Sankt Ottilia

Es saß auf Hohenburg ein stolzer Graf, Herr Attich geheißen, dessen Frau gebar ihm ein Mägdlein, und das war blind. Darob ergrimmte Herr Attich und schrie: »Ein blindes Kind will ich nicht; fort mit dem Wurme, und schlagt ihm den Schädel an einem Felsen ein!« und tobte fort. Die Mutter aber sandte alsbald die Amme in Begleitung treuer Knechte mit dem blinden Kinde weit, weit von dannen, gen Palma, das liegt jenseits der Alpenberge in Friaul; dort war ein Frauenmünster, und dorthin ward Herrn Attichs Töchterlein gebracht.

Im Bayerlande aber war ein Bischof mit Namen Erhardus, der hörte im Traume eine Stimme: »Mache dich auf gen Palma in das Stift; dort findest du ein blindes Mägdelein, das sollst du taufen und Ottilia heißen!« Erhardus folgte ohne Weilen der Stimme des Herrn, so er im Traume vernommen, zog gen Palma in das Stift und fand das Kind und taufte es und segnete es. Und siehe, da gingen über der Taufe dem Kinde die Augen auf, und es ward sehend. Und Ottilia blieb im Frauenmünster zu Palma, erwuchs darinnen züchtiglich, erlernte die Orgel schön zu spielen, der Blumen zu pflegen und ihrer Pflichten treulich zu warten.

Herr Attich aber ward vom Himmel heimgesucht, daß er Reue und Leid fühlte ob seines von ihm verstoßenen Kindes, und es trieb ihn zu einer Pilgerfahrt nach Welschland, sein Kind zu suchen. Und da er der Tochter Aufenthalt erfahren, zog er des rechten Weges und hörte nun in Andacht das Wunder, das sich mit ihr begeben, und führte sie zurück nach Hohenburg und an das Herz ihrer Mutter.

Glanz und Reichtum umgab das holde, fromme Kind; aber das alles lockte sie nicht. Und auch als der Ruf ihrer Schönheit und Lieblichkeit sich in der Gegend verbreitete und Freier angezogen kamen, die gern um ihre Hand werben mochten, zeigte sie sich allen abgewendet und wollte allein des Heilands Braut sein. Da nun unter diesen Freiern ein reicher Graf des Gaues war, so gelobte Herr Attich ihm sein Kind zum Ehegenoß und gebot Ottilien, sich nicht länger zu weigern. Das erschreckte die fromme Jungfrau gar sehr. Sie suchte Trost und Rettung im Gebet und fand endlich keinen andern Ratschluß, als schnelle Flucht.

Da nun der Bräutigam am Morgen angeritten kam, war die Braut abhanden und nirgend zu finden. Boten ritten und liefen wohl im Vogesengebirge umher und auf und ab all um den Rhein, und keiner fand Herrn Attichs Tochter, bis nach dreien Tagen endlich die Kunde kam, Ottilia sei in einem Schifflein über den Rhein gefahren, mutterseelenallein, und mochte wohl ein Engel ihr Ferge gewesen sein. Da forschten nun ihr Vater und der Graf gar fleißig nach ihr und waren weit aus und kamen bis gen Freiburg im Breisgau. Und als sie dort im Tale ritten, sahen sie auf einmal auf einer Bergeshöhe die Jungfrau wandeln, und sie sprengten eilend hinan.

Wie nun Ottilia ihre ihr schon nahen Verfolger erkannte, erschrak sie heftig, und sie rief den Himmel um seinen Schutz an. Und da sie an eine Felswand kam, die ihre Schritte gänzlich hemmte, da tat vor ihr die Wand sich auf und schloß sich wieder hinter ihr zu. Aus dem Felsen aber rieselte alsbald ein klarer Wasserquell, und die Verfolger standen davor und wußten nicht, wie ihnen geschehen war.

Nun begann Herr Attich aufs neue in sich zu gehen, seufzte nach der Tochter, blieb an der Quelle und rief dem starren Fels das Gelübde zu, wenn Ottilia wieder zu ihm komme, so wolle er an diesen Ort eine Kapelle bauen und aus seiner Burg ein Kloster machen und das mit reichem Gut begaben. Solches alles geschah, und der Brunnen aus dem Fels ward der Ottilienbrunnen geheißen und übte wundersame Kraft an kranken Augen. Ottilia aber wurde Äbtissin des neuen Klosters, pflegte und heilte Kranke, ward ein Schutzengel des ganzen Gaues und ließ an den Bergesfuß noch ein Kloster, Niedermünster, bauen. Und als sie endlich sanft und selig verschieden, ist sie heilig gesprochen worden, und sie ward die Patronin der Augen und von Augenleidenden insonderheit angerufen.

Trifels

Rheinsagen

Über dem Annweiler Tale bei Landau erhob sich eine stattliche Kaiserpfalz, Burg Trifels genannt. Es geht die Sage, daß König Richard Löwenherz von England darinnen gefangengehalten worden sei vom Kaiser Heinrich VI. Niemand wußte, wo er hingekommen, und es war große Sehnsucht nach Richards Wiederkehr in seinem Reiche.

Nun hatte Richard einen treuen Dienstmann, der hieß Blondel; der war ein Minnesänger und verstand sich meisterlich auf die Kunst des Gesanges und der Töne. Der machte sich mit einer Schar redlicher Männer auf, seinen König allüberall zu suchen. Reichen Schatz an Gold und Kleinodien, den das Volk geopfert, nahmen sie mit sich zum Lösegeld. Auch König Richard war ein Minnesänger, und Blondel kannte und konnte des Königs Lieder. Vor mancher Burg, darinnen er den König gefangen glaubte, hatte Blondel schon seine Weisen angestimmt, auf welche, wie er sicher voraussetzte, der König, wenn er ihn hörte, singend antworten mußte; aber es war still geblieben hinter den festen Mauern.

Schon war er am Donaustrom auf- und abgezogen und hatte auch rings um den Rhein gesucht und gesungen, da vernahm er, daß in der Nähe der Stadt Landau, allwo man dazumal des deutschen Reiches Kleinodien aufbewahrte, auf dreien Felsenzacken ein gar großes und stattliches Kaiserschloß stehe. Und da Blondel der Meinung war, nur in einem solchen Schloß werde der deutsche Kaiser seinen König und Herrn gefangenhalten, so wandte er sich dorthin mit den Seinen, umschlich spähend die Mauern und stimmte am Fuße der starken und hohen Türme, in deren Tiefen und Verliesen man gewöhnlich die Gefangenen schmachten ließ, jene Weisen an, die nur König Richard kannte. Und – o Freude! – endlich, endlich drang aus dem Gemäuer des Turmes auf Trifels antwortender Gesang in gleicher Weise. Hoch schlug vor Freude Blondels Herz: sein Richard, sein König, war gefunden und bald darauf auch aus seiner Haft befreit.

Die Totenglocken zu Speyer

Kaiser Heinrich IV. nahm ein gar trauriges Ende. Seine Gebeine ruhen im Dome zu Speyer, aber sie kamen nicht alsbald nach seinem Tode dahin. Verstoßen von Thron und Reich gedachte er, am Dome zu Speyer einer Chorherrenpfründe teilhaftig zu werden; allein der Bischof Gebhard, den der Kaiser als solchen selbst auf den Stuhl gesetzt und bestätigt hatte, weigerte ihm die Aufnahme. Da seufzte der Kaiser und sprach: »Gottes Hand liegt schwer auf mir!« und zog trauernd von dannen. Und es geht in Speyer die Sage, als der alte Kaiser endlich arm und elend zu Lüttich an der Maas verstorben sei, da habe die Kaiserglocke im Dome von selbst zu läuten begonnen, und alle andern Glocken haben volltönig eingestimmt in das Geläute, und das Volk sei zusammengelaufen und habe gerufen: »Der Kaiser ist tot, der Kaiser ist tot! Aber wo? Wo ist er gestorben?« – Das wußte keiner.

Rheinsagen

Der Bischof zu Lüttich fühlte minder hart als der undankbare Bischof zu Speyer; er ließ den Verstorbenen mit gebührenden Ehren bestatten. Aber als das der unnatürliche Sohn Heinrichs, Kaiser Heinrich V., vernahm, ward der Bischof von Lüttich verurteilt, den Sarg des Bestatteten mit seinen eigenen Händen wieder auszugraben, da der Verstorbene im Banne dahingegangen und einen Gebannten die geweihte Erde nicht decken dürfe. Da ward der tote Kaiser in seinem Sarge auf eine Insel in der Maas gestellt, und niemand kümmerte sich um ihn. Aber siehe, da kam ein Mönch, den niemand kannte; der fuhr hinüber auf die Insel und betete an dem Sarge und las Messen über den Toten und sang ihm das Requiem29 . Und das trieb er fort und fort, bis Heinrich V. es vernahm und den Sarg mit den Resten seines Vaters gen Speyer führen ließ. Und als nun der Sarg im Königschor des Domes beigesetzt werden sollte, litt es der Bischof nicht, ehe denn der Papst zu Rom des deutschen Kaisers Überreste aus dem Banne löste. Das währte fünf Jahre; so lange blieb Kaiser Heinrichs IV. Sarg in Sankt Afra’s Kapelle unbeerdigt stehen.

Aber den Kaiser Heinrich V. wußte Gottes Hand auch zu finden; denn er blieb erbenlos und fiel in des Papstes Bann wie sein Vater. Und als er verstarb, da läutete vom Münsterturme zu Speyer ein Glöcklein von selbst gar hell und schrillend, und keine andere Glocke fiel ein, und niemand wußte, warum es läute. Und das Volk lief zusammen und fragte sich untereinander: »Wo wird denn einer zur Richtstätte hinausgeführt, daß das Armesünderglöcklein läutet?« –

  1. Totenmesse

Federzeichnungen von Otto Ubbelohde (1867 – 1922)


Rheinsagen

Hermann Schaffstein Verlag in Köln
1945
(Erstauflage 1912)

Dreiundzwanzigstes der Blauen Bändchen

Federzeichnungen von Otto Ubbelohde (1867 – 1922)

Rheinsagen

Vom deutschen Rheinstrom

Heilige Wasser rinnen von Himmelsbergen – singt die Edda, das uralte Götterlied. So auch der Rhein, des deutschen Vaterlandes heiliger Strom, rinnt vom Gottesberge (St. Gotthard), aus dem Schoße der Alpen, nieder als Strom des Segens. Durch Hohenrhätiens Alpentalschluchten stürzt er sich mit jugendlichem Ungestüm, frei und ungebunden, umwohnt von einem freien Bergvolke, das in Vorzeittagen hartlastende, schwerdrückende Fesseln brach.

Einst zwang ein Kastellan auf der Bärenburg die Bauern, mit den Schweinen aus einem Troge zu essen; ein anderer in Fardün trieb ihnen weidende Herden in die Saat; andere übten noch andere Frevel. Da traten Hohenrhätiens Männer zusammen, Alte mit grauen Bärten, und hielten Rat im Nachtgrauen unter den grauen Alpen. Auf einer felsenumwallten Wiese ohnfern Tavanasa will man noch Nägel in den Felsenritzen erblicken, an welche die Grauen, die Dorfältesten, ihre Brotsäcke hingen. Und dann tagten sie in Bruns vor der St. Annenkapelle unter freiem Himmel, nach der Väter Sitte, und beschwuren den Bund, der dem alten Lande den neuen Namen gab, den Namen Graubünden, und daß der Bund bestehen solle, solange Grund und Grat steht. Davon gehen im Bündnerlande noch alte Lieder.

Herzog Bernhard hält sein Wort

Im Dreißigjährigen Kriege kämpfte der Sachsenherzog Bernhard von Weimar in den Gefilden des Oberrheins. Da belagerte er das Städtchen Neuenburg zwischen Basel und Breisach, das noch gut kaiserlich war und sich tapfer hielt. Der langen Belagerung und des hartnäckigen Widerstandes der Neuenburger äußerst müde, ergrimmte der Sachsenherzog und verschwur sich hoch und teuer bei. Himmel und Hölle: »Komme ich in das Nest hinein, so soll weder Hund noch Katze mit dem Leben davonkommen!«

Bald darauf mußten sich die tapferen Neuenburger, da sie die Belagerung nicht länger aushalten konnten, ergeben, und die Soldaten wollten schon ihr Mütlein im Blute der Bürgerschaft kühlen und alles ermorden. Da gereute den Herzog seines vermessenen Eides und des vielen edeln, auch zum Teil unschuldigen Blutes, das hier vergossen werden sollte, und er sprach: »Nur was ich schwur, wird gehalten, und nicht mehr und nicht minder! Schont nicht Hunde, nicht Katzen; aber bei Leib und Leben gebiet‘ ich, daß der Menschen geschont werde!« Und also geschah es.

Herzog Bernhard, der große Kriegesheld, hat auch Breisach belagert und erobert, Freiburg eingenommen und bei Rheinfelden das Heer der Kaiserlichen geschlagen. Große Hoffnungen baute auf ihn das deutsche Volk, auch das im Elsaß, und jubelte ihm zu. Es begrüßte ihn überall als einen Retter und als einen Schirmvogt gegen das treulose Nachbarland. Aber er sprach ahnungsvoll: »Ich werde des großen Schwedenkönigs Gustav Adolf Schicksal teilen: sobald das Volk ihn mehr ehrte als Gott, mußte er sterben.« Und ein Jahr nach Neuenburgs Einnahme starb er alldort, wo er so menschlich gewaltet, der Sage nach an Gift. Die Zeichen dieser Tat aber deuten nach Frankreich hinüber.

Wie Rübezahl den hartherzigen Grafen von der Bolzenburg in eine Mücke verwandelt


Zweites Abenteuer

Es war auch ein Morgen im Frühling. Wie zur Zeit, als die ausgedienten Kürassiers sich ihr Mütchen kühlten.

Die Quertäler herauf hing die Blüte über den niedrigen Obstbäumen. Und dahinter versteckt lagen die winzigen Hütten mit ihren schwarzen Querbalken in weißem Grunde.

Der große Krieg lag schon in weiter Ferne zurück.

Rübezahl hatte als Wasseramsel im Uferloche geschlafen, als vor seinem Neste im schäumenden Zackenwasser eine alte Forelle jach in die Morgenluft platschte und ihn gleich zum rechten Leben aufgeweckt.

Frühling! Man denkt: Frühling sei jung wie ein Kind.

Frühling ist so jung wie ein Lied, das eben erst aus der Blutwelle aufsteigt und Klang und Seele wird.

Aber Frühling ist auch nur wieder ein himmlisches Kleid, das an einem uralten Steindinge lebendig wird.

Also summte und sang jetzt auch der uralte Berggeist sein Frühlingslied in die Lüfte wie der schneehaarige Fiedelmann die junge Liebe.

Rübezahl war als ein mit Apfelblütenhauchen reich getränkter Windstoß sanft und linde die Schlucht immer höher unter jung knospenden Buchen hinaufgefahren, ließ sich von einem liebesgeschwellten Auerhahn auf dem obersten Fichtenwipfel durch ein buhlerisches, versunkenes Getöse erlustigen und erschüttern. Schüttete im Vorüberwehen einem jungen Baudenweibe Goldblätter in den Eimer, darin sich der Morgen mit spielenden Seidenfarben fing.

Dann war er eine Weile hoch oben zu einem Steinklotz erstarrt am Hange stehengeblieben, die Seligkeit des neuen Frühlingslebens ganz in sich auszukosten. Ließ sich nur still von der Sonne bescheinen. Und horchte ewig: indessen das Aufbrechen der Knospen an Staude und Strauch und in Gras und Moose heimlich knisterte.

An diesem Tage hatten auch die Menschen unten im Tal Sonnenschein im Blute und Lebensmut genug.

Den Bauern trieb es vor sein Kuhgespann auf die erwachenden Winterfelder.

Die junge Wirtstochter aus dem Dorfkretscham tänzelte mit feucht angeklatschtem Blondhaar mit zwei tüchtigen Holzkannen an den Wassertrog und sah sich um, ob nicht wenigstens die gackernden Hühner oder die Schar Sperlinge auf der einsamen Straße sähen, wie schön sie sich am Frühlingsmorgen tummelte.

Auch der weißhaarige, magere, gräfliche Herr auf der Bolzenburg räkelte sich mit verkniffenen, prüfenden Augen im Himmelbett in den Sonnenstrahl hinein. Sprang auf und hieß schon jetzt einen seiner vielen Diener sein Leibpferd satteln, was das Zeug hielt.

Denn an einem solchen Frühlingsmorgen ist der junge Gott in aller Blute gefahren und will hinausspringen. Und weder die arme Kuhmagd noch der sprödeste Monokelherr kann sich in solchen Augenblicken halten, nicht aus der Rolle zu fallen und heimlich zu simmsen, wie eine glückliche, junge Fliegenmutter.

So kam es also, daß der alte Edelmann, einer Derer von Bauchwitz oder Strauchwitz, der im Talgrunde weites Ackerland und Buschwerk und auch diese reiche Burg besaß, sich eilig in die höchste Turmstube begab, noch gleich im schlohweißseidenen, wattierten Morgenmantel überm seidenen Hemde. Und daß er dort oben nur ganz selbstvergessen lange ins Frühlicht hinaus und fern auf die ganz in Gold getauchte Koppe starrte.

Rübezahl haßte den Ritter.

Der alte Edelmann war als ein hoffärtiger, jähzorniger Herr bekannt, der die Fronen seines Gesindes hart eintrieb und Bürger und Bauern verachtete.

Rübezahl haßte ihn auch, weil er früh und spät auf den Beinen mit der Büchse beständig hinter den grazilsten Rehböcken und den königlichsten, alten Hirschen der Wälder herjagte, die er in ganzen Rudeln zur Strecke brachte.

Er hatte ihm schon während des letzten Winters einen Schabernack angetan. Hatte die Stäbe des hohen Lattenzaunes am Wildgarten nur so im kühnsten Sturmflockenwirbel in die Lüfte geführt und die eingegitterten Waldtiere in alle Winde getrieben.

Jetzt war neu Frühling. Und der gestrenge Edelherr stand im weißseidenen Morgenmantel bar und bloß in der Turmstube, starrte nur die weitschwingende Linie des Gebirges an, die wie ein fernes Schemen im blendenden Lichte lag. Und dachte: »Hinauf und hinan!« die Welt einmal aus der Höhe zu besehen, noch höher wie seine Burg und sein Herz.

Und wie der stocksteife Rittersherr im langen, grauen Spitzbart endlich in seiner leichten Ritterrüstung und Helmzier gestiefelt und gespornt auf der besonnten Freitreppe stand, lachte er zum ersten Male barsch hinaus, weil er in dem Burghofe ein ganzes Fähnlein bunter Reiterei in der Frühlingssonne seiner harren sah.

Ganz nur ausgefüllt von dem einen brennenden Triebe, hoch oben auf dem Riesenkamme mutterseelenallein durch die Frühlingssonnenwelt zu reiten, hatte er sich nur unversehens auf den Goldfuchs mit heller Mähne geschwungen. Hatte herrisch zurückgewinkt, daß die Schar Diener bliebe, wo sie wollte. War in die mächtigen Silberbügel gestemmt durch das Burgtor hinausgesprengt. Und war der alten Gräfin, die mit einem Fliederbusch im Goldhäubchen am offenen Burgfenster zu winken versucht, und der pikierten, runzligen Kammerfrau, die sich heimlich hinter eine Gardine gedrängt, bald aus den Augen.

Aber den Goldhelm des Herrn, auch wie er jetzt in die Bergschlucht hineinritt, umspielten bedenkliche Mengen schwarzer Schlänglein, all die Hartherzigkeiten, die ihm vom Tale nachflogen.

Schon das dörflerische Frühleben hatte den weiberlaunischen Grafen gleich in leisen Verdruß gebracht. Der Dunggestank und das Hähnekrähen mit dem wüsten Gekläff frecher Dorfköter war seinem tänzelnden Goldfuchse ein paarmal so nahe gekommen, daß sogar das frohe Pferd unversehens hinter sich geschlagen.

Und weiter oben hatten sich die Mienen des alten Ritters von Bauchwitz in noch unbarmherzigere Falten gelegt, weil der in seine Arbeit vertiefte, plumpe, gebeugte Ackersmann, der am steinigen Dorfhange mit einem Kuhpfluge Furchen zog, seines grundherrlichen Erscheinens und Vorbeireitens gar nicht achtete.

Aber oben lag der Frühling. Lagen die freien Hochmoore voll Glanz und Blumen. Ragten die Felsgetürme. Die spitzige Veilchenkoppe war nahe. Der beblühte Hang dehnte sich hinab. In der Morgenferne schwammen die bläulichen Bergwellen, in Tinten ganz weich. Zogen still der Sonne entgegen, die als Goldscheibe im Himmel hing. Und ein Rieseln und Flüstern in den Kammgräsern. Eine leise Pfeifmelodie um die Steinblöcke. So daß der verfinsterte Edelmann jetzt doch wohl oder übel die reine Sonnenluft eintrinken mußte.

Der alte Graf hörte das hohe, helle, jubilierende Klingen, das in den Lüften über den Kammwiesen wogte. War von seinem Goldfuchse ins Gras niedergestiegen, hatte sich die steifen Glieder grollend ausgetreten und hatte jetzt auch dem Luftsänger im blauen Himmel eine Weile zugesehen und zugehört. Freilich konnte niemand wissen, daß Rübezahl als dieser Steinpieper in den Lüften hing. Und daß der heimlich zitterte, dem hartherzigen Rittersherrn gerade jetzt ein Schnippchen zu schlagen.

Der Steinpieper war längst wie ein Pfeil ins Krummholz niedergefahren. Er ragte schon als hell besonnter Wurzelstock dicht neben dem Edelherrn aus der Erde heraus, nur gewärtig, daß sich der sorgenbefreite Mann mit der Helmzier endlich auf ihm würde behaglich zum Ausruhen niederlassen.

Aber da lag der blanke Rittersmann auch schon hinterrücks in der Moorlache drin.

Mitten in Moorzotteln. Ritterstab und weiße Handschuhe triefend schwarz.

Und der Herr rief natürlich kläglich nach seinen Dienern. Indessen der Steinpieper schon wieder sein höhnisches Gezwitscher in den Lüften hören ließ.

Und rings nur einsames, weites, buntes, steiniges Sonnenland. In allen Fernen keine Menschenseele.

Ein kleiner Erdmolch hob in der Nähe sein schwarzgelbes Köpfchen in die Luft und witterte. Aber der konnte unmöglich des besudelten Ritters Diener sein.

Da hatte sich der Graf zum Aufstehen aus der Pfütze und zu seiner Toilette schließlich selber bequemen müssen. Hatte sein Leibpferd persönlich herangeholt, gänzlich verbittert im Gemüte und hart die Lage verfluchend. Und hatte sehr spät den gespornten Stiefel wieder in den mächtigen Steigbügel hinaufgehoben.

Da bemerkte er plötzlich fern in den Kammwiesen eine unglaubliche Liebesaffäre.

Er stellte den Fuß noch einmal auf die Erde zurück. Und spannte gleich mit hartherzigem Blick.

Es konnte gar kein Zweifel sein. Dort hinten im Licht saß auf einer morschen Holzbank, halb hinter einem Krummholzbusche verborgen, ein krummrückiger, klotziger Bauernknecht, der Gott in diesem Lenzlichte mit Liebesgetändel den Tag abstahl. Gar kein Zweifel, daß sich hier oben vor des erleuchten Herrn Augen ein junger Kuhknecht aus dem herrschaftlichen Gesinde… mit wem?… der strenge Herr traute wahrhaftig jetzt seinen Augen nicht… mit einem jungen Adelsgespons im silberseidigsten Kleide Liebkosendes zu schaffen machte.

Da saß der jähzornige Graf plötzlich wieder fest auf seinem Goldfuchse angeklammert. Da hatte er dem frohen Tiere mit der hellen Mähne die Sporen nur so in die Weichen gehauen. Und schwang im jachsten Jagen gellend und pfeifend die langrollende Russenpeitsche, die er vor Aufregung kaum hatte aus der Sattelbandage lösen können. Ritt, als wenn er Rübezahls Isabelle selber unterm Leibe hätte, dröhnend über die Moorwiesen ins Weite.

Schrie in den Lüften Befehle und Flüche.

Ritt und ritt.

Brüllte und fluchte im wildesten Hinrasen über des niedrigsten Knechtes frechste Frechheit.

War in seiner ritterherrlichen, blinden Wut gar nicht mehr zur Besinnung zu bringen, obwohl der plumpe Bauer mit seinem Adelsliebchen nur immer wie der Sturmwind vor ihm her in die Ferne zog.

Und der bügelgestemmte, blankgepanzerte Adelshochmut wäre bis an den jüngsten Tag so in sinnlosem Wüten fortgeritten, wie der Mensch hinter dem Glücke her, wenn nicht Rübezahl selber die fliegende Luftjagd satt bekommen.

Bauer und Edelweib versanken plötzlich vor dem Grafen in ein Krummholzbuschwerk hinein.

Da dachte freilich der von Zorn und Schweiß rauchende Ritter die beiden erst richtig zu erjagen.

Er war im Fluge von seinem dampfenden Goldfuchse abgesprungen, Sumpflöcher und Blöcke und Knieholzäste wie ein langer, taumelnder Springer überstürzend, und wähnte sich endlich am Ziele. Zog die gewundene Knutenpeitsche hundertmal über den plumpen Rücken des verächtlichen Bauernklotzes und des ehrvergessenen Fräuleins her.

Hörte ihr greuliches Jammergeschrei.

Hörte zwar auch schon ein tolles Juchheen dazwischen. Und stockte.

Schlug noch sinnloser, und stockte wieder, die Augen weiter und weiter aufreißend, als seine Armkraft doch schließlich zu Ende ging. Und mußte nun erst erleben, daß nur zwei einsame, starre, graue Götzensteine vor ihm stumm und unschuldig in die Sonne ragten.

Da waren die Blicke des hoffärtigen Herrn scheu und erschöpft in sich hineingekrochen, und sein Gesicht war länger geworden wie so ein alter Granitklotz selber.

Vielleicht wäre da gar nicht mehr nötig gewesen, daß dem in seinen Grundfesten erschütterten Rittersherrn ein heulender Windstoß auch noch Bandelier und Helmzier samt der Knutenpeitsche vom Leibe gerissen und fortgetrieben.

*

Der alte Ritterherr von Bauchwitz soll an diesem Tage klein wie eine Mücke heimgekommen sein.

Nicht auf seinem Goldfuchse.

Den hat Rübezahl selber mit Geschrei wie ein richtiger Fuhrknecht über Stock und Stein zu Tale und in den Schloßstall getrieben.

Denn Rübezahl hatte den hochfahrenden Edelherrn doch in seiner Gutmütigkeit davor bewahren wollen, in der ganz demolierten und vernichteten Herrlichkeit durch das Schloßtor einzureiten.

Er hatte also den alten Grafen zunächst nur als Mücke auf einem Wasserstar festgehalten und ihn dann auf dem Zweige eines jungen Apfelbäumchens in den Bachwellen weiter zu Tale fahren lassen, ohne daß der Graf überhaupt dabei wußte, wer er war und wie das alles zuging.

Der hartherzige Edelmann war von diesem Frühlingsritt ganz wortkarg in seiner Burg wieder aufgetaucht. Er war aus seinen Gedanken seit der Zeit nicht mehr richtig aufzuwecken. Er war ganz kleinlaut geworden. Wenn er sprach, redete er ganz unverständliche Worte vor sich hin. Die Dienerschaft begriff niemals, was eigentlich passiert war.

Der Graf behauptete immer, daß er durchaus nicht mehr der Graf, sondern nur ein winziges Insekt wäre.

Das hat er sich weder von seinem Leibarzt, noch von seinen liebsten Verwandten ausreden lassen.

Mit diesem Worte auf den Lippen ist er auch dann sanft entschlafen.

Aber Rübezahl soll doch auch einen Kranz aus goldenen Krummholzzweigen selber auf des alten Edelmanns Grab niedergelegt und mit unerhörter Baßstimme unter der Grabbegleitung mitgesungen haben.

Wie Rübezahl wegen eines Stammvaters der Hechte Rache nahm


Drittes Abenteuer

Dieses Ereignis fällt in den Hochsommer.

Der Waldboden der Lichtungen hatte sich mit Weidenrosen, rot wie liebliche Frauenkleider, überwuchert.

Rübezahl trieb sich umher so recht wie einer, den die Julisonne nicht ruhen läßt.

Er rollte und rann, fauchte und tobte, pfiff und sang, tirilierte und wußte der lustigen Schwänke keine Grenzen.

Er kam unter dem Steingeröll hervor als braunkariertes Schlänglein, blickte mit tiefen Stecknadelaugen. Hatte dabei wohl eine blitzende Krone auf der flachen Schlangenstirn. Wand sich des Weges in Sonnenstrahlen. Schlang sich um Felsblöcke.

Und wenn ein Wandrer danach greifen oder gar schlagen wollte, wisperte das kleine Ding mit schwarzer Nadelzunge, als wenn es den ganzen Haß des menschlichen Störenfriedes sogleich damit aufspießen und durchlöchern könnte.

Mancher Roßtäuscher, der Koppelpferde von Prag die Bergwege nach Polen ritt, mußte auf der Hut sein vor seinen Streichen, die aus Boden oder Luft unerwartet aufwuchsen.

Der Herr der Berge kam auch wohl an solchem Sommertage auf seinem Bocke geritten, wild und mit Getöse, gleich wie ein ganzes Rudel fetter Sommerrehe kommt.

Und die Rosine Sender, die mit flatternden Röcken und aufgepluschtem Hemde, weil der Bergwind alles an ihr noch mehr aufblies, auf der einsamsten aller Bergwiesen stand und das lange Nadelgras samt den bunten Blumen in dünne Schwaden hinschnitt, hielt inne, wenn Gemecker hinter ihr hörbar wurde und die Steine aufsprangen. Sie wagte dann nicht, den Kopf zu drehen, weil sie genau wußte, daß der Meister Rübezahl mit einer Ritternase von einer halben Elle Länge hinter ihr vorbeistob.

Aber obzwar jede einsame Kuhmagd heimlich erbebte und sich nicht zu rühren gewagt, die vorher oben in der freien Sonnenhöhe ihr Lied geträllert: etwas Tolles hatte es dabei gewöhnlich doch gegeben. Und wenn es nur gewesen wäre, daß der vergnügte Bockreiter der Jungfrau mit der Sense einen verzwickten Ziegenbart an ihr sonnenbraunes Kinn angedreht.

Oder Rübezahl, der wie der Wind in Schluchten unten und oben in den Kammwiesen und an vielen Stellen zugleich wehen konnte. Auch auf den lichten, staubigen Landstraßen von Schmiedeberg nach den Grenzbauden. Oder im Dunkeltal, dessen Hütten jetzt sommerhell an den Hängen klebten. Rübezahl tollte in dieser Zeit als tanzendes oder widerwilliges Rad auf dem Wege nach Großaupa hinunter.

Tanzte, rollte, turkelte und lag. Erhob sich wieder, wenn der atemlose Rademacher es noch kaum zum Stehen gebracht. Ließ den Rademacher einherspringen. Oder lag plötzlich auch wieder als Zentnerlast am Wege und ging ebenso mir nichts dir nichts wie eine leichte Feder in die Lüfte fort.

Wenn so etwas geschah, wußte dann jeder Rademacher gleich, wer ihn an der Nase geführt. Und er wußte es auch, daß Fluchen und lästerliches Gerede die Sache nur schlimmer, nicht besser machte. Daß dann der Mensch nur stillhalten mußte, wenn er dabei auch seinen Atem aus dem Blasebalg beinahe ganz auspfiff. Da durfte keiner die Lammgeduld verlieren, wenn er nicht obendrein noch mit einem Ochsenkopfe statt seines eigenen in die Bergschenke eintreten, oder gar die Besinnung verlieren und unter einem stinkenden Ziegenkadaver auf einer Geröllhalde irgendwo sich wieder neu entdecken sollte.

So war es auch heute gegangen.

Rübezahl war im Tale gewesen.

Er hatte es umständlich erfahren, daß ein Troß hoher Herren im Gefolge des gräflichen Erbherren den schönsten Julitag nutzen wollte, um sich auf der höchsten Höhe über der Welt einmal richtig zu belustigen.

Damals hatte Rübezahl immer auch etwas zu streiten und zu hadern gegen die großen Herren, die ihm sein Revier von Jahr zu Jahr mehr und mehr zu beschränken suchten.

Deshalb stieg Rübezahl nicht etwa mit seinen langen Beinen selber wieder auf die Höhe zurück. Er war vornehm gelaunt. Er hatte sechs Isabellen aus den Lüften gerufen, um dem Erbherrn unten zu zeigen, daß auch er sich nicht weniger lumpen brauchte.

So fuhr er also mit sechs Edelpferden, hell wie die Sonne, mit blauen Schabracken und vergoldetem Lederzeug. Saß in der Kutsche. Lümmelte sich und lachte. Und strich seinen großen Försterbart.

Aber schon, wo der Weg in den Tabaksteig mündet, ärgerte ihn das Gerattere eines Topfwagens, den ein junges Gebirgsweib mit einem Hunde zusammen zu Tale zog. Und obzwar Rübezahl nicht gewillt war, dem versorgten, jungen Frauenzimmer Böses zu tun, da er es jetzt in Gedanken nur mit den hohen Edelherren zu tun hatte, so ließ er doch die Posaunensturmstimme einen Augenblick zornerregt aus der Höhe in die Töpfe blasen, so daß die junge Frau samt ihren Töpfen richtig ein Stück durch die Luft ging, und Töpfe und Teller wie beim Polterabend in tausend Scherben zerbrochen plötzlich am Wege lagen.

Das Weib stand freilich gleich danach wieder fest auf seinen Beinen. Aber mit jämmerlichem Geschrei. Nicht anders, als wenn der Satan selber ihr einen Possen getan. Erinnerte sich allerdings von ferne, daß sie grade vorher einen bösen, häßlichen Gedanken mit sich getragen.

Aber weil Rübezahl darin ein richtiger Weichquark war, daß er Jammergeschrei durchaus nicht ertragen, dann noch lieber den Schaden tragen wollte, hatte er dem Jungweibe seine Geldbörse aus seinem Wagen zugeworfen. Fuhr und fuhr den jähen Tabaksteig heilstoll hinauf. Landete an der Grenzschenke und machte da mit Wirt und Gesinde, mit der kleinen Kinderschar und Enten- und Gänse- und Hühnerschwärmen nicht viel Federlesens mehr, als wenn der Sturmwind sie alle in Ehrfurcht und Schrecken vor seiner Hoheit zu Paaren trieb.

Da sprang und wirbelte alles mit Käsen und Milchkannen, Rahmschüsseln und Schwarzbrot, mit Eiern und gebackenen Kuchen hin und her, als gälte es einen kleinen Herrgott selber eilig mit den schönsten Nährmitteln zu versehen.

Die sechs Isabellen standen vor dem Prunkwagen vor der Tür und scharrten.

Und man konnte denken, daß auch die gestiefelten Goldknechte, Diener und Pagen nur himmlisches Gesinde wären.

Es war Sommer.

Und sommers mußte auch der Rübezahl seinen Reisewagen schirren.

Rübezahl hatte natürlich bloß an ein flüchtiges Halten vor der Grenzschenke gedacht.

Ihn plagten längst allerhand andere Gedankenspäne. So daß er beim Verzehren des größten Eierkuchens in der Grenzschenke den Mund kaum auftat. Und daß er es nicht einmal fertigbrachte, seinen irdenen Teller in einen silbernen zu verwandeln. Und also der Teller halb noch im Irdenen steckenblieb. Bloß weil er es mitten im Tun schon vergaß, um zu tolleren Gedankenspielen überzuspringen.

Und dann war Rübezahl sogleich oben.

Oben am Rande des Koppenplanes.

Gar nicht mit Pferden.

Die Isabellen hatten gewartet wie genarrtes Brauervieh, wenn der Bierkutscher betrunken in der Kneipe lallt und duselt.

Sie standen und standen.

Und die gestiefelten Kutscher und Diener in Golddreß sahen und lachten einander nur an. Und gingen dann einfach in blauen Rauch auf.

Und der Wirt und die Wirtin sahen vor die Tür in den Sonnennebel, der fortflog. Bekreuzten sich. Und legten die Hand vor die großen Zähne. Denn sie begriffen den Zauber.

Rübezahl war glücklich an ihnen vorüber. Er hatte eine halbreife Kornähre mit vom Tale gebracht, mit der er beim Essen und während der Fahrt schon getändelt.

Nun fand sie die Wirtin noch auf dem Wirtstisch liegen. Und brachte sie gleich sorglich in ihre Hochzeitstruhe. Weil sie auch hier wußte, wie mit den scheinbar irdischen Geschenken Rübezahls behutsames Umgehen dringend gefordert war.

Und Rübezahl war jetzt also oben am Rande des Koppenplanes. Der Koppenplan ist wie ein großer Felstisch über dem Lande. So recht für die Tafel eines großen Herrn geeignet.

Rübezahl hing noch einstweilen als bloßer Gedanke mitten in verwehenden Sonnennebeln. Er war der Bequemlichkeit halber lieber gleich ganz ohne Sang und Klang hinaufgefahren.

Er hatte sich gewissermaßen völlig nur in den Gedanken verdichtet, wie er dem großen Herrentroß von unten ein wahres Sommervergnügen bereiten würde.

Aber weil ihm als bloßer Gedanke zu nackt und bloß zumute wurde, hatte er sich bald in eine kleine Spinne verwandelt, die wegen ihres dürren Leibes und ihres vertrackten Beinwerks mit einem Gedanken noch am meisten Ähnlichkeit mitführt.

Und Rübezahl lag ruhig in Netz- und Steinwerk und sah den Berg nach dem Melzergrunde hinab, wo sich der vornehme Troß prustend, aber bunt und wie ein Fasching blinkend und blitzend über Stock und Block mühsam emporhob.

Ich glaube, daß die Spinne ein feines Simsen wie ein höhnisches Spinnenlied vor sich hin tremolierte. So durchzuckte es sie durch alle Gelenkchen und Zängchen, sich mit den hohen Ankömmlingen eine Lust zu machen wie nur im Julimonat.

Zunächst muß man wissen, was und wie alles da unten in dem Trosse einherging.

Da kamen voran ein paar junge Pagen, die waren fast mädchenhaft wie Engel. Die sahen nie einander an.

Die sahen nur mit erhobenen Milchgesichtern und kirschroten Wämsern ganz ins Licht.

Ein jeder der Pagen trug in seinen Händen vor sich je einen Goldbecher: die Mundgefäße des erlauchten Herrn und seines hohen Vetters und Gastes selber.

Dann kamen acht Pagen als eine geschlossene Kolonne.

Die sahen nicht weniger goldig und weinrot aus. Hatten lustige Bandeliere um ihre Zipfelkappen wehen und trugen allerhand silberne Weingefäße und in prunkenden Kästchen gräfliche Silber- und Goldbestecke, die fürs Mahl oben auf dem höchsten Tische bestimmt waren.

Dann kamen ein Dutzend kirschrot und goldbefrackter Kammerdiener mit allerkostbarsten, weichen, wohligen Garderobestücken.

Denn niemand konnte an einem solchen Tage wissen, welche Laune den Erbherren und seinen erlauchten Vetter in den Höhenlüften anfahren konnte, daß sie wer weiß nach welcher Bequemlichkeit winken könnten.

Das waren ihrer schon an die zweiundzwanzig Diener.

Dann kamen inmitten von Korbträgern mit Speisen (an die dreißig Mann) eine Gruppe von vier Leibjägern und Hornbläsern.

Und hinter diesen drein schritt Meister Kaspar, der Mundkoch und oberste Küchenchef mit seinem Stabe von zwei Unterköchen und fünf lustigen Küchenjungen. Meister Kaspar zum Zeichen seiner Würde die goldene Suppenkelle in der Hand tragend, die für den Leibteller des Erbherrn und heute natürlich auch für den Teller des erlauchten Gastes bestimmt war.

Dann kam Eustachius Kahl, der weißbefilzte Benediktinerpater des Schlosses, der allzeit mußte in der Nähe sein, um dem gräflichen Herrn im Namen Gottes die Grillen zu scheuchen und das Herz leicht zu machen, wenn Gedanken an die Hölle oder das Fegefeuer in ihm auftauchten. Der aber jetzt nur redselig neben Herrn Anderckens, dem gräflichen Forstmeister, herging, obwohl beiden beim Steigen die Worte nur so vom Munde weg und in alle Lüfte flogen.

Diese beiden, der weiße Benediktinerpater und der grüne Forstmeister, lachten augenblicklich belustigt in den hellen Nebelzug, der über Geröllhalden her und über Geröllhalden weiterjagte. Und hinter ihnen drein schritten zehn Tafeldecker, in Weißleinen mit Kirschrot und Gold paspeliert gekleidet, die mit allerhand Kisten und Kasten voll Leinentüchern und schneeweißen Servietten sich tapfer mühten, die schweren Wäschepacken für das erlauchte Mahl endlich auf die immer noch nicht ganz erreichte höchste Koppenhöhe emporzuheben.

Wieviel hatten wir Leute?

Zwei. Und acht. Und zwölf. Und dreißig. Und vier. Und acht. Und eins. Und eins. Und dann die zehn Tafeldecker.

Das gibt erst sechsundsiebenzig männliche Wesen, die als Kranz und Umhang oben in den Lüften um zwei hohe Adelsherrn herumtänzeln und springen, herzuschaffen und hinwegschaffen, und auf den Wink auch lustig und toll sein sollten.

In Wirklichkeit müßten wir noch über weitere vierzehn Mann Rechenschaft geben.

Denn die Chronik erzählt, daß ungerechnet die beiden erlauchten Grafen, die jeder in einer goldenen Sänfte getragen wurden, und dem Herrn von Kollakowsky, einem polnischen Kleinedelmanne, und dann dem gräflichen Sekelbewahrer, der immer hinter des Erbgrafen goldener Sänfte herging und zahlreichen heiteren Herren der vornehmen Schloßgesellschaft »von des Hofstaats Untertanen, die Ihro Exzellenz als auch Provision und alle anderen Notwendigkeiten getragen, rund neunzig männliche Wesen«, bunt bewimpelt und betreßt, die Koppenhöhe am letzten Ende schon fast hinaufgestrauchelt wären.

Aber oben war warme Sonne.

Oben ging der Wind wie ein vergessener Maigesang, der sich kaum noch erheben will.

Oben hieß es herrlich hoch über der Welt.

Höher noch als des Pater Eustachius Kahl und des Meisters Kasparn sein Herz.

Oben waren die Lüfte rein wie Ätherglast.

Oben war man hoch über den deutschen Ländern. Sah, daß die Welt weit in die Ferne sich dehnte und nie sich greifen läßt.

Oben war die unermeßliche Glocke Sonnenlicht.

Und die Worte der Träger, die angesichts der erlauchten Nähe schon leise gingen, verwehten, als wenn hier nie mehr ein Wort einen hellen Klang gewönne.

Denn selbst als die vier grünen Leibhornisten des Grafen jetzt mit den Hörnern stolz in die Lüfte bliesen, weil die beiden goldenen Sänften endlich über den letzten Steinrand herüber auf die höchste Höhe schwebten, verwehten die gräflichen Fanfaren, als wären es Tonfetzen. Und als wären sie kaum je gewesen.

Alles lachte.

Alles war fröhlich.

Alles begann sich heimlich oder offen den Schweiß zu wischen.

Und besonders der Pater Eustachius ging zu Seiner Erlaucht, dem Grafen, mit breiter, geröteter Fülle und noch triefend im Gesicht und lobte die Welt Gottes um und um.

Oben war es herrlicher, als ein jeder gedacht hatte…

Oben lag Rübezahl als eine winzige Spinne am Steinklotz, hing im Netze und tremolierte sein Spinnenlied.

Man kann nicht ahnen, was so ein höhnisches Spinnenlied aus verhaltener Spottlust und Laune des Rübezahls bedeutete.

Da war es schon ein recht verwunderlicher Zufall gewesen, daß in die Vorbereitungen des festlichen Mahles, die Tafeldecker und Mundkoch, Heiducken und Kammerdiener, Pagen und Jäger jetzt eilfertig betrieben, indessen die hohen Herren sich selbst eigens die lahmgewordenen Beine austraten, weil derartiges unmöglich von Dienern besorgt werden konnte, eine jache Sturmhusche von flüchtigem Nebelwind einhergejagt kam, das größte Tafeltuch rücksichtslos von der Haupttafel riß und unter scharfen Flattergeräusch den Stein- und Geröllhang fliegend ins Weite führte. Alles lachte neu.

Auch die Diener durften jetzt ein wenig lachen.

Man rief dem flatternden Tuche Grüße nach aus gräflichem Munde. Und ließ ein zweites Tafeltuch an die Stelle rücken.

Aber Rübezahl kroch schon an Herrn von Kollakowskys Degengehänge herum. Und über dessen verschnürte, gelbe Uniform, die in der Sonne wie ein Stück Eierkuchen in der Pfanne schimmerte.

Und dann kroch Rübezahl auch am erlauchten Grafen selber herum.

Man konnte eigentlich schon jetzt auf eine Tollheit von ihm gefaßt sein, weil auch der Graf nach der Spinne schlug.

Auch der Graf war in schmucker Edelmannstracht. Sehr bunt, weil er jung war.

Er hatte ein Wams aus passiertem Blausamt mit Silberborten an. Den Degen an der Seite. Eine Mütze, die nicht weniger gereigte Falten hatte. Samt einer stachligen Feder, die hoch stand. Und Schuhe, die unter den weißen Wadenstrümpfen äußerst schlank und ganz spitzig waren, und die an diesem Morgen auch noch keinen eigenen Schritt getan hatten.

Jetzt sah man ein gemächliches und gelindes Stolzieren über Gottes weiter Welt. So daß ein jeder der Herren, die dieses weite Anschauen gnädig genossen, auch Koch und Tafeldeckern von oben zuwinkten oder dem ersten, besten Kammerdiener einen launigen Klaps auf die Backe verabreichten, als der den feinsten Stonsdorfer zur Stärkung vor die Edelherren trug.

Die Begleitherren bildeten unterdessen heitere Gruppen, die auch die Gläser schwenkten und der Bauchflasche Ehre taten.

Da hätte Rübezahl am liebsten gleich mitgetan, wenn er nicht in diesem Augenblicke hunderterlei Wünsche zu gleicher Zeit durcheinander gehabt. Denn er fuhr auch gerade aus der Spinne in eine Felsnase am Rande des Koppenplanes, die er wie ein Maulwurf sofort aufstieß. Und dabei passierte es, daß der brokatene Lehnsessel des Grafen, den man um der schönen Aussicht willen auf die vorragendste Stelle getragen, einfach den jähsten Hang hinab in den Riesengrund stolperte und sauste.

Heidi! Da gab es nun erst ein tolles Gelächter des Herrn Grafen selber, der ein »Fare well world« hinunterlachte. Und der nur lachend in die Runde sah. So daß auch die Diener und Begleitherren gleich wieder wagten, die ernster gewordenen Mienen zu beleben.

Aber der Rübezahl saß nur als Felsnase gemächlich hoch und starr und dachte sich noch immer sein Teil.

Man hatte Polsterstühle für die beiden Erlauchten und auch für den polnischen Kleinedelmann herbeigetragen. Die Tische begannen sich zu biegen unter den Schüsseln von Wildschwein und Pasteten. Von Hühnern und Turteltäubchen mit Trüffeln gefüllt. Von Galantinen aus jungen Häschen, die noch nicht ganz flügge waren. Von Bachforellen, die junges Grün in offenen Mäulern trugen. Von gebratenen Gänsen, kalt mit französischen Gelees garniert und gerösteten Austern. Von im feinsten Butterfett und indischen Gewürzen schwimmenden, gemästeten, provenzalischen Weinbergswachteln. Von Ziemern aus dem Riesengebirge, die mit Wacholderkraut gedämpft waren.

Und die Augen aller, vor allem auch des Paters Eustachius Kahl, und natürlich auch des Meister Kaspar, der während des eifrigen Tranchierens und Tuns seine Blicke über die Herrentafel schweifen ließ, begannen zu glänzen.

Die Augen der erlauchten Herren hatten sich von der Unendlichkeit der weiten, hochgewölbten Ätherglocke in Himmelshöhen endlich weggewendet.

Ihre Blicke begannen einen seligen und versöhnlichen, um nicht zu sagen einen menschlichen und irdischen Glanz anzunehmen, als endlich auch der Herr Graf selber mit seinem Vetter sich an der Tafel hoch über den deutschen Landen zum Essen einladend niederließ.

Der Forstmeister Anderckens mußte stehen.

Man stellte fest, er war der jüngste der Begleitherren.

Weil man ja doch den gräflichen Leibsessel schon vermißte.

Und auch Rübezahl war jetzt ganz auf der Fährte, wie er die ganze Sachlage zur Katastrophe bringen wollte.

Obgleich er noch immer nur als Felsnase dalag.

Er begann sich schon richtig in seinen Ärger einzuwühlen.

Schon die Wachtel- und Ziemergerichte begannen sein väterliches Bergherz in eine gelinde Wut zu versetzen. Und so versuchte er es mit dem ersten wirklichen Präludium.

Er pfiff im Reigen, wie dreißig Nebelfrauen nicht pfeifen können. Pfiff eine schnöde, zischende Weise. Als wenn sich Peitschen um die Koppenluft aufrollten und sie schrillend zerschnitten. Stieß dem erlauchten Herrn derartig mit der Windfaust heftig ins Gesicht, daß dessen Monokel ins Essen flog. In eine kalte Schildkrötenbouillon. Und weil der Herr Vetter grade ein gesplittertes, leichtes Backwerk in den Mund schob, riß er ihm das vom Munde weg und schüttete die Krümel auf die fette Poularde des gräflichen Tellers.

Das Tafeltuch, ob es gleich angezweckt war, begann sich gleichzeitig zu erheben und zwischen den üppigen Schüsseln mächtig aufzublasen.

Alles schon recht verheißende Dinge.

Aber es schien noch immer wieder die ruhige Sonne.

Man fing an, die schäumenden Weine aus Frankreich in den Silberbechern zu schwenken. Der erlauchte Herr erzählte leutselig von »höchsten« Mahlen.

Er erinnerte sich daran, daß jeder Mensch einmal einen höchsten Tag erleben müßte.

Er wurde feierlich.

»Einen höchsten Tag wie heute, auf höchster Höhe im Lande!«

Er trank seinem Vetter gnädig zu. Indem er gleichzeitig lachte und zum Zeichen, daß auch die anderen alle sich bei seinen Worten erheben sollten, erhob er sich von seinem Polsterstuhle.

Er erinnerte daran, daß einmal Einer Derer Von sich auf einem Kreuzritterzuge auch auf dem Sinai derart umgesehen.

Er behauptete: »Nur im Traume gibt es solche Gastmahle, die hoch und Gott näher gegessen würden!«

Er wurde immer feierlicher. Sprach schließlich mit einigen Tränen, so daß auch die mädchenhaften Pagen, die hinter den Stühlen standen, ernstlich gerührt, Tränen bekamen.

Aber da brachte man gerade einen gewaltigen Hecht an die Herrentafel.

Er war auf dem großen Feldherde sorgfältig gebraten worden, den man an einer Ecke des Koppenplanes für einige Leibgerichte des Erbherrn, besonders für diesen Hecht à la Beranger hatte aufrichten müssen.

Und da mußte man erleben, daß sich in diesem Augenblicke, wie man den Hecht von der Platte nahm, in den Lüften ein Tirilieren wie aus tausend spitzigsten Flöten hören ließ. Der eiserne Kochherd, noch mit dem brennenden Feuerbauche, sich hoch in die Lüfte aufhob. Wie ein kreiselndes Frauenzimmer mit steifendem Reifrocke nicht etwa zu Tale, sondern hoch und höher in den Himmel ging. Und endlich als lachendes, feistes Mönchsgesicht mit blökender, goldener Zunge und schließlich als Punkt entschwebte.

Das wäre an sich schon genug gewesen.

Wenn nicht der Spuk gleich noch toller ins Breite gegangen.

An der Tafel erinnerte man sich, als besagte Lufterscheinung hochfuhr, freilich noch immer lüstern des Hechtes, den man grade vor den erlauchten Herren niederließ.

Des Hechtes, der so stolz mit grünen Reisern und den schönsten Weidenröschen besteckt aufgetragen wurde.

Und zu dessen Triumphe sogar jetzt die vier grünen Jägersleute doch wagten, ihre schmetternde Musik in die Lüfte hinauszustoßen.

Aber mit dem Hechte hatte man etwas Gehöriges angerichtet.

Man muß nämlich die Geschichte des Hechtes kennen.

Der Hecht war ein alter Urvater der Hechte im Riesengebirge.

Man hatte ihn in einem entlegenen Teiche im Walde gefangen, den man ewig in Ruhe gelassen. Irgendwo nahe am Gebirge. Unter Schmiedeberg. Natürlich innerhalb der gräflichen Herrschaft.

Der Hecht hatte seltsame Wammen und Auswüchse um den Hals und am Leibe. Auf seinem Kopfe war auch Moos gewachsen.

Seine Augen hatten scharf und überlegen in die Welt der Fische und des Wassergewimmels hineingesehen.

Er hatte sogar auf seinem Kopfe in Moos verklebt einen Kieselstein. Und es war ihm dazu eine Art kleines Geweih auf der Schädelplatte gewachsen. So daß man es ihm wirklich ansah, daß ihn die Natur zum Häuptling oder König unter Seinesgleichen ausgezeichnet hatte.

Jetzt war er zentnerschwer von mehreren Dienern gleichzeitig auf einer extra dazu verfertigten Silberschüssel aufgetragen worden.

Es ziemte sich also auch diese strotzende Totenmusik.

Der Hecht war ein Kapitaltier. Hatte hundert Jahre und mehr auf seinem Rücken.

Die Flossen schienen allen gleich von Golde zu schimmern.

Und wie man ihn vor den Grafen hinstellte, deuchte es allen, als wenn er nicht nur ein kleines Geweih, als wenn er gleich eine stachlige Krone trüge.

Dann begann ihn der gräfliche Vorschneider, endlich ganz wieder beruhigt, vor seines Herrn Auge mit einem riesigen Silbermesser mitten zu spalten.

Aber da hörte man es schon, daß die Ohren der Hörer lang und länger wurden.

Da hörte man schon, daß eine ungewöhnliche Baßstimme im Bauche des Hechtes ein freches Grölen ertönen ließ.

So daß allen an der Tafel die Ohren richtig sichtbar voreinander länger wuchsen.

Und daß der Forstmeister Anderckens, der sich schon ein neues Besteck und einen extra großen Teller hatte reichen lassen, weil er stand, Teller und Besteck einfach achtlos auf den Steinboden klirren ließ.

Denn jetzt, wie man die Hechtseiten auseinander legte, sah man da plötzlich ein Wesen, ein unziemlich nacketes, unappetitliches Ding, lang wie ein Bratenspieß und zierlich, das sich aus dem Bauche des Hechtes gewandt aufhob, richtig einen jämmerlichen, kleinen Lausekerl, der wütend aus vollem Halse froschmäulig in die Luft hinausschrie: »Bonus dies, ihr Herren… wie gefällt euch der Hecht?«

Von der Zeit an ging da alles nur noch wie ein wilder Orkan und reißender Wolkenbruch.

Nebelfrauen durchgackerten die Lüfte wie Gänse. Die gebratenen Hühner auf der Tafel fingen an mit den Flügeln richtig zu gestikulieren. Die gebratenen Wachteln hupften mit ihrem Puttperwutt einher. Fuhren den Herren barsch um die Ohren, noch triefend von Bratenfett. Und die Weinflaschen standen mit ihren entkorkten Köpfen, als wäre ein ganzer Verein Sangesbrüder entstanden, die das Beleidigendste vom Tollen herausbrüllten.

So daß schließlich nichts mehr da war, einem gräflichen Mahle auf Himmelshöhen ähnlich, sondern nur ein finsteres, rauchendes Sabbattollen im Gemüllhaufen der Hölle, das Lebendes und Totes, alles in seine Wirbel zog.

Die Herren riefen nach ihren Dienern.

Aber die Diener konnten auch nur vergebens nach ihren Herren rufen.

Meister Kaspar und seine Küchenjungen schienen frei in den Lüften zu hängen, die Beine nach oben. Von den Schüsseln konnte man wähnen, als wenn sie die Leibjäger oder Heiducken, während sie selber Kapriolen schlugen, mit verzerrten Gesichtern in die Abgründe entleerten.

Es gab da weder unten noch oben.

Allen war auch so, als ob sie ohne Beine durch den Luftraum flögen. Als wenn sie sich müßten bis ans Ende der Welt im Wirbel drehen.

Das Tollhaus von Tönen nicht mitgerechnet, das losgebrochen war. Als wenn sich der kleine Lausekerl aus dem Hechtbauche vertausendfacht hätte. Den Herren aus allen Lüften fortwährend jetzt in die Ohren gellte.

Und den Herren auch die Ohren, wie es ihnen deuchte, bis hinauf an den Himmel, und die Nasen und Lippen bis an den Nabel der Welt hinunterzerrte. Bloß, um mit ihnen den tollsten Sommerspaß zu treiben.

Alles lag herum. Oder taumelte herum. Alle wußten gar nichts. Der Rübezahl hatte sein Mütchen gekühlt.

Dem jungen Grafen hatte man müssen Siegellack auf die nackte Brust träufeln, damit er wieder atmete. Und man hat dann den Erbherrn und auch den Herrn Vetter in den goldenen Sänften nach Haus gebracht.

Nicht tot, aber liegend. Und erst nach einigen Wochen wieder ganz entlastet.

Nach diesem Abenteuer war es kein Wunder, daß der Graf, wenn er nachmals aus seinem Schlosse die Koppe von Goldketten umhangen vor dem Frühlicht aufragen sah, oder wenn der Berg von feinem Rosenschimmer übergossen im Abendlichte schwamm, jedesmal zu seinem Leibjäger, der das Geheimnis auch kannte, lachend sagte: »Bonus dies, Ihr Herren… wie gefällt euch der Hecht?«

Ein Herbstkonzert Rübezahls


Viertes Abenteuer

Allezeit war Rübezahl auch ein Goldmacher. Heimlich in den heimlichsten Schlupfen natürlich.

Wo sollte auch das schnöde Gold herkommen, um das alles Spiel des Lebens geht? Und solange es Carl Duisberg in Leverkusen noch immer nicht auf chemischem Wege erfunden hat.

Was so an goldenen Waren im Riesengebirge früher in den Hochzeitspinden der jungen Weiber oder als goldene Kegel oder als goldene Ruten in den Truhen der Drechslergesellen und Schustergesellen lag, was der Bauer an seinen Wagenrädern noch an Goldblättern daheim sammelte, wenn er auch freilich aus Dumpfheit und Faulheit den Hauptblättersegen, der ihm seinen Wagen beinahe eingedrückt, schon vorher abgeladen hatte, das alles erzählt die Chronik.

Denn Rübezahl war niemals ein Wesen, das seine ausbündigen Launen unbezahlt und unvergolten ließ.

Diesmal übrigens waren in Forstlangwasser, einem Gebirgsneste für zwei dreiviertel Bauern, die dort in drei einem halben Häuschen ganz an der Schattenstelle lebten, die Kirschen so groß geworden wie Preiselbeeren. Und man freute sich, daß der Herbst kam.

Und da es im Riesengebirge zwar keine Krösusse gab, die zu ihren Festen luden, so gab es doch immer Wirte, die etwas anstellen mußten, damit die Leute in Freudenlaune kamen und dächten, sie wären nicht bloß zum Essen und Trinken, sie wären auch zum Tanze und Juchhegeschrei in die Welt gekommen.

Die Zeit der Kirmes war da.

Polnische Schalmei- und Dudelsackleute, mit einem schwerfälligen, braunen Bären am Stricke hinter sich, waren aus dem Jammertal oder Armenruh, wie Schreiberhau damals hieß, Schritt für Schritt aufs Gebirge hochgestiegen.

Und oben standen die polnischen Musikanten, sahen tief unten die ferne Welt. Sahen Opalglanz die Täler füllen. Sahen in dem Opalglanz auch die Stadt Hirschberg halb versunken. Und darüber bis in den Ätherhimmel hinauf schillerten rubinige Tinten, so warm und rosig wie nur einer himmlischen Frau Wangenhaut, wenn sie vor tausend Engeln im lichten Himmelssaale die Cour hält.

Die Polen schleppten auch Brummbaß und Fiedel, hielten die langen Schallröhre in den Arm gepreßt und wollten zur Baudenkirmes. Sie wanderten ganz langsam. Der braune Bär grunzte beständig bei jedem Schritte.

Sie lebten ewig auf der Wanderschaft. Und strebten jetzt, wo es gegen den Abend ging, der Wiesenbaude zu. Sie wollten auf solchem Umweg dann weiter ins Böhmische hinein wandern.

Da war es in dieser Abendstunde schon ein gemachter Spaß, daß den Schalmei- und Dudelsackleuten ein junger, selbstherrlicher, sehr gewiefter Student aus Hirschberg, David Hollatz, des Apothekers Sohn, frisch schreitend nachkam, der an der Universität Wittenberg Jus studierte.

Der hatte auch eine schwirrende Laute bei sich. Und er bildete sich auf seine Lautenkunst besondere Stücke ein. Liebte es auch, davon vor fremden Leuten, die er in der Welt antraf, reichlich Gebrauch zu machen, um ihnen mit Sang und Spiel von sich den gehörigen Begriff zu geben.

Der hatte auch nach kurzer Bekanntschaft, und weil die Polen nicht recht Deutsch verstanden, bald die Laute aus seinem Felleisen herausgeholt, um die letzte, steinigste Wegstrecke kurz zu machen.

So zog bald die ganze, kleine verwegene Horde mit ihren Wimmerhölzern und Blaseröhren, lahmend und stolpernd, hinter dem schwärmenden Lautenspieler her, dessen Weisen freilich in den sonnigen Abendlüften hoch oben auf dem Kamme sich gehörig zerlösten.

Zerlösten. So muß man es nennen.

Denn allen erschien es gleich sonderbar, als wenn die Töne der Laute nur ganz in einem Wasserglase eingeschlossen wären oder aus einem Berg voller Watte heraus summten. Obgleich nicht ein Hauch die weichen, rubinigen Abendlüfte bewegte, in denen sie hinschritten.

Aber wie sie so mit kaum hörbarem Klingen auf dem freien Plane vorwärtszogen, kam ein verwegener Bauernkerl, wirr behaart bis zur Nase, mit einem mächtigen Wurzelstecken in massigen Händen, von irgendwoher plötzlich in ihre Wege, der ganz in sich eingekrummt und eingesunken fürbaß schlupfte. Es war an einem Kreuzwege.

Und weil die Polen und der voran spielende Jusstudent keine hinreichenden Erfahrungen in der einsamen Höhe besaßen, war das Musikantenvolk gezwungen, einen Augenblick das Tirilieren einzustellen, den unheimlichen Landbart aus seinen Träumen zu wecken und ihn nach dem richtigen Wege zu fragen.

Der verrunzelte Ackerkerl hatte sich durchaus für keine Kirmes angetan.

Er mochte so mir nichts dir nichts von Stall und Misthaufen davongegangen sein.

Er stand im groben, schmutzigen Lotterhemde. Trug abgewetzte Lederhosen. Schlurrte in vertretenen, alten Holzpantinen. Stand ohne Mütze mit richtig verhudeltem und verfilztem Braunhaar, fast als wenn er ein verbohrtes, irres Wesen verschlösse.

Aber der Sonderling sah jetzt doch in die Gesichter der Fragenden hinein, begann aufzuwachen. Hörte den braunen Bären grunzen. Merkte, daß der Wind ganz leise um die Steinblöcke pfiff. Sah auch blaue Enzianstauden ein wenig blattvergilbt im Abendlichte schimmern. Besann sich, daß er irgendwo zwischen dem großen Teiche und der Wiesenbaude war. Und trieb dann das Gauklergesindel mit dem säuselnden Studenten an der Spitze zur Eile an, wenn sie noch vor Dunkelheit in der Baude Unterkunft finden wollten.

Danach raste er freilich gleich, fast schien es mit Meilenpantinen, mit einem unheimlichen, windigen Sausen nach der Gegenseite weiter.

Aber er mußte bald zurückgebogen sein.

Ehe sich die Kirmeswanderer in ihrem Weiterstapfen versahen, war er von hinten neu an sie angefahren, um sich in dieser abendlichen Einöde eine Vergünstigung von ihnen zu erbitten.

»Vergebt mir«, sagte er wie eingeschüchtert, »daß ich Euch, der Ihr wohl ein Student der Rechte oder sonst ein weiser Grünschnabel sein mögt, um eine Liebe bitte… denn eine Liebe ist der andren wert.«

Und damit betrachtete er den Jusstudenten mit scharfem Funkelauge.

»Ihr seid doch aus Hirschberg… man sieht es Euch an der Nase an… und werdet es auch nicht anders tun, als in Wittenberg zu studieren… wo Meister Luther die Thesen schrieb!«

»Euer Diener, Monsieur!« sagte der Jusstudent sehr gefällig und im Selbstgefühl. »Ich bin hierher gekommen, um dem Herrn des Riesengebirges eins vorzuspielen und meine Kunst vor ihm hören zu lassen!«

»Nun… das tut nichts!« sagte der Bauernkerl ziemlich gleichgültig. »Wenn Ihr auch noch soviel Rechte auf Eurer Seite habt… Spielen ist Spielen… und ich muß auch einmal Eure Laute probieren!«

Und damit nahm er dem jungen Frischling das Lautenband über den vollen Haarschopf. Denn dessen Hut begann ein Windblasen eben weit in die Lüfte weg zu entführen.

Aber das achteten jetzt weder die Polen noch der Student selber, weil sie der wüste, verhudelte Lumpenbauer schon völlig im Banne hielt.

»Bitte!« sagte nur der zwanzigjährige Nasehoch und dachte bei sich in seinem Dünkel:

»Spiele nur immer, du mistiger Kärrner… ich habe die Laute auf mein Herz gebunden… und du willst mit deinen Schmutztatzen über die feinen Saiten fahren… das gibt ein Vergnügen!«

Und die Polen und er und auch der braune Meister Petz stellten sich in die Runde, des Spiels gewärtig.

Da kam es freilich gleich gehörig.

Der Bauer trug über dem sudligen Hemde die verfilzten Haare in dicken Strähnen um die Stirn, so daß die Augen fast bedeckt waren.

Aber man sah doch, wie er jetzt die Augen ganz zuschloß, um die Saiten abzufühlen und die Schwebetöne lebendig in die Abendhuschen des Kammes und in die Schimmer des Glanzes auf Stein und Gräsern hineinzujagen.

Gleich klang es hell. Gleich klang es wie loses Singen.

Gleich klang es, als wenn diese Töne mit den zitternden Halmen tanzten.

Gleich klang es, als wenn dieser Töne Gesponse die Windpfeifen wären, die nur immer geordneter um sie zu singen begannen.

Gleich war es auch, als wenn die Steine rings heimlich erwachten und Augen bekämen. Obgleich das nur vom letzten Sonnenglühen ein Schein war.

Und es war allmählich, wie wenn der große Viehkerl in sich kröche unter seine flatternden Haarwülste. Und als wenn er sich immer unheimlicher in sein selig erwachtes Konzert verlöre, darein jetzt auch der Abendstern wie eine helle Obermelodie jach hineinsprang.

Da war schließlich alles, was in der weiten, einsamen Berg- und Himmelshöhe ragte und hauchte und glühte, als seliger Ton in seine Abendmusik geklungen oder gar als Saite auf seine Laute gesprungen, sobald eine Saite gerissen war.

Da war dem Studenten sein Jus vergangen. Sein Hochmut flog wie ein goldener Strohhalm im Winde fort.

Da standen die polnischen Gaukler mit ihren Brummhölzern und ihrem Dudelsack. Und reckten die Schalmeien. Und begannen im Chore mitzutun, darein der wackelnde Hudelkopf den Takt nickte, obwohl er am Ende immer kleiner in sich hineinsank, je mehr die Nacht über die weiten Bergwiesen hereinbrach.

So hätten sie alle sicherlich noch um Mitternacht gestanden und hätten dem weiten Sternenhimmel ihre selige Chorweise anbetend und gehorsam vorgetragen, mit den Steinstimmen und den aufgesperrten Herbstblumenmäulern um die Wette, unter dem schwelgenden Vorausschritt der Abendsternstimme, wobei die Laute des Studenten in den plumpen Bauernhänden doch immer die taktgebende Führerin blieb, wenn nicht auf einmal eine gellende, schwüle Stille mit einem heißen Lufthauche eilig über den Kamm gefegt wäre. Alles um sie geschwiegen hätte. Nichts sich mehr zu rühren gewagt. Polen und Student wie aus einem glückseligen Schlafe allmählich ganz aufgewacht wären. Und zu ihrer Erstaunung auch gleich noch entdeckt hätten, daß der Hudelkopf des unheimlichen Meilenschreiters vor ihnen ganz in den dicken Felsklotz hineingekrochen war.

Da besannen sie sich voll.

Gingen nur stillschweigend weiter der Baude zu.

Der Student schwieg am tiefsten.

Die Polen mußten jetzt den Bären hart antreiben, der zu der Höhenmusik anfangs richtig mitgetanzt, und dann von dem tollen Drehen müde mit triefender Zappelzunge sich einfach wie ein hetzender Hund hingeworfen. Und der noch immer am liebsten nicht vom Flecke ging.

*

In der Wiesenbaude saß ein Hochzeitspaar. Dürftige Leute unten aus dem Tale, die vielleicht diesen einen Tag heute und nicht wieder im Leben mit Kränzen geputzt waren.

Und heute hatte der Schuhflicker auch die Ehre durchaus nicht lassen wollen, als ein Herr in Bekränzung neben dem bekränzten Weibe in einer bekränzten Kutsche vor das Kirchentor zu fahren und nach der kirchlichen Zeremonie auch noch den Dorfweg bis an eine höhere Stelle aufs Gebirge hinauf, um sozusagen die Straßengänger einmal von höher herab stolz anzulächeln.

Die Brautleute, Trauzeugen und Brautjungfern, eine winzige Schar, hatten dann den Fußweg bis zur Baude gemacht, hatten juchheit und Lieder gesungen und waren auch vom reichlichen Branntweintrinken unterwegs schon launiger als nötig in die Baude eingekehrt.

Nun sahen sie die stutzigen, schweigsamen Polen, einen nach dem andern, und dann auch den schweigsamen Studenten in die Baude eintreten.

Das gab vorerst ein tolles Grölen, ein Umarmen wider Willen und Durcheinander-Gestikulieren mit allen Körpern und Gliedmaßen.

So daß die junge Frau im Myrtenkranze ihren Schuhflicker und die Brautjungfern ihre Lieblinge am Arme wieder auf die Ofenbank und auf die Seitenbänke reißen mußten, ehe man begreifen konnte, was eigentlich los war.

Selbst dem Bären, der nur in der offenen, niedrigen Stubentür stand, war das Gezeter und der Tumult zuviel geworden, so daß er eine mächtige Grunze erschallen ließ, gleichsam als wenn er endlich gebieterisch Ruhe in die Stube brüllte.

Und da hatte alles vollends einmütig gelacht. Und es war wirklich still geworden.

Aber niemand wußte, daß auch schon Rübezahl wieder in der Baudenstube anwesend war.

Niemand hatte den räudigen Bauern in den hintersten Ofenwinkel auf die hinterste Bankecke schlüpfen sehen.

Alle dachten jetzt also nur an Tanz, aber keiner an Spuk.

Und niemand ahnte auch nur den geringsten Zauber, als der verrunzelte und verfaltete Puschelschädel jetzt von seiner Ofenbank aufstand und als erster zum Tanze bat. – Wen bat?

Den Bräutigam um die Braut bat.

Und gleich mit ihr tanzte, als wenn er der gemachte Tanzmeister wäre.

Sausend tanzte wie ein Quirl. Und herumschlüpfte, als wären die tapferen, schweren Holzpantinen eitel Schuhe aus weichem Samte.

Da begann man bald allerseits die Holzdiele zu trampeln.

Da stampfte und schob man durcheinander.

Da schwangen sich die dick gestopften und gefalteten Frauenröcke.

Da flogen buntseidene Haubenbänder den Frauenzimmern im Nacken.

Und die Mannsleute tumultuierten mit Armen und Beinen in den Lüften und juchzten und schrien, daß man nur lange ein wirres Nebelbild sah. Und vor aufgewühltem Staube in der kümmerlichen Spanbeleuchtung über dem Tische und in Ofennähe kaum atmen konnte.

Und gleich zu Anfang des ersten Bauerntanzes mochte schon der tanzenden Braut eine Verwirrung kommen, weil sie nicht anders tanzte, als wenn der schmierige Lodenkopf, der sie jetzt fest im Anne schwang, ein vom Himmel gefallener Engel wäre. Da sie nicht aufhörte, sich immer lächelnder und lieblicher zu drehen. Immer weniger ein Ende fand mit dem wahnsinnigen Wirbeljagen in dem niedrigen Holzgeräume. Und dieses einzige, verwegene Paar schließlich durch alle sonstigen Paare wie sinnlos von Ecke zu Ecke unaufhaltsam hindurchstob.

So ging es bei der aufgescheuchten Polenmusik eine lange Zeit.

Und je mehr die Manns- und Weibsleute in die Branntweinflasche sahen, wurde es immer gefirrer.

Bis aus der einen Stubenwand, die mit Brettern verschlagen war, vor die myrtenbekränzte Braut, die einst im Armenhause in Laus und Lumpen gelebt, plötzlich ein junger Mannesengel feierlich und steif heraustrat, der ihr ein blutrot funkelndes Granatband rechts und links um jedes dicke Handgelenk befestigte.

Der ihr auch liebreich lachend um den derben Hals eine Kette aus dicken, weinroten Steinen herumlegte.

Unterdessen aus den anderen Holzwänden, weil der Dungbauer wieder mit der Faust dagegen geschlagen, schon zwei herrliche Frauenzimmer, wie junge Gräfinnen oder auch Engel in Goldgewänder gekleidet, kamen, die auf Tabletten Silberbecher trugen und im Schoße purpurne Rosen. Diese Erscheinung wollten alle gleichzeitig gesehen haben.

Und alle sahen auch jetzt, daß Arbeitsleute Weinfässer hereinbalancierten, die zwar hohl und leer klangen. Aber aus denen trotzdem, als der filzige Bauernkerl mit dem Blechbecher darauf schlug, wobei der Blechbecher übrigens zu einem Kuchen verflachte, klarer Wein in Strömen herausfloß, gleichsam als wäre man nicht im Armutslande, sondern in die Nähe der Weinberge von Samaria aufgestiegen.

Da hatten die Leute plötzlich auch untereinander Dukaten statt Groschen aus allen Westen- und Hosentaschen herausgeholt.

Die Braut hatte ihr Wunder, ihren Bräutigam aus dem Edelmannswirbel, und der Bräutigam seine geputzte Kuhmagd aus dem Gewimmel von allerhand kostbaren Weibsbildern herauszufinden.

Das ging so fort, bis die Augen aller Hochzeiter und Kirmesgänger samt den Augen der Polenmusikanten irgendwo innen auf oder unter Stühlen und Bänken oder draußen um das Haus in den nahen Steinhalden jäh zugeklappt, und auch die rauchigen Spanlichter, die nur lichte Sterne noch aus Glasblumen geschienen, eines nach dem andern müde geflackt hatten und erloschen waren.

Nur den Bären, der im Stalle an der Kette gelegen, hatte das unheimliche Nachtgetümmel in der Baude ganz um den Nachtschlaf gebracht.

Und auch der Jusstudent hatte sich nach kurzem Imbiß schon gleich am Abend wieder aus der Baude in die nächtliche Bergwelt hinausgeschlichen.

Der saß jetzt am Morgen noch, wie er im Sinnen über die rübezählische Musik die Einsamkeit gesucht und sich unter dem weiten Sternenhimmel auf einen Steinklotz im Flechtengetrümmer niedergelassen.

Der saß noch im Morgenlichte wie ein schweigendes Steinbild.

Starrte nur nach Osten und wartete auf Rübezahls Morgenkonzert.

Aber das Gebirge lag menschenleer. Lag ganz einsam. Hob sich wie am ersten Schöpfungstage schimmernd hingebildet aus den Nebeln, die die Täler deckten. War nur leise um Halm und Stein umflüstert von Windstimmen. Weil Rübezahl den Tag vorher genug getanzt und getrunken, konzertiert und gelärmt hatte und endlich einmal Ruhe brauchte. Niemand konnte ahnen, wohin er an diesem Morgen zum Schlafe verschwunden war.

Fünftes Abenteuer

Es wurde von der Spinnerin Zeit schon wieder einmal der Herbst abgespult und auf dem Rade versponnen.

Oben über die Kammwiesen fauchten Sturmstöße wie aus hohlen Hörnern. Und unten trieben Windhuschen die Streu von den Scheunen der Dorfleute hoch und jagten sie im Kreise.

In den Dorfangern hingen die Aste der Obstbäume kahl zur Erde. Und da und dort hörte man den Zweischlag von der Tenne.

Im Hirschberger Tal hatte es einen verspäteten Nachsommer gegeben. So daß vor dem Häuschen des Lehrers in Warmbrunn noch im Oktober ein Rosenstock halbgeöffnete Knospen trug, obgleich die Blätter schon staubig und vergilbt waren. Und Rübezahl war aus den fliehenden, pfeifenden Höhen lieber mit allerlei Kräuter- und Wurzelwerk zu Tale gefahren, um sie unten in den Dörfern und in der Stadt an die Hausfrauen zu verhandeln.

So war Rübezahl schon, frech wie er manchmal das Leben nahm, mit seiner vertrackten Bockskarre den letzten Viehweg niedergebogen und hatte in Arnsdorf einen ziemlich täppischen Bauersmann und dessen pfiffigeren Bruder begegnet, der aus Breslau zu Gaste gekommen war.

Die beiden sprachen auf ihrem Dorfwege zur Schenke grade sehr aufdringlich laut von Rübezahl. Und der städtische Handwerksgeselle, der sich im Dorfe natürlich doppelt geschniegelt und gebügelt trug, verriet unter farigem Gelächter eine unverschämte Sehnsucht, endlich einmal Rübezahl in selbsteigener Person sozusagen von oben bis unten und vorn und hinten aufs Korn zu nehmen.

Da hatte Rübezahl, jetzt in der Art als gebückter Kräutermann hinter der Bockskarre schiebend, flüchtig Lust gespürt, diesem Stänker aus der Großstadt gleich das wahre Gesicht seiner Laune von hinten zu zeigen.

Während er also unter seiner großen, grünen Schirmmütze scheinbar gleichgültig bei den beiden Dickköpfen vorbeiratterte, standen die erschreckten Landleute auch schon wie gebannt vor einem kahlen Apfelbaume jenseits des nachbarlichen Lattenzaunes, weil in dessen Baumzwiesel ein Mensch oder sonst ein frech entblößter Unhold soeben sich präsentierte, als wenn ihm weniger an der schönen Aussicht von vorn, als vielmehr daran gelegen wäre, den großmäuligen Filzen Drang und Not der innersten Eingeweide von hinten vorzukonzentrieren.

Einen Augenblick war dabei den beiden dummgemachten Bauersleuten wahrhaftig nicht geheuer.

Indessen hatte der eilig fortschlurende Kräutermann mit seinem sonderbaren Gefährt voll Kräuter- und Wurzelwerk längst vor der Warmbrunner Apotheke und später in der Kunnersdorfer Ortsbrauerei haltgemacht.

Und schon dort hatte der unheimliche Alte, als er noch immer mit seiner großen, grünen Schirmmütze am Wirtstische saß, tüchtig Lärm geschlagen, weil er drinnen in der Schenke auf einen weißhaarigen Leiermann, einen einäugigen und einarmigen Krüppel aus dem verwichenen, großen Kriege gestoßen war.

Da hatte sich Rübezahl mit seinem eingeheimsten Gelde sofort als rechter Zechbruder aufgespielt. Und war sogar nach der kräftigen Erbssuppe voller Schweinsohren, die er mit harten Zähnen nur so ganz hinuntergeknorpelt, auf die Idee gekommen, mit dem krüppligen Lumpenmanne gemeinsam in die Stadt zu ziehen, um in Hirschberg, wie es ihm jetzt in die Laune schoß, sozusagen einen fliegenden Jahrmarkt aus der Erde zu stampfen und die ganze Stadt am Narrenseile zu ziehen.

Er hatte vorerst dem wolligen Weißbart mit einem gelben, chinesischen Barte ausgeholfen, der dem Alten wie ein lichtes Flammenbüschel oben auf dem obersten Schädel brannte.

Und so war der tief beschirmte, sonderbare Laborant mit der Bockskarre hinter der dröhnenden Leiermannsweise durch das Langgassentor, die Lange Gasse hinein, auf den Hirschberger Markt marschiert.

Es fiel ihm jetzt auch gleich ein, nicht mehr Kräuter und Wurzelwerk und wohlriechende Steine, sondern allerlei ausländische Waren aus dem Kasten auf seiner Karre hervorzuholen.

Schon wegen der sonderbaren Karre strömte viel Volk heran.

Die Karre schien unförmig groß und hing über und über voll Haarzotteln, wie das Fell eines alten Ziegenbockes.

Und auch deshalb staute sich gleich eine immer mehr wachsende Menge, weil der hudlige Alte mit den dicken Brauenbüschen unteren grünen Mützenschirm aus den kleinsten Gefäßen die allergrößten Dinge entnahm.

Vor allem zuerst Balken und Gestelle zu einer mächtigen Verkaufsbude. Eine sehr kostbare Plane, richtig bunte Schmiedeberger Teppiche, die er geschickt zur Verhüllung des Holzgerüstes benutzte.

So daß da sofort eine ganz geheimnisvolle Räumlichkeit vor dem Ratskeller wie mit Zauberei aus der Erde wuchs. Und daß er nun seine weiteren Possen, nachdem noch alle Ritzen und Luken verstrichen und jeder Einblick mit Zwecken zugesteckt war, dahinter ungesehen treiben konnte. Das tolle Horngeschmetter vor allem, das wie aus hundert Trompeten bald hinter den bunten, kostbaren Behängen hervortönte.

Diese tolle Fanfarenmusik trieb den Marktplatz noch richtig voller neugieriger Gesichter. So daß Männer und Weiber und Kinder aus den Häusern rannten. Und die ehrsamsten Bürger Hirschbergs, die zu dem Vespertrunke in den Ratskeller spazierten, auch der Stadtschreiber und die Ratsherren selber, und wer sich von den Honoratioren noch eine leibliche Erlustigung dort ersehnte, alle mit offenen Mündern stehenblieben und seltsamer Dinge gewärtig waren.

Der Lärm aus der verhangenen Schaubude heraus schallte in den Leiermannstumult des Invaliden, der possierlich wie ein chinesischer Götze aufgetakelt, seine Leier auf einem hohen Podium neben der Bude drehte. Und wurde allmählich so arg, als wenn es eine ganze Janitscharenmusik wäre, die von den Giebelhäusern am Marktplatze siebenfach widerhallte, und die die Kleinhändler unter den breiten Pfeilern der alten Stadtlauben schier wie ein beständiges Zittern ihrer Unterkiefer empfanden.

Auf dem riesigen Stirnschilde, das plötzlich über der Schaubude hoch in die Luft gewachsen war, ehe jemand auch nur gesehen, daß sich Hände daran betätigten, stand geschrieben, daß man hier Waren aus der herrlichen Sultanstadt Venedig und aus den Wundergärten Kaschmirs billig erhandeln, und daß man sich auch an den Steinblumen Indiens Heilkräfte und langes Leben, Wundenlosigkeit und Schmerzlosigkeit, Gesundheit und Glück kaufen könnte.

Da las man auch von Steinen, die jeden Gesichtsschmerz oder den Beinbruch durch bloßes Aufliegen heilen konnten. Die jeden Seelenkummer derart vertrieben, daß einem, wenn man sie zerstampfte und in Pulverform mit Milch genösse, aus der tiefsten Schwermut Paradiesträume aufwachten, die die himmlische Herrlichkeit schon hier auf Erden vortäuschen könnten.

Da gab es natürlich rings in der volkreichen Runde ein tiefes Geraune und ein immer größeres Gewirr, stumm und ehrfürchtig.

Der ganze Marktplatz war jetzt dicht vollgepfropft mit Menschenköpfen wie der Topf mit Erbsen.

Alle hatten die Münder noch weiter offen vor Staunen. Auch weil der Lärm im Innern der Teppichbude noch immer zunahm.

Bis endlich der Kräutermann, aber nicht mehr in seiner ungelenken, trüben Langschössigkeit und Beschirmtheit, jetzt als ein satanischer Schwerenöter, seidig gefalbelt, mit spitzem Degen am goldenen Gürtel, mit pechschwarzem Spitzbart und fliegendem Samthaar um die bleiche Stirn heraustrat. Nicht anders, wie einer der hundertmal von ihm genarrten Valonen. Hinaustrat in den furchtbarsten Lärm von Musik und Menschenstimmen, seine tollsten Zauberstücke in Händen, die er nur hoch hielt.

Da war auch im Nu in alle Instrumente und in das Volksgewirr das tiefste Schweigen gekommen. So daß nun in diese äußerste Stille auf dem Marktplatz mit einer lieblich klingenden, ganz fremdartigen, aber verständlichen Sprachweise seine Anpreisungen laut und vernehmlich tönten.

»Das ist ein Püffelring, geehrte Signoria dieser schönsten Stadt!« rief er lächelnd. »Verwarnt vor großes Unglück… da ist eine herrliche Stadt an die See… Lübeck… si Signori… eins der Kaufmänner trug diese Ring am Finger… und diese Ring war plötzlich gesprungen… und hätte dieser Mann nicht darüber gelacht… er könnte noch heute leben… er wäre hübsch daheim geblieben… daß ihn am anderen Tage auf die Gasse der Mörder nicht hätte begegnen und erstechen können…«

Er schrie eine lange Geschichte über die staunenden Köpfe hinweg von dem rotfunkelnden Hyazinthen, der von der Insel Sucota käme. Und daß es im Meissenschen Lande ein herrliches Schloß gäbe, das auf eitel Hyazinthensäulen errichtet wäre, um es vor Feuer und Fäulnis zu bewahren.

Hielt auch den wunderbaren Adlerstein hoch, der in seiner Hand, weil er hohl war und noch ein kleineres Steinchen darin eingeschlossen lag, hell klapperte. Erklärte mit lockendem Entgegenkommen, daß man ein solches Steinei nur im Neste des Adlers fände. Daß man ihn sonst sehr teuer bezahlen müßte, weil der Stein den Müttern in Kindesnöten Kraft brächte. Und daß man ihn vielerorts sogar zum gemeinen Wohle auf den Ratshäusern hielte, um ihn den Müttern zu leihen.

So brachte er immer neue Steine, die sogleich reißenden Absatz fanden.

»Hier ist ein Chelidonier!« sang er fast in die Lüfte, »den man nur im Augustmonat bei wachsendem Monde in jungen Schwalbenmägen findet!« Und er vergaß manchmal das Ausländische und sprach dann, wie ein rechter Gebirgsbauer redet. »Die wuschpernen, klenn Tierla derfa noch kenn Dreck und kenne Arde beriehrt han!« Aber da besann er sich gleich wieder und fuhr um so geschmeidiger fort. »Nämlich es ist das Wunder der Wunder… du kleines, reizendes Freilein… da unten in diese Volksauflauf… du schiebst dieses kleine, keulige Steinchen in deine Augenwinkel neben die Schläfe… es läuft eilfertig drinnen herum… und jedes Staubkörnchen, das diese liebliche Äuglein drücken möchte, jagt es dir heraus, wie der Hund eine Hasen!«

Da reckten sich tausend Hände gleichzeitig. Alle Mannsleute gierten auch nach dem Stein, der in der Tasche getragen nüchtern machte, auch wenn man schon ein ganzes Oxoft Bier oder Wein hinuntergegossen.

Alle Weiberarme kamen jach in die Höhe, das Kraut zu greifen, wovon der Valone soeben versichert hatte, daß eine Messerspitze davon zerrieben und in eine Bratwurst gestreut, Müttern unfehlbar zu Knaben verhülfe.

Man kaufte auch Kleider, die zu kleine Leute sofort um einen Fuß größer machten. Und andere, die den Mädchen zu dürftige Leibchen voll, und den Mannsleuten Waden und Arme zu Knollen wachsen ließen.

Man kaufte auch Perücken, die gleichzeitig die dicksten Nasen zu einer Schönheitsform abschwächten. Und zu kurze länger machten.

Und der lustig betriebsam Valone praktizierte auch alles am eigenen Leibe vor der Menge Augen.

Er flatterte und schwenkte dann auch Siegteppiche in die Luft, die jedem auf Reisen Sicherheit brächten. Die, wenn er noch rechtzeitig auf sie träte, vor dem Schlage und dem Tode unterwegs behüteten. Die auch das Zittern der Glieder benähmen. Und wenn man bei neuem Monde tagelang starr darauf sitzen bliebe, Haupthaar und Augenbrauen ganz buschig machten.

Die Arme, die aus dem Volkshaufen in die Lüfte griffen, als tausend solcher Wunderdinge schon in der Menge kreisten, wurden immer zahlreicher. Der Valone verschleuderte auch die funkelndsten Geschmeide.

Und je üppiger das Geld aus allen Taschen der Städter in Strömen herzufloß, desto üppiger wuchsen die Fuder neuer Kostbarkeiten vor dem Volksgedränge ins Licht.

Der Valone verkaufte auch zyprischen Wein. Und Mohren kredenzten plötzlich an allen Ecken des Marktes mit launigem Lachen südliche Früchte in den Oktoberwind, der nur noch ungeachtet über die Köpfe fauchte, weil er wegen der hundert und hundert Füße, die den Marktplatz besetzt hielten, am Boden nicht mehr Raum fand.

Es war schließlich ein richtiges Jahrmarktsfest.

Wurstkessel hatten längst unter dem Volke zu dampfen begonnen. Es waren jetzt auch andere Verkaufstische mit tausenderlei Pfefferkuchen und frischem Backwerk an Ecken und Enden in dem Tumulte erstanden.

Denn die ganze, gute Stadt Hirschberg war von dem Marktschreier und dem einäugigen Leiermanne auf die Beine gebracht und tumultuierte, einmal in Bewegung, lustig weiter.

So daß alle Kneipen und Haustüren voll glücklicher Manns- und Weibsleute standen, die Zaubersachen in Händen hielten. Oder die die Steinwunder schon an sich erprobten. Auch Frauen in den herrlichsten Kleidern charmierten. Und Gruppen von halbwüchsigem Volk, Singinstrumente am Munde, einhermusizierten, bis zum Rande voll des Gejauchzes und Gelärmes, das seit dem Einzuge des gebeugten Laboranten mit der unheimlichen Schirmmütze und des krüppligen Leiermannes eingesetzt.

Der gauklerische Valone war mitten im tollsten Jahrmarktstrubel endlich tänzelnd an seine behaarte Karre zurückgetreten. Als ein richtiger, feiner Ausländer in buntem Falbelhabit jetzt auch mit buntseidenem Federhut wie ein junger, venezianischer Doge. Hatte plötzlich den Karren, der nicht zehn-, sondern tausendmal aufs letzte geleert sein mußte, vor der Leute Augen einfach an den beiden Griffen genommen. Hatte die Griffe wie die Hinterbeine eines Bockes auf die Erde gebogen, so daß es die Leute jetzt sahen: die Karre war eigentlich ein lebendiger Ziegenbock mit hochgenommenem Hintergestell.

Und nun hatte sich der pechdunkle Fremdling unter dem Gejohl der festlich berauschten Jugend, aber auch unter dem ausbündigsten Freudentaumel der Alten, auf den lebendigen Bock gnädig lachend aufgesetzt, der auch gleich mit Purpursamt gesattelt dastand. Und er war unter richtigem Jauchzen der ganzen Stadt, mit Winken und Blumenwerfen aus allen Fenstern und seinem gnädigen Nicken, ja sogar unter wirklichem Glockenläuten von den Kirchtürmen, das er aber durch das Zusammenschlagen seiner Stiefel und Steigbügel heimlich selber erregte, durch die Lange Gasse die Warmbrunner Straße hinaus endlich wieder auf den Heimweg geritten.

Da war freilich die Phantasmagorie für die Hirschberger noch lange nicht zu Ende.

Weil die Leute erst einmal ausschlafen und in ihren unverzauberten Zustand zurückgebracht werden mußten, ehe sie es wirklich erkennen konnten, daß sie mit Wurzeln und Haderlumpen, mit gemeinen Kieselsteinen und Moos, mit gedörrten Erdmolchen und Fröschen und Strohwischen und vertrocknetem Dung betrogen waren.

Aber es war Oktober.

Rübezahl lachte nur vor sich hin. Hatte den Spaß bald vergessen. War längst in sein Kostüm als Meilengänger gefahren und befand sich schon wieder nahe am Vitriolwerk.

Oben in den Engtälern gab es noch andere Arbeit.

Es begann auf den Winter zu gehen. Und der Winter kam in diesem Jahre hart.

Da wollte manches Blatt vom Baume. Und mancher verdorrte Mensch ins Grab.

Auch die alte, hustende Mutter Gottwald wollte sterben. Sie hatte ihren Enkelsohn von drei Jahren in ihren dürren Knochenarmen, lag zusammengekrümmt in der Backofenstelle und ächzte.

Draußen ratterte der Schneesturm an der kleinen Holzhütte in der Schlucht, und es begann auf den Abend zu gehen. Da deuchte es der aufgescheuchten Alten, als wenn ein Altes käme.

Obwohl ihr einstiger Ehemann, der Schmied im Dorfe gewesen, ehe sie in der elenderen Armut wohnte, längst neben Pferdeleichen und Granatsplittern irgendwo zuhauf auf dem Ackerboden unbegraben verfault war. –

Ein wirrumhangener, braunhudliger, sanfter Schädel reckte sich auch gleich zur schiefen, niedrigen Tür herein.

»Brauchst gar nicht zu erschrecken, liebe Frau Gottwalden… ’s ist der alte Gevatter!« sagte eine tiefe, gutmütige Stimme.

»O mein Gott… mein Gott du du!« seufzte die Alte, »immer Elend… bloß Not und Jammer… immer Elend… das arme, ganze, lange Leben… da is weiß Gott besser, ma läßt Not und Qual endlich hinter sich!«

Sie versuchte mit ihren verglasten Augen genauer zu sehen und kroch wieder zitternd und zögernd in ihr Lumpenbette zurück.

»Du willst wohl jetzt gar zu deinem Schmiede ins Grab nachfahren!« sagte der alte Gevatter sehr launig, hatte das große, böhmische Taschentuch, das er zum Beutel gebunden vor sich trug, sorglich gelöst und hielt ein glitzerndes Vogelbauer in Händen, darinnen sogleich ein lieblicher Vogel aufsang.

»Nu gar… du hast mir wohl einen Kanarinenvogel oder so mitegebracht!« sagte die Alte aus ihrer Backofenstelle, und ihr todbleiches Gesicht starrte auch schon an die rauchschwarze Balkendecke auf, wo der sanfte Gevatter den blinkenden Käfig befestigte.

»Ja… einen solchen Kanarienvogel hab ich dir mittegebracht!«

Der kleine, gelbe Vogel zwitscherte und jubilierte jetzt fröhlich.

»Ich hab dir den goldenen Vogel ausdrücklich mittegebracht… nämlich… es hat einmal einen Mann gegeben, der hieß Petrus Forschegrund… und dieser Mann hatte einem solchen kleinen Jubiliervogel solange zugehört, bis er darüber die Zeit und sogar das Sterben verpaßte… und wenn du also jetzt nicht gar zu erbärmlich kreißt und jammerst…«

Er vollendete seine Rede nicht, setzte sich nur auch still auf die Ofenbank nieder, um selber dem Vogelgesange zu lauschen.

Denn die Alte starrte nur noch staunend und schweigsam in das selige Tirilieren hinein.

Der goldene Vogel sang unter der rauchigen Balkendecke in die enge, irdische Dämmerung.

Bald herrschte tiefste Stille.

Der Totenwurm pochte in der oberen Türschwelle.

Und der goldene Vogel sang. Tirilierte und reckte selig Kehle und Köpfchen.

Da schien es der bleichen Alten in ihrem Lumpenbette zuerst und sie träumte in ihre leeren, verglasten Augen hinein, daß die Welt und alle Dinge in ihrem grauen Armutsstübel wie im Wasserspiegel leicht tanzten und tändelten, wie leise auf- und abgewiegt.

Und es deuchte ihr auch daneben, als wenn sie nicht mehr nur auf Erden, sondern mit dem Vogelgezwitscher unter den Wolken wäre und hintriebe.

Das waren wundersame Verwandlungen.

Auch der alte Meilenschreiter saß nur stumm, seinen Kopf in beide Hände gestützt und rührte sich nicht.

Und dann begann vor dem Auge der Alten eine kleine, goldene, warme Flamme zu brennen, wie wenn es auf ihrem eigenen Tische wäre. Das war der kleine, goldene Vogel noch immer, der sein seliges Lied ohn‘ Unterlaß hinaustirilierte.

Aber die Alte war doch noch einmal irdisch erwacht. Flüsterte Worte, die man nicht verstand. Und sagte ganz laut: »Ich lache!«

Weil der goldene Vogel sang und sang.

Dann deuchte es der alten Gottwalden fortwährend, als wenn ein leichter Zweig ihres blühenden Birnbaums draußen vor den Fenstern in blauer Luft hin- und herschwankte und leise an ihrer kleinen Sonnenscheibe auf- und niederstriche.

Und es schien ihr auch, als wenn ihr Bäumchen ein Paradiesbäumchen wäre, obgleich es nur dürftige aber schneeweiße Blüten trug.

Und in das selige Bild, das beständig vor ihrem erloschenen Auge stand, schien sich das Aufatmen ihres dreijährigen Enkels lieblich vernehmbar und wie erlöst hineinzumischen. Nichts sonst hatte sich ewig in der stillen Dämmerhütte geregt.

Nur der kleine, goldene Vogel flötete und tirilierte unaufhörlich.

Ganz spät erst begann sich der alte, bedächtige Meilenschreiter auf der Ofenbank zu regen, war ans Fenster getreten, damit ihm noch der trübe Schein von draußen das alte Gesangbuch ein wenig erhellte, und fing mit seiner rostigen Stimme ein altes Kirchenlied einsam zu singen an.

Wie am Abend die enge Stube im Tiefdunkel sich mit den jungen Leuten, dem Sohne der Gottwalden und dessen jungem Weibe und den beiden frischen Jungen füllte, die draußen im Sturme Holzbürden vom Walde hintereinander niedergeschleppt, und jetzt nur nach derben Brotkeilen und einem Trunke Wasser Gier heimbrachten, da war die Stube tiefstill.

Weder der goldene Vogel im Käfig an der Balkendecke, noch irgendein alter Hudelkopf stand mehr vor dem Fenster und sang ein Gesangbuchlied.

Nur das Gesangbuch lag noch auf dem Fensterbrett aufgeschlagen, als das junge Frauenzimmer mit ziemlichem Lärm den Span vor dem Ofenloch entzündete.

Aber wie die Kinder nach der alten Großmutter sahen, standen sie bald, eins nach dem andern, stumm um eine Entschlafene herum.

Die alte Mutter Gottwald hatte über dem Singen des Jubiliervogels wirklich das Sterben verpaßt. Lag jetzt mit ganz jungem Gesicht da. Längst unwiederbringlich in die Ewigkeit eingebettet.

An diesem Abend war den Lebendigen in der armen Hütte zumute, als läge Goldstaub auf allen Bänken. Und als sänge immerfort heimlich eine ferne, selige Vogelstimme draußen in der Winternacht.

Und das junge Weib sah dann im Traume lange den Himmel weit offen. Und sah die Großmutter im hellerlichtesten Himmelsschein über Wolken gehen.

*

So hat Rübezahl auch manchmal die Mühseligen, die er liebte, die kleinen Mühsamen in den steinigen Schattentälern des Riesengebirges mit einem Stück tiefer Lebenswonne bedient, die je und je nur von den Inseln der Seligen herfliegt.