720. Das Ackersteinkreuz bei Strauf

720. Das Ackersteinkreuz bei Strauf

Zwischen Heldburg und Hildburghausen erhebt sich ein hoher Waldberg mit der mächtigen Trümmer des Bergschlosses Strauf, insgemein Straufhain, auch Strauchhahn genannt. Es war dies ein althennebergisches Grafenschloß, das der Bauernkrieg brach. Ein alter hennebergischer Geschichtschreiber hat Folgendes vom Straufhain aufgezeichnet: Im Jahr 1698 im April hörten die Leute, so im Felde waren, ein gräßliches Geschrei und Schießen auf diesem Schlosse und dasigem Gehölze, so zweifelsohne ein Teufelsgespenste oder das wütende Heer gewesen sein mag.

Nicht gar weit von den Ruinen der Burg Strauf und von Streufdorf ist eine Stelle im Waldgeheg, an welcher einst ein Jüngling seinen Tod fand und begraben wurde. Seine trauernde Geliebte wollte sein Andenken ehren durch ein bleibendes Gedächtnismal; doch fehlten ihr dazu die Mittel. Da gab ihr die Liebe einen Gedanken ein, den sie auszuführen nicht säumte. Sie legte mit sorgsamer Hand ein Kreuz von Ackersteinen auf die Trift. Und wie oft es geschah, daß Bosheit oder Mutwille das Kreuz auseinanderriß und zerstörte, die Hand der Liebe war restlos tätig, das Kreuz fort und fort zu erneuern, bis das Mägdlein starb. Darauf hat das Volk jenes Kreuzes Erhaltung wie ein stilles Vermächtnis übernommen und immerdar die Lücken wieder ausgefüllt, die durch Menschenhand oder sonstigen Zufall in dem Steinkreuze entstanden. So hat das Kreuz lange am Wege gelegen und ist zum frisch im Volksgedächtnis fortlebenden Sagenzeugen geworden. Auch von andern Orten her klingt Ähnliches. Bei Meiningen erneuen Schäfer und Hirten ein Rasenkreuz, das an der Stelle ein Hirt in den Rasen grub, an welcher ein Mann im Felde vom jähen Tod überfallen ward.

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721. Der goldne Degen im Mordhügel

721. Der goldne Degen im Mordhügel

Bei dem Dorfe Milz ohnweit Römhild liegt ein ganz runder, spitziger Hügel, darinnen soll noch ein güldener Degen bis auf den heutigen Tag stecken. Und zur Nachtzeit, wenn noch ein Wanderer am Hügel vorübergeht, erscheint ihm ein Reiter, dessen Pferd und er selbst ohne Kopf ist; der Wanderer eilt dann mit Grausen vorüber und erinnert sich an die schaurige Geschichte. Es war nämlich im Dreißigjährigen Krieg ein Hauptmann, der einen Bund mit dem Teufel gemacht hatte, und für das Verschreiben seiner armen Seele bekam er von ihm einen goldenen Degen, der in den Gluten der Hölle gehärtet war. Nie konnte er überwältigt werden, auch das größte Heer vermochte es nicht, solange er nur den Degen in der Hand hatte. Einst ritt dieser Feldhauptmann auf den obigen Hügel, um die Gegend zu überschauen, da nahte sich ihm ein Heer feindlicher Reiter und umzingelte den Hügel. Sie machten sich hinauf und hieben sich lange Zeit baß mit ihm herum; da traf sich’s, daß endlich einer durch einen glücklichen Streich des Pferdes Kopf abhieb, der Hauptmann fiel, weil das Pferd stürzte, herunter, und im Fallen entfiel ihm der Degen. Da sprang der, so des Rosses Kopf abgehauen hatte, schnell hinzu, und durch einen zweiten Hieb sank auch der Kopf des Hauptmanns herab. Darauf beraubten sie ihn des Geldes und aller Kleinodien, die er, nebst vielen kostbaren Edelsteinen, bei sich trug, und begruben ihn endlich auf diesem Hügel. Den Degen aber steckten sie mit der Spitze auf den toten Reiter, als er auf seinem Roß in der Grube lag; denn keiner wollte ihn, da er vom Teufel stammte, behalten, und dann warfen sie alles tief mit Erde zu. Daher wird heute der Hügel noch der Mordhügel genannt und von ihm die Sage erzählt mit dem Reiter ohne Kopf.

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722. Teufelsburg und Höllenmauer

722. Teufelsburg und Höllenmauer

Weit sichtbar und weit berühmt sind die beiden Gleichberge, der große und der kleine, über Römhild. Wetterpropheten beide, sagt von ihnen das Volk, wenn Nebel ihre Häupter einschleiern: die Gleichberge kochen, es wird noch heute eine Suppe geben. – Die Sage geht, daß im großen Gleichberg so viel Wasser sei, um aus demselben einen schiffbaren Strom zu leiten. Unten ist eine Stelle, die heißt der Nebler, allda läßt sich bisweilen ein Feuermann sehen, oben aber ist ein Eisloch, das nennen sie die kalte Hölle.

Der kleine Gleichberg wird auch die Steinsburg genannt und hat den Namen von den drei mächtigen Basaltringwällen, die ihn umlagern, aber in der Nähe des Gipfels sich zu großen Strecken ausbreiten. Des Volkes Sage will, daß einst darauf eine Burg gestanden, welche jedoch nicht allzusehr fest gewesen. Ihr Besitzer war ein alter grämlicher Ritter, der aber eine sehr schöne und tugendsame Tochter hatte. Düster und zurückgezogen, hütete er mit einer alten Amme gemeinsam die Tochter, die aber dennoch einen Liebesbund mit einem jungen Ritter anknüpfte, welcher Ritter aber von dem Alten schnöde zurückgewiesen wurde, als er um des Fräuleins Hand anhielt; denn der Alte sagte: Lieber gebe ich dem Teufel meine Tochter als dir! Da drohte der beleidigte Ritter dem alten Herrn mit feindlichem Überzug und schrieb ihm einen Absage- und Feindesbrief. Jetzt erfaßte Bangen den alten Burgherrn, und er rief den Bösen zu Hülfe und verhieß diesem die Tochter zum Lohne, wenn er ihm die Burg mit einem unübersteiglichen dreifachen Mauerring umgürte, bevor der nächste Hahnschrei den Tag verkünde. Der Böse willigte ein, und es begann nun in Hast der Bau; unzählbare dienende riesige Geister schleppten endlos Steine, und es wuchs die Umwallung von Minute zu Minute riesengroß. Die Amme aber, die dem Fräulein gar sehr zugetan war, hatte den Bund belauscht und schlich gegen das Frührot mit der Lampe zum Hühnerstalle, und wie der Hahn das Licht sah, meinte er, es werde Tag, und krähte überlaut. Da bricht das Höllengebäu samt der Burg in tausend und abertausend Trümmerbrocken zusammen, die noch heute den Berg umlagern; der Teufel, der noch einen Felsen zum Schlußstein schleppte, läßt ihn vor Schreck auf einen Berg über Themar fallen und errafft dafür des alten Ritters Seele. Dem jungen Paare stand kein Hindernis zu seiner Verbindung mehr im Wege. Immer noch sagen die Leute, man erblicke Treppen des alten Schlosses, und ein großer Schatz liege noch im Bergesschoße, der nur durch eine weiße Blume gehoben werden könne. In der Geisterstunde läßt sich auch droben eine wandelnde Jungfrau blicken.

Beim Dorfe Gleichamberg, das den Namen daher führen soll, weil es gleich am Berg, dem Gleichberge, liegt, beginnt ein weitfortstreichendes Steinlager eigentümlicher Art, das durch die Flurmarkung von Gleicherwiesen zieht und letzteres Dorf berührt. Dann geht es durch Lind und Haubinde, in die Trappstadter Markung, weiter zwischen Eschelborn und Sternberg und zwischen Alsleben auf die Heckenmühle in der Obereßfelder Markung und heißt beim Landvolk die Heidenmauer, nicht minder auch die Höllenmauer. Dieses Steinfundament wollten manche Gelehrte für den Rest einer Römerstraße halten, weil in dessen Nähe römische Münzen gefunden worden, das Volk aber schreibt es lieber dem Teufel zu. Das Steingeschiebe ist an den meisten Orten nur drei Schuh breit, doch dabei sehr tief; so fand man in der Nähe von Trappstadt in einer Tiefe von achtzehn Fuß noch kein Ende. Es läuft unter dem urbaren Felde hin und kommt nur zuweilen beim Umackern zutage. Bei der erwähnten Heckenmühle breitet es sich zu einem Steinfelde von dreißig Schuhen aus und behält diese Breite auf sechzig Ruten Länge, hierauf verengt es sich wieder bis auf drei Schuh. Dort geht die zweite Quelle der fränkischen Saale über diese sogenannte Höllenmauer, welche nun über Brennhausen, zwischen Friesenhausen und Eichelsdorf, auf Hofheim und Rügheim bis zum Mainufer streicht. Selbst unter dem Mainbette soll sie durchziehen und sich im Steigerwald verlieren. Jener Stein, den der Teufel fallen ließ, heißt noch der Teufelsstein oder Feldstein und liegt auf einem Berge oberhalb Themar; es ist ein mächtiger Säulenbasaltfels, wie geklaftertes Holz geschichtet. Ein großer Schatz soll darunterliegen. Oben darauf aber wächst das Irrkraut, welches den, der darauftritt, irre führt, daß er lange umherlaufen muß und nicht Weg noch Steg findet. Wem das begegnet, der muß nur schnell sich hinsetzen und die Strümpfe wechseln, so kommt er wieder auf seine richtige Bahn.

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723. Zwölf schlagen hören

723. Zwölf schlagen hören

Zwischen den drei Orten Themar, Marisfeld und Oberstadt, nahe bei Dachbach, liegt ein weites Feld, das Gertles (Gertlitz) oder Gätles genannt, dort hat vor alters ein Dorf gestanden, und es ist darauf gar nicht geheuer. Ein Reisender wanderte über jenes Feld, da sah er plötzlich, wie jener Feldscher das wüste Germelshausen, ein schönes Dorf vor sich liegen. Es war gerade Sonntag, und in dem Dorfe läutete es in die Kirche. Als er hineinkam, schritten die Leute auch ganz ernst nach derselben hin; ihre Tracht war aber auffällig alt und sonderbar, gar nicht wie heutzutage die Mode. Der Reisende fragte einige der Vorübergehenden nach dem Namen des Ortes, aber wen er auch fragte, der gab ihm keine Antwort, und alle wandelten so ruhig und still, ja lautlos, unhörbaren Trittes an ihm vorüber, als ob sie ihn gar nicht sähen. Dabei starrten ihre Augen ganz gläsern, und es kam dem Reisenden ein übermächtiges Grauen an. Eilends verließ er den unheimlichen Ort, kam nach Themar und fragte gleich am Tor, was das für ein Dorf sei, und beschrieb es. Aber niemand wollte es kennen. Seitdem hat es auch keiner wiedergesehen. Die Sage geht, wer es im Gertles zwölf schlagen hört, der kommt zu großem Glück; ein solcher muß aber den Mut haben, jede der zwölf heiligen Nächte (vom Weihnachtsheiligabend bis zum heiligen Dreikönigtag) auf dem berufenen Felde zuzubringen. Ein Bauer aus Marisfeld war kühn genug zu diesem Wagnis, er ging jene Nacht in den Zwölften auf die öde Wüstung hinaus, und in einer derselben geschah, was er gewünscht, er hörte es plötzlich dicht neben sich zwölf schlagen, aber es schlug mit einem so über alle Maßen entsetzlichen Ton, daß er bei den ersten Schlägen vor Schreck und Grauen zu Boden geschmettert wurde. Wie ein Toter blieb er in dumpfer Betäubung auf dem Felde liegen bis zum Morgen, wo er erwachte, sich mühsam aufraffte und bis in sein Dorf schleppte. Dort packte ihn ein heftiges Fieber und fesselte ihn ein Vierteljahr lang an das Krankenbett. Endlich besserte sich’s mit ihm, und er fing wieder an zu arbeiten. Was er aber nun anfing, das glückte ihm und schlug ihm zum Nutzen aus, seine Scheuern füllten sich wie von selbst, seine Saaten blieben unverhagelt, seine Taschen wurden vom Geld nimmer leer, ja er durfte Steine säen, und es ging der schönste Weizen auf. Er wurde der reichste Mann des Ortes, das war seines Mutes Lohn. Darum ist in dieser Gegend das Sprüchwort entstanden, wenn einer schnell reich wird ohne sichtbare Ursache: Der hat es im Gertles zwölf schlagen hören.

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724. Die Jungfrau mit dem Zopf

724. Die Jungfrau mit dem Zopf

Über dem Wappen der Grafen von Henneberg-Schleusingen, der schwarzen Henne mit rotem Kamm auf drei grünen Bergen im goldnen Felde, steht der Helm mit seiner Zier, letztere darstellend die Büste einer gekrönten Jungfrau ohne Arme mit einem langen Zopf. Da unzählige Male dieses Wappen im Bereich der alten Grafschaft Henneberg an Mauern, Toren, Kapellen, Brücken usw. angebracht ist und diese Helmzier dem Volke mehr deutsam erschien als jede andere, so hat sich über dieselbe mehr als eine Sage gebildet und verbreitet, die sich mehr oder minder einander ähneln und ergänzen.

Ein Graf von Henneberg zog nach Italien und in das Heilige Land. Dort lernte er die Tochter eines Königs von Arabien kennen und gewann ihre Liebe, jedoch mußre er sie verlassen, schied sich mit Schmerz von ihr und reiste nach seiner Heimat zurück. Die arabische Prinzessin wurde darauf von der heftigsten Sehnsucht ergriffen, die sie eine Zeitlang zu überwältigen suchte, allein ihre Liebe war allzu mächtig, und vermochte nicht länger zu widerstehen, zog deshalb mit vielen Schätzen aus ihrem Vaterlande und dem Geliebten nach. Als sie in die Gegend des Klosters Veßra kam, hörte sie von den beiden Türmen der Kirche sowohl als auch von den umliegenden Ortschaften lange anhaltendes feierliches Geläute. Nun forschte sie, was das zu bedeuten habe. Da wurde ihr zur Antwort, sie müsse wohl sehr weit herkommen, daß sie nicht wisse, daß heute der Landesherr seine Hochzeit feiere, und man nannte ihr dessen Namen. Das war nun aber leider ihr Geliebter, die arme Prinzessin wurde fast unsinnig vor Schmerz. In ihrer Verzweiflung riß sie sich ihren starken Zopf ganz aus, dann nahm sie den Schleier und verwandte all ihr Geld und Gut und reichen Schatz zu frommen Werken, von diesen nennt man noch die Klostermauer um Veßra und die Brücken von Ober- und Untermaßfeld, in welchen Orten man auch diese Sage ganz so wie um Veßra erzählt, nur daß die Sarazenin über Henneberg gekommen sei. Den Grafen aber rührte tief die Liebe und der Schmerz der fremdländischen Jungfrau, er ließ ihr Bildnis als Helmzier auf sein Wappen setzen und allenthalben anbringen, daher kommt auf dem Hennebergischen Wappen die Jungfrau mit dem Zopf, wie es in Veßra, an der Kapelle neben der Obermaßfelder Brücke und anderwärts häufig noch heute zu ersehen ist. In Veßra wurde die Araberin begraben, dort war ein Monument im obern Chor der Kirche, eine Jungfrau mil schwebenden oder zu Feld geschlagenen Haaren, in Stein gehauen, auf sechs Säulchen, welche Jungfrau, wie eine alte Nachricht aussagt, soll eine Königstochter gewesen sein und durch Heereszüge mit in dieses Land gekommen. Sie hat ihr Leben allda beschlossen und etliche Kleinod, so sie bei sich gehabt, ins Kloster gegeben. Sie hatte einen langen Mantel über dem untern innern Kleide oder Rocke, einen schmalen Gürtel, ein edel Gespang vorn unter dem Halse auf der Brust hangen und einen Leidschleier oder Binde von dem Haupt bis auf die Füße hangen. An dem Kissen unter dem Haupt zu beiden Seiten zwei Engel, so dies Kissen hielten. Also war der Sarazenin Denkmal beschaffen.

Nach andern spielten zwei Grafen von Henneberg Kegel miteinander, entzweiten sich, und einer dieser Brüder schlug den andern tot und entfloh. Sein Geschick führte ihn in das Reußenland bis nach Moskau, da war denn die getäuschte, dem Liebsten nachgezogene Geliebte eines moskowitischen Kaufmanns Tochter, womit diese ohnfehlbar jüngere Sage immer noch nach dem Orient hinweist. Eine noch jüngere Abwandlung derselben läßt den Grafen nur bis Würzburg gelangen, dort der Kaufmannstochter Liebe und Treue geloben und die letztere brechen, weil seine Verwandten ihn allzusehr bestürmten, sich ebenbürtig zu vermählen. Da nun die Verlobte mit reichem Gut ihm nachzog und ihr Unglück erfuhr, riß sie den Zopf sich aus vor Schmerz und Gram, machte von ihrem Gute mehrere fromme Stiftungen, erbaute Brücken, und da sie in ein Dorf kam, allwo sie getröstet wurde, gründete sie daselbst ein Kloster und nannte ihres Trostes Stätte Troststatt.

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725. Schleusingens Ursprung und Name

725. Schleusingens Ursprung und Name

Schleusingens Ursprung und Name

Von dem Ursprung der Stadt Schleusingen wird eine Sage erzählt, die sich an das Wahrzeichen dieser Stadt, eine Sirene oder Wassernixe, knüpft, welches Wahrzeichen auf einem Schild am Rathaus noch zu sehen ist. Ein reicher Graf jagte in den Waldungen dieser Gegend, lange vorher, ehe die Stadt vorhanden war, und verfolgte unablässig ein weißes Reh, ohne dieses doch erjagen zu können. Darüber brach die Nacht herein, und der Graf, welcher von seinen Begleitern ganz abgekommen war, mußte die Ruhe auf bloßer Erde des Waldbodens suchen. Schon hatte er sich am Fuß eines felsigen Berges niedergelegt, als er einen ungewöhnlichen Glanz gewahrte und eine funkelnde Grotte erblickte, in welcher sich ein kristallenes Becken befand; drei silberne Quellen ergossen sich hinein, und auf den lichten Wellen wiegte sich eine reizende Wasserfei, die um ihre Stirne ein blitzendes Band trug, darauf die Zeichen SLVS zu lesen waren. Diese Fei erhob einen süßen und bezaubernden Gesang, und als sie geendet, winkte sie den Grafen zu sich hin und vertraute ihm, daß jenes weiße Reh, welches er verfolgte, ihre Tochter sei, die ein böser Zauberer verwandelt, der oben auf dem Berge über dem Quellbrunnen in einem gewaltigen und festen Turme wohne. Diesen Zauberer wolle sie in Schlaf singen, und der Graf solle ihn überwältigen und töten. Das werde ihm durch die Kraft der Worte gelingen, die ihr Stirnband zierten, welche bedeuteten: Sie (nämlich die Tochter der Wasserfei) Liebe Vnd Siege! Das alles geschah nun auch wirklich, und als der böse Zauberer getötet war, mußte der Graf das weiße Reh dreimal mit der Flut des Kristallborns benetzen, dessen drei Quellen die drei vereinten Bergwasser, die Schleuse, die Erle und die Nahe, bedeuteten, worauf das Reh sich in ein wunderschönes Fräulein verwandelte. Mit diesem vermählte sich der Graf und nannte sich und sein Geschlecht von der Brunstätt, gründete das Schloß und die Stadt Schleusingen, deren Name aus den drei geheimnisvollen Buchstaben SLVS sich bildete, und welche zum Wahrzeichen die Sirene in ihrem Stadtwappen beibehielt. Die Wasserfei soll noch im Schloßbrunnen, dem klarsten und besten der Stadt, wohnen, das Geschlecht derer von Brunstätt aber artete aus und soll von den Grafen von Henneberg aus dortiger Gegend vertrieben worden sein.

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726. Die Totenmette

726. Die Totenmette

Oberhalb Schleusingen liegt die Totenkirche, vor ihr stehen uralte schöne Linden. Einstmals blieb eine Frau aus Schleusingen, welche bei einem Leichenbegängnis die Predigt mit angehört hatte und eingeschlafen war, in der Kirche sitzen und mochte ziemlich lange geschlafen haben. Als sie erwacht, ist es Nacht, und die Kirche ist voll Menschen; es wird Mette gehalten, und es summt ein leiser Gesang. Die Frau will mitsingen, kann aber wegen der Düsternis die Nummer nicht erkennen und rührt an ihre Nachbarin, sich die Nummer des Liedes zeigen zu lassen. Wie sie diese Nachbarin anblickt, hat dieselbe ein Gesicht wie eitel Spinnweben und ist eine ihr wohlbekannte längst verstorbene Frau. Diese erhebt ihre welke Totenhand, nur noch Gerippe, und zeigt mit dem gelben Fingerknochen auf das Lied – da erkennt die Frau Nummer und Buchstaben, es ist das Lied: O Ewigkeit, du Donnerwort. Die zum Tod erschrockene Frau kreischt vor Schreck laut auf, da schwinden mit einem Male die bleichen Schatten alle hinweg, und die Frau wankt zitternd nach der Türe und nach Hause, hat aber nicht gar lange mehr gelebt.

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727. Die Nixe aus der Totenlache

727. Die Nixe aus der Totenlache

Nahe bei Rappelsdorf zwischen Schleusingen und Kloster Veßra liegt ein der Sage nach unergründlich tiefes, mit Wasser gefülltes Loch, über vierhundert Schuh lang und gegen hundert Schuh breit, merkwürdig und verrufen beim Volk der ganzen Umgegend und die Totenlache genannt. Dieser Name rührt ursprünglich daher, daß die in Rappelsdorf Verstorbenen, welche in Schleusingen beerdigt werden, gewöhnlich bis an diese Lache mit Leichenbegleitung getragen, dann aber ohne ferneren Kondukt nach der Stadt gefahren werden. Das Wasser ist außerordentlich hell und klar, friert niemals ganz zu, steht in unterirdischer Verbindung mit Höhlen und Klüften des nahen Berges, die Haard genannt, besonders mit einem Brunnen im Bärengraben, wie durch dort hineingeworfene leichte Körper, welche in der Lache zum Vorschein gekommen, erforscht sein soll, und wird auch von Jahr zu Jahr größer. Alte Leute haben erzählt, daß kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg und besonders vor dem kroatischen Einfall in Schleusingen Wassermenschen aus der Lache hervorgegangen und unterschiedlich gesehen worden sind.

Einstmals geschah es, daß aus der Totenlache eine Nixe herauskam, anzusehen wie ein junges schlankes Mägdlein; um den Hals trug sie ein schwarzes Rüsterband, um den Leib ein schuppiges Mieder, so seegrün wie das Wasser der Lache, mit einem roten Busentuch und vorgestecktes Perlenstrauß. Um die Lenden schlang sich ein scharlachroter Schurz, Hintennach schleifte sie aber einen häßlichen Fischschwanz. Auf der Hudelburg oder Ruderburg, einem Wirtshaus ohnweit Rappelsdorf, wurde soeben ein Hochzeittanz gehalten, dorthin eilte flugs das Nixlein, setzte sich hinter den Tisch zu einem frischen Junggesellen, der lange Frieder geheißen, und trieb mancherlei Kurzweil mit ihm, der sie bald liebgewann, tanzte auch fröhlich mit ihm um die Linde. Dabei vertraute sie ihm manches, unter andern auch, daß sie gar zu gerne seine Braut wäre, und herzte und küßte ihn. Darüber kam der Abend herbei und die Nacht, und nun sprach das Nixchen weinend zu ihrem Friedel: Nun muß ich mich von dir scheiden und wieder in jenes Wasser hineingehen, wo ich wohne. Zu lange bin ich schon hier geblieben bei dir, mein Geliebter, und da ich gegen meines Vaters Gebot hierhergekommen bin, werde ich wohl die hier und mit dir genossene Lust mit dem Leben büßen müssen. Wie weh tut mir der Abschied. Lebe wohl und gehe morgen hin zur Lache, findest du sie hell und grün, so lebe ich, findest du sie bleich und totenfarb, so ist’s vorbei mit mir. Und gab ihm einen Kuß und entwich. Am andern Morgen ging der Frieder eilend hin zu dem kleinen See, fand ihn bleich und blutig, und voll Sehnsucht und Liebesgram sprang er hinein in die Totenlache, um sich durch den Tod mit der lieben Nixe zu vereinen.

Nicht weit unter Rappelsdorf, links am Wege, liegt auch noch ein kleiner See, im Sommer von Mümmelchen überblüht, dabei es nicht geheuer.

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728. Wassermann Hackelmärz

728. Wassermann Hackelmärz

In Themar, einem uralten hennebergischen Städtlein, vor alters Dagamari geheißen, rufen die Kinder einander zu, wenn sie in der Werra baden und sich schrecken wollen: Hu! reiß aus! Der Hackelmärz kömmt! – und denken sich unter dem Hackelmärz einen abscheulich langen dürren graugrünbärtigen Wassermann, der aus der Tiefe heraufsteigt und nach ihnen fängt. Solcher Hackelmärze lassen sich im Werratale unterschiedliche sehen, sie heißen nur anders. Ihr Name erinnert an den Hackelbernd, der aber wilder Jäger ist, Luft-, nicht Wassergespenst. Zwischen der Rappelsdorfer Mühle und der Schwarzbacher Papiermühle muß die Schleuse, die ohnweit Themar in die Werra fällt, alle sieben Jahre einen Toten haben. – Auch in Themar sagen die Kinder, wenn im Winter so recht große dicke Schneeflocken fallen: Die Fra Holl schüttelt ihr Bett aus.

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716. Von Ummerstadt

716. Von Ummerstadt

Ummerstadt soll eigentlich den Namen Immerstadt haben, wie früher manche haben behaupten wollen, zum Zeichen, daß es stets und immer eine Stadt gewesen. Zu dessen Zeugnis habe vormals an einem Schwibbogen (man weiß nicht, an welchem Gebäude) das griechische Wort ἀεῑ gestanden, welches nichts anders als immer heißt. Doch ist die Stadtgerechtigkeit dieses Ortes erst vom Jahre 1394 an nachzuweisen, in welchem Jahre aber die Bürger beim Landgrafen Balthasar von Thüringen eingekommen waren, ihnen die verlornen und verwahrlosten Urkunden und Briefe über die Stadtfreiheit, Jahr- und Wochenmärkte zu erneuen, was auch geschah. Sonst ist Ummerstadt in der Gegend bekannt wegen der Schildbürgerstreiche, die seinen Bewohnern von den Nachbarorten aufgebürdet werden, und die ziemlich gleichlautend mit denen sind, mit welchen man sich von der Stadt Wasungen trägt, sowie mit manchen derer des Dorfes Dittis an der Rhön und andern, wie solche des weitern nachzulesen sind.

Wie die Ummerstädter den Hasen gejagt, hören sie nicht gern erzählen; ihrer lustigsten Stücklein eines ist das mit dem Salzsack, und doch ist’s nicht eigentlich ein Ummerstädter Streich. Ein Bauernknecht von Kolberg fuhr durch Ummerstadt und wollte nach Koburg; da rief eine Ummerstädtsche ihn an, fragte ihn, wohin er fahre, und bat ihn, ihr einen Sack Salz von dort mitzubringen. Der Sack, den sie ihm gab, hatte am untern Zipfel ein Loch von ziemlicher Größe, welches die Frau mit einem Bindfaden zuband. Der Salzhändler in Koburg hielt diese zugebundene Öffnung für die richtige, knüpfte sie auf und füllte das Salz nicht ohne Mühe hinein. Jetzt zog er am Sack, damit das eingefüllte Salz sich recht setze und mehr hineingehe, da fiel alles Salz zur großen Öffnung unten heraus, und er hatte den leeren Sack in der Hand. – Na so was, so was! schrie der Koburger Mann, sollt‘ m’r denn meinen! Ihr seid gewiß aus Ummerstadt? – Auf diese Frage wurde das Knechtlein rot bis über die Ohren und stammelte verschämt: Nä, lieber Herr, iche nich, aberst der Sack. – Ein Bäcker ließ 1851 einen Backofen bauen, bei welchem ein Maurer während des Bauens in das Gewölbe sich legen und dasselbe von innen mit Lehm oder Kalk verstreichen mußte, während die andern Gesellen von außen mauerten. Endlich war der Ofen fertig, aber o weh!, das Ofenloch, aus welchem der inwendige Maurer nun herauskriechen sollte, war zu klein! Der arme Schelm konnte nicht heraus; sie hatten ihn eingemauert, und der Ofen mußte zum Teil wieder eingerissen werden, um den schlimmbesudelten Architekten ans Tageslicht bringen zu können.

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