Kapitel 28

 

28

 

Margaret ahnte, daß Danton nach dem Telephongespräch selbst kommen würde, und war nicht überrascht, als sie klingeln hörte. Sie ging auf den Treppenabsatz und rief dem Diener, der nach der Tür eilte, zu:

 

»Wenn es Mr. Danton Morell ist, führen Sie ihn, bitte, herauf.«

 

Das erste, was ihr an Danty auffiel, war eine gewisse Unordentlichkeit in seinem Äußeren, die sie sonst nie an ihm bemerkt hatte. Gewöhnlich war er ein peinlich sorgfältiger Mann; jedes Haar lag glatt auf seinem Kopfe; seine Anzüge waren stets fleckenlos. Aber jetzt war sein Haar nicht gebürstet, Rock und Beinkleid waren verschieden, alles erweckte den Eindruck, als ob er sich in großer Eile angezogen hätte.

 

Sie fühlte die Feindseligkeit und die veränderte Haltung ihr gegenüber im Augenblick seines Eintretens.

 

»Margaret, es tut mir leid, daß ich eine unangenehme Pflicht erfüllen muß«, sagte er hastig. »Es betrifft Ihren Gatten; er muß wahnsinnig geworden sein und scheint sich recht in die Patsche gebracht zu haben. Was auf der Welt hat ihn dazu veranlaßt?«

 

»Wozu?« fragte sie harmlos.

 

Er lächelte.

 

»Es hat keinen Zweck, mir vorzumachen, Sie wüßten es nicht, meine Liebe. Luke hat sich mit einer Gaunerbande eingelassen. Ich weiß nicht, was ihn dazu bewog oder wer das Weib ist, die dazwischen steckt.« Er fügte das mit aller Absicht hinzu und war enttäuscht, als sie lächelte.

 

»Sie denken immer an Frauen, Danton. Vielleicht war es dieselbe Dame, die Sie in Paris entdeckten? Entsinnen Sie sich, Ihr Diener telegraphierte mir doch darüber!«

 

»Ich schwöre Ihnen …« begann er, aber sie wehrte ab.

 

»Es lohnt nicht, darüber zu streiten. Was wollen Sie jetzt noch?«

 

Danton zuckte mit den Schultern.

 

»Gut, da ist ein Mann namens Connor, der sehr beleidigt zu sein scheint, daß Sie heute abend die Verabredung, die Sie mit ihm hatten, nicht eingehalten haben. Er sagt, Sie hätten ihm tausend Pfund versprochen –«

 

»Ich habe nichts versprochen, und es würde mir nicht im Traume einfallen, ihm tausend Pfund zu geben«, sagte Margaret und fügte zu: »Auch Ihnen nicht.«

 

Sie sah, wie er zusammenzuckte. Bis dahin hatte sie nicht gewußt, welche große Rolle das Geld in Danton Morells Leben spielte.

 

»Es hat keinen Sinn, sich aufzuregen«, sagte er. »Es würde Ihnen und Luke nur schaden, wenn Sie sich mit Connor verfeinden. Er ist einer der mächtigsten Bandenführer in London, und unglücklicherweise weiß er, daß Luke der Mann war, der neulich den Diebstahl bei Taffanny ausführte. Was wollen Sie nun machen?«

 

»Ich weiß es noch nicht«, sagte sie.

 

»Connor braucht Geld – einige tausend Pfund. Es liegt mir natürlich daran, Ihnen die Schande zu ersparen, und da der Mann zu mir kam, mich um Rat fragte, hielt ich es für das beste, als Vermittler hierherzukommen. Sie haben dem Unrechten Geld gegeben, Margaret. Haynes kann Ihnen nicht helfen – übrigens glauben Sie doch nicht etwa, daß Luke das Geld bekommt, das Sie ihm für ihn mitgegeben haben?«

 

Als sie nicht antwortete, fuhr er fort:

 

»Ich habe gar nichts damit zu tun, und wenn es Ihnen Spaß macht, sich mit Connor zu verfeinden, so ist das ganz und gar Ihre Sache. Aber – –«

 

Sie unterbrach ihn.

 

»Bilden Sie sich ein, ich würde mir zweitausend Pfund von Ihrem Freunde erpressen lassen?«

 

»Er ist nicht mein Freund«, beteuerte Danty, »und von Erpressung kann überhaupt keine Rede sein. Wie es scheint, hat sich Luke das Geld von Connor geborgt.«

 

Sie lachte leise und sah ihn belustigt an.

 

»Wie wenig überzeugend Sie sein können, Mr. Morell! Schön, ich sage Ihnen hiermit, daß ich weder Ihnen noch Mr. Connor auch nur einen Schilling geben werde. Wir können uns alle unnützen Auseinandersetzungen darüber ersparen.«

 

»Den Rat gab wohl Haynes, nicht zu zahlen, he?«

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Nein«, sagte sie ruhig, »Inspektor Bird. Nachdem Sie telephoniert hatten, sprach ich mit ihm und stellte ihm einen angenommenen Fall vor – er wird herkommen.«

 

Im selben Augenblick klingelte es scharf an der Haustür.

 

»Ich glaube, das ist er«, sagte sie und empfand es wie eine Genugtuung, daß Danton Morell auffallend erblaßte.

 

»Sie werden ihm doch nichts sagen?« fragte er unruhig. »Ich meine, daß ich das Geld verlangt habe – wegen Connor? Es wird alles ‚rauskommen – Sie werden sehen – über Luke, meine ich. Sein Name wird als Genosse von Mördern und als Juwelendieb in ganz London breitgetreten werden.«

 

Er sprudelte eine Menge Unzusammenhängendes hervor, während sie schon das Zimmer verließ, um den Spatz zu begrüßen.

 

In den ersten Tagesstunden war Mr. Bird immer in der fröhlichsten Laune. Er war in Scotland Yard gewesen, als Margaret ihn anrief, und war keineswegs überrascht, als er beim Eintreten in das Wohnzimmer Danton Morell verwirrt und schuldbewußt vor dem kleinen Feuer stehen sah, das im Kamin brannte.

 

»Schön, schön, es ereignen sich immer noch Wunder. Ich war seit Jahren nicht in einer Gesellschaft! Daß ich Sie hier treffe, Danty!« Er kicherte.

 

Seine Augen beobachteten Margaret.

 

»Wenn Sie glauben, ich werde Sie tadeln, daß Sie mit schlechter Gesellschaft verkehren, so irren Sie sich, Mrs. Maddison. Ich weiß, Sie sind eine der ersten Damen der Gesellschaft und tun natürlich viel Gutes in Verbrecherkreisen. Was gibt’s, Danty? – – – Haben Sie Ihren Onkel verloren und möchten nun Fahrgeld haben, um aus London fortzukommen? – Was würden Sie tun, wenn jemand Geld von Ihnen verlangt, damit er den Mund hält? – Danty würde so etwas Niedriges gewiß nicht tun, nicht wahr, Danty? Er hat nie etwas verbrochen, außer … jetzt ist er gebessert. Das Stehlen hat er aufgegeben und ist zur Fondsbörse übergegangen.«

 

»Ich bin nicht an der Fondsbörse«, ließ sich Danty zu einer Antwort reizen.

 

»Ich dachte, Sie wären heute eingetreten«, sagte der Spatz freundlich. »Ich sah Fahnen in der City. Vielleicht hat auch der König von Belutschistan das Bürgerrecht erworben!«

 

Er blickte Margaret fragend an und las die Antwort in ihren Augen.

 

»Gut, Danty, wir wollen Sie nicht länger aufhalten. Mrs. Maddison und ich haben einige Gedanken über Erpressung auszutauschen. Wie geht es Connor?«

 

»Ich habe Connor seit Monaten nicht gesehen«, sagte Danton heiser.

 

Der Geheimpolizist rieb sich sein dickes Kinn.

 

»Das ist komisch. Ich glaubte, er hätte Sie heute nacht in Ihrem Hause aufgesucht und wartet dort noch aus Ihr Zurückkommen. Werde alt, vermute ich – man bekommt solche Sinnestäuschungen in meinem Alter –, ich bilde mir oft ein, Gauner zu sehen, wenn es nur Börsenmakler sind, oder nicht einmal das.«

 

Mit sehr unangenehmen Gefühlen stieg Danty Morell die Treppe hinunter, mehr geängstigt als verärgert. Es war keine Droschke in Sicht, aber einige Häuser entfernt hielt nahe am Fußsteig ein Wagen, der verdächtige Ähnlichkeit mit einem Polizeiauto hatte. Er eilte daran vorbei und war froh, als er um die Ecke biegen und aus dem blendenden Licht der Wagenlampen herauskommen konnte.

 

Connor saß mit Pi Coles beim Kartenspiel, als er nach Haus kam.

 

»Nun, hatten Sie Glück?«

 

Für Dantys Geschmack war dieser Mensch zu zuversichtlich; ihm wäre ein zweifelnder und hoffnungsloser Ton in seiner Frage lieber gewesen.

 

»Ich habe kein Geld bekommen, wenn Sie das meinen. Der Spatz war dort.«

 

Connor fuhr hoch, seine zusammengekniffenen Augen hefteten sich aus seinen Verbündeten.

 

»Das klingt mir wie eine verdammte Lüge«, sagte er, aber Danty fühlte sich nicht beleidigt.

 

»Er war noch nicht da, als ich hinkam, aber ich hatte kaum angefangen zu reden, da erschien er. Sie hatte nach ihm geschickt.«

 

Jetzt war Connor überzeugt. Seine Lippen spitzten sich, als wenn er eine unhörbare Melodie pfiffe.

 

»Wurde mein Name dabei genannt?« fragte er nach einigem Überlegen.

 

»Ja, der Spatz nannte ihn. Er sagte, er wüßte, daß Sie in meiner Wohnung wären und auf mich warteten.«

 

Connor legte sich nachdenklich und stirnrunzelnd im Stuhl zurück.

 

»Ich glaube, das ist auch Schwindel«, sagte er mehr zu sich selbst. »Vielleicht? – er geht mir seit einer Woche nach – nicht er selbst, aber einer von seinen Bluthunden. Hat sie geschwatzt?«

 

Danty antwortete erst, als er seinen Rock aufgehängt hakte.

 

»Das tat sie nicht und wird es auch nicht tun. Ich kenne sie! Sie hat einen Vogel und bildet sich ein, sie hätte ihren Mann schlecht behandelt, und sie wird ihn zu retten versuchen, ohne die Polizei in Anspruch zu nehmen.«

 

Connor nahm eine Zigarre aus der Tasche, biß die Spitze ab und zündete sie an. Er paffte bedächtig und starrte auf die Decke; nach einer Weile sagte er:

 

»Da mache ich nicht mit. Ich will nichts mit einer Frau zu tun haben, die so schlau ist, die Polizei zu rufen. Manchen Sie’s nur weiter, Danty, und geben Sie mir meinen Anteil. Fünfundzwanzig Prozent ist ganz schön, damit bin ich zufrieden!«

 

Danty starrte ihn an.

 

»Ich mache die Arbeit, und Sie wollen den Nutzen davon haben, he? Meinen Sie es so? Wann haben wir denn diese Gesellschaft gegründet?«

 

Connor hatte ein breites Lächeln.

 

»Ich habe das Geschäft eingeleitet; das ist meine Antwort! Ich kann mich nicht hineinmischen, weil mein Name jetzt bekannt ist und der Spatz dazwischen steckt. Sie verstehen mit diesen Leuten umzugehen und Sie sind gerieben genug, um sich nicht in Gefahr zu bringen.«

 

Er erhob sich, nahm Rock und Hut und wandte sich zur Tür. Auf der Schwelle blieb er stehen und blickte den anderen an.

 

»Fünfundzwanzig Prozent«, sagte er. »So und nicht anders, oder ich werde unangenehm!«

 

Danty folgte ihm auf den Vorplatz.

 

»Wo wohnt der Gunner?«

 

Connor schüttelte den Kopf.

 

»Ich werde es auskundschaften und Ihnen morgen früh Bescheid geben«, sagte er. »Er hat irgendwo eine versteckte Höhle.«

 

Danty ging zurück und schloß die Tür. Gewöhnlich besprach er seine Angelegenheiten nicht mit Pi Coles, aber der kleine Mann war schlau und verständnisvoll. Er hatte alles mögliche betrieben, vom Diebstahl bis zum schweren Verbrechen, und hatte eine überraschend gute Bildung. Er war einer von den seltenen Leuten, die ihren häufigen Aufenthalt im Gefängnis zum Lesen und Studieren ausgenutzt hatten; denn obgleich er den gewöhnlichsten Dialekt sprach und sein Englisch ganz minderwertig war, konnte er fließend Französisch und Spanisch – seine Kenntnisse waren vorteilhaft für ihn gewesen, als er ein Jahr in einem französischen Gefängnisse abzusitzen hatte.

 

Zum ersten Male ließ Danty ihn in seine Karten blicken. Vorher war er nie mitteilsam über Luke Maddison und dessen Frau gewesen, aber jetzt ging er aus sich heraus. Pi Coles hörte aufmerksam zu, und als Danton Gunner Haynes erwähnte, schüttelte er den Kopf.

 

»Ich würde ihm aus dem Wege gehen, wenn ich du wäre«, sagte er. »Hast du ganz vergessen, was damals geschehen ist?« Er nickte bedeutungsvoll.

 

Danton hatte nichts vergessen, aber er bildete sich ein, die Verbrechernatur genau zu kennen. Solche Männer wie Gunner Haynes verzeihen, selbst wenn man ihnen ihre Frauen stiehlt. Haynes mit seiner philosophischen Anschauung trug ihm diesen kleinen Zwischenfall wahrscheinlich nicht nach. Außerdem, das Mädchen war tot und konnte die Geschichte nicht verraten, die des Gunners Rache heraufbeschworen hätte.

 

Wußte er denn gar nichts von ihm – etwas, wodurch er ihn in seine Gewalt bringen könnte, irgendein altes Verbrechen, an dem sie beide beteiligt waren?

 

Danty war ein Kleinigkeitskrämer; er sammelte viel unnützes Zeug. In seinem Schlafzimmer befand sich ein Sicherheitsschrank, in dem er seine kostbarsten Andenken aufbewahrte. Briefe, mit Schuhbändern zusammengebunden; alte Zeitungsausschnitte, die sich auf seine Heldentaten bezogen; und in einer Schreibmappe ein kleiner Papierzettel mit einer kritzligen Handschrift, den er besser vernichtet hätte, als er in seine Hände kam. Doch er verbrannte nicht gern etwas, sonst wären jene tollen Briefe längst Asche, jene Briefe von dem Mädchen, dessen Herz er gebrochen hatte.

 

Er fand gewisse Andenken, Briefe von dem Gunner aus den Tagen, als sie Genossen waren, aber nichts, was ihn belastet hätte, nichts, was er jetzt gebrauchen könnte. Er schlug den Schrank zu und verschloß ihn. Dann ging er zu Pi zurück, der indessen einen nagelneuen Gedanken ausgebrütet hatte.

 

»Du kannst den Gunner aus dem Spiele lassen«, sagte er. »Angenommen, Maddison steckt bei Haynes, was hindert dich denn, an Maddison heranzukommen – über Haynes hinweg? Und was kann dir seine Frau noch nutzen? Du brauchst Maddison nur mit einem Scheckbuche nach dem Kontinent zu befördern, dann bist du für dein ganzes Leben versorgt.«

 

Danty hörte stirnrunzelnd zu. Diese Möglichkeit war ihm nicht eingefallen. Er legte sich gegen drei Uhr morgens zu Bett, aber erst gegen sieben schlief er ein. Als er am Mittag aufwachte, hatte Connor durch einen Boten einen Brief geschickt. Nach Connors Gewohnheit stand keine Adresse darauf. Danty riß den Umschlag auf und nahm einen Zettel heraus, der aus einem billigen Notizbuchs stammte, und las:

 

»L. M. wohnt bei G. H. 974 Pennybody Gebäude, Clerkenwell.«

 

Kapitel 29

 

29

 

Margaret erwachte an diesem Morgen mit einem festen Entschluß. In ihrer Unterhaltung mit dem Detektiv war sie schlecht davongekommen. Er war ein zu schlauer Mensch, zu erfahren in den Schlichen und Ausflüchten der Verbrecherwelt, um sich von ihr täuschen zu lassen. In diesem Fall, der sie so sehr nahe berührte, enthüllte er mit beunruhigender Klarheit die Gestalt und die Taten Lukes. Er sagte es nicht; er brachte den vermißten Bankier nicht einmal mit dem Taffanny-Diebstahl in Verbindung. Alles, was er zu wissen durchblicken ließ, war, daß Luke Maddison Torheiten begangen, daß jemand dies herausbekommen hakte und nun Erpressungen an seiner Frau versuchte; aber zu fragen, worin diese Torheiten bestanden, schien er für taktlos zu halten.

 

Als sich Margaret in die Enge getrieben und die Dinge, die sie verheimlichen wollte, ans Licht gezogen sah, war sie aus reiner Verzweiflung gezwungen, von einer Frau in Verbindung mit Luke zu sprechen, obgleich sie sich selbst deswegen verachtete. Sie sprach leichthin von einer früheren Liebschaft, aber da sie nicht zu lügen verstand, überzeugte sie nicht. Daß sie nicht die Wahrheit sagte, ersparte ihr in der Tat weiteres Ausgefragtwerden. Der Spatz kam zu einer falschen Schlußfolgerung.

 

»Ich kann Ihnen nur eines sagen, Mrs. Maddison; was auch geschehen mag, geben Sie kein Geld heraus. Wenn Danty oder Connor oder sonst jemand etwas von Ihnen erpressen will, brauchen Sie mich nur anzurufen; ich werde dem ein Ende machen.«

 

Er ging mit der bestimmten Überzeugung, daß sie seinem Rate folgen würde.

 

An diesem Abend mußte sie sich zwingen, zu Bett zu gehen und zu schlafen. Sie hatte einen schweren Tag vor sich und keinen festen Plan gefaßt. Der Gunner hatte ihr nichts gesagt, nur daß er mit Luke in Verbindung stand. Hatte er ihr gesagt, daß er ihn aus England herauszubringen versuchte? Wenn das vielleicht auch nicht seine Worte waren, so hatte sie ihn doch so verstanden.

 

Luke würde nach Ronda gehen, wohin sein Scheckbuch geschickt worden war. Sie müßte ihm folgen, ihn womöglich begleiten. Sie ging am frühen Morgen zur Bank, um Steele zu sprechen und fand ihn in rosiger Stimmung. Zwei oder drei Unternehmungen, an denen die Bank beteiligt war, hatten glänzende Erfolge.

 

»Die eine Sache hakte ich schon unter Verlustkonto gebucht, und sie scheint jetzt achtzehntausend im Jahr einzubringen«, er jubelte fast. »Ich möchte, daß Sie Mr. Maddison das mitteilen, er wird entzückt sein. Ich hätte es ihm nach Spanien gedrahtet, aber ich weiß seine Adresse nicht.«

 

Dann kam es ihm zum Bewußtsein, daß ihr Erscheinen zu so früher Stunde etwas ungewöhnlich war.

 

»Wünschen Sie etwas, Mrs. Maddison?«

 

»Ich möchte das Privatkonto meines Mannes sehen. Sie hatten es auf die Bank übertragen.«

 

Er führte sie in sein Privatzimmer und holte ihr das Bankbuch. Sie fuhr mit ihrem Finger die Reihen entlang. Die letzte Auszahlung war wenige Tage vor seiner Hochzeit erfolgt.

 

»Seitdem«, sagte Steele, »ist kein Scheck gekommen. Ich hatte einige erwartet. Mr. Maddison ist manchmal ziemlich verschwenderisch, und ich bin erstaunt, daß er noch keinen Scheck ausgestellt hat; er hak ja sein spanisches Konto, aber ich denke, das wird er auch erhöhen wollen.«

 

»Darum bin ich zu Ihnen gekommen, Mr. Steele«, sagte sie. »Ich muß Sie ersuchen, keinen Scheck meines Mannes, der über mehr als tausend Pfund lautet, auszuzahlen.«

 

Steele starrte sie über seine Brillengläser an. Das war der Entschluß, den sie in der Nacht gefaßt hatte. Sie hatte jede Möglichkeit Schritt für Schritt überlegt und die Wahrscheinlichkeit vorausgesehen, daß die Erpresser ihre Aufmerksamkeit von ihr auf Luke richten würden. Jetzt war Luke in Sicherheit, unter dem Schutze des Gunners; doch könnte nicht etwas geschehen, das ihn von diesem wachsamen, vorsichtigen Manne trennte?

 

Ohne sich den Grund erklären zu können, vertraute sie dem Gunner unbedingt und war überzeugt, daß er Luke kein Leid antun würde, wie auch sein Ruf immer sein mochte.

 

»Das ist eine ganz merkwürdige Forderung, Mrs. Maddison«, sagte Steele in Verlegenheit. »Es ist leicht möglich, daß Mr. Maddison einen großen Kauf abschließen möchte – als er das letztemal in Spanien war, kaufte er einige Besitzungen in Sevilla, die im ersten Jahre einen Vorteil von fünfzig Prozent brachten.«

 

Sie nickte.

 

»Ich weiß es, aber dennoch stelle ich die Forderung – in seinem Namen.«

 

»Gut, Mrs. Maddison.«

 

Steele kritzelte ein paar Worte auf einen Zettel und steckte ihn an das Hauptbuch, das er hereingebracht hatte.

 

»Ich weiß nicht, was Sie vorhaben, aber ich hatte verstanden, daß Sie das ganze Vermögen wieder in die Hände Mr. Maddisons gelegt …«

 

»Darum handelt es sich nicht«, erklärte sie hastig. »Es ist aber leicht möglich, daß …«

 

Doch jetzt kam sie in Verlegenheit; sie konnte keine Erklärung geben, die ein kluger Mann gelten lassen würde, oder sie müßte die ganze Geschichte offenbaren.

 

Ihr Wagen parkte auf dem Waterloo Place, und sie wartete, bis ihn der Bote heranholte. Als sie den Kopf wandte, sah sie einen Mann an der Ecke stehen, der in seiner Haltung etwas ihr Bekanntes hatte. Er stand noch da, als der Wagen kam. Beim Vorüberfahren sah sie sein Gesicht und klopfte an das Fenster. Auch er sah sie – und diesmal verlor Gunner Haynes seine Kaltblütigkeit. Man sah ihm die Bestürzung an, als der Wagen mit einem Ruck anhielt, und sie ihm zuwinkte. Widerstrebend kam er zu ihr heran.

 

»Wollen Sie, bitte, mitfahren!« sagte sie etwas beklommen. »Ich möchte ein paar Fragen an Sie richten.«

 

Er zögerte.

 

»Es ist für Sie nicht gut, Mrs. Maddison, mit mir gesehen zu werden.«

 

»Steigen Sie ein«, sagte sie befehlend, und er gehorchte wortlos und setzte sich neben sie.

 

Durch das Sprachrohr gab sie dem Wagenführer einen Befehl.

 

Dann sagte sie: »Ich muß meinen Mann sehen!«

 

Der Gunner schüttelte den Kopf.

 

»Ich kann mir nicht denken, daß es von Nutzen für Sie wäre. Es haben ihn schon zu viele Leute gesehen.«

 

»Wie meinen Sie das?« fragte sie und sah einen harten Ausdruck in Haynes‘ Gesicht erscheinen«

 

»Ich wollte ihn heute mit dem Frühzuge fortbringen. Da waren zwei von Connors Leuten auf dem Bahnhof. Ich weiß nicht wie, aber sie hatten ein paar Geheimpolizisten überredet, die Schranken zu bewachen, und so wagte ich es nicht. Ich versuchte es um elf noch einmal, aber ich hatte auch nicht mehr Glück. Natürlich vermutete Connor, als ich den Paß holte, was ich vorhatte.«

 

»Als Sie den Paß holten?« fragte sie erstaunt. »Wann war denn das?«

 

Gunner vermied, auf diese Frage zu antworten.

 

»Ihr Mann fällt mir allmählich auf die Nerven und hindert mich bei meinen ungesetzlichen Gelegenheitsarbeiten.« Bei diesen Worten kam ein schwaches Lächeln in seine Augen.

 

»Warteten Sie an der Bank auf mich?«

 

Er lächelte wieder.

 

»Ich wußte wirklich nicht, Mrs. Maddison, daß Sie dort waren, und ich wußte auch nicht, daß ich in der Nähe der Bank war. Die Wahrheit ist –« seine Verlegenheit wurde noch größer – »daß eine junge Dame in diese Gegend kommt, mit der ich manchmal Tee trinken gehe. Ich glaube, sie interessiert sich für mich in meiner Eigenschaft als Verbrecher und als Quelle für schriftstellerischen Stoff.« Er zog eine Grimasse und lachte dabei. »Aber ich bin sehr dankbar für die Gelegenheit, mit einem anständigen Mädchen zusammen sein zu können. Sie schreibt für Zeitungen und ist in Westend tätig.«

 

Margaret lachte leise. Es war das erstemal seit langer Zeit, daß sie wieder lachte.

 

»Armer Mr. Haynes, es tut mir leid, daß ich Sie um dies Vergnügen gebracht habe.«

 

Er schüttelte den Kopf.

 

»Nein, sie konnte nicht mehr kommen, es war zu spät. Und natürlich kann es immer möglich sein, daß der dicke Spatz bei ihr ist.«

 

»Sie sprechen von Mr. Bird, und der Name des Mädchens ist Bolford.«

 

Er stutzte.

 

»Wußten Sie das?« stammelte er. »Ach natürlich, sie war ja bei Ihnen. Sie hat es mir erzählt. Nein, Mrs. Maddison, es ist nichts Romantisches daran, nur – verständnisvolle Freundschaft. Ich bin für kleine Gaben sehr dankbar.«

 

»Sind Sie verheiratet?« fragte sie.

 

»Ich war es«, sagte er so kurz, so daß sie nicht weiter zu fragen wagte.

 

»Kann ich meinen Mann sehen? Ich müßte ihn doch sprechen, meinen Sie nicht auch?«

 

Er sah sie eigenartig an.

 

»Haben Sie nicht an die Möglichkeit gedacht, daß er Sie vielleicht nicht sehen will?« fragte er derb und sah, wie das Blut in ihre Wangen stieg.

 

»Ich – ich habe mich mit Absicht gegen diese Möglichkeit blind gestellt«, sagte sie.

 

»Aber er ist in Schwierigkeiten, und der Platz einer Frau sollte an der Seite ihres Mannes sein?« spottete er, und in dieser Minute haßte sie ihn.

 

Doch sie überwand ihren Ärger.

 

»Ja, wir wollen so sagen. Es klingt sehr abgedroschen, aber die meisten abgedroschenen Dinge sind wahr.«

 

Gunner schwieg eine ganze Weile, dann seufzte er.

 

»Ich habe das Gefühl, daß alles verkehrt ist, was ich tue, und daß ich zulassen sollte, daß Sie ihm helfen. Aber, Mrs. Maddison, es wird große Schwierigkeiten machen, Ihren Gatten aus England herauszubekommen. Sie sind im Begriff, ›Flugzeug‹ zu sagen – Ich sehe es Ihren Augen an – aber ich möchte wetten, daß Connor auch in Croyden seine Leute hat. Das einzigste wäre, ihn im Auto in ein Seebad zu schmuggeln, eine Jacht zu mieten und ihn von dort über den Kanal zu bringen. Es wird nicht leicht sein, besonders, da er nicht erpicht darauf ist, sich von Ihnen helfen zu lassen.«

 

Sie sann darüber nach, während der Wagen langsam durch den Park fuhr.

 

»Ich will die Gefahr einer Abweisung auf mich nehmen«, sagte sie, »wenn Sie die Gefahr, ihn zu beleidigen, auf sich nehmen. Wollen Sie mir helfen, ihn zu sehen?«

 

Haynes nickte.

 

»Ja, Mrs. Maddison, aber Sie dürfen nicht in diesem eleganten Wagen in meine Gegend kommen. Wir wollen halten und ein Taxi nehmen.«

 

So wurde es gemacht.

 

»Das einzigste, was mich beunruhigt, ist«, sagte er, während sie Piccadilly entlang fuhren, »ob Connor die Spur nach meinem Hause gefunden hat.«

 

»Sie fürchten, daß man Ihnen dahin folgt? Wußten die nicht, wo Sie wohnen?«

 

»Sie kennen viele Adressen von mir«, erklärte der Gunner verdrießlich, »aber diese nicht, wenigstens nicht bis heute morgen.«

 

Sie lohnten den Wagen zweihundert Meter vor dem Hause ab, in dem Haynes seine Wohnung hatte. Glücklicherweise waren wenig Leute auf der Straße, und sicher niemand, den das Erscheinen einer gutgekleideten Dame interessiert hätte. Sie mußten durch einen kleinen Torweg gehen, um den asphaltierten Hof des großen Gebäudes zu erreichen. Margaret bemerkte, daß der Gunner voller Unruhe zurückschallte.

 

»Man hat richtig meine Spur entdeckt?« sagte er mürrisch.

 

»Haben Sie das Auto draußen auf der Straße bemerkt? Der Mann am Steuer war einer von Connors Freunden. Sie werden ihn jetzt nicht mehr sehen – er ist fort. Connor benutzt eine Menge Motorwagen.«

 

Als er die paar Stufen zum Treppenabsatz hinaufstieg, an dem seine Wohnung lag, kam eine schlampige Frau aus der gegenüberliegenden Tür.

 

»Es war doch richtig, daß Ihr Schrank abgeholt wurde, Mr. … wie heißen Sie doch gleich?« sagte sie. Gunner drehte sich um.

 

»Mein Schrank abgeholt? Was meinen Sie?«

 

»Die Leute aus der Möbelhandlung kamen ungefähr vor einer Stunde – zwei Burschen in grünen Schürzen. Sie hatten den Schlüssel, darum dachte ich, es wäre in Ordnung.«

 

Gunner stellte keine weitere Frage. Er öffnete die Tür und lief in den Gang. Die Tür von Lukes Zimmer stand offen. Er sah die Unordnung und die blutbefleckten Tücher, und als er sich umwandte, blickte er in Margaret Maddisons weißes Gesicht.

 

»Ich bedauere, Ihr Gatte ist nicht da«, sagte er in so natürlichem Ton, daß sie sich täuschen ließ.

 

Er schloß die Tür hinter sich und führte sie in das kleine Wohnzimmer.

 

»Er wird erst spät zurückkommen; es hat keinen Zweck hierzubleiben.«

 

»Woher wissen Sie das?« fragte sie. »Warum waren Sie so erschrocken, als Ihnen gesagt wurde, daß der Schrank abgeholt sei?«

 

»Ein alter Schrank, den ich verkauft habe«, sagte der Gunner. »Warum soll man altes Zeug aufbewahren, das keinen Nutzen mehr für uns hat?«

 

Er plauderte munter mit ihr, ehe er sie fortbrachte und sie in einer anderen Droschke nach Hause fahren ließ. Sie ahnte nicht, daß er wußte, in dem Schranke war Luke Maddisons Körper. Ob er tot oder lebend war, das mußte er erst ausfindig machen. Nachdem Gunner Haynes die junge Frau verlassen hatte, ging er in sein Zimmer zurück, rollte den Teppich zusammen, nahm ein Dielenbrett hoch und langte einen Kasten hervor, der zwei kleine Brownings enthielt. Einen davon steckte er in eine besonders gearbeitete Tasche im Innern seines Rockes; der andere kam in einen kleinen Halfter, den er an seinem Gürtel festschnallte.

 

»Ich denke, diese Nacht wird es Arbeit geben«, sagte Gunner Haynes laut vor sich hin.

 

Kapitel 3

 

3

 

Zwei Tage hindurch lebte Margaret Leferre in einer Welt schrecklicher Unwirklichkeit. Merkwürdige Leute suchten sie auf: ein großer starker, dunkelgekleideter Mann, der in schwerfälliger Weise versuchte, einen Klang von merkwürdiger Sympathie in seine geschäftlichen Besprechungen zu bringen, ein Bankdirektor, der wild und unverständlich durcheinander sprach, bis glücklicherweise Danty erschien und ihn verschwinden ließ.

 

Eine einzige Tatsache stand Tag und Nacht in ihrem schmerzenden Gehirn: Rex war tot, hatte sich selbst das Leben genommen, und der Mann, den sie heiraten wollte, der Mann, der halb irre in seiner Angst um sie drei-, viermal am Tage vorsprach und nicht angenommen wurde, dieser Mann hatte den Tod ihres Bruders verursacht. Geld war sein Gott! Es war schwer, sich an diese unerwartete Seite seines Charakters zu gewöhnen, noch schwerer war es, diese gefühllose Brutalität zu verstehen, die eine junge Seele in die ewige Nacht wandern ließ.

 

Die Verlobung zwischen ihnen beiden war auf ganz natürliche Weise entstanden. Beide Familien waren seit Jahrzehnten miteinander bekannt. Sie hatte schon als Kind mit Luke Maddison gespielt. Es war zwischen ihnen kein plötzliches Zusammentreffen, keine Liebe auf den ersten Blick gewesen, und sie erinnerte sich nicht, ihn jemals nicht gern gehabt zu haben, war aber auch nicht imstande, Tag, Monat oder Jahr anzugeben, als Sympathie zur Liebe wurde.

 

Das war das wirkliche Unglück in ihrer Situation. Sie erinnerte sich nun an alles, was Rex von ihm gesagt hatte – er war »zugeknöpft« … Immer hatte sie gedacht, daß Luke großzügig wäre, von einer Großzügigkeit, die beinah an Dummheit grenzte. Aber hier wurden die nackten Tatsachen vor sie gelegt – Männer kannten ihn besser. Sie biß die Zähne zusammen und zwang sich zu einer Frage an Danty, der ihr in diesen furchtbaren Tagen merkwürdig nähergekommen war. Danty zuckte die Achseln.

 

»Ich befürchte, es ist wirklich so – Maddison denkt zuviel an sein Geld. Ich sah ihn kürzlich, und das einzige, was er von Rex erwähnte, war, daß es ein Glück wäre, Rex sei versichert gewesen.«

 

(Und hiermit sagte er die Wahrheit, denn Luke hatte die Versicherung als einen Schutz für das junge Mädchen erwähnt, das sonst auch noch für die Schulden ihres Bruders hätte einstehen müssen.) »In diesem Punkt ist er wie närrisch. Natürlich wird er Ihnen nicht in diesem Licht erscheinen; das Geld und Sie sind seine beiden Hauptleidenschaften.« Er sah, wie sie zusammenzuckte, und fuhr schnell fort: »Es ist furchtbar, so etwas zu sagen, aber es ist wahr – mit der Ausnahme vielleicht, daß ich im Augenblick nicht so sicher bin, ob Sie nicht jetzt an erster Stelle stehen.«

 

Es war nach dieser kurzen Unterredung, daß der Haß, den sie in sich gegen den Mann wachsen fühlte, dessen Namen sie tragen sollte, bestimmte Formen annahm. Sie konnte nicht wissen, wie sehr dieser beinahe wahnsinnige Haß durch die Intrigen ihres neuen Ratgebers geschürt wurde.

 

Danty war geschickt – teuflisch geschickt. Er dachte schnell, plante schnell und handelte ebenso schnell. Ein Gedanke war ihm in der Nacht von Rex‘ Tode gekommen. Im ersten Augenblick erschien er ihm allzu phantastisch, und er arbeitete seinen Plan nicht weiter aus, bevor er nicht bei Margaret vorsichtig sondiert hatte. Wenn sie Maddison liebte, wirklich liebte, würde sie seine Handlungen milder beurteilen. Sie würde, wenn auch halb widerwillig, durch das Urteil der Totenschaukommission befriedigt sein und den letzten Brief ihres Bruders in anderem Lichte betrachten. Das würde natürlich die noch halb fertigen Pläne Mr. Morells durchkreuzt haben. Aber er fand Margaret in einer Stimmung, ja sogar in dem Wunsche, das Schlimmste von ihrem Verlobten zu glauben, und so stand sein Plan fest.

 

»Geld ist sein Gott«, das war sein Text. Und er arbeitete diesen Text tagtäglich aus. Bearbeitete dies Thema eifriger, sprach überzeugender, als jemals in den Tagen, wo er von der Leichtgläubigkeit neugefundener Bekannter lebte. Alle seine professionellen Tricks, alle nur möglichen Überredungsmöglichkeiten, die oft wirksamer in indirekter Weise wirken, alle seine suggestiven Kräfte wandte er an.

 

»Jetzt im Augenblick ist er meiner Meinung nach so sehr darauf aus, Sie zu heiraten, daß er jeden Pfennig opfern würde. Ganz ehrlich gesagt, ich glaube, wenn Sie von ihm verlangten, Ihnen sein ganzes Vermögen zu verschreiben – und das könnte ja natürlich in Ihrem Heiratsvertrag geschehen – er würde die Unterschrift ohne jedes Zögern geben. Er würde es natürlich später bereuen, und ich glaube, schon während der Flitterwochen würde er versuchen, diese Überschreibung rückgängig zu machen. Ich habe oft darüber nachgedacht, was diese so überaus großzügigen Liebhaber wohl tun würden, wenn ihre Frauen sich einmal weigerten, ihren Wünschen nachzukommen…«

 

Sie starrte an ihm vorbei durch das Fenster hinaus. Sie war bildschön, nicht von jener etwas herausfordernden Schönheit von Millie Haynes, die im Asyl gestorben war, sondern von einer so feinen, sensitiven Schönheit, daß ihm der Atem stockte. Seine Augen wanderten über sie hinweg. Er kalkulierte mit der Strenge ihres Charakters und mit Luke Maddisons Schwäche, und in Luke lag sicher etwas von einem Schwächling, oder er müßte sich sehr irren – aber Mr. Danton Morell irrte sich selten in seiner Beurteilung eines Mannes.

 

»Es ist fast unmöglich«, sagte sie langsam. »Wenn ich glauben sollte …« Dantys Pläne standen jetzt unerschütterlich fest.

 

»Sie meinen, daß das Geld Maddisons Gott ist?« Sein Ton klang überrascht. Es kränkte ihn beinah, daß sie nicht dieselbe Meinung über ihren Verlobten hatte wie er selbst. »Du lieber Himmel! Ich könnte Ihnen Dutzende von Beispielen bringen …«, und er gab sie ihr. Wenn auch nicht ein Dutzend, so doch völlig genügend. Dantys erfinderischer Geist benötigte keinen besonderen Anreiz.

 

»Ich kenne einen Mann in Norfolk – übrigens einer der besten Freunde Maddisons – Maddison hatte einen Haufen Aktien einer Ölgesellschaft, deren Produktion fast auf Null gesunken war. Eines schönen Abends hatte er seinen Bekannten zum Essen eingeladen, und bevor noch die Nacht vorüber war, waren hunderttausend absolut wertlose Aktien in den Besitz des Mannes übergegangen, der ihm vertraute, wie … nun, wie Sie ihm trauen! Noch ein anderer Fall – und darüber sprach seinerzeit die ganze City – da war ein Mann, der…«

 

Auch diese zweite Lüge lief ihm ebenso glatt von den Lippen wie die erste. Es war alles sehr roh, was er vorbrachte, und hätte bei einem unbefangenen Zuhörer nur auf verächtlichen Unglauben stoßen können. Hätte er eine Woche früher derartiges versucht, wäre er sicher sofort vor die Tür gesetzt worden. Aber Rex lag in der kleinen Kammer der Leichenhalle, und ein Beamter der Kommission sammelte schon zwölf brave Leute zusammen, die ihr Urteil über einen Geisteszustand abgeben sollten, der die Veranlassung war, daß ein Revolver sich entlud und ein Leben abgeschlossen war.

 

Danty sah, wie die roten Lippen sich zusammenpreßten.

 

Er hatte einen Diener, der früher einer seiner Helfershelfer gewesen war. Pi Coles war Falschspieler, bis eine gerechte Vorsehung seinen Händen Rheumatismus schenkte. Er war ein ungewöhnlich kleiner Mann, kahlköpfig, mit einem Gesicht, in das Alter und Schmerzen ihre Zeichen gegraben hatten. Ihm vertraute Danty die meisten seiner Gedanken, ohne jedoch Namen zu erwähnen. Das tat er niemals.

 

»Es ist doch eigentlich komisch, Pi, wie die Dummköpfe auf irgendeine gute Geschichte hineinfallen. Erinnerst du dich noch, wie wir beide auf demselben Korridor im Strangeway-Gefängnis saßen? Kommt mir gar nicht so vor, als ob das acht Jahre zurückläge, und jetzt bin ich hier in der feinsten Gesellschaft und gebe Leuten Ratschläge, die Hunderttausende besitzen – Leute, die mit ganz feinen auf du und du stehen!«

 

»Und du bist immer Kavalier gewesen, Larry – solange ich dich kenne, hast du dich sogar immer fürs Abendessen umgezogen«, sagte Pi schmeichelnd.

 

»Nicht immer ›Larry‹, paß doch auf«, warnte Mr. Morell. Er saß in seinem behaglichen Zimmer und konnte darüber nachdenken, wie gnädig ihm das Schicksal gewesen war. Seine Lage war allerdings nicht ganz einzigartig – war denn nicht einmal ein berüchtigter Hochstapler der geehrte Gast einer fremden, hochstehenden Persönlichkeit gewesen und war nicht derselbe später an verschiedenen europäischen Höfen als der Freund Königlicher Hoheiten empfangen worden?

 

Es war am dritten Tage nach dem Drama. Die zwölf braven Leute, die die Leichenschaukommission bildeten, hatten sich am Nachmittag zusammengefunden. Es war nicht der glücklichste Tag in Dantys Leben. Am Abend vorher hatte er eine Nachricht von Luke Maddison erhalten, und der Ton dieser Mitteilung war eigenartig, beinahe unfreundlich; um was es sich handelte, wußte Danty nur zu gut. Nur hatte er gehofft, daß seine Anwesenheit in der Bank an einem gewissen Nachmittage von dem Kassierer nicht bemerkt worden war.

 

Das Büro Lukes lag in Pall Mall – kaum eine Gegend, die ein Mann, dessen Hauptbeschäftigung in Finanzsachen lag, gewählt haben würde; aber Maddisons Bank war schon seit mehr denn zweihundert Jahren die Besitzerin des Grundstücks, auf dem jetzt das moderne Gebäude stand, und der bescheidene Raum, dessen Fenster auf den Waterloo-Platz blickten, war bereits in den weit zurückliegenden Tagen das Zimmer des Inhabers gewesen.

 

Luke war schon seit acht Uhr, eine Stunde früher als das Personal, in seinem Büro, und hier fand ihn sein Prokurist. Er saß still vor dem Schreibtisch, den Kopf in die Hände gestützt, seine Privatbriefe lagen ungeöffnet vor ihm.

 

Maddison fuhr hoch, als sein Angestellter eintrat.

 

»Hallo!« sagte er halb verlegen. »Was gibt’s denn?«

 

Nach der Ansicht Mr. Steeles, dieses erfahrenen Geschäftsmannes, gab es sehr viel. Er legte ein kleines Paket Papiere auf den Tisch und berichtete in kurzen Worten über ihren Inhalt.

 

»Hier sind vier oder fünf Transaktionen, die heute abgeschlossen werden müßten, Mr. Maddison. Ich mache mir eigentlich etwas Sorgen. Die Gulanga-Öl-Abrechnuug muß erledigt werden. Wir haben hierbei einen großen Verlust erlitten.« Luke nickte ungeduldig.

 

»Erledigen Sie das«, sagte er, »ist keine Nachricht da von – von Miß Leferre?«

 

Eine törichte Frage, denn er hatte sein Privattelephon und wußte sehr gut, daß jede Nachricht, die von Margaret kam, sofort zu ihm durchgestellt werden würde.

 

Der Prokurist schüttelte sorgenvoll den Kopf.

 

»Eine sehr peinliche Sache, Sir; ich habe noch nicht mit Ihnen darüber gesprochen, weil ich mir denken kann, wie unangenehm Ihnen das sein muß. Northern & Southern waren heute morgen schon wieder am Apparat wegen des Schecks – Sie erinnern sich, daß sie gestern schon mal danach gefragt haben?«

 

»Ja, ja.« Lukes gewöhnlich so freundliche Stimme wurde barsch. »Sagen Sie ihnen, die Sache wäre in Ordnung.«

 

»Das habe ich gestern schon getan.« Mr. Steele hätte noch gern länger über diese Angelegenheit gesprochen, trotzdem er wußte, wie unangenehm sie seinem Chef war. Verzweifelt kam Luke auf die Frage der Gulanga-Öl-Konzession zurück, und zum ersten Mal in seinem Leben reizte ihn Mr. Steeles beinahe väterliches Interesse an seinem Geschäft über alle Maßen.

 

»Selbstverständlich, Sir, weiß ich ganz genau, daß Maddisons so gesund sind wie nur irgendeine andere erstklassige Firma, aber die Tatsache läßt sich nicht verleugnen, daß wir innerhalb der letzten sechs Monate außerordentlich schwere Verluste erlitten haben, und ich befürchte, ich muß Sie bitten, Ihre Privatguthaben in Anspruch zu nehmen. Ich persönlich«, fuhr er fort, ohne auf Lukes wachsende Ungeduld zu achten, »war immer der Ansicht, daß wir einen Fehler begingen, als wir uns nicht einem der großen Konzerne anschlossen. In privaten Bankgeschäften spielt das persönliche Vermögen des Inhabers meiner Meinung nach eine zu große Rolle als Sicherheit für –«

 

Glücklicherweise läutete in diesem Augenblick das Telephon. Luke ergriff den Hörer und lauschte stirnrunzelnd.

 

»Ja, lassen Sie ihn hereinkommen.« Und zu Mr. Steele: »Ich habe mit Mr. Morell zu sprechen und möchte nicht gestört werden.«

 

Mr. Steele verzog das Gesicht. Sein ganzes Leben hindurch war er in der Firma Maddison & Sons gewesen, und er scheute sich nicht, seine Abneigung dem gemeldeten Besucher gegenüber zu verbergen.

 

»Der Mensch hat etwas an sich, Mr. Maddison, was ich nicht ausstehen kann. Hoffentlich werden wir nicht geschäftlich mit ihm zu tun haben?« Luke schüttelte den Kopf und wies auf die Tür.

 

Mr. Danton Morell kam in eine Atmosphäre, die, wie er fühlte – und in derartigen Dingen war er außerordentlich feinfühlig – mit Feindschaft geladen war. Trotzdem war er sein lächelndes Selbst und stellte mit betonter Sorgfalt seinen tadellosen Zylinder vorsichtig auf den Tisch. Luke bemerkte, daß er einen Trauerstor trug, und aus irgendwelchen Gründen schien dies seine gespannten Nerven noch weiter zu reizen.

 

»Nehmen Sie Platz, bitte«, seine Stimme und sein Benehmen waren schroff. »Sie waren ein Freund von Rex?«

 

Danty bejahte kopfnickend.

 

»Ja. Ich hatte sein ganzes Vertrauen«, begann er. »Ich glaube, ich erzählte Ihnen bereits am Tage nach dem unglücklichen –«

 

Luke unterbrach ihn kurz. »Ging das so weit, daß Sie ihn vor drei Tagen nach der Northern & Southern Bank begleiteten, als er einen Scheck von achtzehntaufendfünfhundert Pfund einkassierte?«

 

Danty blickte ihn mit gut gespieltem Erstaunen an.

 

»Aber natürlich«, sagte er. »Rex hatte große Verluste in der City erlitten, und ich gab ihm den Rat, mit Ihnen zu sprechen. Soweit ich verstanden habe, gaben Sie ihm einen Scheck über diese Summe und –«

 

»Hat er Ihnen das gesagt?« Lukes blaue Augen lagen fest auf dem Gesicht seines Besuchers.

 

»Jawohl. War etwas nicht in Ordnung? Ich habe den Scheck selbst gesehen.«

 

Eine kurze, unbehagliche Pause: »Haben Sie gesehen, wie er unterzeichnete?« fragte Luke.

 

Dantys Blick schwankte nicht.

 

»Ich befürchte, ich verstehe Sie nicht«, sagte er gleichgültig. »Ich sah, wie er seine Unterschrift darunter setzte und –«

 

»Mein Name war gefälscht, ich habe an Rex keinen Scheck über diesen Betrag gegeben. Ich habe Recherchen anstellen lassen und herausgefunden, daß er sich mit einer verkommenen West-Afrika-Goldmine eingelassen hatte, deren Aktien Sie zum größten Teil vor einem Jahr für einen Pfifferling erworben hatten. Er hat dann immer weiter gekauft, und die Aktien fielen ständig. An dem Tage, als er Ihnen achtzehntausendfünfhundert Pfund auszahlte, kam noch eine weitere Forderung für einen bedeutend höheren Betrag.«

 

Danty fühlte sein Herz klopfen, obgleich von seiner inneren Aufregung nichts zu merken war. Der Mann hier wußte ja viel mehr, als er sich jemals hatte träumen lassen. Mr. Morell stand vor einer Krisis in seinen Angelegenheiten, die ihn leicht völlig ruinieren und all seine feinangelegten Pläne zerstören könnte.

 

»Ich begreife nicht ganz, was Sie eigentlich meinen«, sagte er. »Meine Interessen in dieser Gesellschaft sind außerordentlich gering, und ich war entsetzt, als ich hörte, daß Rex mit ihren Aktien spekulierte. Sie haben mein vollstes Einverständnis, alle nur irgendwie gewünschten Recherchen vorzunehmen.«

 

Luke öffnete ein Schubfach seines Schreibtisches und nahm einen Scheck heraus. Von seinem Platze aus sah Danty, daß die Unterschrift eine verhältnismäßig gute Fälschung war. Den gleichen Gedanken hatte er schon gehabt, als Rex ihm seinerzeit den Scheck übergab. Es ist die einfachste Sache der Welt, einen Namen zu fälschen, und soweit er imstande war, dies hier zu beurteilen, war wirklich kein Fehler in Rex Leferres gefährlichem Spiele zu finden.

 

»Es ist Ihnen klar, was mit diesem Scheck nicht in Ordnung ist?« fragte Luke.

 

Der andere schüttelte den Kopf.

 

»Wollen Sie vielleicht behaupten, daß ich wußte, die Unterschrift sei gefälscht?«

 

Bevor Maddison antworten konnte, wurde an die Tür geklopft.

 

»Herein«, sagte er ärgerlich.

 

In der Tür erschien der Prokurist.

 

»Entschuldigen Sie, daß ich Sie störe, Mr. Maddison. Aber Mr. Bird von Scotland Yard ist hier und möchte Sie sprechen.«

 

Trotz seiner Selbstbeherrschung fuhr Danty von seinem Stuhl auf. Der Spatz war der letzte Mann in der Welt, den er an diesem Morgen zu sehen wünschte.

 

Kapitel 30

 

30

 

Luke Maddison hatte nur eine sehr verwirrte Erinnerung an das, was nach seinem unvorsichtigen öffnen der Tür geschehen war. Er hatte lesend im Zimmer gesessen, als er klopfen hörte, und nichts Verdächtiges in dem Erscheinen zweier Männer in grünen Schürzen und Hemdsärmeln gesehen.

 

»Ist das Mr. Haynes Wohnung?« fragte der eine. »Wir wollen den Schrank abholen.«

 

»Sie sollten lieber wiederkommen, wenn Mr. Haynes da ist«, sagte Luke. Er dachte natürlich, der Gunner hätte Anweisung gegeben, das Möbelstück fortzuschaffen.

 

»Wenn wir den Schrank nicht mitnehmen können, so möchten wir ihn wenigstens messen«, sagte der Mann, der ein Notizbuch in der Hand hatte.

 

Luke Maddison zögerte. Er wußte nichts von Schränken und überhaupt nichts von den häuslichen Angelegenheiten in der Wohnung. Aber es war ja harmlos, diesem Wunsche nachzugeben. Er drehte sich einen Augenblick um, und auf das; was dann geschehen war, konnte er sich nicht mehr besinnen.

 

Seine erste bewußte Empfindung war, daß man ihm unsanft sein Gesicht mit einem kalken nassen Schwamm wusch. Ein scharfer Geruch von Teer lag in der Luft, und das Zimmer, in dem er saß, schien in Bewegung zu sein. Er dachte zuerst, es wäre einer seiner vielen Träume, aber als seine Augen in dem Räume umherwanderten und er die festgezimmerten Wände, die niedrige Decke und den schwarzen, mit Teer gestrichenen Fußboden sah, wußte er, daß er nicht träumte.

 

»Bin ich auf einem Schiffe?« fragte er heiser und hörte lachen.

 

Er erkannte in dem Mann, der den Schwamm in der Hand hatte, denselben Künstler, der ihm schon einmal zur Besinnungslosigkeit verholfen hatte.

 

»Waren Sie es – – – in der grünen Schürze? Ich habe Sie nicht erkannt.«

 

»Das war ich nicht«, sagte der Mann, der chronisch heiser zu sein schien. »Bei mir fließt kein Blut! Trinken Sie das.«

 

Luke trank den schwachen, mit Wasser vermischten Branntwein, der ihm angeboten wurde, aber er hätte reines Wasser vorgezogen.

 

»Sie sind eine rechte Plage für uns, ja, das sind Sie«, sagte der Mann, indem er den Schwamm in einen Napf warf und seine Hände an einem schmierigen Tuche abtrocknete. »Jetzt hören Sie auf meinen Rat und verhalten Sie sich ruhig. Hier ist ein Bett für Sie, und hinten im Heck finden Sie einen Eimer mit Wasser. Es wird Ihnen niemand was tun, wenn Sie keine Dummheiten machen.«

 

»Bin ich auf einem Schiffe?« fragte Luke noch einmal.

 

»Flußschiff«, war die Antwort. »Sie brauchen nichts zu fürchten. Der Gunner sucht schon nach Ihnen, aber er wird Sie nicht finden.«

 

Er wandte sich zu seinem schweigsamen Gefährten, und jetzt erst bemerkte Luke, daß noch ein Mann in der Kabine war, wenn dieser schmutzige Ort mit solchem Namen gewürdigt werden konnte.

 

»Wir hätten ihn nicht aufs Bett legen sollen. Das hat uns verraten, Harry«, sagte er. »Es war mein Fehler, aber wir mußten ihn doch irgendwohin legen. Sie sind stärker, als ich dachte, Maddison.«

 

Luke kicherte.

 

»Ich erinnere mich nicht, daß ich gekämpft habe. Habe ich mich gewehrt?«

 

»Gewehrt!« sagte der andere. »Ich sollte meinen! Als wir Sie im Schlafzimmer hatten, fingen Sie erst richtig an. Erinnern Sie sich nicht?«

 

Luke konnte sich auf nichts besinnen.

 

»Der Kapitän kommt in einer Minute an Bord – wir sind in der Nähe der Werft verankert. Wenn Sie ein verständiger Mann sind, Mr. Maddison, werden Sie tun, was er sagt. Es wird kein schlechtes Geschäft sein, nun wir wissen, wer Sie sind.«

 

Er blickte Luke neugierig an.

 

»Ein Kamerad von Lewing, nicht wahr? Ist doch merkwürdig, sich mit den Leuten einzulassen! Ich wundere mich, daß sich ein Mann wie Sie mit solchen Sachen befaßt!«

 

Luke antwortete nicht. Die beiden Männer gingen bald darauf an Deck. Sie ließen ihm die blakende Lampe, die einen aussichtslosen Kampf mit der Dunkelheit führte.

 

Eine kurze Stiege führte zu einer schweren Tür, die aber geschlossen war. An Heck des Schiffes befand sich eine Art Waschraum, doch gab es keine Luke, durch die er das Tageslicht sehen konnte, und eine Ventilationsanlage war auch nicht vorhanden. Die Luft, die eindrang, kam durch drei runde Löcher, die in die Tür geschnitten waren, und er hatte den Verdacht, daß sie mit Segeltuch verdeckt waren, da er kein Licht sehen konnte.

 

Alles Wertvolle war ihm abgenommen worden. Seine Kleider waren mit Blut beschmutzt, seinen durchweichten Kragen sah er in einer Ecke der Kabine liegen und sein Kopf schmerzte unaufhörlich. Trotzdem meldete sich der Hunger. Nach kurzer Zeit wurde die Tür aufgestoßen, und auf der obersten Stufe der Stiege erschienen die Beine eines Mannes.

 

Jetzt entdeckte er, warum er kein Licht gesehen hatte: die Treppe wurde durch ein kleines Deckhaus abgeschlossen, das er flüchtig sehen konnte, als der Ankömmling herunterstieg. Es war Connor, der ihn mit der Miene eines Freundes begrüßte, der schlecht behandelt worden war.

 

»Sie haben uns eine Menge Mühe gemacht, Mr. Maddison«, sagte er, unbewußt dieselben Worte wie sein Leutnant gebrauchend, »und wenn mir jemand Mühe macht, muß er dafür blechen. Ich bin gekommen, um einen kleinen Schwatz mit Ihnen zu machen. Sie wollen fort, nach dem Kontinent, nicht wahr?«

 

Luke antwortete nicht.

 

»Seien Sie nicht eigensinnig«, bat Connor mit freundlichem Grinsen. »Ich will versuchen, Ihnen zu helfen. Ich bringe Sie in einem Schiff unter – der Kapitän ist mein Freund und nimmt Sie morgen früh nach Rotterdam mit.«

 

Er zog ein Buch aus seiner Tasche, das Luke sofort erkannte.

 

»Hier ist Ihr Paß. Meine Jungens fanden ihn, als sie in Gunners Wohnung herumwirtschafteten. Sie kriegen ihn von mir, Mr. Maddison, ich bin der beste Freund, den Sie je hatten.«

 

Luke zog eine Grimasse.

 

»Ich verstehe, das ist die Mühe, für die ich blechen soll. Nicht wahr.«

 

»Das ist wie ein verständiger Mann gesprochen«, sagte Connor. »Ja, es wird Sie etwas kosten, aber Sie können es ja.«

 

Ans seiner inneren Tasche holte er einen langen Umschlag hervor, dem er drei unausgefüllte Schecks entnahm.

 

»Ich will, daß Sie die selbst ausfüllen: einen auf zwei-, einen auf drei- und einen auf fünftausend. Es sieht besser aus und macht ’n guten Eindruck, wenn die Schecks in Ihrer Handschrift sind.«

 

»Kann ich sie sehen?«

 

Der Mann reichte ihm die Schecks, und Luke kicherte wieder.

 

»Sie armer Verschwörer!« sagte Luke spöttisch. »Ich hab‘ nicht mehr als hundert Pfund auf diesem Konto oder auf irgendeinem anderen.«

 

Connors Brauen zogen sich zusammen.

 

»Wollen Sie mir was vormachen?« fragte er.

 

»Ich sage die Wahrheit«, antwortete Luke, »aber ich kann begreifen, daß Ihnen das sonderbar vorkommt und wie eine Lüge klingt. Das ist mein Privatkonto. Ehe ich fortging, ließ ich das meiste von dem Gelde auf meine Bank überweisen.«

 

»Aber Sie haben doch immer mit der Nord-Süd-Bank in Verbindung gestanden!«

 

Connor war sichtlich durch diese Eröffnung verdutzt, kein Wunder, denn er hatte einen ganzen Nachmittag damit verbracht, um die richtigen Scheine ausfindig zu machen. Es existiert ein flotter Handel mit Blankoschecks in London, man muß nur die richtigen Quellen wissen. Es hatte ihm Zeit gekostet, Lukes Bank ausfindig zu machen, und noch mehr Zeit, die nötigen Formulare zu finden. Seine Enttäuschung war begreiflich.

 

»Ich habe jedenfalls kein Geld«, sagte Luke. »Ihre Mühe war also vergeblich.«

 

»Doch, Sie haben welches«, unterbrach ihn Connor. »Nachdem Sie fort waren, ließ Ihre Frau ihr ganzes Geld auf Sie zurückschreiben.«

 

Das war neu für Luke, aber der Mann sägte das sicher nicht aufs Geratewohl.

 

»Wer hat Ihnen das gesagt?«

 

»Ein Freund von Ihnen«, sagte der andere kühl.

 

»Danton Morell?«

 

Connor nickte.

 

»Jedenfalls würde es nicht auf dieses Konto zurückgegangen sein«, sagte Luke nach einiger Überlegung. »Es würde in meiner eigenen Bank sein.«

 

Connor hatte genug Menschenkenntnis um zu wissen, daß sein Gefangener die Wahrheit sprach.

 

»Aber Sie werden doch die Schecks unterzeichnen, wenn ich die richtigen bekomme, nicht wahr, Mr. Maddison?«

 

Luke schüttelte den Kopf.

 

»Ich will Ihnen nicht drohen. Ich will das in anständiger Weise machen«, sagte Connor eindringlich. »Ich habe jemand, der Ihnen aus England heraushilft. Der Gunner kann es nicht. Sie sind ein reicher Mann, und ein paar Hundert mehr oder weniger macht Ihnen nichts aus. Wenn Sie mir vertrauen, werde ich Sie fortbringen, und ich will nie wieder, auch nur um einen Pfennig, zu Ihnen kommen. Sie wissen, ich kann nichts von Ihnen herausholen, wenn Sie einmal aus England heraus sind, darum verlange ich jetzt einen Haufen Geld. Sie sind ein Geschäftsmann, Mr. Maddison, und Sie sind klug genug zu wissen, daß ich mir selber die Gurgel durchschneiden würde, wenn ich später eine kleine Erpressung bei Ihnen versuchen wollte. Ich habe vorn eine Kabine für Sie, und Sie sollen mir Ihr Wort geben, daß Sie keinen Fluchtversuch machen, aber warum sollten Sie das, da ja doch die Polizei nach Ihnen sucht. Gefällt Ihnen der Handel?«

 

»Sie werden keine Bohne von mir bekommen«, sagte Luke abweisend.

 

Connor sah ihn lange und gedankenvoll an.

 

»Gut«, sagte er, »Sie können hierbleiben und hungern, bis Sie Ihren Sinn geändert haben.«

 

Einen Augenblick war Luke in Versuchung, sich auf ihn zu stürzen, während er die Stufen hinaufstieg. Ein Stoß würde ihn herunterholen; aber Luke war noch sehr schwach. Er saß ruhig, bis die Tür zugemacht war. An Deck war es dunkel, aber nicht zu dunkel für Mr. Connor, als er in das kleine Ruderboot stieg, das an der Seite des Schiffes lag.

 

Er fuhr nicht nach seiner Werft, sondern mit wenigen Ruderschlägen nach der anderen Seite des Flusses. Von dort ging er in die City, nahm ein Taxi und ließ sich nach der Half Moon Street fahren.

 

Danky war gerade im Begriff auszugehen und Mr. Danton Morell hakte schlechte Laune.

 

»Was dachten Sie sich, als Sie mir die Adresse schickten?« sagte er. »Ich ging heute nachmittag hin und rannte beinahe mit Gunner Haynes zusammen.«

 

»Zum Teufel, was wollten Sie denn da?« fragte Connor.

 

»Maddison sehen. Ich hätte ihn überreden können, abzureisen. Maddison ist nicht dort. Eine Frau im Hause sagte mir, der Gunner hätte seine Wohnung abgeschlossen und wäre fortgegangen. Wo ist Maddison?«

 

Connor zündete sich eine Zigarre an, ehe er antwortete.

 

»Ich habe ihn! – Ich glaube, ich war mit einem Viertel beteiligt, nicht wahr, Danty?, aber jetzt sind es drei Viertel, und da bin ich noch nobel. Sie hatten die Gelegenheit und haben Sie versäumt. Was ist er wert?«

 

Danty unterdrückte den aufsteigenden Ärger, den der Ton des Mannes in ihm hervorrief. Es war nicht klug, mit Connor in Streit zu geraten, und die Frage der Teilung konnte bis zu einem geeigneteren Augenblick warten.

 

»Eine halbe Million, sollte ich meinen. Wo ist er?«

 

Connor ignorierte die Frage. »Eine halbe Million, he? Würde er für hunderttausend gut sein?«

 

Der andere überlegte einen Augenblick.

 

»Ja – hunderttausend sicherlich, wenn er sie bekommen kann.«

 

»Er sagt, er hätte keine Bohne.«

 

»Er hat Geld«, fuhr Danty auf. »Es ist alles in seiner eigenen Bank.«

 

Connor sann eine ganze Weile über diese Worte nach.

 

»Da brauchen wir also zehn Scheine. Können Sie die verschaffen?«

 

Danty zog seine Stirn in Falken.

 

»Wozu brauchen Sie Schecks?«

 

Connor schloß müde die Augen.

 

»Sie sind so lange aus dem Geschäft heraus, daß Sie beinah alles vergessen haben«, sagte er beleidigend.

 

»Ich brauche Schecks, damit er sie unterzeichnet, das ist alles. Können Sie welche kriegen?«

 

Danky überlegte einen Augenblick.

 

»Ich habe ein Scheckbuch von der Bank«, sagte er. »Ich hatte ein kleines Konto dort, aber die haben wenig Wert, da sie mich leicht verraten können. Aber ich kann andere bekommen.«

 

Er ging ans Telephon und rief Margarets Nummer an. Der Diener sagte ihm, sie wäre ausgegangen; das war gerade, was er brauchte.

 

»Wann wird sie zurück sein? Hier Mr. Morell.«

 

Er war auf die Antwort gefaßt, daß Mrs. Maddison überhaupt nicht mehr für ihn zu sprechen wäre.

 

»Erst nach dem Lunch, Sir.«

 

Danty hing den Hörer an.

 

»Warten Sie hier«, sagte er. »Ich denke, ich weiß, wo ich alle Scheine bekommen kann, die Sie brauchen.«

 

Er kannte Margaret und ihre häuslichen Gewohnheiten ziemlich gut – er war vertrauter mit ihr gewesen als irgendein anderer Mann. Der Diener war erstaunt, ihn zu sehen, aber er führte ihn ohne zu zögern hinauf in den Salon.

 

»Ich sagte es wohl nicht deutlich, daß die gnädige Frau erst ungefähr in einer Stunde zurück sein kann.«

 

Danty lächelte.

 

»Sie werden sehen, daß sie schon früher zurückkommt«, sagte er lächelnd. »Jedenfalls will ich sie erwarten.«

 

Die Tür hatte sich kaum hinter dem Diener geschlossen, als er auch schon an Margarets Schreibtisch war. Dieser war unverschlossen, und er wußte, daß sie stets zwei Scheckbücher in einem der seitlichen Schubfächer hatte. Er fand sie da, wie er erwartet hatte: eins halb leer, das andere noch ungebraucht. Aus dem letzteren riß er ungefähr ein Dutzend der Hinteren Scheine heraus, steckte sie in die Tasche und schloß das Fach. Dann klingelte er.

 

»Ich werde doch nicht warten, lieber in einer Stunde wiederkommen. Es ist nicht so eilig, und mir fällt eben ein, daß ich noch einen Besuch zu machen habe.«

 

Innerhalb einer halben Stunde war er wieder bei Connor und legte die Schecks vor ihn hin; Mr. Connor stellte keine Frage, es war auch nicht nötig.

 

»Sie lassen sie jetzt von ihm unterzeichnen. Soll ich mitkommen?«

 

Connor grinste.

 

»Das ist kein kluger Einfall«, sagte er. »Sie können sich leicht in die Nesseln setzen, Danty.«

 

Er konnte sich dem Schiffe nicht bei Tageslicht nähern, da er wußte, daß er von der Polizei beobachtet wurde. Sobald es dunkel war, glitt er den Strom hinunter und kletterte auf das Schiff. Er brachte einen Korb voller Eßwaren mit und eine Thermosflasche mit heißem Tee. Das Licht war herabgebrannt, und Luke lag im Halbschlaf auf dem Bett, das für ihn zurechtgemacht war. Durch das Eindringen der kalten, frischen Luft wurde er wach.

 

Connor knipste eine elektrische Lampe an, die er mitgebracht hatte.

 

»Hier ist was zu essen«, sagte er. »Es tut mir leid, daß ich Sie solange warten lassen mußte, aber hoffentlich sind Sie nun klüger geworden. Und da sind die Scheine. Ich möchte, daß Sie die selbst ausfüllen.«

 

Luke langte nach den Eßwaren und aß heißhungrig. Er war so hungrig, daß seine Lebensgeister ganz herabgesunken waren. Wahrscheinlich belebte ihn der heiße Tee mehr als das Essen, und er fühlte sich fast völlig wohl, als er die letzten Krumen von seinen Knien wischte.

 

»Was haben Sie da für Scheine?« fragte er. »Ach, Schecks! Sie wollen, daß ich die ausfülle und unterzeichne – auf eine fabelhafte Summe? Sie können ja eine Million setzen, wenn Sie wollen, aber ich kann Ihnen versichern, daß sie nicht ausgezahlt wird. Ich sagte Ihnen doch schon, daß mein ganzes Geld auf den Namen meiner Frau eingetragen ist.«

 

»In dem Falle wollen wir uns einen Spaß machen«, sagte Connor, ohne seinen Gefangenen aus den Augen zu lassen. »Sie stellen diese Schecks jeden auf zehntausend aus und datieren sie immer eine Woche nacheinander. Wenn Sie länger als zehn Wochen hierbleiben wollen, können Sie sie einen Monat nacheinander datieren, oder wenn Ihnen daran liegt, in wenigen Tagen fortzukommen, können Sie einen Scheck auf hunderttausend Pfund ausstellen, und gleichzeitig an Ihren Bankdirektor schreiben, daß er das Ding auszahlen soll.«

 

Luke lachte, ehe er ausgesprochen hatte.

 

»Ich hab‘ viel Sinn für Humor«, sagte er, »aber es kommt mir für einen Bankier nicht witzig vor, Schecks auf Verlustkonto auszustellen.«

 

Connor zog einen Stuhl heran und setzte sich.

 

»Lassen Sie uns die Sache in Ordnung bringen«, sagte er. »Sie kennen mich, und Sie wissen, wer ich bin; ich kann zehn Jahre aufgebrummt bekommen, vielleicht noch mehr. Ich würde mich lieber aufhängen, als mein Leben in Broadmoor verbringen, doch ich nehme die Gefahr auf mich, Mr. Maddison. Ich werde Sie quälen und um die Ecke bringen, wenn Sie nicht tun, was ich sage. Sie sind ein verständiger Mensch, und ich überlasse es Ihnen. Ich kann Sie nicht ohne das Geld fortlassen.« Er zog seinen Stuhl näher heran. »Ich hab‘ mich viele Jahre aus diesem Flusse abgemüht, und was glauben Sie, was ich davon habe? Die Pacht einer alten Werft, die keinen Schilling wert ist; ein paar Tausend auf kleinen Banken und die Gewißheit, daß früher oder später eine meiner Ratten mich verpfeifen wird. Jetzt hab‘ ich eine Gelegenheit, einen Haufen Geld zu bekommen – Sie haben die Gelegenheit, sich davonzumachen. Ich will einen Bericht über die Tatsachen der Taffanny-Sache aufsetzen und unterschreiben – ist das ein Vorschlag?«

 

Es war kein Zeitpunkt, heldenmütig zu sein. Luke wußte das ganz genau. Er zweifelte nicht, daß schließlich Connor sein Wort halten würde, und das wäre das Ende. Es war nicht der Augenblick, dem Schicksal mit den Fingern ins Gesicht zu schnippen. Connor behandelte die Angelegenheit ganz geschäftsmäßig, und es blieb ihm nichts übrig, als sich zu fügen. Wenn er einen Scheck ausstellte, zweifelte er nicht, daß dieser honoriert werden würde. Sicherlich würden aber auch Nachforschungen angestellt werden, und wahrscheinlich würde man auf seine Spur kommen.

 

»Ich halte es für töricht, zu versuchen, einen Scheck über zehntausend einzukassieren«, sagte er. »Die Summe ist so hoch, daß, selbst wenn ich das Geld hätte, Steele Verdacht schöpfen würde. Ich schlage einen Vergleich vor: Ich will Ihnen einen Scheck über fünftausend Pfund geben. Wenn der bezahlt wird, sehr wahrscheinlich aber nicht, haben Sie Glück, und Sie täten besser, sich aus dem Staube zu machen, ehe Nachfragen kommen. Sicherlich wird kein Bankdirektor, der seine Sinne beisammen hat, hunderttausend Pfund auszahlen, ohne sich mit dem Manne in Verbindung zu setzen, der die Schecks ausgestellt hat.«

 

Er sah, wie Connor lächelte.

 

»So lass‘ ich mir’s gefallen«, sagte der Mann. »Das ist gescheit. Wo vermutet man Sie – in Spanien, nicht wahr?«

 

Luke runzelte die Stirn.

 

»Ich denke ja, warum?«

 

»Wir wollen die fünftausend abheben und dann zusammen nach Spanien gehen – ich will Sie heute nacht noch ‚rausschaffen.«

 

Der Plan schien Luke nicht ausführbar, aber er sagte nichts. Er schrieb und unterzeichnete den Scheck und überreichte ihn dem anderen.

 

»Und nun«, sagte Luke, »möchte ich ein bißchen frische Luft haben. Hier erstickt man.«

 

Connor zögerte.

 

»Kommen Sie an Deck. Aber wenn Sie Dummheiten machen, werde ich etwas tun, was mir und Ihnen leid tun sollte.«

 

Wenige Sekunden später saß Luke auf Deck und sog die kühle, süße Luft ein. Er konnte das Licht eines Leuchtturms sehen, das von der anderen Seite des Flusses kam. Gegenüber war eine Reihe von Lichtern auf dem Themse-Kai. Ein munterer kleiner Schleppdampfer bewegte sich langsam stromaufwärts gegen die Flut; er hörte das Zischen und Brausen eines Zuges, der über eine der Brücken fuhr. Die Lichter von Westend färbten die tiefhängenden Wolken in trübes Orangerot. Die Flut wechselte gerade. Er hörte das Anschlagen des Wassers gegen das flache Boot.

 

Einige Minuten lang saß er in Schweigen versunken. Dann stand er auf und streckte seine verkrampften Glieder.

 

»Wenn ich verspräche, das Schiff nicht zu verlassen und mich ruhig zu halten, würden Sie die Tür offen lassen, Mr. Connor?«

 

Connor antwortete mit einem Lachen.

 

»Dummheit! Solche Versprechen haben für mich keinen Sinn.«

 

»Ich bin froh«, sagte Luke. »Wenn Sie mein Versprechen angenommen hätten, hätte das recht hinderlich für mich sein können.«

 

Als er das sagte, schoß seine Hand vor, und Connor flog auf den Boden. Ehe er sich aufraffen konnte, hatte Luke den Rand der Barke erreicht, sprang, ohne zurückzublicken, in das Wasser und schwamm nach der Mitte des Stromes.

 

Er hörte nichts außer dem Geräusch laufender Füße an Bord des Schiffes und dann eine Stimme, die eilige Befehle gab. Connor mußte ein Ruderboot an der Leine haben. Die steigende Flut hatte ihn schon weit von der Barke fortgetragen, und nichts war in seiner Nähe als eine Reihe Kähne, die in der Mitte des Stromes verankert waren. Dahin zu streben, hieße sich der Entdeckung auszusetzen. So schwamm er nach dem Ufer zurück.

 

Jetzt sah er um den Bug der Barke einen Schatten herumkommen. Connor verfolgte ihn in einem Motorboote. Es lief so schnell, daß es nichts anderes sein konnte. Nur ein Ausweg blieb ihm übrig. Er holte tief Atem und tauchte, indem er kräftig gegen die Flut schwamm. Er schien eine Ewigkeit unter Wasser zu sein; seine Lungen und sein Kopf platzten beinahe, als er wieder an die Oberfläche kam – genau unter dem Heck des Motorbootes kam er hoch, so dicht, daß der wirbelnde kleine Propeller beinahe sein Haar berührte.

 

Keiner der beiden Männer in dem Boot hatte ihn bemerkt. Er konnte gerade die Schattenrisse ihrer Köpfe sehen, wie sie sich über den Rand bogen – und schnell tauchte er wieder unter.

 

Er fühlte seine Kräfte schwinden: eine derartige Anstrengung konnte er nicht lange aushalten. Er mußte wieder an die Oberfläche kommen und war froh, als er nichts mehr von dem Boote bemerkte. Während er Wasser trat, sah er es auf die Schiffe in der Mitte des Stromes zulaufen. Jetzt war er zwanzig Meter von einem Frachtkahn entfernt, der an einem Kai verankert war. Tüchtig ausstreichend, erreichte er die Ankerkette und schöpfte tief Atem.

 

Er war zu schwach, um hinaufzuklettern. Das einzige, was er tun konnte, war, seine Reise um das Boot herum nach dem Ufer fortzusetzen. Mit unendlicher Mühe gelang es ihm endlich. Er mußte aber bis zu den Knien durch dicken Schlamm waten, ehe er an die Front eines Lagerhauses kam. Von hier konnte er nicht entwischen. Als er über seine Schulter blickte, sah er das Boot zurückkommen. Irgend jemand leuchtete mit einer elektrischen Laterne über das Wasser, und weitere Flucht schien unmöglich.

 

In diesem Augenblick rief ihn eine heisere Stimme vom Bord des Schiffes an:

 

»Hand her!«

 

Er hielt seine Hand in die Höhe, und sie wurde gefaßt.

 

»Aufpassen! Am Pfahl festhalten!« flüsterte die Stimme ermutigend, und indem er aufwärts griff, fand Luke Halt. Mit übermenschlicher Anstrengung und der Hilfe seines unbekannten Freundes zog er sich auf den kleinen Kai, der an dem Lagerschuppen entlang lief und kaum breit genug war, daß zwei Menschen nebeneinander darauf entlang gehen konnten.

 

»Man hat Sie nicht gesehen?« flüsterte der andere, und ehe Luke antworten konnte: »Laufen Sie links ’nun, hinter mir her – da ist ein Wachmann! Jetzt schläft er – aber machen Sie keinen Lärm!«

 

Luke Maddison suchte sich seinen Weg vorsichtig über einen Hof, in dem Pflastersteine und Granitplatten herumlagen. Er sah einen langen Schuppen, aus dem die Deichseln von Möbelwagen hervorragten. In der Nähe waren Pferde, denn er hörte Wiehern aus einem Stalle.

 

Leise folgte er dem Unbekannten an einer kleinen Hütte vorbei, in der der Nachtwächter schlief. Nach einer Weile kamen sie an ein schweres, schwarzes Tor; die kleine Durchgangstür war nicht geschlossen. Durch diese schlüpften sie, und Lukes Helfer schloß sie hinter sich.

 

»Ich sah, wie sie nach Ihnen suchten, und dachte, sie wären hinter Connors Leuten her.«

 

Er fluchte in gemeinster Weise.

 

»Die Blauen auf dem Flusse sind schlimmer als die auf dem Lande.«

 

Beim Licht einer Straßenlampe nahm Luke seinen Gefährten in Augenschein: ein Mann mit scharfem, hohlwangigen Gesicht, etwa dreißig Jahre alt, mit einer jüdischen Nase und lauernden Augen, die nie still standen.

 

»Sie sind naß, kommen Sie mit in Connors Hof: er kann Ihnen andere Kleider geben.«

 

»Nein, danke«, sagte Luke hastig. »Ich will nichts mit Connor zu tun haben.«

 

»Sie wollen nichts mit Connor zu tun haben, he? Schön, das ist klug. Haben Sie Geld?«

 

Luke griff in seine Tasche.

 

»Nein«, sagte er.

 

Der Mann stieß ein mißbilligendes Grunzen aus.

 

»Ich dachte, ich würde wenigstens ein Pfund dabei machen. Wo wohnen Sie?«

 

»Zum Teufel, ich weiß nicht mal, wo ich wohne«, sagte Luke ärgerlich und hörte das dünne, pfeifende Lachen seines Begleiters.

 

»Sie sind ein – Feiner; ich dachte es mir gleich, als ich Sie sprechen hörte. Schon mal ’nen Geldschrank geknackt? Da in dem Lagerhause ist einer, sonst nichts. Man sagt, da wäre was zu holen. Der einzigste Weg ‚reinzukommen, ist durch den Hof. Ich wette, im Schrank ist genug für uns beide. Haben Sie je einen geknackt?«

 

»Nie«, sagte Luke. »Das ist eins von den wenigen Dingen, die ich nicht gemacht habe.«

 

»Warum waren die Blauen hinter Ihnen her?«

 

Der Mann war der Meinung, Luke wäre der Flußpolizei entwischt, und er ließ ihn dabei.

 

»Ja – es ist ein hartes Leben«, sagte der andere heiser.

 

Sie kamen jetzt in belebtere Gegend, und der kleine Mann, dessen Namen Curly war, blieb stehen.

 

»So können Sie nicht durch die Straßen laufen. Sie würden sofort erwischt. Kommen Sie lieber mit mir nach Hause. Aber ich kann Sie nicht bei mir behalten.«

 

Er führte Luke durch verschiedene Nebenstraßen in die ärmlichste Gasse, die er je gesehen hatte. Obgleich es spät abends war, spielten Kinder vor den Häusern und kreischten, Frauen schwatzten vor den Türen. Keiner beachtete Luke oder seinen Begleiter. Bald kamen sie durch eine Tür, die Curly aufschloß, in einen übelriechenden Durchgang und auf eine teppichlose Treppe.

 

»Gehen Sie da rein und ziehen Sie Ihre nassen Sachen ans.« Curly öffnete eine Tür, strich ein Zündholz an und steckte eine Kerze an.

 

Die Fenster waren mit Stücken von alten Pferdedecken verhängt, und die Ausstattung des Zimmers bestand aus einem gräßlich aussehenden Bett und einem Stuhl.

 

Curly sagte, er müßte mit dem Hauswirt sprechen. Er blieb eine Weile fort. Als er zurückkam, hatte Luke seinen Abscheu gegen das schmutzige Bettzeug überwunden und war, nachdem er seine Kleider ausgezogen und sich an dem einzigen, schmierigen Handtuch, so gut er konnte, abgetrocknet hatte, in das Bett gekrochen.

 

Curly warf ein Paar Hosen und ein altes Hemd, das den Vorteil hatte, sauber zu sein, auf einen Stuhl.

 

»Das ist alles, was ich für Sie bekommen konnte«, sagte er und nahm Lukes durchweichten Anzug, den er mit Zufriedenheit betrachtete.

 

Auch die Stiefel wurden begutachtet.

 

»Seidenes Hemd, he? Ich wußte ’s ja, Sie sind ein Feiner. Ich will es Ihnen trocknen lassen.«

 

Er verschwand und kam nicht wieder. Zehn Minuten später war Luke trotz der unappetitlichen Umgebung fest eingeschlafen. Als er aufwachte, schien die Sonne durch die Löcher der Decken. Er stand auf und zog sich Hemd und Hosen an.

 

Unten war Lärm; das Heulen eines Kindes, die schreiende Stimme einer Frau und dann die tiefere eines schimpfenden Mannes. Er öffnete die Tür, ging auf den Vorplatz und rief hinunter. Sofort erschien der Mann mit der tiefen Stimme.

 

»Was gibt’s?«

 

»Sind meine Kleider getrocknet?« fragte Luke höflich.

 

»Was für Kleider?«

 

Der Mann schien interessiert zu sein und kam schwerfällig die Treppe herauf, ein großes, unrasiertes Scheusal mit gedunsenem Gesicht.

 

»Haben Sie Curly Ihre Kleider gegeben?« Er gab seiner Hand einen lauten Kuß. »Dann sagen Sie ihnen lebe wohl, alter Junge!«

 

Luke starrte ihn an.

 

»Meinen Sie, daß er damit durchgegangen ist?«

 

Das schien seine feste Überzeugung zu sein. Er keilte seinem Gaste noch mit, daß dieser ihm für das Übernachten zwei Schilling schulde.

 

»Und dann meine Hosen und mein Hemd?« sagte er. »Was kriege ich dafür?«

 

Es dauerte lange, bis er einwilligte, ihm noch eine alte Jacke und ein Paar alter Schuhe zu borgen, die noch dazu viel zu eng waren. Er würde, wie er sagte, von Curly noch etwas herausbekommen, woraus Luke schließen konnte, daß er an dem Gewinn aus den gestohlenen Sachen beteiligt war. Zu seinen anderen Wohltaten fügte er noch eine Tasse Tee und eine große Scheibe Brot mit Margarine hinzu, und dann wurde der Bankier auf die Straße verwiesen.

 

Starker Regen fiel. Als er Lambeth Bridge erreichte, war er durch und durch naß. Er ging in den Park, fand einen Stuhl und zog ihn unter den Schutz eines großen, überhängenden Baumes. Lange saß er da und war dann zu einem Entschlüsse gelangt. Schande und Gefängnis schienen weniger unangenehme Aussichten zu sein als Kälte und Hunger. Er entschloß sich, nach der Bank zu gehen.

 

Er wußte nicht, wie spät es war und fragte einen Vorübergehenden, ohne jedoch einer Antwort gewürdigt zu werden. Er fragte einen anderen Mann, der ihm mürrisch sagte, daß es beinahe zwölf wäre. Um diese Zeit würde er Steele im Büro finden, und Steele bedeutete Trost und Nahrung und anständige Kleidung.

 

Als er aus dem Parktor herauskam, faßte ihn jemand am Arm und drehte ihn herum. Er blickte in das unsympathische Gesicht eines Mannes, der offenbar Geheimpolizist war.

 

»Gebettelt, he? Ich sah Sie jene beiden Herren ansprechen.«

 

»Ich habe gefragt, wie spät es ist«, sagte Luke.

 

»Jawohl!« sagte der Detektiv mit zusammengekniffenen Lippen. »Kommen Sie ein bißchen mit.«

 

Zehn Minuten später schloß sich eine Tür hinter Luke Maddison, und er befand sich in der sauberen, aber nicht gerade behaglichen Zelle eines Polizeireviers. Mit diesem Pech hatte er Glück, denn Connor war seiner Spur gefolgt, in der Hoffnung, daß Luke vielleicht in einen Teil des Parkes kommen würde, wo Überredung – friedlich oder in anderer Weise – versucht werden könnte.

 

Kapitel 26

 

26

 

Margaret war beim Ankleiden, als das kurze Telegramm eintraf:

 

»Kann heute abend nicht kommen. Dieselbe Zeit morgen. Connor.«

 

In gewisser Beziehung war sie erleichtert, obgleich sie froh gewesen wäre, wenn dieser Zustand der Ungewißheit, in dem sie lebte, aufgehört hätte. Sie glaubte, richtig zu handeln, wenn sie Geld mitnähme, und hatte darum tausend Pfund von der Bank abgehoben. Doch nach nochmaliger Überlegung ließ sie die Summe zu Haus. Wenn es sich um Erpressung handelte, konnten diese Menschen ein paar Stunden warten. Sie kannte die Gegend nicht, aber sie vermutete, daß es besser wäre, wenn eine unbeschützte Frau dort keine große Geldsumme bei sich hätte.

 

Als sie das Geld fortlegte, fiel ihr Blick auf einen Briefumschlag, der ihr einen Stich ins Herz gab. Er enthielt die letzte Botschaft des armen Rex. Verschiedentlich war sie nahe daran gewesen, diesen Umschlag ins Feuer zu werfen, aber irgend etwas hielt sie davon zurück. Es gab eine Zeit, wo sie den Anreiz zum Haß, den dieser traurige Zettel enthielt, nötig hatte. Aber diese Zeit war vorüber. Die Hand des armen Jungen lag immer noch schwer auf ihr. Er hatte Lukes Leben verdorben und konnte sie noch ins Unglück stürzen. Jetzt mußte sie noch einmal vierundzwanzig Stunden warten, ehe sich ihre Zweifel lösten.

 

Sie hörte die Haustürklingel. Gleich darauf wurde an die Tür geklopft, und ihr Diener kam herein.

 

»Es ist ein Mann da, der Sie zu sprechen wünscht, gnädige Frau, ich glaube, er ist schon einmal hier gewesen – ein Mr. Haynes.«

 

Zuerst wußte sie nicht, wer das war, aber plötzlich erinnerte sie sich seines früheren Besuches. Das war wenigstens ein Mensch, der Luke freundlich gesinnt war.

 

»Führen sie ihn herauf, bitte«, sagte sie.

 

Jetzt fiel ihr die Unterredung ein, die sie früher mit ihm gehabt hakte. Er hatte ihr gesagt, daß Danty Morell ein Mensch sei, mit dem eine anständige Frau nichts zu tun haben dürfte, und sie hatte nach ihrem Diener geklingelt und ihn hinausgewiesen. Aber er war mit Luke bekannt und hatte von einigen Diensten gesprochen, die dieser ihm erwiesen hätte. In ihm würde sie einen Verbündeten haben.

 

Haynes war auf einen solchen freundlichen Empfang nicht vorbereitet. So kam er etwas in Verlegenheit. Er war gekommen, um sich Nachricht zu verschaffen, nicht, um welche zu bringen. Er durfte auf keinen Fall verraten, daß er mit Luke in Verbindung stand.

 

»Es tut mir sehr leid, daß ich so unhöflich zu Ihnen war, als Sie mich damals besuchten, Mr. Haynes«, sagte sie, während sie sich hinter ihren kleinen Schreibtisch setzte und ihn einlud, Platz zu nehmen.

 

»Sie verletzten mich eines –« sie zögerte, »eines Freundes wegen, der jedoch nicht mehr so ganz mein Freund ist, wie erst.« Sie lächelte.

 

Der Gunner nickte.

 

»Das ist die beste Nachricht, die ich seit langem gehabt habe«, sagte er. »Ich war etwas unverschämt; ich erinnere mich, daß ich Sie fragte, warum Ihr Gatte Sie verlassen hätte. Ich wundere mich, daß Sie nicht nach der Polizei schickten.«

 

Sie lachte.

 

»Wissen Sie, wo mein Mann jetzt ist?« fragte sie, und als er den Kopf schüttelte, fühlte sie ihre Hoffnung schwinden.

 

Sie hatte das Gefühl gehabt, daß dieser Mann mit seinem Wohltäter zusammengetroffen sei.

 

»Ich kann Ihnen sagen, wo Mr. Morell jetzt ist«, sagte er mit einem Zwinkern der Augen, »aber das wird Ihnen nicht viel helfen. Ich bin hergekommen, um meine Unverschämtheit zu wiederholen, Mrs. Maddison. Ich habe die leise Hoffnung, daß ich Ihnen helfen kann und auch ihrem Gatten, der in Spanien ist, wie ich Grund zu glauben habe.«

 

Er sagte dies mit voller Absicht, während seine Augen die ihrigen nicht verließen.

 

»Aber – – –« begann sie.

 

»Ich glaube, er ist in Spanien. Wenn man in Spanien ist, kann man nicht in London sein, nicht wahr? Und wenn er ein großer Herr in Spanien ist, weite Ausflüge durch das Land unternimmt, kann er nicht bei Taffanny einbrechen oder mit Connor zusammen sein.«

 

»So wissen Sie es?« unterbrach sie ihn hastig. »Ich wollte diesen Mann heute abend sehen, aber er schickte mir ein Telegramm – –«

 

»Das Telegramm kam von mir«, sagte Gunner Haynes kühl. »Ihre Verabredung mit ihm ist ein für allemal aufgehoben.«

 

»Woher wußten Sie das?« fragte sie.

 

Gunner lächelte geheimnisvoll.

 

»Ich habe eine Menge Quellen, die ich nicht verrate«, sagte er. »Was ich mit Ihnen ausmachen will … Ihr Gatte ist in Spanien! Sie haben Briefe von ihm erhalten, die Sie leider vernichtet haben.«

 

Jetzt verstand sie. Kam er von Luke? Es gab keine andere Erklärung für seine Worte, und sie fragte nicht weiter.

 

»Ich bin seit Jahren nicht in Ronda gewesen«, sagte der Gunner ruhig. »Und wenn ich dort gewesen wäre und Ihren Gatten getroffen hätte, könnte er doch nicht wissen, daß ich Sie mal besuchen würde. Jetzt, Mrs. Maddison, will ich jene unverschämte Frage noch einmal wiederholen: Warum hat Ihr Gatte Sie verlassen? – Nein, nein, das meine ich nicht! Ich weiß, warum er Sie verließ. Aber warum ließen Sie ihn im Stich? Das weiß ich nicht, und ich will wetten, Ihr Gatte auch nicht. Nur Sie wissen es – und Danty!«

 

Sie schwieg; aber sie begriff in diesem Augenblick, warum sie Rex‘ letzte Nachricht nicht zerstört hatte. Sie hatte sie aufbewahrt, um sie Luke eines Tages zu zeigen und die Erklärung von ihm zu fordern, nach der sie damals hätte fragen sollen. Es war ihre Rechtfertigung – die einzige für ihr Verhalten.

 

»Das ist eine sonderbare Frage von einem Fremden, Mr. Haynes, und ich weiß nicht, ob ich Ihnen antworten soll oder nicht.«

 

Sie stand eine Weile in Gedanken verloren, dann drehte sie sich plötzlich um und ging aus dem Zimmer. Haynes nahm seinen Hut vom Boden auf und erhob sich in der Meinung, daß die Unterredung beendet sei. Aber nach wenigen Minuten kam sie mit einem Briefumschlag in der Hand wieder in das Zinnner.

 

»Ich will Ihnen etwas sagen, was außer mir und Mr. Morell niemand weiß«, sagte sie. »Als mein Bruder sich erschossen hatte, fand man diese Zettel in seinem Zimmer.«

 

Sie nahm zwei Zettel aus dem Umschlage und gab sie ihm. Gunner Haynes las:

 

»Margaret, mein Liebling, ich bin verloren. Monatelang habe ich spekuliert und heute einen verzweifelten Schritt gewagt auf den Rat von Luke Maddison. Er hat mich ruiniert – Geld ist sein Gott. Ich bitte Dich um alles in der Welt, trau ihm nicht. Er hat mich von einer Torheit in die andere getrieben. Gott segne Dich.                    Rex.«

 

»Ist das die Handschrift Ihres Bruders?« Sie nickte.

 

»Könnten Sie es beschwören?«

 

»Ja, ich bin sicher, daß es die seine ist. Ich habe Hunderte solcher mit Bleistift geschriebener Zettel von ihm bekommen, und ich kann mich unmöglich irren.«

 

»Wer fand den Zettel?«

 

»Mr. Morell fand ihn in Rex‘ Zimmer. Der arme Rex hatte einen Diener, einen durchaus vertrauenswürdigen Menschen, der sah die Zettel, ehe Mr. Morell sie in seine Tasche steckte – –«

 

»Er hat ihn natürlich nicht gelesen?« mutmaßte der Gunner. »Der Diener, meine ich?«

 

»Ich glaube nicht. Er sah den Zettel, und Mr. Morell nahm ihn schnell an sich.«

 

Der Gunner besaß ein bewundernswertes Gedächtnis. Von diesem Augenblick an hätte er den Brief Wort für Wort wiederholen können, er brauchte keine Abschrift, und gab ihn der jungen Frau zurück.

 

»Natürlich glaubten Sie, Ihr Gatte wäre für den Tod Ihres Bruders verantwortlich, und das war der Grund, warum Sie so handelten.«

 

»Hat er Ihnen das gesagt?« fragte sie hastig.

 

Gunner sagte weder nein noch ja. Er blickte stirnrunzelnd auf den Teppich, die Hände in den Hosentaschen, seine Unterlippe vorgeschoben.

 

»Sonderbarer Kerl, dieser Danty«, sagte er nach einer Weile, und sie merkte, daß er mehr zu sich als zu ihr sprach. »Er war immer ein Kleinigkeitskrämer. Etwas von einem Geizhals steckt in ihm, obgleich er niemals Geld festhalten konnte und das auch niemals lernen wird. Gauner sterben alle arm.«

 

»Werden Sie auch – –« begann sie, hielt aber verlegen inne.

 

Sie sah ein seines Lächeln über sein Gesicht huschen.

 

»Sie waren im Begriffe, mich zu fragen, werden Sie …?«

 

»Nein, Mrs. Maddison, ich werde nicht arm sterben, oder ich müßte verrückt werden. Ich brauche nicht mehr zu arbeiten. Meine Ansichten haben sich geändert. Damit will ich nicht sagen, daß ich auf zu schlechten Wegen gewandert bin. Vor fünf Jahren verkaufte mir ein Kumpan einen ganzen Stoß Anteile an einem Kupferbergwerk. Es hatte den Anschein, als wenn sie nicht mehr wert wären als das Papier, auf dem sie gedruckt waren, aber glücklicherweise warf ich sie nicht ins Feuer. Es wurde Kupfer gefunden, während ich in Untersuchungshaft war, und ich habe sie mit großem Gewinn verkauft. Ich werde nur noch ein Verbrechen verüben.«

 

Sie war im Begriff, darüber zu lächeln, aber sie sah etwas in seinen Augen, das das Lächeln auf ihren Lippen erstarren ließ.

 

»Danty Morell muß bestraft werden – – sobald ich Beweise habe«, sagte er langsam.

 

Er zog seine Uhr aus der Tasche.

 

»Ich habe eine wichtige Verabredung, Mrs. Maddison. Erlauben Sie, daß ich gehe. Verlangen Sie nicht, daß ich Ihrem Gatten Nachricht gebe, denn ich weiß nicht, wo er ist. Und wenn ich es wüßte, würde ich es Ihnen nicht sagen.«

 

»Ist er gesund?« fragte sie ängstlich.

 

»Ganz gesund«, antwortete er.

 

Er machte keine Anstalten zu gehen, sondern blieb stehen und spielte mit seiner Uhrkette.

 

Plötzlich sagte er: »Er wird Geld brauchen, aber das klingt von mir … na, Sie verstehen ja. Wenn es not tut, kann er von mir soviel Geld haben, wie er braucht, doch finde ich es besser, wenn Sie es geben würden, schon um mir Ihr Vertrauen zu beweisen.« Er kicherte. »Das erinnert mächtig an Danty! Wenn Sie irgendeinen Zweifel haben, Mrs. Maddison, dann geben Sie mir nichts. Ich brauche zweihundert Pfund, aber dreihundert wären noch besser.«

 

Sie verließ das Zimmer und kam mit einem Päckchen Geldscheinen wieder.

 

»Vierhundert werden noch besser sein«, sagte sie, und er steckte das Geld in die Tasche, ohne zu zählen.

 

»Scheint ein leichtes Spiel zu sein. Schade, daß ich nicht früher damit anfing«, sagte er. »Danty, das ist ein Kerl! Es gibt keinen besseren Lügner in der Welt als er!«

 

Er streckte seine Hand aus, und sie schüttelte sie.

 

»Ich werde Sie wiedersehen, Mrs. Maddison; eines Tages vielleicht, wenn Sie nach Ronda reisen, werden Sie mir erlauben, denselben Zug zu benutzen, damit Sie nicht einem richtigen Hochstapler in die Hände fallen!«

 

Kapitel 21

 

21

 

Margaret hatte lange zu warten, bis Mr. Gorton herunterkam, und als er endlich erschien, konnte er ihr nur in größter Eile mitteilen, daß man einen Mann in der Wohnung gefunden hätte, der aber entwischt sei. Der Pförtner des Hauses gab ihr dann eingehendere, aber in vielen Dingen nicht ganz genaue Auskünfte.

 

»Ja, Mrs. Maddison, die Polizei hat einen Mann in der Wohnung gefunden … ich sah ihn gerade noch einen Augenblick, bevor er ausrückte. Ein gut aussehender Mensch, mit Schnurrbart und, wie die Polizei sagt, ein ganz gefährlicher Einbrecher – hatte einen Revolver bei sich. Vielleicht möchten Sie selbst mal nach oben gehen?«

 

Margaret zögerte erst und sagte dann:

 

»Ja, ich möchte es eigentlich«, und der Mann fuhr sie im Fahrstuhl nach oben. Ein Detektiv war als Wache zurückgeblieben und schien sie zu erwarten.

 

»Wünschen Sie, daß ich bleibe, Mrs. Maddison. Inspektor Gorton hat gesagt, er würde gern eine Liste der fehlenden Gegenstände haben und will morgen früh zu Ihnen kommen.«

 

Er führte sie in das Zimmer, wo der »Einbrecher« gewesen war. Schubfächer waren herausgezogen, ein Schreibtisch war aufgebrochen (Luke hatte den Schlüssel verloren), und Papiere bedeckten den Boden.

 

»Mr. Gorton hat keine Idee, wonach der Mann eigentlich gesucht hat«, erzählte ihr der Detektiv. »In einem der Schubfächer lag eine goldene Uhr, aber er hat sie nicht angerührt; wir glauben, er war scharf auf Garderobe.«

 

Er zeigte ihr den großen Handkoffer, der mit Sachen vollgestopft war. Ein Gesellschaftsanzug, ein halbes Dutzend Hemden und Kragen, Taschentücher und ein Pyjama.

 

»Aber er muß sehr viel Zeit mit dem Schreibtisch verloren haben. Mein Kollege erzählte mir, daß er unter dem Hemd ein kleines Buch verborgen hatte; er fühlte es, als der Mann sich losriß und entwischte.«

 

»Ein Buch?« fragte Margaret schnell. »Das ist aber merkwürdig!«

 

Und dann fielen ihre Augen auf einen Briefumschlag, der auf der Erde lag. Sie erkannte ihn sofort. Er trug den offiziellen Stempel des Paßbüros; Luke hatte ihn am Tage vor ihrer Trauung in der Tasche gehabt und ihr in seiner scheuen, halb amüsierten Weise gezeigt, die sie manchmal so gereizt hatte. Es war sein neuer Paß, der etwas voreilig schon das Bild seiner Frau enthielt. Luke hatte das Paßbuch geöffnet, und sie hatte sich ein wenig geärgert, weil er leichtsinnigerweise ihren Namen gefälscht hatte, um ihr das Dokument als Geschenk zum Hochzeitstage überreichen zu können. Sie nahm den Umschlag auf. Er war leer – das war also das Buch, das der Einbrecher gestohlen hatte – und warum? Verschiedene Bogen Papier lagen auf dem Boden, sie nahm einen auf und starrte sprachlos auf die wenigen Worte. Das Datum war mit auf die erste Reihe gekritzelt worden, und diese lautete:

 

»Mein lieber Hulbert! Ich bin in einer außerordentlich schrecklichen –«

 

Lukes Handschrift! Luke war hier gewesen. Sie fand einen zweiten Bogen, gleichfalls an den Anwalt gerichtet, aber die ausgestrichenen Worte waren nicht mehr zu erkennen. Allem Anschein nach hatte er sich in der Absicht, an Hulbert zu schreiben, an den Tisch gesetzt, aber nach einem zweimaligen Versuche sein Vorhaben geändert.

 

Das sah Luke ähnlich: er konnte niemals der Versuchung widerstehen, die ihm ein Bogen Briefpapier darbot. Er mußte dann schreiben, an irgendjemand … oft hatte er ihr das erzählt.

 

Luke war hier gewesen; Luke war der Einbrecher. Aber warum denn nur?

 

Sie wandte sich dem Detektiv zu und war schon im Begriff, diesem ihre Entdeckung mitzuteilen, als er etwas sagte, was sie veranlaßte zu schweigen.

 

»Er muß ein schwerer Junge sein – einer unserer Leute hat in ihm den Mann erkannt, der heute nachmittag das Auto steuerte, als Taffanny beraubt wurde. Er gab einem der Verkäufer einen Faustschlag unters Kinn –«

 

»Aber das ist unmöglich!« rief sie entrüstet. »Dieser Mann ist –«

 

»Ach, Sie haben die Zeitung gelesen – ein bärtiger Mann, das stimmt schon, aber er hat sich den Bart abnehmen lassen. Johnson – mein Kollege – hat ihn mit einem Mädel im Park spazierenfahren sehen.«

 

Wieder blieben die Worte ungesprochen, die sie auf der Zunge hatte. Sie erinnerte sich an den bärtigen Mann, erinnerte sich, daß in seiner Haltung – sie hatte ihn ja nur von hinten gesehen – etwas ihr Vertrautes gelegen hatte… und er fuhr mit einer berüchtigten Frau spazieren – einer Frau, die der Polizei gut bekannt war.

 

»Sie ist heute nacht gefaßt worden«, fuhr der mitteilsame Detektiv fort, »und Mr. Gorton ist ziemlich sicher, daß sie den anderen verpfeifen wird – ich meine, sie wird erzählen, wer ihr Begleiter war. Nach allem, was man gehört hat, ist er in den letzten ein oder zwei Jahren sehr häufig mit ihr zusammen gesehen worden.«

 

Sie hörte ihn sprachlos an und konnte nur den Kopf in schwachem Protest schütteln.

 

»Es konnte aber nicht derselbe Mann gewesen sein«, brachte sie endlich heraus.«

 

»Kennen Sie ihn denn – ich meine den Menschen, der hier in der Wohnung war?« Der Detektiv blickte sie scharf an.

 

»Nein, nein«, entgegnete sie hastig. »Ich dachte nur… aber das wäre ein so außergewöhnlicher Zufall –«

 

»Ich habe so das Gefühl, als ob Mr. Gorton ihn kennt.« Mit diesen Worten schloß der Detektiv die Tür und ging mit ihr die Treppe hinunter. »Ich hörte, wie er dem Sergeanten erzählte, daß er vielleicht derselbe Mann wäre, der in jener Nacht, als man Lewing tötete, so schwer verletzt ins Hospital gebracht wurde. Wenn das stimmt, kann er erst wenige Tage wieder heraus sein.«

 

Sie bot dem Beamten etwas Geld an, aber mit großer Festigkeit lehnte er es ab und half ihr in den Wagen.

 

Die Summe, die sie zu zahlen hatte, als sie schließlich ihr Haus erreichte, sagte ihr, daß sie über zwei Stunden unterwegs gewesen sein mußte.

 

Ihr Mädchen wartete noch auf sie, und Margaret ließ sich Kaffee bereiten. Dann drehte sie alle Lichter im Wohnzimmer an, öffnete ihren Schreibtisch und nahm ein Paket Briefe heraus, die sie von Luke erhalten hatte. Sie verglich diese mit den beiden heimlich mitgenommenen Bogen. Es war kein Zweifel möglich: Lukes Handschrift. Die Überschrift »Meine liebe« begann überall in der Mitte einer jeden Seite.

 

Es war Luke. Und es war auch Luke, der an diesem Nachmittag mit einer ganz unmöglichen Frauensperson in einem Auto gesehen worden war! Luke, der hilfreiche Hand bei dem Raubüberfall auf Taffanny geleistet hatte!

 

Entsetzt war sie eigentlich nicht; die Entdeckung, die sie gemacht hatte, war so ungeheuerlich, daß ihre Empfindungen sich nicht durch ein so alltägliches Wort beschreiben ließen. Sie betrachtete Luke Maddison, den Bankier, den Einbrecher, den Räuber, den Begleiter von zweifelhaften Damen, mit der Ruhe eines Wissenschaftlers, der ganz zufällig auf eine neue, überaus interessante Entdeckung gestoßen ist.

 

Es war so unbegreiflich, so absurd, daß jedes Zeichen von Ärger oder Demütigung lächerlich sein würde. Man achtet kaum noch auf Anstand und Rücksichtnahme, wenn man die Erde unter sich schwanken fühlt, die Mauern um sich zusammenbrechen sieht. Margaret legte sich zur Ruhe und schlief traumlos bis in den Morgen hinein. Sie saß beim Frühstück, als Inspektor Gorton gemeldet wurde, dessen Bericht über seinen Mißerfolg sie ruhig anhörte.

 

»Der Kerl rannte wie ein Hase, muß ein trainierter Läufer gewesen sein. Ich bin beinahe sicher, daß er derselbe ist, der in einer Messerstecherei in Süd-London schwer verletzt wurde. Lewing ist dabei getötet worden.«

 

»Wer war denn Lewing?«

 

Gorton zuckte seine breiten Schultern.

 

»Nichts Besonderes, obgleich die Bande seinen Namen trug. Ihr eigentlicher Anführer ist ein ›Kavalier‹, ein gewisser Danty Morell – obgleich er sich in letzter Zeit nicht sehr aktiv beteiligt hat …«

 

Sie hatte klirrend die Tasse niedergesetzt. Er sah, wie blaß sie geworden war.

 

»Danty Morell? Sie meinen doch nicht etwa Mr. Danton Morell, der in der Halfmoon Street wohnt?«

 

Gorton lächelte.

 

»Ich hätte das vielleicht nicht erwähnen sollen, aber ich dachte, Mr. Bird hätte schon davon gesprochen. Sie kennen doch Mr. Bird? … Ich hoffe aber, daß Sie Mr. Morell nicht kennen!«

 

»Ich kenne ihn sehr gut.« Ihre Stimme war fest, und sie lächelte. »Aber Sie können meiner Diskretion versichert sein, Inspektor; ich komme mir bald selbst wie ein Beamter von Scotland Yard vor.«

 

Sie hielt ihre Hände im Schoß gefaltet, so daß er nicht bemerken konnte, wie heftig sie zitterten.

 

»Vielleicht hat er sich auch geändert«, sagte Gorton mit dem unbehaglichen Gefühle, etwas Unrechtes gesagt zu haben. »Einige von den Menschen bessern sich ja auch manchmal. Ich weiß nur, daß seit langer Zeit nichts gegen ihn vorliegt. Morell ist natürlich nicht sein eigentlicher Name – den habe ich vergessen, aber der Spatz – ich meine Mr. Bird – kennt ihn. Großartiger Kerl, dieser Danty! Er kann reden wie ein Wasserfall! Glänzend … man sagt, er ist einer der gerissensten Schwindler, die jemals in Europa gearbeitet haben. Vielleicht hat er auch genug Geld gemacht, um sich vom Geschäft zurückziehen zu können.«

 

Danton Morell! Wie hatte sie ihn doch kennengelernt?

 

Sie versuchte, sich den Beginn ihrer Bekanntschaft ins Gedächtnis zurückzurufen. Natürlich, es war ja ihr Bruder – ihr armer Bruder –, der ihr Danton vorgestellt hatte. Rex kannte so viele merkwürdige Leute. Sie vertraute ihm – und hatte auch Danty vertraut. Sie hatte ihm rückhaltslos geglaubt, hatte ihm geglaubt, als er ihr erzählte, Luke hätte ihren Bruder zu Tode gehetzt, hatte ihm geglaubt, als er ihr Rex‘ letzte jammervolle Mitteilung auf den beiden kleinen Bogen Briefpapier brachte – diese war wenigstens echt. Sie kannte ihres Bruders Handschrift.

 

Sie sah eine neue Welt vor sich, oder sah sie vielleicht von einem neuen Gesichtspunkt aus. Sie fühlte sich jetzt imstande – wie das kam, wußte sie selbst nicht –, sich ganz ruhig mit Problemen zu beschäftigen, die ihr erst gestern noch Entsetzen eingeflößt hatten.

 

Gorton, der in der Nacht wenig Ruhe gefunden hatte, leistete ihrer Einladung, mit ihr zu frühstücken, Folge, obgleich er sich nur auf eine Tasse Kaffee und ein Brötchen beschränkte.

 

»Also nichts fehlte? Der Beamte, den ich als Wache zurückgelassen hatte, erzählte mir, daß Sie dagewesen wären und nachgesehen hätten. Wo ist denn eigentlich Ihr Gatte, Mrs. Maddison?«

 

»In Spanien, glaube ich.« Die Antwort fiel ihr schwer. »In ein oder zwei Tagen werde ich dort mit ihm zusammentreffen.«

 

»Keines der Hochzeitsgeschenke befand sich in der Wohnung?«

 

Sie schüttelte den Kopf und sagte lächelnd:

 

»Wir hatten überhaupt keine Hochzeitsgeschenke.«

 

Er trank seinen Kaffee, legte die Serviette zusammen und stand auf.

 

»Jetzt habe ich etwas sehr Unangenehmes vor mir; ich wünschte, jemand anderes könnte es an meiner Stelle tun«, sagte er.

 

»Sie wollen jemand verhaften?«

 

»Nein, das wäre gar nicht so schlimm. Es macht mir sogar Spaß, diese Kerls hinter Schloß und Riegel zu bringen, und der Tag, an dem ich den unternehmenden Herrn zu fassen bekomme, der in der letzten Nacht der Wohnung Ihres Mannes einen Besuch abgestattet hat, wird einer der glücklichsten sein, den ich seit Jahren gehabt habe! Nein, es handelt sich um etwas Grausiges, das ich Ihnen lieber nicht erzählen möchte.«

 

»Ich glaube nicht, daß ich so leicht zu erschrecken bin.«

 

»Es ist eigentlich nichts Besonderes«, erklärte Gorton. »In der letzten Nacht hatten wir sehr hohe Flut, und die Strompolizei hat den Körper eines Mannes gefunden, der augenscheinlich heute nacht ertrunken ist. Ich muß nach dem Leichenschauhaus fahren und sehen, ob ich ihn vielleicht kenne. Nach der Beschreibung, die man mir geschickt hat, sollte es mich gar nicht wundern, wenn es unser Einbrecher wäre.«

 

Sie hatte gesagt, sie wäre nicht so leicht zu erschrecken. Aber jetzt war sie zu Tode erschrocken, krampfte die Hände zusammen, daß sie schmerzten – und nur der Schmerz verhinderte, daß sie ohnmächtig wurde.

 

Kapitel 22

 

22

 

Es war merkwürdig, daß Luke Maddison während der wenigen Stunden, die er in seiner kleinen Zelle verbrachte, so gar nicht an die Dinge dachte, die ihm eigentlich am meisten am Herzen liegen mußten. Er sah den Tod vor sich – den Tod in seiner abschreckendsten Form, denn es war unmöglich, Connors Absichten mißzuverstehen – und dennoch beschäftigten sich seine Gedanken mit den trivialsten Kleinigkeiten.

 

Wenn er überhaupt an Margaret dachte, so war es nur, weil er sich über ihre Anwesenheit in seiner Wohnung wunderte. Sie mußte seinen Schlüssel gehabt haben, die Polizei mußte sich an sie gewandt haben – aber warum?

 

Dann fiel ihm ein, daß er mit Hulberts Diener gesprochen hatte. Der Mann hatte sicherlich Verdacht geschöpft und sich mit dem nächsten Polizeirevier in Verbindung gesetzt!

 

Er dachte an seine Fahrt durch London in dem unbequemen, polternden Lastwagen, verbrachte beinahe eine Stunde in dem vergeblichen Bemühen, herauszufinden, wo sich das Häuschen, das ihn gefangenhielt, wohl befinden könnte. Wenn er auf dem Wege nach der City das Embankment entlang fuhr, mußte er häufig genug an diesem Grundstücke, an demselben kleinen Gebäude, vorbeigekommen sein. Zweimal wöchentlich fuhr er in die City, zu Besprechungen der Direktoren, und er liebte das Embankment in den frühen Stunden des Frühlings, wenn die zarten grünen Knospen sich langsam öffneten und das Sonnenlicht bewegliche Schatten der Äste und Zweige auf das Pflaster warf.

 

Man sagt, daß in den letzten Stunden das Leben eines Menschen an ihm vorübergleitet. Auch Luke versuchte, dieser Tradition nachzukommen, gab aber schon nach wenigen Minuten den Versuch gelangweilt auf.

 

Er ging in seiner Zelle umher, betastete die Wände in einer Anwandlung verbissenen Humors… suchte nach den gelockerten Steinen, die unweigerlich in den Gefängnissen der Romanhelden zu finden sind. Nicht, daß er sich selbst als eine Art Heros fühlte. Ganz und gar nicht. Er war ja nur ein ganz gewöhnlicher Einbrecher – mit der Aussicht auf drei Jahre Haft, mit der Gewißheit, aufzuhören, ein unbescholtener Mann zu sein. Er wurde sich darüber klar, daß es nicht allein Rücksicht auf Margaret war, die ihn wünschen ließ, ihren Namen nicht in diese schmutzige Geschichte verwickelt zu sehen … nein, vor allen Dingen der Wunsch, seine eigene, ungeheuere Torheit zu verheimlichen. Was hatte Connor vor? … Er war beinahe ungeduldig, die Antwort auf diese Frage zu finden.

 

In der Nähe mußte eine Kirchturmuhr sein; er hörte die viertel, die halben, die ganzen Stunden schlagen, und die letzten Noten der dritten zitterten noch in der Luft, als er hörte, wie ein Schlüssel in das Türschloß gesteckt wurden Die Tür öffnete sich, die beiden Männer, die ihn gefangengenommen, kamen herein und winkten ihm, mitzukommen. Ihr Wesen war freundlich, beinahe zuvorkommend.

 

Er folgte ihnen in das Zimmer, in dem Connor geschlafen zu haben schien. Er saß auf der Kante eines Feldbettes, fuhr sich mit den Händen durch die Haare und gähnte fürchterlich. Auf dem Tische standen vier Tassen dampfenden Kaffees und ein Teller mit belegten Brötchen.

 

»Setzen Sie sich, Smith. Wir müssen mal überlegen, was wir eigentlich mit Ihnen anfangen sollen«, sagte Connor und stand gähnend auf.

 

Er zog sich einen Stuhl an den Tisch und ließ sich auf diesen fallen, griff nach einer Tasse und nahm sich ein Brötchen.

 

»Bedienen Sie sich; da ist Milch und Zucker.«

 

Er schob Luke, der interessiert um sich blickte, eine Tasse zu. Auf einem Stuhl lagen vier große Barren einer weißen, kristallinischen Masse – es war Salz, wie er annahm – und auf dem Fußboden mehrere schwere Ketten.

 

Connor folgte der Richtung seines Blickes.

 

»’n bißchen Salz kaufen?« fragte er gutgelaunt.

 

Die Frage schien den beiden anderen lächerlich vorzukommen, denn sie kicherten.

 

»Ich bin nicht in der Salzbranche«, war Lukes gleichfalls lächelnde Antwort.

 

Er kostete den Kaffee; er war schlecht, aber Luke empfand seine Wärme angenehm. Die Nacht war kühl, und er hatte in seiner Zelle gefroren.

 

»Was werden wir nun mit Ihnen machen, Smith?«

 

Luke nahm einen langen Schluck und lehnte sich lächelnd in seinen Stuhl zurück.

 

»Sie können erst mal eine sehr interessante Geschichte anhören«, begann er, »und dann noch tausend Pfund verdienen.«

 

Er sah den Geist eines schwachen Lächelns auf Connors Gesicht erscheinen.

 

»Schießen Sie los«, sagte dieser.

 

Dann erzählte Luke die ganze Geschichte, ohne jedoch Margarets Namen zu erwähnen. Gab ihnen seinen Namen und Adresse, erzählte ihnen, wie er mit Lewing bekannt geworden war und von dessen kleiner Betrügerei, wie er ihn schließlich in jener fatalen Nacht getroffen hatte –

 

»Aber warum sind Sie denn überhaupt weggelaufen?« war Connors Frage.

 

Das war schwieriger zu erklären, denn Luke war gezwungen, das eigentliche Motiv für sein merkwürdiges Verhalten zu verschweigen. Er konnte und wollte weder von seiner Heirat noch von Margarets Verhalten ihm gegenüber sprechen; und ohne diese Gründe – er fühlte das selbst – klang seine Erzählung unglaubhaft. Trotzdem gab er sich alle Mühe, seine Worte so überzeugend wie möglich zu finden, aber Connor schüttelte den Kopf.

 

»Ich habe genug von Ihnen gehört, Smith – es hat bis jetzt noch keinen… na, sagen wir: Industrieritter – gegeben, der nicht die prachtvollsten Geschichten erzählen konnte. Wenn Sie wirklich ein Musterbeispiel der australischen Sorte sein wollen, wundere ich mich eigentlich, daß Sie nicht verhungern! Trinken Sie Ihren Kaffee! Ich muß erst einen Ausweg finden, um die ganze Sache hier in nicht zu unangenehmer Weise zu erledigen.«

 

Luke trank seinen Kaffee aus und setzte die Tasse nieder.

 

»Und jetzt will ich Ihnen was sagen«, Connors Stimme klang nicht mehr freundlich oder liebenswürdig, »Sie sind bei der Polizei gewesen und haben versucht, uns zu verraten. Und jetzt glauben Sie, sich mit einer so blöden Geschichte aus der Affäre zu ziehen … Nein, mein Lieber … Verpfeifer … Polizei wird Sie schon auffischen…«

 

Luke hörte nur noch einzelne Worte – er war plötzlich so ungeheuer müde geworden. Sein Kopf sank vorwärts auf die Brust, trotz all seiner Mühe war er nicht imstande, die Augen zu öffnen. Es kam ihm nicht einmal zum Bewußtsein, daß er Laudanum getrunken hatte.

 

»Festhalten!« rief Connor, und einer der Leute faßte Luke, der gerade seitwärts zu Boden fallen wollte, und ließ ihn auf den Fußboden gleiten. Connor schob den Tisch zurück und wies mit dem Daumen auf die Salzblöcke. Zwei wurden unter Lukes Füße gelegt, und einer der Männer grub mit einem Messer tiefe Einschnitte in die Blöcke. Connor nahm die schweren Ketten und legte sie sorgfältig um die Salzblöcke und Lukes Füße.

 

Sie verhandelten über ihr grausiges Vorhaben, ohne irgendwelche Erregung zu zeigen.

 

»Paß auf, Harry, daß die Kette nicht über die Beine gleitet. Zieh sie noch etwas fester an … halt, nicht zu fest, sonst zerbrichst du das Salz.«

 

Endlich waren sie fertig, und Connor richtete sich auf.

 

»Holt mal die alte Planke … da können wir ihn drauflegen«, befahl er, und der größere der beiden ging zur Tür und öffnete sie.

 

Connor sah ihn zurückfahren.

 

»Wer ist das?« rief er scharf.

 

Der Mann, der in dem Gang gestanden hatte, betrat gemächlich das Zimmer. Connor erkannte ihn und zeigte die Zähne wie ein bissiger Hund.

 

»Hallo, Gunner! Was, zum Teufel, wollen Sie denn hier?«

 

Gunner Haynes blickte von ihm auf den bewußtlosen Mann auf dem Fußboden.

 

»Sehr geschickt, aber nicht neu«, er zog verächtlich die Worte auseinander. »Ihr werft ihn in den Fluß, das Salz löst sich langsam auf, die Ketten gleiten ab, und die Leichenschaukommission wird sagen: ›Ertrunken … Unfall.‹ Es ist zu schade.«

 

»Was ist schade?« fragte Connor.

 

»Daß ich gerade jetzt hierherkommen muß«, antwortete Haynes gemütlich. »Wer ist denn das … Opfer?«

 

»Es gibt überhaupt kein Opfer«, sagte Connor heftig. »Der arme Kerl ist krank, wir wollten ihn gerade ins Hospital schaffen.«

 

Der Gunner nickte beistimmend.

 

»Und ich dachte, ihr wolltet ihn einpökeln.« Er schüttelte den Kopf und wiederholte: »Sehr geschickt, aber gar nicht neu. Keine Merkmale am Körper, nichts zu sehen, daß er nicht ganz zufällig ins Wasser gefallen und ertrunken ist. Es tut mir leid, daß ich euch euer Vergnügen stören muß, aber – den Mann hier müßt ihr laufen lassen.«

 

»Warum?« zischte Connor.

 

»Warum?« sagte Haynes freundlich. »Weil ich dabei bin. Man wird mich nicht als Beihilfe zum Mord fassen. Das liegt außerhalb meines … Berufes. Nehmt ihm mal den interessanten Apparat ab.«

 

Connor lächelte, und seine Hand senkte sich ganz unauffällig unter die Tischplatte.

 

»Wenn du ein Schießeisen herausbringst«, nicht eine Muskel in Haynes sehnigem Körper bewegte sich, »bekommst du eine Kugel in den Bauch. Es dauert ungefähr fünf Tage, bis du tot bist, und die Schmerzen sollen, wie man mir erzählt, etwas peinlich sein. Ich werde dann meiner Wege gehen, der Polizei erzählen, warum ich dich angeschossen habe, und du kannst sicher sein: Scotland Yard schickt dir keine Blumen!«

 

Einer von Connors Kameraden machte einen Schritt auf ihn zu.

 

»Hören Sie mal zu, Gunner –« begann er überredend.

 

Haynes Faust schoß so blitzschnell vor, daß der Mann den Schlag nicht parieren konnte und krachend zu Boden stürzte.

 

»Beide Hände in Sicht«, sagte der Gunner immer noch regungslos. »Leg sie auf den Tisch, Connor!«

 

Er hatte keine Waffe in der Hand, aber keiner wußte so gut wie der leichenblasse Mann auf der anderen Seite des Tisches, wie schnell, wie tödlich genau der Gunner schießen konnte.

 

»Warum die Umstände«, grollte er. »Der Kerl hier geht Sie doch gar nichts an.«

 

»Losbinden!« lächelte der Gunner. »Wie schon mal gesagt, es tut mir furchtbar leid, daß ich stören muß, aber…«

 

»Was wollten Sie denn überhaupt hier?« war die wütende Frage.

 

Der Gunner blickte nachdenklich nach der Decke.

 

»Das habe ich tatsächlich vergessen! – Wer ist denn der Mann?«

 

»Heißt Smith. Hat versucht, mich zu verpfeifen und hat dann versucht, sich mit einer ganz ausgefallenen Geschichte loszuschwindeln… er wäre Bankier… so eine Frechheit… hieße Luke soundso…«

 

Gunner Haynes beugte sich nieder und blickte in Lukes Gesicht.

 

Er erkannte den Schlafenden auf der Stelle.

 

»Luke soundso?… Wo habt ihr ihn denn aufgegabelt?« Während er sprach, winkte er einem der Männer zu: »Die Ketten ab!«

 

Der Mann blickte ungewiß auf seinen Führer, aber Connor nickte.

 

»Das Malheur mit Ihnen, Gunner, ist, daß Sie sich in anderer Leute Angelegenheiten mischen. Wenn Sie genau wissen wollen, wer und was er ist: er hat heute nachmittag die Sache in der Bond Street gedreht.«

 

Und er lieferte ihm »Smiths« Biographie. Gunner Haynes fühlte, daß er die Wahrheit sprach, begriff vieles nicht, war aber nicht allzusehr überrascht. Er hatte in seinem bewegten und wenig einwandfreien Leben so viel gesehen, so viel gehört, daß ihn nichts mehr überraschen konnte. Es hatte schon öfter Männer gegeben, die ein doppeltes Leben führten, aber diese Art doppeltes Leben gehörte seiner Meinung nach in das Bereich der Romanschriftsteller. Ein Bankier, dessen Privatvergnügen in Einbrüchen und Räubereien bestand … es schien phantastisch, unglaublich … aber doch vielleicht möglich.

 

Vielleicht war eine Frau mit im Spiel! Wenn es sich um eine Frau handelt, wird das Unverständlichste oft leicht begreiflich!

 

»Was wollen Sie mit ihm anfangen?« fragte Connor, als Haynes sich bückte und scheinbar ohne jede Anstrengung den bewußtlosen Mann aufhob und auf den Stuhl setzte.

 

Der Gunner antwortete nicht, fragte aber seinerseits:

 

»Habt ihr Sohre im Haus?« Auf dem unbeweglichen Gesicht Connors erschien ein Zeichen von Unruhe.

 

»Sohre? – Nein, wieso denn? … Ich habe mit solchen Dingen nichts zu schaffen.«

 

»Keine gefälschten Noten …?«

 

»Was meinen Sie eigentlich?«

 

Ein Lächeln zuckte über das finstere Gesicht des Gunners.

 

»Du hast gefragt, warum ich hierher gekommen bin … die Polizei macht hier eine Razzia. Ich habe es selbst erst vor einer Stunde erfahren und dachte, ich würde mal herkommen und euch Bescheid sagen. Warum ich das gemacht habe …? Das liegt nun mal in meiner Natur – armen Gaunern helfen.«

 

Er sah, wie die drei Männer einander ansahen und die Unruhe in Connors Gesicht.

 

»Wir haben heut ein Paket von Paris bekommen«, sagte er hastig. »Hol es mal her, Harry.«

 

Er sah auf Lukes zusammengesunkene Gestalt.

 

»Mit dem da machen Sie einen großen Fehler. Sie lassen ihn zur Polizei laufen, und da wird er ein Geschrei erheben, daß wir alle taub werden.«

 

Statt jeder Antwort hob der Gunner den Bewußtlosen hoch und zerrte ihn mit sich, durch die Tür, den schmalen Gang in den unordentlichen Hof. Er war im Begriff, ihn in Connors Lastwagen zu heben, als er ein leises Geräusch hörte. Das Geräusch, das ein Mann verursacht, der über einen Holzzaun klettert …

 

Er ließ Luke auf den Boden gleiten und lehnte ihn mit dem Rücken gegen die Hauswand. Dann schlich er sich geräuschlos nach dem Eingang zum Hofe. – Gegen den helleren Himmel hoben sich die Umrisse, Köpfe und Schultern, zweier Männer ab. Das genügte ihm.

 

So leise, wie er gekommen war, eilte er zu Luke zurück, nahm ihn in seine Arme und ging vorsichtig den Abhang zum Wasser hinunter. Dort mußte ein Boot liegen, und jetzt sah er es auch in der Strömung hin und her schwanken.

 

Sein ursprünglicher Plan war gewesen, Luke im Hause und dann durch die Polizei finden zu lassen, aber das war unmöglich geworden. Der Mann hatte ihm Gutes erwiesen, er durfte ihn nicht der Entdeckung, der Schande aussetzen. Wenn Connor die Wahrheit gesprochen hatte, so wurde Maddison in seiner Eigenschaft als Einbrecher von der Polizei mit demselben Eifer gesucht wie Connor selbst.

 

Er zog das Boot mit dem Fuße an die zerfallene Landungsstelle heran und ließ Luke hineingleiten. Als er selbst in das Boot stieg, hörte er Stimmengeräusch im Hof und sah elektrische Taschenlampen aufblitzen. Hastig warf er die Leine ab, zog unter Luke ein Ruder hervor und paddelte nach der Mitte des Stromes zu. – Wo war die Strompolizei?

 

Jetzt sah er das Motorboot heranschießen und konnte sich gerade noch zwischen zwei Frachtkähnen verbergen, als es in einem Halbkreis herumschwang und dem Ufer zusteuerte.

 

»Ein bißchen zu spät«, brummte der Gunner vor sich hin.

 

Entdeckung hatte er nun nicht mehr zu fürchten, falls er nicht einer anderen Patrouille begegnen würde. Das andere Ruder fand sich auch, Luke wurde zwischen den Ruderbänken verstaut, und mit kräftigen Schlägen trieb er sein Fahrzeug stromabwärts.

 

Im Osten graute es schon, in einer Stunde würde es hell sein. Der Gunner kannte in der Nähe von Rotherhithe einen Landungsplatz, wo er mit der beginnenden Ebbe sicher zu landen hoffte.

 

Seine Hoffnung sollte ihn täuschen, denn noch vor der London Brücke wurde es ihm klar, daß er sein Ziel nicht mehr bei Dunkelheit erreichen könnte. Er faßte einen schnellen Entschluß, beugte sich über den Rand des Bootes, füllte seine Mütze mit Wasser und spritzte dies dem Schlafenden ins Gesicht. Luke schauderte und wandte sich stöhnend ab, als der Gunner den Versuch noch einmal wiederholte.

 

»Mein Kopf …« klang es schwach vom Boden herauf.

 

»Still!« flüsterte Haynes. »Ich bringe Sie nach der Treppe der London Brücke.«

 

Keine Antwort, und der Gunner stieß mit dem Fuß seine stöhnende »Fracht« an.

 

»Haben Sie verstanden?«

 

»Ja, was ist denn eigentlich passiert?«

 

Sein Begleiter antwortete nicht, sondern legte sich in die Ruder, und wenige Minuten später hörte Luke, wie die Bootswand gegen die Steinmauer streifte.

 

»Können Sie aufstehen?« Gunners Hand packte Luke am Arm und half ihm in eine sitzende Stellung.

 

Mit dem Bootshaken zog er das kleine Fahrzeug an die Stufen der Kaitreppe heran, aber es dauerte volle fünf Minuten, bevor Luke imstande war, ihm zu folgen. Die Knie knickten unter ihm zusammen, und ohne die tatkräftige Hilfe seines Kameraden wäre er niemals an Land gekommen.

 

»Setzen Sie sich auf die Stufen und ruhen Sie aus«, befahl der Gauner, und dann: »Versuchen Sie aufzustehen!«

 

Lange Zeit saß Luke, den Kopf in die Hände gestützt, bis ihn schließlich die Stimme Haynes‘ auffahren ließ.

 

»Nach meinem Geschmack laufen viel zuviel Menschen über die Brücke«, sagte er. »Es ist besser, wir versuchen wegzukommen, bevor es ganz hell ist.«

 

Er half dem noch halb Bewußtlosen auf die Füße und die Treppe hinauf. Die Leute, die über die Brücke hasteten, beachteten kaum die beiden Menschen, die von dem Flußbett heraufgestiegen kamen, und Gunner führte Luke in der Richtung nach der Tooley Street. Dann rief er ein vorbeifahrendes Taxi an, schob Luke hinein und sagte zu dem Führer:

 

»Mein Freund hat ein bißchen schwer geladen. Fahren Sie nach der Lennox Street in Clerkenwell.«

 

Ein großer Häuserblock in der Lennox Street, wo der Gunner schon seit Jahren sein Hauptquartier in einer kleinen Wohnung – wenn man überhaupt von Wohnung sprechen kann – im Erdgeschoß hatte. Er kam sehr selten hierher, und die Polizei hatte keine Ahnung, wer der Inhaber der Wohnung war. Es war in Wirklichkeit sein pied-à-terre, sein Zufluchtsort im Falle der dringendsten Not. Vor zwei Nächten hatte er dort geschlafen, und die Aufwartefrau, die die Wohnung sauber hielt, hatte das Bett gemacht. Er legte Luke Maddison darauf.

 

»Die müssen Ihnen eine ziemlich starke Dose gegeben haben«, sagte er. »Ich werde Ihnen Kaffee machen.«

 

»Kaffee … brrrr«, schauderte Luke.

 

»Ach so, man hat Ihnen das Zeug im Kaffee beigebracht. Das ist jedenfalls der Grund, daß Sie noch nicht tot sind.«

 

Bevor er das Gas ansteckte, ließ er die Jalousien herab und ging dann in die kleine Küche. Er bereitete den Kaffee, wie ein Mann es tut, der jahrelang auf dem Kontinent für sich selbst zu sorgen hatte, der heute in München war und wenige Tage später vielleicht in Biarritz: Das Getränk war vorzüglich. Als er in das Zimmer zurückkam, saß Luke in sich zusammengesunken auf dem Bettrand.

 

»Ein paar Aspirintabletten sollten Sie wieder in Ordnung bringen«, sagte Haynes und machte sich auf die Suche nach ihnen.

 

Luke schluckte sie hinunter und wurde sich jetzt erst bewußt, wer sein Wohltäter eigentlich war.

 

»Sind Sie nicht Gunner Haynes?«

 

»So heiße ich«, war Haynes lächelnde Antwort.

 

»Wo ist Connor?«

 

Wieder das unergründliche Lächeln.

 

»Im Gefängnis, wie ich hoffe. – Nun, Mr. Maddison, fühlen Sie sich wohl genug, daß wir sprechen können?«

 

Luke blickte schnell auf.

 

»Sie kennen mich?«

 

Der Mann nickte.

 

»Im Augenblick, wo ich Sie sah, habe ich Sie wiedererkannt. Eines muß ich aber vor allen Dingen wissen – ist es wahr, was Connor mir erzählt hat? … Sind Sie bei dem Einbruch in Taffannys Geschäft dabei gewesen?«

 

»Ich habe das Auto gesteuert. Ich hatte nicht die geringste Idee, was man von mir wollte, oder um was es sich eigentlich handelte, bis – bis es zu spät war.«

 

»Sie waren also der bärtige Mann?« sagte der Gunner nachdenklich. »Das ist ja mehr als überraschend. Ich verlange keine Erklärung von Ihnen, aber …«

 

»Ich werde Ihnen alles erklären, sobald mein verwünschter Kopf etwas besser ist«, stöhnte Luke.

 

Es war schon zwei Uhr nachmittags, als Luke aus seinem unruhigen Schlafe erwachte. Sein Kopf war immer noch etwas benommen, im Munde hatte er einen Geschmack, bitter wie Galle, aber eine kalte Waschung in der Küche brachte ihn allmählich in seinen normalen Zustand. Bei einer Tasse Tee und einer Zigarette erzählte er seine Geschichte vom Anfang bis zum Ende, ohne diesmal etwas zu verbergen.

 

Der Gunner hörte schweigend, ohne jede Unterbrechung, zu, bis er seine Erzählung beendet hatte.

 

»Und das haben Sie auch Connor erzählt?«

 

»Ja. Nur habe ich nichts von meiner Frau und auch nichts von dem – Gelde erwähnt. Warum fragen Sie?«

 

»Ich weiß es selbst nicht recht. Connor ist ein gemeiner Kerl. Die einzige Hoffnung für Sie ist, daß er Knast kriegt – mit diesem wenig schönen Worte meine ich, daß er ins Gefängnis wandert. Wenn er bei der Razzia gut davongekommen ist, wenn die Polizei nichts Belastendes gefunden hat, und ich Narr habe ihn ja zeitig genug gewarnt – wissen Sie, Mr. Maddison, Connor gehört zu der Art Menschen, die die unglaublichsten Geschichten nachprüfen, wenn sie hoffen, daß vielleicht Geld dabei zu holen ist. Und das kann Ihnen bei Ihrem Wiederauftauchen noch große Schwierigkeiten bereiten.«

 

Er zündete sich eine neue Zigarette an und starrte an seinem Gast vorbei ins Leere.

 

»Warum hat Ihre Frau Sie so gehaßt? – Sie haben das soviel als möglich bemänteln wollen.«

 

Luke sah nachdenklich vor sich hin.

 

»Das ist doch, glaube ich, nicht so schwer zu verstehen«, sagte er endlich. »Sie nahm an, ich wäre für den Tod ihres Bruders verantwortlich. Er hat sich erschossen.«

 

»Ja, aber warum konnte sie denn das annehmen?« fragte der Gunner von neuem. »Zugegeben: Danty Morell kann einen außerordentlich glaubwürdigen Eindruck machen, aber schließlich wäre doch in diesem Fall sein Wort allein nicht genügend.« Er dachte einen Augenblick nach und fragte dann schnell: »Hat der junge Mann, als er sich erschoß, eine Mitteilung hinterlassen?«

 

»Davon ist mir nichts bekannt«, antwortete Luke kopfschüttelnd, »auch bei der Sitzung der Totenschaukommission ist nichts davon erwähnt worden.«

 

»Wer hat den Toten gefunden?«

 

Luke überlegte.

 

»Morell kam in seine Wohnung und fand ihn tot auf dem Boden.«

 

»Dachte ich mir’s doch«, warf der Gunner ein. »Und gleich darauf änderte sich Mrs. Maddisons Verhalten Ihnen gegenüber. Da waren Sie natürlich noch nicht verheiratet, ist es nicht so? – Gut … das bedeutet also, daß Danty der jungen Dame irgendein Beweisstück vorlegte, das schwerwiegend genug war, um sie zu diesem – hm – Vorgehen gegen Sie zu veranlassen –«

 

»Ich mache ihr keine Vorwürfe«, warf Luke ein.

 

Er sah das belustigte Aufblitzen in den Augen seines Gegenüber.

 

»Aber Sie?«

 

»Nicht im eigentlichen Sinne des Wortes. Ich habe es schon lange aufgegeben, Menschen Vorwürfe zu machen. Es kommt nichts, gar nichts dabei heraus.« Bedächtig strich Haynes die Asche seiner Zigarette an der Untertasse ab. »Sie können nicht so plötzlich wieder auf der Bildfläche erscheinen, können nicht einmal nach Ronda fahren – das ist alles nicht mehr so einfach. Sie sind mit zwei ganz gefährlichen Verbrechern in Berührung gekommen – mit Connor und Morell.«

 

Er stand auf und ging nachdenklich, mit gerunzelten Brauen und halbgeschlossenen Augen, in dem kleinen Zimmer auf und ab.

 

»Connor macht mir die meiste Sorge. Kommt er vor Gericht und wird verurteilt, dann ist alles in Ordnung. Bis er wieder herauskommt, haben Sie hier alles eingerenkt und können seine Drohungen verlachen. Geht er aber frei aus, wird er Ihnen auf Schritt und Tritt, wenn Sie erst wieder von Ronda zurück sind, nachspüren. Haben Sie Ihren Paß?«

 

Er sah, wie Luke unter das Hemd griff und sah die Bestürzung auf seinem Gesicht.

 

»Ich muß ihn verloren haben.«

 

Gunner Haynes schnalzte ungeduldig mit der Zunge.

 

»Wenn Sie ihn in Keels Ladeplatz verloren haben, liegen Sie im Essen«, waren seine wenig eleganten aber deutlichen Worte. »Da bleibt nur eins übrig. Wir müssen versuchen, den Paß wiederzubekommen. Und noch etwas anderes: Ich möchte den Brief sehen, den der junge Mensch kurz vor seinem Tode geschrieben hat.«

 

»Ich glaube nicht, daß er geschrieben hat«, sagte Luke zweifelnd. »Und wenn wirklich, so ist der Brief sicher vernichtet worden.«

 

Zehn Minuten später hatte der Gunner das Haus verlassen. Zuerst ging er nach dem Polizeibüro in der Nähe von Keels Ladeplatz. Er kannte den diensttuenden Inspektor gut; zwischen ihnen bestand jene eigenartige Kameradschaft, die der »Laie«, der ehrsame Bürger, so schwer verstehen kann – das gute Einvernehmen zwischen dem Verbrecher und seinem grimmigsten Feinde.

 

Der Gunner traf den Inspektor, der gerade das Büro verließ.

 

»Ich habe gehört, Sie haben Arbeit mit Keels Ladeplatz gehabt?« begann er.

 

Der Inspektor blickte ihn lächelnd an. »Gerücht, Benachrichtigung oder direkte Beobachtung, alter Freund?«

 

»Verstehe kein Wort«, antwortete der Gunner unschuldsvoll.

 

»Connor hat mir erzählt, Sie wären noch wenige Minute vor uns in seinem Grundstück gewesen, und wenn irgendeiner Sohre hätte, dann wären Sie es. Er sagte, Sie hätten ein Paket bei sich gehabt und wären dann, als er von dem Geschäft nichts wissen wollte, mit dem Boot weggefahren.«

 

Nun ist es aber eine wenn auch bedauernswerte Tatsache, daß auch die Polizei nicht ständig die reine Wahrheit spricht. Sie hat ständig mit Lügnern und gerissenen Hochstaplern zu tun, vielleicht ist das eine kleine Entschuldigung! Aber der Gunner hatte Vertrauen zu dem Mann, mit dem er sprach.

 

»Ich war auf der Werft, das stimmt schon. Um die Wahrheit zu sagen: ich kam aus einem ganz anderen Grunde zu ihm – Sie wissen ja, daß Fälschungen außerhalb meiner Tätigkeit liegen. Ich hörte, wie die Razzia begann und machte mich auf dem Boot davon. Ich nehme an, Sie haben Connor nicht festgehalten?«

 

»Nein«, antwortete der Beamte. »Wir konnten nichts Belastendes gegen ihn finden. Er und seine Freunde scheinen aber jetzt einen ausgedehnten Handel in Salz zu betreiben. Wissen Sie etwas darüber?«

 

»Und wenn ich’s wüßte, würde ich nichts davon erzählen«, antwortete der Gunner kühl. »Sie haben also Connor nicht festgenommen! Jammerschade!«

 

Der Detektiv blickte nach rechts und links und sagte dann mit gedämpfter Stimme:

 

»Wenn Ihnen ganz besonders viel daran liegt, daß er mal eine Zeitlang … ruhig sitzt, könnten Sie mir ja sagen …«

 

Aber der Gunner schüttelte den Kopf.

 

»Sie möchten gern so einen kleinen Fingerzeig haben? – Tut mir leid. Die Sorte Auskunftsbüro bin ich nicht! – Ist Connor noch auf der Werft?« Und als der Inspektor nickte: »Ich werde ihn mal besuchen. Wir haben uns übrigens nicht gesehen, Pullman.«

 

Als er nach dem Ladeplatz kam, fand er Connor in gehobener Stimmung vor. Wenn dieser überhaupt enttäuscht war, Haynes zu sehen, so ließ er es wenigstens nicht merken.

 

»Sie schulden mir vier Pfund«, begann er. »Soviel habe ich für das Boot bezahlt, das Sie mir geklaut haben. Hoffentlich bleiben Sie nicht lange hier? … Ich erwarte nämlich Besuch … eine Dame!«

 

»Welche deiner vielen Freundinnen hat denn diesen hochtrabenden Titel?« war Haynes‘ beleidigende Frage.

 

»Niemand, den Sie kennen«, sagte Connor nachlässig. »Eine Dame, eine Mrs. Maddison – hat kürzlich ihren Mann verloren.«

 

Kapitel 23

 

23

 

Gunner Haynes blickte ihn eigenartig an.

 

»Du erwartest Mrs. Maddison? Wer ist denn das?«

 

Connor nahm eine halbgerauchte Zigarre vom Aschenbecher, brannte sie an und sagte:

 

»Eine gute Bekannte von mir! – Was haben Sie denn mit Ihrem Freunde gemacht?«

 

»Wer ist Mrs. Maddison?«

 

Connor versuchte unbefangen zu erscheinen. Diesen scharfen Ton hatte er schon öfter gehört und war nicht zu entzückt darüber.

 

»Sie ist die Frau eines meiner Freunde«, sagte er endlich.

 

»Setz dich hin, und dann wollen wir mal miteinander reden.«

 

Widerwillig gehorchte Connor, zog einen Stuhl heran und ließ sich zögernd nieder. Während er dies tat, ging Gunner Haynes nach der Tür, verschloß sie, zog den Schlüssel ab und steckte ihn in die Tasche.

 

»Jetzt wollen wir mal miteinander sprechen«, wiederholte er und nahm dem Bandenführer gegenüber Platz.

 

»Hören Sie mal, Gunner, ich möchte durchaus keine Unannehmlichkeiten mit Ihnen haben«, begann Connor nervös. »Wenn irgendwas zu machen ist, sollen Sie Ihren Teil abbekommen. Ich habe keine Ahnung, ob Maddison die Wahrheit gesagt oder nicht. Verhält sich aber wirklich die Geschichte so, wie er erzählt hat, dann ist da noch viel Geld zu holen. Natürlich habe ich zuerst kein Wort von dem geglaubt, was er uns vorgejammert hat; aber als Sie mit ihm weggegangen waren, erzählte mir Bill – einer meiner Leute – daß er etwas über Maddisons Heirat in der Zeitung gelesen hätte. Ich schwatzte dann ein bißchen mit einem der Blauen, die ihre Nase in meine Angelegenheiten stecken wollten, und erfuhr, daß derselbe Mann, der am Nachmittag das Auto gefahren hatte, in der Nacht in Maddisons Wohnung eingebrochen war. Das stimmte mit dem überein, was mir Maddison erzählt hatte, und mit dem, was ich sonst noch wußte, ’s ist nicht das erstemal, daß ein reicher Kerl den Gauner spielt, aber ich habe noch niemals das Glück gehabt, so einen unter die Finger zu bekommen. Der Mann wird ’ne kleine Goldmine für mich werden.«

 

»Bist du denn sicher, daß er es gewesen ist?« fragte Haynes. Sein Gegenüber ließ sich durch die ruhige Frage täuschen und fuhr mit größerem Vertrauen fort:

 

»Ganz sicher! Ich habe einen meiner Leute, einen ganz gerissenen Kerl, nach Maddisons Büro geschickt, sollte mit seinem Prokuristen sprechen – Steele heißt er wohl. Na, und im Büro hängt ein Porträt von Maddison, das hat er gesehen, konnte auch die Firma des Photographen lesen. Er – hin zu dem Photographen und wollte einen Abzug von dem Bilde kaufen. Den konnte er nicht bekommen, aber man hat ihm erzählt, daß das Bild in einer Zeitung, auch den Namen bekam er heraus, veröffentlicht worden war. Und hier ist die betreffende Nummer!«

 

Connor zog die Schublade auf, nahm eine Zeitung heraus und gab sie Gunner Haynes.

 

»Das ist er, wie er leibt und lebt«, sagte Connor schmunzelnd. »Ich würde ihn sofort erkennen, mit oder ohne Schnurrbart. Maddison verschwand am Tage nach seiner Heirat, ’ne Frau steckt da mit zwischen –«

 

»Hast du aber einen schlauen Kopf«, unterbrach ihn der Gunner mit spöttischer Bewunderung, und Connor brummte ihn wütend an. Jede derartige Anspielung machte ihn wild. Seine Hauptschwäche war, daß er sich für den schlauesten und geriebensten Menschen hielt.

 

»Lassen Sie meinen Kopf aus dem Spiel! Die Hauptsache ist: Hier ist das Bild, und das ist unser Mann. Ich hätte ihn mir heute kaufen können, und er weiß das ganz genau. Wenn ich zehn Minuten mit ihm sprechen könnte, würde er schon Vernunft annehmen. Aber ich kann ja nicht gleich an ihn heran, und da dachte ich, es wäre eine feine Sache, seiner Frau einen Brief zu schreiben. Sie hat ja auch ein bißchen Geld –«

 

»Was für eine Art Brief war denn das?« unterbrach der Gunner. Der Mann zögerte.

 

»Billy schreibt viel besser als ich… ich habe erst neulich in der Zeitung gelesen, daß die meisten geschickten Menschen sehr schlecht schreiben und –«

 

»Die Ungeschickten auch!« fiel der Gunner ein.

 

Der Mann suchte in der Schublade und brachte zwei oder drei Bogen Schreibpapier hervor, die mit Bleistift bekritzelt waren.

 

»Ich habe es aufgesetzt, und dann hat Billy es abgeschrieben«, fuhr Connor fort. »Da Sie mitmachen, ist es besser, Sie sehen, was wir geschrieben haben.«

 

Er reichte die Bogen mit einer Hand über den Tisch; die andere hielt er im Schubfach, was Haynes wohl bemerkte. Er nahm die Bogen, und plötzlich lag vor ihm auf dem Tisch ein Revolver, dessen Mündung auf Connor gerichtet war.

 

»Die Hand aus der Schublade! Wenn hier ein Mord begangen werden soll, so ziehe ich es vor, diese Arbeit zu übernehmen.«

 

Connors Hand lag mit überraschender Geschwindigkeit auf der Tischplatte.

 

»Das habe ich nicht von Ihnen erwartet, Gunner – ich glaube, Sie würden nicht mal Ihrem besten Freunde trauen.«

 

»Und du bist nicht mal das!«

 

Mit einiger Schwierigkeit konnte er die folgenden Worte entziffern:

 

»Geehrte Frau Maddison, ich möchte Ihnen Nachricht von Ihrem Mann geben. Ich befürchte, er ist in ernste Schwierigkeiten gekommen, aber ich kann ihm heraushelfen. Er ist in schlechte Gesellschaft gekommen, aber ohne eigenes Verschulden –«

 

Der Gunner las den letzten Satz laut und blickte fragend auf Connor.

 

»Sicherheitshalber«, erklärte dieser. »Es soll doch so aussehen, als ob ich versuchen wollte, ihm zu helfen.« »Schlau!« murmelte der Gunner und las weiter. »Es wird sehr ernst, wenn die Polizei erst weiß, was ich über den Einbruch bei Taffanny weiß, aber ich glaube, ich kann ihm schon heraushelfen. Das wird etwas kosten, aber ich bin sicher, Sie werden das Geld gern bezahlen.« Haynes lächelte spöttisch, als er zu dieser Zeile kam.

 

»Zeigen Sie diesen Brief nicht der Polizei, sondern bringen Sie ihn mit. Wenn Sie zur Polizei gehen, wird Ihr Mann schwere Unannehmlichkeiten haben. Kommen Sie zu mir, wenn es dunkel ist …«

 

Hier folgten genaue Angaben; wie der Ladeplatz zu erreichen war.

 

»Das also war der Brief?« Der Gunner warf die Bogen auf den Tisch. »Ich dachte, du wärest Spezialist, Connor! Ich hatte nicht gewußt, daß du auch in Erpressung machst.«

 

»Das ist keine Erpressung«, rief Connor empört. »Das ist doch nur Entschädigung für weggeworfenes Geld. Und dann hat er noch behauptet, er wäre Australier, hieße Smith –«

 

»Stimmt alles nicht. Weil er in Lewings Gesellschaft war – du weißt doch, in der Nacht, wo Lewing erstochen wurde – hast du dir eingebildet, er müßte Smith sein«, sagte Haynes ruhig, zog eine Zigarre aus der Tasche, biß die Spitze ab und zündete sie an.

 

»Wenn sich aber Mrs. Maddison nun doch an die Polizei wendet – das wird dir zehn Jahre einbringen, alter Freund.«

 

Connor lächelte unsicher.

 

»Kaum anzunehmen –« begann er, als an die Tür geklopft wurde.

 

»Mach auf!« sagte der Gunner und warf ihm den Schlüssel zu.

 

Connor öffnete die Tür und sah einen seiner Leute vor sich stehen.

 

»Der Spatz kommt … mit ’ner Dame«, flüsterte der Mann ihm aufgeregt zu. Haynes sah, wie Connors Gesicht grau wurde.

 

»Haben Sie gehört?« fragte Connor heiser. »Der Spatz … sie hat ihn mitgebracht.«

 

Er ergriff die Bogen, die auf dem Tisch lagen, und warf sie ins Feuer. In demselben Augenblick hörten sie die schweren Tritte Inspektor Birds auf dem Gange.

 

Ein wohlwollendes Lächeln lag auf seinem Gesicht, als er, gefolgt von einem hübschen jungen Mädchen, das Haynes schon einmal gesehen hatte, in das Zimmer trat.

 

»Was, der Gunner! Das ist aber ein unerwartetes Vergnügen!« rief der Spatz. »Noch achtunddreißig wie Sie, und wir haben die richtige Ali-Baba-Höhle.«

 

Haynes bemerkte, daß das junge Mädchen ihn wiedererkannt hatte. Er war aufgesprungen und begrüßte sie mit einem freundlichen, leichten Kopfnicken.

 

»Wie geht es Ihnen, Miß Bolford?« begann er, und der feinhörige Connor hörte, was der Gunner ihn auch hören lassen wollte. Haynes wünschte auf keinen Fall, daß der Erpresser sich verriet und eingestand, er erwartete Mrs. Maddison. Als er den Ausdruck von Erstaunen, dann aber von Erleichterung in Connors Gesicht sah, wußte er, der Mann hatte ihn verstanden.

 

»Ich wußte nicht, daß Sie zu dieser Bande gehörten«, begann der Spatz, »’n alter Freund von Ihnen, Miß Bolford.« Sein dicker Zeigefinger richtete sich auf Connor. »Das ist Connor, den müssen Sie kennenlernen … und diese Dame hier«, er wandte sich jetzt an den Gauner, »ist Reporter und möchte alle schlechten und beinah schlechten Leute von London kennenlernen. Gestern haben Sie hier eine kleine Razzia gehabt, stimmt’s nicht?«

 

»Das versuchen sie immer bei mir«, grinste Connor, »und niemals finden sie was, Mr. Bird.«

 

Birds Augen wanderten von dem einen zum anderen.

 

»Wie lange hausen denn Krähe und Falke schon in demselben Nest? Das kann ich nicht verstehen«, fragte er. »Sie kommen langsam herunter, Gunner. Was machen Sie denn hier?«

 

»Mal was anderes!« antwortete der Gunner kühl. »Von Zeit zu Zeit liebe ich es zu sehen, wie es in der Unterwelt eigentlich zugeht.«

 

Das Gesicht des Detektivs war ein einziges, breites Lächeln.

 

»Haben Sie das gehört?« rief er bewundernd. »Das ist die richtige, korrekte … hm … Konversation. So einen wie den gibt’s nicht wieder.«

 

Dies war für Haynes die günstige Gelegenheit. Er wußte, der Spatz würde sich noch eine Zeitlang mit dem würdigen Werftbesitzer unterhalten. Langsam setzte er den Hut auf und ging nach der Tür.

 

Und dann sah er Connors Augen boshaft aufflackern.

 

»Auf Wiedersehen, Gunner!« rief dieser laut. »Und wenn Sie einen Rat von mir annehmen wollen, dann hören Sie endlich einmal auf, ein Schießeisen mit sich herumzuschleppen; Ihnen nutzt es nichts und wird Ihnen bloß ein paar Jahre verschaffen, wenn Sie mal gefaßt werden.«

 

»Was … ein Revolver!« Der Spatz fuhr herum. »Dumme Sache, Gunner. Haben Sie einen Waffenschein?«

 

»Ich habe keinen Waffenschein«, antwortete Haynes lächelnd, »und Sie können mich durchsuchen; Sie haben kein Recht dazu, aber ich habe nichts dagegen.«

 

Er spreizte die Arme, und Mr. Birds Hände strichen an seinem Körper entlang. Miß Bolford beobachtete atemlos dies gefährliche Spiel.

 

»Nichts zu finden«, sagte der Spatz endlich, und zu Connor: »Was soll das heißen?«

 

»Was das heißen soll?« Der Gunner stand jetzt an der Tür. »Unser Freund da wollte durchaus ein kleines Geschäft in Feuerwaffen machen, aber ich war nicht dafür zu haben. Der einzige Revolver, den Sie höchstwahrscheinlich heute zu sehen bekommen können, liegt in dem Schubfach.«

 

Der Detektiv zog das Fach auf, wo der Mann gesessen hatte, und Mary Bolford sah, wie sein Gesicht plötzlich blaß wurde. In der hinteren Ecke des Faches lag ein silberbeschlagener Revolver.

 

»Das können Sie wohl allein erledigen«, sagte der Gunner ruhig und schlenderte zur Tür hinaus.

 

Bevor er aber die kleine Zauntür öffnete, die nach der Straße führte, nahm er seinen Hut so langsam ab, wie er ihn aufgesetzt hatte, holte den Browning hervor und steckte ihn in die Tasche.

 

Kapitel 24

 

24

 

Margaret Maddison hatte zwei qualvolle Stunden verbracht, als ein schäbiger Bote den Brief brachte, der ihr mitteilte, daß Luke am Leben war. Am Fuße des Briefes stand in Connors eigener Handschrift: »Kommen Sie gegen acht Uhr.« Diesen Nachsatz hatte er aber dem Gunner nicht mitgeteilt.

 

Der Brief bestätigte alle ihre Befürchtungen. Geraume Zeit saß sie vor ihrem Schreibtisch, versuchte sich auszudenken, was Luke zugestoßen sein könnte. Luke befand sich in einer schwierigen, sehr schwierigen Lage! Von dieser Tatsache ausgehend, begannen ihre Überlegungen. Sie machte ihm keine Vorwürfe über die unglaubliche Tollheit, die ihn in diese Lage gebracht hatte – sie haßte sich, daß sie ihn in der größten Krisis seines Lebens verlassen, ihn zu noch größeren Tollheiten getrieben hatte.

 

Der Diener betrat das Zimmer und sprach zu ihr, aber sie war so vertieft, daß sie nichts hörte, bis er noch einmal begann:

 

»Mr. Morell?« Sie fuhr auf und sah sich der Wirklichkeit wieder gegenüber. Danty war in den letzten Tagen nicht dagewesen, und ihr erster Impuls war, ihn nicht zu empfangen, dann aber kam ihr ein Gedanke, und sie nickte:

 

»Ich lasse bitten.«

 

Danty kam herein, elegant wie immer, ein höfliches Lächeln auf seinem Gesicht, das nichts von der inneren Unruhe verriet.

 

»Nachrichten von Luke?« war seine erste Frage. »Ich war gerade auf dem Wege nach der City und dachte, ich würde schnell mal zu Ihnen mit herankommen.«

 

Sie betrachtete ihn neugierig. Danton, der Freund, und Danton, der Bandenführer, waren nicht zu unterscheiden. Es kam ihr plötzlich zum Bewußtsein, daß ihr Vertrauen zu diesem Mann schon erschüttert war, bevor noch Mr. Gorton ihr die Wahrheit über diesen Abenteurer erzählt hatte. Die vollendete Doppelzüngigkeit Danty Morells wurde ihr deutlich – sie bewunderte sie beinahe – aber in ihrem Schreibtisch lag doch ihres Bruders letzte Mitteilung! Die war doch auf jeden Fall echt. Danty war es natürlich gewesen, der veranlaßt hatte, daß ihr aus Paris das Telegramm mit Lukes Unterschrift zuging.

 

Und doch verspürte sie keinen Ärger, keine Empörung – Danton war für sie eine Tatsache, nichts weiter als eine schmutzige, häßliche Tatsache, mit der man sich abfinden mußte.

 

»Ich habe von einem Bekannten gehört, daß letzte Nacht in Lukes Wohnung eingebrochen wurde. Ist etwas gestohlen worden?«

 

»Nichts von Wichtigkeit.«

 

Er sah, wie sie hastig einen Brief zusammenfaltete und in die Handtasche steckte, die auf dem Tische lag. Was mochte diese Mitteilung enthalten, die ihre Wangen gerötet hatte?

 

»Ich nehme an, Luke amüsiert sich nach allen Regeln der Kunst. Haben Sie wieder Nachricht von ihm erhalten?«

 

»Nein, nichts«, antwortete sie kopfschüttelnd und dann etwas befangen: »Haben Sie den merkwürdigen Fall in der heutigen Zeitung gelesen?«

 

Er war der Meinung, sie wollte das Thema wechseln – in ein wenig ungeschickter Weise –, aber den eigentlichen Grund ihrer Frage vermutete er nicht.

 

»Es gibt hundert verschiedene Fälle in der Zeitung. Welchen meinen Sie denn?«

 

»Von dem Mann, der ein doppeltes Leben führte: am Tage ein angesehener Kaufmann, in der Nacht – gefährlicher Einbrecher.«

 

Danty lächelte. Er war mit der Verbrecherwelt zu sehr vertraut, um noch irgendwelche Illusionen über ihren »romantischen« Charakter zu haben.

 

»Das ist so ein Unsinn, den man gewöhnlich in Romanen vorgesetzt bekommt«, begann er, »aber ich habe solche Fälle selbst kennengelernt … davon gelesen, meine ich«, verbesserte er sich hastig. »In Liverpool gab es einen Mann, der Sonntags in der Kirche predigte und an den Wochentagen eine gutgehende Fälscherwerkstatt leitete. Ein anderer war der Direktor einer großen Schuhfabrik in Midland und gleichzeitig einer der geschicktesten Juwelendiebe, der jemals der Polizei unter die Finger gekommen ist.«

 

Sie blickte anscheinend wenig interessiert zum Fenster hinaus.

 

»Warum tun die Leute das eigentlich?«

 

»Ich weiß nicht.« Danty zuckte mit den Schultern. »Vielleicht Lust nach Abenteuern… es gibt so wenig Neues auf der Welt! – Ich wollte gern mal mit Ihnen über meine südamerikanische Gesellschaft sprechen, Margaret. Ich bin da in ziemliche Schwierigkeiten gekommen. Um das Geschäft abzuschließen, brauche ich siebzigtausend Pfund, um ganz genau zu sein: sechsundsiebzigtausend. Neunundsechzigtausend Pfund habe ich schon. Wenn Luke hier wäre, würde er mir sicher vorstrecken, was ich noch brauche. Er konnte mich zwar nicht besonders leiden, aber – er war ein guter Geschäftsmann.«

 

Diese kaltblütige Forderung ließ Margaret unberührt; sie konnte weder lachen, noch sich über diese empören. Einen Augenblick hatte sie den Gedanken, ihm das Gewünschte zu geben. Vielleicht könnte er ihr als Verbündeter von Nutzen sein, wenn all das, was Gorton erzählt hatte, wirklich der Wahrheit entsprach. Aber die Gefahr, einen so gewissenlosen Menschen zu ihrem Vertrauten zu machen, war zu groß. Danty war ein Schmarotzer, ein Erpresser. Er würde die Mitteilungen rücksichtslos zu seinem eigensten Vorteil ausbeuten.

 

Nur zwei Wege standen ihr offen: Die Hilfe der Gesellschaft zu suchen, deren sehr zweifelhaftes Mitglied Luke geworden war, oder sich an die Polizei zu wenden. Aber die Polizei nahm keine persönlichen Rücksichten, konnte keine nehmen, und würde mit dem gleichen Eifer versuchen, Luke ins Gefängnis zu bringen, wie die anderen Galgenvögel, seine jetzigen Verbündeten.

 

»Ich befürchte, das ist unmöglich, Danton«, sagte sie ruhig. »Warum sprechen Sie nicht mit Mr. Steele? Er ist doch auch Geschäftsmann!«

 

»Steele!« erwiderte Morell achselzuckend. »Ein Angestellter … ein Mann ohne jede Initiative! Ein Wort von Ihnen würde genügen …«

 

»Das kann ich nicht machen.«

 

Ein kurzes Schweigen. Dann sprach Danton Morell von unbedeutenden Alltäglichkeiten und verabschiedete sich bald. Er glaubte, als er die Treppe hinabging, sicher sein zu können, daß sie ihm wenigstens nicht als Gegner gegenüberstand.

 

Er befand sich wirklich auf dem Wege nach der City. Dort hatte er ein kleines Büro, in dem er seine Untergebenen empfing. Seit Lewings Tode hatte die Bande, die seinen Namen trug, sich sehr ruhig gehalten. Zu dieser gehörten viele, Alte und Junge, die vom Fluß und den Frachtkähnen lebten. Obgleich Danty niemals an ihren »Operationen« teilnahm, hatte er ihre »Arbeit« organisiert und in ein System gebracht. Sein Anteil war nur klein, denn die Hehler zahlten schlechte Preise. Die »Arbeit« war gefährlich und schwierig, und es vergingen manchmal Wochen, bevor die Bande einen guten Schlag machte. Seidenballen, Teekisten, Säcke mit Rohgummi – nichts war der Diebesbande zu gering. Aber es war so ungeheuer schwierig, das gestohlene Gut wieder abzusetzen, und Dantys Anteil genügte kaum, um seine Wohnungsmiete zu bezahlen.

 

An diesem Morgen hatte er die Aufforderung erhalten, sich persönlich und energischer bei der allgemeinen Arbeit zu beteiligen, hatte dies aber rundweg abgeschlagen.

 

»Das liegt mir nicht. Ich bin nicht Connor. Denkt ihr etwa, daß ich zu euch nach Bermundsey kommen und dort wohnen soll?«

 

Das tätige Haupt der Bande, ein untersetzter Mann, der nur Dick und sonst nichts weiter zu heißen schien, gab sich damit nicht ohne weiteres zufrieden.

 

»Die Jungen sagen, Connors Bande macht ’ne Masse Geld, und das könnten sie doch auch machen. Auch wenn du nicht in Bermundsey wohnst, könntest du doch ab und zu mal hinkommen und mithelfen.«

 

»Ich helfe ja schon, wo ich nur kann«, war Dantons ungeduldige Antwort. »Was hat es für einen Zweck, Connors Bande mit unserer zu vergleichen? Connor arbeitet nur an Land, und das ist ganz was anderes. Wenn ich euch nicht manchmal geraten hätte, würden die meisten schon im Kittchen sitzen. Wer hat zugeredet, daß wir ein elektrisches Motorboot kaufen? – Ich! Wer hat euch die Ladelisten und Lieferzeiten verschafft? – Ich! Euer Geschäft geht nicht besonders gut – zugegeben – aber ihr seid ja gar nicht imstande, was anderes zu machen! Glaubst du vielleicht, Connor würde auch nur einen von euch in seine Bande aufnehmen?«

 

»Wir könnten doch mal dasselbe wie Connor machen – das Geschäft ist nicht schlecht«, beharrte der Mann eigensinnig. »Lewing war für uns von größerem Nutzen als du.«

 

Danty war nicht leicht einzuschüchtern. Er zeigte seine Zähne in einem grimmigen Lächeln.

 

»Und Lewing ist tot! Weißt du auch, warum? – Nicht, weil er verpfiffen hat, nein, weil er auf Connors Gebiet gejagt hat!«

 

Der Mann ging unzufrieden seiner Wege, Danty steckte die Handvoll Noten, die Dick ihm als seinen Anteil gebracht hatte, ein und ging zum Lunch nach einem der vornehmen City-Klubs.

 

Jeder Mensch hat einen besonderen Fehler – und Danty war Spieler, leidenschaftlicher Spieler. Er liebte die Gegend in der Umgebung der Börse; er konnte Stunden und Stunden dort verbringen, Fallen und Steigen der Preise verfolgen; er spekulierte in jeder Art Aktien und sah die beträchtlichen Summen, die ihm seine Schwindeleien einbrachten, wie Schnee vor der Sonne dahinschmelzen. Rex war seinerzeit ein sehr nützlicher Kamerad für ihn gewesen – hatte ihm Geld verschafft, wenn er nichts hatte. Hatte auch anderen Zwecken gedient: mit richtigem, gutem Gelde die Aktien bezahlt, die keiner kaufen wollte, die Schwindelanteilscheine übernommen, die Danty nicht loswerden konnte. Die Zeit war jetzt gekommen, wo Danty Morell eine neue Geldquelle finden oder für immer aus den Kreisen, die ihn so vertrauensvoll aufgenommen hatten, verschwinden mußte.

 

Connor rühmte sich, einer der geschicktesten Industrieritter in England zu sein, und war doch unerfahrener als ein kleines Kind in jenem Platze, der schon der Ruin so vieler Menschen gewesen war – in der Londoner Börse.

 

Er hielt sich lange genug in der City auf, um eine Menge peinlicher Neuigkeiten zu erfahren. Aktien, von denen er eine große Anzahl in Besitz hatte, fielen ständig. Er traf seinen Makler, einen kühlen Geschäftsmann, der ihm einen Kontoauszug vorlegte, dessen Ziffern Morell schaudern ließen.

 

Danty kam halb verzweifelt in seine Wohnung und traf dort den Boten eines Rechtsanwaltes, der ihm eine Klage seines Schneiders über einhundertvierzig Pfund zustellte – schon die zehnte innerhalb des letzten Monats. Pi Coles, sein »Diener«, nahm ihm Hut und Mantel ab.

 

»Glück gehabt?« fragte der kleine Mann vertraulich.

 

»Nichts, Pi«, antwortete Danty gezwungen lächelnd. »Aber auf Regen folgt Sonnenschein.«

 

Er ahnte nicht, daß in diesem Fall sein Rivale Connor den Sonnenschein bringen würde, aber auch Connor war sich nicht bewußt, daß er bestimmt sein sollte, dem Anführer der feindlichen Bande zu helfen.

 

Kapitel 25

 

25

 

Gunner Haynes und sein Gast besprachen die Situation von allen Gesichtspunkten aus. Luke verspürte immer noch die Wirkung des Betäubungsmittels: sein Kopf schmerzte bei dem leichtesten Geräusch, und im Laufe des Tages hatte er schon ungeheure Quantitäten Tee zu sich genommen.

 

»So liegt nun die Sache«, sagte Haynes. »Connor weiß, wer Sie sind. Ich kann Ihnen natürlich keinen Vorwurf machen, daß Sie ihm alles erzählt haben, obgleich Sie eigentlich nicht erwarten konnten, von Connor für einen reichen Mann gehalten zu werden.«

 

»Nicht so besonders reich«, lächelte Luke. »Wie Sie sagen, haben Sie meiner Frau ein Telegramm gesandt?«

 

Der Gunner nickte.

 

»Ich habe in Connors Namen telegraphiert und die Verabredung aufgeschoben. Meiner Meinung nach konnte diese erst auf heute abend gelegt sein, denn Connor würde sicher nicht riskieren, daß man Mrs. Maddison in sein Haus kommen sähe. Kommt sie nicht, dann wird Connor selbstverständlich morgen zu ihr gehen; aber in der Zwischenzeit kann sich noch viel ereignen …«

 

»Wenn ich nun zu Bird gehen würde …?«

 

»Ich habe keine besondere Vorliebe für die Polizei«, sagte der Gunner kopfschüttelnd, »wenn ich auch vor dem Spatz großen Respekt habe. Aber das kann ich Ihnen sagen: Wenn Sie auch der Herzog von Dingsda wären, wegen des Einbruchs bei Taffanny würden Sie unbedingt eingesteckt werden. Daß Sie dem Verkäufer einen unters Kinn gaben, das war ja der große Fehler, das hat Sie zum Helfershelfer dabei gemacht. Wären Sie aus dem Auto gestiegen, hätten Sie die Dame verhaften lassen und dann Ihre eigene Lage erklärt – – – nichts wäre darauf gekommen. Vielleicht ein oder zwei Sensationsartikel in den Zeitungen. Aber das haben Sie eben nicht gemacht. Ihr Name wäre aber auf jeden Fall in die Zeitungen gekommen – und der Ihrer Frau. Und das scheinen Sie ja mit allen Kräften vermeiden zu wollen. Nein, nein. Ich muß versuchen, einen anderen Weg zu finden, der Sie wieder in Ihre Kreise zurückbringt.«

 

Seine Lippen verzogen sich bei den letzten Worten, die ihn zu erheitern schienen.

 

»Wenn aber Connor morgen mit meiner Frau spricht, was dann?«

 

Der Gunner dachte über diese Frage eine Zeitlang nach.

 

»Er darf sie nicht zu sehen bekommen. Ich glaube, das kann man wohl fertigbekommen. Zu schade, daß der Spatz gestern so hereinplatzen mußte – dann hätte ich gar keine Schwierigkeiten mehr. Aber auch so glaube ich, daß wir uns ganz gut aus der Affäre ziehen werden.«

 

Er kniete vor Lukes Bett nieder, griff darunter und zog eine kleine Reiseschreibmaschine hervor. Er stellte sie auf den Tisch, suchte ein paar Bogen Papier und begann eifrig zu schreiben …

 

*

 

Connor wanderte unruhig in seinem Zimmer auf und ab, sah von Zeit zu Zeit nach der Uhr und eilte eilig nach der Tür, als er klopfen hörte. Ein kleiner Junge mit einem Brief. Connor ergriff ihn hastig, warf dem Jungen die Tür vor der Nase zu und ging in sein Zimmer zurück.

 

Der Brief war mit der Maschine geschrieben und begann ohne weitere Vorrede:

 

»Es tut mir leid, aber ich kann nicht zu Ihnen kommen. Die Gegend ist so armselig, daß ich befürchten muß, meine Gegenwart dort würde der Polizei verdächtig erscheinen. Können Sie mich heut abend zehn Uhr am Teich im Park treffen? Um diese Zeit kommt selten jemand dorthin. Sie müssen mir aber beweisen können, daß der Mann, von dem Sie sprechen, wirklich mein Gatte ist.«

 

Der Brief trug keine Unterschrift, hatte aber ein Postskriptum:

 

»Hoffentlich haben Sie nicht zu einem Mann mit Noamen Haynes über die Angelegenheit gesprochen. Er war heut bei mir, ich habe ihn aber nicht empfangen.«

 

Connor lächelte. Der Gunner arbeitete zweifellos schnell.