin ist, vergeht, können sich nimmermehr zu solcher Verruchtheit hergeben. Listen im Krieg mögen rechtmäßig seyn, und sind es; aber Listen und Trug, und Verrätherei unter Freunden passen nur für die Teufel unter den Bleichgesichtern. Ich weiß, daß es weiße Männer genug gibt, die Euch eine so falsche Idee von unsrer Natur geben können, aber die sind untreu ihrem Blut und ihren Gaben, und sollten, wenn sie es nicht wirklich sind, Ausgestoßene und Vagabunden seyn. Kein rechtliches Bleichgesicht könnte thun, was Ihr verlangt, und um so offen gegen Euch zu seyn, als es meine Art und mein Bestreben ist, nach meinem Urtheil auch kein rechtlicher Delaware; mit einem Mingo mag es ein andrer Fall seyn.«

Der Hurone hörte diese Abfertigung mit sehr begreiflichem Widerwillen an, aber er hatte seine Zwecke fest im Auge, und war zu schlau, um alle Aussicht, sie noch zu erreichen, durch eine übereilte Kundgebung seines Unmuths zu vereiteln. Sich zu einem Lächeln zwingend, schien er eifrig zuzuhören, und erwog dann nachdenklich, was er vernommen hatte.

»Liebt Falkenauge die Bisamratze?« fragte er plötzlich; »oder liebt er seine Töchter?«

»Keines von beiden, Mingo. Der alte Tom ist nicht der Mann, meine Liebe zu gewinnen, und was die Töchter betrifft, die sind hübsch genug, um jedem jungen Manne zu gefallen; aber Gründe genug sind gegen eine sehr große Liebe für die Eine oder die Andere, Hetty ist eine gute Seele, aber die Natur hat eine schwere Hand auf ihren Geist gelegt; – das arme Geschöpf!«

»Und die Wilde Rose!« rief der Hurone – denn der Ruf von Judiths Schönheit hatte sich unter denen verbreitet, welche in der Wildniß so gut zu reisen wußten, als auf der Heerstraße, mittelst alter Adleronester, Felsen und geborstener Bäume, die ihnen durch Sage und Ueberlieferung bekannt waren: so gut wie unter den weißen Grenzbewohnern – »und die wilde Rose, ist sie nicht süß genug, um an die Brust meines Bruders gesteckt zu werden?«

Wildtödter besaß zu viel vom gebornen Gentleman, um das Mindeste gegen den guten Ruf eines durch Natur und Stellung so hülflosen Wesens zu äußern; und da er keine Unwahrheit reden mochte, schwieg er lieber ganz. Der Hurone mißverstand den Beweggrund, und vermuthete, seiner Zurückhaltung liege eine nicht erhörte Neigung zu Grunde. Immer noch trachtend, seinen Gefangenen zu verführen ober zu bestechen, um in den Besitz der Schätze zu kommen, womit seine Einbildungskraft das Castell anfüllte, setzte er seine Angriffe beharrlich fort.

»Falkenauge spricht mit einem Freund,« sagte er. »Er weiß, daß Rivenoak der Mann seines Wortes ist, denn sie haben miteinander gehandelt, und Handel öffnet die Seele, Mein Freund ist hieher gekommen, wegen einer kleinen Schnur, von einem Mädchen festgehalten, welche den mannhaftesten Krieger ganz und gar nach sich reißen kann?«

«Jetzt seyd Ihr der Wahrheit näher, Hurone, als je zuvor, seit unser Gespräch begonnen. Aber das eine Ende dieser Schnur war nicht an meinem Herzen befestigt, auch haftete keines an der Wilden Rose.«

»Das ist wunderbar! Liebt mein Bruder mit seinem Kopf und nicht mit seinem Herzen? Und kann die Schwachsinnige so hart an einem so mannhaften Krieger zerren?«

»Da ist es wieder! manchmal richtig und manchmal falsch! Die Schnur, davon Ihr sprachet, ist befestigt an dem Herzen eines großen Delawaren; eigentlich Eines vom Mohikanstamm, der unter den Delawaren lebt seit der Zerstreuung seines eignen Volkes und der Familie der Unkas – Chingachgook mit Namen, oder Große Schlange. Er ist hieher gekommen, geleitet von jener Schnur, und ich bin ihm gefolgt, oder vielmehr ging ihm voran, denn ich kam zuerst hieher, durch nichts Stärkeres hergezogen, als durch Freundschaft, die stark genug ist bei solchen, die nicht neidisch sind mit ihren Gefühlen und gern auch ein Wenig für ihre Mitgeschöpfe leben, so gut wie für sich selbst.«

»Aber eine Schnur hat zwei Enden – eines ist befestigt am Herzen eines Mohikans, und das andere –?«

»Ha, das andere war hier, dicht am Feuer, noch vor einer halben Stunde. Wah-ta!-Wah hielt es in ihrer Hand, wenn es nicht an ihrem Herzen haftete.«

»Ich verstehe, was Ihr meint, mein Bruder,« versetzte der Indianer ernst, jetzt erst dem Zusammenhange der Ereignisse des Abends auf die Spur kommend. »Die Große Schlange, als der Stärkste, zog an der Schnur und Hist war gezwungen, uns zu verlassen.«

»Ich denke nicht, daß es viel Ziehens brauchte,« erwiederte der Andere, immer in seiner stillen Weise lachend, und das so herzlich, als wäre er kein Gefangener in Gefahr von Martern und Tod schwebend, gewesen. »Ich glaube nicht, daß es da viel Ziehens brauchte; nein, wahrhaftig nicht. Gott tröste Euch, Hurone; er hat das Mädchen gern, und das Mädchen ihn, und es ging über Huronenlist, zwei junge Leute von einander getrennt zu halten, wenn ein so starkes Gefühl sie an einander knüpfte.«

»Und Falkenauge und Chingachgook kamen nur mit diesem Vorhaben in unser Lager?«

»Das ist eine Frage, die sich selbst beantwortet, Mingo! Ja, wenn eine Frage reden könnte, sie würde sich selbst beantworten zu Eurer vollkommnen Befriedigung. Warum sonst sollten wir kommen? Und doch ist es nicht ganz genau so; denn wir kamen gar nicht in Euer Lager, sondern nur bis an die Fichte dort, die Ihr auf der andern Seite de« Hügelrückens seht, wo wir standen und Euer Thun und Treiben beobachteten, so lang es uns beliebte. Als wir fertig waren, gab Schlange sein Signal, und dann ging Alles genau wie es gehen konnte, bis zu dem Augenblick, wo der Vagabund dort mir auf den Rücken sprang. Gewiß! deßhalb kamen wir und in keiner andern Absicht; und wir erreichten, weßhalb wir kamen; es wäre nutzlos, etwas Anderes behaupten zu wollen. Hist ist auf und davon mit einem Mann, der so gut wie ihr Gatte ist, und begegne mir was da wolle; das ist wenigstens etwas Gutes gewonnen.« »Welches Zeichen oder Signal benachrichtigte das junge Mädchen, daß ihr Liebhaber in der Nähe sey?« fragte der alte Hurone mit größerer Neugier, als er sonst zu verrathen pflegte.

Wildtödter lachte wieder, und schien sich des Gelingens der That mit so herzlicher Fröhlichkeit zu freuen, wie wenn er nicht das Opfer davon geworden wäre.

»Eure Eichhörner sind große Nachtschwärmer, Mingo!« rief er, noch immer lachend – »ja, die sind gewiß rechte Nachtschwärmer! Wenn andrer Leute Eichhörner zu Hause sind und schlafen, sind die Eurigen noch auf den Bäumen lustig und munter, und pfeifen und singen in einer Weise, daß selbst ein Delawarisches Mädchen ihre Musik verstehen kann! Nun, es gibt vierbeinigte Eichhörner und es gibt zweibeinigte Eichhörner, und ich lobe mir die letztern, wenn eine gute, zähe Schnur zwei Herzen zusammenknüpft. Wenn diese sie zusammenbringt, so sagt jenes, wann es gilt, es am stärksten zu ziehen!«

Der Hurone sah ärgerlich aus, doch gelang es ihm, jede heftige Aeußerung seiner Erbitterung zu unterdrücken. Er verließ bald seinen Gefangnen, begab sich zu den andern Kriegern, und theilte ihnen das Wesentliche dessen, was er erfahren hatte, mit. Wie er selbst, so fühlten auch die Uebrigen Bewunderung neben ihrem Verdruß über die Keckheit und die gelungene That ihrer Feinde. Drei oder vier von ihnen stiegen auf die kleine Anhöhe hinauf, und betrachteten den Baum, wo sich die Abenteurer, wie sie gehört, aufgestellt hatten, und Einer stieg sogar hinab und suchte unten herum nach Fußtapfen, um sich zu versichern, daß jene Angabe wahr sey. Das Ergebniß bestätigte die Erzählung des Gefangenen, und Alle kehrten mit erhöhter Verwunderung und Achtung zum Feuer zurück. Der Bote, der mit einigen Mittheilungen von der Truppe weiter oben angekommen war, während die zwei Abenteurer das Lager beobachteten, ward jetzt mit einer Antwort fortgeschickt, und nahm ohne Zweifel den Bericht alles hier Vorgefallenen mit sich. Bis zu diesem Augenblick hatte der junge Indianer, den man hatte mit Hist und einem andern Mädchen herumgehen sehen, keine Schritte gethan, eine Unterredung mit Wildtödter anzuknüpfen. Er hatte sich selbst von seinen Freunden ferngehalten, und war an der Versammlung jüngerer Weiber auf und abgeschritten, die wie gewöhnlich abgesondert sich zusammengethan hatten, und leise über die Flucht ihrer bisherigen Genossin sich besprachen. Vielleicht wäre der Wahrheit gemäß zu sagen, daß diese Letztern über das Vorgefallene ebenso vergnügt als ärgerlich waren. Ihre weiblichen Gefühle sprachen für die Liebenden, während ihr Stolz bei dem Erfolge ihres eignen Stammes betheiligt war. Es ist auch möglich, daß die überlegenen persönlichen Vorzüge Hist’s sie für Einige von dem jüngern Theile der Gruppe gefährlich machten, und es diesen nicht leid war, sie der Macht ihrer Reize nicht mehr im Wege stehen zu sehen. Im Ganzen jedoch herrschte das bessere Gefühl vor; denn weder der wilde Zustand, worin sie lebten, und die Stammesvorurtheile der einzelnen Völkerschaften, noch ihr hartes Loos als indianische Weiber hatten die unvertilgbare Hinneigung ihres Geschlechtes zu sanfteren Gefühlen gänzlich zu besiegen vermocht. Eines von den Mädchen lachte sogar über die trostlosen Mienen des Burschen, der sich als verlassen betrachten mochte, ein Umstand, der plötzlich seine Thatkraft zu erwecken schien, und ihn veranlaßte, zu dem Stamm hinzutreten, auf welchem der Gefangene noch immer, seine Kleider trocknend, saß.

»Das ist Pantherkatze!« sagte der Indianer, prahlerisch mit der Hand auf die nackte Brust sich schlagend, indem er jene Worte sprach in einer Weise, die zeigte, welchen großen Eindruck er von ihnen erwartete.

»Das ist Falkenauge,« versetzte ganz ruhig Wildtödter, den Namen sich beilegend, unter welchem er künftighin allen Männern der Irokesen bekannt zu werden gewiß war. »Mein Gesicht ist scharf; reicht meines Bruders Sprung weit?« »Von hier bis zu den Dörfern der Delawaren. Falkenauge hat mein Weib gestohlen; er muß sie zurückbringen, oder sein Skalp wird an einem Pfahl hängen und in meinem Wigwam trocknen.«

»Falkenauge hat Nichts gestohlen, Hurone. Er stammt nicht von einem Diebsgeschlecht und hat keine Diebesgaben. Euer Weib, wie Ihr Wah-ta!-Wah nennt, wird nie das Weib Eines der Rothhäute aus den Canada’s werden; ihre Seele ist in der Hütte eines Delawaren, und ihr Leib ist gegangen sie zu suchen. Die Pantherkatze ist schnell, das weiß ich, aber ihre Füße können nicht Schritt halten mit den Wünschen eines Weibes.«

»Die Schlange der Delawaren ist ein Hund; er ist ein armseliger Ochsenfrosch, der sich im Wasser hält; er fürchtet sich auf festem Boden zu stehen, wie ein tapfrer Indianer,«

»Ei, ei, Hurone, das ist ziemlich unverschämt, sintemal es nicht eine Stunde ist, daß Schlange nur hundert Fuß von Euch entfernt stand, und die Dicke Eurer Haut mit einer Büchsenkugel probirt haben würde, als ich ihm auf Euch hindeutete, hatte ich nicht das Gewicht einiger Ueberlegung auf seine Hand gelegt. Ihr mögt Mädchen in den Ansiedlungen fangen mit Eurem Pantherkatzengeheule, aber das Ohr eines Mannes kann Wahrheit von Unwahrheit unterscheiden.«

»Hist lacht über ihn! Sie sieht, er ist lahm und ein ärmlicher Jäger, und ist nie auf dem Kriegspfad gewesen. Sie wird einen Mann zum Gatten nehmen, und nicht einen Narren,«

»Wie wißt Ihr das, Pantherkatze? wie wißt Ihr das?« versetzte Wildtödter lachend. »Sie ist auf den See gegangen, das seht Ihr, und vielleicht zieht sie eine Forelle einer Bastardkatze vor. Was die Kriegspfade betrifft, so haben weder Schlange noch ich viele Erfahrung, wie wir gerne gestehen; aber wenn Ihr dieß keinen nennen wollt, so müßt Ihr es, wie die Mädchen in den Niederlassungen, doch die Hochstraße zum Ehestand nennen. Nehmt meinen Rath, Pantherkatze, und sucht Euch ein Weib unter den jungen Huroninnen; unter den Delawarinnen werdet Ihr nie Eine mit ihrem guten Willen bekommen.«

Pantherkatze’s Hand fühlte nach seinem Tomahawk, und als die Finger den Griff faßten, zogen sie sich krampfhaft zusammen, als wenn der Indianer zwischen Klugheit und Ingrimm schwankte. In diesem kritischen Augenblick näherte sich Rivenoak, veranlaßt durch eine gebieterische Geberde den jungen Mann, sich zu entfernen, und nahm selbst seinen früheren Sitz neben Wildtödter auf dem Baumstamm ein. Hier blieb er eine kleine Weile stumm sitzen, mit der ernsten Zurückhaltung eines indianischen Häuptlings.

»Falkenauge hat Recht,« begann endlich der Irokese; »sein Gesicht ist so scharf, daß er die Wahrheit sieht in einer dunkeln Nacht, und unsre Augen sind blind gewesen. Er ist eine Eule, und das Dunkel verbirgt ihm Nichts. Er darf seine Freunde nicht beschädigen und erschlagen; er hat Recht.«

Es freut mich, daß Ihr so denkt, Mingo,« versetzte der Andere, »denn ein Verräther ist nach meinem Urtheil schlimmer als eine Memme. Ich frage so wenig nach der Bisamratze, als ein Bleichgesicht nach dem andern fragen darf; aber doch liegt er mir zu sehr am Herzen, als daß ich ihm in der Weise, wie Ihr wünschtet, einen Hinterhalt legen sollte. Kurz, nach meinen Ideen sind alle Listen, außer Listen im offenen Krieg, gegen das Recht, und wie wir Weißen es nennen, auch gegen das Evangelium.«

»Mein Bleichgesichtbruder hat Recht; er ist kein Indianer, der seinen Manitou und seine Farbe vergäße. Die Huronen wissen, daß sie einen großen Krieger zum Gefangnen haben, und sie werden ihn als Solchen behandeln. Wenn er gemartert werden soll, so werden seine Martern von der Art seyn, wie kein gewöhnlicher Mann sie ertragen kann, und wenn er als Freund behandelt wird, so wird die ihm erwiesene Freundschaft die Freundschaft von Häuptlingen seyn.«

Während der Hurone diese Versicherung seiner außerordentlichen Hochschätzung gab, blickte sein Auge verstohlen nach dem Gesicht des Andern, um zu entdecken, wie dieser das Compliment aufnehme, obgleich sein Ernst und seine anscheinende Aufrichtigkeit Jeden, der nicht in Listen und Künsten erfahren gewesen, seine Beweggründe schwerlich hatte entdecken lassen. Wildtödter gehörte zu den Arglosen; und bekannt mit den indianischen Begriffen, worin die Achtung, in Behandlung von Gefangenen, sich kund that, fühlte er sein Blut gerinnen bei dieser Ankündigung, wiewohl er eine so gestählte Fassung und Miene behauptete, daß sein scharfblickender Feind darin keine Spur von Schwäche lesen konnte.

»Gott hat mich in Eure Hände gegeben, Hurone,« versetzte endlich der Gefangene, »und ich denke, Ihr werdet nach Eurem Willen mit mir verfahren. Ich will mich nicht dessen rühmen was ich thun werde unter den Martern, denn ich bin noch nie auf die Probe gestellt worden, und vorher kann kein Mensch so Etwas behaupten; aber ich will mein Möglichstes thun, um dem Volk keine Schande zu machen, unter dem ich aufgewachsen bin. Indeß wünschte ich jetzt, daß Ihr mir bezeugtet, daß ich ganz von weißem Blute bin, und natürlich auch von weißen Gaben; somit, wenn ich sollte übermannt werden und mich vergessen, werdet Ihr, hoffe ich, den Fehler dahin stellen, wohin er eigentlich gehört, und ihn in keiner Weise den Delawaren, oder ihren Verbündeten und Freunden, den Mohikans, zurechnen. Wir sind Alle mit mehr oder weniger Schwäche erschaffen, und ich fürchte, die eines Bleichgesichts besteht darin, unter großen körperlichen Martern zu erliegen, während eine Rothhaut seine Lieder singt und den Feinden in’s Gesicht trotzig sich seiner Thaten rühmt.«

»Wir werden sehen; Falkenauge hat eine gute Miene und er ist zäh. – Aber warum sollte er gemartert werden, wenn die Huronen ihn lieben? Er ist nicht als ihr Feind geboren; und der Tod Eines Kriegers wird nicht für immer eine Wolke zwischen sie werfen.«

»Um so besser, Hurone, um so besser. Dennoch möchte ich Nichts einem Mißverständnis über unsre beiderseitigen Gesinnungen zu verdanken haben. Es ist um so besser, wenn ihr keinen Groll nachtragt wegen des Verlustes eines Kriegers, der im Kampfe fiel; doch aber ist es unwahr, daß keine Feindschaft – rechtmäßige Feindschaft meine ich – zwischen uns bestehe. So weit ich überhaupt Rothhautgefühle habe, habe ich Delawarengefühle; und ich überlasse es Euch selbst zu beurtheilen, in wie weit sie freundschaftlich gegen die Mingo’s seyn können.«

Wildtödter hielt inne, denn eine Art Gespenst stand vor ihm. das plötzlich den Fluß seiner Worte hemmte, und ihn in der That einen Augenblick zweifeln machte an der Treue seines gerühmten Gesichts. Hetty Hutter stand neben dem Feuer, so ruhig, als gehörte sie zu dem Stamme.

Während der Jäger und der Indianer dasaßen, Jeder die Gemüthsbewegungen beobachtend, die sich im Gesicht des Andern aussprachen, hatte sich das Mädchen unbeachtet genähert, ohne Zweifel von dem Strand auf der südlichen Seite der Landspitze her, oder derjenigen, die dem Ort zunächst war, wo die Arche geankert hatte, und war zu dem Feuer herangeschritten mit der ihrer Einfalt eigenthümlichen und durch ihre frühere Behandlung bei den Indianern allerdings gerechtfertigten Furchtlosigkeit. Sobald Rivenoak das Mädchen erblickte, erkannte er sie auch wieder, und zwei oder drei der jüngern Krieger herrufend, sandte sie der Häuptling auf Kundschaft aus, besorgt, Hetty’s Erscheinung möchte der Vorbote eines neuen Angriffs seyn. Dann winkte er Hetty, näher heranzukommen.

«Ich hoffe, Euer Besuch ist ein Zeichen, daß Schlange und Hist in Sicherheit sind,« sagte Wildtödter, sobald das Mädchen der Aufforderung des Huronen gehorcht hatte. »Ich denke nicht, daß Ihr wieder mit dem Vorhaben an die Küste kommt, das Euch das letzte Mal herführte.«

»Judith hieß mich dießmal gehen, Wildtödter,« versetzte Hetty; »sie ruderte mich selbst in einem Canoe an’s Land, sobald Schlange seine Hist gezeigt und seine Geschichte erzählt hatte. Wie schön ist Hist heute Nacht, Wildtödter, und wie viel glücklicher sieht sie aus, als da sie bei den Huronen war!«

»Das ist Natur, Mädchen; ja, das kann man als menschliche Natur setzen. Sie ist bei ihrem Verlobten und fürchtet nicht mehr einen Mingo zum Mann zu bekommen. Nach meinem Urtheil würde Judith selbst den größten Theil ihrer Schönheit verlieren, wenn sie dächte, sie müßte sie ganz einem Mingo hingeben! Zufriedenheit thut Viel zur Befestigung des guten Aussehens; und ich will Euch dafür stehen, Hist ist zufrieden genug, nachdem sie den Händen dieser Elenden entronnen und bei ihrem auserwählten Krieger ist! Sagtet Ihr nicht, Eure Schwester habe Euch an’s Land gehen heißen – wie kam Judith dazu?«

»Sie bat mich zu gehen, um nach Euch zu sehen, und den Versuch zu machen, die Wilden zu bereden, daß sie noch mehr Elephanten nähmen für Eure Loslassung; aber ich habe die Bibel mitgebracht, die wird mehr ausrichten, als alle Elephanten in Vaters Schranke!«

»Und Euer Vater, gute kleine Hetty – und Hurry; wußten sie von Eurem Vorhaben?«

»Nichts. Beide schlafen; und Judith und Schlange hielten es für’s Beste, daß sie nicht geweckt würden, damit sie nicht wieder gelüstete, auf Skalpe auszuziehen, wenn Hist ihnen gesagt hätte, wie wenige Krieger und wie viele Weiber und Kinder hier im Lager seyen. Judith ließ mir keine Ruhe, bis ich an’s Land ging, um zu sehen, was aus Euch geworden.«

»Nun, das ist auffallend, was Judith betrifft! Warum ist sie denn auch wegen meiner so in Sorgen? Ja, jetzt sehe ich, wie die Sache ist; ja, jetzt durchschaue ich die ganze Sache. Ihr müßt verstehen, Hetty, Eure Schwester ist unruhig darüber, Harry March möchte erwachen und ungeschickterweise wieder dem Feind in die Hände laufen, weil er leicht die Idee haben könnte, er müsse als Reisegesellschafter mir in dieser Sache beistehen! Hurry ist ein zu täppischer Mensch, das geb‘ ich zu; aber ich glaube nicht, daß er meinetwillen so Viel wagen würde, wie für sich selbst.«

»Judith kümmert sich nicht um Hurry, wenn schon Hurry Wohl um sie,« versetzte Hetty, unschuldig, aber mit großer Bestimmtheit.

»Ich habe Euch das schon früher sagen hören; ja, ich habe das sonst schon von Euch gehört, Mädchen; und doch ist es nicht wahr. Man lebt nicht unter einem Stamm, ohne auch Etwas zu sehen von der Art und Weise, wie die Neigung im Herzen eines Weibes arbeitet. Obgleich selbst keineswegs gesonnen, zu heirathen, bin ich doch unter den Delawaren ein Beobachter gewesen, und das ist eine Sache, worin Bleichgesicht- und Rothhaut-Gaben ganz gleich sind. Wenn das Gefühl anfängt, ist das junge Weib nachdenklich, und hat Augen und Ohren nur für den Krieger, der ihr Gemüth eingenommen hat; dann folgt Schwermuth und Seufzen und derlei Geberdungen; darnach, besonders wenn die Sachen nicht zu deutlicher Erörterung kommen, legt sie sich oft auf´s Tadeln und Fehlerfinden, und schilt den Jüngling eben wegen der Dinge, die ihr am besten an ihm gefallen. Manche junge Creatur ist gar geneigt, in dieser Weise ihre Liebe zu zeigen, und ich bin der Meinung, zu diesen gehört auch Judith. Nun habe ich sie so gut als läugnen hören, daß Hurry ein gutes Aussehen habe; und mit dem jungen Weib, das das thut, muß es in der That weit gekommen seyn.«

»Das junge Weib, das Hurry liebte, würde gestehen, daß er schön sey. Ich halte Hurry für sehr schön, Wildtödter, und gewiß muß Jedermann, wer Augen hat, so denken. Judith mag den Harry March nicht, und das ist der Grund, warum sie so viel an ihm aussetzt.«

»Gut– gut – meine gute kleine Hetty, sey es, wie Ihr wollt. Wenn wir auch von jetzt bis zum Winter fortschwatzten, würde doch Jedes bei seiner Meinung bleiben, und so nützen Worte nichts. Ich muß glauben, daß Judith sehr in Hurry verschossen ist und daß sie ihn früher oder später nehmen wird; und dieß nur um so mehr, nach der Art zu schließen, wie sie ihn schilt und mißhandelt; Ihr aber, glaube ich fast, denkt gerade das Gegentheil. Aber merkt, was ich Euch sage, Mädchen, und gebt Euch die Miene, es nicht zu wissen,« fuhr dieser Mann fort, der so blind war, in einem Punkt, wo Männer gewöhnlich scharfsichtig und rasch genug sind, Entdeckungen zu machen, und so scharfblickend in Dingen, welche der Beobachtung bei weitem des größten Theils der Menschen spotten würden; »ich sehe, wie es ist mit diesen Vagabunden. Rivenoak hat uns verlassen, wie Ihr seht, und spricht mit den jungen Männern dort, und obgleich es zu weit entfernt ist, um zu hören, kann ich doch sehen, was er ihnen sagt. Er gibt ihnen Befehl, Eure Bewegungen zu beobachten und ausfindig zu machen, wo das Canoe Euch treffen soll, um Euch zur Arche zurück zu führen, und dann fest zu nehmen Wen und Was sie können. Es thut mir leid, daß Judith Euch geschickt hat, denn ich denke mir, sie wünscht Eure Rückkehr.«

»Alles das ist schon in’s Reine gebracht, Wildtödter,« versetzte das Mädchen in leisem, vertraulichem und bedeutsamem Tone; »und Ihr könnt mir zutrauen, daß ich die besten Indianer dort alle überlisten werde. Ich weiß, ich bin schwachsinnig, aber doch habe ich einigen Sinn und Verstand, und ihr sollt sehen, wie ich damit zurückzukommen weiß, wenn mein Vorhaben beendigt ist!«

»Ach, armes Märchen, ich fürchte, das Alles ist leichter gesagt als gethan. Es ist das ein giftiges Gezücht von Gewürmen, und ihr Gift ist nicht vermindert und milder worden durch den Verlust Hist’s. Sehr froh bin ich, daß es Schlange gerade gelang, mit dem Mädchen sich zu retten, denn jetzt werden Zwei wenigstens glücklich seyn, während, wenn er in die Hände der Mingo’s gefallen wäre. Zwei unglücklich und einem Dritten keineswegs so zu Muthe gewesen wäre, wie es einem Zufriedenen ist.«

»Jetzt erinnert Ihr mich an einen Theil meines Vorhabens, den ich beinahe vergessen hätte, Wildtödter. Judith trug mir auf, Euch zu fragen, was Ihr glaubt, daß die Huronen mit Euch thun würden, wenn Ihr nicht könntet losgekauft werden, und womit sie Euch am wirksamsten dienen könne? Ja, das war der wichtigste Theil des Auftrags – was sie thun könne, um Euch am wirksamsten zu dienen.«

»So denkt Ihr, Hetty; aber daran liegt nichts. Junge Weiber sind geneigt, am meisten Werth auf das zu legen, was ihre Gefühle berührt – aber das ist einerlei, sey es, wie Ihr wollt, nur nehmt Euch in Acht, daß Ihr nicht die Vagabunden sich eines Canoe’s bemächtigen laßt. Wenn Ihr auf die Arche zurückkommt, sagt ihnen, sie sollen immer scharfe Wache, aber immer sich in Bewegung halten, ganz besonders bei Nacht. Es können nicht mehr viele Stunden vergehen, ohne daß die Truppen am Fluß von dieser Bande hören, und dann können Eure Freunde nach Unterstützung und Entsatz sich umsehen. Es ist nur ein Tagmarsch von der nächsten Garnison hieher, und rechte Soldaten werden nie müßig hinliegen, wenn der Feind in ihrer Nachbarschaft ist. Das ist mein Rath, und Ihr möget Eurem Vater und Hurry sagen: auf Skalpe Jagd machen, werde jetzt ein ärmliches Gewerbe seyn, da die Mingo’s auf den Beinen und wach sind, und Nichts sie retten könne, bis die Truppen anlangen, als wenn sie einen tüchtigen Wassergürtel zwischen sich und den Wilden ziehen.«

»Was soll ich Judith von Euch sagen, Wildtödter? Ich weiß, sie wird mich wieder zurück schicken, wenn ich ihr nicht die Wahrheit über Euch berichte.«

»Dann sagt Ihr die Wahrheit. Ich sehe keinen Grund, warum Judith Hutter von mir nicht so gut die Wahrheit hören sollte, als eine Lüge. Ich bin ein Gefangener in den Händen der Indianer, und die Vorsehung allein weiß, was der Ausgang seyn wird! Hört, Hetty –« und er ließ die Stimme sinken und sprach noch heimlicher und noch mehr im Vertrauen, »Ihr seyd ein wenig schwachsinnig, muß man gestehen, aber Ihr versteht Euch ein Wenig auf Indianer. Hier bin ich in ihren Händen, nachdem ich einen ihrer muthigsten Krieger getödtet, und sie haben versucht, mich durch Furcht vor den Folgen ihrer Rache zu bearbeiten, Euern Vater und Alle in der Arche zu verrathen. Ich verstehe die Spitzbuben so gut, als wenn sie Alles geradezu mit ihren Zungen herausgesagt hätten. Sie halten mir die Lockungen der Habgier auf der einen und Furcht auf der andern Seite vor, und glauben, die Ehrlichkeit werde zwischen beiden zu Fall kommen. Aber thut Eurem Vater und Hurry zu wissen, daß es vergeblich ist, Schlange weiß es schon.«

»Aber was soll ich Judith sagen? Sie wird mich gewiß wieder zurück schicken, wenn ich ihr Gemüth nicht beruhige.«

»Nun, sagt Judith dasselbe. Ohne Zweifel werden die Wilden ihre Martern versuchen, um mich zur Schwäche zu bringen und den Verlust ihres Kriegers zu rächen; aber ich muß mich gegen natürliche Schwäche zu behaupten suchen, so gut ich immer kann. Ihr könnt Judith sagen, sie solle sich um mich keinen Kummer machen – es wird hart kommen, das weiß ich, sintemalen eines weißen Mannes Gaben nicht dahin gehen, unter Martern zu prahlen und zu singen, denn er empfindet in der Regel am wenigsten, wenn er am ärgsten leidet – aber Ihr mögt ihr sagen, sie solle sich keinen Kummer machen. Ich denke, ich werde es schon zu ertragen wissen; und sie darf sich darauf verlassen, mag ich auch noch sehr den Gleichmuth verlieren, und ganz und gar bewähren, daß ich weiß bin durch Wimmern und Stöhnen und selbst durch Thränen, – doch werde ich nie so weit kommen, daß ich meine Freunde verrathe. Wenn es daran geht, daß man mit glühenden Ladstöcken Löcher in’s Fleisch brennt, und den Körper zerhackt, und das Haar mit den Wurzeln ausrauft, mag wohl die Natur die Oberhand gewinnen, was Aechzen und Klagen anbetrifft, aber damit wird der Triumph der Vagabunden enden; nichts Geringeres, als wenn ihn Gott den Teufeln Preis gibt, kann einen ehrlichen Mann seiner Farbe und seiner Pflicht untreu machen.«

Hetty hörte mit großer Aufmerksamkeit zu, und ihr mildes, aber sprechendes Gesicht verrieth lebhafte Theilnahme an der so vorläufig geschilderten Todesqual des künftigen möglichen Dulders. Anfänglich schien sie verlegen, wie sie sich benehmen sollte; dann ergriff sie eine Hand Wildtödters und empfahl ihm dringend und liebevoll, ihre Bibel zu borgen und darin zu lesen, während ihn die Wilden mit ihren Martern peinigten. Als der Andre redlich gestand, daß das Lesen über sein Vermögen gehe, erbot sie sich sogar, bei ihm zu bleiben, und selbst diesen heiligen Dienst zu versehen. Das Anerbieten ward freundlich abgelehnt, und da Rivenoak im Begriff stand, wieder zu ihnen zu treten, bat Wildtödter das Mädchen, ihn zu verlassen, wobei er ihr jedoch nochmals einschärfte, denen in der Arche zu sagen, daß sie volles Vertrauen in seine Treue setzen sollten. Jetzt entfernte sich Hetty und näherte sich der Gruppe von Weibern mit solcher Zuversicht und Selbstbeherrschung, als wäre sie eine Eingeborne des Stammes. Andrerseits nahm der Hurone seinen Sitz neben dem Gefangenen wieder ein, und fuhr fort, ihm mit all der tückischen Schlauheit eines geübten indianischen Rathsmannes Fragen vorzulegen, während der Andere seine List zu Schanden machte mit den Mitteln, die, wie man weiß, auch die wirksamsten sind, die Feinheit der anspruchsvolleren Diplomatie der Zivilisation zu vereiteln – oder sich in seinen Antworten auf die Wahrheit und die Wahrheit allein, beschränkte.

Achtzehntes Kapitel.

Achtzehntes Kapitel.

            So starb sie. Nie wird sie erfahren
Mehr Schmerz und Schmach; unfähig, daß sie trägt
Die inn´re Last im Lauf von Monden, Jahren,
Gleich kältern Herzen, bis in’s Grab sie legt
Das Alter. Ihre Tag‘ und Freuden waren
Kurz, aber schön, wie sie das Schicksal pflegt
Nicht lang zu gönnen. Doch am Meeresstrand
Schläft sie nun wohl, wo sie sich gern befand.
Byron.

Die jungen Männer, die bei Hetty’s plötzlichem Erscheinen auf Kundschaft waren ausgesandt worden, kehrten bald zurück mit dem Bericht, daß es ihnen nicht gelungen, irgend Etwas zu entdecken. Einer von ihnen war sogar am Strand bis an den Platz, der der Arche gegenüber lag, hingegangen, aber die Dunkelheit hatte dieß Fahrzeug seinen Blicken gänzlich entzogen. Andre hatten in verschiedenen Richtungen sich umgesehen, und überall hatten sie nur die Stille der Nacht mit dem Schweigen und der Einsamkeit der Wälder vermählt gefunden.

Man glaubte daher, das Mädchen sey, wie bei ihrem ersten Besuch und in einem ähnlichen Zweck, allein gekommen. Die Irokesen wußten nicht, daß die Arche das Castell verlassen hatte, und es waren mittlerweile Bewegungen im Plane, wenn nicht schon in wirklicher Ausführung begriffen, welche auch das Gefühl der Sicherheit mächtig verstärkten. Eine Wache ward daher ausgestellt, und Alle außer den Schildwachen schickten sich zum Schlafe an.

Man hatte hinlängliche Sorge getroffen, den Gefangenen sicher verwahrt zu halten, ohne ihm unnöthige Leiden anzuthun, und Hetty gestattete man, sich unter den indianischen Mädchen so gut sie konnte, eine Schlafstätte zu suchen. Die freundliche Dienstfertigkeit Hist’s fand sie freilich nicht, obwohl ihr Charakter nicht blos gegen Unbilden und Gefangenschaft sie sicher stellte, sondern ihr auch eine Berücksichtigung und Achtung verschaffte, vermöge der sie, was Bequemlichkeit betraf, völlig den wilden aber gutmüthigen Geschöpfen um sie her gleichgestellt wurde. Man gab ihr eine Haut, und sie machte sich selbst ihr Bett zurecht aus einem Haufen von Zweigen, ein wenig beiseite von den Hütten. Hier lag sie bald, wie Alle um sie her, in tiefem Schlafe.

Es waren jetzt dreizehn Männer bei der Truppe, und je drei auf einmal hielten Wache. Einer jedoch blieb im Schatten, nicht weit vom Feuer, zurück. Seine Obliegenheit war, den Gefangnen zu bewachen, dafür Sorge zu tragen, daß das Feuer nicht so aufflackerte, daß es den Platz beleuchtete, und doch es nicht ganz erlöschen zu lassen, und auf den Zustand des Lagers überhaupt ein wachsames Auge zu haben. Ein Zweiter ging von einem Strand zum andern herüber und hinüber, und durchkreuzte die Basis der Landspitze, während der dritte langsam an dem äußersten Rand der Küste auf- und abschritt, um eine Wiederkehr der Ueberraschung, die schon einmal in dieser Nacht stattgefunden, zu verhüten. Diese Einrichtung war keineswegs gewöhnlich bei Wilden, die sich in der Regel mehr auf die Heimlichkeit ihrer Bewegungen, als auf eine derartige Wachsamkeit verlassen; aber sie war veranlaßt durch die eigenthümlichen Umstände, in welchen sich die Huronen eben jetzt befanden. Ihre Stellung war ihren Feinden bekannt, und sie konnte nicht wohl geändert werden zu einer Stunde, welche Schlaf und Ruhe verlangte. Vielleicht setzten sie auch hauptsächlich ihr Vertrauen auf das, was, wie sie für gewiß zu wissen glaubten, weiter aufwärts auf dem See vorging, und was, wie sie wähnten, sämmtlichen in Freiheit befindlichen Bleichgesichtern nebst ihrem einzigen indianischen Bundesgenossen alle Hände voll zu thun geben würde. Auch wußte vermuthlich Rivenoak, daß, so lange er den Gefangenen behielt, er den Gefährlichsten von allen seinen Feinden in Händen hätte. Die Sicherheit, mit welcher diese an Wachsamkeit oder an ein Leben, dessen Ruhe oft gestört wird, gewöhnten Menschen einschlafen, ist eines der nicht am wenigsten merkwürdigen Phänomene unsers geheimnißreichen Daseyns. Nicht sobald ruht der Kopf auf dem Pfühl, so ist auch das Bewußtseyn entschwunden; und doch, zur erforderlichen Stunde, scheint der Geist den Körper aufzuwecken, so rasch und sicher, als hätte er die Zeit über Schildwache bei ihm gestanden. Es kann kein Zweifel darüber obwalten, daß diejenigen, die so ihren Schlummer abbrechen, aufwachen vermöge der Macht des Gedankens über die Materie, obwohl die Art und Weise, wie diese Macht, dieser Einfluß geübt wird, unsrer Forschbegier verborgen bleiben muß, bis er einst, falls diese Stunde je eintritt, wird erklärt werden durch die vollständige Erleuchtung der Seele hinsichtlich aller menschlichen Räthsel. Dieß war nun auch der Fall bei Hetty Hutter. Für so schwach auch der immaterielle Bestandteil ihres Wesens galt, war er doch kräftig genug, ihre Augen um Mitternacht zu öffnen. Um diese Stunde wachte sie auf, verließ ihr Lager, aus Zweigen und einer Haut bestehend, schritt arglos und offen zu der Glut des Feuers, und fachte diese ein wenig an, da die Kühle der Nacht und der Wälder, in Verbindung mit einem über die Maßen kunstlosen Bett, sie ein wenig frieren gemacht hatte. Als die Flamme aufloderte, beleuchtete sie das braune Gesicht des wachehaltenden Huronen, dessen dunkle Augen bei diesem Licht blitzten wie die Augen des Panthers, der mit Feuerbränden zu seiner Höhle verfolgt wird. Aber Hetty fühlte keine Furcht, und sie näherte sich dem Platz, wo der Indianer stand. Ihre Bewegungen waren so natürlich, und so gänzlich frei von der verstohlenen Art der List oder Täuschung, daß er dachte, sie sey nur aufgestanden wegen der Kälte der Nacht, ein in einem Bivonak nicht seltenes Vorkommniß, und ein solches, das vielleicht unter allen am wenigsten Verdacht zu erregen geeignet ist. Hetty sprach zu ihm, aber er verstand kein Englisch, dann starrte sie beinahe eine Minute den schlafenden Gefangenen an, und entfernte sich dann langsam, Trauer und Betrübniß in ihrem Wesen.

Das Mädchen nahm sich nicht die Mühe, ihre Bewegungen zu verhehlen. Alle schlauen Auskunftsmittel dieser Art gingen gänzlich über ihr Vermögen; doch war ihr Schritt von Natur leicht und kaum hörbar. Wie sie die Richtung nach der äußersten Landspitze, oder nach dem Platz einschlug, wo sie bei ihrem ersten Abenteuer gelandet, und wo Hist sich eingeschifft hatte, sah die Schildwache ihre leichte Gestalt allmälig im Dunkel verschwinden, ohne darüber unruhig zu werden oder ihre Stellung zu ändern. Der Indianer wußte, daß Andere auf Wache ausgestellt waren, und glaubte nicht, daß diejenige, die zweimal freiwillig ins Lager gekommen war, und es schon ganz offen verlassen hatte, sich durch die Flucht ihnen werde zu entziehen suchen. Kurz, das Thun und Treiben des Mädchens erregte nicht mehr Aufmerksamkeit, als das irgend einer geistesschwachen Person in civilisirten Ländern erregen würde, während man ihrer Person mit weit mehr Achtung und Rücksicht begegnete.

Hetty hatte freilich keine sehr deutliche Vorstellung von den Lokalitäten, aber doch fand sie den Weg zum Strande, den sie auf derselben Seite des Vorsprungs erreichte, wo auch das Lager aufgeschlagen war. Dem Rand des Wassers folgend, und die Richtung nach Norden einschlagend, stieß sie bald auf den Indianer, der als Schildwache am Strand auf- und abschritt. Es war dieß ein junger Krieger, und als er ihren leichten Tritt auf dem Kiesgrunde hörte, näherte er sich rasch, obwohl keineswegs in drohender Weise. Die Finsterniß war so dicht, daß es nicht leicht war, innerhalb der Schatten des Waldes auf eine Entfernung von zwanzig Fuß Gestalten zu entdecken, und beinahe unmöglich, Personen zu unterscheiden, als bis man sie beinahe greifen konnte. Der junge Hurone ließ einigen Verdruß blicken, als er merkte, wem er begegnete, denn die Wahrheit zu gestehen, erwartete er seine Auserkorene, welche ihm versprochen, die Langeweile einer Wache um Mitternacht durch ihre Anwesenheit ihm zu versüßen. Auch dieser Mann verstand kein Englisch, aber er fand gar nichts Befremdendes daran, daß das Mädchen zu dieser Stunde auf den Beinen war. Solche Dinge kamen in einem indianischen Dorf und Lager, wo der Schlaf so unregelmäßig ist wie die Mahlzeit, ganz gewöhnlich vor. Dann kam der armen Hetty ihre bekannte Geistesschwäche auch bei dieser Gelegenheit, wie in den meisten Dingen gegenüber den Wilden, sehr zu Statten. Verdrießlich über die Täuschung seiner Erwartung, und unmuthig über die Erscheinung eines unbequemen Besuchs, wie er dachte, winkte der junge Krieger dem Mädchen weiter zu gehen in der Richtung des Strandes. Hetty gehorchte; aber im Weitergehen sprach sie laut Englisch in ihrem gewöhnlichen, weichen Ton, den die Stille der Nacht auf einige Entfernung vernehmbar machte.

»Wenn Ihr mich für ein Huronenmädchen nahmet, Krieger,« sagte sie, »so wundert es mich nicht, daß Ihr so unzufrieden seyd. Ich bin Hetty Hutter, Thomas Hutter’s Tochter, und bin noch nie Nachts mit einem Mann zusammengetroffen, denn Mutter sagte immer, das sey unrecht, und sittsame Mädchen dürften es nie thun – sittsame Mädchen von den Bleichgesichtern, meine ich; denn die Bräuche sind verschieden in verschiedenen Theilen der Welt, das weiß ich. Nein, nein; ich bin Hetty Hutter, und möchte selbst Hurry Harry nicht begegnen, sollte er auch auf die Kniee niederfallen und mich darum bitten! Mutter sagte, es sey unrecht.«

Während Hetty so sprach, hatte sie den Platz erreicht, wo die Canoe’s gelandet hatten, und vermöge der Krümmung des Landes und der Gebüsche dem Auge der Schildwache sogar am hellen Tage verborgen geblieben wären. Aber ein andrer Fußtritt hatte das Ohr des Liebhabers erreicht, und er befand sich schon außer dem Bereich der Silberstimme des Mädchens. Noch immer sprach Hetty fort, ganz ihren Gedanken und Wünschen nachhängend, aber bei ihrer so leisen Stimme konnten die Töne nicht weit in den Wald hineindringen. Uebers Wasser hin verbreiteten sie sich weiter.

»Da bin ich, Judith,« fuhr sie fort, »und Niemand ist in meiner Nähe. Der Hurone auf der Wache ist seinem Liebchen entgegengegangen, einem indianischen Mädchen, das du kennst, und das nie eine christliche Mutter gehabt, die ihr hätte sagen können, wie unrecht es ist, bei Nacht sich mit einem Manne zu treffen –«

Hetty’s Reden ward unterbrochen durch ein »Bscht!« das vom Wasser her kam, und dann wurde sie, wiewohl undeutlich, des Canoe’s ansichtig, welches sich geräuschlos näherte, und bald mit seinem Bug auf den Kieseln auffuhr. Sobald Hetty’s Last in das leichte Fahrzeug aufgenommen war, entfernte sich das Canoe wieder, das Hintertheil voran, wie wenn es Leben und Willen hätte, bis es hundert Schritte vom Ufer entfernt war. Dann wandte es sich, und indem es einen weiten Bogen beschrieb, ebensosehr um die Fahrt zu verlängern, als um außer Gehörweite zu kommen, nahm es seinen Lauf der Arche zu. Einige Minuten lang ward Nichts gesprochen, dann aber begann Judith, welche sich in einer günstigen Lage zu befinden glaubte, um mit ihrer Schwester sich zu besprechen, und – das Canoe mit einer Geschicklichkeit handhabend, die der eines Mannes Wenig nachgab, allein im Hintertheil saß, ein Gespräch, welches anzufangen sie vor Begierde brannte, seit sie die Landspitze verlassen hatten.

»Hier sind wir sicher, Hetty,« sagte sie, »und können plaudern, ohne Furcht belauscht zu werden. Du mußt aber leise sprechen, denn übers Wasser hört man in einer stillen Nacht die Töne weit hin. Ich war einen Theil der Zeit über, während welcher du am Lande wärest, dem Ausläufer so nahe, daß ich die Stimmen der Krieger hörte, und ich hörte deine Schuhe auf dem Kies des Strandes, noch ehe du sprachest.« »Die Huronen, Judith, wissen, glaube ich, nicht, daß ich sie verlassen habe.«

»Wahrscheinlich nicht, denn ein Liebhaber gibt eine schlechte Schildwache ab, wenn er nicht etwa auf sein Liebchen wartet oder sie bewacht! Aber sag‘ mir, Hetty, hast du Wildtödter gesehen und gesprochen?«

»Oh! ja – er saß am Feuer, mit gebundnen Füßen, aber die Arme hatte man ihm freigelassen, daß er sie bewegen konnte, wie er wollte.«

»Gut; was hat er dir gesagt, Kind? Sprich schnell; ich sterbe vor Verlangen, zu wissen, welche Botschaft er mir sendet.«

»Was er mir gesagt hat? ha, was denkst Du, Judith! er hat mir gesagt, er könne nicht lesen! Bedenke nur, ein weißer Mann und nicht einmal seine Bibel lesen können! Er hat wohl nie eine Mutter gehabt, Schwester!«

»Laß das ruhen, Hetty. Nicht alle Menschen können lesen; obgleich unsre Mutter so Viel wußte, und uns so Viel lehrte, versteht doch Vater sehr Wenig von Büchern, und kann kaum nur die Bibel lesen, wie du weißt.«

»Oh, ich dachte auch nie, daß die Väter gut lesen könnten, aber die Mütter sollten alle lesen, denn wie können sie es sonst ihre Kinder lehren? Glaube mir, Judith, Wildtödter kann nie eine Mutter gehabt haben, sonst würde er auch lesen können.«

»Hast du ihm gesagt, ich habe dich an’s Land geschickt, Hetty, und daß ich so bekümmert sey um sein Unglück?« fragte die Andere ungeduldig.

»Ich glaube so, Judith; aber du weißt, ich bin schwachsinnig und kann es vergessen haben. Ich habe ihm gesagt, du habest mich ans Land geführt. Und er trug mir Vieles auf, was ich dir sagen sollte, dessen ich mich wohl erinnere, denn das Blut erstarrte mir, wie ich ihm zuhörte. Er trug mir auf zu sagen, seine Freunde – ich denke, zu denen gehörst du auch, Schwester?«

»Wie kannst du mich so martern, Hetty! gewiß gehöre ich zu den treuesten Freunden, die er auf der Welt hat!«

»Dich martern, ja, jetzt besinne ich mich wieder auf Alles! Ich bin froh, daß du das Wort gebrauchtest, Judith, denn es ruft nur wieder Alles in die Seele zurück. Nun er sagte, er könnte wohl von den Wilden gemartert werden, aber er wolle versuchen, es zu ertragen, wie es einem christlichen, weißen Manne gezieme, und es dürfe Niemand in Forcht seyn – warum sagt denn Wildtödter: in Forcht, während uns doch Mutter immer sagen lehrte: in Furcht?«

»Laß das, liebe Hetty, laß doch jetzt das,« rief die Andere, beinahe außer Stand zu athmen. »Hat Wildtödter dir wirklich gesagt, er glaube, die Wilden würden ihn martern? Besinne dich recht, Hetty, denn das ist eine höchst ernste und entsetzliche Sache.«

»Ja, das hat er; und es fällt mir darüber ein, daß du sagtest, ich martere dich. Oh! es ward mir sehr leid und bange um ihn, und Wildtödter nahm Alles so ruhig und so geräuschlos! Wildtödter ist nicht so schön wie Hurry Harry, Judith, aber er ist ruhiger.«

»Er ist so viel werth, als eine Million Hurry’s! ja, er ist so viel werth als alle die jungen Männer, die je an den See kamen, zusammengenommen,« sagte Judith mit einer Lebhaftigkeit und Bestimmtheit, welche ihre Schwester staunen machte. »Er ist wahr! es ist keine Lüge in Wildtödters Mund und Seele. Du, Hetty, weißt vielleicht nicht, welches Verdienst an einem Manne die Wahrheit ist, aber wenn du einmal – nein, ich hoffe du wirst es nie erfahren. Warum sollte ein Geschöpf, wie du, je die harte Schule des Hasses und Mißtrauens durchmachen?«

Judith beugte, so dunkel es war, und so wenig sie von irgend einem Auge außer dem der Allmacht gesehen werden konnte, ihr Haupt herunter zwischen ihre Hände und stöhnte tief auf. Dieser plötzliche Paroxysmus von Affekt dauerte jedoch nur einen Augenblick, und sie fuhr dann ruhiger fort, immer noch freimüthig zu ihrer Schwester sprechend, in deren Verstand und Verschwiegenheit in Allem, was sie betraf, sie nicht das mindeste Mißtrauen setzte. Ihre Stimme war aber jetzt leise und hohl, während sie zuvor klar und lebhaft gewesen war.

»Es ist eine harte Sache, die Wahrheit fürchten zu müssen, Hetty,« sagte sie: »und doch fürchte ich Wildtödters Wahrhaftigkeit mehr als irgend einen Feind. Man kann nicht markten mit solcher Wahrhaftigkeit – solcher Redlichkeit – solcher hartnäckigen Geradheit! Aber sind wir nicht gänzlich ungleich, Schwester – Wildtödter und ich? Ist er nicht in Allem mir überlegen?«

Es war etwas Ungewöhnliches bei Judith, sich so weit herunterzugeben, daß sie an Hetty’s Einsicht und Urtheil sich fragend wandte. Auch redete sie sie nicht oft mit dem Namen Schwester an, – eine Auszeichnung, die gewöhnlich die Jüngere der Aelteren erweist, selbst da wo in allen andern Beziehungen Gleichheit der Personen stattfindet. Wie geringfügige Abweichungen vom gewohnten Ton oft stärker auffallen, als wichtigere Veränderungen, bemerkte auch Hetty diese Umstände, und wunderte sich darüber in ihrer einfachen Weise.

Ihr Ehrgeiz war ein wenig aufgestachelt; und ihre Antwort war eben so wenig dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entsprechend, als die Frage; denn das arme Mädchen suchte sich über ihr Vermögen fein und klug vernehmen zu lassen.

»Ueberlegen, Judith?–« wiederholte sie mit Stolz. »In was kann Wildtödter dir überlegen seyn? Bist du nicht der Mutter Kind – und kann er lesen – und that es nicht Mutter darin allen Frauen in dieser Gegend der Welt zuvor? Ich sollte meinen, weit entfernt, daß er dir überlegen wäre, dürfte er sich kaum mir überlegen glauben. Du bist hübsch und er ist häßlich–«

»Nein, nicht häßlich, Hetty,« unterbrach sie Judith, »Nur unansehnlich. Aber sein ehrliches Gesicht hat einen Ausdruck, der weit besser ist, als Schönheit. In meinen Augen ist Wildtödter hübscher als Harry Hurry.«

»Judith Hutter! Du erschreckst mich. Hurry ist der hübscheste Sterbliche auf der Welt – hübscher sogar als du selbst; weil, wie Du weißt, das gute Aussehen eines Mannes immer besser ist, als das gute Aussehen eines Weibes.«

Dieser kleine unschuldige Zug von natürlichem Geschmack gefiel der ältern Schwester im Augenblick nicht, und sie stand nicht an, dieß zu erkennen zu geben.

»Hetty, du sprichst jetzt thöricht, und sagtest lieber Nichts mehr über diesen Gegenstand,« versetzte sie. »Hurry ist weit nicht der schönste Sterbliche auf der Welt; und es sind Officiere in den Garnisonen –« bei diesen Worten stammelte Judith – »es sind Officiere in den Garnisonen in unsrer Nähe weit hübscher als er. Aber warum glaubst Du, daß ich Wildtödtern gleich sey – davon sprich, denn ich höre es nicht gern, wenn du solche große Bewunderung an den Tag legst für einen Mann wie Hurry Harry, der weder Gefühl, noch Benehmen, noch ein Gewissen hat. Du bist zu gut für ihn, und das sollte man ihm geradeheraus sagen!«

»Ich, Judith, wie Du Alles vergißt! Ha, ich bin ja nicht schön, und schwachsinnig!«

»Du bist gut, Hetty, und das ist mehr, als sich von Henry March sagen läßt. Er mag ein Gesicht, und einen tüchtigen Körper haben, aber er hat kein Herz. Doch genug hievon für jetzt. Sage mir, was mich Wildtödtern gleich stellt.«

»Daß dir einfällt, mich das zu fragen, Judith! Er kann nicht lesen und du kannst es. Er weiß nicht, schön zu reden, sondern spricht schlechter, sogar als Hurry; denn, Schwester, Harry spricht seine Worte nicht immer richtig aus. Hast du das auch schon bemerkt!«

»Ganz gewiß; er ist so roh im Sprechen, wie in Allem sonst. Aber ich fürchte, du schmeichelst mir, Hetty, wenn du meinst, ich könne mit Recht Wildtödtern gleich gestellt werden. Es ist wahr, ich habe mehr gelernt; bin in Einem Sinne hübscher; und vielleicht dürfte ich nach Höherem trachten – aber dann seine Wahrhaftigkeit – seine Wahrhaftigkeit – die macht einen fürchterlichen Unterschied zwischen uns! Nun, ich will hievon nicht weiter sprechen; und wir wollen auf Mittel denken, ihn aus den Händen der Huronen zu befreien. Wir haben Vaters Schrank in der Arche, Hetty, und könnten es mit der Lockspeise weiterer Elephanten versuchen; aber ich fürchte, solche Spielsachen werden nicht die Freiheit eines Mannes wie Wildtödter erkaufen. Ich fürchte Vater und Hurry werden nicht so bereitwillig seyn, Wildtödter auszulösen, als er es war, sie auszulösen!«

»Warum nicht, Judith? Hurry und Wildtödter sind Freunde und Freunde sollten immer einander beistehen?«

»Ach, arme Hetty, du kennst die Menschen wenig! Anscheinende Freunde sind oft mehr zu fürchten, als offene Feinde, zumal von Frauen. Aber Du sollst am Morgen noch einmal an’s Land, und versuchen, was für Wildtödter geschehen kann. Gemartert soll er nicht werden, so lange Judith Hutter lebt, und Mittel finden kann, es zu verhindern.«

Das Gespräch kam jetzt auf allerlei Punkte und spann sich fort, bis die ältere Schwester von der jüngern alle Umstände herausgezogen hatte, welche zu behalten und mitzutheilen dieser ihre schwachen Geisteskräfte gestatteten. Als Judith befriedigt war – obgleich man eigentlich nicht sagen kann, daß sie befriedigt worden, da ihre Gefühle so mit Allem verwoben waren, was sich auf den Gegenstand bezog, daß eine fast nicht zu stillende Neugier in ihr rege geworden war – also, als Judith keine Fragen mehr zu ersinnen wußte, ohne sich nur zu wiederholen, ward das Canoe zu der Arche hingerudert. Die dichte Finsterniß der Nacht, und die tiefen Schatten, welche die Hügel und Wälder auf das Wasser warfen, machten es schwer, das Fahrzeug zu finden, da es so nahe an der Küste vor Anker lag, als nur irgend die Rücksicht auf Sicherheit räthlich machte. Judith war erfahren in der Handhabung eines Rindencanoes, dessen Leichtigkeit mehr Geschicklichkeit als Kraft erheischte; und sie trieb ihr kleines Fahrzeug rasch über das Wasser hin, sobald sie ihre Unterredung mit Hetty beendigt und den Entschluß zurückzukehren, gefaßt hatte. Aber noch immer war keine Arche zu sehen. Einige Male glaubten die Schwestern, sie zu erblicken, hervorragend in der Finsterniß, wie ein niedrer, schwarzer Fels; aber jedesmal fand sich, daß es entweder eine optische Täuschung, oder ein Auswuchs von Laubwerk an der Küste gewesen war. Nach einem halbstündigen Suchen drängte sich den Mädchen die unwillkommne Ueberzeugung auf, daß die Arche sich entfernt habe.

Die meisten Mädchen hätten wohl die peinliche Verlegenheit ihrer Lage im physischen Sinne unter den Umständen, in welchen sich die verlassenen Schwestern befanden, eher empfunden, als irgend sonstige Besorgnisse. Bei Judith verhielt sich dieß nicht so; und selbst Hetty empfand mehr Unruhe wegen der Beweggründe, die ihren Vater und Hurry möchten geleitet haben, als Besorgnisse wegen ihrer Sicherheit.

»Es kann doch nicht seyn, Hetty,« sagte Judith, als die genaueste Nachsuchung Beide überzeugt hatte, daß keine Arche zu finden war; »es kann doch nicht seyn, daß Indianer auf Flößen oder gar ohne solche herangeschwommen sind, und unsre Freunde im Schlaf überrascht haben?«

»Ich glaube nicht, daß Hist und Chingachgook schlafen würden, ehe sie einander Alles gesagt, was sie sich nach einer so langen Trennung zu sagen hatten – glaubst du es, Schwester?«

»Vielleicht nicht, Kind. Vielerlei konnte sie wach halten, aber Ein Indianer mochte überrascht werden, selbst wenn er nicht schlief, zumal da seine Gedanken bei andern Dingen verweilt haben mögen. Doch aber sollten wir ein Geräusch hören; denn in einer Nacht, wie diese, hätte ein Fluch Harry Hurry’s an den östlichen Bergen widerhallen müssen, wie ein Donnerschlag.«

»Hurry ist sündhaft und rücksichtlos in seinen Worten,« versetzte Hetty leise und bekümmert.

»Nein – nein; es ist unmöglich, daß die Arche sollte genommen worden seyn, ohne daß ich ein Geräusch gehört hätte. Es ist nicht eine Stunde, seit ich sie verließ, und die ganze Zeit über lauschte ich auf das kleinste Geräusch. Und doch kann man nicht leicht glauben, daß ein Vater absichtlich seine Kinder preisgeben würde!«

»Vielleicht hat Vater uns in unserem Gemache schlafend geglaubt, und hat zurück nach Hause gesteuert, Du weißt, daß wir oft bei Nacht mit der Arche Bewegungen machen.«

»Das ist wahr, Hetty, und es muß so seyn, wie du denkst. Es ist etwas mehr Südwind, als zuvor, und sie sind den See hinaus gefahren – «

Judith stockte; denn als das letzte Wort ihrer Zunge entschwebte, ward die Scene plötzlich, obwohl nur für einen Augenblick, durch ein aufflammendes Licht erhellt. Das Krachen einer Büchse folgte darauf, und dann das Rollen des Echo’s die östlichen Berge entlang. Beinahe in demselben Augenblick stieg ein durchbringender weiblicher Schrei in langem Kreischen in die Lüfte empor. Die entsetzliche Stille, die darauf folgte, war wo möglich noch gräßlicher, als die plötzliche, wilde Unterbrechung des tiefen, mitternächtlichen Schweigens. Judith, so entschlossen sie von Natur und durch Gewohnheit war, athmete kaum, während die arme Hetty ihr Angesicht verbarg und zitterte.

»Das war eines Weibes Schrei, Hetty!« sagte die Erstere mit feierlichem Ernst; »und es war ein Schmerzensschrei! Wenn die Arche sich von dieser Stelle bewegt hat, so konnte sie bei diesem Wind nur nördlich segeln, und der Schuß und der Schrei kamen von der Landspitze. Sollte Hist Etwas zugestoßen seyn?«

»Laß uns hin und sehen, Judith; sie bedarf vielleicht unsers Beistandes – denn außer ihr sind nur Männer auf der Arche.«

Es war kein Augenblick zum Zaudern, und ehe Judith aufgehört zu sprechen, war schon ihr Ruder im Wasser. Die Entfernung von der Landspitze, in gerader Linie, war nicht groß, und die Gemüthsbewegungen, welche die Mädchen trieben, waren zu aufregend, als daß sie ihnen gestattet hätten, die kostbaren Augenblicke mit nutzlosen Vorsichtsmaßregeln zu vergeuden. Sie ruderten ohne große Vorsicht vorwärts, aber dieselbe Aufregung hinderte auch Andre, ihre Bewegungen zu beobachten. Bald gewahrte das Auge Judiths einen Lichtschimmer durch eine Lücke in den Gebüschen, und darauf zusteuernd, lenkte sie das Canoe so, daß sie denselben im Gesicht behielt, während sie dem Lande sich so weit näherte, als nothwendig und klug war.

Die Scene, die sich jetzt den Blicken der Mädchen darbot, war in den Wäldern, auf der Seite des oft erwähnten Abhangs, vom Boot aus vollkommen übersehbar. Alle im Lager waren da versammelt, und sechs oder acht trugen Kienholzfackeln, die ein starkes, aber leichenhaftes Licht auf Alles unter den Laubhallen des Waldes warfen. Mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, und auf einer Seite unterstützt von der jungen Schildwache, deren Nachlässigkeit Hetty hatte entkommen lassen, saß das Mädchen, dessen erwarteter Besuch die Schuld seines Dienstfehlers trug. Bei dem grellen Lichte der Fackel, die man ihr gegen das Gesicht hielt, erkannte man deutlich, daß sie mit dem Tode rang, während das von ihrer nackten Brust herabträufelnde Blut die Beschaffenheit des Unfalls, der sie betroffen, verrieth. Auch der scharfe, eigenthümliche Geruch von Schießpulver war noch in der schweren, feuchten Nachtluft wahrzunehmen. Es konnte kein Zweifel seyn, daß sie erschossen war. Judith verstand Alles auf Einen Blick. Der Lichtblitz hatte auf dem Wasser gezuckt in kleiner Entfernung von der Landspitze, und entweder war die Büchse aus einem Canoe, das die Küste umkreiste, oder von der Arche aus im Vorbeifahren abgefeuert worden. Ein unvorsichtiger Ausruf, ein Lachen, mochte den Angriff veranlaßt haben, denn es war kaum möglich, daß dem Schützen beim Zielen etwas Anderes zu Hülfe gekommen, als ein Laut. Die Wirkung war noch viel augenscheinlicher, denn der Kopf des Opfers hing herunter, und der Leib schlotterte in der Auflösung des Todes. Dann wurden alle Fackeln bis auf eine gelöscht – eine Klugheitsmaßregel; und der traurige Zug, der den Leichnam in’s Lager trug, konnte eben kaum noch unterschieden werden bei dem noch übrigen dämmernden Lichte.

Judith seufzte tief auf und schauderte, als sie ihr Ruder wieder eintauchte, und das Canoe umfuhr vorsichtig die Landspitze. Ein Anblick hatte sich ihren Sinnen dargeboten und schwebte jetzt vor ihrer Einbildungskraft, der noch härter zu ertragen war, als selbst der frühe Tod und der vorübergehende Todeskampf des verschiedenen Mädchens. Sie hatte bei dem grellen Licht aller der Fackeln die aufgerichtete Gestalt Wildtödters erblickt, der, Mitleid und wie ihr vorkam, Schaam in seinem Angesicht sich aussprechend, neben der Sterbenden stand. Er selbst verrieth weder Furcht noch Kleinmüthigkeit, aber aus den Blicken, welche die Krieger auf ihn warfen, sah man deutlich, daß in ihrer Brust heftige Leidenschaften kämpften. Alles dieß schien von dem Gefangenen nicht beachtet zu werden; aber Judiths Gedächtniß blieb es die ganze Nacht hindurch schauerlich eingepägt.

Man traf kein Canoe, das um die Landspitze herumstreifte. Eine Stille und Dunkelheit, so vollständig, als wäre das Schweigen des Waldes nie gestört worden, oder hätte die Sonne nie diese entlegene Scene beschienen, herrschte jetzt auf der Landspitze und dem düstern Wasser, auf den schlummernden Wäldern, und selbst an dem unlustigen Himmel. Es war daher Nichts weiter zu machen, als einen sichern Platz zu suchen; und der war nur zu finden in der Mitte des See’s. Dahin ruderten sie in aller Stille; man ließ das Canoe nördlich hintreiben, und die Mädchen suchten Rast und Ruhe, so gut ihre Lage und ihre Gefühle sie ihnen gönnen wollten.

Vorrede.

Vorrede.

Dieses Buch wurde nicht ohne manche Besorgnisse wegen seiner muthmaßlichen Aufnahme geschrieben. Einen und denselben Charakter durch fünf verschiedene Werke hindurchführen, konnte als allzukecke Zumuthung an die Gutmüthigkeit des Publikums erscheinen, und Manche möchten mit Grund dieß als ein Unterfangen ansehen, das an sich schon zur Mißbilligung herausfordere. Auf diesen sehr natürlichen Vorwurf kann der Verfasser nur erwiedern, daß, wenn er in diesem Falle einen schweren Fehler begangen, seine Leser selbst einigermaßen die Verantwortung dafür auf sich haben. Die günstige Aufnahme, welche den späteren Schicksalen und dem Tode Lederstrumpfs zu Theil wurde, hat der Seele des Verfassers wenigstens es zu einer Art von Nothwendigkeit gemacht, auch von seinen jüngeren Jahren Nachricht zu geben. Kurz, die Gemälde seines Lebens, wie sie nun einmal sind, waren schon so vollständig, daß sie wohl einiges Verlangen erwecken konnten, die Gesammtzeichnung zu sehen, nach welcher sie alle gemalt wurden. Die »Lederstrumpferzählungen« bilden jetzt eine Art von fünfaktigem Drama, vollständig, was den Inhalt und den Plan betrifft, wenn auch vermuthlich sehr mangelhaft in der Ausführung. So wie sie sind, hat sie die Lesewelt vor sich. Der Verfasser hofft, sie werde, entschiede sie auch dahin, daß der hier vorliegende Akt, der letzte in der Ausführung, obwohl der erste in der natürlichen Ordnung der Lektüre, nicht der beste der ganzen Reihefolge sey, doch das Urtheil fällen, daß er auch nicht eben der schlechteste sey. Mehr als einmal hat er sich versucht gefühlt, sein Manuskript zu verbrennen und sich zu einem andern Gegenstand zu wenden, obwohl er im Verlaufe seiner Arbeit eine Aufmunterung von so eigenthümlicher Art erhielt, daß es sich verlohnt, sie zu erwähnen. Ein anonymer Brief aus England, von der Hand einer Dame, wie ihn däucht, kam ihm zu, worin er dringend aufgefordert wurde, ungefähr eben das zu thun, was er schon mehr als halb ausgeführt hatte, – ein Wunsch, den er sehr gerne als ein Zeichen deutet, daß sein Versuch theilweise werde verziehen, wo nicht entschieden gebilligt werden.

Wenig braucht er über die Charaktere und die Scenerie dieser Erzählung zu sagen. Jene sind natürlich Werk der Dichtung; diese aber ist der Natur so treu, als nur immer die vertraute Bekanntschaft mit dem jetzigen Aussehen der geschilderten Gegend, und Vermuthungen über ihren früheren Charakter, so wahrscheinlich als die Einbildungskraft sie an die Hand gab, den Verfasser in Stand setzten, sie zu schildern. See, Berge, Thal und Wald sind insgesammt, wie er glaubt, genau genug dargestellt, während Fluß, Fels und Küste treue Abzeichnungen der Natur sind. Selbst die einzelnen vorspringenden Punkte existiren, etwas verändert durch die Civilisation, aber doch so entsprechend den Schilderungen, daß Jeder, der mit der Scenerie der fraglichen Gegend vertraut ist, sie leicht erkennt.

Was die historische Treue bei den Ereignissen dieser Erzählung im Ganzen und im Einzelnen betrifft, so ist der Verfasser gesonnen, hier auf seinem Recht zu bestehen, und darüber nicht mehr zu sagen, als was er für nothwendig erachtet. Bei dem großen Streit um Wahrheit, der zwischen Geschichte und Fiktion waltet, ist der Vortheil so oft auf der Seite der letzteren, daß er sehr geneigt ist, den Leser auf seine eigenen Forschungen zu verweisen, um über diesen Punkt in’s Reine zu kommen. Sollte es sich bei genauer Untersuchung zeigen, daß ein anerkannter Historiker, daß öffentliche Urkunden oder auch Lokaltraditionen den Angaben dieses Buchs widersprechen, so ist der Verfasser bereit, zuzugestehen, daß der Umstand seiner Aufmerksamkeit gänzlich entging, und seine Unwissenheit zu bekennen. Andererseits, sollte sich’s finden, daß die Annalen Amerika’s nicht eine Sylbe enthalten, die dem, was hier der Welt vorgelegt wird, widerspräche, – wie er denn fest glaubt, daß die Forschung dieß ausweisen werde – so wird er für seine Erzählung genau so viel Glaubwürdigkeit in Anspruch nehmen, als sie verdient. Es gibt eine ansehnliche Classe von Romanlesern – ansehnlich ebenso wegen ihrer Zahl als in jedem andern Betracht, – die man oft mit dem Mann verglichen hat, der »singt, wenn er liest, und liest, wenn er singt«. Diese Leute sind über die Maßen phantasiereich in allem Thatsächlichen, und so buchstäblich pedantisch, wie die Uebersetzung eines Schulknaben, in Allem, was zur Poesie gehört. Zum Nutz und Frommen aller solcher Leute wird hiemit ausdrücklich erklärt, daß Judith Hutter eben Judith Hutter ist, und keine andere Judith; und überhaupt, daß, wenn irgendwo bei einem Taufnamen oder bei der Farbe des Haares eine Aehnlichkeit, ein Zusammentreffen sich findet, nichts weiter gemeint ist, als was für den Unbefangenen in der Gleichheit des Taufnamens oder der Haarfarbe liegt. Lange Erfahrung hat den Verfasser belehrt, daß dieser Theil seiner Leser der bei weitem am schwersten zu befriedigende ist, und er möchte ihnen, zum Besten beider Parteien, den ehrerbietigen Rath geben, den Versuch zu machen und Werke der Einbildungskraft so zu lesen, als wären es Erzählungen positiver Thatsachen. Ein solches Verfahren könnte sie vielleicht in Stand setzen, an die Möglichkeit der Dichtung zu glauben Der Wildtödter.

Neuntes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Verschwenderisch bist mit Lächeln du,
Darob dein Zürnen man vergißt.
Dir jubeln tausend Inseln zu.
Wenn wieder du gekommen bist;
Die Herrlichkeit, von dir entsandt.
Badet in Wonne See und Land.
Der Himmel.

Es hilft vielleicht dem Leser zum bessern Verständniß der jetzt zu erzählenden Vorfälle, wenn er ein rasch skizzirtes Bild der Scene auf einmal seinem Auge dargelegt sieht. Man erinnert sich, daß der See ein unregelmäßig geformtes Becken bildete, dessen Umriß, im Ganzen betrachtet, oval war, aber mit Buchten und vorspringenden Punkten, welche die Gleichförmigkeit unterbrachen und seine Ufer zierten. Die Oberfläche dieses schönen Wasserspiegels glänzte jetzt wie ein Edelstein in den letzten Strahlen der Abendsonne, und die Einfassung des Ganzen – Hügel, mit dem üppigsten Waldgrün bekleidet – war von einer Art strahlendem Lächeln verklärt, wie es in den schönen Zeilen, die wir diesem Kapitel vorangestellt, am besten geschildert ist. Da die Ufer, mit wenigen Ausnahmen, dicht am Wasser steil hinanstiegen, auch wo der Berg nicht unmittelbar die Aussicht begrenzte, überhing den friedlichen See ein fast ununterbrochner Saum von Laub; denn die Bäume rangen sich von den steilen Anhöhen empor, neigten sich dem Licht zu, bis sie in manchen Fällen ihre langen Glieder und ihre geraden Stämme vierzig oder fünfzig Fuß weit von der perpendikularen Linie abweichend ausstreckten. Dieß galt freilich nur von den Riesen des Forstes, von Tannen, die hundert bis hundert und fünfzig Fuß hoch waren, denn von den kleinern Bäumen neigten sich sehr viele so sehr, daß sie die untern Zweige ins Wasser tauchten.

In der Stellung, welche die Arche jetzt einnahm, war das Castell durch einen vorspringenden Punkt dem Auge entzogen, so wie überhaupt das ganze nördliche Ende des See’s selbst. Ein ansehnlicher Berg mit Wald bekleidet, und rund wie alle übrigen, begrenzte in dieser Richtung die Aussicht, und dehnte sich unmittelbar über die ganze schöne Scene aus, mit Ausnahme einer tiefen Bai, die an seinem westlichen Ende sich hinzog, das Becken um mehr als eine Meile verlängernd. Die Art und Weise, wie das Wasser aus dem See abfloß, unter den belaubten Bögen der Bäume, welche die beiden Seiten des Flusses einfaßten, ist schon geschildert und es ist auch gesagt worden, daß der Fels, der in der ganzen Gegend ein Lieblingsplatz zur Verabredung von Zusammenkünften war und wo Wildtödter jetzt seinen Freund zu treffen erwartete, dieser Ausströmung nahe, und nicht sehr entfernt von der Küste stand. Es war ein großer, einzelner Stein, der auf dem Grund des Sees ruhte, dem Anschein nach zurückgeblieben, als die Wasser die Erde um ihn her wegrissen, um sich einen Durchgang durch das Flußbett zu erzwingen; und seine eigenthümliche Gestalt hatte er wohl durch den Einfluß der Elemente während des langen Verlaufs von Jahrhunderten bekommen. Die Höhe dieses Felsen konnte kaum sechs Fuß betragen, und wie schon gesagt, seine Gestalt war nicht unähnlich der gewöhnlichen Form von Bienenstöcken, oder einem Heuhaufen. Die letztere Vergleichung gibt in der That die beste Anschauung nicht nur von seiner Form, sondern auch von seinen Dimensionen. Er stand – und steht noch, denn wir schildern wirklich vorhandene Scenen – fünfzig Fuß vom Ufer entfernt und im Wasser, wo es nur zwei Fuß tief war, obwohl es auch Zeiten gab, wo sein abgerundeter Gipfel, wenn man diesen Ausdruck auf ihn anwenden darf, vom See ganz bedeckt war. Viele von den Bäumen dehnten sich so weit heraus, daß sie beinahe den Felsen mit der Küste vereinigten, wenn man beide in einiger Entfernung sah; und eine große Tanne insbesondere hing so darüber her, daß sie ein stolzes und passendes Dach bildete über einen Sitz, der manchen Häuptling des Waldes, während der langen Reihe unbekannter Jahrhunderte, wo Amerika mit Allem, was es enthielt, abgeschlossen in geheimnißvoller Einsamkeit als eine Welt für sich bestanden hatte, ebenso ohne eine bekannte Geschichte, wie einen, für die menschlichen Annalen erreichbaren Ursprung – mochte beherbergt haben.

Vom Ufer noch zwei bis dreihundert Fuß entfernt, zog Wildtödter sein Segel ein und warf seinen Anker aus, sobald er fand, daß die Arche in einer Linie hintrieb, die gerade auf den Felsen zustrebte. Die Bewegung des Fahrzeugs ward dann gestellt, worauf es durch die Wirkung des Lüftchens mit dem Vordertheil dem Winde zugekehrt wurde. Sobald dieß geschehen, gab Wildtödter Tau zu und ließ das Fahrzeug dem Felsen zutreiben, so rasch es der leise Luftzug vor sich her drängen mochte. Da es sehr wenig tief ging, war dieß bald geschehen, und der junge Mann hemmte seine Bewegung, als er sah, daß das Hintertheil der Fähre auf fünfzehn oder achtzehn Fuß dem beabsichtigten Platze nahe gekommen war.

Bei Ausführung dieses Manöuvers hatte sich Wildtödter sehr beeilt; denn während er nicht im Mindesten daran zweifelte, daß er von dem Feinde beobachtet und verfolgt werde, glaubte er, ihn in seinen Bewegungen, durch die anscheinende Unsicherheit seiner eigenen, irre gemacht zu haben; und er wußte, daß sie keine Mittel hatten zu erfahren, daß sein Absehen auf den Felsen gerichtet war, wenn nicht etwa Einer der Gefangnen ihn verrathen hatte, – ein an sich so unwahrscheinlicher Fall, daß er sich darüber keine unruhigen Gedanken machte. Trotz der Raschheit und Entschiedenheit seiner Bewegungen jedoch wagte er sich nicht der Küste so nahe, ohne die gehörigen Vorsichtsmaßregeln zum Behuf eines Rückzugs zu treffen, falls dieser nothwendig würde. Er selbst hielt das Tau in der Hand, und Judith war an einem Guckloch auf der dem Land zugekehrten Seite der Kajüte aufgestellt, wo sie die Küste und die Felsen beobachten, und zeitig Nachricht geben konnte von dem Nahen eines Freundes oder Feindes. Hetty war auch auf einen Wachposten gestellt, aber sie sollte nur auf die Bäume über ihnen Acht haben, damit nicht ein Feind einen besteige, und durch vollständige Beherrschung des Innern des Fahrzeugs die Vertheidigung des Häuschens oder der Cajüte vereitle.

Die Sonne hatte sich vom See und Thal zurückgezogen, als Wildtödter die Arche in der genannten Weise stille stehen machte. Doch fehlten noch einige Minuten bis zum eigentlichen Sonnenuntergang, und er kannte die indianische Pünktlichkeit zu gut, um eine unmännliche Hast bei seinem Freunde vorauszusetzen. Die große Frage war, ob er, umgeben von Feinden, wie man dieß wußte, ihren Netzen zu entgehen vermocht habe. Die Vorfälle der letzten vierundzwanzig Stunden mußten ihm ein Geheimniß seyn, und wie Wildtödter war auch Chingachgook noch jung auf dem Kriegspfade. Zwar kam er allerdings gefaßt darauf, der Truppe zu begegnen, welche seine verlobte Braut festhielt, aber er hatte keine Mittel, sich über den Umfang der Gefahr, die er lief, zu vergewissern, noch auch über die eigentliche Stellung, welche Freunde und Feinde inne hatten. Mit Einem Wort, der geübte und ausgebildete Scharfblick und die unermüdliche Vorsicht eines Indianers waren Alles, worauf er unter den bedenklichen Gefahren, denen er sich unvermeidlich aussetzte, angewiesen war.

»Ist der Fels leer, Judith?« fragte Wildtödter, sobald er die Bewegung der Arche gehemmt hatte, da er für unklug hielt, ohne Noth sich der Küste nahe zu wagen. »Ist Nichts zu sehen von dem Delawarischen Häuptling?«

»Nichts, Wildtödter. Weder Fels, Küste, Baum noch See scheinen je eine menschliche Gestalt gekannt zu haben.«

»Nehmt Euch in Acht, Judith, – nehmt Euch in Acht, Hetty – eine Büchse hat ein spähendes Auge, einen raschen Fuß, und eine verzweifelt unheilvolle Zunge. Nehmt Euch denn in Acht, aber gebt auch recht Acht, und seyd flink und rüstig! Es thäte mir herzlich leid, wenn Einer von Euch ein Leid zustieße!«

»Und Euch, Wildtödter!« rief Judith, ihr schönes Gesicht von dem Guckloch wegwendend, um dem jungen Mann einen huldvollen und dankbaren Blick zuzuwerfen; »Nehmt Ihr Euch in Acht, und sorgt, daß die Wilden nicht Eurer ansichtig werden! Eine Kugel könnte Euch ebenso unheilvoll werden, als Einer von uns; und der Schlag, der Euch träfe, würde von Allen empfunden.«

»Seyd ohne Furcht um mich, Judith – seyd ohne Furcht um mich, mein gutes Mädchen. Seht nicht hierher, obgleich Euer Blick recht freundlich und lieblich ist, sondern richtet Euer Auge auf den Felsen, und die Küste, und den –«

Wildtödter ward unterbrochen durch einen leisen Ausruf des Mädchens, das, seinen dringenden und hastigen Geberden ebenso wie seinen Worten gehorsam, sogleich wieder ihr Auge nach der entgegengesetzten Richtung gewendet hatte.

»Was ist’s? – Was ist’s, Judith?« fragte er hastig; »Ist Etwas zu sehen?«

»Dort ist ein Mann, auf dem Felsen! – ein indianischer Krieger, in seiner Bemalung, und bewaffnet!«

»Wo trägt er seine Falkenfeder?« fragte wieder Wildtödter lebhaft, und ließ das Tau nach, um sich dem Ort der Zusammenkunft zu nähern. »Ist sie dicht an der Kriegslocke, oder trägt er sie über dem linken Ohr?«

»Wie Ihr sagt, über dem linken Ohr; er lächelt auch, und flüstert das Wort: Mohikan.«

»Gott sey gelobt, es ist die Schlange, endlich!« rief der junge Mann, und ließ das Tau durch seine Hände gleiten, bis er am andern Ende des Fahrzeugs einen leichten Sprung hörte; worauf er augenblicklich mit dem Nachgeben des Seils inne hielt, und wieder anfing, es einzuziehen, versichert, daß sein Zweck erfüllt war.

In diesem Augenblick ward die Thüre der Cajüte hastig geöffnet, und ein Krieger, durch das kleine Gemach eilend, stand neben Wildtödter, und ließ nur den einfachen Ausruf: »Hugh« hören. Im nächsten Augenblick kreischten Judith und Hetty auf, und die Luft ward erfüllt von dem gellenden Geschrei von zwanzig Wilden, welche durch die Zweige zum Ufer herab sprangen, und von denen Einige in ihrer Hast der Länge nach ins Wasser stürzten.

»Zieht, Wildtödter,« schrie Judith, hastig die Thüre schließend, um ein Eindringen durch die Oeffnung zu verhindern, welche so eben den Delawaren eingelassen hatte, »zieht, auf Leben und Tod – der See ist voll von Wilden, die uns nach waten!«

Die jungen Männer – denn Chingachgook eilte sofort seinem Freunde beizustehen – erwarteten keine zweite Aufforderung, sondern sie erfüllten von selbst ihre Aufgabe mit einem Eifer, welcher zeigte, wie dringend ihnen die Gefahr erschien. Die große Schwierigkeit war, so plötzlich die vis inertiae einer so großen Masse zu überwinden; denn war die Fähre einmal in Bewegung, so war es leicht, sie das Wasser mit aller wünschenswerthen Schnelligkeit durchschneiden zu machen.

»Zieht, Wildtödter, ums Himmels willen!« schrie Judith wieder an ihrem Guckloch; »diese Elenden stürzen ins Wasser wie Hunde, die ihre Beute verfolgen! Ah! die Fähre bewegt sich! und jetzt wird das Wasser tiefer, und geht dem Vordersten schon bis unter die Schulter – und doch eilen sie vorwärts und wollen die Arche packen!«

Ein leichtes Kreischen und dann ein fröhliches Gelächter des Mädchens folgte nun; die Ursache von jenem war ein verzweifelter Versuch ihrer Verfolger, und von diesem dessen Mißlingen; die Fähre, welche jetzt tüchtig in Bewegung gesetzt war, glitt bald auf tieferem Wasser, das Vordertheil voran, mit einer Geschwindigkeit hin, welche die Anschläge der Feinde vereitelte. Da die beiden Männer durch die dazwischenliegende Cajüte verhindert waren zu sehen, was hinten vorging, mußten sie die Mädchen nach dem Stand der Jagd fragen. »Was jetzt, Judith? Was dann? Verfolgen uns die Mingo’s noch, oder sind wir ihrer für den Augenblick entledigt?« fragte Wildtödter, wie er das Tau schlaff werden fühlte, als eilte nunmehr die Fähre rasch von selbst weiter, und das Kreischen und Lachen des Mädchens beinahe in Einem Athem vernahm.

»Sie sind verschwunden! – Einer, der letzte, versteckt sich gerade in den Büschen des Ufers – dort ist er verschwunden in den Schatten der Bäume. Ihr habt nun Euren Freund, und wir sind Alle sicher!«

Die beiden Männer machten jetzt wieder eine große Anstrengung, zogen die Arche schnell bis zu dem Anker hinauf, lichteten diesen, und als die Fähre noch eine Strecke Wegs zurückgelegt und ihre Bahn verloren hatte, warfen sie wieder den Anker aus; und jetzt zum erstenmal seit ihrem Wiedersehen hielten sie in ihrer schweren Arbeit inne. Nachdem das schwimmende Haus einige hundert Fuß von der Küste entfernt lag, und vollkommnen Schutz gegen Kugeln bot, war weiter keine Gefahr, und kein Grund zur Anstrengung ihrer Kräfte im Augenblick vorhanden.

Die Art, wie die beiden Freunde jetzt einander begrüßten, war höchst charakteristisch. Chingachgook, ein edler, großer, schöner und athletischer junger indianischer Krieger besichtigte zuerst sorgfältig seine Büchse, öffnete die Pfanne, um sich zu versichern, daß das Pulver darauf nicht naß geworden; warf, nachdem er sich dieses wichtigen Umstandes vergewissert, verstohlene aber beobachtende Blicke um sich auf die seltsame Behausung und die beiden Mädchen; noch immer aber sprach er nicht, und besonders vermied er durch Fragen irgend eine weibische Neugierde an den Tag zu legen.

»Judith und Hetty,« sagte Wildtödter mit unangelernter, natürlicher Höflichkeit, »dieß ist der Mohikanische Häuptling, von welchem ich Euch gesprochen, Chingachgook, wie er genannt ist, was »große Schlange« bedeutet; so genannt wegen seiner Weisheit und Klugheit und List, und mein erster und letzter Freund. Ich wußte, daß er es seyn müsse, durch die Falkenfeder über dem linken Ohr, denn die meisten andern Krieger tragen sie an der Kriegslocke.«

Nachdem Wildtödter so gesprochen, lachte er herzlich, mehr aufgeregt vielleicht durch die Freude, seinen Freund unter so drohenden Umständen nun doch wohlbehalten an seine Seite bekommen zu haben, als durch irgend einen Einfall, der etwa zufällig ihm durch den Sinn fuhr: und dieser Ausbruch seiner Empfindungen war etwas auffallend dadurch, daß er von gar keinem Geräusch begleitet war. Obgleich Chingachgook das Englische verstand und sprach, mochte er doch seine Gedanken nicht in dieser Sprache mittheilen, wie die meisten Indianer; und nachdem er Judiths herzliches Händeschütteln und Hetty’s sanftere Begrüßung in der höflichen Weise aufgenommen, wie es einem Häuptling geziemte, wandte er sich weg, offenbar um den Augenblick zu erwarten, wo es seinem Freund belieben möchte, ihm seine weitern Absichten auseinander zu setzen, und ihm zu erzählen, was seit ihrer Trennung sich begeben hatte. Der Andere verstand seinen Wunsch, und offenbarte seine Denk- und Schlußweise in der Sache durch seine Anrede an die Mädchen.

»Dieser Wind wird bald sich ganz legen, nachdem die Sonne unter ist,« sagte er, »und es ist nicht nöthig dagegen zu rudern. In etwa einer halben Stunde wird völlige Windstille seyn, oder der Wind wird von der Südküste her wehen, wo wir dann unsern Rückweg zum Castell antreten wollen; mittlerweile wollen der Delaware und ich über allerlei Sachen uns besprechen, und Jeder nach den Begriffen des Andern seine Ansicht berichtigen über das Verfahren, das wir einzuschlagen haben.«

Niemand widersprach diesem Vorschlag, und die Mädchen entfernten sich in die Cajüte, um die Abendmahlzeit zu beschicken, während die beiden jungen Männer sich auf dem Vordertheil des Fahrzeugs setzten und ein Gespräch begannen. Die Unterredung ward in der Sprache der Delawaren geführt. Da jedoch dieser Dialekt selbst von Gelehrten wenig gekannt ist, wollen wir bei dieser wie bei allen künftigen Gelegenheiten solche Gespräche, die wir genauer mitzutheilen für nöthig erachten, in unsre Sprache übertragen und die Idiome und Eigenthümlichkeiten der Redenden in sofern zu wahren suchen, daß wir die von ihnen gebrauchten Bilder und Redefiguren dem Geiste der Leser in der treuesten und anschaulichsten Weise nahe bringen.

Es ist unnöthig auf die Einzelnheiten einzugehen, welche Wildtödter zuerst berichtete, indem er eine kurze Erzählung der unsern Lesern schon bekannten Thatsachen gab. Erwähnt muß jedoch werden, daß der Erzähler hier nur die Umrisse berührte, und namentlich sich enthielt, Etwas von seinem Kampf mit dem Irokesen und seinem Siege, so wie auch von seinen Bemühungen zu Gunsten der verlassenen Mädchen zu sagen. Als Wildtödter zu Ende war, begann auch der Delaware seine Erzählung und sprach in häufigen Sentenzen, mit viel Ernst und Würde. Sein Bericht war klar und kurz, auch mit keinen Vorfällen ausgeschmückt, die nicht geradezu die Geschichte seiner Reise von den Ortschaften seines Volkes und seine Ankunft im Thal des Susquehannah betroffen hätten. Als er letzteres erreichte, und zwar an einem Punkt, der nur eine halbe Meile südlich von der Ausströmung lag, hatte er bald eine Spur aufgefunden, die ihm die zu vermuthende Nähe von Feinden verrieth. Da er auf ein solches Begebnis vorbereitet war, und ihn ja der Zweck seines Zuges unmittelbar in die Nähe der Truppe von Irokesen rief, von welcher man wußte, daß sie umherstreife, betrachtete er die Entdeckung eher als ein Glück, denn als das Gegentheil, und traf die gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln, um daraus Nutzen zu ziehen. Zuerst folgte er dem Fluß bis zu seinem Ursprung, merkte sich die Lage des Felsens genauer, fand dann wieder eine Spur, und war wirklich schon Stunden lang um die Feinde von verschiedenen Seiten herumgestreift, gleicherweise eine Gelegenheit abwartend, seine Geliebte zu treffen, und einen Skalp zu erbeuten; und es mag die Frage seyn, was er am sehnlichsten wünschte. Er hielt sich in der Nähe des See’s und wagte sich gelegentlich an diesen oder jenen Ort, wo er übersehen konnte, was auf seinem Spiegel vorging. Die Arche war gesehen und beobachtet worden von dem Augenblick an, wo sie in den Bereich des Gesichts kam, obwohl der junge Häuptling natürlich nicht wußte, daß sie das Mittel werden sollte, seine gewünschte Vereinigung mit dem Freunde zu bewirken. Die Unsicherheit ihrer Bewegungen, und der Umstand, daß sie unstreitig von Weißen gelenkt wurde, führte ihn jedoch auf die Vermuthung der Wahrheit, und er hielt sich gefaßt, an Bord derselben zu gehen, sobald sich eine geeignete Gelegenheit darböte. Als die Sonne sich zum Horizont herabsenkte, begab er sich auf den Felsen, wo er, als er aus dem Wald hervortauchte, zu seiner Freude die Arche liegen sah, offenbar bereit, ihn aufzunehmen. Die Art und Weise seines Erscheinens und seines Eintritts in das Fahrzeug ist schon bekannt.

Obgleich Chingachgook seine Feinde Stunden lang genau beobachtet hatte, war doch ihre plötzliche und scharfe Verfolgung, als er die Fähre erreichte, ihm ebenso überraschend, wie seinem Freunde. Er konnte sie sich nur erklären durch den Umstand, daß sie zahlreicher waren, als er zuerst geglaubt, und daß sie Truppe ausgestellt hatten, von deren Vorhandenseyn er Nichts gewußt. Ihr regelmäßiges und bleibendes Lager, wenn das Wort bleibend gebraucht werden darf von dem Aufenthaltsort einer Bande, die aller Wahrscheinlichkeit nur ein paar Wochen aus zu seyn beabsichtigte, war nicht fern von der Stelle, wo Hutter und Hurry in ihre Hände gefallen waren, und natürlich in der Nähe einer Quelle.

»Nun, Schlange,« fragte Wildtödter, als der Andre seine kurze aber lebendige Erzählung beendigt hatte, und zwar in der Delawarensprache, die wir nur zur Bequemlichkeit des Lesers nicht beibehalten haben – »nun Schlange, da Ihr um diese Mingo’s herum spionirt habt: könnt Ihr uns Etwas berichten von ihren Gefangenen; dem Vater dieser Mädchen, und noch Einem, der, wie ich vermuthe, der Liebhaber der Einen von ihnen ist?«

»Chingachgook hat sie gesehen. Ein alter Mann und ein junger Krieger – die fallende Schierlingstanne und die hohe Tanne.«

»Ihr habt’s nicht übel getroffen, Delaware, Ihr habt’s nicht übel getroffen. Der alte Hutter ist wirklich halb zerfallen, obgleich manche tüchtige Klötze noch aus seinem Stamm gehauen werden könnten; und was Hurry Harry anlangt, nach Höhe, Stärke und hübschem Aussehen könnte er wohl der Stolz des menschlichen Waldes genannt werden. Waren die Männer gebunden, oder erlitten sie in irgend einer Weise Martern? Ich frage wegen der jungen Weiber, die, glaub‘ ich, sehr verlangend sind, Etwas zu erfahren.«

»Nicht so, Wildtödter. Die Mingo’s sind so Viele, daß sie ihr Wild nicht in einen Käfig zu sperren brauchen. Einige wachen. Einige schlafen, Einige lauern, Andere jagen. – Die Bleichgesichter werden heute wie Brüder behandelt; morgen werden sie ihre Skalpe verlieren.«

»Ja, das ist rothe Natur, und darein muß man sich schicken! Judith und Hetty, da ist tröstliche Botschaft für Euch! Der Delaware erzählt mir, daß weder Euer Vater noch Hurry Harry Martern zu leiden haben; daß sie, abgerechnet den Verlust der Freiheit, sich so wohl befinden wie wir. Natürlich werden sie im Lager gehalten; im Uebrigen thun sie, was ihnen beliebt.«

»Das freut mich zu hören, Wildtödter,« versetzte Judith, »und jetzt, nachdem Euer Freund bei uns ist, zweifle ich nicht im Mindesten daran, daß wir Gelegenheit finden werden, die Gefangenen auszulösen. Wenn Weiber im Lager sind, so habe ich schon Kleidungsstücke, die ihr Auge blenden sollen; und wenn es zum Schlimmsten käme, könnten wir den guten Schrank öffnen, der, so glaube ich, Sachen in seinem Innern enthalten und offenbaren dürfte, welche die Häuptlinge wohl locken werden.« »Judith,« sagte der junge Mann, sie anblickend mit einem Lächeln und einem Ausdruck ernster Neugier, der trotz der wachsenden Dunkelheit dem beobachtenden Blicke des Mädchens nicht entging, »könnt Ihr es übers Herz bringen, Euch von Euren schönen Sachen zu trennen, um Gefangne zu befreien, von denen freilich der Eine Euer eigner Vater, der Andre Euer geschworner Liebhaber und Freier ist?«

Die Röthe, die sich über das Antlitz des Mädchens ergoß, hatte ihren Grund theils in Verdruß und Unmuth, vielleicht aber noch mehr in einem edlern, neuen Gefühle, das, in Verbindung mit dem launenhaften Eigensinn ihres Geschmacks, sie binnen kurzer Zeit empfindlicher für die gute Meinung des ihr jene Frage vorlegenden Jünglings gemacht hatte, als sie gegen das Urtheil jedes Andern war. Mit instinktartiger Raschheit die Anwandlung von Aerger unterdrückend, antwortete sie mit einer Geradheit und Wahrheit, welche ihre Schwester herbeizogen, um auch zuzuhören, obgleich der stumpfe Geist Hetty’s keineswegs die Bewegungen eines Herzens zu verstehen vermochte, das so verrätherisch, so unzuverlässig und so ungestüm in seinen Gefühlen war, wie das der verwöhnten und vielgeschmeichelten Schönen.

»Wildtödter,« antwortete Judith nach einer augenblicklichen Pause, »ich will ehrlich seyn gegen Euch, Ich gestehe, es war eine Zeit, wo das, was Ihr schöne Sachen nennt, mir das Liebste auf Erden war; aber ich fange an, andres zu denken und zu fühlen. Obgleich Hurry Harry mir Nichts ist, Nichts werden kann, würde ich doch Alles, was ich besitze, hingeben, ihn frei zu machen. Wenn ich dieß thäte für den tobenden, tollen, geschwätzigen Hurry, der nichts Empfehlendes hat als sein gutes Aussehen, könnt Ihr darnach schließen, was ich für meinen Vater thäte.«

»Das klingt gut, und ist gemäß eines Weibes Gaben. Ach ja freilich! dasselbe Gefühl findet sich auch wohl bei den jungen Weibern der Delawaren. Ich habe sie oft und viel ihre Eitelkeit ihrem Herzen opfern sehen. Es ist wie es seyn soll – es ist wie es sich nach meiner Ansicht gebührt für beide Farben. Das Weib ward geschaffen zum Gefühl und wird meist auch beherrscht vom Gefühl.«

»Würden die Wilden Vater gehen lassen, wenn Judith und ich ihnen alle unsre besten Sachen gäben?« fragte Hetty in ihrer unschuldigen sanften Weise.

»Ihre Weiber würden sich drein legen, gute Hetty; ja ihre Weiber würden sich wohl drein legen, wenn sie so Etwas in Aussicht hätten. Aber sagt mir, Schlange, wie ist es mit Weibern unter den Schurken; haben sie viele von ihren eignen Frauen im Lager?«

Der Delaware hörte und verstand Alles, was vorging; obgleich er mit indianischem Ernst und Feinheit, abgekehrten Gesichts, dagesessen hatte, anscheinend nicht achtend auf ein Gespräch, das ihn nicht unmittelbar anging. Jetzt aber, wo er angeredet und befragt wurde, antwortete er seinem Freund in seiner gewöhnlichen kurzen und sentenziösen Weise.

»Sechs!« sagte er, alle Finger der einen Hand und den Daumen der andern emporhaltend, »außer dieser!« die diese bedeutete seine Verlobte; und mit der Poesie und Wahrheit der Natur bezeichnete er sie dadurch, daß er seine Hand auf’s Herz legte.

»Habt Ihr sie gesehen, Häuptling – seyd Ihr ihres lieblichen Antlitzes ansichtig geworden, oder ihrem Ohr nahe genug gekommen, um darein das Lied zu singen, das sie so liebt?«

»Nein, Wildtödter – die Bäume waren zu viele, und Laub bedeckte ihre Aeste, wie Wolken den Himmel bei Gewittern. Aber,« und der junge Krieger wandte sein dunkles Angesicht gegen seinen Freund mit einem Lächeln darauf, das seine trotzig aussehende Bemalung und seine von Natur finstre Züge mit einem lichten Strahl menschlichen Gefühles verklärte, »Chingachgook hat das Lachen von Wah-ta!-Wah gehört; er unterschied es von dem Lachen der Weiber der Irokesen. Es klang in sein Ohr wie das Zwitschern des Zaunkönigs.«

»Ja, darin kann man sich auf eines Liebhabers Ohr verlassen, und auf das eines Delawaren in Betreff aller Töne, die man je in den Wäldern hört. Ich weiß nicht, wie es kommt, Judith, aber wenn junge Männer – und ich glaube fast, es ist ganz ebenso auch bei jungen Weibern – nun, wenn sie zärtliche Gefühle gegen einander bekommen, so ist es wunderbar, wie lieblich das Lachen oder das Sprechen des Einen dem Andern zu tönen anfängt. Ich habe grimmige Krieger dem Plaudern und Lachen junger Mädchen lauschen sehen, als wäre es Kirchenmusik, – so wie man hört in der alten holländischen Kirche, die in der großen Straße von Albany steht, wo ich mehr als einmal mit Pelzwerk und Wildpret gewesen bin.«

»Und Ihr, Wildtödter,« sagte Judith rasch, und mit mehr Empfindung als man sonst in ihrem gewöhnlich so leichten und gleichgültigen Wesen bemerkte, »habt Ihr nie empfunden, wie angenehm es ist, dem Lachen eines geliebten Mädchens zu lauschen?«

»Gott tröste Euch, Mädchen! – ha, ich habe nie lang genug unter meiner eignen Farbe gelebt, um in diese Gattung von Gefühlen zu verfallen – nein, nie! Ich glaube wohl, sie sind natürlich und recht; aber für mich ist keine Musik so schön, als das Pfeifen des Windes in den Gipfeln der Bäume, und das Rauschen eines Baches aus seiner vollen, blitzenden, heimathlichen Quelle reinen frischen Wassers; außer etwa,« fuhr er fort und senkte einen Augenblick nachdenklich den Kopf, »außer etwa ja, der offene Rachen eines zuverlässigen Hundes, wenn ich einem fetten Bock auf der Fährte bin. Was unzuverlässige Hunde sind, nach deren Gebell frage ich wenig, in Betracht, daß sie ebenso oft anfangen zu bellen, wenn das Wild nicht zu sehen, als wenn dieß der Fall ist.«

Judith schritt langsam und nachdenklich weg, auch lag Nichts von ihrer gewöhnlichen berechnenden Koketterie in dem leisen, bebenden Seufzer, der, ihr selbst unbewußt, ihrem Munde entschwebte. Anderntheils horchte Hetty mit argloser Aufmerksamkeit, obgleich es ihrem einfachen Geist als sonderbar auffiel, daß der junge Mann die Melodie der Wälder den Gesängen von Mädchen oder gar dem Lachen der Unschuld und Freude vorziehen sollte. Gewohnt jedoch, in den meisten Dingen sich nach ihrer Schwester zu bequemen, folgte sie bald Judith in die Cajüte, wo sie einen Sitz nahm und längere Zeit tief brütete über einen Vorfall oder Einen Entschluß, oder eine Meinung, wovon außer ihr kein Mensch wußte. Wildtödter und sein Freund, jetzt allein, setzten nun ihr Gespräch fort.

»Ist der junge Bleichgesicht-Jäger schon lange an diesem See?« fragte der Delaware, nachdem er höflich abgewartet, ob nicht der Andere zuerst sprechen werde.

»Erst seit gestern Mittag, Schlange; und doch war dieß lang genug, um Viel zu erleben und zu thun.« Der Blick, den der Indianer auf seinen Genossen heftete, war so scharf, daß er der wachsenden Dunkelheit der Nacht zu spotten schien. Als der Andere verstohlen seinen Blick erwiederte, sah er die zwei scharfen Augen sich anblitzen, wie die Augäpfel des Panthers oder des hungrigen Wolfs. Er verstand den Sinn dieser glühenden Augen, und antwortete ausweichend, wie es nach seiner Meinung sich am besten schickte für die Bescheidenheit eines Mannes mit weißen Gaben.

»Es ist wie Ihr vermuthet, Schlange; ja, es ist Etwas der Art. Ich bin auf einen Feind gestoßen; und ich denke, man kann auch sagen, ich habe mit ihm gekämpft.«

Ein Ausruf der Freude und des Jubels entfuhr dem Indianer; und dann mit der Hand lebhaft den Arm seines Freundes fassend, fragte er ihn, »ob auch Skalpe erbeutet worden seyen.«

»Das ist, will ich gegen den ganzen Stamm der Delawaren, gegen den alten Tamenund und Euern Vater, den großen Uncas, wie gegen alle Uebrigen keck behaupten, das ist gegen die Gaben eines Weißen! Mein Skalp ist auf meinem Kopf, wie Ihr seht, Schlange, und das war der einzige Skalp, der in Gefahr war, da die eine Partei ganz christlich und weiß war.«

»Fiel kein Krieger? – Wildtödter bekam seinen Namen nicht dadurch, daß er von schläfrigem Auge oder ungeschickt mit der Büchse war!«

»In diesem Punkt, Häuptling, sprecht Ihr vernünftiger und kommt daher der Wahrheit näher. Ich darf sagen, ein Mingo ist gefallen.«

»Ein Häuptling?« fragte der Andere mit ungestümer Heftigkeit.

»Nein, das ist Mehr als ich weiß oder sagen kann. Er war schlau, und verrätherisch, und herzhaft, und mag wohl Beifall genug unter seinem Volke sich erworben haben, um zu dieser Würde erhoben zu werden. Der Mann kämpfte gut, obgleich sein Auge nicht schnell genug war für einen Mann, der seine Schule in Eurer Gesellschaft gemacht, Delaware!«

»Mein Bruder und Freund schlug den Mann doch nieder?«

»Ich brauchte das nicht, sintemal der Mingo in meinen Armen starb. Ich kann wohl die Wahrheit gerade heraus sagen; er kämpfte wie ein Mann mit rothen Gaben, und ich wie ein Mann mit Gaben von meiner Farbe. Gott gab mir den Sieg, ich konnte nicht seine Vorsehung ins Angesicht schlagen, indem ich meine Geburt und Natur vergessen hätte. Weiß schuf er mich, und weiß will ich leben und sterben.«

»Gut! Wildtödter ist ein Bleichgesicht und hat Hände eines Bleichgesichts. Ein Delaware wird nach dem Skalp sehen, und ihn auf einen Pfahl hängen, und ein Lied zu seiner Ehre singen, wenn wir zurückgehen zu unserm Volke. Die Ehre gehört dem Stamme; sie darf nicht verloren gehen.«

»Das ist leicht gesagt, aber nicht so leicht gethan. Des Mingo’s Leichnam ist in den Händen seiner Freunde, und ohne Zweifel in einer Höhle verborgen, wo Delawarenlist dem Skalp nie beikommen wird.« Der junge Mann gab dann seinem Freunde einen kurzen aber klaren Bericht von dem Ereigniß des Morgens, Nichts von irgend einigem Belang verhehlend, und doch Alles bescheiden, und mit sorgfältiger Aufmerksamkeit, die indianische Prahlerei zu vermeiden, berührend. Chingachgook drückte wieder seine Freude aus über die von seinem Freunde gewonnene Ehre, und dann standen Beide auf, da die Stunde gekommen war, wo die Klugheit rieth, die Arche weiter vom Land zu entfernen.

Es war jetzt ganz dunkel; der Himmel umwölkt und die Sterne verdeckt. Der Nordwind hatte aufgehört, wie gewöhnlich bei Sonnenuntergang, und ein leiser Luftzug erhob sich von Süden. Da dieß Umschlagen die Absichten Wildtödters begünstigte, lichtete er seinen Anker, und das Fahrzeug fing sogleich und ganz merklich an, weiter in den See hinein zu treiben. Das Segel ward aufgezogen, wodurch die Bewegung des Fahrzeugs zu einer Schnelligkeit von nicht viel weniger als zwei Meilen in der Stunde stieg. Da dieß das Rudern entbehrlich machte – eine Arbeit, nach welcher ein Indianer selten lüstern war – setzten sich Wildtödter, Chingachgook und Judith auf das Hintertheil der Fähre, wo der Erstere mit dem Steuerruder ihre Bewegungen lenkte. Hier besprachen sie sich über ihre künftigen Maßregeln, und über die Mittel, deren man sich bedienen müsse, um die Befreiung ihrer Freunde zu bewirken.

Zu diesem Gespräch trug Judith das Wesentlichste bei; der Delaware verstand ohne Mühe Alles, was sie sagte, seine Antworten und Bemerkungen aber, welche beide selten und kurz waren, wurden gelegentlich von seinem Freund ins Englische übertragen. Judith stieg in der nächsten halben Stunde bedeutend in der Achtung ihres Genossen. Rasch im Entschluß und fest in ihren Absichten, zeugten ihre Vorschläge und Auskunftsmittel von ihrem Muth und ihrem Scharfblick, und beide waren von der Art, daß sie wohl bei Grenzmännern Gunst finden mochten. Die seit ihrer Bekanntschaft vorgefallenen Ereignisse, so wie ihre vereinzelte und abhängige Lage flößten dem Mädchen ein Gefühl gegen Wildtödter ein, als wäre es eine jahrelange Freundschaft, und nicht die Bekanntschaft eines Tags, was sie verband; und so gänzlich war sie gewonnen durch die arglose Wahrhaftigkeit seines Charakters und Gemüths – für sie, so weit ihre Erfahrung reichte, völlige Neuigkeiten an unsrem Geschlecht – daß seine Eigenthümlichkeiten ihre Neugierde rege gemacht, und ein Zutrauen in ihr erweckt hatten, das sie noch nie gegen einen andern Mann empfunden hatte. Bisher hatte sie sich genöthigt gesehen, bei ihrem Verkehr mit Männern sich vertheidigungsweise zu verhalten – mit welchem Erfolg, wußte sie selbst am besten; aber jetzt sah sie sich plötzlich in die Gesellschaft und unter den Schutz eines Jünglings versetzt, der offenbar so wenig Arges gegen sie im Sinne hatte, als wäre er ihr Bruder gewesen. Die Frische seiner Unschuld und Rechtlichkeit, die Poesie und Wahrheit seiner Gefühle, und selbst die Eigenheit seiner Redeweise – Alles äußerte einen Einfluß auf sie, und trug dazu bei, ein Interesse in ihr zu erwecken, das, wie sie fand, ebenso rein als plötzlich und tief war. Hurry’s hübsches Gesicht und männliche Gestalt hatten ihr nie sein lärmendes und gemeines Wesen vergütet; und ihr Verkehr mit den Officieren hatte sie Vergleichungen anstellen gelehrt, bei welchen selbst seine großen natürlichen Vorzüge zu kurz kamen. Aber eben dieser Verkehr mit den Officieren, welche gelegentlich an den See kamen, um zu fischen und zu jagen, wirkte auch mit auf ihre jetzigen Gesinnungen und Empfindungen gegenüber dem jungen Fremden. Die Bekanntschaft mit ihnen hatte sie, während ihre Eitelkeit dadurch geschmeichelt und ihre Eigenliebe geweckt worden war, vielen Grund, tief zu bereuen – wenn nicht gar, in geheimem Kummer darüber zu trauern – denn es hatte ihr bei ihrem lebhaften, raschen Verstand die Beobachtung unmöglich entgehen können, wie hohl der Umgang und Verkehr zwischen Höhern und Geringern sey, und daß sie selbst von den bestgesinnten und am wenigsten berechnenden und listigen unter ihren scharlachröckigen Bewunderern mehr als das kurzweilige Spielzeug einer müssigen Stunde, denn als Gleichgestellte und Freundin betrachtet wurde. Wildtödter dagegen hatte ein Fenster vor seiner Brust, durch welches das Licht seiner Ehrlichkeit immer leuchtete; und selbst seine Gleichgültigkeit gegen Reize, die so selten verfehlten einen lebhaften Eindruck zu machen, spannte den Stolz des Mädchens und verlieh ihm in ihren Augen ein Interesse, das ein Anderer, anscheinend mehr von der Natur begünstigt, nicht leicht erregt hätte.

In dieser Weise verstrich eine halbe Stunde, während welcher die Arche langsam über das Wasser hinglitt, indeß das Dunkel umher immer dichter wurde; obgleich man noch wohl bemerkte, daß der schwarze Wald am südlichen Ende des See’s ferner rückte, während die Berge, welche die Seiten des schönen Beckens einfaßten, ihn beinahe von einer Seite zur andern überschatteten. Doch war noch ein schmaler Streif Wasser in der Mitte des See’s, wo das dämmernde Licht, das noch vom Himmel sich ergoß, auf seinen Spiegel in einer nördlich und südlich sich ausdehnenden Linie fiel; und entlang diesem schwachen Streifen, – eine Art umgekehrter Milchstraße, wo die Dunkelheit nicht so dicht war als an andern Stellen – verfolgte die Fähre ihren Lauf, da ihr Steuermann wohl wußte, daß dieß die gewünschte Richtung sey. Der Leser darf jedoch nicht glauben, es habe irgend eine Schwierigkeit, die einzuhaltende Richtung betreffend, gewaltet. Diese wäre bestimmt worden durch die Strömung des Windes, hätte man auch nicht mehr die Berge unterscheiden können, so wie auch durch die dämmernde Lichtung nach Süden zu, welche die Lage des Thals nach dieser Seite, auf der Ebene von großen Bäumen durch eine etwas verminderte Dunkelheit bezeichnete; – der Unterschied zwischen dem Dunkel des Waldes und dem Dunkel der nur als Luft gesehenen Nacht. Diese Eigenthümlichkeiten nahmen endlich die Aufmerksamkeit Judiths und Wildtödters in Anspruch, und das Gespräch hörte auf, wodurch Jedes Muße erhielt, die feierliche Stille und tiefe Ruhe der Natur zu betrachten.

»Es ist eine finstre Nacht,« bemerkte das Mädchen nach einer Pause von einigen Minuten. »Ich hoffe, wir werden doch das Castell finden können.«

»Daß wir das verfehlen, ist wenig zu besorgen, wenn wir nur diese Richtung in der Mitte des See’s behalten,« versetzte der junge Mann. »Die Natur hat uns hier eine Bahn gemacht, und so finster es ist, wird es doch wenig Schwierigkeit haben, sie zu verfolgen.«

»Hört Ihr nichts, Wildtödter? Es war, als ob das Wasser ganz in unsrer Nähe rauschte.«

»Gewiß hat Etwas das Wasser in Bewegung gebracht, auf eine ungewöhnliche Art; es muß ein Fisch gewesen seyn. Diese Creaturen machen auf einander Jagd, wie Menschen und Thiere auf dem Land; Einer ist in die Luft gesprungen, und ist schwerfällig wieder heruntergesunken in sein Element. Es nützt sie wenig, Judith, aus ihrem Element herauszustreben, da es einmal ihre Natur ist, darin zu bleiben, und die Natur muß ihren Willen haben, Ha! das tönt wie ein Ruder, das mit ungewöhnlicher Vorsicht gehandhabt wird!«

In diesem Augenblick beugte sich der Delaware vor und wies bedeutsam nach dem finstern Horizont, als ob plötzlich seinem Auge etwas aufgestoßen. Wildtödter und Judith folgten der Richtung seiner Geberde und Beide wurden in demselben Augenblick eines Canoe’s ansichtig. Die Wahrnehmung dieses beunruhigenden Nachbars war dämmernd und trüb, und ein minder geübtes Auge hätte darüber in Ungewißheit seyn können; aber die auf der Arche Befindlichen erkannten deutlich ein Canoe mit einer Person darin, welche aufrecht stand und ruderte. Wie Viele im untern Raume versteckt lagen, konnte man natürlich nicht wissen. Einer von starken und geübten Händen gelenkten Barke mittelst Ruderns entfliehen, war ganz unthunlich, und beide Männer ergriffen, eines Kampfes gewärtig, ihre Büchsen.

»Ich kann den Rudrer leicht zu Boden fällen,« flüsterte Wildtödter, »aber wir wollen ihn zuerst anrufen und um sein Vorhaben fragen.« Dann erhob er seine Stimme und rief ernst und feierlich: »Halt! Wenn Ihr näher kommt, muß ich feuern, so wenig ich es wünsche; und dann ist sicherer Tod die Folge. Stellt das Rudern ein und antwortet.«

»Feuert und tödtet ein armes, wehrloses Mädchen,« erwiederte eine sanfte, zitternde weibliche Stimme, »aber Gott wird Euch das nie vergeben! Geht Eures Weges, Wildtödter, und laßt mich den meinigen gehen!«

»Hetty!« riefen der junge Mann und Judith in Einem Athem; und der Erstere sprang sogleich nach der Stelle, wo er das am Tau mitgeführte Canoe gelassen hatte. Es war weg, und nun verstand er die ganze Sache. Die Entflohene, erschrocken über die Drohung, hörte zu rudern auf, und blieb nur dämmernd sichtbar, einem gespenstischen Umriß einer menschlichen Gestalt ähnlich, über dem Wasser stehen. Im nächsten Augenblick ward das Segel herabgelassen, damit die Arche nicht an der Stelle, wo das Canoe sich befand, vorübergleitete. Diese letzte Maaßregel jedoch ward nicht mehr zu rechter Zeit getroffen, denn das Gewicht eines so schweren Fahrzeugs und der Anstoß des zwar schwachen Windes trieben es bald daran vorüber, und bewirkten, daß Hetty gerade hinter dem Winde sich befand, obwohl noch sichtbar, da der Wechsel in der Stellung der beiden Fahrzeuge sie in jene obenerwähnte Art von Milchstraße brachte.

»Was kann dieß bedeuten, Judith?« fragte Wildtödter. »Warum hat Eure Schwester das Canoe genommen und uns verlassen?«

»Ihr wißt, sie ist schwachsinnig, das arme Mädchen! und sie hat ihre eignen Ideen darüber, was zu thun sey. Sie liebt ihren Vater mehr, als die meisten Kinder ihre Eltern lieben – und dann –« »Dann was, Mädchen? Dieß ist ein bedenklicher Augenblick, und wo man die Wahrheit reden muß.«

Judith empfand eine edelmüthige und weibliche Scheu, ihre Schwester zu verrathen, und sie zögerte, ehe sie fortfuhr. Aber noch einmal von Wildtödter dringend aufgefordert, und selbst erkennend die Gefahren alle, welchen die Gesellschaft durch Hetty’s Unklugheit ausgesetzt wurde, konnte sie nicht länger an sich halten.

»Dann fürchte ich auch, die arme schwachsinnige Hetty hat nicht recht die Eitelkeit, die Narrheit und die Tollheit zu sehen vermocht, die hinter dem schönen Gesicht und der stattlichen Gestalt Hurry Harry’s liegen. Sie spricht im Schlaf von ihm, und verräth manchmal ihre Neigung auch in ihren wachen Augenblicken.«

»Ihr meint, Judith, Eure Schwester gehe jetzt mit irgend einem tollen Plan um, ihrem Vater und Hurry zu dienen, der, aller Wahrscheinlichkeit nach, die Gewürme, die Mingo’s in den Besitz eines Canoe setzen wird!«

»So wird es sich, fürchte ich, verhalten, Wildtödter. Die arme Hetty hat schwerlich Schlauheit genug, einen Wilden zu überlisten.«

Die ganze Zeit her war das Canoe, Hetty in aufrechter Stellung am einen Ende desselben stehend, dämmernd sichtbar gewesen, obgleich es bei der raschen Bewegung der Arche mit jedem Augenblicke weniger deutlich wurde. Es war offenbar keine Zeit zu verlieren, wenn es nicht ganz verschwinden sollte. Die Büchsen wurden jetzt als überflüssig bei Seite gelegt; und dann ergriffen die beiden Männer die Ruder und fingen an, das Vordertheil der Fähre gegen das Canoe hin umzuwenden. Judith, an den Dienst gewöhnt, eilte nach dem andern Ende der Arche und stellte sich an den Helm – wenn man so sagen konnte. Hetty erschrack bei diesen Vorkehrungen, die nicht ohne Geräusch getroffen werden konnten, und fuhr auf wie ein Vogel, der plötzlich durch das Herannahen einer nicht erwarteten Gefahr gescheucht wird. Da Wildtödter und sein Genosse mit der Anstrengung von Männern ruderten, welche die Notwendigkeit fühlten, jeden Nerv anzuspannen, und Hetty’s Kräfte geschwächt wurden durch ein ängstliches, krampfhaftes Bestreben zu entfliehen, würde sich die Jagd bald mit der Einholung der Flüchtigen geendigt haben, hätte nicht das Mädchen einige rasche und unvorhergesehene Abweichungen von der geraden Bahn gemacht. Diese Wendungen gewannen ihr Zeit, und sie hatten auch die Wirkung das Canoe und die Arche allmälig in das dichtere Dunkel hineinzuführen, das die Schatten von den Bergen erzeugten. Auch vergrößerten sie allmälig den Abstand zwischen der Fliehenden und ihren Verfolgern, bis Judith ihren Genossen zurief, sie sollten zu rudern aufhören, weil sie das Canoe gänzlich aus dem Gesicht verloren.

Als diese leidige Benachrichtigung erfolgte, war Hetty in der That so nahe, daß sie jede Sylbe verstand, die ihre Schwester sprach; obgleich Letztere die Vorsicht gebraucht hatte, so leise zu sprechen, als nur immer die Umstände gestatteten, falls sie gehört werden wollte. Hetty hörte in demselben Augenblick zu rudern auf, und wartete das weitere Ergebniß ab mit einer Ungeduld, die ebenso sehr in Folge ihrer bisherigen Anstrengungen, wie ihres Wunsches, ans Land zu kommen, eine wahrhaft athemlose zu nennen war. Eine Todtenstille senkte sich inzwischen auf den See, während welcher die drei in der Arche ihre Sinne aufs mannigfachste anstrengten, um die Stellung des Canoe’s zu entdecken. Judith beugte sich vor, um zu horchen, in der Hoffnung, einen Ton zu erlauschen, der verriethe, in welcher Richtung ihre Schwester sich davonstehle; während ihre beiden Genossen die Augen so nahe als möglich hinab ans Wasser hielten, um jeden Gegenstand zu entdecken, der etwa auf seiner Oberfläche schwimme. Alles jedoch war umsonst, denn weder ein erlauschter Ton noch das Sichtbarwerden eines Gegenstandes belohnte ihre Anstrengungen. Diese ganze Zeit über stand Hetty, welche nicht so viel Schlauheit besaß, sich im Boot niederzulegen, aufgerichtet da, einen Finger auf ihren Mund gedrückt, in der Richtung hinausstarrend, von welcher her sie die Stimmen gehört hatte, einer Bildsäule schweigender und scheuer Erwartung ähnlich. Ihre List war nur so weit gegangen, daß sie in der erzählten Weise ohne Geräusch des Canoe’s sich zu bemächtigen und die Arche zu verlassen im Stande gewesen war; dann schien sie für den Augenblick gänzlich erschöpft. Selbst die Abweichungen des Canoe’s waren ebenso sehr die Folgen einer unsichern Hand und einer Nervenaufregung, als einer schlauen Berechnung gewesen.

Diese Pause währte einige Minuten, während welcher Wildtödter und der Delaware in der Sprache des Letztern sich beriethen. Dann tauchten die Ruder wieder ins Wasser, und die Arche bewegte sich, aber mit so wenig Geräusch als nur möglich. Sie steuerte westlich, etwas südlich, oder in der Richtung auf das Lager des Feindes zu. Nachdem sie einen vorliegenden Punkt, nicht weit von der Küste entfernt, erreicht hatte, wo wegen der Nähe des Landes die Finsterniß sehr dicht war, blieb sie hier beinahe eine Stunde liegen, das gehoffte Herankommen Hetty’s zu erwarten, die, so dachte man, diesem Punkt nach Kräften zueilen würde, sobald sie sich der Gefahr der Verfolgung entledigt glauben würde. Aber diese kleine Blokade wurde von keinem Erfolg gekrönt; weder der Gesichtssinn noch der Gehörsinn konnten das Vorbeifahren eines Canoe’s entdecken. Verdrüßlich über dieß Mißlingen, und erkennend wie wichtig es sey, von dem Castell Besitz zu ergreifen, ehe der Feind sich seiner bemächtige, schlug jetzt Wildtödter die Bahn dahin ein mit der Befürchtung, daß alle seine Vorsicht, als er die Canoe’s in Sicherheit gebracht, vereitelt seyn werde durch diesen unbewachten und beunruhigenden Schritt von Seiten der schwachsinnigen Hetty.

Zehntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

    »Aber Wer in diesem wilden Wald
Mag Glauben schenken seinem Aug‘ und Ohr,
Wo von dem Felsabhang, aus hohler Schlucht
Ein wirr und bunt Getön von dürrem Laub,
Von Zweigeknistern und Nachtvögelkrächzen
Antwort zu geben scheint!«
Johanna Baillie.

Furcht ebenso sehr als Berechnung hatte Hetty veranlaßt, das Rudern einzustellen, als sie entdeckte, daß ihre Verfolger nicht wüßten, in welcher Richtung sie weiter steuern sollten. Sie blieb ruhig, bis die Arche in die Nähe des Lagers sich gewendet hatte, wie im vorigen Kapitel erzählt worden; da ergriff sie wieder das Ruder, und mit vorsichtigen Schlägen strebte sie der westlichen Küste zu. Um jedoch ihren Verfolgern auszuweichen, die, wie sie richtig vermuthete, bald auch diese Küste entlang rudern würden, richtete sie das Vordertheil ihres Canoe’s so weit nördlich, daß sie ans Land kam an einem vorspringenden Punkt, welcher etwa eine Stunde von der Ausströmung entfernt, in dem See auslief. Auch war dieß nicht ganz nur das Ergebniß ihres Wunsches, zu entkommen; denn Hetty Hutter, so schwachsinnig sie war, besaß doch nicht Wenig von jener instinktartigen Vorsicht, welche oft die von Gott so Heimgesuchten vor Unheil bewahrt. Sie erkannte vollkommen, wie wichtig es sey, die Canoe’s nicht in die Hände der Irokesen fallen zu lassen; und lange, vertraute Bekanntschaft mit dem See hatte ihr eines der einfachsten Auskunftsmittel an die Hand gegeben, wodurch dieser wichtige Augenmerk mit ihrem eignen Plane in Einklang gebracht wurde.

Der fragliche Punkt war der erste Landvorsprung auf dieser Seite des See’s, wo ein Canoe, wenn man es bei Südwind forttreiben ließ, vom Lande wegschwimmen mußte, und sogar, wie man ohne große Verletzung der Wahrscheinlichkeit annehmen durfte, das Castell erreichen konnte, denn dieses lag über ihm, beinahe in gerader Linie mit dem Wind. Dieß war denn Hetty’s Absicht; und sie landete auf der äußersten Spitze des sandigen, vorspringenden Punktes, unter einer überhangenden Eiche, mit dem ausdrücklichen Vorhaben, das Canoe von der Küste wegzustoßen, damit es ihres Vaters insularischer Behausung zuschwimme. Auch wußte sie von den Stämmen her, die gelegentlich auf dem See herumschwammen, daß, wenn es auch das Castell und Zugehör verfehlte, der Wind wahrscheinlich umschlagen würde, ehe es das nördliche Ende des See’s erreichte, und hoffte, Wildtödter würde wohl Gelegenheit haben, es am Morgen wieder aufzufangen, wenn er, wie kaum zu bezweifeln, die Oberfläche des Wassers und seine gesammten umwaldeten Küsten mit dem Fernglas ernstlich durchmustern würde. Auch in diesem Allen ward Hetty weniger von einer eigentlichen Schlußkette, als von ihrem gewohnheitsmäßigen dunkeln Bewußtseyn geleitet; und dieß letztere ersetzt oft bei menschlichen Wesen die Schwächen des Geistes, wie es ja auch, oder ein Analogon davon, bei Thieren der niedern Gattungen denselben Dienst leistet.

Das Mädchen brauchte eine volle Stunde, bis sie zu dem Landvorsprung gelangte, denn die Entfernung und die Dunkelheit hielten sie lange auf; sobald sie aber den Kiesstrand erreicht hatte, schickte sie sich auch an, das Canoe in der angegebnen Weise dem Spiel des Wassers anzuvertrauen. Während sie es zurückdrängte, hörte sie leise Stimmen, die von den Bäumen hinter ihr her zu kommen schienen. Erschrocken über diese unerwartete Gefahr stand Hetty schon auf dem Punkt, wieder in das Canoe zu springen, um ihr Heil in der Flucht zu suchen, als sie die Töne von Judiths melodischer Stimme zu erkennen glaubte. Sie beugte sich vor, um die Töne unmittelbar aufzufassen, und erkannte deutlich, daß sie vom Wasser her kamen: jetzt begriff sie, daß die Arche sich von Süden her nähere, und zwar so nahe an der westlichen Küste, daß sie nothwendig an dem Landvorsprung auf zwanzig Schritte von dem Ort, wo sie stand, vorbeikommen mußte. Hier hatte sie denn Alles, was sie wünschen konnte; sie schob das Canoe zurück in den See, und die bisherige Fergin blieb allein auf dem schmalen Strand zurück.

Nach Vollbringung dieser Handlung der Selbstaufopferung zog sich Hetty nicht zurück. Das Laub der überhängenden Bäume und Gebüsche würde sie beinahe ganz versteckt haben, wenn es auch licht gewesen wäre; aber in dieser Finsterniß war es ganz unmöglich, einen so beschatteten Gegenstand auch nur auf einige Schritte zu entdecken. Auch die Flucht war ganz leicht, da sie mit zwanzig Schritten sich im Schooß des Waldes begraben konnte. Sie blieb daher, mit heftiger Spannung das Ergebnis ihrer Maßregel abwartend, mit dem Vorsatz, die Aufmerksamkeit der Andern durch Rufen auf das Canoe zu lenken, sollte es den Anschein haben, als führen sie ohne es zu beachten vorüber. Die Arche näherte sich wieder unter Segel; Wildtödter stand auf dem Bug, Judith neben ihm, und der Delaware am Helm. Es schien beinahe, als habe die Arche in der Bai unten sich zu nahe an die Küste gewagt, in der immer noch nicht aufgegebenen Hoffnung, Hetty abzuschneiden, denn wie sie näher kam, hörte die Letztere deutlich, wie der junge Mann vorn seinem Genossen Weisungen gab, um an dem Landvorsprung vorbeizukommen.

»Lenkt die Spitze mehr ab von der Küste, Delaware,« sagte Wildtödter zum dritten Male auf Englisch, damit seine schöne Genossin seine Worte verstehe; »lenkt die Spitze recht ab von der Küste. Wir sind hier zu weit hereingekommen, und müssen mit dem Mast aus den Bäumen heraus. Judith, hier ist ein Canoe!«

Die letzten Worte wurden mit großem Ernst gesprochen, und Wildtödters Hand hatte seine Büchse gefaßt, ehe sie ganz über seine Lippen waren. Aber die Wahrheit ging sogleich wie ein Licht dem raschen Geiste des Mädchens auf, und sie sagte sogleich ihrem Begleiter, das Boot müsse dasjenige seyn, worin ihre Schwester entflohen.

»Lenkt die Fähre geradaus, Delaware! steuert so schnurgerade zu, wie Eure Kugel fliegt, wenn einem Bock in das Herz geschickt; – so, ich habe es!«

Das Canoe ward ergriffen und sogleich wieder an der Seite der Arche befestigt; im nächsten Augenblick ward das Segel eingezogen, und die Bewegung der Arche mittelst der Ruder gehemmt.

»Hetty!« rief Judith, und Theilnahme, selbst Zärtlichkeit sprach sich in ihrem Tone aus; »wenn du mich hörst, Schwester, um Gottes willen, antworte und laß mich wieder den Ton deiner Stimme hören! Hetty! – liebe Hetty!«

»Ich bin hier, Judith, hier, auf der Küste, wo es vergeblich wäre, mich zu verfolgen; denn ich will mich in den Wäldern verstecken.«

»Oh, Hetty! was machst Du! Bedenke es ist bald Mitternacht, und die Wälder sind voll von Wilden und von wilden Thieren!«

»Beide werden einem armen, nur halb klugen Mädchen kein Leid thun, Judith. Gott ist hier so gut bei mir, als er in der Arche oder in der Hütte es seyn würde. Ich bin im Begriff, meinem Vater und dem armen Hurry Harry zu Hülfe zu eilen, welche werden gemartert werden; wenn nicht Jemand sich ihrer annimmt.«

»Wir Alle nehmen uns ihrer an, und beabsichtigen, ihnen morgen eine Friedensfahne zu schicken, um ihre Loslassung zu erkaufen. Komm daher zurück, Schwester, vertraue uns, die wir stärkere Köpfe haben als du, und Alles, was wir können, für Vater thun werden.«

»Ich weiß, dein Kopf ist stärker als der meinige, Judith, denn der meinige ist freilich sehr schwach; aber ich muß zu Vater und zu dem armen Hurry. Behauptet Ihr, Du und Wildtödter das Castell; mich laßt in der Hand Gottes!«

»Gott ist bei uns Allen, Hetty – im Castell oder auf der Küste – beim Vater so gut wie bei uns; und es ist Sünde, nicht auf seine Güte vertrauen. Du kannst Nichts thun in der Finsterniß, wirst dich im Walde verirren und durch Mangel an Nahrung umkommen,«

»Gott wird das nicht einem armen Mädchen geschehen lassen, das geht, seinem Vater zu dienen, Schwester. Ich muß es versuchen und die Wilden aufsuchen.«

»Komm zurück, nur für diese Nacht: am morgen wollen wir dich an’s Land setzen und dich handeln lassen nach deinem Gutdünken.«

»Du sagst so, und denkst so, aber du würdest es nicht thun. Dein Herz würde weich werden, und du würdest Tomahawks und Skalpiermesser in der Luft sehen. Zudem habe ich mir vorgenommen, dem indianischen Häuptling Etwas zu sagen, was allen unsern Wünschen entsprechen wird; und ich fürchte, es zu vergessen, wenn ich es ihm nicht sofort sage. Ihr werdet sehen, er läßt den Vater frei, sobald er es hört.«

»Arme Hetty! Was kannst du einem trotzigen Wilden sagen, wodurch irgend seine blutdürstigen Anschläge sollten umgewandelt werden?«

»Etwas, das ihn erschrecken und ihn bewegen wird, Vater gehen zu lassen,« versetzte das einfältige Mädchen in bestimmtem Tone. »Du wirst es sehen, Schwester, wie bald es ihn dazu bringen wird, wie ein folgsames Kind!«

»Wollt Ihr mir sagen, was Ihr ihm zu sagen beabsichtigt?« fragte Wildtöter. »Ich kenne die Wilden gut, und kann mit einiger Wahrscheinlichkeit berechnen, in wie weit gute Worte auf ihre blutdürstigen Gemüther wirken werden oder nicht. Wenn es nicht den Gaben einer Rothhaut gemäß ist, so wird es nichts helfen; denn Vernunft geht nach Gaben, wie die Handlungsweise.«

»Gut denn,« antwortete Hetty, ihre Stimme zu leisem, vertraulichem Tone sinken lassend; denn die Stille der Nacht und die Nähe der Arche gestatteten ihr dieß zu thun und doch gehört zu werden. »Gut denn, Wildtödter, da Ihr ein guter und redlicher junger Mann scheint, will ich es Euch sagen. Ich habe im Sinne, keinem der Wilden ein Wort zu sagen, bis ich Angesicht gegen Angesicht ihrem obersten Häuptling gegenüber stehe, mögen sie mich plagen mit so vielen Fragen als sie wollen; nein – ich will ihnen keine beantworten als daß ich ihnen sage, sie sollen mich zu ihrem weisesten Manne führen. Dann, Wildtödter, will ich ihm sagen, daß Gott Mord und Raub nicht verzeihen wird, und daß, wenn Vater und Hurry auf die Skalpe der Irokesen ausgingen, er Böses mit Gutem vergelten müsse, denn so gebeut die Bibel, sonst werde er eingehen zur ewigen Strafe. Wenn er das hört, und fühlt, daß es wahr ist – wie er das muß; wie lange wird es dann anstehen, bis er Vater und Hurry und mich an die Küste schickt, gegenüber dem Castell, und uns alle drei unsers Weges im Frieden gehen heißt?«

Die letzte Frage sprach sie in triumphirendem Tone; und dann lachte das einfältige Mädchen über den Eindruck, den, wie sie keinen Augenblick zweifelte, ihr Plan auf ihre Zuhörer gemacht. Wildtödter war stumm vor Erstaunen über diesen Beweis von argloser Geistesschwäche; Judith aber hatte sich rasch auf ein Mittel besonnen, diesem unsinnigen Anschlag entgegenzuwirken, dadurch, daß sie eben auf die Gefühle zu wirken suchte, aus welchen er entsprungen war, ohne daher die letzte Frage oder das Lachen zu beachten, rief sie hastig ihre Schwester beim Namen, wie wenn sie plötzlich ergriffen würde vom Bewußtseyn der Wichtigkeit dessen, was sie zu sagen hatte. Aber keine Antwort erfolgte auf den Ruf.

Aus dem Krachen von Zweigen und Rauschen von Blättern erhellte deutlich, daß Hetty die Küste verlassen hatte, und sich schon in dem Dickicht des Waldes begrub. Ihr folgen wäre zwecklos gewesen, da die Dunkelheit so wie auch der Schutz und das Versteck, das die Wälder überall boten, es so gut als unmöglich machten, sich ihrer wieder zu bemächtigen; und dann war auch die nie aufhörende Gefahr, ihren Feinden in die Hände zu fallen. Nach einer kurzen und traurigen Berathung ward daher das Segel wieder aufgezogen, und die Arche verfolgte ihren Lauf ihrem gewöhnlichen Ankerplatz zu, während Wildtödter sich schweigend Glück wünschte zur Wiedererlangung des Canoes, und über seinen Plan für den nächsten Tag brütete. Der Wind erhob sich, als die Gesellschaft den Vorsprung verließ, und in weniger als einer Stunde erreichten sie das Castell. Hier fand man Alles wie man es verlassen; und man hatte nun die Maßregeln und Ceremonien, die man vorgenommen, als man das Gebäude verlassen hatte, in umgekehrter Ordnung durchzumachen, da man wieder zurückkam. Judith nahm in dieser Nacht ein einsames Bett ein, dessen Kissen sie mit ihren Thränen befeuchtete, wenn sie an das unschuldige, bisher vernachlässigte Geschöpf dachte, das von Kindheit an ihre Genossin gewesen; und bittre Gefühle der Trauer und Reue, aus mehr als Einer Quelle entspringend, kamen über ihr Gemüth, wie die Stunden träg dahinschlichen und es wurde beinahe Morgen, ehe sich ihr Bewußtseyn im Schlaf verlor. Wildtödter und der Delaware legten sich in der Arche zur Ruhe, wo wir sie dem süßen, tiefen Schlaf der Redlichkeit, der Gesundheit und Furchtlosigkeit überlassen und zu dem Mädchen zurückkehren wollen, das wir zuletzt im Dickicht des Waldes gesehen.

Als Hetty die Küste verließ, schlug sie ohne Bedenken den Weg in die Wälder ein, in fast krampfhafter Angst, verfolgt zu werden. Zum Glück war dieser Weg der beste, den sie einschlagen konnte, zur Erreichung ihres Vorhabens, denn es war der einzige, der sie von dem Landvorsprung nach Innen führte. Die Nacht war so stockdunkel unter den Zweigen der Bäume, daß sie nur sehr langsam weiter kommen konnte, und nach den ersten paar Schritten die Richtung, die sie wählte, ganz Sache des Zufalls war. Die Formation des Bodens jedoch erlaubte ihr nicht, bedeutend von der Linie abzuweichen, in welcher sie sich zu halten wünschte. Auf der einen Seite war er bald begrenzt durch den steil ansteigenden Hügel, während auf der andern der See als Führer diente. Zwei Stunden lang arbeitete sich dieß auf sich allein gewiesene, blöde Mädchen durch die Irrpfade des Forstes; manchmal fand sie sich auf dem Rand der an den See grenzenden Uferhöhe, und dann wieder rang sie sich eine Erhöhung hinan, die sie warnte in dieser Richtung nicht weiter zu gehen, da sie nothwendig in einem rechten Winkel die Bahn durchschneiden mußte, auf der sie vorwärts wollte. Oft glitten ihre Füße aus, und manchen Fall that sie, wiewohl keinen, wobei sie sich beschädigte; aber nach Ablauf der genannten Zeit war sie so müde geworden, daß ihr die Kräfte fehlten, weiter zu wandern. Ruhe war ihr unentbehrlich; und sie machte sich daran, sich ein Lager zu bereiten, mit der Unbedenklichkeit und Kaltblütigkeit eines Gemüths, das die Wildniß mit keinen unnöthigen Aengsten erfüllte. Sie wußte, daß wilde Thiere in dem ganzen benachbarten Wald herumstreiften, aber solche Bestien, die den Menschen nachstellen, selten – und gefährliche Schlangen im buchstäblichen Sinne keine da waren. Diese Umstände waren ihr von ihrem Vater bekannt; und was einmal ihr schwacher Geist aufnahm, das nahm er so vertrauend auf, daß ihr gar keine Unbehaglichkeit verursachende Zweifel und Bedenklichkeiten übrig blieben. Ihr war die Erhabenheit der Einsamkeit, in die sie sich versetzt sah, eher tröstlich als entsetzlich; und sie raffte sich ein Bett von Laub zusammen mit solcher Gleichgültigkeit gegen die Umstände, welche aus der Seele der Meisten ihres Geschlechts jeden Gedanken an Schlaf würden verscheucht haben, als rüstete sie sich ihre allnächtliche Schlafstätte unter dem väterlichen Dache zu.

Sobald Hetty eine hinlängliche Menge trocknen Laubs gesammelt hatte, um sich gegen die feuchte Ausdünstung des Bodens zu schützen, kniete sie neben dem niedern Haufen, faltete ihre erhobenen Hände in einer Stellung inniger Frömmigkeit, und sagte mit sanfter leiser, aber vernehmlicher Stimme das Gebet des Herrn her. Darauf folgten jene einfachen und frommen Verse, den Kindern so bekannt, worin sie ihre Seele Gott empfahl, falls sie vor der Wiederkehr des Morgens in ein andres Daseyn sollte abgerufen werden. Nach Erfüllung dieser Pflicht legte sie sich nieder und schickte sich zum Schlummer an. Die Kleidung des Mädchens, obwohl der Jahrszeit entsprechend, war für alle gewöhnliche Vorkommnisse warm genug; aber der Wald ist immer kühl und die Nächte in diesem höher gelegenen Landstrich waren immer von einer Frische, welche die Kleidung nothwendiger machte, als gewöhnlich der Fall ist in dem Sommer eines tiefen Breitegrades. Dieß war von Hetty vorausgesehen worden und sie hatte einen groben, schweren Mantel mitgenommen, der, auf den Körper gebreitet, alle nützlichen Dienste eines Teppichs leistete. So geschützt sank sie in wenigen Minuten in einen Schlaf, so ruhig, als würde sie bewacht von dem sorglichen Schutzgeist der Mutter, die erst so kurz auf immer von ihr genommen worden war, und es war in diesem Punkt ein höchst ergreifender Contrast zwischen ihrem armen Lager und dem von Schlummer geflohenen Kissen ihrer Schwester.

Stunde auf Stunde verstrich da in so ungestörter Ruhe, und so süßem Schlaf, als ob eigens damit beauftragte Engel um das Lager der Hetty Hutter wachten. Nicht einmal öffneten sich ihre sanften Augen, bis die grauende Dämmerung kämpfend durch die Wipfel der Bäume brach, auf ihre Augenlieder fiel, und vereint mit der Kühle eines Sommermorgens, die gewöhnliche Anmahnung zum Erwachen gab. In der Regel war Hetty auf, ehe die Strahlen der Sonne die Gipfel der Berge berührten; aber dießmal war ihre Erschöpfung so groß, und ihr Schlaf so tief gewesen, daß die gewohnten Anforderungen und Zeichen ihre Wirkung nicht thaten. Das Mädchen murmelte in ihrem Schlaf, streckte einen Arm aus, lächelte so sanft wie ein Kind in der Wiege, schlummerte aber fort. Bei dieser unbewußten Bewegung fiel ihre Hand auf einen warmen Gegenstand, und in dem halbbewußten Zustand, worin sie sich befand, brachte sie diesen Umstand mit ihrem gewohnten Leben in Verbindung. Im nächsten Augenblick ward sie derb von der Seite angegriffen und gestoßen, wie wenn ein wühlendes Thier seine Schnauze unter ihr einschöbe, um sie aus ihrer Stellung zu verdrängen; und jetzt wachte sie auf mit dem Ruf: »Judith!« Als das aufgeschreckte Mädchen sich in eine sitzende Stellung erhob, bemerkte sie, daß etwas Dunkles von ihr wegspringe, das in seiner Hast das Laub zerstreute, und die gefallnen Zweige knickte. Die Augen öffnend, und von der ersten Verwirrung und Bestürzung über ihre Lage sich erholend, bemerkte Hetty einen jungen Bären, von der gemeinen amerikanischen braunen Gattung, der sich auf seinen Hinterpfoten wiegte, und sich noch nach ihr umschaute, als zweifelte er, ob es sicher wäre, sich ihrer Person wieder zu nähern. Der erste Gedanke Hetty’s, die schon mehrere solche junge Bären besessen hatte, war, hinzulaufen und das kleine Geschöpf als ihre Beute in Besitz zu nehmen, aber ein lautes Gebrumme warnte sie vor der Gefahr eines solchen Beginnens. Einige Schritte zurücktretend, sah sich das Mädchen hastig um, und ward jetzt der Bärenmutter gewahr, die in nicht großer Entfernung ihre Bewegungen mit feurigen Augen beobachtete. Ein hohler Baum, früher die Behausung von Bienen, war kürzlich gefallen, und die Mutter mit zwei weitern Jungen erlabte sich an der leckern Speise, welche der Zufall ihnen geboten, wobei die erstere jedoch mit eifersüchtigem Auge das Thun und Treiben ihres sorglosen, davonlaufenden Kindes beobachtete.

Er überschritte alle Mittel menschlicher Erkenntniß, wollte man sich anmaßen, die Einflüsse zu erklären, welche das Thun der niedern Thiere beherrschen. In dem vorliegenden Falle legte die Bärin, obgleich ihre Wildheit in dem Falle, wo sie ihre Jungen gefährdet glaubt, sprichwörtlich geworden ist, keine Absicht an den Tag, das Mädchen anzugreifen. Sie verließ den Honig und begab sich an eine Stelle, zwanzig Fuß von ihr entfernt, wo sie sich auch auf ihren Hinterpfoten erhob und ihren Körper mit einer Art zornigen und brummenden Mißbehagens hin und herwiegte, aber nicht näher kam. Zum Glück floh Hetty nicht. Im Gegentheil obgleich nicht frei von Angst, kniete sie, das Angesicht gegen das Thier gekehrt, nieder, und mit gefalteten Händen und himmelwärts gerichtetem Auge sagte sie wieder das Gebet der vorigen Nacht her. Diese fromme Handlung war nicht die Wirkung der Furcht, sondern es war eine Pflicht, deren Erfüllung sie nie versäumte vor dem Einschlafen und wenn die Rückkehr des Bewußtseyns sie zu der Arbeit des Tages weckte. Wie das Mädchen vom Knieen sich erhob, ließ sich die Bärin wieder auf ihre Füße nieder, sammelte ihre Jungen um sich her, und ließ sie ihre natürliche Nahrung saugen. Hetty freute sich über diesen Beweis von Zärtlichkeit bei einem Thier, das in Betreff der edleren Gefühle nur einen sehr zweideutigen Ruf hat; und als ein Junges seine Mutter zu verlassen beliebte und muthwillig sich umwälzte und sprang empfand sie wieder ein lebhaftes Verlangen, es in ihre Arme zu nehmen und damit zu spielen. Aber durch das Brummen gewarnt, besaß sie Selbstbeherrschung genug, diesen gefährlichen Vorsatz nicht in Ausführung zu bringen; und ihres Vorhabens sich erinnernd, das ihrer in den Bergen wartete, riß sie sich von der Gruppe los und setzte ihre Wanderung fort am Saum des See’s, dessen sie jetzt wieder durch die Bäume ansichtig wurde. Zu ihrer Verwunderung, die jedoch frei war von Unruhe, erhob sich die Bärenfamilie und folgte ihren Schritten, in kleiner Entfernung von ihr sich haltend; dem Anschein nach jede ihrer Bewegungen beobachtend, als ob sie ein lebhaftes Interesse hätten an Allem, was sie that.

In dieser Weise, begleitet von der Bärin und den Jungen, wandelte das Mädchen beinah eine Meile weit, dreimal die Entfernung, die sie in der Dunkelheit während derselben Zeit hatte zurücklegen können. Dann gelangte sie an einen Bach, der sich selbst ein Bett in die Erde gewühlt hatte, und sprudelnd zwischen steilen und hohen Abhängen, mit Bäumen bedeckt, in den See eilte. Hier verrichtete Hetty ihre Waschungen; dann trank sie von dem reinen Bergwasser, und setzte ihren Weg fort, erfrischt und leichtern Herzens, immer noch gefolgt von ihren seltsamen Begleitern. Ihr Weg führte sie jetzt eine breite und beinah ebene Terrasse entlang, die sich von dem Gipfel der das Wasser begrenzenden Uferhöhe zu einem sanften Abhang erstreckte, welche oben zu einer zweiten, unregelmäßigen Plattform anstieg. Dieß war in einem Theile des Thals, wo die Berge quer hinliefen, den Anfang einer Ebene bildend, welche zwischen den Hügeln sich ausbreitete, südlich von dem Wasserspiegel. Hetty erkannte aus diesem Umstande, daß sie sich dem Lager näherte, und wäre dieß nicht gewesen, so hätten sie die Bären von der Nähe menschlicher Wesen in Kenntniß gesetzt. In die Luft hinaus schnüffelnd, bezeigte die Bärin keine Lust, ihr weiter zu folgen, obgleich das Mädchen sich umsah, und sie mit kindischen Zeichen und selbst mit förmlichen Aufforderungen in dem ihr eignen süßen Tone herbei lockte. Während sie so langsam durch Buschwerk weiter schritt, das Angesicht abgewendet und die Augen auf die unbeweglichen Thiere geheftet, fühlte das Mädchen ihre Schritte plötzlich gehemmt durch eine menschliche Hand, die sie leicht an der Schulter faßte.

»Wohin gehen?« sagte eine sanfte weibliche Stimme, hastig und theilnehmend sprechend; »Indianer – Rothmann – Wilder – arger Krieger – dorthinzu!«

Dieser unerwartete Gruß erschreckte das Mädchen so wenig als die Erscheinung der wilden Bewohner des Waldes. Zwar überraschte er sie ein wenig; aber sie war gewissermaßen gefaßt auf solche Begegnungen und das Wesen, das sie anhielt, war so wenig gemacht, Schrecken einzuflößen, als irgend eines, das je in indianischer Gestalt erschien. Es war ein Mädchen, nicht viel älter als sie selbst, deren Lächeln so sonnig war wie das Judiths in ihren glänzendsten Augenblicken, deren Stimme Wohllaut war, und deren Worte und Benehmen all die schüchterne Sanftheit besaßen, die das andere Geschlecht charakterisirt unter einem Volke, das seine Weiber wie Dienerinnen und Sklavinnen der Krieger behandelt. Schönheit ist bei den Frauen der amerikanischen Urbewohner, ehe sie die Mühsale von Weibern und Müttern durchzumachen haben, keineswegs ungewöhnlich. In diesem Punkt waren die ursprünglichen Inhaber des Landes ihren civilisirteren Nachfolgern nicht unähnlich; die Natur schien ihnen die Zartheit der Züge und Umrisse verliehen zu haben, welche einen so großen Reiz des jugendlichen Weibes ausmacht, aber deren sie so frühe verlustig werden, und zwar ebenso sehr in Folge der Einrichtungen und Verhältnisse des häuslichen Lebens, als aus andern Ursachen. Das Mädchen, welches Hetty so plötzlich angehalten hatte, war bekleidet mit einem Calico-Mantel, welcher den ganzen obern Theil ihres Körpers recht gut schützte, während ein kurzer Unterrock von blauem Tuch mit goldnen Borten gesäumt, der nur bis an’s Knie reichte, gleiche Beinkleider und Moccasins von Hirschleder ihren Anzug vollendeten. Ihr Haar fiel in langen dunkeln Flechten über Schultern und Rücken und war über einer niedern, glatten Stirne gescheitelt in einer Art, daß dadurch der Ausdruck von Augen voll Schlauheit und natürlichem Gefühl gemildert wurde. Ihr Gesicht war oval, von feinen Zügen; die Zähne waren gleich und weiß, während der Mund eine schwermüthige Weichheit aussprach, als trüge er diesen eigenthümlichen Ausdruck vermöge instinktmäßigen Bewußtseyns des Schicksals eines Geschöpfs, das von der Geburt an dazu verurtheilt war, die Mühsale des Weibes, erhöht noch durch die Gefühle und Zärtlichkeit ihres Geschlechts zu erdulden. Ihre Stimme, wie schon angedeutet, war sanft, wie das Seufzen der Nachtluft, eine bezeichnende Eigenthümlichkeit der Weiber ihrer Race, an ihr selbst aber so auffallend, daß sie daher den Namen Wah-ta!-Wah bekommen hatte, – Europäisch etwa mit Hist-oh!-Hist auszudrücken. Mit einem Wort, es war dieß die Verlobte Chingachgooks, der man, nachdem es ihr gelungen war, jeden Verdacht einzuschläfern, erlaubt hatte, um das Lager derer, die sie gefangen hielten, herumzustreifen. Diese Nachsicht war im Einklang mit der allgemeinen Politik der rothen Männer, die zudem wohl wußten, daß man im Falle der Flucht ihre Spur verfolgen könnte. Man wird auch nicht außer Acht lassen, daß die Irokesen oder Huronen, wie man sie vielleicht besser nennen würde, durchaus nichts von der Nähe ihres Liebhabers wußten, ein Umstand, der ihr freilich selbst auch unbekannt war.

Es wäre nicht leicht zu sagen, Welche von beiden bei dieser unerwarteten Begegnung am meisten Selbstbeherrschung zeigte, das weiße oder das rothe Mädchen. Aber Wah-ta!-Wah, obgleich ein wenig überrascht, war die zum Sprechen Aufgelegtere, und bei weitem rascheren Geistes, Folgen vorauszusehen, so wie Mittel zu ersinnen, um jenen zu begegnen. Ihr Vater war während ihrer Kindheit vielfach von den Behörden der Colonie als Krieger verwendet und benützt worden, und bei einem mehrjährigen Aufenthalt in der Nähe der Forts hatte sie einige Bekanntschaft mit dem Englischen sich erworben, das sie in der gewöhnlichen abkürzenden Weise der Indianer, aber geläufig und ohne den gewöhnlichen Widerwillen ihres Volkes sprach.

»Wohin gehen?« fragte wieder Wah-ta!-Wah, das Lächeln Hetty’s in der ihr eignen anmuthigen Weise erwiedernd, »schlimmer Krieger, dort – guter Krieger – fern weg!«

»Was ist Euer Name?« fragte Hetty mit der Einfalt eines Kindes.

»Wah-ta!-Wah. Ich keine Mingo – gute Delawarin – Yengeese’s Freundin. Mingo sehr grausam und Skalpe lieben um des Bluts willen – Delawaren sie lieben der Ehre willen. Kommt hieher wo keine Augen.«

Wah-ta!-Wah führte jetzt ihre Genossin dem See zu, die Anhöhe so weit hinabsteigend, daß deren überhangende Bäume und Gebüsche zwischen ihnen und etwaigen Lauschern standen; und sie machte nicht eher Halt, als bis sie nebeneinander auf einem gefallenen Baumstamm saßen, dessen eines Ende wirklich im Wasser lag.

»Warum kommt Ihr?« fragte die junge Indianerin lebhaft; »woher kommt Ihr?«

Hetty erzählte ihre Geschichte in ihrer einfachen, treuherzigen Weise. Sie erklärte das Unglück ihres Vaters, und sprach ihren Wunsch aus, ihm zu dienen, und wo möglich seine Befreiung zu bewirken.

»Warum Euer Vater zu Mingo Lager kommen bei Nacht?« fragte das indianische Mädchen mit einer Geradheit, die, wenn nicht von der andern entlehnt, Viel von ihrer Offenherzigkeit hatte. »Er wissen, daß Krieg ist – und er kein Knabe mehr – er wohl einen Bart haben – ihm nicht zu sagen nöthig, daß Irokesen Tomahawk und Messer und Büchse führen. Warum er kommen zur Nachtzeit, mich beim Haare packen und delawarisches Mädchen skalpiren wollen?«

»Euch!« sagte Hetty, vor Entsetzen fast umsinkend, »Euch hat er gepackt – Euch wollte er skalpiren?« »Warum nicht? Delawaren-Skalpe so Viel gelten als Mingo-Skalpe. Gouverneur keinen Unterschied machen. Ruchlos für Bleichgesicht, skalpiren. Nicht seine Gaben, wie der gute Wildtödter mir immer sagen.«

»Und Ihr kennt den Wildtödter?« fragte Hetty, erröthend vor Freude und Ueberraschung, unter dem Einfluß dieses neuen Gefühls für den Augenblick ihren Jammer vergessend. »Ich kenn‘ ihn auch. Er ist jetzt auf der Arche mit Judith und einem Delawaren, der die große Schlange heißt. Ein kühner und schöner Krieger ist er auch, die Schlange!«

Trotz der reichen, tiefdunkeln Farbe, welche die Natur der indianischen Schönheit zugetheilt, stieg ihr doch das beredte und verrätherische Blut noch lebhafter ins Gesicht, so daß die Röthe ihren kohlschwarzen Augen noch mehr Leben und Feuer des Geistes verlieh. Einen Finger aufhebend wie mit warnender Geberde, ließ sie ihre schon so sanfte und süße Stimme zu einem Flüstern herabsinken, als sie das Gespräch fortsetzte.

»Chingachgook!« versetzte das Delawarische Mädchen, den harten Namen in so sanften Gutturaltönen seufzend oder hauchend, daß er das Ohr ganz melodisch berührte. »Sein Vater, Unkas – großer Häuptling der Mohikani – der Nächste nach altem Tamenund! Mehr als Krieger, nicht so viel graues Haar, und weniger beim Rathsfeuer. Ihr Schlange kennen?«

»Er stieß gestern Abend zu uns, und war in der Arche mit mir zwei oder drei Stunden lang, ehe ich sie verließ. Ich fürchte, Hist –« Hetty konnte den indianischen Namen ihrer neuen Freundin nicht aussprechen, aber da sie von Wildtödter diese vertrauliche Benennung gehört hatte, bediente sie sich derselben ohne irgend eine der Bedenklichkeiten des civilisirten Lebens – »ich fürchte, Hist, er ist auf Skalpe ausgegangen, ebenso wie mein armer Vater und Hurry Harry!«

»Warum er denn nicht sollen, he? Chingachgook rother Krieger, sehr roth – Skalpe seine Ehre seyn – er gewiß gemacht!«

»Dann,« versetzte Hetty ernst, »wird es von ihm so ruchlos seyn wie bei einem Andern. Gott wird einem rothen Mann nicht verzeihen, was er einem Weißen nicht verzeiht.«

»Nicht wahr!« versetzte das Delawarische Mädchen mit einer Wärme, die beinahe an Leidenschaftlichkeit grenzte. »Nicht wahr! sag‘ ich Euch! Der Manitou lächeln und Wohlgefallen haben, wenn er sieht jungen Krieger heimkehren vom Kriegspfad mit zwei, zehn, hundert Skalpen auf einem Pfahle! Chingachgook’s Vater Skalpe erbeutet – Großvater Skalpe erbeutet – alle alten Häuptlinge Skalpe nehmen: und Chingachgook selbst so viele Skalpe nehmen, als er tragen kann!« »Dann, Hist, muß sein Schlaf bei Nacht entsetzlich seyn, wenn er daran denkt. Niemand kann grausam seyn und auf Vergebung hoffen!«

»Nicht grausam – Vergebung genug,« erwiederte Wah-ta!-Wah, mit ihrem kleinen Fuß auf den steinigten Strand stampfend, und den Kopf schüttelnd in einer Weise, welche zeigte, wie gänzlich weibliches Gefühl in einer seiner Gestaltungen das weibliche Gefühl in einer andern überwältigt hatte. »Ich sagen Euch, Schlange tapfer; er heim kommen mit vier, ja, zwei Skalpen.«

»Und ist das sein Vorhaben hier? Ist er in der That so weit hergekommen, über Berg und Thal, Flüsse und Ströme, seine Mitgeschöpfe zu martern und etwas so Ruchloses zu thun?«

Diese Frage beschwichtigte auf einmal den anwachsenden Zorn der halbbeleidigten indianischen Schönheit. Sie besiegte gänzlich die Vorurteile der Erziehung, und leitete alle ihre Gedanken in ein sanfteres und mehr weibliches Bette. Zuerst schaute sie sich argwöhnisch um, als scheute sie Lauscher, dann starrte sie ihrer aufmerksamen Gesellschafterin nachdenklich ins Gesicht; und dann endete dieß Stückchen von mädchenhafter Coketterie und weiblichem Gefühl damit, daß sie sich das Gesicht mit beiden Händen bedeckte und in einer Art lachte, daß man dieß wohl die Melodie der Wälder nennen konnte. Die Furcht vor Entdeckung jedoch machte bald dieser naiven Kundgebung ihrer Empfindungen ein Ende, und ihre Hände wegziehend starrte dieß, ganz vom augenblicklichen Impuls beherrschte Geschöpf wieder ihrer Genossin nachdenklich ins Gesicht, gleichsam forschend, wie weit sie einer Fremden ihr Geheimniß anvertrauen könne. Obgleich Hetty nicht Anspruch machen konnte auf die außerordentliche Schönheit ihrer Schwester, hielten doch Manche ihr Gesicht für das einnehmendere. Es sprach all die tückelose Aufrichtigkeit ihres Charakters aus, und es war gänzlich frei von allen den störenden, begleitenden und verrathenden physischen Zeichen, die so oft im Gefolge der Geistesschwäche sind. Zwar ein ungewöhnlich scharfer Beobachter hätte die Anzeichen ihrer Geistesschwäche in der Sprache ihrer manchmal leeren und irren Augen entdecken können; aber es waren Zeichen, welche eher das Mitgefühl anzogen durch ihre gänzliche Arglosigkeit und Treuherzigkeit, als irgend eine andre Empfindung erweckten. Der Eindruck, den sie auf Hist machte – um uns dieser Dollmetschung des Namens zu bedienen – war günstig; und einer Aufwallung von Zärtlichkeit folgend, schlang sie ihre Arme um Hetty, und drückte sie an sich mit einer gewaltsamen Rührung, die so natürlich als warm war.

»Du gut,« flüsterte die junge Indianerin; »Du gut, ich wissen; es so lang, daß Wah-ta!-Wah keine Freundin gehabt – keine Schwester – Niemand, ihr Herz auszusprechen; Du Hist’s Freundin; ich nicht Wahrheit sagen?«

»Ich habe nie eine Freundin gehabt,« antwortete Hetty, die warme Umarmung mit ungeheucheltem Ernst erwiedernd. »Ich habe eine Schwester, aber keine Freundin. Judith liebt mich, und ich liebe Judith; aber das ist natürlich, und wie es uns die Bibel lehrt; aber ich hätte gern eine Freundin! Ich will Eure Freundin seyn von ganzem Herzen; denn ich liebe Eure Stimme und Euer Lächeln, und Eure Denkweise in allen Dingen, ausgenommen was die Skalpe –«

»Nicht mehr daran denken – Nichts mehr von Skalpen sagen,« unterbrach sie begütigend Hist; »Ihr Bleichgesicht, ich Rothhaut; wir nach verschiedener Art erzogen. Wildtödter und Chingachgook große Freunde, und nicht von derselben Farbe; Hist und – was Euer Name, hübsches Bleichgesicht?«

»Ich bin Hetty genannt, obwohl, wenn sie den Namen in der Bibel buchstabiren, so sprechen sie ihn immer Esther.«

»Was das machen? – Nichts nützen und nichts schaden. Gar nicht nöthig, Namen zu buchstabiren. Mährischer Bruder versucht, Wah-ta!-Wah buchstabiren zu lehren, aber es nicht zugelassen. Nicht gut für Delawarisches Mädchen, zu viel zu wissen – Mehr wissen als Krieger manchmal – das große Schande. Mein Name Wah-ta!-Wah – das heißt Hist in Eurer Sprache; Ihr ihn aussprechen Hist, ich sagen Hetty.«

Nachdem diese Präliminarien zu beiderseitiger Zufriedenheit ins Reine gebracht waren, begannen die Mädchen von ihren beiderseitigen Hoffnungen und Planen sich zu unterhalten. Hetty machte ihre neue Freundin noch genauer bekannt mit ihren Absichten in Betreff ihres Vaters; und Hist würde einer Freundin, die nur im Mindesten geneigt und fähig gewesen, die Angelegenheiten Andrer mit forschendem Blicke zu durchschauen, ihre Gefühle und Hoffnungen, die sich an den jungen Krieger von ihrem Stamme knüpften, genugsam verrathen haben. Genug ward indessen von beiden Seiten geoffenbart, um beiden Theilen eine ziemliche Einsicht in die Plane des Andern zu verschaffen, obwohl noch genug zurückbehalten und verschwiegen wurde, um zu folgenden Fragen und Antworten Gelegenheit zu geben, womit diese Unterredung schloß. Als die schärfer blickende, begann Hist zuerst ihre Fragen. Einen Arm um Hetty’s Leib schlingend, beugte sie sich mit dem Kopfe vor, so daß sie der Andern munter ins Gesicht schaute; und lachend, als ob ihre Meinung ihr aus den Mienen solle gelesen werden, sprach sie dann offener:

»Hetty einen Bruder haben und einen Vater?« sagte sie, »warum nicht auch vom Bruder sprechen, so wie vom Vater?«

»Ich habe keinen Bruder, Hist. Ich hatte einmal einen, sagt man mir; aber er ist todt seit vielen Jahren und liegt im See versenkt neben der Mutter.«

»Keinen Bruder haben – einen jungen Krieger haben; ihn lieben, beinahe so sehr als Vater, he? Recht schön und tapfer aussehend; tüchtig zum Häuptling, wenn so gut seyn, als scheinen

»Es ist sündhaft, einen Mann so zu lieben, wie ich meinen Vater liebe; und so bestrebe ich mich, es nicht zu thun, Hist,« erwiederte die gewissenhafte Hetty, die nicht wußte, wie eine innere Bewegung verhehlen durch eine so verzeihliche Annäherung an Unwahrheit, als eine ausweichende Antwort ist, obwohl durch weibliche Schaam mächtig zu diesem Fehltritt versucht: »obwohl ich manchmal denke, die Sünde werde mich am Ende beilegen, wenn Hurry so oft an den See kommt. Ich muß Euch die Wahrheit sagen, liebe Hist, weil Ihr mich fragt: aber ich würde zu Boden fallen und sterben in den Wäldern, wenn er es wüßte!«

»Warum er nicht selbst Euch fragen? Tapfer aussehen – warum nicht keck sprechen? Junger Krieger fragen müssen junges Mädchen; Niemand junges Mädchen zuerst reden machen. Mingo-Mädchen selbst sich dessen schämen,«

Sie sprach dieß mit Entrüstung und mit der edlen Wärme, die ein junges Weib von lebhaftem Geist empfinden mag, wenn sie das theuerste Vorrecht ihres Geschlechts bedroht und gefährdet glaubt. Dieß Gefühl hatte aber wenig Einfluß auf die blöde, aber doch rechtlichgesinnte Hetty, die, obwohl wesentlich weiblich in allen ihren Empfindungen doch weit mehr auf die Bewegungen ihres eignen Herzens achtete, als daß sie sich um die Gebräuche bekümmert hätte, womit das Herkommen das Zartgefühl ihres Geschlechts geschützt hat,

»Mich fragen? was?« fragte das erschrockene Mädchen mit einer Hast, welche zeigte, wie sehr ihre Furcht rege geworden war. »Mich fragen, ob ich ihn so gern habe, als meinen Vater! Oh! Ich hoffe, er wird nie eine solche Frage an mich richten, denn ich müßte antworten, und das würde mich tödten.«

»Nein – nein – nicht tödten, nur beinahe,« versetzte die Andere, unwillkührlich lächelnd. »Erröthen kommen machen – Schaam auch kommen machen; aber es nicht so gar lange bleiben; dann sich glücklicher fühlen als je. Junger Krieger muß jungem Mädchen sagen, er sie zum Weibe machen wollen, sonst nie kann wohnen in seinem Wigwam.«

»Hurry will mich nicht heirathen – Niemand wird mich je heirathen wollen, Hist.« »Wie Ihr das wissen können? Vielleicht Jedermann Euch heirathen wollen, und bei Gelegenheit Zunge sagen, was Herz fühlen. Warum Niemand Euch heirathen wollen?«

»Ich bin nicht ganz klug, sagen sie. Vater sagt mir das oft; und auch Judith manchmal, wenn sie ärgerlich ist; aber ich würde auf sie nicht so viel geben, als auf Mutter. Sie hat es auch einmal gesagt; und dann weinte und schluchzte sie, als ob ihr das Herz brechen wollte; und so weiß ich, ich bin nicht ganz klug.«

Hist starrte das sanfte, einfältige Mädchen eine volle Minute an, ohne zu sprechen; und dann schien die ganze Wahrheit auf einmal dem Geiste der jungen Indianerin hell aufzugehen. Mitleid, Ehrfurcht und Zärtlichkeit schienen in ihrer Brust zu kämpfen; dann plötzlich aufstehend, bezeugte sie gegen ihre Genossin den Wunsch, sie möchte sie in das nicht entfernt liegende Lager begleiten. Dieser unerwartete Uebergang von der Vorsicht, welche Hist zuvor anzuwenden sich beflissen gezeigt hatte, um nicht gesehen zu werden, zu dem Entschluß, ihre Freundin ganz offen zu den Indianern zu führen, entsprang aus der sichern Ueberzeugung, daß kein Indianer ein Geschöpf kränken und beschädigen würde, das der große Geist entwaffnet, indem er es des stärksten Vertheidigungsmittels, der Vernunft beraubte. In dieser Hinsicht gleichen sich alle Nationen von unverdorbnem Gefühl; sie scheinen solchen Geschöpfen freiwillig, in Folge eines der menschlichen Natur Ehre machenden Gefühls, durch ihre Nachsicht den Schutz angedeihen zu lassen, welcher durch die unerforschliche Weisheit der Vorsehung ihnen versagt ist. Wah-ta!-Wah wußte in der That, daß bei manchen Stämmen die Geistesschwachen und die Verrückten eine Art religiöser Verehrung genossen; daß sie von den ungebildeten Bewohnern des Waldes Achtung und Ehren empfingen statt der Schmach und Vernachlässigung, die unter den anmaßenderen und verdorbeneren Nationen ihr Loos und Theil ist! Hetty folgte ihrer neuen Freundin ohne Furcht und Widerstreben. Es war ihr Wunsch, das Lager zu erreichen; und gestärkt durch ihre Beweggründe hegte sie so wenig Unruhe wegen der Folgen, als ihre Begleiterin selbst, nachdem diese einmal wußte, welchen schützenden Talisman das Bleichgesichtmädchen mit sich führte. Noch immer, während sie langsam fortschritten einer Küste entlang, die von überhangenden Gebüschen bedeckt war, setzte Hetty das Gespräch fort, und jetzt übernahm sie die Rolle des Fragens, welche die Andere sogleich fallen gelassen, sobald sie erfahren, an was für ein Gemüth sie ihre Fragen gerichtet hatte.

»Aber Ihr seyd ja nicht eben halb klug,« sagte Hetty, »und es ist kein Grund da, warum die Schlange Euch nicht heirathen sollte.«

«Hist Gefangene, und Mingo’s große Ohren haben. Nicht von Chingachgook reden, wenn sie dabei. Versprecht das Hist, gute Hetty.«

»Ich weiß, – ich weiß,« erwiederte Hetty; halb flüsternd, in ihrer Begierde der Andern zu zeigen, daß sie die Nothwendigkeit der Vorsicht begreife. »Ich weiß – Wildtödter und die Schlange gedenken Euch aus der Hand der Irokesen zu befreien; und Ihr wünscht, daß ich das Geheimniß nicht verrathe.«

»Wie Ihr wissen das?« fragte Hist hastig, in diesem Augenblick ärgerlich, daß die Andere nicht noch blödsinniger, als wirklich der Fall war. – »Wie Ihr das wissen? Besser von Niemand sprechen als von Vater und Hurry – Mingo’s das verstehen; das Andere nicht. Versprecht mir, von Nichts zu sprechen, was Ihr nicht versteht.«

»Aber ich verstehe das, Hist; und so darf und muß ich davon sprechen. Wildtödter hat in meiner Anwesenheit dem Vater Alles so gut als erzählt; und da mir Niemand verbot zuzuhören, habe ich Alles gehört, wie auch Hurry’s und Vaters Unterredung von den Skalpen.«

»Sehr schlimm von Bleichgesichtern, von Skalpen sprechen, und sehr schlimm von jungen Mädchen zu horchen! Nun Ihr Hist lieben, ich weiß, Hetty; und so unter Indianern, wenn am besten lieben, am wenigsten schwatzen!«

»Das ist nicht die Art bei den weißen Leuten, die am meisten von Solchen reden, die sie am besten lieben. Ich glaube, weil ich nur halb klug bin, sehe ich den Grund nicht ein, warum es so verschieden seyn soll bei den rothen Leuten.«

»Das seyn, was Wildtödter ihre Gaben nennt. Die Einen die Gabe zu sprechen, die Andern die Gabe den Mund zu halten. Den Mund zu halten – Eure Gabe unter Mingo’s. Wenn Schlange Hist sehen möchte, so Hetty verlangen, Hurry zu sehen. Ein gutes Mädchen nie Geheimnisse verrathen von Freunden.«

Hetty verstand diese Aufforderung; und sie versprach dem delawarischen Mädchen Nichts von der Anwesenheit Chingachgook’s oder von dem Beweggrund seines Besuches am See zu erwähnen.

»Vielleicht er Hurry und Vater ebenso los kriegen, wie Hist, wenn man ihn machen lassen,« flüsterte Wah-ta!-Wah ihrer Begleiterin in vertraulichem, schmeichelndem Tone zu, als sie eben dem Lager nahe genug kamen, um die Stimmen von Einigen ihres Geschlechts zu hören, welche dem Anschein nach mit den gewöhnlichen Arbeiten der Weiber ihrer Classe beschäftigt waren, »Bedenkt das, Hetty, und legt zwei, zwanzig Finger auf den Mund. Niemand Freunde frei machen, wenn nicht Schlange es thun.«

Ein besseres Mittel konnte sie nicht ersinnen, um sich Hetty’s Verschwiegenheit und Vorsicht zu versichern, als dasjenige, das sich hierin ihrem Geist darbot. Da die Befreiung ihres Vaters und des jungen Grenzers der große Zweck ihres Abenteuers war, so empfand sie klar den Zusammenhang desselben mit den Diensten, die ihr die Delawarin leisten konnte; mit einem unschuldigen Lachen nickte sie Zustimmung und in derselben stummen Weise versprach sie, die Wünsche ihrer Freundin gebührend zu achten. So ihrer Sache sicher, zögerte Hist nicht länger, sondern trat sofort unverhohlen mit ihrer Freundin in das Lager der sie gefangen haltenden Mingo’s.