Kasperle und sein neuer Herr wachten grade zur Abendbrotzeit auf. Mister Stopps tat es zuerst. »Hm,« stöhnte er, »hier sein ein Hund.«

»Nä,« rief Kasperle, den das Wort munter gemacht hatte, »hier sein mein Magen.«

»Oh komisch, sehr komisch!«

»Ich hab’ Hunger!«

»Ich auch!« Mister Stopps merkte nun, daß auch sein Magen ein Loch hatte, er stand also auf und sagte: »Kahspärle, uir uollen essen.«

Dagegen hatte Kasperle nichts einzuwenden. Ja, er fand, Mister Stopps wäre sehr vernünftig, und vergnügt trabte er hinter ihm drein die Treppe hinab, und beide betraten zufrieden und hungrig die Gaststube. Der Arzt, Doktor Zimmermann, saß als einziger Gast darin, und Mister Stopps machte ihm sehr höflich eine tiefe Verbeugung. Kasperle machte die Verbeugung nach, und so tief, daß er mit dem Kopf auf den harten Fußboden aufbummste.

»Je, das hat ein Loch gegeben,« rief der Arzt ganz erschrocken.

Ach, was wußte der von einem Kasperlekopf, der hielt schon was aus. Kasperle grinste vergnügt. Er kletterte auf einen Stuhl, schlug mit beiden Füßen auf den Tisch und schrie: »Ich will essen.«

»Schocking,« rief Mister Stopps.

»Nä, das will ich nicht, ich will Kalbsbraten,« rief Kasperle.

»Schock, schock, das habe ich auch nicht,« sagte der Wirt höflich.

Doktor Zimmermann lachte, Mister Stopps sah sich verwundert um, bis ihm ein Lichtlein aufging und er Kasperles und des Wirtes Irrtum verstand und wieder sein himmelblaues Taschentuch herauszog, denn das brauchte er, wenn er lachen wollte.

Es wurde ein vergnügliches Nachtmahl. Kasperle fand Mister Stopps sehr nett, weil er nicht einmal sagte: »Iß nicht zuviel,« und weil er alles Kompott Kasperle überließ. Und dann unterhielt sich Doktor Zimmermann mit dem weitgereisten Fremden, und Kasperle konnte tun, was er wollte. Der war nach dem guten Mahl wohl aufgelegt zu allerlei dummen Streichen. Er hatte am Mittag flüchtig die Köchin gesehen. Unwirsch und verdrossen sah sie drein, und Kasperle dachte, sie muß ein bißchen geneckt werden, damit sie lacht. Mit diesem guten Vorsatz ging er in die Küche.

Die Köchin Amanda saß im Ofenwinkel. Zwei Mägde standen neben ihr, und Kasperle hörte sie grade sagen: »Heute nacht kommen die vermaledeiten Kerle sicher wieder. Alles fressen sie an. Greulich!«

»Wenn sie nur nicht in die Fremdenzimmer kämen, so ein Gesindel!« rief eine Magd. »Neulich lagen zwei unter einem Bett.«

»Oh was, dem Fremden wär’s schon recht, der gefällt mir nicht. Na, und den dummen Kerl, den Kasperle, mögen die Russen meinetwegen beißen und zwicken,« sagte die zweite Magd.

Rutsch, lief Kasperle aus der Küche hinaus. Er hatte genug gehört. In Torburg hatte man noch viel von den Kriegsjahren 1813 und 1814 erzählt, und die alte Apfelfrau hatte einmal gesagt: »Die Russen waren zwar Freunde, aber für die danke ich.«

»Sind sie greulich?« hatte Kasperle gefragt.

»Ja, greulich und arg schlimm!«

Und solche Russen sollten nun zur Nachtzeit in das Gasthaus kommen. Kasperle glitt in einen Flurwinkel. Dort stand etwas auf einem Schemel, auf den er sich setzte. Ein bißchen weich und naß war es, aber das kümmerte ihn weiter nicht. Er mußte nachdenken, und wenn Kasperle nachdachte, war es schlimm.

Kasperle hatte in Torburg zum Abschied allerlei Räubergeschichten erzählt bekommen, und seine gute Freundin, die Apfelfrau, hatte ihn ermahnt: »Sieh auch in Gasthöfen immer unter die Betten, manchmal stecken da Räuber darunter.«

Und sicher waren die Russen Räuber. Was sollte er tun? Es Mister Stopps sagen? Aber der redete mit dem Wirt, und sicherlich wußte der Wirt auch von den schlimmen Russen.

Dem Kasperle wurde es übel vor Angst. Aber auf einmal fiel ihm etwas ungeheuer Kluges ein. Er rutschte von seinem Sitz herab, und merkte nun erst, daß er auf einer Schüssel Heringsalat gesessen hatte. Doch das war ihm gleichgültig, jetzt galt es Hilfe zu holen. Wutsch, war das Kasperle im Flur, dann schlich er aus dem Hause und prallte draußen mit einem zusammen, den er gerade suchen wollte.

Klirr, fiel etwas zu Boden, und der Herr Bürgermeister rief: »Welcher vermaledeite Esel rennt mich da so an? Nun ist mein neuer Pfeifenkopf kaputt.«

»Ich bin’s,« stotterte Kasperle. »Ich will zum Herrn Bürgermeister.«

»Zu mir? Wer ist Er denn?« Es war nämlich stockdunkel, und der Herr Bürgermeister konnte das Kasperle nicht erkennen.

»Ich, Kasperle!«

»Oh du unnützes Ding, von dir habe ich schon gehört. Was treibst du dich denn hier draußen herum? Du gehörst ins Bett,« rief der Bürgermeister. Der kam nämlich, um den Wirt vom Goldenen Knopf nach dem neuen Gast zu fragen.

»Nä, da liegen Räuber drunter.«

»Räu – – – ber?«

Dem Bürgermeister blieb vor Erstaunen das Wort im Halse stecken.

»Ja, Räuber, Russen sind’s,« ächzte Kasperle. »Ich wollte gerade Hilfe holen.«

Nun war der gute Bürgermeister weder sehr klug noch sehr mutig, und statt stipp stapp in das Wirtshaus zu gehen und dort zu fragen, was Kasperles Gerede bedeuten sollte, flüsterte er scheu: »Erzähl’ mal!«

Und Kasperle erzählte.

Der Schelm merkte, der Bürgermeister hatte beinahe noch mehr Angst als er, und darum schmückte er seinen Bericht noch etwas aus. Und je mehr der Bürgermeister zitterte, desto furchtbarer schilderte Kasperle die Angst der Mädchen.

Dem Bürgermeister fiel auf einmal etwas ein. Da war neulich ein Fremder in die Stadt gekommen, der hatte sich beim Schneider einen neuen Anzug machen lassen, und auf einmal war er verschwunden. »Bei Nacht ausgerückt,« hatte der Wirt gesagt.

»Den haben die Russen auch umgebracht,« stöhnte der Bürgermeister.

»Wen?« Kasperle klapperte nun vor Angst.

»Den Fremden neulich. Die Sache ist mir immer unheimlich gewesen mit dem Wirt.«

»Hach, haaaach,« kreischte Kasperle.

»Sei doch still, ums Himmels willen, wenn uns jemand drinnen hört!« Der Bürgermeister konnte kaum stehen, so war ihm die Angst in die Knie gefahren.

Kasperle hielt sich erschrocken mit beiden Händen selbst den Mund zu und setzte sich auf ein Mäuerlein.

»Fall’ nicht rein, das ist der Brunnen!« meinte der Bürgermeister.

»Nä,« rief Kasperle wieder viel zu laut für ein heimliches Gespräch.

»Still doch!« Der Bürgermeister wollte dem Schelm eins auf den Mund geben, und plumps fiel der kopfüber in den Brunnen.

Heiliger Bimbam! Dem Bürgermeister ward es himmelangst. Ein Kasperle kostet ungeheuer viel Geld, der Postillon hatte es in Amberg erzählt. Wenn das nun Schaden genommen hätte! Und innen im Wirtshaus der reiche Fremde und die russischen Räuber dazu.

Was zuviel ist, ist zuviel. Der Bürgermeister verlor allen Verstand. Er brüllte, so laut er konnte: »Nachtwächter, Nachtwächter, Sturm blasen!«

Der alte Nachtwächter Bucholz war eben aus seinem Hause, das neben dem Wirtshaus lag, herausgekommen. Der Ruf fuhr ihm in die Glieder, er setzte erschrocken sein Horn an und blies aus Leibeskräften den Feuerruf in die Nacht hinaus.

»Nicht Feuer, Sturm mußt du blasen,« schrie der Bürgermeister.

Aber wenn Bucholz einmal beim Feuerblasen war, gab es kein Aufhören. Feuer blies der Nachtwächter am liebsten. »Feuer, Feuer,« tutete er.

»Sturm, Sturm,« schrie der Bürgermeister. »Kasperle ist in den Brunnen gefallen, und da drinnen sind Räuber.«

»Wo brennt es? Was ist geschehen?« Aus allen Häusern stürzten die Menschen heraus. Der Wirt kam auch auf die Straße gelaufen. Ihm folgten bedachtsam Mister Stopps und Doktor Zimmermann.

»Wo brennt es denn, Bucholz?«

»Der Bürgermeister liegt unter dem Bett, und Räuber sind in den Brunnen gefallen,« rief Bucholz verwirrt von dem vielen Rufen.

»Bewahre, da steht doch unser Bürgermeister,« rief der Wirt.

»Ja, ich stehe hier, aber bei Ihnen liegen Räuber unter dem Bett, und Kasperle liegt im Brunnen.«

»Mein Kahs – pärle?« rief Mister Stopps erschrocken.

»Räuber, Räuber!« kreischten die Köchin und die Mägde aus dem Gasthofe.

»Ja, bei Ihnen unter dem Bett!«

»Kahs – pärle, oh mein geliebtes Kahs – pärle!«

»Ach was, die Räuber sind nicht hier.«

»No, no, Kahspärle sein nicht hier.« Das gab ein schreckliches Hin und Her. Die Feuerwehr, die Bürgerwehr, alles lief zusammen, der Bürgermeister rief: »Die Räuber müssen gefangen werden.« Mister Stopps schrie: »Mein Kahspärle.« Die Köchin, die ins Haus gelaufen war, jammerte: »Ein Räuber hat auf meinem Heringsalat gesessen, der sollte bei Jungfer Habertanz’ Hochzeit gegessen werden.«

»Räuber, Heringsalat, Kasperle, das ist ja eine alberne Geschichte.«

Doktor Zimmermann war ein besonnener Herr, dem kam das alles äußerst seltsam vor, er packte den Bürgermeister beim Rockknopf und fragte: »Wer hat was von Räubern erzählt? Und wieso ist Kasperle in den Brunnen gefallen?«

»Weil er darauf gesessen hat.«

»Kasperle? Na, wenn das nur keine Dummheit ist!«

»Es ist keine Dummheit, sie liegen unter den Betten, Russen sind’s, und die Köchin hat es selbst erzählt.«

»Was, ich hätte von Räubern erzählt? Ich bin eine ehrliche Jungfer.«

»Jawohl! Russen sollen es sein,« rief der Bürgermeister streng.

»Russen?« Die Köchin sah die beiden Mägde an, die sahen die Köchin an, und plötzlich kreischten sie los: »Das sind doch Käfer, wir haben von den ekligen schwarzen Käfern geredet.«

»Jaso!« Der Bürgermeister faßte sich an der Nase. »Oh Schockschwerebrett, ja. In manchen Orten heißen die schwarzen Küchenkäfer Schwaben, hier in Amberg nennt man sie Russen.« In seiner Verlegenheit schrie er: »Dumm, aber Kasperle ist in den Brunnen gefallen.«

»Das ist schlimmer als die Russen unter dem Bett. Hoffentlich ist er nicht bis in die tiefste Tiefe gefallen,« meinte der Arzt.

»Die Feuerwehr muß ihn herausholen,« rief der Wirt. Laternen wurden gebracht, Fackeln erhellten den Platz, Mister Stopps beugte sich klagend über den Brunnenrand und rief: »Kahspärle, oh mein Kahspärle!«

Unten blieb alles still. Da stieg ein Feuerwehrmann mit einer Laterne in die Tiefe, von oben riefen sie: »Ist er unten?«

»Nä!« Es dauerte ein paar Minuten, da kam der Mann wieder heraufgeklettert.

»Unten ist er nicht, aber unten war er, gleich am Rand an einem Eimerhaken hat er gehängt. Gelt, das gehört dem Kasper?« Und der Feuerwehrmann hielt Mister Stopps einen grün-rotseidenen Flicken unter die Nase.

»Der gehört freilich Kahspärle. Uo kann er sein?« fragte Mister Stopps bebend vor Angst.

»Unten kann er liegen, dann ist er tot.«

»Das kommt von dem hirnverbrannten Quatsch mit den Russen,« schrie der Wirt und sah den Bürgermeister scharf an.

Der wurde gelb vor Ärger. Und weil Mister Stopps drohte: »Sie müssen bezahlen mein Kahspärle,« rannte er erschrocken davon. »Zwei Millionen haben es gekosten.«

»So viel haben wir alle miteinander nicht,« brummte Bucholz, nahm sein Horn und blies: »Hört, ihr Leute laßt euch sagen.«

»Schafskopf, hör’ Er doch mit Blasen auf! Um so ein Kasperle ist es himmelschade,« rief Doktor Zimmermann. »Wer steigt noch einmal in den Brunnen?« Es meldeten sich gleich drei, doch sie fanden kein Kasperle, nur noch einen grünen Flecken, an dem klebte Heringsalat. Da wußte die Köchin wenigstens, wer in ihrem Salat gesessen hatte. Aber was half das alles? Kasperle war und blieb doch verschwunden, und alle riefen: »Der ist ertrunken, der liegt unten.«

»Uer steigt nach unten? Ich geben viel Geld.« Mister Stopps hatte sein himmelblaues Taschentuch vorgeholt und weinte so bitterlich, daß selbst die brummige Köchin Amanda das größte Mitleid mit ihm fühlte. Ganz hinunter wagte sich aber niemand zu steigen, so viel Mister Stopps auch bot und flehte. Der stand am Brunnenrand und schluchzte: »Oh du mein Kahs – pärle!«

»Es ist zu rührend!« Die dicke Köchin begann auch zu schluchzen, alle Frauenzimmer taten es ihr nach, und selbst der Wirt wischte sich die Augen. »Sicher ist er tot,« brummte er.

»Kann er denn so flink tot sein?« Doktor Zimmermann kam die Sache merkwürdig vor, und er meinte, es wäre gut, den Brunnen zu bewachen. Vielleicht komme das Kasperle doch wieder zum Vorschein. Man konnte es nicht wissen. Bucholz setzte sich also auf den Brunnenrand, drei Männer von der Feuerwehr und zwei von der Bürgerwehr gesellten sich dazu. Sie wollten alle warten, und sie versicherten, wenn sie Kasperle schreien hörten, dann würden sie ihn herausholen, ob er lebendig oder tot wäre.

Das war doch mal ein Trost. Mister Stopps versprach ihnen eine gute Belohnung und der Wirt Punsch, dann ließ es sich schon gut Wache halten.