Einundzwanzigstes Kapitel.

Während dieses ganzen Tages blieb sich das Wetter gleich. Der schlafende Ozean lag da, ein glatter, glänzender Spiegel, und nur das Steigen und Fallen langer Wellenlinien deutete an; daß am entfernten Horizont eine starke Bewegung im Anzuge sein müsse. Der Pirat, der es so gut verstand, die wilde, unbändige Stimmung seiner Untergebenen unter seine Autorität zu beugen, war von dem Zeitpunkte an, wo er das Verdeck verlassen hatte, bis zu dem, wo die Sonne ihren Glutball in der See abkühlte, unsichtbar geworden. Zufrieden mit seinem Siege, schien er die Möglichkeit, daß jemand zum Umsturz seiner Macht Kühnheit genug besitzen könne, gar nicht zu befürchten; auch verfehlte dieses offenbare Selbstvertrauen die beabsichtigte Wirkung auf seine Leute nicht. Da keine Vernachlässigung im Dienste unbemerkt, kein Fehler ungestraft blieb, so setzte sich bei ihnen der Glaube fest, daß sie ein unsichtbares Auge stets bewache, ein unsichtbarer Arm zu allen Zeiten ausgestreckt sei, gleich bereit zu strafen und zu belohnen. Durch diese Methode nämlich, durchgreifend zu handeln, wenn es der Augenblick gebot, und wieder nachsichtig zu sein, wenn Ausübung und Strenge nur dazu gedient hätte, die Gemüter zu erbittern, gelang es dem außerordentlichen Mann, auf seinem Schiffe nicht nur den Verrat zu ersticken, sondern auch seinen offenen Feinden trotz ihren schlauesten Anschlägen und ausdauernsten Verfolgungen zu entgehen.

Als nun aber die Wache für die Nacht abgelöst war und die gewöhnliche Stille das Schiff umgab, erschien der Rover wieder auf dem Deck der Hütte, wo sich jetzt niemand aufhielt, um dort raschen Schrittes auf und ab zu gehen. Obgleich beiliegend, war doch das Fahrzeug mit dem Golfstrom so weit nördlich gelaufen, daß die kleine, blaue Erhöhung in der Ferne längst unter den Meeresrand getaucht war und, für den Bereich menschlicher Sehkraft wenigstens, nur eine grenzenlose Wasserwüste rund umher lag. Da sich auch nicht der leiseste Windhauch rührte, so waren sämtliche Segel beschlagen, und die hohen, entblößten Spieren gaben in der Finsternis der Nacht dem Schiffe das Ansehen, als läge es vor Anker. Mit einem Worte, es war eine jener Stunden vollkommener Ruhe, wie sie den Abenteurern, die ihr Glück dem eigensinnigen Spiel der verräterischen und unbeständigen Winde anvertrauen, zuweilen von den Elementen vergönnt werden.

Selbst die Leute, denen der Dienst das Wachen zur Pflicht machte, ließen sich auf ihren Posten durch die tiefe, allumgebende Stille zur Nachlässigkeit verleiten; sie lagen teils zwischen den Kanonen, teils an verschiedenen andern Orten des Verdecks und genossen den süßen Schlaf, den sie, der strengen Mannszucht und guten Ordnung wegen, nicht in ihren Hängematten suchen durften. Ja, an manchen Stellen konnte man selbst Offiziere gegen ein Bollwerk oder eine außerhalb des geheiligten Bezirks der Schanzen stehende Kanone sich anlehnen und, mit dem trägen Steigen und Sinken des Kiels Takte haltend, im Schlafe nicken sehen. Nur eine Gestalt stand aufrecht, munter, und offenbar mit einem wachsamen Auge über das Ganze. Es war Wilder, an den schon wieder, nach der regelmäßigen Einteilung des Offizierdienstes, die Reihe gekommen war, auf dem Verdeck zu bleiben.

Zwei Stunden gingen vorüber, ohne daß zwischen dem Rover und seinem Leutnant die geringste Mitteilung stattgefunden hätte. Beide vermieden vielmehr eine Unterredung; denn jeglicher hatte seine besonderen, geheimen Gegenstände der Betrachtung. Als diese zwei Stunden Schweigens zu Ende waren, hielt der erstere im Gehen inne und blickte lange und unverrückt hinab nach der noch immer regungslos auf dem Verdeck stehenden Gestalt. – Endlich sagte er:

»Herr Wilder, hier oben auf der Hütte ist die Luft frischer und den unreinen Dünsten des Schiffes weniger ausgesetzt, wollen Sie heraufkommen?«

Der Angeredete gehorchte. Mehrere Minuten lang wandelten sie nach Seemannssitte in stiller Nacht schweigend und schritthaltend nebeneinander.

»Wir hatten einen unruhigen Tag, Wilder,« fing der Rover endlich an, indem er dadurch unwillkürlich seine Gedanken verriet, aber doch immer so behutsam sprach, daß der Ton nur die Ohren Wilders erreichen konnte; »haben Sie diesem allerliebsten Abgrunde, den man Meuterei nennt, schon einmal im Leben so nahe gestanden?«

»Der, den die Kugel getroffen hat, muß der Gefahr doch wohl näher gewesen sein als einer, der bloß den Druck der Luft fühlte.«

»Aha, Sie haben in Ihrem Schiffe offene Widersetzlichkeit gefunden! Auch hier ließen sich einige von den Kerlen einfallen, persönlichen Haß gegen Sie zu äußern, aber beunruhigen Sie sich nicht deshalb; ich kenne ihre geheimsten Gedanken, wie Sie bald sehen werden.«

»Ich leugne es nicht, an Ihrer Stelle würde ich bei solchen Beweisen von der Gesinnung meiner Untergebenen auf Dornen schlafen. Wer bürgt Ihnen dafür, daß nicht heute oder morgen ein Aufruhr innerhalb weniger Stunden das Fahrzeug der Regierung ausliefert und Ihr Leben dem …«

»Henker! Und warum nicht auch Ihres?« fügte der Räuber hastig hinzu und ließ einen leisen Anflug von Mißtrauen durchblicken. »Doch das Auge, das viele Schlachten gesehen hat, ist nicht leicht zum Blinzeln zu bringen; meines hat der Gefahr zu oft gerade ins Angesicht geschaut, als daß mich der Anblick einer königlichen Flagge erschrecken könnte. Überdies halten wir uns auch nur selten an dieser kitzligen Küste auf. Wir kreuzen meist bei den Inseln und auf der spanischen See, was mit weniger Gefahren verknüpft ist.«

»Wie kommt es denn, daß Sie sich jetzt gerade hierher wagen, wo einige über den Feind errungene Vorteile dem Admiral Zeit geben, Sie von einer bedeutenden Schiffsmacht verfolgen zu lassen?«

»Ich hatte meine Ursachen dazu. Nicht immer läßt sich der Mensch von dem Befehlshaber trennen. Hab‘ ich über die Sehnsucht des ersten die Pflichten des letzten hintangesetzt, so hat es doch bis jetzt wenigstens noch keine nachteiligen Folgen gehabt. Kann ja auch sein, daß es mich langweilte, ewig Jagd auf die bequemen spanischen Dons zu machen, oder spanische Zollschiffe in ihre Häfen zurückzutreiben. Dies unruhevolle Leben lieb‘ ich nun einmal! Selbst einer Meuterei weiß ich Interesse abzugewinnen!«

»Ich kann Verrat nicht lieben und gestehe gern, daß es mir in dieser Beziehung nicht besser geht wie dem Bauer, der nur so lange Mut hat, als es hell ist. Solange der Feind sichtbar ist, sollen Sie mich so bewährt finden wie einen, doch über einer Mine schlafen, ist ein Vergnügen, das meinem Geschmack nicht zusagt.«

»Das kommt vom Mangel an Übung! Gewagt ist gewagt, sei’s auf welche Weise es wolle; der menschliche Geist kann es durch Gewohnheit endlich dahin bringen, daß er bei geheimen Anschlägen ebenso großen Gleichmut behält, als bei offenem Wagnis. Still! Schlug es da sechs oder sieben?«

»Sieben. Die Leute schlafen fort, wie Sie sehen. Wäre es ihre Stunde, so würden Sie instinktmäßig aufwachen.«

»Gut. Schon fürchtete ich, die Zeit sei vorüber. Ja, ich liebe die schwebende Ungewißheit, Wilder; sie hält die Seelentätigkeit stets regsam und verweist uns auf die edleren Kräfte unserer Natur. Mag wohl sein, daß es nur mein Eigensinn ist, aber wahrlich, selbst ein konträrer Wind ist nicht ohne Genuß für meinen Geist.«

»Und eine Windstille?«

»Die mag für friedliebende Gemüter ihre Reize haben, allein es gibt nichts zu tun, nichts zu besiegen dabei. Können wir auch die Elemente nicht zum Kampf herausfordern, so vermögen wir uns ihnen doch entgegenzusetzen und ihr Wirken zu vereiteln.«

»Sie haben doch Ihr Handwerk nicht angetreten …«

» Ihr Handwerk!«

»Ich hätte sagen können unseres, da ich jetzt ebenfalls Pirat geworden bin.«

Der Scharfsinn des Rovers durchschaute wohl, was Wilder sagen wollte; ja, seine Antwort zeigte, daß er sogar manche Zwischengedanken übersprang:

»Sie sind noch in Ihrem Noviziat, und die Beichte, die Sie mir von Ihren Wünschen ablegten, gewährte mir nicht wenig Vergnügen. Sie wußten das eigentlich Gewollte so gut anzudeuten, ohne es zu berühren; eine Gewandtheit, die mich in Ihnen einen gelehrigen Schüler voraussehen ließ.«

»Aber keinen büßenden, hoffentlich.«

»Das kommt auf die Umstände an; Augenblicken der Schwachheit sind wir alle ausgesetzt, zumal wenn wir das Leben ansehen, wie es die Bücherschreiber schildern, und da, wo wir den Genuß ergreifen sollten, nur die Prüfung erkennen. Ja, ich angelte nach Ihnen, wie der Fischer nach dem Karpfen. Auch glauben Sie nicht, daß ich die Gefahr des Verrates aus dem Gesichte verlor. Im ganzen genommen waren Sie treu, ob ich gleich für die Zukunft dagegen protestiere, daß Sie, gegen mein Interesse, Intrigen spielen, um das Wild aus meinem Netz zu halten.«

»Wann, und wie hätte ich das getan? Sie haben selbst zugegeben …«

»Daß die Royal Carolina nicht ungeschickt geführt worden sei und ihr Untergang nur dem Himmel zur Last falle. Allein ich spreche jetzt von edlerem Wild als das, worauf jeder Habicht Jagd machen kann. Sind Sie ein Weiberfeind, daß Sie alles aufboten, um das edelmütige Weib und die liebliche Jungfrau, die in diesem Augenblick hier unten sind, von dem Vorzug und hohen Genuß Ihrer Gesellschaft zurückzuschrecken?«

»War Verrat in dem Wunsche, Frauen von dem Schicksale zu retten, das zum Beispiel erst diesen Tag beide bedrohte? Denn, solange in diesem Schiffe Ihr Ansehen die Oberhand behält, glaube ich freilich nicht, daß selbst die Liebliche das geringste zu besorgen hat.«

»Beim Himmel, Wilder, Sie lassen mir nur Gerechtigkeit widerfahren. Ehe diese schöne Unschuldige Leid treffen sollte, würde ich mit dieser Hand das Pulvermagazin anzünden, und sie, rein und fleckenlos wie sie ist, gen Himmel senden, von wo sie herabgekommen zu sein scheint.«

Gierig lauschte unser Abenteurer diesen Worten, ob ihm auch der enthusiastische Ausdruck der Bewunderung, in dem der Freibeuter sein großherziges Gefühl einzukleiden für gut fand, nicht sonderlich behagte. Endlich, nach einer Pause, die keiner von beiden gern zu unterbrechen schien, fragte er:

»Wie kommt es, daß Sie von meinem Wunsch, den Damen zu dienen, unterrichtet sind?«

»Konnte ich Ihre Sprache mißverstehen? Mich dünkt doch, Sie haben sich deutlich genug ausgesprochen.«

»Ausgesprochen!« rief Wilder erstaunt. »Am Ende hab‘ ich gar meine eigentliche Beichte in einem Augenblicke abgelegt, wo ich mich dessen am wenigsten versah.«

Antwort gab der Rover nicht; aber an dem vielsagenden Lächeln, das um seinen Mund spielte, konnte sein Gefährte nur zu deutlich erkennen, daß er durch eine ebenso verwegene als vollkommen gelungene Vermummung hintergangen worden war, und daß er in der Person des alten Matrosen Bob Bunt mit niemand anders, als mit seinem Kommandeur selbst verkehrt hatte. Das Benehmen Jorams und das rätselhafte Verschwinden des Nachens waren ihm jetzt völlig klar. Tief bewegt, vielleicht weil er nun die Entdeckung machte, wie verwickelt die Schlingen waren, in die er sich gestürzt hatte, vielleicht auch aus Ärger, daß er sich so zum besten haben ließ, machte er in starken Schritten einige Gänge quer über das Deck, ehe er antwortete:

»Ich hab‘ mich hintergehen lassen, ich geb‘ es zu, und unterwerfe mich von nun an einem Meister, von dem man wohl vieles lernen, den man aber nie übertreffen kann. Aber der Wirt zum › Unklaren Anker‹, der hat doch wenigstens in eigener Person gehandelt, wer auch immer der alte Matrose gewesen sein mag?«

»Der ehrliche Joram! Fürwahr, ein Matrose in Not kann sich keinen nützlicheren Mann wünschen, das werden Sie nicht leugnen. Wie hat Ihnen denn der Newporter Lotse gefallen?«

»Auch der Ihr Geschäftsträger?«

»Nur zum Scherz, solchen Schurken vertraue ich von meinem Geheimnis nicht mehr, als sie etwa von selbst erraten können. Doch sachte! Hörten sie nichts?«

»Mich dünkt, ich hörte ein Tau im Wasser plätschern.«

»Ganz recht, so ist es. Nun werden sie sich überzeugen, wie durch und durch ich mich auf diese unruhigen Herren verstehe.«

Hier brach der Rover das seinem Gefährten immer interessanter werdende Gespräch kurz ab, ging leisen Schrittes nach dem Spiegel des Schiffes und lehnte sich einige Augenblicke einsam über die Galerie, wie einer, der ein Vergnügen daran findet, die dunkle Oberfläche des Meeres anzuschauen. Kaum indessen traf das Ohr seines Gesellschafters ein leises Geräusch von hin und her bewegten Tauen, so kam er heran und stellte sich neben ihn, wo er bald noch mehr Beweise erhalten sollte, wie fein der Kommandeur sowohl ihn, als die übrige Schiffsbemannung zu überlisten verstand.

Ein Mann bewegte sich äußerst behutsam und nicht ohne Schwierigkeit von der Stelle, wo er sich befand, um die Schiffsviering herum. Er erreichte auch seinen Zweck, indem er sich teils mit Tauen, teils mit einigen Mallen vorwärts half, bis er an eine vom Hinterschiff herabhängende Strickleiter gelangte. – Auf einer ihrer Sprossen schwebend, stierte er nach den herüberlehnenden, ihm zusehenden Gestalten, sich offenbar anstrengend, auszufinden, wer von beiden das Individuum wäre, das er suchte.

Der Rover berührte Wilder leise mit der Hand, um ihm zu verstehen zu geben, daß er jetzt aufmerken sollte, und sprach dann flüsternd hinab: »Bist du da, Davis? Ich fürchte, man hat dich gesehen, oder doch gehört.«

»Nichts zu befürchten, Ew. Gnaden. Ich schlüpfte zum Schottengat der Kajüte hinaus; die ganze Hinterwacht schläft so tief, als wenn sie die Wache im Raum unten hätte.«

»Gut. Was für Nachricht bringst du von den Leuten?«

»Traun, Ew. Gnaden dürfen ihnen befehlen, in die Kirche zu gehen, und der derbste Seehund unter ihnen würde nicht Herz genug haben, einzuwenden, er könne sein Gebet nicht mehr auswendig.«

»Glaubst du, sie seien jetzt in besserer Stimmung als vorher?«

»Ich weiß es, Sir. Nicht daß einem oder zweien von den Leuten der gute Wille zur Unordnung fehlte; aber sie wagen es nicht, einander zu trauen. Ew. Gnaden haben so was Gewinnendes an sich, daß einer nie weiß, ob er sich auf sicherem Boden befindet, wenn er sich’s beikommen ließe, sich zum Herrn aufzuwerfen.«

»Ja, ja, das sieht dem Charakter von Empörung ähnlich genug«, brummte der Rover, so daß ihn nur Wilder hören konnte. »Gerade dazu, daß einer des andern Zutrauen genieße, fehlt ihnen ein bißchen mehr Ehrlichkeit, als sie besitzen. (Laut:) Und wie haben die Kerle meine Gnade aufgenommen? War’s wohlgetan, oder muß der Morgen auch seine Strafe mit sich bringen?«

»Lassen Sie es beim jetzigen Stand der Dinge sein Bewenden haben, Sir. Die Leute kennen das gute Gedächtnis einer gewissen Person und sprechen schon von der Gefahr, noch ein Ditto zu der Rechnung hinzuzufügen, von der sie recht gut wissen, daß Ew. Gnaden sie sich angeschrieben haben. Da ist der Vordermann des Backs, der wie gewöhnlich etwas sauer tut, und bei dieser Gelegenheit um so mehr, wegen des Andenkens an die betäubende Faust des Negers.«

»Ich weiß schon, der ist stets ein Störenfried; ich werde mit dem Schurken doch endlich einen Abrechnungstag halten müssen.«

»Das wird nicht schwer sein! Sie verwenden ihn auf irgendeinen Dienst im Boote, Sir: die Schiffsmannschaft wird sich desto wohler fühlen, wenn er aus dem Wege ist.«

»Schon gut; nichts weiter von ihm«, unterbrach ihn der Korsar mit einiger Ungeduld, wahrscheinlich, weil er nicht wünschte, daß sein Gefährte auf dieser frühen Stufe seiner Einweihung schon einen so tiefen Blick in seine Regierungsweise tun sollte.

»Ich werde schon sorgen für ihn, aber du selbst, Kerl! – Irre ich nicht, so hast du deine Rolle heute ein wenig zu gut gespielt, und zeigtest dich etwas zu bereitwillig, die Matrosen anzuführen.«

»Ich hoffe, Ew. Gnaden werden sich erinnern, daß die Bootsmannspfeife einmal die Mannschaft zum Unheil kommandiert hatte; zudem konnte es nicht viel schaden, einigen Marinesoldaten den Puder von den Köpfen zu waschen.«

»Schon gut, aber du setztest das Spiel fort, nachdem dein Offizier für gut gefunden hatte, sich dazwischen zu legen. Nimm dich in acht, daß du in Zukunft deine Rolle nicht mit so vieler Natur und Wahrheit spielst, sonst dürfte der Beifall nicht minder wahr und natürlich sein!«

Der Kerl versprach Vorsicht und Besserung, worauf er seine Belohnung in Gold erhielt, und mit der Einschärfung strenger Verschwiegenheit entlassen wurde. Kaum war diese Zusammenkunft vorüber, so versicherte sich der Kapitän zunächst, daß kein Unberufener, der sich in seine heimliche Verbindung mit dem Spion einstehlen könnte, in der Nähe weilte, und setzte dann sein Auf- und Abgehen mit Wilder fort. Nach einer langen, gedankenvollen und tiefen Stille fing er wieder an:

»In einem Schiffe wie dieses sind feine Ohren fast ebenso wichtig als ein unerschrockenes Herz. Die Schufte im Vorderraum dürfen nicht von dem Baum der Erkenntnis kosten, auf daß wir, die wir in den Kajüten sind, nicht sterben mögen.«

»Es ist doch ein gefahrvoller Dienst, den wir übernommen haben«, bemerkte Wilder, seinen geheimen Gedanken unwillkürlich freien Lauf gebend.

Der Rover schwieg. Lange ging er hin und her auf dem Deck, ehe er sprach, und als er es tat, war es mit einer Stimme, so einschmeichelnd weich und sanft, daß seine Worte mehr den ermahnenden Tönen eines besonnenen Freundes glichen, als der Sprache eines Mannes, der lange der Gefährte von Wesen war, so rauh und grundsatzlos wie die, von denen man ihn jetzt umgeben sah.

»Sie sind noch an der Türschwelle Ihres Lebens, Herr Wilder; ganz liegt es vor Ihnen und ladet Sie ein, zu wählen, welchen Pfad Sie betreten wollen. Noch sind Sie von keinem Auftritte Zeuge gewesen, der eine Verletzung dessen genannt werden könnte, was die Welt ihre Gesetze nennt; und es ist noch nicht zu spät zu sagen, daß Sie es nie sein werden. Mich hat vielleicht bei meinem Wunsche, Sie zu gewinnen, die Selbstsucht regiert; doch stellen Sie mich auf die Probe, Sie werden finden, daß diese Leidenschaft zwar oft tätig, aber nie in meinem Geiste herrschend wird, noch werden kann. Sie dürfen nur Ihren Wunsch, frei zu sein, ausdrücken, und Sie sind es; leicht lassen sich die geringen Spuren, daß Sie zu meiner Mannschaft je gehört haben, vertilgen. Sehen Sie den blassen Lichtstreifen dort, unweit davon ist Land; ehe noch die morgende Sonne untergeht, können Sie es betreten.«

»Ach, warum nicht auch Sie? Ist dies regellose Treiben für mich ein Übel, so ist es nicht minder eines für Sie. Dürfte ich der Hoffnung …«

Er stockte. Der Rover schwieg lange, so daß er sich überzeugen konnte, sein Gefährte nehme Anstand, fortzufahren; endlich fragte er ruhig:

»Was wollten Sie sagen? Sprechen Sie frei, Sie reden mit einem Freunde.«

»So will ich mich Ihnen denn wie einem Busenfreunde eröffnen. Sie sagen, das Land sei dort im Westen nahe. Beide zur See erzogen, würde es Ihnen und mir ein leichtes sein, dies Boot ins Wasser zu lassen und, indem wir uns die Dunkelheit zunutze machten, wären wir, lange ehe unsere Abwesenheit kund würde, den Augen der uns Suchenden entschwunden.«

»Nach welcher Gegend möchten Sie zusteuern?«

»Nach den Küsten Amerikas, wo Obdach und Friede in tausend verborgenen Orten zu finden sind.«

»Können Sie wollen, daß ein Mann, der solange als Fürst unter seinen Leuten lebte, Bettler in einem Lande von Fremdlingen werde?«

»Sie haben ja Gold. Sind wir nicht die Herren hier? Wer mag es wagen, unser Tun auch nur mit einem beobachtenden Auge zu verfolgen, bis es uns gefällt, von selbst die Autorität, womit wir bekleidet sind, von uns abzuwerfen? Noch ehe die Mitternachtswache abgelöst ist, könnte alles geschehen sein.«

» Allein? Wünschen Sie, daß wir allein gehen?«

»Nein … nicht ganz … das heißt … es würde uns, als Männern, kaum ziemen, die Damen der rohen Macht derer preiszugeben, die wir hier zurücklassen.«

»Und würde es uns, als Männern, ziemen, die ihrem Schicksale preiszugeben, die in unsere Treue ihre Zuversicht setzen? Herr Wilder, Ihr Plan würde mich zu einem Niederträchtigen machen! Gesetzlos, in der Meinung der Welt wenigstens, bin ich schon lange; aber ein Verräter an meiner Treue und meinem gegebenen Worte war ich nie! Wohl wird einst die Stunde schlagen, wo die Menschen, deren ganze Welt jetzt von diesem Schiffe umschlossen ist, auseinandergehen; allein die Trennung muß offen, freiwillig, manneswürdig sein. – Haben Sie nie erfahren, was mich damals, als wir uns im Leben das erstemal in der Stadt Boston trafen, nach dem Aufenthalt der Menschen hinzog?«

»Nie«, erwiderte Wilder in dem wehmütigen Tone gänzlich getäuschter Hoffnung.

»So hören Sie. Ein handfester Kerl von meinen Leuten war von den Handlangern des Gesetzes erwischt worden. Gerettet sollte und mußte er werden. Es war ein Mann, den ich nicht besonders liebte, allein er war zu jeder Zeit ehrlich, nach seinen Begriffen von Ehrlichkeit. Ich konnte das Opfer nicht verlassen, und doch war außer mir keiner imstande, seine Rettung zu bewirken. Dem Golde und der List blieb der Sieg; und nun erfüllt der Kerl hier am Bord die Ohren der Mannschaft mir Gesängen, Psalmen und Hymnen zum Lobe und Preise seines Kommandeurs. Soll ich mir nun den Verlust eines mit so vielem Wagnis errungenen guten Namens zuziehen?«

»Sie würden die gute Meinung von Spitzbuben verlieren, und dafür den Gewinn eines guten Rufes bei Menschen eintauschen, deren Lob eine Ehre ist.«

»Das weiß ich nicht. Sie verstehen sich wenig auf die Menschennatur, wenn Sie jetzt erst lernen müssen, daß, wer sich einmal Berühmtheit erworben hat, sei’s auch durch lasterhafte Taten, seinen Stolz darein setzt, den so erworbenen Ruf aufrecht zu halten. Übrigens passe ich nicht zu der Welt, wie sie zwischen unterjochten Kolonisten gestaltet ist.«

»Sie sind vielleicht stolz auf Ihre Geburt im Mutterlande?«

»Ich bin nur ein armer Teufel aus der Provinz, Sir! Ein demütiger Satellit der mächtigen Sonne. Sie haben meine Flaggen gesehen, Herr Wilder: – eine einzige fehlte darunter; ach, diese eine, existierte sie, so wäre es mein Stolz, mein Ruhm gewesen, sie mit meinem besten Herzblute zu verteidigen.«

»Ich kann Ihren Sinn nicht erraten.«

»Ich darf einem Seemann wie Ihnen, nicht erst sagen, wieviel herrliche Ströme längs der Küste, von der wir gesprochen haben, ihre Gewässer der See entgegenführen – wieviel weite und bequeme Hafen sie besitzt – oder wieviel Segel den Ozean beglänzen, bemannt von Leuten, die das Licht der Welt zuerst in jenem geräumigen und friedlichen Lande erblickten.«

»Wohl kenne ich die Vorzüge meines Heimatlandes.«

»Ich fürchte, nein!« erwiderte hastig der Freibeuter. »Kennten Sie und andere, die Ihnen gleichen, jene Vorzüge, wie Sie es sollten, so würde die Flagge, die ich meine, bald auf jedem Meere anzutreffen sein, und unsere Landsleute nicht den Mietlingen eines ausländischen Fürsten unterliegen dürfen.«

»Ich will mich nicht stellen, als verstände ich Sie nicht; denn ich kenne mehrere Enthusiasten, die wie Sie der Schimäre nachhangen, daß ein solches Ereignis möglich wäre.«

»Möglich! So gewiß, als sich jener Stern dort in den Ozean senkt, so gewiß der Tag auf die Nacht folgt, es ist notwendig. O, hätte jene Flagge geweht, Herr Wilder, kein Mensch würde je den Namen des roten Freibeuters gehört haben.«

»Der König hat ja auch eine Flotte, und der Dienst darin steht jedem seiner Untertanen gleich offen.«

»Ja, ich konnte der Untertan eines Königs sein; aber Untertan eines Untertans, Wilder, das geht über die Grenzen meiner armen Geduld. Ich bin in einem seiner Schiffe erzogen, ich darf fast sagen, geboren; wie oft mußte ich mit blutendem Herzen fühlen, daß ein Ozean mein Geburtsland vom Schemel seines Thrones trennt! Werden Sie es glauben, Sir, einer seiner Kommandeurs wagte es, den Namen meines Vaterlandes mit einem Titel zu verbinden, den ich nicht wiederholen mag, um Ihr Ohr nicht zu verletzen!«

»Ich hoffe, Sie lehrten den Schurken Lebensart.«

Der Rover blickte seinen Gefährten starr an, ein fürchterliches Lächeln durchzuckte seine sprechenden Züge, als er antwortete:

»Nie wiederholte er die Beleidigung! Es galt sein Blut oder meins; er hat seine Roheit teuer bezahlt.«

»Ihr fochtet wie Männer, und das Glück war dem beleidigten Teile günstig, nicht wahr?«

»Wir fochten, Sir. – Allein ich hatte mich erkühnt, die Hand gegen einen Eingeborenen der heiligen Insel zu erheben! – Es ist genug, Herr Wilder; der König brachte einen treuen Untertan zur Verzweiflung, und er hat vielleicht Ursache gehabt, es zu bereuen. Genug für jetzt; ein anderes Mal vielleicht mehr. Gute Nacht!«

Wilder sah seinen Kommandeur die Leiter hinabsteigen zur Schanze; und nun war er allein, und konnte seinen Gedanken während einer Wache, die seiner Ungeduld endlos vorkam, freien Lauf lassen.