739. Die Wasunger Streiche

739. Die Wasunger Streiche

Der deutsche Süden hat seine Wunderklugen wie der deutsche Norden; warum sollte das innere Deutschland leer ausgehen? Wer hätte nicht von Schwabenstreichen gehört oder von des Nordlands und Nordstrands witzreichen Leuten? So muß auch das Städtlein Wasungen im Meininger Lande, gleich Ummerstadt und gleich Schnett in demselben Lande, sich solche Streiche nachrühmen lassen und muß sich mit dem bekannten schlimmen Trost trösten: andern geht’s nicht besser, denn es hat Genossen in Schilda und Schöppenstedt, Polkwitz und Borsheim, Tettera und Wesenberg, Hirschau und Amweiler, Trifels und Weilheim, Stockach und Karlstadt, Ahlen und Beutelsbach, Bopfingen und Reutlingen, Düren und Mühlheim, Ganslosen und Kasendorf, Venlo und Mecheln, Hotstrupp und Gabel, Romöe und Büsum, Kisdorf und Bishorst und an hundert andern. Das ist auch keine neue Sache und Geschichte, daß die Welt der Wasunger und anderer Lalenburger Streiche rühmt, schon vor mehr denn hundert Jahren ward also geschrieben: »Im übrigen ist niemandem leicht im Hennebergischen unbewußt, daß allerhand possierliche Schwänke und Histörichen von denen zu Wasungen erzählt werden, welche eine ziemliche Verwandtschaft mit denen in Meißen berühmten Schildbürger Geschichten haben.« Hohe Regierung machte es damals und noch früher gerade auch nicht besser, wie eben zu allen Zeiten und allenthalben ihre Lalenstreiche unter den Aktentischen hervorschlupfen – sie gestattete ausdrücklich und gnädiglich schon im Jahre 1578, daß zur Winterszeit der Wasunger Ziegenhirt mit den Ziegen den Schloßberg und die Hunnenburg betreiben möge – wahrscheinlich sollten die Ziegen Schneeblumen und Eiszapfen fressen. Die zu Wasungen litten nicht, daß ein fremder Dieb an ihren Galgen gehenkt werde, sie gaben ihm den Staupbesen und ein Stück Geld mit der Weisung, er solle hingehen und sich henken lassen, wo er wolle; machten es also sänftiglicher wie die Erfurter, die einem zuvor den Kopf abschlugen und erst dann ihn hingehen ließen, wohin er wollte. Und darüber braucht keiner zu lachen, selbiger Streich der Wasunger war klug und ist in neuer Zeit im lieben deutschen Vaterlande mit manchem Strolch, vornehmem und gemeinem, ihnen nachgetan worden. Auch Eselseier haben sie ausbrüten wollen, als welche ein Fuhrmann ihnen verkauft, es waren aber sotane Eier Quarkkäse – auch darin hatten und haben sie im lieben Deutschland viele Genossen, nur mit dem Unterschied, daß häufig die Esel selbst über dem Quark brüten und nichts Gescheites zutage fördern, daran auch nur ein vernünftiger Mensch seine Freude haben könnte; mit der Katze ging es ihnen schier wie den Gabelern, und von der tragbaren Ehrenpforte, von der Salzsaat, von der durch kluges Abschneiden eines Stiefelpaares bewirkten Verschaffung eines Paares Pantoffeln darf man nicht viel Redens machen, so wenig wie von denen letztbekannten Streichen des Jahres 1848, wo auch zu Wasungen die Werra brannte und die Milchtöpfchen überliefen, so daß aus den süßen eitel Sauertöpfe wurden.

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740. Stein vom Himmel

740. Stein vom Himmel

In Frauenbreitungen, zwischen Wasungen und Salzungen gelegen, liegt ein großer schwarzer Stein, der fiel einmal vom Himmel herab ins Feld, und niemand konnte ihn wegbringen, so schwer war er. Da aber der Stein vom Himmel gefallen war, so wollten die zu Frauenbreitungen ihn gern in ihre Kirche haben. Und da hatten sie einen Gefangenen, der ein großes Verbrechen begangen, der war seines Zeichens ein Leinweber und zugleich ein starker Hans, was sonst die Leinweber nicht sind. Der vermaß sich, wenn man ihn sündelos machen wolle, so wolle er den Stein, wie der Eckardser Graf den seinen, vom Felde herein ins Ort und in die Kirche tragen, wenn auch nicht auf der Brust und auf dem Herzen, sondern in seiner Schürze. Das ward dem starken Leineweber zugelassen, und er trug richtig den Stein in einem Gange bis nach Frauenbreitungen herein. Aber da er auf den Markt kam, riß die Schürze mitten entzwei, der Stein glitt heraus und fiel an die Stelle, wo er noch liegt, niemand brachte ihn weiter. Dem Leinweber fiel der Schreck in die Kniekehle. Zum Andenken trägt seitdem das ganze Handwerk kurze Schürzen. Der Stein liegt noch und heißt der Glittstein.

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72. Blutlinde

72. Blutlinde

In der Nähe Wiesbadens steht bei der Burgtrümmer Frauenstein eine riesige Linde, von der die Sage geht, daß einst an ihrer Stelle sich gar Trauriges ereignet habe. Ein Fräulein aus dem Geschlechte der Frauensteiner liebte einen ihr nicht ebenbürtigen Jüngling und sah ihn oft, indem sie abends noch außerhalb der Burgfeste lustwandelte, an einem traulich schattigen Plätzchen nahe der Burgmauer, wohin ein sonst stets verschlossenes Pförtchen führte, zu welchem sie allein den Schlüssel bei sich trug. Endlich nahm ihr harter und stolzer Vater diese Zusammenkünfte wahr, zürnte heftig, überraschte die Liebenden und erschlug den Geliebten mit eigener Hand. Da brach die Tochter jammernd einen jungen Lindenschoß, steckte ihn durch das rinnende Blut ihres Geliebten in den Boden, sprach zu ihrem Vater nie wieder ein Wort und ging in das nächste Kloster. Täglich weinte sie um ihren erschlagenen Geliebten, der Lindenschoß aber schlug Wurzeln und trieb und ward ein Baum, und solange die trauernde Liebende lebte und weinte, so lange floß Blut aus des Lindenbaumes Gezweig, so jemand ein Blatt oder einen Ast abriß. Das tat aber bald niemand mehr, denn die Menschen scheuten sich, und so erwuchs die Blutlinde zu mächtiger Höhe und Dicke, und können den Baum jetzt kaum vier Mann umklaftern.

Nahebei liegt ein uralt Gehöft, der Graroder Hof, von dem eine verwandte Sage geht. Ein junger Grafensohn des Lahngaues liebte ein seinem Geschlecht nicht ebenbürtiges Mädchen, deshalb stieß ihn sein Vater im Zorne von sich, daß er nie wieder vor sein Angesicht kommen solle. Das tat denn auch der junge Ritter, er ging und folgte dem Zuge seines Herzens und seiner Neigung. Aber um den alten Grafen her begann ein Sterben – sein Weib starb, seine Töchter starben, dann die vielen blühenden Söhne allzumal, einer nach dem andern; zuletzt hatte er nur noch einen – und auch dieser eine starb. Völlig vereinsamt, völlig kinderlos war der Greis, da gedachte er mit Schmerz seines verstoßenen Sohnes, wenn doch der noch lebte und bei ihm wäre, er wolle ihn gern nicht mehr um seiner Liebe willen verstoßen. Und ob er wohl noch lebte? – Da machte der alte Graf sich auf, den Sohn zu suchen, und suchte ihn ab und zu am Rheinstrom und in den Flußtälern, die in diesen münden, und in den Seitentälern und auf den Bergen. Da kam er einst ermüdet an ein kleines Winzergehöft, und da traf er ein Winzerpaar, Mann und Frau und wohl auch Kinder, und sah, wie diese Leute ringsum den Felsboden gerodet hatten und hatten Reben gepflanzt und gewannen ihr Brot, das sie mit ihm teilten, denn er war hungrig, und das junge Weib bot ihm Trauben aus irdener Schüssel, und der Mann trat dazu, auf der Schulter den blinkenden Karst, blinkend von stetem, fleißigem Gebrauche. Da erkannte der alte Graf mit einem Male seinen Sohn in dem Häcker und fiel ihm um den Hals und weinte und segnete. Darauf hat der Ritter über sein Weinberggehöft sich eine Burg gebaut und sie mit den Seinen bezogen, denn er wollte nicht mehr hinweg von dem Stück Erde, das er mit seinem Weibe gerodet und bebaut hatte. Das nannte man hernach den Grafenroder oder kurzweg Graroder Hof, weil ein Graf es gerodet hatte. Der alte Graf lebte noch lange Jahre glücklich bei seinen Kindern und Enkeln, und der junge Graf nahm zum Helmkleinod einen bärtigen Mann im schwarzen kurzen Rock, auf der Schulter eine silberne Rodhaue tragend, zum Andenken, daß er selbst mit seiner Geliebten den Boden gerodet habe. In der alten Kirche zu Schierstein am Rhein sind noch Grabmäler des Geschlechts zu sehen.

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729. Die Hennenburgen

729. Die Hennenburgen

Es ist eine alte Sage, daß vorzeiten ein Herr aus edlem Geschlecht in Deutschland umgezogen, der eine Stätte suchte, da er sich anbauen und guten Frieden haben könne. So kam derselbe auch nach Franken und fand allda einen Berg, der ihm baß gefiel. Wie er nun durch die Waldung zum Gipfel ritt oder schritt, fand er eine Wildhenne mit ihren Jungen, und da baute er allda eine schöne Burg und nannte sie Hennenberg und wurde der Stammvater des reichen und edeln Geschlechts der alten fränkischen Gaugrafen, die sich von Hennenberg nannten und vom Grabfeld bis zum Thüringerwalde Besitzungen gewannen und Burgen erbauten. Zur Sage gesellte spätere Zeit vielgestaltig die Fabel, daher ist von der Erbauung der Burg Henneberg Folgendes in einer alten Handschrift zu lesen: »Da die Wenden in Rom lagen und Roma und Italien fast zerstört und verderbt hatten, das war nach Christi Geburt vierhundertundachtundfünfzig Jahre, da zog ein reicher Römer aus Rom um Unfriedens willen, das war einer von der Säule geheißen, De columna, von dem großen Geschlecht, kam also in den Wald, da jetzo Henneberg liegt, mit seinen Dienern. Da behaget ihn, den Berg zu bauen. Da fand er ein Wildhuhn mit seinen Küchen an derselben Statt, darum nennte er das Schloß Henneberg.«

Fast das gleiche ward auch gefunden in einer Chronik, wo es von einem Römer aus dem erwähnten Geschlecht heißt: »Er zog in diese Lande und kam an das End und Berg, da jetzt Henneberg liegt, und schlug sich allda nieder, da gefiel ihm die Gegend und der Ort so wohl, daß er anfing, ein Schloß darauf zu bauen, und als er das anfing aufzuschlagen und das Schloß zu bauen, da fand er an derselbigen Statt eine wilde Henne mit ihren jungen Hühnlein, davon gab er demselbigen Schloß den Namen Henneberg und führte davon die Henne in seinem Wappen, er und alle seine Nachkommen, und nennet sich der von Henneberg. Also sind sie herkommen.«

Auf dem alten Schloß Henneberg ist eine Blende in der Mauer zu sehen, davon alte Leute erzählten, daß ein Maurer bei Aufbauung des Schlosses seinen Sohn verkauft habe, damit, wenn das Kind in jene Vertiefung lebendig eingemauert werde, die Burg fortan unüberwindlich bleibe. Und der grausame Vater habe das Kind selbst eingemauert. Dieses aß eine Dreierssemmel und rief weinend, als der letzte Stein aufgelegt wurde: O Vater! o Vater! wie wird es so finster! – Und wie das Kind also rief, da schnitt die Stimme dem Manne durchs Herz wie ein Messer, und er stürzte von der Leiter herab und brach den Hals.

Von den drei Schlössern Henneberg, Hutsberg in Ruinen, und ebenso lange wehr) geht die Sage, daß das eben die drei grünen Berge seien, auf welchen im Wappen der Grafen von Henneberg die schwarze Henne steht, und daher sei das Sprüchwort entstanden: Henne huts Land. – Die Henne hütet das Land. Jetzt liegen seit 1525 Henneberg und Hutsberg in Ruinen, und ebenso lange lag Landsberg öde, aber in der neuesten Zeit hat sich auf letzterem ein stattlicher Burgbau des Landesherrn in ritterlichem Stil erhoben, der eine wahre Zier der ganzen Gegend ist.

Auch über Rüdlingen, zwischen Münnerstadt und Kissingen gelegen, ist eine alte Burgstätte auf einem ziemlichen Hügel sichtbar, welche heute Huhnberg genannt wird, vor alters aber Henneberg genannt wurde, wie eine alte Urkunde deutlich aussagt. Den Namen soll Burg und Berg von einem zahmen oder Haushuhn erhalten haben, das zur Zeit, als man die erstere gründen wollte und für dieselbe noch keinen Namen wußte, droben ein Ei gelegt. Zur Unterscheidung des Namens von dem weit früher schon erbauten Stammschlosse Henneberg aber habe man es später nicht Henne-, sondern Huhnberg genannt und diese Burg durch das Bild eines Haushuhns von dem Wappen der ersteren, einer Wildhenne, unterschieden. Die Sage verkündet, daß, von Erbauung dieser Burg an, alle hundert Jahre mittags und mitternachts ein Huhn auf dem Schloßberge dreimal fröhlich schreiet, so das Jahrhundert verkünde und so den alten Chronikenspruch bewähret:

Hier hat gelegt das Huhn ein Ei,
Daß Burg und Berg benennet sei.

Noch soll unter den verschütteten Kellern und Gewölben der Huhnburg viel Geld und Wein verborgen sein. Die Leute erzählen, jeder, der den Schloßplatz besuche, finde bei seinem ersten Kommen, wenn er nicht an die Schätze denke und nicht auf deren Hebung ausgehe, eine kleine Öffnung, welche in die Tiefen hinabführe; benutze er dieses Glück, so könne er reich werden, doch nie werde zum zweitenmal diese Gelegenheit geboten. Wer die Öffnung finde und einen Stein in sie hineinwerfe, höre diesen nicht auf den Grund fallen, so tief hinab gehen Keller und Gewölbe, so tief ruhen die Schätze. Versuche, durch Nachgrabung sie zu heben, schlugen gänzlich fehl und mußten bald unterbleiben, denn die Grabenden sahen sich seltsam erschreckt und in ihrem Vorhaben gehindert. Auch wurden Versuche solcher Art obrigkeitlich untersagt. Daher harren die Schätze noch auf den, der, wenn er die Öffnung findet, ohne habsüchtige Absicht sich in sie hinabläßt.

Auf dem Schloßplatze bei dem vormaligen Brunnen der Huhnburg wurde lange nach der Zerstörung des Schlosses, so geht die Sage, eine große Glocke von Schweinen ausgegraben, und diese hing man dann in dem Turm der Kirche zu Nüdlingen auf. Dieser Glocke wohnte eine sehr wunderbare Eigenschaft bei: denn so weit in der Umgegend ihr Heller Schall hörbar war, gab es weder Fröste im Winter noch Gewitter im Sommer. Später aber wurde die Glocke gegen zwei andere kleinere ausgetauscht und nach Würzburg gebracht, worauf sogleich die Umgegend dieser wohltätigen Wirkung mit verlustig ging. Nur an einem Teil des Schloßberges scheint noch der Segen zu haften, denn an dessen Ostseite bleibt niemals der Schnee liegen, sondern zerschmilzt, sowie er dorthin fällt.

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730. Vom wütenden Heer

730. Vom wütenden Heer

Alte Leute wissen noch etwas vom wütenden Heer und vom wilden Jäger zu erzählen, wie sie über Neubrunn und seine Berge und Täler gezogen sind, am meisten aber im Herbst, wenn recht finstere und schaurige Nächte waren; aber die jungen Leute wollen nicht daran glauben, sie belachen das, was die Alten gesehen und gehört haben. Wenn das wütende Heer nun einmal vorüberzieht und die Alten sprechen: Jetzt zieht das wütende Heer!, so sprechen die Jungen: Der Wind heult und pfeift, oder es kann sein, daß Schneegänse oder Kraniche schreien. – Es zieht aber doch. Sonst, sprechen die alten Leute, zog es immer in Neubrunn durch drei Häuser; das kam daher, weil in den Häusern drei Türen gerade hintereinander waren, nämlich vorne die Haustüre, in der Mitte die Küchentüre und hintenhinaus noch eine Türe, die alle in gerader Richtung gingen, und wo sich die drei Türen bei einem Hause in gerader Richtung finden, da zieht, es mag sein, wo es nur will, das wütende Heer durch. Die Alten sagen aber auch, wenn man auf der Straße oder im Hof wäre und das wütende Heer zöge, so müßte man seinen Kops zwischen die Speichen eines Wagenrades hineinstecken, dann könnte es einem nichts tun, und es müßte vorbeiziehen, sonst drehte es einem den Hals herum. So hört man auch in Maßfeld noch von alten Leuten, das wütende Heer sei den Zinkenstill (ein Teil des Waldes Still) herab über die Kreuzstraße bei der Reumeserbrücke, wo es überhaupt nicht geheuer sein soll, dann über die Berge nach Dreißigacker gezogen. Viele wollen es gesehen und gehört haben und bekräftigen es mit allen Eidschwüren.

Auch in Roßdorf im Rosagrunde zwischen Meiningen und Salzungen wird das nämliche erzählt; wer es höre, müsse sich schweigend zu Boden werfen, sonst werde er mit hinweggeführt über Wald und Wipfel. Und vernimmt man in diesen Gegenden stets aus der Landleute Mund nur den Ausdruck wüteninges (wütendes) Heer, nie, wie in andern deutschen Gauen, die Benennung wilder Jäger.

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731. Die Haßfurtjungfrau mit der Glücksblume

731. Die Haßfurtjungfrau mit der Glücksblume

Bei Meiningen ist ein Bergwald gelegen, darinnen liegt eine alte wüste Burgstätte mit einem gar tiefen Felsenbrunnen. Das soll ein Raubschloß gewesen sein; dicht unter ihm zog die alte Frankenstraße hin, und das stand in Verbindung mit der alten Burg Landswehr, die nahe dabeiliegt. Im Schöße beider Burgen sollen noch große Schätze liegen. Dort läßt sich nun alle hundert Jahr die sogenannte Haßfurtjungfer sehen, in weißer Kleidung mit einem Schlüsselbund; ein schwarzer Hund folgt ihr bisweilen. Wenn die Zeit da ist, wo sie erscheinen darf, ist ihr vergönnt, ein ganzes Jahr lang zu wandeln, dann wird sie häufig erblickt auf der alten Burgstätte, wie in der Waldung und unten im Tale und bemüht sich, Menschen zu finden, welche den Schatz heben, denn an die Hebung des Schatzes ist ihre Erlösung geknüpft. Vor mehr als hundert Jahren hatten einige Prinzen ein Jagen angestellt, und der Hofjäger war mit mehrern Burschen voraus, das Nötige anzuordnen. Als das geschehen, harrten die Jäger der Herrschaft an einer geeigneten Stelle, und zwar unter dem Berg, darauf damals noch die Trümmer der Haßburg standen, da wurden die Weidgesellen geworfen, erst mit Erde, dann mit Mörtel und kleinen Steinen. Sie glaubten, es seien Kameraden von ihnen da oben versteckt und neckten sie; aber das Werfen hörte nicht auf, und es kamen immer größere Steine geflogen. Da schalt der Hofjäger und eilte den Berg hinauf, mitten durch den Steinregen. Oben aber war niemand, und es warf nicht mehr und war alles totenstill. Und wie er sich umwandte, siehe, so stand schleierweiß die Haßfurtjungfrau vor ihm, nur einen Augenblick, und von ihrem Schlüsselbund fiel ein Schlüssel; schnell verschwand sie. Der Jäger sah zur Erde, da lag der Schlüssel wirklich, und zwei schöne goldgelbe Blumen standen da. Er hob den Schlüssel auf, achtete aber der Blumen nicht. Unterdes war die Herrschaft unten im Tale angekommen, und er eilte zurück und zeigte seinen Fund. Stand weiter nichts dabei? fragte gleich einer aus dem Zuge. – Ja, zwei gelbe Blumen, antwortete der Finder. – Hättet Ihr diese gepflückt, wäret Ihr glücklich gewesen! – Flugs eilte der Hofjäger wieder den Berg hinauf, die Blumen zu pflücken, sie standen aber nicht mehr da. Oft soll die Haßfurtjungfrau erschienen sein; der Schatz ist noch ungehoben, vergebens sucht man den Zugang zum Burgkeller. Einem fremden Schlossergesellen, der nie in diese Gegend gekommen war, träumte einst, daß unter den Ruinen der Haßburg ein großes Gewölbe sei voll Rüstzeug, Waffen und Gold; er solle hingehen und den Schatz heben. Zum Wahrzeichen werde er ein Messer mit hirschhornenem Griff finden. Er ging in den Wald, fand die Burg und dasMesser, aber es lag auf einem Felsen, und er wußte weiter nichts damit anzufangen.

Ganz ähnlich wird dieselbe Sage vom Landsberg erzählt. Dort stand dem beglückten Hofjäger schon der Berg offen, er wollte eben hinein, da hörte er unten im Tale die Jagdhörner, die Herrschaft war da, und er glaubte vom Landesherrn seinen Namen laut rufen zu hören, steckte den Schlüssel ein, die Blume auf den Hut und eilte zurück. Als die Jagd vorbei und der Kammerherr des Dienstes ledig war, ritt er eilig wieder auf den Landsberg und suchte die Türe, die hinter ihm zugefallen war. Aber er fand sie nicht wieder und fand, daß er auch die Blume verloren habe. Keine zweite Glücksblume wuchs für ihn, und er zog traurig heim. Der alte Schlüssel, sagen einige, soll noch vorhanden sein und in einem Archiv liegen.

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732. Vom Frickenhäuser See

732. Vom Frickenhäuser See

Unter der alten Stammburg Henneberg führt die Land- und Heerstraße von Meiningen aus in das gesegnete Frankenland. Da kommt man bald in den Grund der Streu, die von Ostheim herrinnt und der fränkischen Saale ihr stillfließendes Gewässer zuführt. Dort liegt, nicht gar weit von Mellrichstadt, dasDorf Frickenhausen und sein weitberufener See, ein stilles und tiefes Wasser, fast rundum von hohen Bäumen umschattet und von unergründlicher Tiefe, von steilen Bergen umgeben, der Frickenhäuser See. Sein Wasser ist hell, hat einen natürlichen Geschmack und wird ungeachtet des geringen Abflusses doch nicht faul. Wunderbar sind die Sagen und Mären, welche die Bewohner jener Gegenden über diesen See zu erzählen wissen oder doch wußten. So behaupteten einige, der See trage auf seiner Oberfläche durchaus keinen Körper, sondern verschlinge ihn urplötzlich, wie dort in Westfalen das Heilige Meer. Neue Versuche haben freilich gerade das Gegenteil dargetan. Andere wollen riesenartige Fische in ihm gesehen und von den Ahnen gehört haben, der See werde dereinst mit Gewalt ausbrechen und ganz Franken überschwemmen; denn er sei eine Ader des Meeres. Deshalb beten auch viele Bewohner der Gegend zu Gott, daß er sie diesen Ausbruch des Sees nicht möge erleben lassen, und in der Domkirche zu Würzburg würde, so sagen sie, alljährlich eine Messe gelesen, daß Gott die Überschwemmung Frankens durch den Frickenhäuser See verhüte. Darum getraue man sich auch nicht, mit einem Kahn das rätselhafte und verrufene Wasser zu befahren. Fische sollen darin sich aufhalten, aber nur selten zu Gesicht zu bekommen sein. Im Jahre 1793 erblickte ein Jäger aus der Nachbarschaft einen Fisch, der an Größe einem ausgewachsenen Schweine nicht viel nachgab. Die Kunde von diesem Fisch verbreitete sich weit umher und rief Leute in Menge herbei, um diesen großen Wunderfisch zu sehen und anzustaunen. Allein niemand sah ihn mehr. Ein anderer Jäger schlief einst an dem Ufer ein und hatte die mit einer Kugel geladene Büchse neben sich liegen. Ein heftiges Geräusch im See erweckte ihn, und hinblickend gewahrte er zwei riesige Fischungeheuer, die sich oben an der Seefläche zeigten. Sogleich ergriff er sein Gewehr, zielte und schoß nach einem der Riesenfische, worauf beide sogleich untertauchten. Aber einige Schuppen schwammen von dem getroffenen auf dem Wasser, die der Jäger auffischte und den Leuten zeigte; sie waren so groß wie ein zinnerner Teller. – Oft trübt sich das Wasser dieses Sees, wenn auch in der ganzen Gegend kein Regen ist, und bei der anhaltendsten Dürre nimmt er nicht ab, obwohl man glaubt, daß die bei Sturmwetter sich trübende starke Quelle, die im Streugrunde bei Mittelstreu mit starkem Brausen hervorbricht und gleich bei ihrem Ursprünge einige Mühlen treibt, dem unterirdischen Ausfluß des Sees ihr Wasser danke.

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733. Nix Schlitzöhrchen

733. Nix Schlitzöhrchen

So klein und schmal das Wiesenflüßchen, die Streu, auch ist, so wohnt doch in ihm ein neckischer Nix und treibt sein Wesen im Streugrunde unter und über Mellrichstadt von Stockheim bis Heustreu, wo das Flüßchen in die Saale fällt. Dieser Nix heißt Schlitzöhrchen, weil er geschlitzte Ohren hat; er hat seine Lust daran, Leute, die über die Streu gehen, in das Wasser zu ziehen und sie tüchtig unterzutauchen. Es kommt ihm auch nicht darauf an, sie ganz zu ersäufen. Das ist nach der alten Leute Aussage schon gar manchem widerfahren. Woher nur die Kobolde und Nixen ihre neckischen Namen haben, deren Zahl legionenmal verschieden ist? Dort im alten Preußenlande, zu Prassen bei Lauenburg, hießen ein paar Fingerlinge Rotöhrchen und Gelböhrchen. Es ist, als ob der Name Öhrchen auf etwas Geheimnisvolles hindeute, auf das Horchende. Am Kraute Mausöhrchen (alter Name Auricula muris, neuer: Hiracium murorum, nebst vielen andern Arten, darunter auch eine Hieracium auricula und eine geschlitzte Abart, Hieracium sylvaticum, das Schlitzöhrchen der Pflanzenwelt) finden sich, sonderlich an denen, so nach Johannis blühen, unten am dicksten Teile der Wurzel zwischen den Fäserchen der alten Blätter rote Tropfen gleichsam eingewickelt. Etliche nennen das Johannisblut und halten dafür, wenn jemand am Johannistage oder um diese Zeit mittags zwölf Uhr ein solches Kraut aushebt und den roten Tropfen auf seine Hand fallen läßt, so könne er daraus ein Prognostikon seines Lebens nehmen, je nach der Dauer der Farbe; läßt sie sich gleich auswaschen, so stirbt er noch im selben Jahre. Aber auch die Tierwelt hat ihr Schlitzöhrchen, das ist die Ohrlitze, der Ohrwurm, Forsicula auricularia L., und den Namen Schlitzöhrchen führt er im Werragrunde bis zum Streugrunde hinüber. Der inniggeistige Zusammenhang der Sagenwelt mit dem Naturleben ist ein zwar nicht mehr unentdecktes, aber doch noch fast ganz unerschlossenes Land, ein Kalifornien voll des Zaubergoldes der Poesie.

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734. Die Alpnonne

734. Die Alpnonne

Nicht weit vom Streugrunde lag ein Nonnenkloster, Wechterswinkel geheißen; im selben Kloster diente ein junger, bildhübscher Knecht, den drückte oft das Alp, und wußte sich gar keinen Rat, dem Übel abzuhelfen. So klagte er einem weisen Manne seine Not, und der sagte ihm, es sei nichts leichter, als das Alp zu bannen, der Knecht solle nur, wenn es wieder drücke, herzhaft dahin greifen, wo er es fühle, und das festhalten, was er fasse, und einsperren. Diesem Rat folgte der Knecht, und als das Alp ihm wieder heftig drückend auf der Brust lag, so griff er zu und faßte – eine Flaumfeder. Obschon er nun nicht glauben konnte, daß diese leichte Feder ihn gedrückt, so war es ihm plötzlich federleicht zumute, aller Druck war hinweg, er sprang aus dem Bette und schloß die Feder in ein kleines Kästchen. Am andern Morgen ging ein Geschrei durch das ganze Kloster, es sei eine Nonne in ihrem Bett erstickt und also tot gefunden worden. Zufällig begegnete der Knecht dem weisen Mann und erzählte ihm das mit der Flaumfeder und auch als etwas Neues, daß eine Nonne erstickt sei. Da sprach jener Mann: Um Gottes willen schließe deinen Kasten auf und lasse die Feder fliegen! Der Knecht tat’s, und da flog die Feder gerade in die Zelle der gestorbenen Nonne, wo das Fenster offenstand, und zur Stunde wurde jene wieder lebendig. Der Knecht hatte nie wieder Alpdrücken. Die Nonne war das Alp gewesen, gleich jenem Frauenbild in der Ruhl, nur daß der Ruhlaer mehr mit seinem Alp erlebte.

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727. Die Nixe aus der Totenlache

727. Die Nixe aus der Totenlache

Nahe bei Rappelsdorf zwischen Schleusingen und Kloster Veßra liegt ein der Sage nach unergründlich tiefes, mit Wasser gefülltes Loch, über vierhundert Schuh lang und gegen hundert Schuh breit, merkwürdig und verrufen beim Volk der ganzen Umgegend und die Totenlache genannt. Dieser Name rührt ursprünglich daher, daß die in Rappelsdorf Verstorbenen, welche in Schleusingen beerdigt werden, gewöhnlich bis an diese Lache mit Leichenbegleitung getragen, dann aber ohne ferneren Kondukt nach der Stadt gefahren werden. Das Wasser ist außerordentlich hell und klar, friert niemals ganz zu, steht in unterirdischer Verbindung mit Höhlen und Klüften des nahen Berges, die Haard genannt, besonders mit einem Brunnen im Bärengraben, wie durch dort hineingeworfene leichte Körper, welche in der Lache zum Vorschein gekommen, erforscht sein soll, und wird auch von Jahr zu Jahr größer. Alte Leute haben erzählt, daß kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg und besonders vor dem kroatischen Einfall in Schleusingen Wassermenschen aus der Lache hervorgegangen und unterschiedlich gesehen worden sind.

Einstmals geschah es, daß aus der Totenlache eine Nixe herauskam, anzusehen wie ein junges schlankes Mägdlein; um den Hals trug sie ein schwarzes Rüsterband, um den Leib ein schuppiges Mieder, so seegrün wie das Wasser der Lache, mit einem roten Busentuch und vorgestecktes Perlenstrauß. Um die Lenden schlang sich ein scharlachroter Schurz, Hintennach schleifte sie aber einen häßlichen Fischschwanz. Auf der Hudelburg oder Ruderburg, einem Wirtshaus ohnweit Rappelsdorf, wurde soeben ein Hochzeittanz gehalten, dorthin eilte flugs das Nixlein, setzte sich hinter den Tisch zu einem frischen Junggesellen, der lange Frieder geheißen, und trieb mancherlei Kurzweil mit ihm, der sie bald liebgewann, tanzte auch fröhlich mit ihm um die Linde. Dabei vertraute sie ihm manches, unter andern auch, daß sie gar zu gerne seine Braut wäre, und herzte und küßte ihn. Darüber kam der Abend herbei und die Nacht, und nun sprach das Nixchen weinend zu ihrem Friedel: Nun muß ich mich von dir scheiden und wieder in jenes Wasser hineingehen, wo ich wohne. Zu lange bin ich schon hier geblieben bei dir, mein Geliebter, und da ich gegen meines Vaters Gebot hierhergekommen bin, werde ich wohl die hier und mit dir genossene Lust mit dem Leben büßen müssen. Wie weh tut mir der Abschied. Lebe wohl und gehe morgen hin zur Lache, findest du sie hell und grün, so lebe ich, findest du sie bleich und totenfarb, so ist’s vorbei mit mir. Und gab ihm einen Kuß und entwich. Am andern Morgen ging der Frieder eilend hin zu dem kleinen See, fand ihn bleich und blutig, und voll Sehnsucht und Liebesgram sprang er hinein in die Totenlache, um sich durch den Tod mit der lieben Nixe zu vereinen.

Nicht weit unter Rappelsdorf, links am Wege, liegt auch noch ein kleiner See, im Sommer von Mümmelchen überblüht, dabei es nicht geheuer.

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