704. Die stille Wiese

704. Die stille Wiese

Vom Fichtelgebirge abwärts dem Maingefilde zu leiten mannigfache Pfade und Wege in ein ihm naheliegendes Bergland, das viele noch zu jenem rechnen und ob seiner Naturschönheiten die fränkische Schweiz benennen. Diese Gegend ist reich an Höhlen und reich an Sagen. Durchflossen wird es von der Wisent, einem forellen- und krebsreichen Wasser. Burgtrümmer gibt es allda in Fülle, Streitberg, Neideck, Dramaus oder Drameisel, Rabenstein und noch viele andere; da führt der Weg auch über eine schöne, sanft von umbuschten Berggeländen umfriedete Wiese ganz nahe bei Muggendorf, welche vorzugsweise vom Volk die stille Wiese genannt wird. Die Sage meldet über den Ursprung dieser Benennung: Da Doktor Luther in Koburg weilte und seinen Freund Melanchthon zurückerwartete, der auf dem Reichstag in Augsburg war (1530), so machte er einen Ausflug in diese Gegend und kam auch nach Muggendorf. Der Ruf des großen Mannes ging vor ihm her, und alles Volk eilte herbei, ihn zu sehen, womöglich auch zu hören. Endlich kam er; viele drängten sich um ihn, viele sprachen zugleich ihn an, viele trieb Ehrfurcht, andere die Neugier. Da blieb Luther auf dieser Wiese stehen, erhob die Hand und rief: Stille! – und stille ward es ringsumher wie das Grab; kein Laut, keine Lippe regte sich mehr. Und Luther sprach, der gewaltige Mann Gottes und Mann des Volkes, und in einer feurigen Rede erbaute er die Hörer, die ihn im tiefen Schweigen umstanden, und als er endete, da johlte nicht der betrunkene Beifall, der manch andern Volks- und Wiesenredner zum dritten Himmel erhob, da lärmte kein Händeklatschen und Bravoschreien – da blieb es still – tiefstill, nach wie vor, und sie fürchteten den Herrn mit Ernst und fühlten wohl unbewußt Nehemias Prophetenwort: Seid stille, denn der Tag ist heilig. – Und da nannten sie die geweihte Stelle die stille Wiese.

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705. Heidenstadt und Wihtehöhle

705. Heidenstadt und Wihtehöhle

Nahe beim Örtchen Alberndorf, das nach Muggendorf eingepfarrt ist, liegt ein Platz von einigen tausend Schritten Umfang, den nennen die Umwohner die Heidenstadt, aber auch die Hundsbrücke. Gespenster und das wütende Heer haben alldort sich häufig sehen und vernehmen lassen; altheidnisch Geld ward dort gefunden von Kupfer wie vom besten Silber; auf der Ebene sind eine große Anzahl trichterförmige Gruben, Mauerreste finden sich noch, und nur eine oder zwei Viertelstunden davon entfernt ist der hohle Berg, sonst das hohle Loch genannt, jetzt aber nach einem Romane bisweilen auch Oswaldshöhle geheißen, darinnen gar mancherlei ober- und unterirdisches Geklüft, absonderlich die Witzenhöhle, mit einem natürlichen Wasserbecken, dabei die Heiden, die hier einen Götzen verehrt, ihre Reinigungen vorgenommen haben sollen. Dieser Götze hieß Witte oder besser Wihte und war ein riesiggedachter Haingott, denn wîhe war in der uralt-deutschen Sprache das gleiche Wort für Hain wie für Tempel, weil andere Tempel nicht vorhanden waren, darin schon an sich der Begriff des Geweihten lag, daher Wicht als Elementargeist, nicht gerade Zwerg, daher die alten Namen Witicho und Wittechind, daher unser Wort weihen, daher der Weihkessel in des Naturgottes Wihte Höhle, welche Benennung der Sprache spätere Abwandlung in Witzenhöhle verdarb; dahin deuten auch die vielen Witchensteine, meist sagenhafte Felsen in waldreicher Umgebung. Will jemand dabei noch an die uralte Benennung der Unholden und runischen Hexenweiber: Pilwizen oder Bilbitzen, denken, so wäre auch solche Deutung nicht uneben, aber der Wihte steht höher. Diese Höhle ist fünfhundert Schritte lang, so lang, als man vom obern Tor zu Bayreuth bis zum untern zu gehen hat; in drangvoller Kriegszeit diente sie den Umwohnern als bergender Zufluchtsort. Manche haben von einem ehemals vorhandenen Bilde des Wihte erzählt, es ist aber, daß es ein solches gegeben, nicht wahrscheinlich, oder es war ein Machwerk späterer Zeiten.

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706. Eppella Geila

706. Eppella Geila

Zu Drameisel bei Muggendorf saß ein Ritter, des Name war Eppelin von Gailingen, der war zugleich ein mächtiger Zauberer und hatte ein Flugroß, damit sprengte er steile Felswände hinan und hinab, setzte über Heuwagen und berührte kein Hälmlein, setzte über die Wisent und ward nicht naß am Fuß, wie der Wittich über die Wisar setzte. Zu Gailenreuth war sein Stammhaus, doch hatte er noch viele Burgen im Lande umher, und von einer zur andern flog er auf seinem Wunderroß wie der Wind. Von Drameisel ritt er nach Muggendorf über einen hohen Felsen und Riß, das konnte ihm keiner nachtun. Auf die Nürnberger hatte der Eppelin einen scharfen Zahn; er umgab sich mit beutesüchtigen Genossen und ritt an ihrer Spitze gar oft in das Nürnberger Stadtgebiet. Da sangen die Kinder von ihm:

Da reit’t der Nürnberger Feind aus,
Eppela Gaila von Dramaus.

Oder:

Eppela Geila von Dramaus
Reit’t allzeit zu vierzehnt aus.

Die Vierzehnzahl mochte wohl von alters her im Ostfrankenlande eine geheimnisvolle Bedeutung haben, daher auch seine Vierzehnheiligen. Als der Eppelin, auf dessen Kopf ein Preis gesetzt war, den die Nürnberger gern selbst verdient hätten, einstmals in Nürnberg auf die Burg gestürmt war und sich dort eingeschlossen und hart bedrängt sah, denn sie hatten das Burgtor zugeschlagen und schrieen ihm zu, daß sie ihn nun gleich henken würden, da tummelte er sein Roß mit Fechterhieben und rief:

Die Nürnberger henken keinen,
Sie hätten ihn denn vor! –

spornte sein Roß zur Mauer nahe beim Luginsland und sprengte die furchtbare Tiefe über Wall und Graben hinab und hinüber und entkam glücklich. Da haben sie hernach mit Staunen die Spuren der Hufeisen angeschaut, die der Rossessprung in der Mauerzinne zurückgelassen. Als nach manchen gelungenen Handstreichen und kühnen Griffen der Eppelin einmal gen Farnbach kam und zechend in der Herberge lag, bauten die Feinde, denen das verraten war, eine Wagenburg um das Haus, er aber saß zu Roß und sprengte über acht Wagen, aber »überm neunten«, so singt ein altes Lied von ihm, »gab er den Giebel auf«. Da er nicht weiterkonnte, so opferte er, wie ein Reinhold von Dordone seinen treuen Bayard, sein Wunderroß, indem er es erstach, und gab sich gefangen. Das geschahe zu Postbauer, und im Städtlein Neumarkt, zwischen Nürnberg und Regensburg, ward er mit dem Schwert gerichtet. Sein Andenken lebt unvergessen.

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707. Der Seher im Frankental

707. Der Seher im Frankental

Bei Frankental, einem Klosterhof des berühmten Stifts Langheim zwischen Lichtenfels und Bamberg, hütete im Jahr 1445 ein junger Schäfer des Namens Hermann seine Herde und wollte sie von der Berghöhe heimwärts treiben, als die Abendglocke vom Kloster Banz auf dem gegenüberliegenden Berge in das schöne Maintal niederklang. Da hörte er seitwärts ein Rufen, die Stimme eines weinenden Kindes, und sah ein Knäblein einsam auf dem Acker sitzen, er ging auf dasselbe zu, da fand er ein Kind von strahlender Schönheit, das ihn wunderlieblich anlächelte und gleich darauf vor seinen Augen verschwand. Er ging von der Stelle hinweg, sahe sich aber noch einmal um, und siehe – da saß wieder das Kind, noch viel herrlicher anzuschauen, und zwei Kerzen brannten neben ihm. Noch einmal eilte Hermann auf die liebliche Erscheinung zu, und abermals verschwand sie. Beunruhigt in seinem Gemüte trieb der Schäferknabe die Herde heim und sprach zu seinen Eltern von dem Gesicht, allein diese glaubten ihm nicht und geboten ihm, zu schweigen; er vertraute aber, was er gesehen, einem frommen Priester, und der sagte ihm, was er tun solle, falls er noch einmal einer solchen Erscheinung gewürdigt werde. Solches geschah auch, doch erst im folgenden Jahre auf demselben Platze, nur noch viel überirdischer. Das Kindlein, von himmlischer Glorie umstrahlt, hatte ein rotes Kreuz auf der Brust und war umgeben von noch vierzehn andern himmlischen Kindlein, alle rot und weiß (das sind des alten Frankenlandes Farben) gekleidet. Jetzt fragte Hermann: Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes: wer seid ihr, und was wünschet ihr? – Da antwortete das himmlische Kind: Ich bin Jesus Christus, und diese sind die vierzehn heiligen Nothelfer. Wir wollen hier wohnen und ruhen und euch dienen, so ihr uns dienet! – Darauf schwebte das Jesuskind und die Vierzehn mit ihm zum Himmel empor. Und am nächsten Sonntage sah der Seher vom Frankental um dieselbe Stunde zwei brennende Kerzen vom Himmel sich auf jene Stelle niedersenken, und eine des Weges daherkommende Frau sah dies Wunder ebenfalls und sah auch, wie die Kerzen wieder himmelan schwebten. Da ging nun Hermann der Schäfer zum Abte von Langheim und verkündete ihm und den Vätern des Klosters die wiederholten Erscheinungen, und es wurde eine Kapelle auf jener Berghöhe begründet, die bald als ein sonderer Gnadenort weit und breit in Ruf kam; Wunder geschahen dort, Wallfahrer strömten aus Nähe und Ferne herbei und beteten zu den vierzehn heiligen Nothelfern, auch wurde die Kapelle mit reichem Ablaß begnadigt; eine Brüderschaft nannte sich nach den Nothelfern, ein Graf von Henneberg gründete ihnen einen Ritterorden; Kaiser Friedrich III. selbst wallfahrtete dorthin, ein Gelübde zu erfüllen, auch Albrecht Dürer war im Jahre 1519 alldort. Und durch gute und schlimme Zeiten hindurch behielt die Wallfahrtkirche Vierzehnheiligen ihren großen, dauernden Ruf und Ruhm, immer schöner und herrlicher wurde sie gebaut, eine Propstei ward neben ihr errichtet. Mitten im Kreuz, das Langhaus und Querschiff bilden, erhebt sich ein dreifacher Altar mit unten offenem Raume über der Stelle, wo der Seher vom Frankental die Erscheinung sahe. An dieser Stelle zu beten, zu büßen, zu geloben wallen alljährlich viele Tausende dem hoch und schön gelegenen Tempel zu. Die Namen der vierzehn heiligen Nothelfer sind Georgius, Blasius, Erasmus, Pantaleon, Vitus, Christopherus, Dionysius, Cyriakus, Achatius, Eustachius, Aegidius, Margaretha, Barbara und Katharina. Unvergänglich lebt das Andenken an den frommen Schäfer Hermann, den Seher im Frankental.

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708. Fräulein Podica

708. Fräulein Podica

Überm Städtlein Lichtenfels, allwo man es noch heute den Burgplatz nennt, lag eine Burg der alten Grafen von Meran. Dort wandelt der ruhelose Geist des Fräuleins Podica von Schaumberg, stammend aus einem gar weit verzweigten edeln Geschlechte dieser Gegenden, deren Stammburg über dem Städtlein Schalkau zwischen Koburg und Eisfeld gelegen war und auch nur noch geringe Überreste zeigt. Das Fräulein hatte einen Bräutigam des Namens Kunemund, der zog mit in eine bedeutende Fehde, die bei Scheßlitz im Hochstift Bamberg zu einer Entscheidungsschlacht gedieh. Podica von Schaumberg gab ihrem Erkorenen einen Handschuh mit, und er schwur, denselben lebend oder tot ihr zum Pfande seiner Treue zurückzubringen, allein der Jüngling brachte den Handschuh nicht zurück. In der Schlacht bei Scheßlitz fiel der treue Junker Kunemund, und als Fräulein Podica von Schaumberg die Trauermär erfuhr, nahm sie sich’s alsosehr zu Herzen, daß sie vor Gram und Kummer starb. Seitdem geht sie bei nächtlicher Weile im Gemäuer der alten meranischen Burg um und ruft mit leiser seufzender Stimme: Kommt noch nicht mein Kunemund? – Ihre Erlösung ist einzig an die Bedingung geknüpft, daß ein Sterblichgeborener ihr erwidern soll: Längst fiel dein Kunemund bei Scheßlitz! – So leicht diese Bedingung erscheint, so ist sie doch noch immer nicht erfüllt worden, denn denen, welche die Wandelnde erblickten, entfiel vor Schreck das rechte Wort, oder der Name des Geliebten, oder der des Städtleins Scheßlitz, und denen, so vielleicht richtig geantwortet hätten, mag sie wohl nicht erschienen sein. Und so wandelt der arme ruhelose Geist von einem Jahrhundert in das andere hinüber. Oben auf Bergen und Burgen, in ätherischer Hülle wandelnd, die ewig lebende Sage, und unten der Dampfwagen, über die Eisenbahn brausend, die den deutschen Norden mit dem deutschen Süden verbindet und beider Verkehr vermittelt.

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70. Der Teufelsweg auf Falkenstein

70. Der Teufelsweg auf Falkenstein

Auf der Höhe, vier Stunden von Frankfurt a. M., erhebt sich auf fast unzugänglichem Fels die Burgtrümmer Falkenstein, die Wiege eines im Taunus und der Wetterau gar mächtigen Geschlechts, von dessen Sprossen einige sogar Erzbischöfe von Trier wurden.

Ein Ritter von Sayn minnte die Tochter eines Falkensteiners, aber der Vater war ihm abhold und wies des Ritters Werbung mit den höhnenden Worten ab: Meine Tochter will ich Euch gern zum Ehegespons geben, ich verlange nur einen geringen Gegendienst. Schafft diese Felsenzacken in einer Nacht zum gang- und reitbaren Wege um – das ist mein Beding und mein Bescheid! … Unmögliches war begehrt, und hätten tausend und aber tausend Hände sich zugleich zerarbeitet an dem harten Felsgestein, es wäre nicht möglich gewesen, in solch kurzer Frist das Werk zu vollenden. Traurig zog der Ritter von Sayn, Kuno geheißen, von dannen, zog nach dem Heiligen Lande, focht tapfer in vielen Sarazenenschlachten, suchte den Tod, fand ihn nicht, blieb stets eingedenk seiner Minne und kehrte endlich in die Heimat zurück. Mit schmerzlichen Gedanken umirrte er den felsumtürmten Falkenstein, hätte gerne Kunde gehabt von seiner Geliebten – und starrte trübe die Felsen an, die mit ihrer Härte sein Geschick versinnbildeten. Hier hilft keine menschliche Macht, nur Zauber könnte diese Felsen zum Wege bahnen! seufzte der Ritter. Horch – da war es ihm, als höre er seinen Namen rufen – und wie er umschaut, hebt sich ein Erdmännchen in brauner Kutte, eisgrau und mit verschrumpfeltem Gesicht, aus einer Felskluft herauf und redet ihn mit sondrer Stimme an: Kuno von Sayn, was lässest du nach Silber wühlen drunten auf deinem Gebiet und störst unsre Ruhe? Willst du diese Felsen zum Wege gebahnt sehn? Willst du die Erbtochter vom Falkenstein, die droben noch einsam um dich trauert, nach dir sich sehnt, dein nennen? Dann gelobe nur eins und schwöre, es zu halten. –

Dem Ritter war es seltsam zumute bei dieser Erscheinung und Rede, und dachte, es möcht‘ etwa eine Versuchung des bösen Feindes, und was er geloben solle, möchte etwa seine Seele sein. Er fragte daher nicht ohne Zagen: Was ist dein Begehr? – Da sprach das Erdmännchen: Versprich mir auf dein ritterlich Wort, daß du morgendes Tages alle deine Gruben, Schachte und Stollen willst zuschütten lassen, die wir ohnedies, so wir wollten, ersäufen könnten, so wollen wir in heutiger Nacht noch die Felsen ebenen, daß du, wenn du getan, was ich heische, am lichten Tag hinaufreiten und den Falkensteiner an seine Zusage mahnen kannst. – Des war der Ritter hocherfreut, er sagte gern zu, was der kleine Erdzwerg verlangte, und begab sich zur Ruhe. Als es Nacht geworden, regte sich’s wunderbarlich um die Burg, es krachte, es polterte, es hackte, es schaufelte – tausend kleine Berggeister allzumal, obschon sie zwerghaft gestaltet waren, mit Riesenkraft begabt, förderten das verheißne Werk, und als der Hahn den Morgen ankrähte, war’s vollbracht, und als die Sonne hinterm fernen Spessart heraufstieg, da ritt schon Kuno von Sayn den neuen Weg und ließ sein Horn erschallen, daß sich der Wächter auf dem Turme des Falkenstein nicht wenig verwunderte, und noch mehr der Falkensteiner, doch freute er sich auch ob des so lang ersehnten Weges und hat sein Wort gehalten und die Liebenden vereinigt. Der Ritter Kuno von Sayn hielt gleichermaßen auch sein Wort, das er dem Zwerg gegeben, und ließ die Schachte, darin er nach Silber gegraben, zuwerfen und eingehen. Der Felsenpfad, den die Erdgeister bahnten, heißt heute noch der Teufelsweg; er zieht unten an der westlichen Seite des Altking, wo die Berggeister hausen, durch die Schärdter Höhle vorüber zur Bergeshöhe.

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709. Das Seil des Schäfers

709. Das Seil des Schäfers

Zu Ahorn, sonst am Ahorn, daher auch vom Landvolk Mahren genannt, in der Gegend von Koburg, war früher auch eine berühmte Wallfahrt. Dort lebte eine alte Hexe, die hatte einen Grimm auf die Ahorner und brachte ihnen ein Wetter zuwege, daß sich vom Brausen des Sturmwindes, den sie erregte, die Turmspitze bog, und nun spöttelten die Nachbarn und sagten: Zu Ahorn steht es schief; der Ahorner Turm hat schräg geladen – und was dergleichen anzügliche Spottredereien mehr waren. Das tat ihnen mächtig leid, und schauten nach Hülfe umher, und da fand sich auch ein frommer Schäfer, der sah zwar keine Heiligen und Himmelskerzen, aber er sah, wo es fehlte, und versprach Abhülfe. Er nahm ein sehr langes und dickes Seil, das band er an die Spitze des Turmes und das andere Ende an eine Fichte, die noch am Bergesrande steht, und zog nun unter dem Murmeln von Zauberformeln die Turmspitze wieder gerade, so daß die Ahorner nun wieder Ruhe vor ihren spottlustigen Nachbarn hatten. Die Wetterhexe, deren Tücke aus der Ahorner Turmspitze eine schiefe Ebene gemacht hatte, wurde gebührendermaßen verbrannt, der Strick aber aufgehoben, und ist derselbe noch zu sehen, die Mär aber in das Kirchenbuch geschrieben.

Der Ahorn, der diesem Dorfe den Namen gab, und andern nicht minder, denn es gibt noch in derselben Gegend ein Frei-Ahorn, ein Kirch-Ahorn, ein Wüsten-Ahorn, war gewiß den heidnischen Vorfahren ein verehrter Baum, gleich Eiche, Buche und Linde. Sein schneller Wuchs, sein kräftiger hochaufschossender Stamm, sein schattengebendes Laub machten ihn den alten Deutschen nicht minder wert wie den Alt- und Neugriechen, und sicher nicht ohne Beziehung gaben sie ihm den Namen Ehre und sahen in seinen Blättern ein Sinnbild ausdauernder Festigkeit.

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710. Der wandelnde Mönch

710. Der wandelnde Mönch

Ein Herzog zu Koburg hat Krieg geführt mit einem Bischof zu Bamberg und in demselben zwölf Junker gefangengenommen, die auf die Feste über der Stadt gebracht und dort in leidlicher Verwahrung gehalten wurden. Sie durften sich im Hofe ergehen und Kurzweil treiben und ließen es daran nicht fehlen. Da kam einstmals der Schloßkaplan, der ein alter finsterer Mönch war, die Schloßtreppe herunter, auf welcher etwa die Junker, die ihn nicht gern sahen, Erbsen gestreut haben mochten. Wie nun der alte fette Pfaff ausglitt und die Treppe herabkugelte, schlugen sie allzumal ein lautes Gelächter auf, der Mönch aber schlich davon mit grimmem giftigen Blick und verklagte die Junker beim Herzog und reizte ihn zu heftigem Zorne. Dieser befahl, daß die Junker in der Mitternachtstunde hingerichtet werden sollten, und sollten so viele Häupter fallen, als der Turmwart Hornstöße tun würde. Dies strenge Gebot wurde lautbar und kam auch zu der Herzogin, die war sanft und gut und bat bei ihrem Gemahl für der Junker Leben und besänftigte seinen Zorn, daß er sagte, es solle nur einer sterben. Aber auch den Tod des einen wollte die edle Herrin verhindern, und damit der Turmwächter in dieser Nacht gar nicht in das Horn stoße, so ließ sie diesen rufen und in einem sichern Gemach verwahren, doch mit Trank und Speise wohl versehen. Aber die Junker wurden zur Mitternacht in den Schloßhof bei Fackelschein zum Schafott geführt, damit sie mindestens die Angst bekämen für ihre Gottlosigkeit, und der Scharfrichter machte sich bereit und hieß sie alle niederknieen und hob sein Schwert. Der Scharfrichter wußte aber nicht, daß der Herzog seinen Befehl zurückgenommen. Indem so schallte der Ruf der Mitternachtstunde grausig von dem Turme her, und Meister Hämmerling übte beim blutigen Scheine der Fackeln sein blutiges Amt; es fiel ein Haupt – und wieder ein Hornstoß – und wieder ein Haupt, und noch eins, und noch eins. Die Herzogin hörte es, stieß einen Schrei des Schreckens aus und fiel in Ohnmacht, der Turmwächter hörte es und entsetzte sich; der Herzog vernahm den Schall und eilte zornig zum Turme. Wie der tückische Pfaffe, welcher wußte, daß der Turmwart fehlte, an seiner Statt den zwölften Hornstoß tat, fiel des letzten Junkers Haupt, und fuhr ihm des Herzogs Schwert in das rachsüchtige Herz, und dann packte ihn der ergrimmte Herr und warf ihn vom Turme hinunter. Nun wandelt der Mönch als ein Geist umher in und um die St. Moritzkirche, und bisweilen tutet er, wie die Tut-Osel, daß alles erschrickt.

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701. Der Feilenhauer von Weißdorf

701. Der Feilenhauer von Weißdorf

Zu Weißdorf hat ein Mann gelebt, der war ein gelernter Feilenhauer, gab aber das Geschäft auf und legte sich auf ein anderes, das er für einträglicher hielt, nämlich auf das Geisterbannen. Damals gab es noch Geister, die sich zitieren und bannen ließen, heutzutage wollen sie sich nicht mehr bannen lassen, und es ging dem Feilenhauer nicht wie jenem Schulmeisterlein, das, gleicher Kunst obliegend, gefragt wurde: Können Sie wirklich Geister zitieren? – mit einem stolzen O ja antwortete, aber als nun weiter gefragt ward: Kommen denn auch Geister auf Ihr Zitieren? – ein trübseliges Nein vernehmen ließ – des Feilenhauers Zitierte kamen wirklich. Der Feilenhauer war ein langer hagerer Mann, gruslich anzusehen; er trug einen abgeschabten Schinderranzen von Fischotterfell und sah einem Rattenfänger ähnlicher als einem Staatsrat, vermochte auch mehr, und gefürchtet wurde er von Alt und Jung, weil er so verrufenen Umgang hatte. Wo nun ein Poltergeist sich zeigte, da wurde der Feilenhauer hingerufen, und wo er in einen Ort kam, war auch gleich ein Poltergeist da, den jener beschwur, und da kroch der Geist so demütig in den Fischotterranzen wie im Kindermärchen vom Meisterdieb Pfarrer und Schulmeisterlein in den großen Sack. Alle die eingefangenen Poltergeister trug nun der Geisterjäger gleich gefangenen Katzen hinauf auf Burg Waldstein; dort bannte er sie alle hinein und hielt gute Zucht und Ordnung; da sitzen sie manchmal noch immer um einen großen Steintisch im Burghofe und spielen mit eisernen Karten, die der Feilenhauer selbst verfertigt hat. Die Karten müssen etwas heiß sein, denn man findet ihre Spuren dem Steine eingebrannt.

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694. Zwergenhöhle bei Naila

694. Zwergenhöhle bei Naila

Zwischen Selbitz und Marsreuth liegt das Dorf Naila, dort wohnten in einer noch vorhandenen Höhle vor ein paar hundert Jahren Zwerge; das Loch ist noch da, aber die Zwerge sind fort. Ein Bauer des Namens Kohmann ackerte mit zwei Pferden auf seinem Felde, und sein Weib brachte ihm ein neugebackenes Brot zum Frühstück, das sie, in ein Tüchlein gebunden, am Rain niederlegte und dann in das Gras ging. Da trat zu dem Ackersmann ein Zwergweiblein dar und sagte: Du bist noch nicht hungrig, aber meine Kinder sind hungrig; mein Brot ist noch im Backofen, leihe mir das deine für meine Kinder, bis Mittag will ich es dir erstatten. – Der Bauer überließ dem Weiblein gern das Brot und geduldete sich bis Mittag, war aber doch neugierig, ob sie Wort halten werde. Und siehe, sie kam auf den Punkt, als das Mittagöglöcklein im Dorfe ausgebimmelt hatte, brachte in einem schneeweißen Tüchlein einen noch warmen Brotkuchen und sagte: Nimm und iß es ohne Scheu, das Tuch lasse liegen, ich hole es schon ab. Wir sehen uns dann nicht wieder – die Welt wird ungut. Ihr flucht und schwört je mehr und mehr, ihr lauft in aller Sonntagsfrühe heraus auf eure Felder, die Früchte zu beschauen, ihr errichtet ein Hammerwerk nach dem andern, es ist des Schlagens und Pochens kein Ende – so müssen wir den Ort verlassen, wo wir so lange bequem gesessen. – Damit ist sie hinweg und nicht wiedergekommen; ob der Bauer im Brote oder dem Tüchlein etwas gefunden habe, wird nicht gemeldet.

In das Zwergloch bei Naila sind einmal an einem Sonntagnachmittag unterschiedliche junge Bauernbursche gekrochen mit brennenden Schleißenspänen; da kamen sie durch einen Gang, der maß ein paar Ackerlängen, dann in eine mannshohe Grotte mit vielen kleinen Türlein an den Seiten, wie Kämmerchen, und da grausete es sie alle mit einem Male mächtiglich, und eilten heraus, und sind ein paar Tage übel aufgewesen.

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