714. Frau Holle verbrannt

Zu Eisfeld ist ein alter Brauch, daß am Sonntage Epiphanias nach der Nachmittagskirche unter Musikbegleitung ein kirchliches Lied abgesungen wird; dabei ist die ganze Bevölkerung zugegen, und Kinder und Alte rufen einander zu: Frau Holle wird verbrannt! Über diesen Brauch wissen die Leute nichts Bestimmtes zu sagen, und eine Mär, die sie berichten, läßt über den Namen Frau Holle und deren Verbrennung im unklaren. Vor uralten Zeiten, sagen sie, war zu Eisfeld ein Mönchskloster und ein Nonnenkloster, die lagen einander gegenüber und waren miteinander durch einen unterirdischen Gang verbunden. Dieser Gang soll bis zum vorletzten großen Brande noch offen, dann aber verschüttet worden sein. Durch diesen Gang nun besuchten die Münchlein die Nünnelein, und da trug sich’s zu, daß auch die Frau Äbtissin selbst in andere Umstände kam, die ihr mitnichten lieb waren, und sogar zweier Knäblein aus einmal genas, und konnte die Schmach nicht verhehlt werden. Da nun der Täter unenthüllt blieb, so mußte der Allerweltsbuhlgeist, der arme Teufel, ihr Buhle gewesen sein, der eigentliche Sündenbock, auf dessen Rücken Last und Laster in Fülle geschoben wurden. Er trug auch diese neue Last geduldig, aber die Frau Äbtissin wurde nachmittags am Sonntag nach dem Neujahr auf öffentlichem Markt verbrannt. Möglich, daß sie Hulda hieß, so wäre das Rätsel der Hollenverbrennung gelöst.

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