Kasperle erlebt zu viel

An diesem Tag waren in das schöne, stille Tal, in das der Bach herniederrauschte, Gäste gekommen, etwas Seltenes in dem einsamen Tal. Doch die Gäste sagten: »Wir suchen jemand, und wenn sich jemand versteckt, dann tut er es sicher in einem einsamen Tal.«

Am Nachmittag gingen die Gäste spazieren, und wenn Angela sie gesehen hätte, dann hätte sie sicher den Oheim, die Tante und Herrn von Löwenzahn in ihnen erkannt.

»Dort kommt ein schöner Wasserfall vom Berge,« sagte die Tante. »Ach, ich liebe Wasserfälle so sehr!«

Die drei gingen an den Fall. Eine weiße Schaumwoge war es, und wie die drei so standen, brachte die Schaumwoge auf einmal etwas Dunkles mit. Burzel! Bums! Auf und nieder hopste das dunkle Ding, und die Tante schrie plötzlich: »Es ist ein Junge, aber er ist sicher tot.«

Gisch, brauste der Bach, und da lag der Junge auf einmal am Ufer, er rappelte und regte sich nicht.

»Das ist kein Junge, das ist – ein – Kasperle,« schrie Herr von Löwenzahn.

Und das war nach all dem Gerausche und Gebrause das erste, was Kasperle wieder hörte. Die Stimme kam ihm unangenehm bekannt vor, und erschrocken hielt er die Augen noch geschlossen.

»Das ist das Kasperle von Mister Stopps,« sagte Herr von Löwenzahn, »ich erkenne den Frechling. Wo der ist, werden auch Florizel und Angela in der Nähe sein. Wenn er wieder lebendig ist –«

»Aber wie kann er lebendig werden, wenn er doch tot ist?« rief die Tante.

Sie ahnte nicht, was ein rechtes, echtes Kasperle aushalten kann. Übel war es dem freilich, und er dachte: »Wenn sie doch weggingen, es wird mir sonst noch ganz schlimm.«

»Ich werde jemand holen, der den Kerl ins Dorf schafft,« erklärte Herr von Löwenzahn.

»Ich gehe mit,« rief die Tante, die sich vor dem toten Kasperle graulte.

»Na, glaubt ihr, ich bliebe bei dem Popanz?« brummte der Vormund.

»Aber wenn er ausreißt!«

»So flink kann er nicht lebendig werden, und da kommt der alte Kutscher, der kann aufpassen.«

Martin kam daher. Der war richtig mitgefahren, und wie er das Kasperle sah, wurde ihm himmelangst. Er sagte aber kein Wörtlein; sondern seufzte nur tief, und die Tante fragte boshaft: »Er grault sich wohl?«

»Ih nä, nur ’n Bißchen,« murmelte der Alte schlau, »ich bleibe hier und halte Wache.«

»Das ist gut, da ist Er doch zu etwas nütze.«

Kaum waren die drei gegangen, schlug Kasperle die Äuglein auf und klagte wehleidig: »Wenn die mich fangen, wird’s schlimm!«

»Alle guten Geister, du bist ja nicht tot!«

»Nä,« stöhnte Kasperle, »ich hab’ mir nur sechs Beine und hundert Rippen und sonst etwas gebrochen, und wenn Mister Stopps kommt, und – und –«

»Fräulein Angela, mein Herzenskind,« schrie der Alte. »Ist sie bei euch?«

»Schrei doch nicht so laut!« flüsterte Kasperle. »Eine Angela gibt’s nicht mehr, nur einen Tom, und der hat braune Haare, er sagt aber, das wäre von Nußblättern.«

»Ach so!« lachte der Alte. »Jetzt sind sie braun, die schönen Haare, Kasperle,« sagte er. »Jetzt weißt was, du hockst auf meinen Rücken, und wir suchen Mister Stopps und Tom mit den braunen Locken.«

»Und Florizel und Bob. Hach, da müssen wir aber den schrecklichen Wildbach hinaufklettern, die stehen ja oben.«

»Aber Kasperle, die werden doch jetzt nicht mehr oben stehen. Haben sie einen Wagen?«

»Freilich!«

»Na, dann kommen sie den Fahrweg entlang.«

»Aber,« der alte Martin blieb plötzlich stehen, »ich muß doch nachher wieder zurück.«

»Ach nein,« bettelte Kasperle, »du kommst mit zu Mister Stopps.«

»Der wird mich doch nicht zu sich aufnehmen.«

»Doch,« rief Kasperle, »Florizel hat er auch eingeladen und Angela, und – und – er freut sich.«

»Wenn er sich freut, kann ich freilich mitgehen,« dachte der alte Martin und wanderte, so schnell er konnte, bergan. Doch das Kasperle hatte gar kein so sehr leichtes Herz. Er dachte freilich: »Ach, wenn mich Mister Stopps wiedersieht, freut er sich gewiß, aber ob er dann Martin aufnimmt, ist ungewiß.«

Der Alte keuchte. Das Kasperle hatte schon sein Gewichtlein, und aus dem Tal klangen Stimmen herauf.

»Himmel, wenn sie uns sehen und –« da kam ein Wagen angerasselt, und Kasperle rief laut: »Mister Stopps!«

Der war es wirklich, und in seiner Freude, das Kasperle wieder zu haben, merkte er gar nicht, daß Florizel und Angela mit Bob und Martin leise flüsterten. Man hörte immer lauteres Rufen im Tal, und der alte Martin erschrak furchtbar, als die Berge das Echo wiedergaben und sein Name vielfach ertönte.

»Potztausend,« stöhnte er, »sie kommen uns nach.« Er wandte sich hin und her, und auf einmal waren Florizel und Angela verschwunden, und Bob sagte: »Wir tun am besten daran, hier zu warten, und Martin sagt, daß er nur Mister Stopps, Kasperle und mich gefunden hat und wir sagen, wir hätten Kasperle suchen wollen.«

»Aber –,« stotterte der alte Kutscher.

»Geh’ Er nur, Kamerad,« rief Mister Stopps’ Kutscher, »ich versichere, ich habe niemand mehr und niemand weniger gefahren als diese Leute hier.« Da rannte Martin ganz verdattert dem Oheim, der Tante und Herrn von Löwenzahn entgegen und stammelte und stotterte eine sonderbare Geschichte heraus. Die Tante schrie: »Da ist Angela dabei und dieser schreckliche Florizel.«

»Die sind bestimmt nicht da,« brummte Martin.

Und sie waren auch nicht da! Mister Stopps hatte zu seinem grenzenlosen Erstaunen nun auch das Verschwinden von Florizel und Tom bemerkt, und Kasperle rief erstaunt: »Die sind gewiß auch in den Bach gefallen.«

Wie er das gerade sagte, kam der Herr von Löwenzahn und rief immerzu: »Angela.«

»Uen uollen Sie?«

»Angela und diesen schrecklichen Florizel, ich will ihn erstechen,« schrie Herr von Löwenzahn grob.

»Das sein nicht nett von Sie, aber einstweilen ist er mit Tom in den Bach gefallen.«

»In den Bach?«

»Ja, uie Kahs – pärle!« Der gute Mister Stopps meinte, Kasperle müßte sich doch darin gut auskennen. Er sagte es darum so ernsthaft und würdig, daß auch Herr von Löwenzahn daran glaubte. Erst fragte er aber noch den alten Kutscher: »Sahst du sie wirklich nicht?«

»Nä,« antwortete der Martin, blieb aber zurück, er rannte nicht mit an den Bach, und Kasperle bettelte: »Gelt, Mister Stopps, den nimmste mit?«

»Uen?«

»Nu, den Martin!«

»Uo ist er?«

»Na, auf dem Bock sitzt er, weil er doch ein Kutscher ist.«

»Kutscher, freilich, oh freilich, mein Kasperle, einen Kutscher muß ich schon haben. Uir uollen zurückfahren.«

Mister Stopps war es sehr gleichgültig, ob der Kutscher Martin oder Wilhelm hieß, er dachte, Kutscher ist Kutscher. Und erst als sie schon eine ganze Strecke wieder bergan gefahren waren, sagte er auf einmal: »Merkwürdig! Sage, Kahs – pärle, sitzen da nicht zuei Kutscher auf dem Bock?«

»Ja freilich,« rief Kasperle, »aber Mister Stopps, du hast es doch erlaubt, daß Martin mitfährt.«

»Ach so, Martin ist nicht Wilhelm. Komisch, sehr komisch!«

Und dann sann Mister Stopps nach, und plötzlich rief er erschrocken: »Aber uenn sie in den Bach gefallen sind, können sie doch tot sein!«

»Nä,« rief Kasperle, »ich bin doch auch nicht tot, und dann sind se ja auch gar nicht in den Bach gefallen.«

»Aber Kasperle, du hast wieder gelugen.«

»Nä, ich lugte nicht, Mister Stopps, ich dachte nur.«

»Ach so, du hast verkehrt gedacht!«

Kasperle nickte stolz. »Aber nun rate mal, Mister Stopps, wo sie sind!«

»Ausgerissen.«

»Kahs – pärle, du mußt nicht immer lugen.«

»Ich luge nicht,« schrie Kasperle empört, »hör’ doch mal!« Und da hörte Mister Stopps Florizels Stimme hell ertönen:

»Wir fahren über Berg und Tal
Und liegen nicht im Wasserfall,
Trallallalla.

Einer nur hat drin gelegen,
Kasperl heißt er allerwegen,
Trallallalla.

Wo wir sind? Ei, ratet nur,
Man sieht von uns doch keine Spur,
Trallallalla.«

»Höchst merkuürdig,« sagte Mister Stopps, und dann rief er: »Halten!« ging um den Wagen herum, sah hinauf, sah unter die Räder, sah aber niemand. »Ich höre sie aber lachen,« brummte er.

Da erhoben sich oben auf dem Verdeck zwei, die steif und eng zwischen den Koffern gelegen hatten. Es waren Florizel und Angela, und Kasperle schrie: »Da sind se, da sind se!«

Dabei konnte es wirklich jeder sehen, daß sie da waren.

Mister Stopps schüttelte sehr nachdenklich seinen Kopf, und dann sagte er, man müsse es Herrn von Löwenzahn, dem Oheim und der Tante sagen, daß die beiden nicht in den Wildbach gefallen wären.

Aber da schrie Kasperle: »Er wird ihn totstechen.«

Florizel lachte freilich über die Drohung des kleinen, dicken Herrn von Löwenzahn, aber Mister Stopps erschrak gewaltig. Er kletterte fix in den Wagen hinein und schrie: »Ueiter fahren, ueiter fahren! Schnell, schnell!«

Ja, schnell geht es nun nicht bergan. Die Pferde gingen nur langsam, der Wagen ächzte und krachte, Angela, Florizel, Bob und Martin gingen zu Fuß, und Wilhelm rief: »Kasperle, du kannst auch zu Fuß gehen, dann wird es noch leichter.«

»Ja,« schrie Kasperle, »ich purzelbaume.«

Mister Stopps wollte gerade rufen, dies sollte er nicht tun, da purzelbaumte Kasperle schon los, eine kleine Anhöhe hinauf.

»Kahs – pärle, Kahs – pärle!« schrie Mister Stopps erschrocken.

»Es geschieht ihm nichts,« riefen Bob und Florizel. Sie rannten aber doch dem Wildfang nach, sahen ihn noch purzelbaumen, kamen auf die Anhöhe, da lag friedlich, dicht am Abhang, eine Sennhütte. Kühe weideten, alles war still und friedsam, aber von Kasperle war keine Spur zu sehen.

Ja, wo war denn der? Eben war er doch noch da. Wenn er in die Hütte gelaufen wäre, hätten sie doch einen Zipfel von ihm sehen müssen, auch war, als die beiden herankamen, die Tür von innen verschlossen. Mister Stopps und Angela kamen nun auch herauf, der alte Martin rannte herzu, und just in dem Augenblick kam eine Sennerin aus der Hütte. Die sah ganz verstört aus und jammerte, der Teufel säße im Käsebottich.

»Der Teufel, wo ist er denn hergekommen?«

»Durch den Schornstein,« stöhnte die Frau in heller Verzweiflung. »Ach, du heiliger Himmel, der Schreck ist mir in alle Glieder gefahren.«

»Das ist Kasperle,« riefen alle auf einmal und rannten in die Hütte. Und es war wirklich Kasperle. Der saß in einem Kessel voll dicker Sahne, die just anfing warm zu werden. Bei seinem Purzelbaumschießen war das Kasperle in den Schornstein des dicht an dem Bergabhang liegenden Häuschens geraten, und nun saß er in dem dicken Sahnbrei, aus dem er nicht herauskonnte.

Er heulte jämmerlich, der kleine Unnütz, und die Sennerin, die nachkam, sagte: »Man könnt’s kaum glauben, daß es ein Teufeli ist, das da drin sitzt.«

»Ist es auch nicht, es ist ein Kasperle!«

Von so einem Ding hatte die Sennerin noch nie etwas gehört, und Florizel und Bob erklärten es ihr, während sie Kasperle aus dem Käsekessel holten. Aber lustig, ein kleiner Irrwisch, wie sie sagten, war jetzt das Kasperle wirklich nicht. Er hatte sich heute doch zu viel herumgeschlagen: ein Wasserfall und ein Käsekessel an einem Tage sind keine Kleinigkeit. Dem armen Schelm war es sehr übel zumute. Bob nahm ihn, wusch ihn, zog ihm ein blauseidenes Röcklein an, aber alles machte Kasperle keinen Spaß. Er jammerte, er möchte schlafen, und Mister Stopps jammerte: »Er stirbst!«

»Nä, ich stirbse nicht, aber ich hab’ das Reisen satt!«

»Ich auch,« rief Mister Stopps. »Uir gehen in meine Haus.«

»Nach England?« fragte Bob erstaunt.

»Oh no, nach Lugano!«

»Wo liegt denn das?« Kasperles Äuglein glitzerten schon etwas.

»An einem See!«

»Kann man da reinfallen?«

»Ja, wenn man ein kleiner Dummkopf ist wie du, schon,« sagte Florizel.

»Heido! dann fall ich nicht rein, ich bin ein Gescheitle,« rief Kasperle stolz. Und auf einmal machte er ein blitzdummes Gesicht, weil er zeigen wollte, wie gescheit er sei.

»Hahahaha!« Die Sennerin, die sich ganz scheu in eine Ecke gesetzt hatte, lachte plötzlich aus vollem Halse. Sie lachte und lachte, und je mehr sie lachte, desto pudelnärrischere Gesichter schnitt das Kasperle.

Da sah das Grittli, so hieß die Frau, doch, was für ein Ding ein Kasperle ist, und es ging ihr wie vielen andern: sie hätte das Kasperle am liebsten behalten. Doch Bob trug es in den Wagen und legte es sorgsam hin, und der kleine Schelm schlief flink ein. Nicht einmal eßlustig war er. Mister Stopps, Angela, Florizel und Bob setzten sich auf eine schöne Bergwiese und schmausten. Martin und Wilhelm saßen auf dem Bock, schmausten auch und erzählten von ihren Fahrten im Land herum.

So sehr schwatzten sie, daß sie gar nicht merkten, wie jemand leise, leise den Wagen aufmachte und das Kasperle herausholte. Grittli schleppte das schlafende Kasperle flink in ihren Hühnerstall, dachte, dort suche es niemand, und dann legte sie ein dickes Strohbündel in den Wagen. Es merkte wirklich niemand, daß Kasperle nicht unter der Decke lag. Mister Stopps stieg ein. Bob, Angela und Florizel setzten sich hinten auf den Rücksitz. Wie die Heringe saßen sie, aber singen konnte Florizel doch noch, und der spielte und sang dazu, als sich der Wagen in Bewegung setzte.

»O blauer See, o schöner See,
Wie freu’ ich mich, wenn ich dich seh,
Im Herzen –«

»Kikerikih, gagagah, gagagah,« ging es da in Frau Grittlis Hühnerstall los, und dazwischen ertönte ein schreckliches Gebrüll.

Frau Grittli wußte nichts davon, wie sehr ein Kasperle schreien konnte, und wie sehr es Hühner zu erschrecken vermochte. Der Hahn krähte sich bald den Hals entzwei, die Hühner gackerten, als hätte jedes zehn Eier auf einmal gelegt, und als Florizel die Türe aufriß, da purzelten Kasperle, Hahn und Hühner, alles mit einem Mal heraus, auch ein ganzer Korb voll Eier kam ins Wanken. Frau Grittli schrie, aber da begann Bob sie auszuschelten, aber ordentlich, es war ein richtiges Hagelwetter, und Frau Grittli verkroch sich zuletzt vor Angst in ihre Hütte. Sie dachte: »In meinem Leben stehle ich kein Kasperle mehr!«

»Oh mein armes Kahs – pärle!« klagte Mister Stopps. »Uünsch dir uas zum Trost!«

Kasperle wollte gerade seinen Mund auftun und schreien: »Eine große, große Zuckertüte,« als Bob ihm ein Stößlein gab: »Überlege es dir! Wünschen darf man nicht so schnell!« Da schloß Kasperle seinen Mund, denn es sah Bob an, der wußte etwas. Was es wohl sein mochte? Kasperle dachte darüber nach, und dann war es auf einmal eingeschlafen, es wußte nicht wie. Es war wirklich zu viel, selbst für ein Kasperle, Wasserfall, Käsekessel, Hühnerstall. Sie sahen es alle, das Kasperle mußte schlafen.

Am schönen, blauen See

Kasperle schlief lange. Es sah nichts von der schönen Welt, es hörte nicht Florizel singen und Mister Stopps schnarchen. Es schlief und schlief, und als es aufwachte, war es heller, lichter Morgen, und es lag in einem großen weichen Bett. Florizel saß neben ihm, Bob packte einen Koffer ein, und Kasperle fragte: »Sind wir in Mister Stopps’ Haus?«

»Noch nicht. Wir sind in Amsteg und fahren jetzt die Gotthardstraße entlang.«

»Und dann?«

»Weiter über den Paß.«

»Und dann?«

»Wieder hinab.«

»Und dann?«

»Nach Lugano.«

»Und dann?«

»Dann fällst du in den See, du Gescheitle. Und nun steh auf, wir fahren gleich fort.«

Doch Kasperle stand nicht auf, sondern schrie: »Frühstück!« Und als es gefrühstückt hatte, rief es: »Nun wünsch ich mir was!«

»Noch nicht, noch nicht,« mahnte Bob.

Da trat Mister Stopps in das Zimmer, der war sehr herzlich gegen Kasperle und fragte: »Uünschst du dir nun uas?«

»Nä,« sagte Kasperle, »ne Zuckertüte möcht’ ich, aber das ist kein Wunsch. Gelt, Mister Stopps, den hab’ ich noch frei?«

Da sagte Mister Stopps, ja, den hätte es noch frei, und eine Zuckertüte wäre auch kein Wunsch. Aber bekommen sollte Kasperle trotzdem eine.

Oh, Mister Stopps, das war nicht klug!

Kasperle erklärte an diesem Tage so oft, es habe noch keinen Wunsch, nur was zu schlecken möchte es, daß Mister Stopps zuletzt sagte: »Dir uird es noch schlimm gehen, und uenn du das noch einmal sagst, dann ist es doch ein Uunsch.«

Bob winkte und zwinkerte mit den Augen, und Kasperle schwieg seitdem ganz still. Es war aber ein Schelm, seufzte ein paarmal und klagte: »Mir wird schlecht!«

Und dann schlug Mister Stopps allemal allerlei Mittel vor, und immer klagte Kasperle: »Davon wird mir’s noch schlechter!« bis Mister Stopps »Zuckerkand« sagte, und davon wurde das kleine Schleckermaul, merkwürdig genug, gleich gesund.

Sonst ging die Reise ohne Unfall weiter. Einmal warf Kasperle die Kaffekanne um, gerade Mister Stopps ins Bett, einmal setzte es sich in den Pudding, einmal fiel es aus dem Fenster einer Geiß auf den Rücken, aber das waren eben alles richtige Kasperle-Stücke, und außer Mister Stopps, der Wirtin und der armen Geiß regte sich niemand darüber auf.

Die Fahrt ging über das Gebirge. Immer höher und höher wuchsen die Berge empor, immer kälter wurde es. Kasperle wagte kaum noch seine Nase hinauszustrecken, so sehr fror es. Doch dann senkte sich der Weg, blauer wurde der Himmel, wärmer schien die Sonne, Frühlingsblumen blühten, dann Sommerblumen, und an einem Nachmittag fuhren die Reisenden in ein Städtchen hinein, in dem alle Gäßlein bergan und bergab liefen.

Rumpelpumpel ging es eine holprige Straße entlang, und Kasperle schrie auf einmal: »Da liegt Seide, nein, da liegt der Himmel unten.« Es war aber weder himmelblaue Seide, noch der Himmel selbst, den Kasperle sah, es war der schöne, blaue See von Lugano. Der Wagen rollte an ihm entlang, und Kasperle beugte sich weit, weit hinaus.

»Gescheitle, falle nicht,« mahnte Florizel, der oben auf dem Wagen saß, doch platsch, da lag das Kasperle schon im See. Der war nun aber nicht wie der wilde Wasserfall, er trug das Kasperle nicht gleich himmelweit fort. Im sonnenwarmen Wasser lag das Kasperle, und als Mister Stopps angstvoll rief: »Es wird ertrinken!« da steckte Kasperle seine Nase weit hinaus und rief vergnügt: »Nä, hier ist’s fein, ich bleib’ liegen.«

Doch eins, zwei, drei kam Bob an, und Kasperle saß dann naß wie ein Fröschlein wieder im Wagen. Der fuhr in eine Seitenstraße ein, und da lag auf einer Anhöhe ein schönes, weißes Säulenhaus, ganz von Rosen umrankt waren die Säulen.

»Fein!« rief Kasperle. »Da werden wir wohnen?« Mister Stopps nickte. »Das sein mein Haus, und da steht Angela!«

»Angela sitzt auf dem Wagen,« schrie Kasperle.

»Oh nein, sie stehen da.«

»Wo?«

»Da!«

Himmel, die häßliche Frau sollte Angela sein? »Sie ist es nicht!« schrie Kasperle, »ich seh’ sie doch sitzen!«

»Aber Kasperle, Dummköpfle,« rief Florizel, »es gibt eben zwei Angelas.«

»Kann’s auch zwei Marlenchen geben?« fragte Kasperle.

»Freilich!«

»Nä, ist nicht wahr, Marlenchens gibt’s nur eins.« Kasperle wurde ganz zornig und ging mit einem so bösen Gesicht in das Haus hinein, daß die alte Angela vor Entsetzen laut schrie. »So einen Diavolo hat der Herr mitgebracht?« rief sie klagend. Da blickte Kasperle sie an und sah, wie gut und freundlich die alte Angela aussah, wenn sie auch häßlich war. So lieb wie Frau Annettchen oder die alte Apfelfrau.

»Heißt du wirklich Angela?«

»Schon, schon,« antwortete die Alte, der das Kasperle auch gefiel, und die sich gar nicht mehr ängstigte. »Du kannst aber auch Nonna sagen.«

»Was heißt das?«

»Großmutter!«

»Dann,« rief Kasperle, »dann sag’ ich Großmutter!« und von dem Augenblicke an war zwischen ihm und Angela die Freundschaft geschlossen.

Es war schön in Mister Stopps Hause, so schön, daß Kasperle gleich am ersten Tage sagte: »Hier will ich bleiben.«

»Ist das dein Geuunschen?«

»Nä, das möchte ich nur. Morgen wünsch’ ich mir aber etwas, Mister Stopps, das mußt du mir geben.«

»Ja,« versprach Mister Stopps. »Bin neugierig, was es ist.«

Sie schliefen alle gut in dem schönen Hause. Florizel sang schon in der Morgenfrühe von dem Land Italia, dem sie so nahe waren. Bob aber ging mit Kasperle in den Garten und erzählte ihm etwas. Er fragte zehnmal: »Hast du es auch verstanden, Kasperle?«

»Nä,« rief Kasperle, »du mußt’s nochmal sagen.« Und Bob erklärte Kasperle noch dreimal den Wunsch, den Kasperle Mister Stopps sagen sollte. Und dann rannte Kasperle in das Haus zurück und schrie: »Ich sag’s jetzt gleich!«

Ist auch besser, dachte Bob, es bringt doch sonst alles durcheinander. Kasperle lief im Haus herum, Mister Stopps war aber nicht da. Die Alte und die junge Angela, denn aus Tom war nun wieder eine Angela geworden, standen in der Küche und sagten, Mister Stopps säße am See. Da rannte Kasperle an den See und fand Mister Stopps, der ernst und feierlich dasaß und angelte. »Uas willst du, Kahs – pärle?« fragte er.

»Ich wünsche mir was, Mister Stopps.«

»Uas denn?«

»Geld!«

»Geld?« rief Mister Stopps erstaunt. Da aber seine Börse neben ihm lag, und er dachte, das naschlustige Kasperle wollte sich etwas zu schlecken kaufen, sagte er: »Da, nimm, ueil ich es einmal versprochen habe.« Und Kasperle nahm ein kleines Geldstück, nicht mehr als ein Gröschlein war es wert, und rannte damit zu Bob. »Da,« rief er, »nun habe ich gewünscht, und nun können Florizel und Angela nach Rom zu ihrer Großmutter fahren.«

»Aber Kasperle, du Schafsköpfle,« rief Bob enttäuscht, »das ist viel, viel zu wenig. Viel mehr muß es sein.«

Und Kasperle rannte zurück und rief: »Mister Stopps, ich habe mir doch Geld gewünscht, nun langt es nicht.«

Mister Stopps, der gerade auf einen großen Fisch aufpaßte, brummelte etwas unwirsch: »Nimm mehr!«

Da schüttelte Kasperle die ganze Börse in seine Hosensäcklein und lief zu Bob. »Da,« rief er, und das Geld kollerte in der Stube herum.

Es ist schwer, es jemand recht zu machen. Bob rief erschrocken: »Aber Kasperle, das ist zuviel.« Dann zählte er sein Sümmlein ab und gebot: »Das andere trägst du Mister Stopps zurück und sagst ihm noch schönen Dank.«

Kasperle rannte wie besessen den Weg zurück, wollte Mister Stopps das Geld geben, das entrutschte ihm und kollerte ins Wasser. Der Fisch, der just anbeißen wollte, schwamm fort, die Angelschnur zerriß, und Mister Stopps rief vorwurfsvoll: »Oh Kahs – pärle, du sein böse!«

»Nä, ich bin dir nicht böse, Mister Stopps!« Kasperle fiel Mister Stopps um den Hals, der fiel um, und der Wirrwarr dauerte erst eine Weile, ehe Kasperle erzählen konnte, warum er sich Geld gewünscht hatte. Florizel hätte keines, Angela hätte keines, und doch wollte Florizel Angela zu ihrer Großmutter nach Rom bringen. »Die will er dann heiraten!«

»Uen – die Großmutter?«

»Hach! nä, Angela!« Kasperle lag auf seinem Bäuchlein vor Lachen und schnaufte und quiekte, so komisch kam ihm Mister Stopps’ Frage vor. Und schließlich mußte der ernsthafte Herr herzlich mitlachen. Auch war ihm die Reise der beiden recht, zumal Florizel an ein Wiederkommen dachte. Wenn er aber mit Angela verheiratet war, dann konnte der böse Oheim sie nicht wiederbekommen, und Herr von Löwenzahn sie auch nicht heiraten. Schon am nächsten Morgen reisten die beiden ab, und Florizel sang dazu sein Lied vom Scheiden und vom Wiedersehn. Kasperle hätte sonst vielleicht geweint, wenn das Wiedersehen nicht dabei mitgeklungen hätte. So lief es vergnügt der Kutsche nach, purzelte lustig in das Haus zurück und brachte dort die alte Angela so zum Lachen, daß diese meinte, in ihrem ganzen Leben hätte sie nicht einen solchen Kauz wie das Kasperle erblickt. Und dann legte sich Kasperle in den Garten, ließ sich die Sonne auf die Nase scheinen und fand die Welt wunderschön.

Zwei Tage vergingen so hin in Frieden und Heiterkeit, am dritten aber rasselte ein Reisewagen vor das Haus, just als Kasperle vor dem Hause saß und von allem Sonnenglanz ein wenig dösig war.

»Hallo, da – ist Kasperle!« Herr von Löwenzahn, er war es wirklich, lief auf ihn zu und schrie ihn an: »Ist Angela im Haus?«

»Nä, im Garten.« Kasperle gähnte und sah Herrn von Löwenzahn erstaunt an. War er etwa vom Himmel gefallen?

»Ruf sie!« gebot der.

»Was willste denn von ihr?«

»Man nennt mich gnädiger Herr.«

»Meinetwegen,« brummelte Kasperle schläfrig.

»Heiraten will ich sie,« rief der kleine, dicke Herr und stampfte mit dem Stock auf, »gleich heiraten. Geh flink, hole sie!«

Da rannte Kasperle davon, und drei Minuten später kann er mit der alten Angela an. Die hielt sich die Schürze vor das Gesicht. Es kam ihr doch sonderbar vor, daß ein adeliger Herr sie so auf der Stelle geschwind heiraten wollte.

»Da, sie will dich nicht!« rief Kasperle.

»Wenn’s aber durchaus sein muß, –« Angela nahm die Schürze vom Gesicht, und Herr von Löwenzahn schrie laut: »Das ist nicht Angela.«

»Doch ich bin’s.«

»Das ist eine Lüge.«

Patsch schlug ihm Angela, die ein handfestes Weiblein war, den Hut vom Kopf. »Ich lüge nie, und was will Er eigentlich von mir?«

»Heiraten will er dich,« Kasperle krähte wie ein Hähnlein. »Heiraten, hei – raten.«

»Die doch nicht, die junge Angela will ich.«

»Ach,« sagte Bob, der hinzugekommen war, gelassen, »die ist bei ihrer Frau Großmutter und heiratet den Sänger Florizel. Wenn Sie sich recht, recht sehr sputen, kommen Sie gerade zur Hochzeit.«

Und so war es auch. Die schöne Angela heiratete in Rom den Spielmann Florizel, und Herr von Löwenzahn, die Tante und der griesgrämige Oheim konnten noch so viel schelten, weinen und brummen, den Kutscher noch so sehr zur Eile antreiben, sie kamen wirklich zu spät.

Kasperle freute sich, und Kasperle war traurig, denn er dachte, Florizel würde nicht wiederkommen, doch Bob tröstete ihn. Florizel und Angela dürften, solange sie wollten, in Mister Stopps schönem Hause wohnen, und sie würden schon wiederkommen.

»Mister Stopps ist doch gut,« meinte Kasperle nachdenklich.

»Ja, das ist er.« Bob dachte freilich, etwas sonderbar wäre zwar sein Herr, aber das sagte er nicht.

Da rannte Kasperle davon und suchte Mister Stopps und fand ihn in seinem Schlafzimmer. »Oh Mister Stopps, du bist gut!«

Wenn Kasperle jemand so anrannte, so mußte man schon feststehen. Mister Stopps stand aber nicht gerade fest, er wankte und setzte sich in eine große Badewanne. »Oh Kahs – pärle,« rief er, »ich sitzen im Uasser!«

»Das schadet nichts,« schrie Kasperle vergnügt, »ich habe schon mal im Heringsalat, in der Schlagsahne, im Pudding, in –«

»Oh, ich ueiß, aber du bist ein Kasperle.« Mister Stopps seufzte, stand auf und dachte: »Es ist manchmal schlimm mit einem Kasperle.« Dann sah er in des Kleinen gutherziges Gesichtlein und sagte froh: »Ich habe dich sehr lieb, mein Kahs – pärle.«

»Ich dich auch, Mister Stopps,« antwortete Kasperle. »Aber gelt, nun gibt es bald Ferien.«

»Erst reisen wir nach Italien.«

»Hurra!« schrie Kasperle, »das wird fein, wir reisen nach Italien! Da sind Florizel und Angela, Michele und Rosemarie auch. Hurra! Hurra! wir reisen nach Italien! Hurraaa!«

 

 

 

Die weiteren Abenteuer und Schicksale des einzigen, lebendigen Kasperle erzählt Josephine Siebe in den ebenfalls im Herold-Verlag G. m. b. H. in Stuttgart-W erschienenen Bänden: » Kasperle auf Reisen« – » Kasperle auf Burg Himmelhoch« – » Kasperls Abenteuer in der Stadt« – » Kasperle im Kasperland« – » Kasperle ist wieder da!« – » Kasperles Spiele und Streiche«.

 

 

 

Mister Stopps kommt nach Torburg

»Brrr, halt!« Da hielt die Postkutsche vor Torburg, und der dicke Postillon drehte sich um und sagte zu seinem einzigen Fahrgast: »Da sin mer, aber scheene ist’s nicht.«

Mister Stopps, ein schrecklich reicher, etwas verdrehter Engländer, streckte den Kopf zum Fenster hinaus und schrie: »Ueiter!«

»Nee, hinein lohnt es sich nicht zu fahren.«

»Uarum?«

»Darum, weil’s gebrannt hat.«

»Uas?«

»Na, die Stadt.«

»Uo?«

»Na, potz Wetter, das sieht doch ein Blinder,« brummte der Kutscher. »Halb Torburg ist niedergebrannt, ein schreckliches Unglück.«

»Ich uill fahren hinein.« Mister Stopps sah ziemlich ungerührt auf die Brandspuren neben dem Tor. Vor zwei Tagen hatte ein Brand das hübsche, freundliche Städtchen heimgesucht; ganze Gassen lagen in Schutt und Asche. Am Tor standen klagende und jammernde Menschen, und Mister Stopps schaute sie erstaunt an und fragte: »Uas machen sie?«

»Na, tanzen tun se nicht.« Der Postillon tippte mit dem Finger an die Stirn, sein Fahrgast kam ihm schon etwas seltsam vor. Der aber lehnte sich in den Wagen zurück, schaute in ein rotes Buch und rief: »Ueiter! Von Brand steht hier nichts drin, ich uill nur sehen Merkuürdiges.«

In diesem Augenblick schrien die Leute draußen laut: »Kasperle, oh unser gutes Kasperle!«

»Uas sein das?« Mister Stopps blickte nun wieder zum Wagen hinaus und sah zu seinem grenzenlosen Erstaunen ein putzlebendiges Kasperle mitten zwischen den Leuten stehen. Es heulte schrecklich, weil ihm die armen Abgebrannten so bitter leid taten.

»Na, das ist halt Kasperle.«

»Uer sein – Kahs – Kahs – Kasperle?«

»Na, Kasperle ist Kasperle. Potz Wetter, so ein saudummes Gefrage!« murrte der Postillon. »Jetzt fahr’ ich den närrischen Herrn zum Bürgermeister, der mag ihm Antwort geben.«

Und mit hü und hott rumpelte die gelbe Postkutsche durch das Tor in das Städtchen hinein, und Mister Stopps rief: »Halten, ich sehen uill Kahs – Kahs –«

Aber wenn der alte Postillon Heinrich einmal fuhr, dann fuhr er, da mochten die Fahrgäste rufen soviel sie wollten. Und weil er seinen Gast für übergeschnappt hielt, fuhr er noch schneller als sonst. Rumpelpumpel, vorbei ging’s an Häusern und Schutthaufen. Da war endlich das Bürgermeisterhaus, und Heinrich blies so lange: Trara, trara, ich bin da! bis der Bürgermeister, seine Frau und die Mägde alle angelaufen kamen. »Himmel, was ist los? Brennt’s schon wieder?«

»Da drinne sitzt wer!« Heinrich deutete mit der Peitsche auf Mister Stopps. Der steckte sein rundes, großes Gesicht zum Fenster hinaus und fragte; »Sein Sie Vater von Kahs – Kahs – Kahs?« Das verstand niemand, denn Mister Stopps hatte den ganzen Namen schon vergessen, und das war ein Glück. Der Bürgermeister von Torburg hätte es gewaltig übelgenommen, als der Vater Kasperles angesehen zu werden. So sah er aber, daß der Fremde ein reicher Mann war, und weil Heinrich noch schrie: »’s ist ’n reicher Engländer,« bekam er nach deutscher Art ungeheuren Respekt. Er machte eine tiefe Verbeugung, noch eine, und fragte: »Was wünschen Sie, mein Herr?«

»Kahs – Kahs –,« Mister Stopps würgte an dem Wort herum, und die Frau Bürgermeisterin sagte: »Ach, der Goldene Adler ist niedergebrannt, der Fremde hat Hunger, er will Käse. Komisch, diese Engländer!«

»Aussteigen soll er, meine Pferde sind müde,« brummte Heinrich. Einen richtigen, lebendigen Engländer hatte man noch nie in Torburg gesehen, darum verneigte sich der Bürgermeister noch einmal und lud den Fremden ein, in sein Haus zu kommen. Der dachte, das ist sicher ein Wirtshaus. Er stieg also aus und rief: »Mein room!«

Daß dies auf deutsch Zimmer hieß, wußte die gute Bürgermeisterin nicht, sie nahm es für englische Sitte und rief: »Flink, Trine, bring Käse und Rum.« Und dann nötigte sie den Gast in das Wohnzimmer; in dem warf der sich lang auf das Sofa, legte die Beine auf den Tisch und rief wieder: »Ich uill Kahs – Kahs –!« »Jemine, der hat aber Hunger,« dachte die Bürgermeisterin und rief flink der Magd zu: »Eil dich doch!«

Und kaum hatte Mister Stopps wieder seinen Mund aufgetan und noch einmal »Kahs« gesagt, als Trine hereinmarschierte. Sie trug allen Käse, den es im Hause gab, herbei, und weil es so viel war, hatte die Käseglocke nicht gereicht, und sie hatte den Käse auf eine Bratenschüssel gelegt. Er duftete nicht sehr lieblich, und Mister Stopps schrie auf einmal: »Oh!« und hielt sich seine Nase zu, und dann wieder: »Ooooh!«

»Das ist der Käse,« sagte die Bürgermeisterin. »Und gut ist er.«

»Oh, no, no, Kahs – Kahs –.« Mister Stopps merkte, daß man ihn mißverstanden hatte, und weil er Kasperles Namen nicht herausbekam, fing er an Gesichter zu schneiden, mit Händen und Füßen zu zappeln, und der Bürgermeister, seine Frau und Trine starrten verdutzt den sonderbaren Gast an. »No, no, oh schrecklich,« schrie der und zeigte auf Trine.

»Na, das verbitt’ ich mir, schrecklich bin ich nicht,« brummte die. »Der Herr ist aber, weiß der Himmel, das reine Kasperle.«

»Oh ja, den ich meine, nicht das da,« schrie Mister Stopps, deutete auf den Käse und schnitt ein fürchterliches Gesicht dazu. Da rannte Trine mit dem Käse wütend hinaus und rief zweimal: »Alter Kasper, alter Kasper!«

»Dies ich meine! Uas sein das für ein merkuürdiges Ding?«

»Kasperle meint er!« Der Bürgermeister tippte sich an die Stirn und brummte: »Da kommt ein Kasper zum andern.«

»Erzählen! Ist es ein Menschen?«

»Ih bewahre, Kasperle ist Kasperle.«

Der Bürgermeister sah seinen seltsamen Gast an; der hatte die Füße wieder auf den guten Tisch von Kirschbaumholz gelegt. So etwas! Er nahm kurz entschlossen Mister Stopps an den Beinen, und platsch, da lag der lange Herr auf der Erde.

»Oh!« sagte der verdutzt, »ich kann machen uas ich uill in meine room.«

»Ach, Unsinn, Rum gibt’s hier nicht, das ist kein Wirtshaus.«

»Oh!« Wieder riß der Fremde seinen Mund auf, als wollte er den dicken Bürgermeister verschlingen. »Uo bin ich?«

»In meinem Haus, und ich bin der Bürgermeister.«

»Ja, und ich bin die Frau Bürgermeisterin,« rief die rundliche Hausfrau. »Und mir hat noch nie ein Gast seine Füße auf den Tisch gelegt. Es ist mein bester!«

Da begriff Mister Stopps, daß er gar nicht in einem Wirtshaus war, und weil er an den Postillon dachte, der ihn hierhergeführt, rief er empört: »Schafskopf!«

»Na, das verbitte ich mir aber.« Schwipp, schwapp, griff der Herr Bürgermeister, der trotz seiner Dicke sehr behende war, zu, und pardauz flog Mister Stopps zur Türe hinaus.

Rissel rassel bums! Da lag Trine mit der Käseschüssel. Trine hatte ein bißchen horchen wollen, und da bekam sie unversehens Mister Stopps an den Kopf.

Trine schrie, Mister Stopps brüllte, die Frau Bürgermeisterin weinte, der Bürgermeister schimpfte, aus der Amtsstube kamen die Schreiber. Die Kinder und die Dienstmagd kamen auch angelaufen, und auf einmal kam noch Heinrich, der Postillon, zurück. Der hatte in der Hand den Regenschirm des Engländers, den der in der gelben Kutsche vergessen hatte. »Jemine, was ist denn nu los?«

»Da ist er, der Schafskopf,« schrie Mister Stopps.

»Ach so, den haben Sie gemeint?«

Der Bürgermeister sah Heinrich streng an: »Warum hat Er mir den gebracht?«

»Na, er wollte doch durchaus was Merkwürdiges sehen!«

»Ich bin nichts Merkwürdiges,« schrie der Bürgermeister erbost.

»No, Kahs – Kahs –«

»Kahs – Kahs – da liegt er,« jammerte Trine, »Kasperle meint er.«

Heinrich rieb sich das Knie. Die ganze Geschichte kam ihm recht sonderbar vor, und dem Bürgermeister kam Mister Stopps auch sonderbar vor, als er hörte, der wollte durchaus Kasperle sehen.

»Ich uill ihn kaufen,« schrie Mister Stopps, »kauufen!«

»Ach, Unsinn, den gibt unser Organist, Meister Severin, nicht für eine Million her.«

»Ich zahlen uill eine Million.«

»Donnerwetter!« Beinahe hätte sich der Bürgermeister vor Erstaunen in den Käse gesetzt, aber seine liebe Frau hielt ihn noch fest, und dann holten beide vereint Mister Stopps wieder herein und führten ihn nun in ihre allerbeste Stube. Und diesmal legte Mister Stopps nicht die Beine auf den Tisch, er setzte sich sehr steif auf einen Stuhl. Der Bürgermeister tat es ihm nach, die Bürgermeisterin setzte sich auf das Sofa, und dann fragte Mister Stopps: »Uer sein Kasperle?«

»Ja, wer? Ein unnützes Ding!« Der Bürgermeister, der eine ungeheure Ehrfurcht vor dem fremden Manne hatte, der für ein Kasperle eine Million zahlen wollte, fing an zu erzählen.

Eine lange Geschichte war es, und wer sie noch nicht kennt, der lese in den drei vorhergehenden Kasperlebänden nach, was Mister Stopps zu hören bekam. Höchst erstaunlich! Da gab es ein putzlebendiges Kasperle, das kein Mensch war und doch einer war. Das achtzig Jahre und länger geschlafen hatte; das in der weiten Welt herumgelaufen war, und das der Herzog August Erasmus jetzt manchmal einlud, und von dem die schöne Gräfin Rosemarie und der berühmte Geiger Michele Freunde waren und vieles andere noch. Und seit vier Jahren lebte das Kasperle in Torburg, war das närrischste Ding, war aller Liebling und Freund, war immer vergnügt und spielte mit dem mächtigen Herzog und dem feinen Marlenchen.

Während der Bürgermeister erzählte, nickte Mister Stopps ein paarmal mit dem Kopf und murmelte: »Uerde ihn kaufen!«

»Ach, du lieber Himmel, so viel Geld haben Sie doch nicht, um ’s Kasperle zu bezahlen,« sagte da einmal die Bürgermeisterin, die nicht an die Million glaubte.

Und wieder rief Mister Stopps: »Ich geben eine Million!«

»Taler?« fragte der Bürgermeister vorsichtig, der dachte, dieser Fremde könnte ja auch Gröschlein oder Pfennige meinen.

»Pfund,« antwortete Mister Stopps.

»Pfund?« Die Bürgermeisterin dachte an die schönen, blanken Pfundgewichte aus Messing in ihrer Küche und sagte kopfschüttelnd: »Was soll man da mit einer Million anfangen!«

Der Bürgermeister aber wußte wohl, daß Pfund eine englische Münze ist und ungefähr sechseinhalb Taler wert war. Er dachte bei sich, dafür könnte man ganz Torburg aufkaufen, und aller Jammer und alle Not hätten ein Ende. Ach, du lieber Himmel, wäre das ein Glück für seine liebe Heimatstadt! Aber Kasperle, Kasperle, würde der sich verkaufen lassen? Der Bürgermeister stand plötzlich mit einem Ruck auf. »Kommen Sie,« sagte er feierlich zu Mister Stopps, »wir gehen zu Kasperle.«

»Ja, und ich uerde ihn kaufen. Kahs – Kahs –!«

Und damit gingen sie, und die Bürgermeisterin dachte, es ist doch kurios, daß man mit Pfundstücken bezahlt. Ob die dieser Fremde wohl alle mit hat? Dann muß er doch ungeheure Kisten haben. Seltsam, höchst seltsam!

Der Prinz von England

Mister Stopps schlief. Vor seinem Zimmer aber standen der Bürgermeister, Stadträte und etliche vornehme und reiche Bürger, die wollten alle den englischen Prinzen sehen. Florizel, Kasperle und Bob waren inzwischen durch ein Balkonfenster hineingeklettert, und Bob machte jetzt mit dem ernstesten Gesicht die Türe auf und flüsterte: »Der Prinz schläft, niemand kann ihn sehen.«

»Oh, das ist aber schade,« riefen etliche. »Wann will er denn abfahren?«

»Morgen abend,« sagte Bob flink, der dachte, sonst kommen alle morgen angerannt. »Wir wollen ihm Blumen überreichen lassen,« flüsterte ein reicher Kaufmann.

»Das ist schön,« sagte Bob. »Sie haben so ein nettes Gesicht, Sie dürfen auch den Prinzen einmal sehen, wie er schläft.«

»Oh, tausend Dank, Herr Oberhofmeister.« Der Kaufmann war schrecklich eingebildet, er tänzelte in das Zimmer hinein. Damit auch alle sehen konnten, daß er den Prinzen zu sehen bekam, blieb er sogar noch ein Weilchen in der Türe stehen.

»Hat’s der Herr Binder gut,« murmelten die andern draußen, und der Stadtrat Knackermann kam flugs angelaufen, er mußte unbedingt den Prinzen sehen.

»Meinetwegen,« brummte Bob.

Die andern nahmen es gewaltig übel, daß die beiden so bevorzugt wurden. Sie drängten nach, und dann standen sie alle im Zimmer.

Kasperle lag im Bett, tat, als ob er schliefe, und machte dazu ein Gesicht wie Mister Stopps. Neben ihm stand Florizel.

»Na, schön ist er nicht,« brummte der Stadtrat Wichtelmeyer.

»Doch, er ist schön, er sieht so geistreich aus.«

»Nicht so nahe!« Florizel machte ein sehr ernstes Gesicht und dachte, wenn sie nahe kommen, merken sie sonst, was für ein Wichtlein im Bett liegt.

Es merkte es aber niemand, nur der Stadtrat Knackermann sah etwas höchst Seltsames. Als er sich beim Hinausgehen noch einmal umdrehte, um, wie er zu Bob sagte, den schönen Prinzen noch einmal zu sehen, fiel er gleich zur Tür hinaus vor Schreck.

»Aber, Herr Stadtrat, was haben Sie? Sie sehen ja käseweiß aus,« rief der Bürgermeister.

Der arme Stadtrat brachte vor Entsetzen kein Wort heraus. Erst unten auf der Straße stöhnte er: »Der Prinz ist etwas – hm sonderbar.«

»Dafür ist’s ein Engländer,« sagte Stadtrat Wichtelmeyer.

»Aber – aber – er hat eine lange Nase gemacht.«

»Eine lange Nase?« Die andern sahen den guten Stadtrat an, als wäre er vom Monde gefallen, und der Bürgermeister riet ihm endlich: »Gehen Sie nach Hause, und legen Sie sich ins Bett. Sie haben Fieber, Sie bekommen einen Schnupfen.«

Das meinten die andern auch. Wie konnte ein Prinz von England eine lange Nase ziehen! Das war doch unmöglich.

Im Bett aber lag Kasperle vergnügt, lachte und lachte. Oh, er wußte schon, woher die lange Nase kam.

Bob lachte auch, und Florizel sagte: »Seid nicht zu übermütig! Denkt, wir müssen noch das schöne Fräulein Angela befreien.«

»Da sind Sachen von mir, die sind mir zu klein, die kann sie anziehen.« Bob legte einen weißen Matrosenanzug zur Seite.

»Ich helfe mit befreien,« schrie Kasperle.

»Du nicht, du machst nur Dummheiten.«

»Ich mach’ keine, mache nie eine!«

»Oh, Kasperle, kleiner Schwindelpeter!«

»Nä, nur manchmal.«

»Manchmal? Oft!« Florizel, der Spielmann, stritt sich noch eine Weile mit Kasperle herum, bis er schließlich nachgab, Kasperle dürfe die schöne Angela befreien helfen.

Ach, und wie wichtig war Kasperle dabei. Erstens plumpste er durch den Schornstein in das Gartenhaus oben hinein, und mit seiner Hilfe gelang es Angela, oben eine Luke aufzumachen, und gerade wollten sie beide durchkriechen, als Florizel von der Mauer her rief: »Pst, es kommt jemand!«

Herr von Löwenzahn kam. Der hatte den Schlüssel in der Hand und flüsterte: »Angela, mein holdes Kind, ich komme, dich zu befreien.«

»Du kommst auch zur unrechten Zeit,« brummte Bob.

»Laß nur, Kasperle wird schon helfen,« flüsterte Florizel.

Und Kasperle half. Herr von Löwenzahn bückte sich gerade und schloß auf, als ihm etwas auf den Kopf fiel. »Aber Angela, holdes Mädchen,« flüsterte er, »was ist denn das?«

Ein Sack hing ihm über dem Kopf, und ehe er recht etwas sehen und den Sack vom Kopf entfernen konnte, erhielt er ein kräftiges Rippenstößlein. Er purzelte in das Gartenhaus, etwas umflatterte ihn, und dann saß der Herr von Löwenzahn darin, und die schöne Angela wurde über die Mauer gehoben.

Im Gartenhaus war es wirklich nicht schön, und eine Stunde verging, ehe sich der Herr von Löwenzahn darin zurechtfand und endlich oben eine Luke offen fand. Da schrie er denn aus Leibeskräften: »Hilfe, Hilfe!«

Erst hörte ihn lange niemand, dann sagte die Tante: »Im Garten schreit jemand. Himmel sie werden doch Angela nicht rauben.«

»Unsinn,« brummte der Onkel Griesgram.

Weil aber das Geschrei immer lauter wurde, stand er doch endlich auf, rief seinem Diener und dem alten, verdrossenen Kutscher und ging mit der Tante nach dem Gartenhaus.

Herr von Löwenzahn schaute zur Luke heraus. Der Sack hing ihm noch immer über dem Kopf, sein Gesicht war ganz schwarz geworden, weil es im Gartenhaus wenig säuberlich war und er sich beschmiert hatte. Da hielt ihn die Tante für einen Räuber. Sie schrie laut, der Onkel Griesgram rannte davon, der Diener und der alte Kutscher rannten hinterdrein.

Alle dachten, Räuber wären im Gartenhaus, die hätten das Fräulein Angela überfallen.

»Und gewiß haben sie den guten Löwenzahn getötet,« jammerte die Tante.

»Man hole die Wache,« schrie der Onkel.

»Die Wache!« Der alte Kutscher konnte vor Entsetzen kein Glied mehr rühren.

»Wache, Wache!« Das rief jemand aus dem Ofenwinkel, dort kauerte der Diener. Der klapperte vor Angst.

»Wache, Wache!« schrien alle vier.

Endlich ging die Magd Bärbe und brummte: »So schlimm ist’s doch nicht, auf die Wache zu gehen.« Sie ging also, und unterwegs fuhr ihr der Wagen, in dem Mister Stopps saß, an der Nase vorbei. Und Bärbe blieb stehen und sah sich alles recht genau an, denn einen Prinzen von England bekommt man nicht alle Tage zu sehen.

Darüber verging die Zeit, und es dauerte lange, ehe ein paar Stadtsoldaten zu dem Oheim Griesgram in das Haus kamen. Der Herr von Löwenzahn hatte sich schon ganz heiser gebrüllt, und vor Schreck und Angst war er so elend, daß er zuerst nur »Schnapp« sagen konnte, mehr nicht.

»Da ist der Räuber!« – »Der schreckliche Räuber!« – »Haltet ihn fest!« Die Tante und die Magd quiekten, der Oheim brüllte, Diener und Kutscher fingen an, Herrn von Löwenzahn durchzuprügeln, und der Wachtmeister befahl streng: »Bindet ihn, der kommt ins Gefängnis. Dem ergeht es übel.«

Na, übel erging es Herrn von Löwenzahn in dem Augenblick schon, denn kaum tat er seinen Mund auf, da schlug ihm einer darauf. Das war der alte Kutscher, der hatte ihn gar wohl erkannt, aber er war so bitterböse auf ihn, weil er die arme, schöne Angela so gequält hatte, daß er immer noch tat, als hielte er ihn wirklich für einen Räuber. Er hatte auch Florizel ganz heimlich über die Mauer steigen sehen, und bei sich gedacht, das Fräulein Angela lasse sich gewiß ganz gern von dem jungen Spielmann befreien.

Weil der Kutscher Herrn von Löwenzahn auch immer den Sack über das Gesicht zog, dauerte es sehr lange, bis die andern sahen, wer eigentlich der Räuber war.

Nachher war freilich das Entsetzen und Erstaunen sehr groß. Die Tante fiel gleich in Ohnmacht, und der Kutscher nahm sie und trug sie geschwind an das Haus und hielt sie dort unter die Pumpe. Davon wurde die Tante wieder munter, aber sie schalt wie eine ganze Spatzenfamilie, und der Herr von Löwenzahn konnte wieder nicht erzählen.

Endlich, endlich kam er dazu. Da riefen gleich alle: »Das ist der Florizel gewesen, der sie hat ansingen wollen. Wir müssen hinüber in den Mondschein laufen und dort sehen, ob Angela da ist.«

»Ich tu’s,« rief der alte Kutscher. Aber diesmal gelang ihm sein Streichlein nicht. Die Tante lief mit, das Mädchen lief mit, und der Herr von Löwenzahn humpelte hinterdrein.

Zur Mitternachtsstunde langten sie vor dem »Mondschein« an. Der lag nun wirklich im Mondschein. Alle Fenster waren dunkel. Wirt, Kellner, Mägde, Hausknechte, alle schliefen friedlich nach mühsamer Tagesarbeit, und keiner war sehr für schnelles Aufwachen. Endlich kam der Hausknecht und fragte, was los sei. »Wir wollen den englischen Prinzen sprechen.« Herr von Löwenzahn pustete sich auf wie ein Gockel. »Aber flink, es eilt!«

»Ach meinetwegen kann’s eilen, bei uns wohnt kein englischer Prinz mehr.«

»Aber Johann, besinn dich doch, heute ist doch ein englischer Prinz angekommen.«

»Is nicht! Hier war nur ein Mister Stopps, und der ist schon wieder weg.«

»Kein englischer Prinz?« Herr von Löwenzahn fiel vorsichtshalber nicht in Ohnmacht, er dachte, sonst komme er auch unter die Pumpe.

»Kein englischer Prinz?« riefen alle.

»Nä, aber ’n sehr reicher Herr mit ’nem kuriosen Ding, ’nem richtigen Kasperle,« brummte Johann. »Auf einmal, vor zwei Stunden sind sie alle weg.«

»Mit einem jungen Fräulein?« schrie die Tante.

»Nä, ohne Fräulein.«

»Das ist eine Lüge!« sagte Herr von Löwenzahn zornig.

Aber da kam er bei Johann schlecht an. »Ich lüge nicht!« brummte der, und bums schlug er die Haustüre zu.

Da mußten die draußen wieder klopfen und rufen, und Johann machte erst auf, als der Wachtmeister rief: »Im Namen des Gesetzes, aufgemacht!« Da tat der »Mondschein« seine Tür wieder auf, und jetzt kam der Wirt und erzählte auch, Mister Stopps sei eben Mister Stopps und kein englischer Prinz gewesen, und abgereist wäre er, weil er nicht für einen englischen Prinzen gehalten werden wollte.

»Und das Fräulein, das Fräulein Angela,« rief Herr von Löwenzahn aufgeregt, »wo ist meine liebe Braut?«

»Im Fremdenbuch steht sie nicht,« brummte der Wirt.

O arme, schöne Angela. Beinahe wäre alles gut gegangen, wenn nicht ein Stubenmädchen gesehen hätte, wie Angela heimlich in das Hotel geführt wurde. Dieses verriet alles.

»Ha,« schrie der alte Kutscher, »ich hab’ die Postkutsche nach Osten fahren sehen, die Gründorfer Straße entlang ging es.« Der gute Alte dachte: »Nun führ’ ich sie auf eine falsche Fährte.« Aber da war Bärbe, und Bärbe hatte die Kutsche die Delsheimer Straße entlang fahren sehen; denn jetzt hatte Mister Stopps seinen eigenen Wagen, und der Wirt meinte, das könne schon stimmen.

»Auf, auf! Der entführten Angela nach!« schrie Herr von Löwenzahn.

»Schnell eine Extrapost!«

»Eine Extrapost! Ich reise mit,« rief die Tante.

»Ich auch,« brummte der Oheim.

»Nein, ich fahre allein,« erklärte Herr von Löwenzahn, »eine Verfolgung muß man schlau anfangen.«

»Dann fahre ich auch allein,« erklärte der Onkel, »ich nehme nur den Peter mit.«

»Und ich Bärbe,« sagte die Tante rasch entschlossen, »fahren tu’ ich auch.«

»Nehmen Sie mich mit, gnädiger Herr von Löwenzahn,« bat der alte Kutscher, »ich kenne Fräulein Angela unter jeder Verkleidung heraus.« Der gute Alte dachte: »Wenn er mich mitnimmt, dann wollen wir schon an Fräulein Angela vorbeifahren.«

Aber Herr von Löwenzahn dachte an die Klapse auf den Mund und an den Sack über den Kopf. Er sagte nein, und die Tante sagte auch nein, denn sie dachte an die Pumpe.

Der alte Martin seufzte, aber dann mußte er gehen und geschwind die Extrapost bestellen. Und als er ging, brummte er: »Klug willst du sein, Herr von Löwenzahn, aber dumm bist du doch. Mein Fräulein Angela soll dich doch nicht heiraten.«

Als es Morgen war, hielt endlich eine Extrapost vor dem gelben Hause, nur eine, denn zuletzt hatte selbst Herr von Löwenzahn gefunden, mehrere Wagen wären zu teuer. Innen saßen der Onkel Griesgram, Herr von Löwenzahn, die Tante und Bärbe, auf dem Bock zwei Postillone. Der eine war Martin als Postillon verkleidet. Peter mußte daheim bleiben und das Haus verwahren. Und fort ging die Reise.

»Martin hat nicht mal Lebewohl gesagt, na, das soll ihm aber angestrichen werden!« sagte die Tante, als der Wagen zur Stadt hinausrollte.

»Es war schlau von mir, ihn nicht mitzunehmen.« Herr von Löwenzahn lächelte stolz, und der Oheim brummte: »Sehr schlau, er hält es sicher mit Angela.«

Traratrara! blies der eine Postillon, und der andere lachte vergnügt vor sich hin. Sonderbar, der sah beinahe wie der Martin aus.

Eine lustige Fahrt

Sonnenschein, Maienglanz, blühende Blumen, Vogelgesang. Wie war es schön, so am lichten Morgen in die weite Gotteswelt hinein zu fahren!

Dem Kasperle hüpfte sein kleines Herz vor Freude. Beim Mondenschein waren sie aus der Stadt hinausgefahren, durch einen stillen, schlafenden Wald. Da hatten leise die Quellen gesungen, und das Mondlicht war an den dicken Baumstämmen niedergerieselt. Ein feines, sachtes Rauschen dazu. Schön war es gewesen, wunderschön. Aber nun schien die Sonne. Ein Tag voll Lieblichkeit war heraufgezogen, und das kleine Kasperle baumelte vor Vergnügen mit seinen Beinchen. Es saß in dem Wagen Mister Stopps gegenüber. Florizel hatte sich vorn auf den Bock gesetzt, Bob auf den Bedientensitz hinten am Wagen.

Florizel sang zur Violine:

»Wie bist du herrlich, liebe Erde!
Im Glanze deiner schönen Fluren
Geh’ ich auf unsres Herrgotts Spuren
Und hör’ sein schaffendes »Es werde.«

»Es gefällt mir,« sagte Mister Stopps, und dann steckte er den Kopf zum Wagenfenster hinaus und rief: »Oh, mehr, mehr!«

Florizel spielte wieder und sang dazu:

»Wald und Wiese,
Feld und Baum,
Alles grüße,
Wie im Traum.
Vogelsingen,
Bäumerauschen,
Quellenklingen
Möcht’ erlauschen.
In dies schöne Vielerlei,
Heller tönt mein Tarandei,
Tarandei, dideldum.«

Mister Stopps nickte wieder zufrieden, und das Kasperle, das ihm gegenüber saß und etwas auf seinem Herzen hatte, dachte: »Nun sag’ ich es!« und nickte auch mit. Da sprach Mister Stopps plötzlich, just als Kasperle seinen Mund auftun wollte:

»Kahspärle, uie ist das? Mal sitzt Bob vorne, mal sitzt Bob hinten. Uie kann ein Mensch vorne und hinten zu gleicher Zeit sitzen?«

Kasperle wurde feuerrot: »Das ist Bobs Bruder, der vorne sitzt,« stotterte er.

»Uie komisch! Uie kann Bob einen Bruder haben, uenn er doch ein Uaisenkind ist und nie einen Bruder gehabt hat?«

»Er – er – er – ist von der Mauer gefallen!«

Kasperle dachte: »Das ist nun schlimm, Mister Stopps die Wahrheit zu sagen,« denn Mister Stopps sah ihn mit einem strafenden Blick an: »Kahs – pärle, du tust lügen.«

Kasperle suchte seine Nase. Es half nichts, er mußte bekennen. Da tönte draußen Florizels heitere Stimme:

»Schönes Fräulein,
Sagt mir an,
Warum den Herrn von Löwenzahn
Ihr wolltet gar nicht frei’n.«

Und eine silberhelle Stimme antwortete:

»Oh Florizel,
Lieber Spielmann mein,
Ich will ihn nicht,
Ich mag ihn nicht,
Er ist ein aufgeblasener Wicht.«

»Das ist er,« schrie innen Kasperle.

»Uer, Kahs – pärle?«

»Der Herr von Löwenmaulzahn. Und Angela ist Bobs Bruder, nein, sie ist es eigentlich nicht, und sie saß im Gartenhaus, und nun sitzt der Herr von Löwenmaulzahn drin, und – und – und –«

Kasperle wußte nicht weiter, und Mister Stopps wußte erst recht nicht weiter, denn die Namen, die Kasperle genannt hatte, waren ihm ganz unbekannt.

»Bob soll kommen,« riefen Herr Stopps und Kasperle zu gleicher Zeit.

Und Bob kam und brachte Florizel mit, und Mister Stopps sagte streng: »Bob, jetzt stehst du hier und sitzt doch auf dem Bock, wie ist das?« Da erzählten Bob und Florizel, wie sie die schöne Angela gerettet hatten, und Mister Stopps rief: »Umkehren, das geht nicht!«

Wie gut war es, daß Kasperle so unbändig heulen konnte! Heiliger Bimbam, schrie der kleine Wicht. Mister Stopps erschrak gewaltig, er versuchte Kasperle zu trösten, aber der war schlau, er tat ganz jämmerlich unglücklich. Je aufgeregter Mister Stopps wurde, desto mehr heulte das Kasperle. Der riß seinen Mund ganz ungeheuer auf und schluchzte, als wäre ihm selbst das tiefste Herzeleid widerfahren.

Als Mister Stopps, dem es immer ängstlicher zumute wurde, einmal sagte: »Uir müssen in die Stadt zurückkehren,« schrie Kasperle: »Ich stirbse, ich stirbse!« und klapp fiel er um und verdrehte die Augen. Florizel beugte sich über ihn und flüsterte: »Jetzt müßtest du eins aufs Hosenbödle haben.«

Der Florizel war doch ein guter Arzt. Kasperle starb nicht, sondern war auf einmal wieder ganz munter und bat Mister Stopps zärtlich: »Bitte, bitte nicht umkehren, lieber Mister Stopps!«

»Aber das fremde Fräulein?« fragte Mister Stopps.

»Das ist doch kein Fräulein mehr, ist Bobs Bruder geworden, und Bobs Bruder heißt Tom und kann mitfahren.« Kasperle fand die Geschichte äußerst einfach. Mister Stopps fand sie weniger einfach, aber was sollte er mitten auf der Landstraße tun? Er sagte also: »Meinetwegen!« Und dann hielt er sich die Ohren zu und rief: »Nichts mehr hören. Kahspärle haben mich die Ohren entzuei geschreit – geschrieht – geschreiten.« »Hahaha!« Kasperle tat wieder seinen Mund weit auf, aber diesmal, um zu lachen, und Mister Stopps, Florizel, Bob und Angela und der Kutscher, alle lachten mit. Heio, das war eine lustige Fahrt. Immer glänzender wurde der Himmel, immer strahlender die Sonne. Mittagsfriede lag über dem Lande.

Im Wagen schmausten sie, und Angela, genannt Tom, schmauste fröhlich mit. Dann setzte sie sich neben Florizel hinten auf das Bedientenbänklein, Bob setzte sich neben den Kutscher, und weiter ging die Fahrt. »Bis zur Schwarzen Ente,« sagte der Kutscher. »Das ist ein feines Wirtshaus.«

Florizel spielte ganz, ganz leise, und Angela erzählte ihm. Ein Waislein war sie, und einen geizigen Vormund hatte sie. In Italien lebte ihre gute, gute Großmutter, aber zu der wollte der Vormund sie nicht reisen lassen, obgleich Angela die gute alte Frau von Herzen liebte. »Wenn ich erst dort bin, bin ich geborgen,« erzählte Angela weiter. »Die Großmutter ist –«

»Himmelsgut,« sagte jemand, und das war Kasperle.

Mister Stopps schlief, da war es dem Kasperle zu langweilig geworden. Er war aus dem Fenster geklettert und schaute nun vom Verdeck des Wagens auf die beiden herab.

»Ja, himmelsgut. Oh Kasperle, liebes, kleines Kasperle,« sagte Angela, »ich habe schon so viel von dir gehört, denn ich war eine Zeitlang bei der Prinzessin Gundolfine –«

»Brrrrrrr!« Kasperle schüttelte sich so, daß Florizel fragte: »Wird dir übel?«

Da schrie Kasperle: »Hach, ich weiß jetzt, wer die Heirat mit Herrn von Löwenmaulzahn ausgeheckt hat.«

»Die Prinzessin,« rief Angela.

»Ja, die,« Kasperle machte ein bitterböses Räubergesicht, und dann –

»Die Prinzessin!« Angela purzelte beinahe vom Wagen. Auf einmal sah nämlich das Kasperle wie die Prinzessin aus und gleich darauf wie Herr von Löwenzahn, und dann gab es ein fröhliches Gelächter, und Bob, der es hörte, kletterte auch auf das Kutschenverdeck, legte sich neben Kasperle, und beide schwatzten mit Florizel und Angela.

Und weiter ging die Fahrt, immer weiter, vorbei an kleinen Dörfern, die im Baumschatten malerisch zwischen Wiesen und Feldern lagen. Einmal kam ein Städtchen. Da rollte und rumpelte der Wagen über holpriges Pflaster. Kinder, Erwachsene, Hunde, Katzen, alles lief herbei, denn Kasperle schnitt die ungeheuersten Fratzen. Lautes Lachen umtoste die Kutsche, in der Mister Stopps behaglich schlief. Der Kutscher lachte, ja, ja, mit einem Kasperle fuhr es sich schon lustig in der Welt herum.

»Was ist das für ein kecker Wicht?« fragte der Wächter ernsthaft. Wutsch, da machte ihm Kasperle sein Gesicht nach, und der Wächter rief verdutzt: »Der sieht beinahe aus wie ich, komisch!«

»Hier bleiben!« riefen die Kinder.

Und die Wirtin vom Schwan knickste und rief auch:

»Solche Gäste müßten doch ausspannen.«

Aber der Kutscher sagte: »’Ne Schwarze Ente ist mir lieber als ’n schmutziger Schwan, und dann sind wir auch bald an der Grenze.«

»An was für ’ner Grenze?« fragte Kasperle.

»An der Schweizer Grenze.«

»Uo sein die Schweiz? Sein uir da?« Mister Stopps war aufgewacht, schaute sich erstaunt um, und da kletterte Kasperle zum großen Vergnügen der Reisegesellschaft wieder über das Verdeck in den Wagen zurück und setzte sich Mister Stopps gegenüber.

»Was ist die Schweiz?« fragte Kasperle.

»Ein Land!«

»Wegzoll!« schrie jemand, und Bob warf von oben herab dem Zollbeamten ein Geldstück zu.

»Halt!« schrie der, »wieviel Personen passieren?«

»Fünf und ein Kasperle.« Bums, fiel der Schlagbaum herunter. »Verspotten lasse ich mich nicht,« brummte der Beamte. »Was ist ein Kasperle?«

»Das bin ich.« Kasperle schoß einen Purzelbaum aus dem Wagen heraus, und der Zollwärter rief: »Potztausend, das ist wirklich ein Kasperle.«

Mister Stopps zeigte ihm nun seinen Schein von Torburg, auf dem stand, daß er Kasperle für sehr viel Geld gekauft hätte.

Da machte der Mann große Augen, er schrieb aber alles ordentlich in ein Buch hinein. Als Mister Stopps seinen Namen und Geburtstag genannt hatte und gerade Bob nennen wollte, schrie Kasperle: »Und das ist Bob und Tom, zwei Brüder, und das ist Florizel, der kann besser singen als die Nachtigall des Kaisers von China.«

»Gut, gut!« Der Zollwächter lachte, er sah sich nur noch Florizel an, dann konnte der Wagen weiterfahren, und weiter ging es, immer weiter.

Wieder Wiesen, Felder, Wald, ein Dorf, und dann kam die Schwarze Ente, und hier rief der Kutscher: »Hühott! Hier wird Halt gemacht, und morgen geht es in die Schweiz hinein, da sind alle Berge mit Zucker bestreut.«

»Stimmt nicht!« rief Kasperle, der gerade auf dem Bock gesessen hatte, und kletterte wieder in den Wagen hinein und fragte drinnen Mister Stopps: »Ist das wahr?«

»Uas denn?«

»Daß in der Schweiz die Berge mit Zucker bestreut sind.«

Der steife Mister Stopps machte selten einen Scherz, und wenn er einmal einen machte, dann tat er es mit einem ganz ernsten Gesicht, und jeder dachte, es sei Ernst gewesen.

Darum glaubte es das arme dumme Kasperle ihm auch, als er sagte: »Nicht mit Zucker, aber alle Berge sind von Schlagsahne.«

»Schlagsahne?« schrie Kasperle, denn das war seine Lieblingsspeise.

»Kann man die essen?«

»Gewiß,« antwortete Florizel.

»Dann esse ich in der Schweiz immerzu Schlagsahne. Kann man sie auch nur so schlecken, ohne Löffel?«

Herr Stopps wollte antworten, wollte sagen: »Es war nur ein Späßlein,« als der Kutscher rief: »Brrr, halt, hier ist die Schwarze Ente, hier ist gut sein.«

Kasperle will Schlagsahne essen

Es ließ sich gut leben in der Schwarzen Ente. Kasperle dachte erst, er wäre im Wirtshaus zum Grünen Kranze, aber dann war es doch die Schwarze Ente. Schwarz war darin nichts, alles hell und sauber, das Essen gut, die Betten weich, im Gärtlein duftete und blühte es, und vom Walde her kam köstliche Luft.

Die schöne Angela, die schon so viele trübe Tage in ihrem jungen Leben gehabt hatte, dachte auch, es müsse sich gut wohnen in dem uralten gemütlichen Haus. Mister Stopps wollte auch bleiben, aber Florizel, Bob und Kasperle sagten, sie hätten eine schreckliche Sehnsucht, in das Schweizerland zu kommen. Die drei Schelme hatten aber ein gedrücktes Gewissen; sie dachten an Herrn von Löwenzahn, an Angelas Vormund und die Tante. Wenn die ihre Spur fanden, dann würde es schlimm werden. Darum nur schnell fort!

»Wenn wir erst weiter in der Schweiz sind, sind wir sicher,« meinte Florizel.

Mister Stopps fand die Geschichte komisch, aber er gab nach, ließ anspannen und fuhr am nächsten Tage in das Schweizerland hinein.

Traratrara! Der Kutscher blies, Kasperle steckte seine große Nase zum Wagenfenster hinaus. Wo sind denn nun die großen Schlagsahneberge?

Ja, wo waren sie? Nebel verhüllte alles, und der Nebel wurde zum Regen. Da rauschte ein Wasserfall, und Florizel sagte, das wäre der Rheinfall von Schaffhausen, aber er war nur nicht zu sehen. Dann kamen sie nach Zürich, und es goß in Strömen. Den See sah Kasperle erst, als er drinnen lag, und am Fraumünster stieß er sich beinahe die Nase kaputt.

»Es wird schon aufhören,« tröstete Florizel. Aber es hörte nicht auf. Man fuhr im Regen durch Luzern und überquerte den Brünigpaß. Es regnete lustig weiter. Bald flossen Wäscheleinen vom Himmel, bald regnete es Bindfaden: plitsch, platsch, es regnete, ohne an ein Aufhören zu denken.

Auf dem Brienzer See lag der Nebel wie ein Scheuerlappen, und als man in Interlaken war, konnte man meinen, man säße auf einer wüsten Insel. Alles grau rings herum. Dazu war es kalt, und Mister Stopps klapperte vor Frost. Kasperle klapperte flink mit, der tat es aber nur aus Übermut.

»Man muß heizen,« rief Bob.

»Ja, Feuer,« sagte Mister Stopps, und »Feuer, ach ja!« flüsterte die zarte Angela, die schon beinahe blau gefroren war.

»Und morgen wird schönes Wetter, die Wolken teilen sich,« tröstete Florizel.

»Das sagste jeden Tag,« brummte Kasperle unwirsch, »und ich sehe nichts von der Schlagsahne.«

»Du kannst noch genug essen. Paß auf, morgen steht dir ein ganzer dicker Berg voll vor der Nase.«

Da mußte auch Mister Stopps lachen, der warnte: »Iß nur nicht zu viel!«

Kasperle lugte abends zum Fenster hinaus. Es regnete zwar noch immer, aber in der Ferne sah er doch etwas Weißes schimmern. Vielleicht stimmte es mit dem Schlagsahneberg. Und dann träumte er die ganze Nacht davon, und früh, als er aufwachte, schien ihm wirklich die Sonne auf die Nase. Kasperle sprang auf und rannte an das Fenster, und da – wahrhaftig, da saß ein großer, großer Schlagsahneberg mitten auf der Wiese, ganz nahe schien er, ganz nahe. Kasperle wußte noch nichts davon, daß die Ferne im Gebirge nahe scheinen kann. Er dachte: »Nu aber los! Zu dem Schlagsahneberg ist’s nur ein Katzensprünglein.« Und flugs fuhr das Kasperle in die Höschen. Auf einem Tisch im Wohnzimmer, durch das er leise schlich, sah er eine Schüssel stehen, die nahm er mit. Er dachte: »Jetzt hol’ ich Schlagsahne zum Frühkaffee.« Und auf und davon lief das Kasperle.

Im Gasthof schliefen noch alle, nur Florizel war auf, und ging draußen über die Wiesen und sang, sah aber kein Kasperle laufen. Das flitzte flink an ihm vorbei, hörte gar nicht auf sein Lied:

»Berge im Schnee,
Blaustrahlender See,
Enziane blühn
Auf Matten grün.
Schönes Land,
Schweizerland,
Sei mir gegrüßt!«

Da war das Kasperle vorbei, und kein Mensch hatte es gesehen. Kasperle lief wie der Wind. Weiter rückte der schneeweiße Berg, immer weiter.

Da lief ein Mann dem kleinen Kerl in die Quere, und den fragte Kasperle nach dem Weg.

»Wohin?«

»Dahin, Schlagsahne holen.«

»Ah, so guet!« Der Mann verstand zwar nicht, was Kasperle meinte, aber er sah die Schüssel. Am Weg war eine Käserei, dahin mochte das Bübli laufen wollen! Er zeigte geradeaus, und Kasperle rannte geradeaus.

Lieber Himmel, wie weit war das bis zu dem Schlagsahneberg! Die Sonne brannte, dem Kasperle wurde es heiß, die Schüssel wurde ihm schwer. Er setzte sich am Wegrand nieder und tat einen kellertiefen Seufzer. Sollte er heimgehen?

I nein, damit Florizel und Bob ihn noch auslachten! Lieber nicht. Aber die Schlagsahne lockte auch. Also stand Kasperle wieder auf und ging weiter. Es ging jetzt bergauf. Ein Wald kam, dahinter schimmerte es weiß, also brauchte das dumme, dumme Kasperle sicher nur durch den Wald zu gehen, dann war es am Ziel. Nach zehn Schritten kam ein Berg, und Kasperle begann zu steigen, und wilder wurde der Wald, steiler der Weg, und auf einmal stand das Kasperle mutterseelenallein in einer tiefen, tiefen Einsamkeit, und über ihm kreiste ein riesiger Vogel. Es war ein Adler!

Kasperle erschrak. Er wußte, Adler entführen auch manchmal Kinder, warum nicht ein Kasperle?

Vor Schreck ließ es die Schüssel fallen und rannte heimwärts. Ja, heimwärts, wenn es nur den rechten Weg gewußt hätte. Kasperle überlegte: »Jetzt muß das Wirtshaus und der Ort, der Interlaken heißt, bald kommen,« aber immer einsamer, immer stiller wurde es ringsum. Zuletzt gab es keinen Weg mehr, kein Mensch antwortete auf Kasperles Klagen und Rufen, nur über ihm zog der Adler seine Kreise.

 

Inzwischen war Mister Stopps aufgewacht. Er rief nach Bob und Kasperle. Bob kam, Kasperle nicht.

»So ein Faulpelz, der schläft noch! Na, ich werde ihn wecken,« sagte Bob. Er ging an Kasperles Bett und rief: »Aufstehn, du kleiner Faulpelz!« Und dann nahm er die Decke weg, und – da lag kein Kasperle mehr im Bett.

Er wird unten bei Florizel sein, dachte Bob.

Just da kam Florizel ins Zimmer, seine Augen glänzten, auf seinen Lippen lag noch ein Lied, er trillerte:

»Angela, du allerschönste Maid,
Wach auf, wach auf, ’s ist Sonnenzeit.«

»Und Kasperle?« fragte Bob.

»Ja, Kasperle liegt gewiß noch im Bett,« antwortete Florizel.

»Das tut er eben nicht.«

»Dann ist er bei Angela.«

»Meinetwegen nenne du Angela Tom,« rief Florizel und ging, um Angela zu fragen. Doch die wußte nichts von Kasperle, und niemand im Hause wußte etwas von ihm. Es hatte ihn nicht einmal jemand fortlaufen sehen.

»Mein Kasperle ist ausgerückt,« schrie Mister Stopps.

»Nein, das ist er nicht. Ausreißen tut er nicht mehr, aber eine Dummheit hat er vielleicht gemacht. Man muß ihn suchen,« meinte Florizel.

Alle liefen auf die Straße, selbst die schöne Angela, und gerade fand sie den Mann, der Kasperle hatte laufen sehen. Der Mann wußte gleich Bescheid, als Angela den Kleinen beschrieb. Der habe was holen wollen, was Komisches – Schlagsahne.

Der Mann lachte über das Wort, aber Angela lachte nicht. Sie ahnte plötzlich, wohin Kasperle gelaufen war. Der hatte den Scherz für Ernst genommen.

»Oh, du dummes, dummes Kasperle!« Angela rannte zurück, und erzählte.

Mister Stopps, Florizel, Bob, alle drei riefen auch: »Ist Kasperle dumm!« aber dann dachten sie doch, ja, dumm ist das Kasperle, aber fort ist es auch. Man muß es suchen gehen.

Sie gingen alle vier zusammen weg. Es wollte keins zurückbleiben. Erst dachten sie: »Na, wir finden es bald!« Aber dann wurde es immer stiller und einsamer. Sie konnten rufen, soviel sie wollten, das Kasperle war nicht zu finden, und niemand hatte es gesehen. Die Sonne stand schon hoch, da kehrten die vier um, denn Mister Stopps sagte: »Vielleicht ist er inzwischen wiedergekommen. So weit wird er nicht sein.«

Aber Kasperle war nicht wiedergekommen.

Nun wuchs die Sorge. Florizel und Bob beschlossen, das Kasperle nochmals zu suchen, Angela mußte bei Mister Stopps bleiben. Ein wegkundiger Führer begleitete die beiden, und der Bauer, der Kasperle den Weg gewiesen hatte, ging auch mit.

Kaum waren die vier zum Ort hinaus, da fuhr, rissel-rassel, eine große Reisekutsche vor, und Angela sah zu ihrem Entsetzen darin ihren Vormund, die Tante und Herrn von Löwenzahn sitzen. Sie erwischte just noch einen Kellner am Jackenzipfel, und bat ihn, er möchte Mister Plumpudding nicht stören.

»Wer ist denn das?«

»Na, der Herr auf Nummer zehn, und ich bin sein Diener Tom.«

»Ich denke, Mister Plumpudding heißt Mister Stopps,« stotterte der Kellner verdutzt.

»Aber Mister Stopps ist doch eben in die Berge gegangen, das Kasperle zu suchen,« rief Angela. Sie zitterte dabei wie Espenlaub, und der Kellner fragte: »Warum zitterst du so?«

»Weil ich mich erkältet habe und mich ins Bett legen muß!« Husch, weg war Angela. Der Kellner aber ging hinab, da fragte ihn Herr von Löwenzahn: »Ist Mister Stopps oben?«

»Nein, nur Mister Plumpudding. Mister Stopps sucht Kasperle.«

»Wo sucht er es denn?«

»Kasperle ist auf die Jungfrau geklettert.« Das hatten die Reisenden noch nie gehört, daß man diesen Berg besteigen könne, und Herr von Löwenzahn rief gleich:

»Ich will auch hinauf.«

»Aber erst wollen wir uns ausruhen.« Die Tante sah sich um. »Plumpudding? Den Namen habe ich noch nie gehört. Hat er Dienerschaft bei sich, vielleicht noch eine Nichte?«

»Oh, der hat nur Tom bei sich.«

»So? Und Bob? Mister Stopps Diener?«

»Bob ist mit auf die Jungfrau gestiegen!«

»Du siehst, Liebe,« brummte der Onkel, »sie sind alle weg, wir können uns ausruhen.« Da alle sehr müde waren, legten sie sich in ihre Betten und schliefen bis zum späten Nachmittag. Angela aber saß zitternd in ihrem Zimmer, bis sie endlich wagte, leise hinauszugehen. Da kam sie denn an den Weg, den Florizel und Bob gegangen waren, um das Kasperle zu suchen. Die mußten weit, weit wandern und fanden das Kasperle nirgends. Und wie sie so gingen, kamen sie an eine Almhütte. Ziegen und Kühe liefen draußen herum. Da die Sonne just untergehen wollte, glühten die weißen Schneeberge rosenrot, und Florizel setzte sich auf eine Bank vor der Hütte und sagte: »Hier muß ich einmal ausruhen. Das vermaledeite Kasperle!«

Grad in dem Augenblick kam eine Frau aus der Hütte, die lachte über das ganze Gesicht und rief immerzu: »Ich muß mich totlachen, totlachen!«

»Warum denn, gute Frau?«

»Ach,« sagte die Frau, »mein Mann hat heute ein Bergwichtlein gefangen, just als es ein Adler davontragen wollte, das macht so ungeheure Späße.«

»Das ist Kasperle,« schrien Florizel und Bob. Und es war Kasperle, das saß in der Almhütte auf einem Butterfaß und kasperte den Hüttenleuten etwas vor.

»Oh Kasperle!«

»Florizel, Bob!«

Da lag das Kasperle samt Butterfaß auf dem Boden. Und nun erst merkte es, daß es angebunden war.

Die Sennen wollten es auch nicht leiden, daß Kasperle abgebunden würde. So ein Wichtlein brächte Glück, sie wollten es behalten, sagten sie.

Das gab ein Handeln. Vergebens erzählten der Bauer und der Führer, wer Kasperle war, die Sennen wollten es nicht freigeben. Und da es sechs waren, dachten Florizel und Bob schon, sie müßten wirklich ohne Kasperle abziehen. Da fing das auf einmal sein allerschaurigstes Räubergebrüll zu brüllen an, und schnitt dazu die fürchterlichsten Gesichter. Es sah aus wie ein Räuber, ein Teufele und wie die böse Köchin im Goldenen Knopf.

Die Almleute erschraken. Dazu drohte ihnen Kasperle noch mit grimmigster Miene, und die Frau sagte flink: »Nein, so einen Unhold wollen wir gewiß nicht in unserem Hüttli haben. Hinaus mit ihm! Hätte den nur der Adler geholt.« Sie schnitt rasch den Strick durch, und hops saß Kasperle dem Florizel auf dem Rücken. Es drehte sich, als der rasch mit ihm zur Türe ging, flink noch einmal um und machte ein lustiges Schelmengesicht.

»Es soll bleiben! Ihr seht doch, es ist nicht böse.«

»Es soll bleiben,« riefen alle, aber Bob und Florizel rannten mit ihrem Kasperle so schnell sie konnten, davon.

»Kasperle, du heilloser Wicht, gleich machst du dein schlimmstes Gesicht!« keuchte Florizel, der an dem kleinen Kerl schon zu tragen hatte.

»Hach,« schrie Kasperle und sah gleich wie die Prinzessin Gundolfine aus. Ein schlimmeres Gesicht konnte es nicht machen. Es war auch schlimm genug. Die Almleute purzelten vor Schreck fast den Berg wieder hinauf. Wehklagend rannten sie davon, und Kasperle lachte und lachte, bis Bob sagte: »Kasperle, sei still, dir platzt noch dein Bäuchlein.«

»Das kann’s nicht,« schrie Kasperle kläglich. »Es ist nichts drin.« Florizel setzte den Kleinen ab, denn niemand verfolgte sie mehr. »Ich dachte, du bist von der vielen Schlagsahne satt,« sagte der Spielmann neckend.

Aber da wurde Kasperle fuchsteufelswild. Es, wußte nun schon, daß die Sahne Schnee, ewiger Schnee war, und vor Wut und Herzeleid fing er jämmerlich zu heulen an. Er klagte dazu, seine Füße täten ihm arg weh, und Bob nahm ihn auf den Arm, tröstete ihn sacht und sagte: »Wenn wir zurückkommen, bekommst du Schlagsahne und darfst so lange schlafen, wie du willst.«

Es kam aber alles anders als Bob sagte und Kasperle hoffte. Als sie alle spät heimkamen, kauerte Angela in der Nähe des Wirtshauses und flüsterte zitternd: »Sie sind da!«

»Wer denn? Die Sennleute?« kreischte Kasperle.

»Halt den Mund, Kasperle,« sagte Florizel, »jetzt müssen wir es klug machen, damit der Vormund die arme Angela nicht erwischt.«

»Klug,« sagte Kasperle, aber ihm rutschte sein Stimmlein aus, und es gellte laut durch das Haus: »Klug.«

»Himmel, mir war es gerade, als habe jemand geschrien,« sagte die Tante, aber glücklicherweise hatte Bärbe nichts gehört, da schlief die Tante wieder ein, auch Herr von Löwenzahn schlief, und der Vormund schnarchte, sie hörten niemand und nichts.

Kasperle ist krank

Personen:

Kasperle

Der Arzt

Spielt beim Arzt.

Kasperle: »Schlechten guten Tag, Herr Doktor!«

Arzt: »Was willst du denn, Kasperle, warum wünschest du mir einen schlechten Tag?«

Kasperle: »Weil es mir schlecht ist, miserabel schlecht, au, au!«

Arzt: »Na, Kasperle, wo tut es denn weh?«

Kasperle: »Überall, Kopf, Bein, Bauch.«

Arzt: »Wo denn im Bauch?«

Kasperle (deutet auf den Magen): »Hier, aber arg!«

Arzt: »Kasperle, das ist doch nicht der Bauch, das ist der Magen.«

Kasperle:

»Ob Bauch, ob Magen,

Schmerz kann ich net vertragen.«

Arzt: »Und welches Bein tut dir weh?«

Kasperle: »Das linke.«

Arzt: »Du hinkst aber doch mit dem rechten.«

Kasperle:

»Ob links, ob rechts ist eine Soße,

Mit beiden fahr ich in die Hose.«

Arzt: »Und wie ist es mit dem Kopf?«

Kasperle: »Da hab ich einen so furchtbaren Druck darauf.«

Arzt: »Nimm mal deine Mütze ab.« (Kasperle tut es, und ein großes Gewicht fällt heraus.)

Kasperle: »O jemine, das habe ich aus Versehen eingesteckt, das hat aber gedrückt.«

Arzt: »Das glaube ich. Ein Zehnpfundgewicht auf dem Kopf tragen, ist keine Kleinigkeit. Nun zieh mal deinen rechten Schuh aus.« (Kasperle zieht den linken Schuh aus.)

Kasperle: »Der tut doch gar nicht weh.«

Arzt (lacht): »Weil du den verkehrten ausgezogen hast, den anderen.«

Kasperle: »Das hättest du doch gleich sagen können.« (Zieht den rechten Schuh aus und ein Bund Schlüssel fällt heraus)

Arzt: »Himmel, was ist denn das?«

Kasperle: »Hurra, meine Hausschlüssel. Ich dachte schon, ich hätte sie verloren.«

Arzt: »Na, die müssen freilich gedrückt haben. Tut der Fuß immer noch weh?«

Kasperle: »Kein bißchen mehr. Aber au, mein Magen, der tut schrecklich weh.«

Arzt: »Was hast du denn gegessen?«

Kasperle: »Oh, ganz wenig.«

Arzt: »Na, was denn zum ersten Frühstück?«

Kasperle: »Bloß sechs Semmeln gegessen und sechs Tassen Kaffee getrunken.«

Arzt: »Na, das genügt für einen kranken Magen. Und was hast du zum zweiten Frühstück gegessen?«

Kasperle: »Nur sieben Butterbrote, mehr nicht.«

Arzt: »Ist schon genug für einen ganzen Tag.«

Kasperle: »Och, so wenig. Dann habe ich zu Mittag ein paar Kartoffelklöße gegessen, ich glaube zehn Stück, und nur vier Portionen Hasenbraten, dann war es zu Ende, der Magen tat zu weh.«

Arzt: »Du bist ein Vielfraß, Kasperle. Es hilft nichts, ich muß den Magen aufschneiden, sonst stirbst du.«

Kasperle: »Uh jegerle, jetzt werde ich aufgeschnitten wie eine Wurst.« (Der Arzt nimmt Kasperle und legt es hin, nimmt eine Schere und tut, als ob er Kasperle aufschneide.)

Kasperle (lacht): »Hihihihihihi, wie das kitzelt.« (Der Arzt zieht eine große Pillenschachtel aus dem aufgeschnittenen Bauch hervor.)

Arzt: »Was ist denn das?«

Kasperle: »Die sollte ich einnehmen, immer drei Pillen auf einmal, aber ich habe gleich die ganze Schachtel mit den Pillen verschluckt, damit ich schneller gesund werde.«

Arzt: »Wer hat sie dir verschrieben?«

Kasperle: »Ein anderer Doktor. Er versteht aber nichts, alle seine Medizin hat nichts genutzt.«

Arzt: »Ja, du Schafskopf, wenn du die ganze Schachtel gleich mitverschluckst.«

Kasperle: »Es stand doch da: Eine Schachtel Pillen.«

Arzt (bringt eine Flasche Medizin zum Vorschein): »Und was ist denn das hier?«

Kasperle: »Das ist die andere Medizin, die mir der andere Doktor auch noch verschrieben hat.«

Arzt: »Oh, Kasperle, bist du dumm. Und was ist das?« (Hält ein Paket Tee in die Höhe)

Kasperle: »Da ist Tee drin, den sollte ich trinken.«

Arzt (lacht): »Hahahahaha, und jetzt kommen die Löffel, mit denen du alles löffelweise schlucken solltest.« (Hält einen Teelöffel und einen Eßlöffel in die Höhe)

Kasperle: »Hach, nun bin ich gesund.« (Er will aufspringen, aber der Arzt hält ihn fest.)

Arzt: »Erst muß ich dich wieder zunähen.« (Nimmt eine große Stopfnadel und einen Faden grüner Wolle und näht an Kasperle herum): »So, und nun acht Tage nur Wassersuppe essen, dann bist du gesund.«

Kasperle (weint): »Wassersuppe kann ich nicht essen, die liegt mir zu schwer im Magen, davon stirbse ich.«

Arzt (lacht): »Was willst du denn essen?«

Kasperle (springt auf): »Pfannküchlein und Schweinebraten. Hurra ich bin gesund!« (Ab)

Arzt: »Das Danken hat er natürlich vergessen.« (Der Vorhang fällt.)

Kasperle und Prinzessin Gundolfine

Personen:

Kasperle

Binchen, Kammerjungfer

Prinzessin Gundolfine

Die erste Szene spielt im Walde, die zweite Szene im Schloß der Prinzessin.

Kasperle (tritt auf, seufzt und stöhnt): »Uff, ich habe sechzehn Küchlein gefressen und dreizehn Bratwürstlein, ich bin plumpsatt.« (Binchen kommt und weint.)

Kasperle: »Jemine, was ist denn dir etwa passiert?«

Binchen: »Ach, was ganz Schreckliches.«

Kasperle: »Erzähle mal, Kleine, wie heißt du denn?«

Binchen: »Binchen.«

Kasperle: »Ach so, Tinchen.«

Binchen: »Nein, Binchen.«

Kasperle »Also Linchen.«

Binchen: »Nein, Binchen.«

Kasperle »Meinetwegen Minchen.«

Binchen: »Ach, du machst dich über mich lustig.«

Kasperle (weinerlich): »Ich bin doch Kasperle, ich muß doch ein Späßlein machen.«

Binchen: »Ach, Kasperle bist du, dann kannst du mir nicht helfen, denn auf dich ist die Prinzessin Gundolfine ganz schlecht zu sprechen.«

Kasperle: »Uh je, die Prinzessin Gundolfine, ich bekomme gleich Leibschmerzen vor Schreck.«

Binchen: »Das glaube ich, die kann dich auch gar nicht leiden.«

Kasperle: »Was hast du denn mit der Prinzessin zu tun?«

Binchen: »Ich bin ihre Kammerjungfer.«

Kasperle: »Ach so, ihre Jammerkungfer.«

Binchen: »Ach du verdrehtes Kasperle! Ich habe wirklich meine Tränen vergessen über deinem Unsinn. Aber nun muß ich gehen. Na, das wird einen schönen Krach von der Prinzessin geben.« (Fängt wieder an zu weinen)

Kasperle: »Warum heulst du denn schon wieder, alte Heulsuse?«

Binchen: »Ach, ein Bauer hat sich auf den neuen Hut der Prinzessin gesetzt.«

Kasperle: »Was ist denn dabei?«

Binchen: »Nun ist er ganz zerdrückt.«

Kasperle: »Wer? Der Bauer?«

Binchen: »Aber nein doch, der Hut.«

Kasperle: »Ist das schlimm?«

Binchen: »Sehr schlimm.«

Kasperle: »Was gibt’s denn da?«

Binchen: »Krach.«

Kasperle: »o jerum, das ist schlimm! Aber nicht so schlimm wie Hiebe. Ich habe einen Einfall!«

Binchen: »Wenn es nur kein Reinfall ist. Was willst du tun?«

Kasperle: »Ich ziehe mich als Mädchen an und gehe zur Prinzessin. Ich käme an deiner Stelle, sage ich, du hättest den Schnupfen bekommen oder wärest von Räubern geraubt oder von einem Löwen zerrissen worden.«

Binchen: »Bleibe nur beim Schnupfen! Hazzih! (niest), den habe ich wirklich, und vor einem Schnupfen hat die Prinzessin große Angst.«

Kasperle: »Gut, ich werde sagen, du hättest schon eine ganz rote Nase. Und weißt du, was ich tue? Ich bringe die Prinzessin dazu, daß sie sich selbst auf den Hut setzt. Patsch, da soll sie sitzen.«

Binchen: »Und patsch, da fällt Kasperle rein.«

Kasperle: »Es fällt nicht herein, dazu bin ich zu klug.«

Binchen: »Ja, schon neunmalklug. Aber woher bekommst du Mädchenkleider?«

Kasperle: »Waldwärters Liese borgt mir ihre Sonntagskleider, warte hier, ich bin gleich wieder da.« (Kasperle verschwindet.)

Binchen (singt):

»Ein Kasperlemann, der alles kann,

Auch reinfallen kann! Trallala.«

Kasperle (kommt wieder, als Mädchen verkleidet):

»Bin ich nicht ein Mägdelein

Hübsch und fein?«

Binchen:

»Bis auf die Nase

Wie meine Base.«

Kasperle:

»Nun führ mich, liebe Bine,

Zur Prinzessin Gundolfine.«

(Der Vorhang fällt.)

Kasperle (schreit hinter dem Vorhang): »Warten, sitzenbleiben, ich komme gleich wieder.«

Der Spielleiter (sagt an): »Hier ist das Schloß der Prinzessin.«

Prinzessin: »Wo nur das Binchen mit meinem neuen Hute bleibt?«

Kasperle (poltert draußen laut und schreit): »Potz Blitz, komme ich denn gar nicht hinein.« (Kommt herein) »Uff, da wäre ich endlich drin.«

Prinzessin: »Wer bist du denn?«

Kasperle: »Ich bin Linchen, nein Minchen, nein Tinchen.«

Prinzessin: »Ich erwarte nicht Minchen, Linchen oder Tinchen, sondern Binchen.«

Kasperle: »Die hat der Löwe gefressen.«

Prinzessin: »Wie traurig.«

Kasperle: »Nicht doch, die hat der Räuber geraubt.«

Prinzessin: »Wie schade.«

Kasperle: »Nicht doch, sie hat einen Schnupfen.«

Prinzessin: »Um Himmelswillen, wie entsetzlich, wenn sie mich nur nicht ansteckt.«

Kasperle: »Ja, und sie schickt mich, ihre Base, mit dem Hut, und Eure Hoheit möchte sich draufsetzen.«

Prinzessin: »Draufsetzen? Aufsetzen meinst du wohl?«

Kasperle: »Aufsetzen natürlich, erst aufsetzen, dann draufsetzen, nein, erst draufsetzen, dann aufsetzen.«

Prinzessin: »Was redest du für Unsinn?«

Kasperle: »Ich rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist.«

Prinzessin: »Dann ist er dir sehr verkehrt gewachsen.«

Kasperle: »Dir auch.«

Prinzessin: »Was, du nennst du mich? Warte, ich werde dich einsperren lassen.«

Kasperle (schreit): »Ich will nicht eingesperrt sein!«

Prinzessin: »Ha, wie ist mir denn, du bist doch Kasperle. Ich rufe gleich die Polizei!«

Kasperle (fällt in die Hutschachtel): »Hach, jetzt wäre ich aber reingefallen.«

Prinzessin: »Oh, er ist in meine Hutschachtel gefallen. Bist du auf meinen Hut gefallen?«

Kasperle: »Dumme Frage! Denkst du, ich sei in Apfelmus gefallen?« (Steht auf und schlenkert die Glieder): »Au weh, mein Einfall war wirklich ein Reinfall.«

Prinzessin (schreit): »Hilfe, Polizei! Hier ist ein Mädchen, das wahrscheinlich ein Kasperle ist. Hilfe, Polizei!«

Kasperle: »Lebt wohl, ich reiße aus, ich habe nichts mit der Polizei zu tun. Wenn sie etwas mit mir zu tun hat, soll sie mich suchen.« (Kasperle verschwindet) (Man hört die Polizei kommen.)

Prinzessin: »Sie kommt zu spät, und es war doch Kasperle, das schreckliche Kasperle!« (Der Vorhang fällt.)

Ein Späßlein mit Kasperle

Kasperle aber lag im Sonnenschein auf einem Heuhaufen und schlief. Es schnarchte sogar ein bißchen. Da kam der Bauer, dem die Wiese gehörte, um das Heu einzufahren. Er sah Kasperle liegen und dachte, mit dem mache ich mir jetzt ein Späßlein. Er lud darum das schlafende Kasperle auf seinen Wagen. Daheim sollten alle das Kasperle recht necken und auslachen, wenn es aufwachen würde.

Als der Bauer mit seinem Wagen in den Hof einfuhr, schlief Kasperle noch immer. Als aber der Wagen auf einmal anhielt, wachte es auf und hörte den Bauer sagen: »Ich habe Kasperle mitgebracht. Es schläft, wir wollen es necken und auslachen, wenn es aufwacht.«

Der Bauer sagte das zu seiner Frau. Die trug gerade eine große Kanne voll Kaffee in die Gartenlaube, in der Besuch saß. Sie erzählte ihrem Mann von den Gästen und fügte hinzu: »Die sollen auch ihren Spaß an Kasperle haben.« Kasperle hatte das Gespräch mitangehört. Es ärgerte sich gewaltig über das, was man mit ihm vorhatte und beschloß auszureißen. Auf einmal schoß es einen gewaltigen Purzelbaum von dem Wagen herab und purzelbaumte die Bäuerin mit ihrer Kaffeekanne um.

»Jemine, was ist denn das?« rief die Magd, die der Bäuerin mit einer gefüllten Kuchenschüssel folgte. Weil sie wohl dachte, Kaffee und Kuchen gehörten zusammen, ließ sie vor Schreck die Schüssel fallen. Als der Bauer das Unheil sah, fing er an zu schelten. Er wollte Kasperle fangen, doch das hatte keine Lust dazu, sich fangen zu lassen. Es riß aus, rannte in den Garten hinein, raste die Wege entlang und kam auch an die Laube. Es wollte gerade hineinflüchten, als es die Gäste drin sitzen sah. Da der Bauer hinter ihm drein kam, flüchtete Kasperle erschrocken auf die Laube. Aber das Dach war schon altersschwach, es trug das kletternde, zappelnde Kasperle nicht mehr. Krach pardauz! ging es, das Dach brach zusammen und Kasperle saß plötzlich auf dem Kaffeetisch, und die Besuchstassen lagen in Stücken um es herum. Die Gäste aber starrten Kasperle entsetzt an, sie konnten sich gar nicht erklären, was das für ein sonderbares Wesen war, das da so plötzlich auf dem Tisch saß.

Da kam der Bauer und nahm Kasperle beim Kragen: »Warte, dir geht es jetzt ganz schlecht!« drohte er.

Kasperle schrie und zappelte, und unwillkürlich ließ es der Bauer los, und Kasperle riß wieder aus. Der Bauer rannte hinter ihm drein. Ihnen nach rannte der Besuch.

Die Bäuerin, die eine Kanne voll frischen Kaffee in die Laube bringen wollte, kam ihnen entgegen. Kasperle purzelbaumte über sie hinweg, der Bauer aber stieß mit ihr zusammen und klirr! lag auch die zweite Kanne am Boden, und die Magd, die mit neuem Kuchen kam, wollte der Bäuerin wieder auf die Beine helfen und warf dabei den Kuchen vom Teller.

Da lag nun der Kuchen neben den Scherben der Kaffeekanne am Boden, und Kasperle das das sah, griff rasch nach einem Stück Kuchen und rannte damit in den Hof zurück. Das fremde Bauernpaar sah das und dachte, das ist eigentlich richtig, man muß den Kuchen essen. Sie setzten sich einfach auf den Weg und aßen den Kuchen, als wäre der Erdboden der schönste Kaffeetisch. Die Bäuerin freute sich darüber, da konnten sich ihre Gäste wenigstens satt essen, denn einen anderen Kuchen konnte sie ihnen nicht vorsetzen. Ganz unzufrieden mit diesem Ausgang der Geschichte war aber der Bauer. Der lief mißmutig in den Hof, um Kasperle zu fangen und zu bestrafen.

Auf dem Hof herrschte inzwischen große Aufregung, alles Getier war in Unruhe. Die Gänse und die Enten schnatterten, die Hühner gackerten, als hätte jede Henne zehn Eier gelegt, die Schweine grunzten, und die Kühe brüllten wütend. Selbst das Pferd, das noch immer vor dem Wagen angespannt war, wieherte. Ein Knecht und eine Magd aber standen dabei und barsten fast vor Lachen. Warum all der Lärm?

Kasperle saß auf dem Taubenschlag, aß seinen Kuchen, baumelte mit den Beinen und schnitt Gesichter.

Die Tauben gurrten wütend um es herum, aber Kasperle störte das kein bißchen. Es hatte alle Gefahr vergessen, so gut schmeckte ihm der Kuchen, auch fand es den Sitz auf dem Taubenhaus wunderschön. – Da kam der Bauer auf den Hof gerannt, und, wütend wie er war, schrie er: »Wenn du nicht gleich heruntergehst, hole ich mein Gewehr und schieße dich herunter!«

Das wurde gefährlich. Aber Kasperle war ein Bruder Leichtfuß und rief kühn: »Ich geh net runter!« Es dachte nämlich, wenn der Bauer ins Haus geht, um das Gewehr zu holen, reiße ich aus. Aber der Bauer ging nicht ins Haus, er ahnte wohl schon so etwas und gebot dem Knecht: »Jochen, geh ins Haus und hole mein Gewehr.«

Da saß nun Kasperle arg in der Klemme. Es überlegte, was es tun sollte. Da sah es den Wagen, und gerade, als der Bauer sich nach dem Hause umdrehte, sprang Kasperle mit einem kühnen Satz in den Wagen, ergriff die Zügel und schwang die Peitsche über dem erschrockenen Pferd. Heidi, begann das zu rennen!

Der Bauer sah seinen Wagen davonfahren; er ließ das Gewehr im Stich und rannte rasch hinterdrein.

Aber Pferd und Wagen waren schneller als der dicke Bauer. Er sah sie nach einer Weile nicht mehr und rannte eigentlich ins Blaue hinein.

Das Pferd aber dachte: Auf der Heuwiese war vorhin gut sein. Es lief daher nach der Heuwiese zurück. Dort stellte es sich an einen Heuhaufen und fraß lustig das frische Heu.

Kasperle dagegen kugelte vom Wagen herunter, legte sich auf den gleichen Heuhaufen und schlief im Umsehen ein. Es meinte, der Bauer würde es hier nicht finden. Der Bauer war inzwischen Leuten begegnet, an denen Kasperle vorbeigefahren war. Die gaben ihm Auskunft, wohin Kasperle ungefähr gefahren sein konnte. So kam der Bauer auf die Heuwiese und fand dort das schlafende Kasperle.

Er sagte unwillkürlich laut: »Donnerwetter, da liegt es ja.«

Der Bauer meinte, das hätte Kasperle nicht gehört. Das fing nämlich auf einmal rissel, rassel so laut zu schnarchen an, daß ein anderer als der dicke Bauer sicher auf den Gedanken gekommen wäre, Kasperle verstelle sich nur.

Der Schelm war wirklich putzmunter und wartete nur darauf, daß der Bauer ein Stückchen weitergehen würde, dann wollte er ausreißen. Der Bauer sah sich um. Da erblickte er einen Haselnußstrauch. Er ging rasch darauf zu und schnitt eine tüchtige Rute ab. Dabei sprach er immer halblaut zu sich: »Wart, mein Bürschchen, ich will dich lehren, Menschen und Kaffeekannen zu überrennen. Der Stock soll dir auf dem Buckel tanzen.« Wie er im besten Schnitzeln war, flog etwas wie ein großer Gummiball über ihn hinweg. Er setzte sich erschrocken hin und dachte, es wäre ein Adler. Als er aber näher hinsah, war es Kasperle.

Heidi, sprang da der dicke Bauer auf, um den Ausreißer einzuholen. Er holte ihn aber nicht ein, und da er Kasperle nie wiedersah, blieb sein schöner Stock unbenutzt, und die Bäuerin steckte ihn in den Ofen.

Kasperle und der Zauberer

Personen:

Kasperle

Der Zauberer

Schlambus und Bambus, des Zauberers Diener

Höhle des Zauberers, zur Seite ein dunkles Loch, von einer kleinen Tür verschlossen.

Kasperle: »Guten Tag, Herr Zauberer.«

Zauberer: »Guten Tag, wer bist du denn?«

Kasperle: »Nu, Kasperle.«

Zauberer: »So, Kasperle, na, das freut mich. Was willst du denn?«

Kasperle: »Zaubern lernen.«

Zauberer: »Dazu bist du viel zu dumm.«

Kasperle: »Oho, ich bin neunmalklug und siebenmalgescheit.«

Zauberer: »Wer sagt denn das?«

Kasperle: »Der Kasperlemann.«

Zauberer: »Der muß es freilich wissen.«

Kasperle: »Na und ob, sogar singen kann ich.«

Zauberer: »Singen, was denn?«

Kasperle: »Ein Frühlingslied, paß mal auf!« (Es singt nach eigener Melodie):

»Der Mai ist gekommen,

Die Pferde schlagen aus,

Da bleibe, wer Kinder hat,

Mit ihnen zu Haus.«

Zauberer: »Das ist aber ein seltsames Frühlingslied.«

Kasperle: »Schön, nicht wahr, da staunste?«

Zauberer: »Was kannst du dann noch?«

Kasperle (stößt ihn mit der Fußspitze an die Nase): »Das!«

Zauberer: »Das war aber frech, ich werde dich zur Strafe verzaubern.«

Kasperle: »Erst können vor Lachen!«

Zauberer: »Du bist ja ganz frech. Warte, jetzt verwandle ich dich in einen Storch.«

Kasperle: »Nä, das will ich nicht.«

Zauberer: »Doch, Strafe muß sein.«

Kasperle: »Mir schmeckt’s ohne Strafe.«

Zauberer: »Ach was, Hokuspokus, eins, zwei, drei, ein Storch er sei!«

Kasperle (lacht): »Heißa! ich bin kein Storch geworden, ich bin Kasperle!«

Zauberer: »Dann werde ich stärker zaubern, warte, jetzt wirst du ein Hase.«

Kasperle: »Nä, das will ich auch nicht, da muß ich immer Kohl fressen, und ich fresse lieber Pfannküchlein und Pudding.«

Zauberer: »Nichts da, jetzt wirst du verzaubert. Hokuspokus, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, ein Hase ist geblieben.«

Kasperle: »Hach, der Hase ist davongelaufen und Kasperle ist geblieben.«

Zauberer: »Potzhundert, das Zaubern geht heute aber schlecht, es muß am Wetter liegen, ich werde den Zaubermantel nehmen.« (Wirft einen Mantel über Kasperle) »Hokuspokus, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, ein Löwe sollst du sein. Bist du jetzt ein Löwe?«

Kasperle: »Nä, ich bin Kasperle.«

Zauberer: »Noch einen stärkeren Zauber muß ich anwenden.«

Kasperle: »Da bin ich doch neugierig, was bei der Zauberei herauskommt.«

Zauberer: »Hokuspokus, Hokuspokus –«

Kasperle: »Jetzt sagt er zweimal seinen Quatsch.«

Zauberer: »Stille, man unterbricht keinen Zauberer. Hokuspokus, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, einen Löwen will ich sehn.«

Kasperle (brüllt): »Huhuhuhuhuhuhu!«

Zauberer: »Ha, nun bist du ein Löwe.«

Kasperle (wirft den Mantel ab): »Nä, ich bin Kasperle.«

Zauberer: »Du hast aber doch gebrüllt.«

Kasperle: »Hach, ich kann noch viel besser brüllen. Huhuhuhuhu!«

Zauberer: »Genug, mir platzen die Ohren.«

Kasperle: »Mir platzt höchstens mal der Bauch, wenn ich nämlich zuviel gegessen habe, das kommt aber höchstens alle acht Tage einmal vor.«

Zauberer: »Jetzt gehste mal ins Zauberloch.«

Kasperle: »Was soll ich denn da drin?«

Zauberer: »Du kriechst als Kasperle hinein und kommst als Löwe wieder heraus.«

Kasperle: »Hach, fein! Aber du mußt es mir vormachen, ich weiß nicht, wie man in das Loch kriecht.«

Zauberer: »Bist du aber dumm!«

Kasperle: »Du bist noch dümmer. Du kannst mir nicht einmal vormachen, wie man in das Loch kriecht.«

Zauberer: »Oho, du Einfaltspinsel, das kann ich schon. Paß mal auf!« (Schlüpft in das Loch; Kasperle wirft schnell die Türe zu.)

Kasperle: »Wer ist nun ein Einfaltspinsel? Nun bist du in die Falle gegangen, jetzt geht es dir schlecht.«

Zauberer (schreit) »Holla Bambus, Schlambus, herbei, kommt schnell herbei!« (Des Zauberers Diener, der große Schlambus und der kleine Mohr Bambus, kommen eilig herbei.)

Schlambus: »Was ist denn los?«

Kasperle: »Was nicht angebunden ist.«

Schlambus: »Was ist denn nicht angebunden?«

Kasperle: »Was los ist.«

Schlambus: »Du bist aber frech.«

Bambus: »Ja, sehr frech, Kasperle, wir kennen dich.«

Zauberer (schreit): »Zu Hilfe! Zu Hilfe!«

Kasperle: »Etsch, ihr kennt mich nicht, der da drinne schreit, ist Kasperle, ich bin der Zauberer.«

Bambus: »Du siehst doch aber aus wie Kasperle.«

Kasperle: »Ich habe mich in Kasperle verzaubert und das Kasperle in den Zauberer, weil es so ungezogen war und nicht glauben wollte, daß ich zaubern kann. Dafür muß es bestraft werden.«

Schlambus: »Ja, dafür muß es bestraft werden, wir wollen es durchprügeln.«

Bambus: »Ja, wir wollen das verzauberte Kasperle durchprügeln.«

Kasperle: »So ist es recht, aber tüchtig. Ich mache jetzt das Loch auf und lasse es heraus.« (Er öffnet die Türe, und der Zauberer kommt heraus, Schlambus und Bambus fallen über ihn her und verprügeln ihn.)

Zauberer: »Zu Hilfe! Zu Hilfe! Ich bin doch der Zauberer!«

Kasperle: »Ein Schwindler bist du und kein Zauberer, du kannst gar nicht zaubern. Wenn du zaubern kannst, verwandle uns doch alle in Kohlköpfe.« (Der Zauberer schweigt.)

Kasperle: »Siehst du, du kannst es nicht.« (Zieht den Vorhang zu) »Meine Herrschaften, die Geschichte ist aus.«

Zauberer (schreit hinter dem Vorhang): »Ich will’s nicht wieder tun!«