718. Zinselhöhle und Zinselmännchen

718. Zinselhöhle und Zinselmännchen

Im Meininger Oberlande zwischen den Dörfern Meschenbach und Rabenäußig liegt eine ziemlich enge, aber sehr lange Tropfsteinhöhle, das Zinsel- oder Zinsenloch genannt, die hat ihren Namen von den Zinseln, Zinselmännchen oder Drigelein, das sind Bergzwerge, welche ehedem darinnen gewohnt haben. Nicht weit davon liegt eine andere unterirdische Grotte, welche die Zinselkirche heißt. Aber diese wurde, wie das Zinselloch, zu Anfang des vorigen Jahrhunderts von ihren Kirchkindern verlassen. Wie sich das zugetragen, wird unterschiedlich erzählt. Ein Bauer aus Meschenbach traf auf seinem Erbsenacker eine Menge Zinselmännchen; sie sprangen neckisch über die Furchen hin und her, verspeisten der grünen Erbsen aus den Schoten viele und ärgerten den Bauer sehr. Endlich glückte es ihm beim Haschen nach ihnen, einem sein Mützchen zu nehmen; da barmte das Zinselmännchen schrecklich, denn ohne das Mützchen konnte es nicht wieder nach Hause, und verhieß dem Bauer, wenn er ihm sein Mützchen wiedergebe, so wolle es ihm eine Wünschelrute auf seinen Acker stecken, mit deren Hülfe er einen großen Schatz finden solle. Darauf hat der Bauer dem Männchen sein Mützchen wiedergegeben, aber das falsche Drigelein hat sich als ein Trügerlein erwiesen und hat den ganzen Acker voll Ruten gesteckt, so daß der Bauer die Wünschelrute aus ihnen nicht heraus- und folglich auch keinen Schatz finden konnte. Andere sagen, der Bauer habe gleich anfangs, als er auf seinem Acker die Zinselchen gesehen, geschimpft und mit der Rute gedroht, wie man kleinen Kindern droht, und da habe das ganze Zwergenvolk ihm Ruten auf den Acker gepflanzt, daß er daran bei sotaner Prügellust keinen Mangel habe. Hierüber ergrimmt, paßte der Bauer, weil ihm sein Acker verdorben war, heimlich auf, und als er wieder einem Zinselmännchen das Mützchen genommen, wodurch dieses in seine Gewalt kam, schlug er das arme Männchen tot. Das betrübte die Zinselmännchen gar sehr. Über Nacht wuchsen die Ruten zu Bäumen auf, und zwar zu den alten götterheiligen Eschen, und in derselben Nacht sind die Zinselmännchen fortgezogen, und hat sich niemals auch nur ein allereinziges wieder in dieser Gegend blicken lassen.

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71. Die Eppsteiner

71. Die Eppsteiner

Es hauste vordessen in den wirren Felsenschluchten und dunkeln Gebirgstälern um das heutige Eppstein ein wilder Riese, der lauerte den Jungfrauen auf, und wenn er eine fing, geschah ihr mehr nach seinem Willen als nach dem ihren. Einstmals gelang es ihm, ein Fräulein von Falkenstein, welches ein edler Ritter minnte, hinwegzuführen. Der Ritter, welcher Eppo hieß, folgte eilend dem Riesen nach, mit ihm zu kämpfen oder ihn durch List zu besiegen, und hatte ein eisernes Netz, das er an einem gewissen Ort aufstellte. Damit der Riese, wenn er ihn wahrnehme, ihn nicht sogleich erkenne, mußte der Knappe Eppos Gewand und Rüstung anlegen, und Eppo trug die des Knappen. Der Riese achtete sich keinen Deut um den Ritter, der ihm nachfolgen wollte, er war mit all seinen Gedanken nur bei seiner Gefangenen und trachtete danach, ihr zu tun wie den andern, aber ein Schutzgeist war mit und bei ihr, gegen den weder des Riesen Stärke noch seine Zaubermacht, denn er war auch ein Zauberer, etwas vermochte. Voll Grimm darüber wandte sich nun der Riese Eppo entgegen, und da er diesen daherkommen sah, so gebrauchte er sich seiner Zauberkunst und Macht und verwandelte Eppos Dienstmann in einen Felsen, meinte so, seinen Feind für genugsam lange Zeit an eine Stelle gebannt zu haben, und eilte vorwärts, um auch alles Gefolge des Ritters unschädlich zu machen. Darüber aber stürzte der Riese in das eiserne Netz, zappelte darin gar gewaltig, konnt‘ es aber nicht zerreißen, und nun kam der Ritter in Knappentracht, der sich verborgen gehalten, hervor, schleppte den Riesen auf einen hohen Felsen und stürzte ihn von da herunter, worauf er die Gefangene des Riesen aus ihrem Bann befreite und sie zum Ehgenoß gewann. Den verzauberten Dienstmann konnte Eppo leider nicht lösen, der steht heute noch starr und steif wie ein Felsen und ist ein Felsen und heißt der Mannstein. Darauf erbaute Ritter Eppo eine neue Burg auf den Fels, von welchem herab er den Riesen gestürzt, und das wurde der Eppstein, und zu den Gewölbrippen im Tor wurden statt der gebogenen Steine die Rippen des Riesen eingemauert und angeschmiedet. Dem Ritter aber und seiner Gemahlin entsproßte ein gewaltig Geschlecht mannlicher Helden und großer Kirchenfürsten; die Ritter empfingen aus des Kaisers Hand das Waldbotenamt am obern Taunus zu Lehen, und fünf Eppsteiner behaupteten nach und nach den erzbischöflichen Stuhl zu Mainz, drei davon hießen Siegfried, einer Werner und einer Gerhard. Dieser Gerhard, der zweite des Namens in der Mainzer Bischofreihe, war gar ein fester trutziglicher Herr, und wenn ein deutscher Kaiser anders wollte wie er, so schlug er an seine Tasche und rief: Potz Velten! Wenn ein Kaiser nicht will, wie ich will, so hab‘ ich schon einen andern Kaiser in der Tasche. – Einstmals, als auch ein Kaiser ihm nicht zu Willen war, ergriff er zornig sein Jagdhorn und schrie: Daß den Kaiser Gottes Marter schände! So mir’s beliebt, so blase ich aus diesem Horne einen andern Kaiser heraus! – Er sprach auch solche Worte keineswegs in den Wind, er war es, der dem Grafen Adolf zur Kaiserkrone verhalf und ihm auch wieder davon half, doch hat es ihm später nicht geglückt, und fand Ursache genug, seine Keckheit zu bereuen.

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711. Neunerlei Dinge

711. Neunerlei Dinge

Neunerlei Dinge

Zu Koburg ist mit neunerlei Dingen manch abergläubischer Brauch geübt worden. Einige Edeljungfräulein stellten neunerlei Essen auf, und zwar in der Christnacht, damit wollten sie zuwege bringen, ihre Liebhaber zu erschauen, und diese erschienen auch, aber jeder brachte ein Messer mit, und die Jungfrauen liefen erschrocken und schreiend davon. Einer warf den Entfliehenden sein Messer nach, eine der Jungfrauen sah sich um, blickte den Werfenden an und hob das Messer auf. Diese bekam dann auch denselben Mann, dessen Gestalt ihr erschienen war; aber nicht immer glückte es so. Mancher Jungfrau, die sich solchen Zauberdinges unterfing, erschien ein unwillkommener Liebster, der blasse Tod, setzte sein Stundenglas vor sie hin, und sie mußte prophetisch schauen, wie ihr Leben rasch und noch im Jahreslaufe verrann.

Andere Jungfern daselbst nahmen, auch am Christabend, neunerlei Holz, das zündeten sie an, dann entkleidete sich die eine, zog zuletzt auch noch ihr Hemde aus, warf es vor die Stubentüre, setzte sich an das Feuerlein aus neunerlei Holz und sprach:

Hier sitz‘ ich splitterfasernackt und bloß;
Wenn doch mein Liebster käme
Und würfe mir mein Hemde in den Schoß. –

Und da schaute ein Mannsbild zur Türe herein und warf das Hemde. Das war der nachherige Freund der Magd. Jetzt hatten die andern nichts eiliger, als ihrer Freundin es nachzutun, jede wollte die erste sein, warfen ihre Hemden auch vor die Türe der Stube und setzten sich um das Feuerlein; nun aber kamen die entrückten Geister der Liebhaber alle auf einmal und begannen draußen gräßlichen Lärm und Hader, daß den Mägden himmelangst wurde. Schnell löschten sie das Feuer aus neunerlei Holz, und keine wagte die Türe zu öffnen. Sie krochen ohne Hemden in die Betten. Am andern Morgen fanden sie vor der Türe ihre Hemden all durcheinandergewirrt, und jedes in Fetzen. Keine bekam einen Mann.

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712. Die versunkene Kirche

712. Die versunkene Kirche

Nahe bei Koburg fließt die Lauter in einem friedlichen Talgrunde, in welchem vorzeiten eine Stadt lag, darinnen wohnten lauter glückliche Menschen, die kein Leid kannten. Da nun der Tag Allerseelen kam, an dem man Leid trägt um die Verstorbenen, so sprachen die Leute in jener Stadt: Wozu sollen wir ein Fest der Wehklage feiern, da wir nichts zu wehklagen haben? Wir wollen diesen Tag nicht feiern. Da hat Gott der Herr ein Kindersterben gesandt, daß jene Leute einen großen und tiefen Schmerz haben sollten und sollten den Allerseelentag in Demut begehen und für die Gestorbenen beten – und es starben die Kinder alle und alle, und wurde der ganze Kirchhof voll neue Gräber an einem Tag, und war fast Mangel an Särgen. Da ging ein großer Trauerzug zur Kirche hin am Allerseelentag, und war in ihr nichts als Seufzen und Weinen und Wehklagen und ein unnennbares Gefühl des Schmerzes. Und wie der Herr den Schmerz dieser Väter und Mütter ansah, denen in den Kindern all ihr Glück genommen war, so jammerten sie sein, und erbarmte sich ihrer und ließ die Kirche und den Friedhof mit seinen Kindergräbern in die Tiefe versinken. Darauf ist die Stätte im Lautertale, wo die Stadt der Glücklichen stand, verödet. An manchen Feiertagen, und zumeist am Allerseelentag, hört man aus der Tiefe die Glocken der versunkenen Kirche läuten, und die Kinder der Dörfer im Lautergrunde wissen die Stelle, und erzählen einander die Sage, und lauschen still hinunter, und schauern und beten.

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713. Die vierzig Ritter

713. Die vierzig Ritter

Zu Eisfeld zwischen dem Schwan und dem Adler floß vor alten Zeiten die Werra vorüber und bildete einen sumpfigen Weiher. In diesen gerieten vierzig geharnischte Ritter, welche von Feinden verfolgt wurden; sie blieben, gehemmt durch ihre schweren Rüstungen, samt ihren Pferden im Sumpf und Morast stecken und starben eines jämmerlichen Todes.

Diese Sage, die so einfach und seltsam aus ferner Zeit herüberklingt, scheint eigentümlich nach jenen vierzig römischen Rittern hinzudeuten, deren Martyrertag der neunte März, welche Kaiser Licinius im Jahr 320 nach Christo im kalten Winter, aber nackend, auf einen gefrornen Weiher setzen und elend umkommen ließ.

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714. Frau Holle verbrannt

714. Frau Holle verbrannt

Zu Eisfeld ist ein alter Brauch, daß am Sonntage Epiphanias nach der Nachmittagskirche unter Musikbegleitung ein kirchliches Lied abgesungen wird; dabei ist die ganze Bevölkerung zugegen, und Kinder und Alte rufen einander zu: Frau Holle wird verbrannt! Über diesen Brauch wissen die Leute nichts Bestimmtes zu sagen, und eine Mär, die sie berichten, läßt über den Namen Frau Holle und deren Verbrennung im unklaren. Vor uralten Zeiten, sagen sie, war zu Eisfeld ein Mönchskloster und ein Nonnenkloster, die lagen einander gegenüber und waren miteinander durch einen unterirdischen Gang verbunden. Dieser Gang soll bis zum vorletzten großen Brande noch offen, dann aber verschüttet worden sein. Durch diesen Gang nun besuchten die Münchlein die Nünnelein, und da trug sich’s zu, daß auch die Frau Äbtissin selbst in andere Umstände kam, die ihr mitnichten lieb waren, und sogar zweier Knäblein aus einmal genas, und konnte die Schmach nicht verhehlt werden. Da nun der Täter unenthüllt blieb, so mußte der Allerweltsbuhlgeist, der arme Teufel, ihr Buhle gewesen sein, der eigentliche Sündenbock, auf dessen Rücken Last und Laster in Fülle geschoben wurden. Er trug auch diese neue Last geduldig, aber die Frau Äbtissin wurde nachmittags am Sonntag nach dem Neujahr auf öffentlichem Markt verbrannt. Möglich, daß sie Hulda hieß, so wäre das Rätsel der Hollenverbrennung gelöst.

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715. Der Erbsenacker

715. Der Erbsenacker

Hoch über dem Dorfe Krock, eine Stunde von Eisfeld, steht auf einem steilen Hügel die alte Kirche des Ortes, die man vorzeiten Irmenkirche nannte. In ihrer Nähe ist auch ein tiefer Brunnen befindlich, der wird der Irmenbrunnen genannt. Dort soll, so geht die Sage, eine Königstochter gewohnt haben, die an diesen Ort geflüchtet war aus heimlicher Liebe. Endlich aber war ihre ganze Habe verzehrt, der Liebste von hinnen, und sie besaß nichts weiter als ein Mäßchen Erbsen, das nahm sie und ging traurig von dannen nach Eisfeld. Aber das Säcklein, darin die Erbsen waren, hatte ein Loch, und am Krocker Berge verlor sie fast alle. Wo die Prinzessin, die am Irminborn gewohnt, hingekommen ist, das weiß man nicht, aber die Erbsen wurden alle zu Steinen und zeugen noch von ihr, denn tagtäglich findet man deren noch an jener Stelle, kleine runde Kieselsteine, erbsengroß und erbsenfarben, wohl auch bisweilen etwas größer. Diese Sage der Erbsenverwandlung in Steine deutet, wenn man sie deuten will und darf, darauf hin, daß der Arme auch sein Letztes verliert, und an die versteinernde Kraft des Schmerzes. In der Sage von den Erbsensteinen ist die Versteinerung Strafe des Geizes, und in einer Sage aus Palästina wird sie zur Strafe der Lüge. Dort liegt, am Wege von Jerusalem nach Bethlehem, auch ein Erbsenacker, öde und unfruchtbar. Darauf säete ein Bauer Erbsen.

Maria mit dem Christuskinde ging vorüber und fragte den Bauer: Was säest du? – Die Lümmelhaftigkeit des arabischen Bauers wollte ohne Zweifel der seiner deutschen Vettern nicht nachstehen, und er antwortete grob und kurz: Steine! – So trage fortan dein Acker solche Frucht! rief Maria – und seitdem trägt jener Acker nur Erbsen von Stein, die kein Mensch genießen kann. Die alten Naturforscher nannten diese erbsengroßen Steingebilde Pisa bethlehemitica.

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716. Von Ummerstadt

716. Von Ummerstadt

Ummerstadt soll eigentlich den Namen Immerstadt haben, wie früher manche haben behaupten wollen, zum Zeichen, daß es stets und immer eine Stadt gewesen. Zu dessen Zeugnis habe vormals an einem Schwibbogen (man weiß nicht, an welchem Gebäude) das griechische Wort ἀεῑ gestanden, welches nichts anders als immer heißt. Doch ist die Stadtgerechtigkeit dieses Ortes erst vom Jahre 1394 an nachzuweisen, in welchem Jahre aber die Bürger beim Landgrafen Balthasar von Thüringen eingekommen waren, ihnen die verlornen und verwahrlosten Urkunden und Briefe über die Stadtfreiheit, Jahr- und Wochenmärkte zu erneuen, was auch geschah. Sonst ist Ummerstadt in der Gegend bekannt wegen der Schildbürgerstreiche, die seinen Bewohnern von den Nachbarorten aufgebürdet werden, und die ziemlich gleichlautend mit denen sind, mit welchen man sich von der Stadt Wasungen trägt, sowie mit manchen derer des Dorfes Dittis an der Rhön und andern, wie solche des weitern nachzulesen sind.

Wie die Ummerstädter den Hasen gejagt, hören sie nicht gern erzählen; ihrer lustigsten Stücklein eines ist das mit dem Salzsack, und doch ist’s nicht eigentlich ein Ummerstädter Streich. Ein Bauernknecht von Kolberg fuhr durch Ummerstadt und wollte nach Koburg; da rief eine Ummerstädtsche ihn an, fragte ihn, wohin er fahre, und bat ihn, ihr einen Sack Salz von dort mitzubringen. Der Sack, den sie ihm gab, hatte am untern Zipfel ein Loch von ziemlicher Größe, welches die Frau mit einem Bindfaden zuband. Der Salzhändler in Koburg hielt diese zugebundene Öffnung für die richtige, knüpfte sie auf und füllte das Salz nicht ohne Mühe hinein. Jetzt zog er am Sack, damit das eingefüllte Salz sich recht setze und mehr hineingehe, da fiel alles Salz zur großen Öffnung unten heraus, und er hatte den leeren Sack in der Hand. – Na so was, so was! schrie der Koburger Mann, sollt‘ m’r denn meinen! Ihr seid gewiß aus Ummerstadt? – Auf diese Frage wurde das Knechtlein rot bis über die Ohren und stammelte verschämt: Nä, lieber Herr, iche nich, aberst der Sack. – Ein Bäcker ließ 1851 einen Backofen bauen, bei welchem ein Maurer während des Bauens in das Gewölbe sich legen und dasselbe von innen mit Lehm oder Kalk verstreichen mußte, während die andern Gesellen von außen mauerten. Endlich war der Ofen fertig, aber o weh!, das Ofenloch, aus welchem der inwendige Maurer nun herauskriechen sollte, war zu klein! Der arme Schelm konnte nicht heraus; sie hatten ihn eingemauert, und der Ofen mußte zum Teil wieder eingerissen werden, um den schlimmbesudelten Architekten ans Tageslicht bringen zu können.

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702. Das Bimmelglöckchen

702. Das Bimmelglöckchen

Im Kapellenturme der Burg Waldstein, andere sagen auf Epprechtstein, hat ein Betglöcklein gehangen, dessen Schall hat man an bestimmten Tagen im Jahre gar deutlich gehört, daß man in Zell, am Bergesfuße, öfters geglaubt hat, es hänge im dasigen Kirchturme. Das hat zur Geisterkirche geläutet. Mancher hörte es erklingen, stieg zum Berge hinan und sah und hörte droben nichts. Eine Frau, die ihrem im Walde arbeitenden Mann das Mittagsbrot brachte, hörte den Schall und ging ihm nach. Und wie sie droben um eine Mauerecke der Burg biegt, da erblickt sie die Geisterkirche offen und in hehrer Pracht, und auf dem Turme darüber schwingt sich hin und her das bimmelnde Glöcklein. Orgelton und Chorgesang dringt aus der Kirche; dem Altare zugekehrt steht der Priester, und am Boden knieen die Geharnischten und die Frauen in weißen Schleiern. Da ergreift es die arme Frau gar mächtig, auch niederzuknieen und im Staube mit anzubeten den, welchen alle guten Geister loben, doch zugleich grauset ihr, denn sie fühlt, daß sie nicht zu dieser Gemeinde gehöre. Aber der Andacht frommer Drang zieht sie dennoch hinein in das Heiligtum, und mit Händefalten knieet sie nieder. Da wendet der Priester am Altare sich um, da fällt sein Blick eisigkalt und streng auf sie, er hebt den Arm empor und ruft mit dumpfer Stimme: Wehe! wehe! – und im Nu verschwinden Altar und Priester, Orgel und Chor, Männer und Frauen, der Kirche Schmuck; das Glöcklein sinkt vom Turme und dicht vor der Frau in den Boden – ein Wetter grollt und donnert um die Trümmer, und auf ihren Mauern stehen wieder hoch und stark die seit Jahrhunderten darauf emporgeschoßten Bäume. Ganz bestürzt, mehr tot als lebend, kommt die Frau zu ihrem Manne zurück, lange versagte ihr die Sprache. Der Mann hat nichts von Sturm und Unwetter gehört, der Himmel ist hell und klar. Bebend wankte die Frau nach Hause – nach drei Tagen lag sie auf der Bahre.

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703. Das verlorene Kind

703. Das verlorene Kind

Eine andere arme Frau trug auf ihrem Arme ein kleines Kind zum Walde und kam in die Ruine Epprechtstein. Dort setzte sie ihr Kind ins Gras und suchte Waldbeeren. Mit einem Male stand vor ihrem Blick eine prächtige Kirche mit offenen Türen, und darinne stand ein Opferbecken, das war voll Goldstücke. Eilend sprang die Frau hinzu und raffelte von dem Golde in ihre Schürze, so viel als hineinging. Pfeilschnell eilte sie nach Hause, das Gold besaß sie, das Kind vergaß sie. Erst daheim gedachte sie wieder des hilflosen Kleinen; im Fluge eilte sie wieder berghinan – aber da war weder Kind noch Kirche mehr zu erblicken, und vergebens die Trümmer durchirrend und mit Klagegeschrei die Lüfte erfüllend, rief sie nach ihrem Kinde. Es war und blieb verschwunden und verloren. Täglich kam das arme Weib auf den Berg, um das Kind weinend, nach dem Kinde suchend, ihr Gold lag ruhig daheim in der Truhe, sie rührte es nicht an, sie mochte an dasselbe nicht denken – denn es kostete ihr zu viel, es kostete – ihr Kind. – So ging ein ganzes Jahr dahin, die Waldbeeren waren wieder reif; die Beerensammlerin nahete wieder der Burgtrümmer, mit doppeltem Schmerzgefühl, denn es war gerade der Jahrestag ihres Unglücks und Verlustes – da mit einem Male – kaum traut sie ihren Augen – da steht die Kirche wieder vor ihrem Blick, und neben dem Opferstock, der wieder voll vom Golde blinkt, sitzt blühend ihr Kind und reibt sich die Augen – es ist eben aufgewacht und hat sich rote Wänglein geschlafen. Mit freudigem Schreck stürzt die Mutter hinzu, ergreift’s, herzt’s, trägt’s fort – schenkt der Goldfülle keinen Blick. – Endlich einmal wendet sie scheu sich um, ob nichts ihr folge, ob niemand ihr das Kind wieder entreißen wollte, aber da verschwand eben vor ihren Augen die Kirche wieder wie ein Nebelbild und wurde wieder die wüste Trümmer. Nun war die Mutter selig, und da das Wundergold, der Segen der Geisterwelt, ihr blieb, so lebte sie fortan ein beglücktes Leben und erzog ihr Kind zu Gottes Ehre.

Es geht auch noch die Sage vom alten Bergschloß Epprechtstein, daß alle Jahre einmal, aber an keinem bestimmten Tage, wann und solange der Pfarrer auf der Kanzel drunten in Kirchenlamitz das Vaterunser betet, sich ein Fels hebt und auseinanderklafft und große Haufen Goldes blicken läßt, aber sowie das Amen schallt, schließt er sich wieder auf ein Jahr lang zu. Wer ihn offen sieht, muß schnell etwas auf das Gold werfen, dann darf er ein Vaterunser lang zulangen, muß sich aber wohl sputen, denn versäumt er sich zu lange, so schnappt der Fels zu und klemmt ihm beide Hände ab oder gar das Köpfchen.

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