Doktor Zimmermann und der Wirt redeten so lange auf den armen Mister Stopps ein, bis er sich entschloß, sich ins Bett zu legen. Der Wirt brachte ihm noch Punsch, davon trank er sechs Gläser, und danach war er so schläfrig, daß er, freilich unter Tränen, einschlief. Das große, himmelblaue Taschentuch lag auf seinem Gesicht. Man hätte nun denken können, Mister Stopps werde vom blauen Himmel träumen, aber den ängstigten böse, schreckhafte Träume. Räuber wollten in sein Zimmer eindringen, die rasselten und sägten an der Türe herum. Mister Stopps stöhnte vor Angst, aber plötzlich erklang das Sägen so laut, daß er erwachte.

Himmel, das war ja gar kein Traum. Da sägte und rasselte es weiter, und dabei war stockfinstere Nacht. »Hilfe, Hilfe!« brüllte Mister Stopps, »Hiiilfe!«

Aber er konnte schreien soviel er wollte, niemand kam, aber nach kurzer Zeit war das Rasseln vorbei. Mit zitternden Fingern schlug Mister Stopps Feuer, aber das wollte ihm nicht gelingen, und angstvoll verkroch er sich in sein Bett. Vielleicht hatte sein Geschrei die Räuber, die offenbar eindringen wollten, und die Türe aufzusägen gedachten, verjagt.

Er lauschte lange, steckte tief unter dem dicken Federbett und schwitzte. Es war alles still.

Lange, lange blieb es so, und Mister Stopps war gerade wieder am Einschlafen, als das Sägen wieder losging. Entsetzt sprang der lange Engländer aus dem Bett. Er nahm seine Reisepistole vom Tisch, konnte im matten Dämmerschein des frühen Morgens gerade erkennen, wo die Tür war, und schoß auf diese. Bums, dröhnte es durch das Haus.

»Hiiilfe! Hiiilfe!« klang es aus allen Stockwerken. Der Wirt, das Hausgesinde, alles rannte herbei, und der Wirt schrie draußen an des Gastes verschlossener Türe: »Sind Sie tot?« Mister Stopps war über den Knall selbst sehr erschrocken, er saß auf der Erde und brachte den Mund nicht auf vor Angst. Er verstand kein Wort von den Rufen draußen.

»Um alles in der Welt, sind Sie tot? Antworten Sie doch!«

»Ich meine, wenn er tot ist, kann er nichts mehr sagen,« brummte Bucholz, der auch herbeigekommen war.

Das stimmte nun freilich.

»Holt ein Beil, wir schlagen die Türe ein,« gebot der Wirt.

Mister Stopps innen hörte endlich den Wirt, und er dachte: »Nun wird es ernst, jetzt schlagen die Räuber die Türe ein.« Er suchte seine Pistole, aber die war wer weiß wohin geflogen, und darum hielt es Mister Stopps für das beste, unter das Bett zu kriechen. Eins, zwei, drei – doch ging er nicht ganz drunter, er war zu lang dazu, seine Beine guckten weit hervor.

»Krach, krach!« tönte es an der Türe.

»Uff!« stöhnte Mister Stopps.

Da ging die Türe auf, und der Wirt, Hausknecht, Nachtwächter, die Köchin, die Mädchen, alle stürzten in das Zimmer, und der Wirt rief: »Da liegt er tot unterm Bett.«

»Ich meine, da täte er nicht so zappeln. Wenn eins tot ist, hält’s seine Beine ruhig.« Bucholz hatte wieder recht.

»Mister Stopps, oh, Mister Stopps!« Der Wirt packte ein Bein, Bucholz das andere, beide zogen, aber Mister Stopps, der meinte, dies wären nun die Räuber, brüllte aus Leibeskräften.

»Sind Sie doch ruhig, wir reißen Ihnen sonst noch die Beene ab.« Bucholz meinte es sehr gut, aber Mister Stopps verstand nur, ihm sollten die Beine abgerissen werden. Er brüllte immer lauter und hörte gar nicht, daß der Wirt zu ihm redete.

Es dauerte jedoch nicht lange, da war Mister Stopps unter dem Bett hervorgezogen, und Bucholz sagte verwundert: »Seinen Kopf hat er noch, darum konnte er auch noch schreien.«

»Oh, no, nicht meine Beine ausreißen, nicht Kopf abschlagen,« jammerte und stöhnte der arme Mister Stopps.

»Das wollen wir ja gar nicht!«

»Uollen Sie Geld? Rauben Sie alles, nur morden Sie mir nicht!«

»Jemine, nu denkt er gar, wir seien Räuber.«

Bucholz war höchst verwundert, der Wirt war’s nicht minder, aber die Köchin sagte auf einmal: »Pfui, der hat nichts an!«

»Oh!« Jetzt erst merkte Mister Stopps, daß er in lauter bekannte Gesichter sah. Er riß rasch die Decke vom Bett, wickelte sich hinein und stöhnte: »Uo sein die Räuber?«

»Wer hat denn geschossen?«

»Ich schoßte!«

»Schoß,« rief Bucholz.

»Yes, ich schoßte, weil Räuber an die Türe waren.«

»Ih, bewahre,« rief der Wirt.

»Doch, ganz bestimmt!«

»Uh je, ich fürchte mich!«

»Ich auch, ich auch.« Die Mägde drängten sich alle in eine Zimmerecke, in der noch ein Bett stand. In dem hatte das arme Kasperle, das draußen gewiß im tiefen Brunnen lag, schlafen sollen.

»Das mit den Räubern ist Unsinn,« rief der Wirt.

»No, sein nicht Unsinn, sie haben gemacht »rrrrrr« an die Türe, und ich schoßte.«

»Schoß,« schrie Bucholz wieder, den das falsche Reden des Engländers sehr ärgerte. Bucholz war nämlich ein halber Gelehrter, der lieber Bücher las, als Nachtwache hielt.

»Yes, schoßte!« Mister Stopps wunderte sich sehr über die Einrede des Nachtwächters. Seiner Meinung nach sagte er alles richtig.

»Halt Er doch den Mund,« brummte der Wirt und gab dem Wächter einen derben Rippenstoß. »So einem Herrn darf man nicht immer widersprechen. Jetzt suchen wir mal das ganze Haus ab vom Keller bis zum Boden!«

»Boden und Keller lassen wir lieber weg, da könnten sie sitzen.« Sehr mutig war der gute Bucholz nicht.

Aber der Wirt rief ärgerlich: »Feiger Kerl, alles wird abgesucht. Das wäre noch schöner, wenn nachher der Herr Engländer in der ganzen weiten Welt erzählte, in meinem Wirtshaus gäbe es Räuber.«

»Au, au!« Da saß die Köchin auf einmal mitten im Zimmer und jammerte: »Da im Bett liegt jemand!«

»Potz Wetter, so ’n Unsinn!« Dem armen Wirt wurde es heiß vor Ärger. Er sah die Köchin grimmig an und schrie: »Stille!«

»Nä, da liegt jemand im Bett.«

»Au!« Das Küchenmädchen sprang auch von dem Bett auf, sie schrie auch: »Es liegt jemand drin.« Und nach ihr hopste das Stubenmädchen empor und klagte: »Mich hat jemand gepufft!«

»Am Ende sind’s die Räuber, die da drinnen liegen.« Bucholz legte den Finger an die Nase, um ernsthaft über den sonderbaren Fall nachzudenken, doch ehe er noch recht dazu gekommen war, tönte von dem Bett her ein sonderbares Gurgeln und Schluchzen, und alle im Zimmer sahen sich verdutzt an. Was war denn das?

»Es lacht jemand!«

Der Wirt sah sich erstaunt um.

»Yes, es lacht uo.«

»Sie dadrinne, wenn Se Räuber sein, dann kommen Se raus!« Bucholz stocherte mit seinem Nachtwächterspieß ein bißchen an der Bettlade herum, und da wurde auf einmal die Bettdecke herausgestrampelt, die Mägde flüchteten kreischend in eine andere Ecke, und Mister Stopps schrie laut: »Uo sein meine Pistole?« Aber da. – –

Putzvergnügt kletterte Kasperle aus dem Bett heraus.

»Oh, mein Kahspärle!«

»Jemine, Kasperle, du Strick, wo kommst denn du her?« rief der Wirt.

Mister Stopps aber riß Kasperle an sich, drückte und küßte es, und Kasperle kriegte kaum Luft. »Oh, du liegst nicht in das Brunnen?«

»Dem Brunnen,« verbesserte Bucholz.

»Nä!« Kasperle riß seinen Mund weit auf, grinste alle an, tat einen Seufzer und klagte: »Hab’ schon wieder Hunger!« Aber damit kam der Schelm diesmal nicht durch. Erst mußte er erzählen, ob er wirklich in dem Brunnen gelegen hatte.

»Freilich,« klagte er, »schmutzig war’s da!«

»Oh lieber Himmel, er hat sich so ins Bett gelegt!« Das Stubenmädchen hob empört das Bett hoch: »Und Heringsalat klebt auch dran.«

»So’n Schmierfink!« Die Köchin sah Kasperle wütend an. Aber der Wirt rief ärgerlich: »Stille da! Kasperle erzählt! Alle aufgepaßt! Warste denn wirklich im Brunnen?«

Kasperle nickte. »Ich bin reingefallen und bin rausgekrochen, weil se alle so schreiten.«

»Schrien,« verbesserte Bucholz.

»Schrieten,« fuhr Kasperle fort. »Da hab’ ich mich ins Bett gelegt und da – hat jemand geschreit und geschoßt.«

»Geschrien und geschossen.«

»Halt Er doch sein Maul, Er ist doch kein Schulmeister,« ranzte der Wirt Bucholz an.

»Aber wer hat denn »rrrrrr« gemacht?« fragte Mister Stopps verwundert.

»Kasperle, aber Kasperle, was machst du denn?« Alle, die im Zimmer waren, umringten Kasperle. Der hatte sich plötzlich auf das Bett geworfen, hatte den Kopf in die Kissen gewühlt, gab sonderbare Töne von sich und strampelte mit den Beinen in der Luft herum.

»Er sterbt, er sterbt!« jammerte Mister Stopps unaufhörlich.

»Er ist übergeschnappt!« brummte die Köchin.

»Ih, bewahre, potz Wetter, der lacht.« Der Wirt hob das strampelnde und zappelnde Kasperle hoch, und da sahen es alle, Kasperle lachte und lachte. Die Tränen purzelten ihm über die Backen, so sehr lachte er. Er lachte und lachte und konnte auf alle Fragen nicht antworten. Da nahm der Wirt endlich einen Krug Wasser vom Waschtisch, und schwipp, schwapp, bekam Kasperle das Wasser über den Kopf.

Patsch, da war es stille. Es schaute etwas verdutzt von einem zum andern, schüttelte sich wie ein Bäumlein nach einem Gewitterregen, tat endlich seinen Mund wieder auf und machte: »Rrrrrr.«

»Ja, so haben gemacht die Räuber.« Kasperle fing wieder an zu lachen, und der Wirt drohte: »Ich nehme die zweite Kanne.« Da wurde der Schelm flugs still und sagte ein wenig kläglich: »Ich habe doch nur geschnarcht, »rrrrrr«, so mach’ ich’s immer.«

»Ooooh, uie seltsam! Äußerst komisch!«

»Er hat geschnarcht!« Der dicke Wirt fing plötzlich so zu lachen an wie vorher das Kasperle. Er lachte und lachte, Kasperle lachte mit, und Mister Stopps lachte. Auf einmal war es, als raßle eine schlecht geölte Tür: Bucholz, der griesgrämige Nachtwächter, lachte. Die Mägde kicherten, selbst die verdrossene Köchin lachte zuletzt. Der Wirt mußte sich die Seiten halten. »Uff!« stöhnte er, »ich kann nicht mehr!«

Und da, schwipp, schwapp, hatte geschwinde Kasperle die zweite Wasserkanne geholt und goß sie dem Wirt über den Kopf. Er dachte: »Wie du mir, so ich dir.«

Nun fand der Wirt aber, zwischen einem Wirt zum Goldenen Knopf und einem Kasperle wäre schon ein gewaltiger Unterschied. Er fing heillos zu schimpfen an, aber als er in das ganz verwunderte, blitzdumme Kasperlegesicht sah, mußte er wieder lachen, und Kasperle lachte mit. Patschnaß war er, aber er sah aus, als hätte er eben die allergrößte Herzensfreude erlebt.

»Das möchte man wirklich selbst behalten,« brummte der Wirt halblaut.

Aber Mister Stopps hatte die Worte doch gehört. Erschrocken nahm er sein Kasperle auf den Arm. »Ich hab’ ihn gekaufen, er ist mein Kahspärle!«

»Gekauft,« sagte Bucholz ärgerlich.

»Nä, er hat mich gekaufen.« Kasperle dachte, der brummige Wächter wollte ihn Mister Stopps streitig machen.

»Gekaufen,« rief Mister Stopps.

»Ja, gekaufen für zwei Millionen,« wiederholte Kasperle stolz.

»Ge –,« wollte Bucholz verbessern.

»Stille doch! Geh, tute draußen, daß es Morgen wird, die Hähne krähen schon bald,« schalt der Wirt. »Und Kasperle bekommt noch ein Stück Kuchen, damit er einschläft, sonst ist er morgen müde.« Damit waren alle einverstanden, Kasperle am meisten, der kuschelte sich bald vergnügt in sein Bett. Er hatte ein blitzsauberes Nachtröckchen an, und wenn nicht das unnütze Kasperlegesicht gewesen wäre, man hätte ihn für einen braven, kleinen Jungen halten können. Sein Wämslein nahm das Stubenmädchen mit hinaus. Sie wollte es draußen waschen, aber Mister Stopps sagte, Kasperle dürfe morgen sein feuerrotes Sonntagsjäcklein anziehen. Überhaupt bekäme Kasperle in der nächsten großen Stadt so viele bunte seidene Röcklein, wie er wolle. Sein Kasperle sollte fein angezogen dahergehen.

»Rock hin, Rock her!« Der Schelm dachte jetzt nur an seinen Kuchen. Eins, zwei, drei, hatte er den verschlungen, und dann legte er sich um, und gerade, als auch Mister Stopps in sein Bett gestiegen war, tönte es laut durch das Zimmer »rrrrrr«. Kasperle schnarchte schon wieder.

Mister Stopps aber band sich eine gelbe Nachtmütze über die Ohren. Er seufzte, nein, in seinem Zimmer konnte Kasperle nicht mehr schlafen, da würde er keine ruhige Nacht mehr haben.

»Rissel, rassel, rrrrrr,« schnarchte Kasperle.

Mister Stopps, der wie eine große Zitrone aussah, seufzte. Er drehte sich nach links und drehte sich nach rechts, aber er konnte nicht schlafen.

»Rrrrrr,« da war Kasperle auf einmal stille, und der gute Mister Stopps dachte gerade: »Nun schlafe ich vielleicht ein,« da ging es draußen los.

»Tutututut.«

»Kikerikihi, kikerikihi!«

»Tututut.«

Kasperle aber richtete sich auf und rief:

»Mußt auf der Reise stets aufstehn,
Wenn morgens früh die Hähne krähn,
Denn wer von der Welt was sehen will,
Der lieg’ nicht lang im Bette still.
Der mache sich zu früher Zeit
Zum Weiterwandern stets bereit.«

»Die Apfelfrau hat gesagt, das soll ich jeden Morgen sagen,« rief Kasperle dem armen Mister Stopps zu. Und der merkte nun, es war nicht so einfach, mit einem Kasperle zu reisen. »Bleib’ nur noch liegen,« brummte er.

»Nä,« rief Kasperle, »ich purzelbaume.«

Und hopp di hopp ging es aus dem Bett heraus, durch das Zimmer, und plumps, da saß Kasperle Mister Stopps auf dem Magen und schrie, als wäre der gute Herr stocktaub:

»Sag’ freundlich jedem Guten Morgen,
Wünsch’ einen Tag ihm ohne Sorgen,
Dann wird dir selbst der Tag zum Fest,
Mit Freundlichkeit kommst durch aufs best’ –«

»Still!« schrie Mister Stopps, der gar keine Lust hatte, der Torburger Apfelfrau Reiseregeln anzuhören. »Flink, geh, zieh dich an und bestelle den Kaffee.«

Das tat Kasperle, und im Hause gab es ein großes Verwundern über den Gast, der nach der unruhigen Nacht schon so früh auf den Beinen war.

Doch Kasperle sagte jedem, der es hören wollte, und auch der Köchin, die es nicht hören wollte, sein Sprüchlein:

»Mußt auf der Reise stets aufstehn,
Frühmorgens, wenn die Hähne krähn.«

Und dann schrie er durch das ganze Haus: »Kaffee! Ich bin hungrig.«